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Editorial: Hernienchirurgie

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

die Hernienchirurgie hat sich in den letzten Jahrzehnten aufgrund der Vielzahl der Methoden und Materialien sowie durch den Anspruch an ein individualisiertes Vorgehen zu einem eigenständigen Gebiet innerhalb der Allgemein- und Viszeralchirurgie entwickelt. Durch die Häufigkeit wird sie dennoch in vielen Kliniken und zahlreichen Praxen in der täglichen Routine für die Patienten angeboten. Gleichzeitig steigt der Qualitätsanspruch seitens der Patienten fortwährend. Für jeden einzelnen Chirurgen ist es eine große Herausforderung geworden den kontinuierlichen Wissenszuwachs zu verfolgen und das eigene Vorgehen ggf. immer wieder anzupassen.

Vor diesem Hintergrund ist das seit 2009 bestehende Deutsche Hernienregister Hernia­med ein wesentlicher Baustein zur Reflektion des täglichen Handelns geworden. Es hat sich zwischenzeitlich mit mehr als einer halben Million Patientendatensätze zur weltweit größten Datensammlung über Hernienchirurgie entwickelt. Dies belegen auch zahlreiche wissenschaftliche Publikationen der jüngsten Zeit. Durch dieses Register wurde eine hervorragende Möglichkeit geschaffen, wichtige Fragen des Alltags zu beantworten. Darüber hinaus können aber auch neue tiefere Einblicke gewonnen werden, die durch wissenschaftliche Studien bisher nicht abgebildet werden konnten. So verhält es sich auch mit den Kenntnissen über die Notfälle in der Hernienchirurgie: Die Erkenntnisse aus den Daten der Versorgungsrealität ermöglichen es uns als Chirurginnen und Chirurgen präzisere Risikoabschätzungen vorzunehmen und Indikationen zu Operationen kritisch zu hinterfragen.

Die nächste Generation Chirurginnen und Chirurgen wird sich künftig auch aufgrund des veränderten Zeitgeistes frühzeitig fachlich spezialisieren. Hier gilt es, neue Angebote für den Nachwuchs zu schaffen. Die Hernienchirurgie wird dabei sicher nur ein Aspekt sein, könnte jedoch exemplarisch wirken. Eine in Zusammenarbeit des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgen (BDC) und der Deutschen Herniengesellschaft (DHG) entwickelte modulare HERNIENSCHULE stellt eine vor allem praktisch orientierte Hilfestellung für die Weiterbildung dar. Das Konzept der HERNIENSCHULE konnte in den letzten Jahren erfolgreich weiterentwickelt werden und besitzt schon heute auch internationalen Modellcharakter.

Weiterbildung in der Hernienchirurgie ist jedoch nicht nur ein nationales, sondern auch ein globales Problem. Es gilt auch in Afrika mit standardisierten Ausbildungskonzepten den Nachwuchs für die Chirurgie zu begeistern. Mit einem Artikel über ein nachhaltiges humanitäres Projekt in Ruanda wollen wir den Blick über den Tellerrand wagen.

Die Chirurgie bleibt spannend und ist für viele von uns eine Passion!

Ich wünsche Ihnen viel Spaß an dieser neuen Ausgabe der Passion Chirurgie mit dem Schwerpunkt Hernien.

Ihr
Ralph Lorenz

Lorenz R: Editorial. Hernienchirurgie. Passion Chirurgie. 2018 April; 8(04): Artikel 01.

PASSION CHIRURGIE Ausgabe April 2018

Herniennotfälle – wer ist tatsächlich gefährdet?

Bei jeder Diagnosestellung einer Hernie wird im Rahmen der Operationsaufklärung vom Chirurgen auf die Gefahr einer Einklemmung (Inkarzeration) der Bauchorgane hingewiesen. Typische Komplikationen der Einklemmung stellen Ileus und Darmwandperforationen dar. Vor diesem Hintergrund ist es tägliche Praxis bei der Diagnosestellung einer Hernie sofort zu einer Operation zu raten. Dementgegen warten doch zahlreiche Patienten bisweilen Jahre bis sie sich zu einer Operation entschließen. In den letzten Jahren wurde insbesondere bei jüngeren Patienten mit asymptomatischen Leistenhernien die Option Watchful Waiting diskutiert (Fitzgibbons 2006, O´Dwyer 2006). In weiteren Nachuntersuchungen wurde jedoch ebenso festgestellt, dass die Mehrheit der asymptomatischen Patienten in den ersten zwei Jahren nach Diagnosestellung doch Beschwerden entwickelten und daraufhin auch operiert wurden (Fitzgibbons 2013).

Wir haben die Daten des Deutschen Hernienregisters Herniamed im Jahr 2017 analysiert, um zu prüfen wie hoch die Notfallgefahr tatsächlich ist und insbesondere welche Patientengruppen und welche Hernienarten besonders gefährdet sind.

In der wissenschaftlichen Literatur findet man zahlreiche Fallberichte oder Fallserien über Inkarzerationen insbesondere bei seltenen Hernien wie beispielsweise Obturatorhernien, Spieghel´Hernien, Bochdalek´Hernien und Lumbale Hernien. Primäre Ventralhernien scheinen entsprechend einer ersten Analyse der Herniamed-Daten 2014 deutlich häufiger von Notfalleingriffen betroffen zu sein als Leistenhernien. Der Anteil an Notfalleingriffen mit Darmbeteiligung ist jedoch bei allen Hernien äußerst gering (Tab.1).

Tab. 1: Notfalleingriffe bei primären Hernien (Herniamed Daten 2014)

Hernienart

Notfälle

Notfälle mit Darmbeteiligung

Inguinal

3,06 %

0.30 %

Umbilical

7,67 %

0.36 %

Epigastrisch

7,88 %

0.32 %

Alle Hernien

4,06 %

0.38 %

In einer detaillierten Untersuchung haben wir 2017 die Herniamed-Datensätze von 212.591 Leistenhernien-Patienten mit komplettem ein-Jahres Follow-Up statistisch ausgewertet. Dabei haben wir alle Notfalleingriffe mit den Elektiveingriffen sowohl bei Frauen als auch bei Männern miteinander verglichen.

Bei Leistenhernien besteht demnach ein Anteil von ca. 2,5 Prozent Notfalleingriffen. Dies deckt sich mit internationalen Daten. Es bestehen jedoch erhebliche Geschlechtsunterschiede. Das Notfallrisiko scheint bei Frauen erheblich höher zu sein als bei Männern. Der Notfalleingriffsanteil liegt bei Frauen mehr als fünf Mal so hoch wie bei Männern (Tab.2).

Tab.2: Geschlechtsverteilung der Notfalleingriffe bei Leistenhernien

Männer

Frauen

Leistenhernien

N

%

N

%

Elektiveingriffe

183.901

98,4

23.481

91,9

Notfalleingriffe

3.135

1,6

2.074

8,1

Aber welche Hernienpatienten und Hernienarten sind besonders betroffen?

Im direkten Vergleich von Elektiv- und Notfalleingriffen fällt auf, dass überwiegend ältere Patienten bei Notfällen betroffen sind (Abb.1, 2).

a. Elektiveingriffe

b. Notfalleingriffe

Abb. 1: Altersverteilung bei a. Elektiv- und b. Notfalleingriffen bei Männern

a. Elektiveingriffe

b. Notfalleingriffe

Abb. 2: Altersverteilung bei a. Elektiv- und b. Notfalleingriffen bei Frauen

Es zeigt sich bei Frauen, dass fast die Hälfte der Notfälle durch femorale Hernien hervorgerufen wird (Abb.4). Bei Männern sind die größten Unterschiede zwischen Elektiv- und Notfalleingriffen bei Skrotal- und Femoralhernien zu verzeichnen (Abb.3). Die weiteren Statistiken zeigen auch dass die Herniengrößen bis drei Zentimeter häufiger zu Notfällen führen als größere Bruchlückendurchmesser.

a. Elektiveingriffe

b. Notfalleingriffe

Abb. 3: Vergleich der Hernienarten bei Elektiv- und Notfalleingriffen bei Männern

a. Elektiveingriffe

b. Notfalleingriffe

Abb. 4: Vergleich der Hernienarten bei Elektiv- und Notfalleingriffen bei Frauen

Welche Vorteile bestehen bei offenem oder endoskopischem Vorgehen?

Grundsätzlich bietet der offene Zugangsweg zwar einen einfachen und sicheren Zugangsweg jedoch ist eine Beurteilung des Darmes bei endoskopischem Vorgehen deutlich besser möglich. Ebenso ist eine Reposition des Darmes aus der Bruchpforte unter visueller Kontrolle ein eindeutiger Vorteil des endoskopischen Zugangsweges.

Wie werden Notfallhernien in Deutschland operativ versorgt?

Werden die Vorteile des endoskopischen Zugangs in der täglichen Routine tatsächlich genutzt? Die Realität scheint hier entgegengesetzt zu sein. In Deutschland werden Notfalleingriffe häufiger offen operiert und auch auffällig häufig ohne Netz operiert (Tab. 3, 4).

Tab. 3: Verteilung der Operationsmethoden bei Notfall- und Elektiveingriffen bei Männern

Notfalleingriffe

Elektiveingriffe

N

%

N

%

TAPP

770

23,4

105.373

46,4

TEP

294

8,9

67.684

29,8

Lichtenstein

1.732

52,6

44.881

19,8

Shouldice

141

4,3

2.416

1,1

Plug

38

1,2

1.740

0.7

Bassini

73

2,2

132

0,06

GILBERT

6

0,2

2.290

1,0

TIPP

21

0,6

986

0,4

Bruchsackverschluss

78

2,4

0

0

Sonstige

137

4,2

1.701

0,7

3.290

227.203

Tab. 4: Verteilung der Operationsmethoden bei Notfall- und Elektiveingriffen bei Frauen

Notfalleingriffe

Elektiveingriffe

N

%

N

%

TAPP

557

25,9

12.651

47,3

TEP

137

6,4

6.578

24,6

Lichtenstein

556

25,9

5.067

18,9

Shouldice

118

5,5

1.049

3,9

Plug

47

2,2

251

0,9

Bassini

65

3,0

113

0,4

GILBERT

4

0,2

275

1,0

TIPP

32

1,5

247

0,9

Bruchsackverschluss

147

6,8

0

0

Sonstige

483

22,5

539

2,0

2.146

26.770

In zahlreichen wissenschaftlichen Studien wird der Einsatz von Fremdmaterialien selbst im Falle von Dünndarmresektionen empfohlen (Kamtoh 2014, Wysocki 2014, HerniaSurge 2018). Dennoch verhalten sich die deutschen Chirurgen derzeit bei Notfällen zurückhaltender bezüglich der Verwendung von Fremdmaterialien. Notfalleingriffe sollten entsprechend den aktuellen HerniaSurge Leitlinien stets unter Single-Shot-Antibiose erfolgen (HerniaSurge 2018).

Zusammenfassung

Der Anteil der Notfalleingriffe bei Leistenhernien liegt bei ca. 2,5 Prozent. Primäre Ventralhernien, wie epigastrische und Nabelhernien haben einen Anteil von über 7 Prozent.

Notfälle treten besonders häufig auf …

  • bei Frauen
  • im höheren Lebensalter
  • und bei femoralen Hernien

Die Vorteile der Laparoskopie im Rahmen der Notfalleingriffe werden derzeit in Deutschland noch nicht genutzt.

Nach den derzeitigen wissenschaftlichen Daten ist der Einsatz von Netzmaterialien auch bei Notfalleingriffen selbst mit Dünndarmresektion möglich. Notfalleingriffe sollten immer unter Single-Shot-Antibiose erfolgen.

Literatur

Fitzgibbons RJ, Giobbie-Hurder A, Gibbs JO et al. Watchful waiting vs repair of inguinal hernia in minimally symptomatic men: a randomized clinical trial. JAMA. 2006;295(3):285-292.

Fitzgibbons RJ Jr, Ramanan B, Arya S, Turner SA, Li X, Gibbs JO, Reda DJ. Long-term results of a randomized controlled trial of a nonoperative strategy (watchful waiting) for men with minimally symptomatic inguinal hernias. Ann Surg. 2013 Sep;258(3):508-15.

HerniaSurge Group. International guidelines for groin hernia management. Hernia. 2018 Jan 12: 1-165. doi: 10.1007/s10029-017-1668-x. [Epub ahead of print] PMID: 29330835

Kamtoh G Effectiveness of mesh hernioplasty in incarcerated inguinal hernias.Wideochir Inne Tech Malo Inwazyjne.2014 Sep;9(3):415-9.

O´Dwyer PJ, Norrie J, Alani A, Walker A, Duffy F, Horgan P. Observation or operation for patients with an asymptomatic inguinal hernia: a randomized clinical trial. AnnSurg. 2006;244(2):167-173.

Wysocki A, Short- and long-term outcomes of incarcerated inguinal hernias repaired by Lichtenstein technique, Wideochir Inne Tech Malo Inwazyjne.2014 Jun;9(2):196-200

Lorenz R, Köckerling F: Herniennotfälle – wer ist tatsächlich gefährdet? Passion Chirurgie. 2018 April, 8(04): Artikel 03_01.

Hernienschule für Afrika

Bericht vom 2. Hernia Basic Kurs in Kigali und Rwamagana in Ruanda

Hernien gehören zwar weltweit zu den häufigsten chirurgischen Erkrankungen, dennoch bestehen erhebliche nationale Unterschiede in der operativen Versorgung von Hernien. Während in Europa und Nordamerika nahezu alle Patienten mit Hernien operativ versorgt werden, so können in vielen – vor allem auch afrikanischen Ländern – aufgrund der fehlenden Kapazitäten nur ein Bruchteil (vermutlich weniger als 10 Prozent) operativ versorgt werden. Zudem werden Leistenhernien-Patienten in Afrika noch heute in den meisten Fällen operativ in der Technik nach Bassini versorgt.

Die operative Versorgung mit Kunststoffnetzen ist seit mehr als 20 Jahren zunehmend weltweit etabliert und wird in den evidenzbasierten Leitlinien empfohlen. Für bestimmte Situationen sind durchaus auch heute noch kunststoffnetz-freie Operationsverfahren sinnvoll. Unabhängig von der medizinischen Indikation für oder gegen ein Netzverfahren sind in vielen afrikanischen Krankenhäusern Kunststoffnetze aufgrund vergleichsweise hoher Kosten jedoch häufig nicht verfügbar.

Vergleicht man allein die Anzahl der chirurgischen Fachärzte in Afrika mit denen in Europa und Nordamerika muss man die Situation in vielen Ländern Afrikas als geradezu dramatisch einschätzen. Ein Hundertstel an Chirurgen (gemessen an der Anzahl in Europa) muss sich in den meisten Ländern Afrikas in der Regel nicht nur mit chirurgischen Problemen befassen, sondern häufig auch benachbarte Fachdisziplinen wie Gynäkologie, Urologie, Unfallchirurgie und Orthopädie übernehmen.

Aufgrund der fehlenden Ressourcen in vielen afrikanischen Staaten kommt einer standardisierten fachspezialisierten Weiterbildung der regionalen Chirurgen eine ganz besondere Bedeutung zu.

Entwicklung des standardisierten Hernia-Basic-Kurses

Die Hilfsorganisationen OperationHernia und Chirurgen für Afrika entwickelten 2016 gemeinsam einen standardisierten Weiterbildungskurs für junge Chirurgen in Afrika.

Dieser spezifisch auf die Bedürfnisse in afrikanischen Ländern entwickelte Hernia-Basic-Kurs besteht aus einem zweitägigen theoretischen Teil und einem 5-tägigen praktischen Teil.

Die Teilnehmerzahl ist auf 20 Chirurgen je Kurs begrenzt, um ein möglichst intensives Training zu ermöglichen. Der theoretische Teil wird in der Regel in einem zentral gelegenen überregionalen Krankenhaus oder einer der Universitäten des Landes veranstaltet. Dabei werden folgende Themen abgehandelt:

  • Nationale Epidemiologie
  • Anatomie der Leistenregion und der Bauchwand
  • Evidenz Pure-Tissue-Repair
  • Evidenz Mesh-Repair
  • Lokalanaesthesie
  • Videodemonstration Shouldice Repair
  • Videodemonstration Lichtenstein Repair
  • Kindliche Hernien
  • Ventralhernien
  • Komplikationsmanagement

Im 5-tägigen praktischen Teil werden standardisierte Hernien-Operationen in Kleingruppen (3 bis 4 Weiterbildungsassistenten je Tutor) in verschiedenen Referenzkrankenhäusern des Landes durchgeführt. Dabei sind verschiedene Stufen der Lehrassistenz klar definiert (Abb.1).

Abb. 1: Trainingsstufen der Lehrassistenz

Inhaltlich liegt der Fokus des praktischen Kursteils auf folgenden Operationstechniken:

  • Versorgung von kindlichen Hernien mit Bruchsackresektion
  • Durchführung der Lokalanästhesie
  • Standardisiertes Shouldice Repair
  • Standardisiertes Lichtenstein Repair

Wesentlicher Bestandteil des Kurses ist eine kontinuierliche Evaluation aller Inhalte. Dabei werden sowohl Trainees als auch Trainer gegenseitig bewertet. Nach Abschluss des Kurses werden alle Teilnehmer durch die Trainer beurteilt, welche Kompetenz sie im Rahmen des Kurses erreicht haben (Abb. 2).

Afrikanische Hernien sind in der Regel mit europäischen nicht zu vergleichen. Es besteht in Afrika ein deutlich höherer Anteil an Notfalleingriffen mit Einklemmungen und Inkarzerationen. Viele, vor allem junge Patienten haben überwiegend indirekte bis skrotale, bisher nicht operierte kindliche Hernien. Häufig sind diese auch mit einer Hydrozele assoziiert. In vielen Fällen ist bei diesen Konstellationen ein netzfreies Operationsverfahren eine sinnvolle Alternative.

Abb. 2: Kompetenzstufen zur Durchführung von Operationen

Umsetzung

Die Chirurgen für Afrika führen gemeinsam mit der britischen Organisation OperationHernia seit 2014 jährlich humanitäre Einsätze in verschiedenen Krankenhäusern Ruandas durch. Im Jahr 2016 und 2017 wurden oben beschriebene Hernia-Basic-Kurse in Ruanda veranstaltet.

Ruanda, das Land der Tausend Hügel, ist eines der bevölkerungsdichtesten Staaten Afrikas mit knapp 12 Millionen Einwohnern auf einer Fläche die den deutschen Bundesländern Hessen oder Rheinland-Pfalz und Saarland zusammen entspricht. Das Gesundheitssystem in Ruanda wurde in den letzten Jahren in mancherlei Hinsicht mustergültig entwickelt. Nahezu jeder Einwohner Ruandas ist mit einem minimalen Geldbetrag krankenversichert und hat somit Zugang zu einer medizinischen Versorgung. Für diese 12 Millionen Einwohner in Ruanda gibt es allerdings lediglich ca. 60 Chirurgen!

Die Koordination der humanitären Einsätze der Chirurgen für Afrika in Ruanda übernahm Pastor Osee Ntavuka von der Hilfsorganisation Rwanda Legacy of Hope, der auch den Kontakt zum Gesundheitsministerium in Ruanda herstellte. Der Hernia-Basic-Kurs wurde seit 2016 als nationaler Weiterbildungskurs anerkannt und mit insgesamt 35 CPD Credits = Weiterbildungspunkten zertifiziert.

AUF 12 MILLIONEN MENSCHEN KOMMEN CA. 60 CHIRURGEN!

Dank der großzügigen finanziellen Unterstützung durch die Rotariervereinigung „Zitadelle Spandau“ in Berlin konnte am Provincial Krankenhaus in Rwamagana bereits im Jahre 2016 ein Weiterbildungszentrum für Hernienchirurgie ausgestattet werden.

2017 fand der theoretische Teil des Hernia-­Basic-Kurses erstmals an der Universität CHUK in Kigali statt. Daran anschließend wurden je sieben Trainees am CHUK in Kigali und im Provincial Hospital in Rwamagana eine Woche lang praktisch unterrichtet. In drei weiteren Distrikt-Krankenhäusern (Gahini, Kigeme und Kilinda) wurden weitere lokale Ärzte gezielt hernienchirurgisch weitergebildet. Das 32-köpfige Deutsch-Britische Team bestand aus Chirurgen, Anästhesisten, Anaethesie-Schwestern und OP-Schwestern und hat in den beteiligten Krankenhäusern die regionalen OP-Teams nicht nur chirurgisch aus- und weitergebildet. Alle Trainees haben innerhalb dieser Weiterbildungswoche zahlreiche Hernieneingriffe selbstständig und unter unserer Supervision durchgeführt. Alle Operationen verliefen komplikationslos und jeder operierte Patient konnten noch während unseres Aufenthaltes nach Hause entlassen werden. Am Ende des Hernia-Basic-Kurses konnten nahezu alle Trainees Leistenhernien-Operationen selbstständig oder unter geringer Supervision durchführen. Alle Kursteilnehmer erhielten über einen externen Datenzugang Videos, alle Präsentationen des Kurses, wissenschaftliche Literatur und zusätzliches Informationsmaterial. Zusätzlich wurde erneut zahlreiches medizinisches Equipment zum Verbleib nach Ruanda transportiert.

Das mediale Interesse an dem diesjährigen Einsatz war erneut beeindruckend. Sowohl das Fernsehen sowie einige Zeitungen berichteten im Verlauf der Woche über diesen Workshop. Während des Einsatzes ist ein kurzer Dokumentarfilm mit dem Titel „Participatience“ des Filmemachers Felix Vollmann entstanden.

Kurz vor der Abreise erhielt ich als Leiter des Deutschen Teams noch die Möglichkeit mit der amtierenden Gesundheitsministerin Ruandas, Fr. Dr. Diane Gashumba zusammenzukommen und ihr persönlich unser Projekt vorzustellen.

https://www.youtube.com/watch?v=Kcvhh4p4Cc0

Dank

Den ungeheuerlichen Enthusiasmus und Wissensdurst der jungen Chirurgen erleben zu dürfen war sicher eine der eindrucksvollsten Erfahrungen (Abb.3). Innerhalb der kurzen gemeinsamen Zeit ist eine sehr persönliche und kollegiale Partnerschaft entstanden.

Abb. 3: Feedback Kommentar eines Kursteilnehmers: „…thank you to renew my enthusiasm and broaden my mind…”

Ohne das selbstlose Engagement aller Freiwilligen wäre solch ein nachhaltiger Einsatz undenkbar. Der Fluggesellschaft Brussels Airlines, die uns bei Buchung/Umbuchung und Durchführung des Transportes unkompliziert und großzügig unterstützte, sei besonders gedankt. Wir danken dem Botschafter Ruandas in Deutschland, seiner Exzellenz Herrn Igor Cesar sowie seinen Mitarbeitern für die konstruktive und unkomplizierte Unterstützung. Last but not least gilt ein besonderer Dank allen privaten und kommerziellen Spendern, ohne deren finanzielle Unterstützung das ganze Projekt undenkbar wäre.

Ausblick

Für 2019 ist ein erneuter Einsatz in Ruanda geplant. Dann soll neben einem erneuten Hernien-Basiskurs zusätzlich ein Aufbaukurs für alle bisherigen Teilnehmer und alle fortgeschrittenen Chirurgen stattfinden.

Darüber hinaus bestehen derzeit Verhandlungen mit weiteren afrikanischen Ländern, um dieses nachhaltige hernienchirurgische Kurskonzept in weiteren Ländern zu etablieren.

Literatur erhalten Sie via [email protected] beim Verfasser.

Lorenz R, Lechner M, Frunder A: Hernienschule für Afrika. Passion Chirurgie. 2018 April, 8(04): Artikel 09.

CME-Artikel: Leistenhernien bei Frauen

„One fits all“ oder doch maßgeschneiderte OP?

Leistenhernien finden sich zwar bei Frauen deutlich seltener als bei Männern, dennoch kann davon ausgegangen werden, dass in Deutschland pro Jahr mehr als 30.000 Leistenhernien-Operationen bei Frauen vorgenommen werden.

Die Analyse der vorhandene Literatur bringt erstaunliches zutage: Es existieren weder Metaanalysen noch randomisierte Studien – explizit über Leistenhernien bei Frauen. Die derzeitigen Behandlungsempfehlungen und Leitlinien beruhen auf Subgruppenanalysen von epidemiologischen Studien vor allem der skandinavischen Hernienregister. Vor diesem Hintergrund haben wir die vorhandenen Daten mit denen aus dem deutschen Hernienregister Herniamed mit über 26.000 Leistenhernien-Operationen von Frauen verglichen.

Wie häufig sind die Leistenhernien bei Frauen und welches Alter betreffen sie? Welche Hernientypen sind besonders häufig und wie häufig sind dabei Notfalleingriffe?

Sowohl in der Literatur als auch in den Herniamed-Daten wird ein Verhältnis Männer zu Frauen von ca. 9:1 angegeben. Die Mehrheit der Leistenhernien bei Frauen treten in einem Alter ab 50 Jahren auf (Abb. 1, 2 und Tab. 1). Sowohl bei Primärhernien als auch bei ­Rezidivhernien treten 70 % der Leistenhernien erst bei Frauen über 50 Jahren auf.

 

OEBPS/images/03_02_A_12_Q4_2016_CME_Hernien_image_01.png

Abb. 1: Altersverteilung bei Leistenhernien von Frauen/Primärhernien

 

OEBPS/images/03_02_A_12_Q4_2016_CME_Hernien_image_02.png

Abb. 2: Altersverteilung bei Leistenhernien von Frauen/Rezidivhernien

Geschlechtsunterschiede bestehen auch beim Hernientyp. Bei Frauen sind die Mehrzahl (über 60 %) der Leistenhernien indirekte Hernien (Abb. 3). Femorale Hernien kommen bei Frauen in ca. 15 % der Fälle vor und sind somit deutlich häufiger zu finden als bei Männern (0,8 %). Der Anteil von kombinierten Hernien beträgt wie bei Männern ca. 15 % (Tab. 2). Die Daten aus der Shouldice Klinik (Abb. 4), aber auch anderer Studien sind bezüglich der Verteilung der Hernientypen vergleichbar.

Eine niederländische Arbeitsgruppe beschreibt, dass bei systematischer intraoperativer Diagnostik die Anteile an femoralen Hernien bei primären Hernien bei 23 % und bei Rezidivhernien sogar bei 35 % liegen [1].

Auch das Myopectineal orifice (= MPO), also das Ausmaß der drei potenziellen Hernienlücken (indirekte, direkte und femorale) zeigt ebenso Geschlechtsunterschiede. So konnte in einer Kadaverstudie gezeigt werden, dass das MPO bei Frauen rechteckig ist und im Durchschnitt ein Ausmaß von 8,1 x 5,3 cm beträgt (zum Vergleich bei Männern eher quadratisches Ausmaß mit 7,6 x 7,6 cm) [2].

Die meisten Operationen in Deutschland sind wie bei Männern Elektivoperationen. Der Anteil an Notfalloperationen bei Frauen beträgt bei primären Leistenhernien laut den HERNIAMED Daten 8,8 %. Der Anteil an Inkarzerationen mit Darmresektionen beträgt lediglich 1,7 % (Tab. 3).

Auch bei Rezidiv-Operationen wächst der Anteil an Notfalleingriffen nicht an. Im Gegenteil: der Anteil an Notfalleingriffen bei Rezidiv-Operationen beträgt nur 5,6 % und ist somit geringer als bei Primäroperationen. Lediglich bei 0,6 % besteht eine Inkarzeration die eine Darmresektion notwendig machte (Tab. 4).

Tabelle 1: Patientinnen mit Leistenhernien nach Altersgruppen bei Primär- und Rezidivhernien

Primärhernien

n=23.476

Rezidivhernien

n=2.153

Altersgruppe (Jahre)

Anzahl Patienten

Prozent

Anzahl Patienten

Prozent

0 bis 10

237

1,0

3

0,1

10 bis 20

319

1,4

25

1,2

20 bis 30

1.325

5,6

150

7,0

30 bis 40

2.158

9,2

201

9,3

40 bis 50

3.241

13,8

348

16,2

50 bis 60

3.655

15,5

358

16,6

60 bis 70

3.407

14,5

336

15,6

70 bis 80

5.327

22,7

484

22,5

80 bis 90

3.194

13,6

218

10,1

90 bis 100

613

2,6

30

1,4

Tabelle 2: Verteilung der Leistenhernien bei Frauen nach Hernientyp n = 22.604 Hernien (HERNIAMED Register)

Medial

Lateral

Femoral

Kombiniert

5.877

13.607

3.120

3.441

26,0 %

60,2 %

13,8 %

15,2 %

Tabelle 3: Notfalloperationen bei Frauen bei Primäroperationen

Elektive Operationen

Notfalloperationen

17.866

1.732

91,3 %

8,8 %

Elektive und Notfalloperationen bei primären Leistenhernien (N = 19.578)

Notfall ohne Inkarzeration

217

1,1 %

Notfall mit Inkarzeration, ohne Darmresektion

1.188

6,1 %

Notfall mit Inkarzeration, mit Darmresektion

327

1,7 %

Notfalloperationen ohne/mit Inkarzeration und Darmresektion (N = 1.732)

Tabelle 4: Notfalloperationen bei Frauen bei Rezidiv-Operationen

Elektive Operation

Notfall

1.787

106

94,4 %

5,6 %

Elektive und Notfalloperationen bei Rezidiv- Leistenhernien (N = 1.893)

Notfall ohne Inkarzeration

14

0,7 %

Notfall mit Inkarzeration, ohne Darmresektion

80

4,2 %

Notfall mit Inkarzeration, mit Darmresektion

12

0,6 %

Notfalloperationen ohne/mit Inkarzeration und Darmresektion (N = 106)

Wie häufig kommen Rezidiv-Leistenhernien bei Frauen vor?

Das dänische Hernienregister konnte als signifikante Risikofaktoren für das Auftreten einer Rezidiv-Leistenhernie neben den direkten Hernien (RR 1.91, 95 % CI 1.62-2.26, I2 = 10 %), den Rezidiveingriffen (RR 2.2, 95 % CI 2.0-2.42, I2 = 6 %) und dem Rauchen (OR 2.53, 95 % CI 1.43-4.47, I2 = 0 %) auch das weibliche Geschlecht (RR 1.38, 95 % CI 1.28-1.48, I2 = 0 %) identifizieren [4].

Der Einfluss der direkten Hernien sowie der Rezidiv-Operationen für das Auftreten einer Rezidiv-Leistenhernie bestätigt sich auch im deutschen Hernienregister HERNIAMED. Weder das Rauchen noch das weibliche Geschlecht scheinen in Deutschland die Rezidivraten signifikant zu beeinflussen.

Rezidiveingriffe bei Frauen scheinen in Deutschland deutlich seltener aufzutreten als bei Männern. Im Deutschen Hernienregister beträgt der Anteil an Rezidiveingriffen bei Frauen lediglich 8,3 % im Vergleich zu 12,2 % bei Männern (Tab. 5). Auch im schwedischen Hernienregister sind Reoperationen bei Frauen deutlich seltener als bei Männern zu finden (Abb. 5) [5].

Tabelle 5: Anteil von Rezidiv-Operationen bei Frauen n = 26.071 (HERNIAMED Daten)

Primäre Operationen

Rezidiv-Operationen

23.917

2.154

91,7 %

8,3 %

OEBPS/images/03_02_A_12_Q4_2016_CME_Hernien_image_03.png

Abb. 3: Verteilung der Leistenhernien bei Frauen nach Hernientypen HERNIAMED n = 22.604

 

Of 894 Operations on Females (2008–2012)

Femoral

151/894

16.9%

Indirect

578/894

64.7%

Direct

55/894

6.2%

Combined

110/894

12,4%

Abb. 4: Verteilung der Leistenhernien bei Frauen nach Hernientypen – Shouldice Hospital [3]

OEBPS/images/03_02_A_12_Q4_2016_CME_Hernien_image_05_neu_Kopie.png

Abb. 5: Anteil an Reoperationen bei Männern (Män) und Frauen (Kvinnor) (Daten schwedisches Hernienregister 2015) [5]

Welche Besonderheiten bestehen bei der Diagnose der Leistenhernie der Frau?

Die Diagnostik einer Leistenhernie der Frau sollte stets durch die Anamnese, die klinische Untersuchung und eine obligate Ultraschalluntersuchung erfolgen [6]. Typische belastungsabhängige Symptome, eine sicht- und/oder tastbare Vorwölbung und der sichere Ausschluss anderer Ursachen der Leistenschwellung oder Leistenschmerzen sind Voraussetzung für die korrekte Indikation zur Hernienoperation. Wie beim Mann sollte eine sichere Abgrenzung aller anderen Möglichkeiten für Leistenschmerzen zwingend dazu gehören. In einzelnen Fällen kann eine weitere bildgebende Diagnostik mit CT und MRT ggf. Valsalva MRT notwendig sein.

Ca. 15 % der Leistenhernien der Frauen sind femorale Hernien, daher ist insbesondere bei der klinischen Untersuchung besonders darauf zu achten. In vielen Fällen scheint die präoperative Diagnostik mit dem intraoperativen Befund nicht übereinzustimmen [1].

Da in manchen Fällen sogar eine Inkarzeration vorgetäuscht werden kann sind bei Frauen folgende weitere Differentialdiagnosen zu beachten:

  • Nucksche Zyste, die einer Hydrozele beim Mann entspricht [7],
  • Varicosis des Lig. Rotundum [8, 9, 10] vor allem während der Schwangerschaft aber auch bei koinzidenter Varicosis,
  • Varixknoten [11], bei entsprechenden Hinweisen sollte eine zusätzliche Farbdoppleruntersuchung [10] erfolgen,
  • ektope oder genitale Endometriose: Diese können sowohl zeitgleich mit einer Hernie oder auch an Stelle einer Hernie vorkommen. Nicht immer sind zyklusabhängige Symptome oder die Eigenanamnese bei Zustand nach Endometriose hinweisend [12][13],
  • Aneurysmen der Femoralarterien [7],
  • Lymphknoten [7],
  • Psoasabszesse [7],
  • De Garengeot Hernien (= Appendizitis im femoralen Bruchsack) sind insgesamt äußerst selten[7],
  • Bruchinhalt mit Ovarien, entsprechenden Tumoren oder Zysten kommen bei Frauen in seltenen Fällen vor [14].

Welche Therapieoptionen bestehen bei der Operativen Versorgung bei Leistenhernien von Frauen?

Tatsächliche operative Versorgung in Deutschland

Die meisten Operationen werden in Deutschland in Allgemeinnarkose durchgeführt. Sowohl Spinal- als auch Lokalanästhesie spielen hierzulande keine Rolle (Tab. 6).

Tabelle 6: Anästhesieverfahren bei Leistenhernienoperationen (N = 23.495)

Lokal

Spinal

Allgemein

306

644

22.545

Grundsätzlich können sowohl offene mit oder ohne Netz als auch endoskopische Verfahren angewandt werden. In Deutschland werden nahezu alle OP-Verfahren durchgeführt. Die Anteile sind mit denen bei männlichen Patienten vergleichbar.

Ambulante Leistenhernienoperationen

Die europäischen Leitlinien empfehlen grundsätzlich die ambulante Operation von allen ASA I- und ASA II-Patienten sowie auch Teilen von ASA III-Patienten egal in welcher Technik. Auch die in Rotterdam vorgestellten World Guidelines entsprechen in diesem Punkt vollständig den europäischen Leitlinien der European Hernia Society (EHS) [15][16]. In Deutschland werden diese Empfehlungen aufgrund der fehlenden gesundheitspolitischen Anreize bis heute nicht umgesetzt.

Der Anteil der ambulanten Operationen von Leistenhernien in Deutschland stagniert seit Jahren, liegt bei lediglich ca. 17 % (Abb. 6) und somit deutlich unter dem internationalen Durchschnitt (OECD Durchschnitt über 50 %).

03_02_a_12_q4_2016_cme_hernien_image_06

Abb. 6: Anteil ambulanter Leistenhernienoperationen bei Frauen in Deutschland

Tabelle 7: Operationsmethoden bei primären und Rezidiv-Leistenhernien bei Frauen laut HERNIAMED-Daten

Primär­operationen

n=23.495/OPs=26.064

Rezidiv-­Operationen

n=2154/OPs=2419

Anzahl

Prozent

Anzahl

Prozent

TAPP

10.046

38,5

1.034

42,7

Lichtenstein

5.458

20,9

514

21,2

TEP

5.244

20,1

429

17,7

Shouldice

1.841

7,1

108

4,5

Sonstige

1.229

4,7

112

4,6

GILBERT

739

2,8

67

2,8

Plug

733

2,8

69

2,9

TIPP

434

1,7

63

2,6

Bassini

187

0,7

15

0,6

Bruchsackverschluss

153

0,6

8

0.3

Therapieoptionen

Welche Parameter sollten zur Abwägung der Methodenwahl herangezogen werden?

Folgende Faktoren sollen dabei näher betrachtet werden:

  • Rezidivrate,
  • Rate an intra- und postoperativen Komplikationen,
  • Rate an chronischen Schmerzen.

Rezidivraten

Grundsätzlich scheint die Rezidivrate ein Jahr nach OP auch bei Frauen nicht wesentlich erhöht zu sein (Tab. 8). Überraschend ist bei den HERNIAMED-Daten, dass nur die Hälfte der im Rahmen der Ein-Jahres-Nachuntersuchung festgestellten Rezidive auch zu einer Operation führt. In den dänischen und schwedischen Hernienregistern erfolgen grundsätzlich keine Follow-Up-Untersuchungen, lediglich die Re-Operationsraten werden erfasst und in einigen Registerstudien den Rezidivraten scheinbar gleichgestellt. Bei der in Deutschland durch konsequente Follow-Ups erfassten hohen Zahl nicht reoperierter Rezidiv-Leistenhernien muss nunmehr der Schluss gezogen werden, dass die in Dänemark und Schweden durch Hernienregister erfassten Re-Operationsraten sich nicht für eine Beurteilung der Rezidivraten eignen.

Intra- und postoperative Komplikationen

Gibt es methodenspezifische Unterschiede bei den intra- und postoperativen Komplikationen? Hierbei haben wir die HERNIAMED Daten aller Methoden miteinander vergleichen. Es scheinen grundsätzlich keine nennenswerten Unterschiede zwischen Primär- und sekundären Eingriffen zu bestehen.

Die Metaanalyse von O´Reilly zeigte beim direkten Vergleich der drei häufigsten Verfahren zur operativen Versorgung von Leistenhernien, dass die TAPP das größte Risiko an Major-Komplikationen aufweist [17]. Die HERNIAMED-Daten bestätigen, dass besonders endoskopische Verfahren ein höheres Risiko an intraoperativen Major Komplikationen aufweisen (Tab. 10, 11). Insbesondere sind die intraoperativen Verletzungen von Gefäßen, Darm und Blase deutlich höher bei endoskopischen Eingriffen, insbesondere bei der TAPP. Die niedrigste Rate an intraoperativen Komplikationen weist demnach das Plug-Verfahren sowie das Shouldice-Verfahren auf. Bei den offenen Verfahren kommt es nach den vorliegenden HERNIAMED-Daten häufiger zu Nerv-Verletzungen, wobei die Frage unbeantwortet bleibt, ob diese tatsächlich Nervenläsionen betreffen oder ob es sich ggf. um Neurektomien at risk der inguinalen Nerven handelt.

Bei den postoperativen Komplikationen fällt auf, dass besonders das Lichtenstein-Verfahren signifikant mehr Komplikationen zeigt. Die meisten postoperativen Komplikationen fanden sich beim Lichtenstein- und beim Plug-Verfahren. Die niedrigsten postoperativen Komplikationsraten weist die TEP, das Gilbert- Verfahren und das Shouldice Verfahren auf.

Tabelle 8: Rezidivquote bei Leistenhernien der Frauen nach einem Jahr n = 12.750

Nein

Ja, ohne Operation

Ja, mit Operation

N

N

 %

N

 %

12.582

78

0,61

90

0,71

Tabelle 9: Anteil intraoperativer Komplikationen bei Primär- und Rezidiveingriffen bei Frauen

Primärhernien

n = 23.497/OPs = 26.073

Rezidivhernien

N = 2.154/Ops = 2.420

Anzahl

 %

Anzahl

 %

Keine intraoperativen Komplikationen

25.823

99,0

2.388

98,7

Blutungen

59

0,2

10

0,4

Verletzungen innerer Organe/Gefäße

147

0,6

14

0,6

Blutungen und Verletzungen innerer Organe/Gefäße

44

0,2

8

0,3

Tabelle 10: Intraoperative Major-Komplikationen bei Primäroperationen nach OP-Techniken

Referenz

Major

Blutungen

Verletzungen innerer

Organe/Gefäße

Anzahl

Anzahl

 %

Anzahl

 %

Anzahl

 %

TAPP

10.046

132

1,3

57

0,6

75

0,7

Lichtenstein

5.458

51

0,9

13

0,2

38

0,7

TEP

5.244

66

1,3

21

0,4

45

0,9

Shouldice

1.841

10

0,5

0

0

10

0,5

GILBERT

739

7

0,9

5

0,7

2

0,3

Plug

733

0

0

0

0

0

0

Tabelle 11: Intraoperative Major Komplikationen bei Primäroperationen nach OP-Techniken und Organbeteiligung

Referenz

Gefäß

Darm

Blase

Nerv

Sonstige

N

N

 %

N

 %

N

 %

N

 %

N

 %

TAPP

10.046

31

0,31

14

0,14

23

0,23

1

0

14

0,14

Lichtenstein

5.458

5

0,09

1

0,01

2

0,04

22

0,40

10

0,18

TEP

5.244

8

0,15

1

0,01

9

0,17

2

0,04

27

0,51

Shouldice

1.841

1

0,05

1

0,05

2

0,11

6

0,33

1

0,05

GILBERT

739

1

0,13

0

0

0

0

0

0

1

0,13

Plug

733

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

Chronische Schmerzen

Die O´Reilly Metaanalyse zeigte, dass die Lichtenstein-Technik die höchste Rate an chronischen Schmerzen aufweist [17].

Besondere Berücksichtigung sollte dabei auch finden, dass Frauen, kleine Hernien, junge Patienten und Netzverfahren in einer HERNIAMED Analyse als unabhängige Risikofaktoren für die Entwicklung eines chronisch inguinalen Schmerzsyndroms ermittelt werden konnten [3] (Abb. 7).

Chronische Schmerzen

Unabhängige Risikofaktoren

Alter (jünger)

p<0.001

Frauen

p<0.001

Herniengröße (kleiner)

p<0.001

– Rezidivhernie

p<0.001

Netzverfahren

p<0.001

– stationär (vs. ambulant)

p<0.001

Abb. 7: Multivariable Analyse der HERNIAMED Daten 2016 Vergleich TAPP vs. TEP vs. Lichtenstein vs. Shouldice bei Männern [3]

In einer dänischen Studie wurden die postoperativen Schmerzen nach TAPP zwischen Männern und Frauen verglichen. Es zeigte sich, dass diese bei Frauen sowohl direkt postoperativ als auch kumulativ bis zum Tag drei signifikant mehr Schmerzen in Ruhe (p = 0.015) als auch unter Belastung h (p = 0.012) hatten. Darüber hinaus klagten sie über mehr Dyskomfort (p = 0.001) und Ermüdung (p = 0.020) [18].

Leitlinien zur operativen Versorgung

Auf der Jahrestagung der European Hernia Society im Juni 2016 in Rotterdam wurden die „World Guidelines for Groin Hernia Management“ vorgestellt und Schlüsselfragen dem Auditorium in einer Art Konsensus Abstimmung mittels TED Verfahren zur Abstimmung vorgestellt:

Eine dieser Schlüsselfragen ist, ob bei vorhandener Expertise jede primäre Leistenhernie der Frau einer laparoskopischen Reparation unterzogen werden soll (Abb. 8). Diese Empfehlung wird von der World Guidelines Gruppe auf das Evidenzlevel „strong“ aufgewertet.

OEBPS/images/03_02_A_12_Q4_2016_CME_Hernien_image_08.jpg

Abb. 8: World Guidelines vorgestellt während des EHS Kongress in Rotterdam 2016 [19]

Tatsache ist, dass es hier weder randomisierte Untersuchungen, geschweige denn Metaanalysen gibt [19]. In den 2009 publizierten European Guidelines liegt der Level of Evidence bei „2C“ (outcome studies) und es wird angemerkt, dass es aus der Studienlage unklar ist, ob es sich um wirkliche femorale Rezidive oder ob es sich um beim Primäreingriff übersehene Femoralhernien handelt [15].

Eine in diesem Zusammenhang häufig zitierte Arbeit stammt aus dem dänischen Hernienregister [20] publiziert im Jahre 2002. Die Analyse von 34.849 Leistenbruchoperationen zeigte, dass nach vorausgegangener Leistenbruchoperation ein 15-fach erhöhtes Risiko für ein femorales Rezidiv besteht. Aber bereits in dieser Arbeit wird die Frage gestellt, ob es sich um möglicherweise übersehene Femoralhernien beim Primäreingriff handelt. Ebenfalls aus Dänemark stammt eine Untersuchung zur Prävalenz der Femoral- und Inguinalhernien [21] (Abb. 9). Ein rein endoskopisches Vorgehen bei allen erwachsenen Frauen ist damit nicht zu rechtfertigen.

 

OEBPS/images/03_02_A_12_Q4_2016_CME_Hernien_image_09NEW2.jpg

Abb. 9: Prävalenz von Femoralhernien in Dänemark [21]

Tabelle 12: Anteil an postoperativen Komplikationen bei Primäroperationen nach OP-Techniken

Keine postoperativen Komplikationen

Postoperative Komplikationen

 % Komplikationen

TAPP

9.793

271

2,8

Lichtenstein

5.214

262

5,0

TEP

5.159

100

1,9

Shouldice

1.799

44

2,4

GILBERT

727

16

2,2

Plug

708

30

4,2

Tabelle 13: Anteil an postoperativen Komplikationen bei Primäroperationen nach OP-Techniken und Art der Komplikation

Komplikation/
OP-Methode

Nach-blutung

Darmverletzung
Nahtinsuffizienz

Wundheilungs-
störung

Serom

Infektion

Ileus

TAPP

72

7

9

165

11

16

Lichtenstein

116

5

31

98

28

9

TEP

54

6

12

29

6

0

Shouldice

14

0

8

16

10

2

GILBERT

8

0

0

7

1

0

Plug

10

1

3

17

2

0

In der Gruppe der Frauen zwischen 30 und 60 Jahren beträgt diese in der Normalbevölkerung 0,04 %. Mit dem 15-fachen Risiko multipliziert ergibt sich ein Risiko von 0,6 % – damit niedriger als das Risiko eines inguinalen Rezidivs. Auch Bay-Nielsen wies bereits auf die Wichtigkeit der intraoperativen Exploration auf eine Femoralhernie hin [22]. Grundsätzlich muss also unterschieden werden, ob es sich um eine primäre Leistenhernie oder Femoralhernie handelt.

Zweifelsohne nachgewiesen ist, dass Femoralhernien, wenn sie mit einem anterioren Netz in Lichtenstein Technik oder mit Naht versorgt werden, ein höheres Rezidiv- oder Reoperationsrisiko haben als posteriore Netztechniken. Leider wird – wie in der Arbeit von Andresen [23] – der anterior Approach mit anteriorer Netzlage gleichgesetzt und daraus resultierend das laparoskopische Vorgehen empfohlen. Aus der gleichen Arbeitsgruppe kommt auch eine Arbeit, die bei Frauen einen anterioren Zugang und mediale Hernien als unabhängige Risikofaktoren für eine Rezidiv-Operation herausgearbeitet hat [4]. In der Shouldice Klinik werden femorale Hernien mit einem hohen Anteil (50 %) Netzreparationen versorgt, allerding nicht in Lichtenstein-Technik sondern präperitoneal (Abb. 5) bei einer Rezidivrate von 2,7 %.

Insgesamt muss zusammengefasst werden, dass alle Operationsverfahren zur Versorgung der Leistenhernien bei Frauen sowohl Vor- als auch Nachteile aufweisen. Keine Operationstechnik ist für alle Situationen den anderen Techniken überlegen.

Ein differenziertes Herangehen je nach Hernientyp- und Herniengröße, je nach Patientenalter und Begleitumständen erscheint sinnvoll. Eine 100 prozentige laparoskopische Netzreparation zur Versorgung von Leistenhernien bei Frauen, wie durch die „World Guideline Group“ gefordert, ist sicher infrage zu stellen. Bis auf Expertenmeinungen und Registerstudien mit den oben genannten Limitierungen gibt es hierfür bis heute keinerlei Evidenz.

Was kann man aus den HERNIAMED-Daten und der aktuellen Literatur für die operative Versorgung von Leistenhernien bei Frauen für die tägliche Praxis ableiten?

1.Die Exploration des Femoralkanals sollte obligater Bestandteil der Leistenhernienoperation der Frau sein.

2.Frauen haben einen höheren Anteil femoraler Hernien als Männer, allerdings bestehen auch in zwei Drittel der Fälle indirekte Hernien.

3.Im Falle einer Femoralhernie besteht die Indikation zur präperitonealen Netzreparation laparoskopisch oder offen.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Ableitung von Leitlinien zur Behandlung von Leistenhernien bei Frauen vor dem Hintergrund derzeit noch fehlender randomisierter Studien und Metaanalysen noch recht fraglich erscheint.

Ein maßgeschneidertes Vorgehen ist einer „one fits all– Mentalität vermutlich vorzuziehen.

Im Sinne eines „Tailored approach könnte intraoperativ beispielhaft folgendermaßen entschieden werden:

  • Laterale Hernie, keine Femoralhernie – Shouldice Repair
  • Femorale Hernie mit oder ohne Leistenhernie – offene oder endoskopische präperitoneale Netzreparation je nach Expertise des Operateurs
  • Mediale Typ I Hernie ohne weitere Risikofaktoren – Shouldice Repair
  • Mediale Hernien Typ II oder III – offenes oder endoskopisches präperitoneales Netzrepair je nach Expertise des Operateurs

Weitere geschlechtsspezifische randomisierte und multivariable Register-Studien mit einer Differenzierung nach Hernientyp, Herniengröße und Alter scheinen notwendig.  

Literaturliste auf Anfrage via
[email protected].

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Lorenz R. / Koch A. / Köckerling, F. CME-Artikel: Leistenhernien bei Frauen – „One fits all“ oder doch maßgeschneiderte OP? Passion Chirurgie. 2016 Dezember; 6(12/Q4): Artikel 03_02

Leserbrief und Antwort zu Ausgabe 12/2016 „CME-Artikel: Leistenhernien bei Frauen“

Akademie aktuell: Die Hernienschule

Weltweit erkranken fast 25 Prozent der Männer im Laufe ihres Lebens an einer Hernie. Auch in Deutschland zählen Hernienoperationen mit ca. 300.000 Eingriffen pro Jahr zu den am häufigsten durchgeführten allgemeinchirurgischen Eingriffen. Eine Operation, die für alle Chirurgen der Grund- und Regelversorgung zum chirurgischen Alltag gehört. Deshalb hat die Deutsche Herniengesellschaft (DHG) zusammen mit der BDC|Akademie die Hernienschule entworfen.

Die dreiteilige curriculare Fortbildung zur Chirurgie der Hernien umfasst Seminare zu den theoretischen Grundlagen, anatomische Demonstrationen, E-Learning und Hospitationen in Kleingruppen. Zum Abschluss erfolgt die Zertifizierung von der DHG und dem BDC. Der Besuch der Hernientage (www.hernientage.de) und der Besuch der drei curricularen Veranstaltungen sind Voraussetzung für die Abschlussprüfung.

Hernie kompakt ist das Basismodul der dreiteiligen aufeinander aufbauenden Hernienschule. Es wird geleitet von national und international renommierten Hernienexperten. Der Kurs richtet sich vor allem an Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung zum Allgemein- und Viszeralchirurgen, aber auch an alle Kolleginnen und Kollegen, die sich im Rahmen der Hernienchirurgie auf den neuesten Stand bringen möchten.

Hernie konkret umfasst zahlreiche Hospitationsveranstaltung, die momentan geplant werden und ab September 2016 stattfinden. Die Hospitationen zu operativen Standardverfahren in der Hernienchirurgie finden in Kleingruppen mit sechs Teilnehmern statt.

Bei den Hospitationen gibt es insgesamt vier konkrete Inhalte, die belegt werden können:

Leistenhernien endoskopisch

Leistenhernien offen

Ventralhernien endoskopisch

Ventralhernien offen

Von den vier Möglichkeiten sind vier Hospitationen an unterschiedlichen Orten auszuwählen und nachzuweisen. Der eigene Standort ist allerdings nicht zulässig, um den Blick über den Tellerrand für alle Teilnehmer zu garantieren.

Hernie Komplex stellt, im Gegensatz zum Basismodul und den Hospitationen bei Standardverfahren, operative Verfahren der komplexen Hernienversorgung in den Fokus. Die Hospitationen dieses Moduls (jeweils zwei Teilnehmer) finden in Hospitationszentren statt, die von der DHG ausegwählt wurden. Als Blended Learning-Modul umfasst es neben der Hospitation zusätzlich einen E-Learning-Kurs.

Die aktuellen Termine in der zweiten Jahreshälfte finden Sie auf BDC|Online unter der Rubrik BDC|Akademie.

Lorenz R. / Schröder W. Akademie aktuell: Die Hernienschule. 2016 April; 6(04): Artikel 03_01.

 

Herausforderungen und ein geschenktes Leben

Bericht eines humanitären Einsatzes in Ruanda

Ruanda – bei diesem Land tauchen bei den meisten zunächst Bilder vom grausamen Genozid vor 20 Jahren auf, dem schätzungsweise bis zu einer Million Menschen zum Opfer gefallen sind. In diesem Frühjahr konnte der Interessierte zahllose Dokumentationen dazu in den Medien verfolgen. Herausragend und weltweit einzigartig ist sicher die Aufarbeitung nach diesem Genozid mit der Wiederbelebung der über Jahrhunderte bestehenden Dorfgerichtsbarkeit, der Gacaca-Gerichte und der Versöhnungspolitik.

Diesem Trauma zum Trotz hat sich das Land in den letzten Jahren in vielerlei Hinsicht rasant verändert. Als eines der Länder mit dem niedrigsten Korruptionsindex in Afrika vermeldet Ruanda ein enormes Wirtschaftswachstum, es besteht eine Schulpflicht für alle Kinder bis zur sechsten Klasse und der Schulbesuch ist zudem kostenfrei. Außerdem ist innerhalb von wenigen Jahren ein geradezu revolutionäres Gesundheitssystem eingeführt worden. Jeder Bürger zahlt den äußerst geringen Beitrag von ca. 1,50 €/Jahr zur staatlichen Krankenversicherung und jeder! erhält dafür eine medizinische Grundversorgung. Damit sind weit über 90 % der Bevölkerung in Ruanda krankenversichert. Ein weitgehend staatlich strukturiertes Gesundheitssystem sieht folgende Rahmenbedingungen vor, die aufeinander aufbauen [1]:

      • Zahlreiche lokale Health Worker in fast jedem Dorf
      • 451 Health Centers mit Gemeindeschwestern in jeder kleinen Region
      • 41 District Hospitals mit jeweils mehreren ärztlichen Kollegen in den Landesdistrikten
      • fünf National Referral Hospitals als Maximalversorger in den größten Städten

Kaum vorstellbar hingegen ist die Tatsache, dass es im ganzen Lande weniger als zehn intensivmedizinische Beatmungsbetten gibt! Größtes Problem des Gesundheitswesens in Ruanda ist jedoch der Ärztemangel im Lande. Für die über 12 Millionen Einwohner des dicht bevölkerten Landes gibt es derzeit nur ca. 250 Ärzte [2, 3].

Tab. 1: Auszug aus World Health Statistics 2012 – Ausgewählte Länder (3)

Land

Bevölkerung in Mio. Einwohner

Ärzte Anzahl absolut

Ärzte/10.000 Einwohner

Kranken-schwestern Anzahl absolut

Kranken-schwestern/ 10.000 Einwohner

Deutschland

82,3

297.835

36,0

918.000

111,0

Ruanda

10,6

221

0,2

4050

4,5

Bereits im Jahre 2011 haben die Anästhesistin Frau Dr. Petra Wölkerling und der Autor einen steuerbegünstigten Verein CHIRURGEN für Afrika gegründet und führen seitdem regelmäßig humanitäre Einsätze in Afrika durch.

Nach unserem ersten erfolgreichen humanitären Einsatz mit zwei OP-Teams im Februar 2013 in Nyamata und Remera Rukoma kehrten wir ein Jahr später mit insgesamt vier OP-Teams zurück nach Ruanda; erstmals waren dabei ein plastischer Chirurg und ein Medizintechniker im Team. Das insgesamt 18-köpfige deutsch/britische Team war somit im Februar 2014 in vier regionalen Krankenhäusern Ruandas (Nyamata Hospital, Remera Rukoma Hospital, Kirinda Hospital und Gahini Hospital) im Einsatz.

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Mit dabei waren 26 Kisten Übergepäck (mehr als 0,7 Tonnen) mit dem vor Ort nötigen Equipment und den chirurgischen Verbrauchsmaterialien. Der Einsatz vor Ort wurde bereits im Vorfeld von der Hilfsorganisation Legacy of Hope und Operationhernia koordiniert und unterstützt.

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Bereits der Transport in die zum Teil weit entfernten Hospitäler von der Hauptstadt Kigali aus war eine erste Herausforderung. Eine defekte Federung, fehlendes Kühlwasser und ein Straßenzustand, bei dem unser Gepäck von der Ladefläche zu rutschen drohte, seien hier nur beispielhaft genannt. Wir ahnten erst auf der Rückfahrt bei Tageslicht dass die nicht asphaltierten Straßen nach stärkeren Regenfällen komplett unpassierbar sein dürften.

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Am Abend des ersten Einsatztages wurde uns im Kirinda Hospital ein kurz zuvor aufgenommener 18-jähriger junger Mann mit einem akuten Abdomen konsiliarisch vorgestellt. Sofort wurde hier klar dass Eile geboten war. Intraoperativ bestätigte sich eine perforierte Appendizitis. Es gelang trotz der Einfachheit der OP-Bedingungen die Operation erfolgreich zu beenden. Bangten wir anfangs noch mit der Mutter um sein Leben jedoch erholte sich der junge Mann im weiteren Verlauf auch unter der mitgebrachten hochdosierter Anibiotikatherapie schnell.

Der schönste und emotional berührendste Erfolg war sicher, dass der junge Mann mit der perforierten Appendizitis an unserem Abreisetag aus dem Kirinda Hospital nach Hause entlassen werden konnte – ein geschenktes Leben.

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Die OP-Statistik unseres Einsatzes ergab 125 Operationen an 116 Patienten in fünf Tagen: Operiert wurden vor allem Leisten- und Ventralhernien und Hydrozelen. Darüber hinaus fanden auch zahlreiche plastisch-chirurgische Eingriffe statt. Alle derzeit möglichen offenen Operationsverfahren mit und ohne Netz kamen bei den Hernieneingriffen zum Einsatz. Die meisten Eingriffe erfolgten in Allgemeinnarkose mit Larynxmaske. Fast alle Patienten wurden aufgrund der zum Teil weiten Anfahrtswege zu den Hospitälern für ein bis zwei Tage stationär im Hospital nachbehandelt. Alle Operationen verliefen glücklicherweise komplikationslos, wenngleich so manche Operation insbesondere auch anästhesiologisch aufgrund der einfachen und zum Teil unzureichenden technischen Ausstattung im Hospital eine nicht unbeträchtliche weitere Herausforderung darstellte.

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Die Nachhaltigkeit der Mission bestand nicht nur darin, möglichst viele Patienten zu operieren und Medizingeräte, Verbrauchsmaterialien und chirurgische Instrumente vor Ort zu lassen, sondern vor allem auch in der Ausbildung der Kollegen vor Ort. Die regional tätigen Ärzte konnten durch uns schrittweise an moderne Operationstechniken herangeführt werden. Auch unser Pflegepersonal konnte viele Tipps und Tricks weitergeben. Das Gesundheitsministerium Ruandas akkreditierte uns während des Einsatzes 2014 als Ausbilder.

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Nach dieser überaus arbeitsintensiven Woche konnte das gesamte Team im Rahmen einer kurzen Rundreise noch die atemberaubende Schönheit Ruandas am Kivusee und im Nyungwe-Nationalpark kennenlernen.

Ohne die großzügige auch finanzielle Unterstützung von zahlreichen privaten aber auch Firmenspenden, der Fluggesellschaft Brussel Airlines, der Ruandischen Botschaft, des Gesundheitsministeriums in Ruanda sowie dem herausragenden und selbstlosen Engagement der Teammitglieder, die auch Ihren persönlichen Urlaub dafür verwendeten wäre dieser Einsatz undenkbar gewesen. Der großartige Erfolg dieser humanitären Arbeit wurde auch durch die hervorzuhebende Teamfähigkeit jedes Einzelnen ermöglicht. Es war ein überaus angenehmes Miteinander in diesen gemischten OP-Teams aus Ruandischen und Deutschen Kollegen.

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Alle Teammitglieder hatten unzählige positive Eindrücke bei dieser humanitären Arbeit, zu den schönsten zählt sicher die enorme Dankbarkeit und Wertschätzung seitens der Patienten, Ärzte, Schwestern und Krankenhausmitarbeiter. Innerhalb einer Woche ist so eine sehr persönliche und kollegiale Partnerschaft entstanden. Wir sind zutiefst dankbar und freuen uns auf ein Wiedersehen in Ruanda!

Literatur

[1] Rwanda Annual Health Statistics Booklet 2012 http://www.moh.gov.rw/fileadmin/templates/MOH-Reports/MOH_Booklet_2012_final_September_2013.pdf

[2] Policies and practices of countries that are experiencing a crisis in human resources for health: tracking survey Human Resources for Health Observer – Issue No. 6, December 2010, WHO, http://www.who.int/hrh/resources/observer6/en/index.html

[3] World Health Statistics 2012 http://www.who.int/healthinfo

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CHIRURGEN für Afrika

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Operationhernia

Lorenz R. Herausforderungen und ein geschenktes Leben. Passion Chirurgie. 2015 Februar, 5(02): Artikel 02_06.

Editorial: Maßgeschneiderte Hernienchirurgie

Die Hernienchirurgie ist heute durch eine noch nie da gewesene Vielfalt an OP-Verfahren und verfügbaren Materialien bestimmt. Wie soll da ein breit ausgerichteter Chirurg den Überblick über alle möglichen OP-Techniken und Materialien behalten?

Alle Chirurgen scheinen sich inzwischen einig zu sein, dass es kein Idealverfahren für alle Hernien gibt. Gegenwärtig geht man vielmehr davon aus, dass ein maßgeschneidertes Vorgehen in der Hernienchirurgie sinnvoll ist. Doch gibt es hierzu weder konkrete Studienergebnisse oder gar nationale bzw. internationale Leitlinien. Jede/r scheint sein maßgeschneidertes Vorgehen durch eigene Erfahrungswerte selbst zu bestimmen.

Der Erfolg einer Maßschneiderei ergibt sich aus einer Vielzahl einzelner Komponenten. Das Ergebnis ist dabei jedoch nicht nur von der richtigen Auswahl aller Materialien und Techniken abhängig, sondern ganz entscheidend auch vom Schneider selbst.

Übertragen auf die Hernienchirurgie ist der Erfolg nicht nur von der OP-Technik und dem verwendeten Netzmaterial bzw. dessen Fixierung abhängig, sondern auch von der richtigen Patientenselektion und von den Fähigkeiten des Chirurgen.

Für eine Standardisierung des tailored approach fehlen bisher in der evidenzbasierten Medizin randomisierte Studien, die eine Differenzierung der einzelnen Hernienpatienten vornehmen. Auch bleibt der Einfluss der Risikoprofile für das Vorliegen einer sogenannten Herniose scheinbar weitgehend unberücksichtigt. Einen Ausweg aus dieser Misere könnten die großen Datensammlungen der Hernienregister bieten, um Antworten auf bisher ungelöste Fragen zu geben.

Einen besonderen Einfluss auf die Ergebnisqualität in der Hernienchirurgie hat jedoch ebenso eine gute Ausbildung des Chirurgen – diese ist ebenso wichtig wie die richtige Diagnostik und Indikationsstellung für einen Hernieneingriff.

Mit dieser Ausgabe wollen wir Ihnen einen Überblick über alle Möglichkeiten der modernen Hernien-Maßschneiderei geben. Eine Hilfestellung zur besseren Orientierung in einem besonders innovativen chirurgischen Segment zu geben – das ist das Ziel.

Mit kollegialen Grüßen

Ihr Ralph Lorenz

 

Lorenz R. Editorial Maßgeschneiderte Hernienchirurgie! Aber wie? Passion Chirurgie. 2014 April; 4(04): Artikel 01.

Arbeitsplatz Entwicklungsland: Albert Schweitzers next generation

Vor genau 100 Jahren gründete Albert Schweitzer sein Urwaldhospital in Lambarene in Gabun – ein wunderbarer aktueller Anlass über einen Arbeitsplatz in Entwicklungsländern nachzudenken.

Viel mehr chirurgische Kollegen als Sie glauben leisten bereits heute einen persönlichen aktiven Beitrag, um das globale Ungleichgewicht wenigstens minimal auszugleichen. Jede Einzelaktion ist einerseits zwar nur ein Tropfen auf den heißen Stein, aus dem mit Ihrer persönlichen Hilfe jedoch ein Strom entstehen kann.

Insbesondere auch nach Beendigung der aktiven Chirurgenlaufbahn ist ein Einsatz im Ausland eine hervorragende Möglichkeit, die lebenslang gesammelten beruflichen Erfahrungen auch an jüngere Kollegen weiterzugeben. Während Sie diesen Artikel lesen, bereitet sich beispielsweise ein im Ruhestand befindlicher niedergelassener Chirurg aus Berlin auf seinen dreimonatigen Einsatz in Malawi vor. Er wird dort das Team eines Versorgungskrankenhauses unterstützen und zusätzlich jüngere Kollegen ausbilden.

OEBPS/images/02_05_A_02_2013_Entwicklung_image_01.jpgAbb. 1: Operationsteam und Patienten vor Ort

In diesem Artikel will ich Ihnen nicht nur einen Überblick über die Möglichkeiten der humanitären Hilfe geben, sondern auch über die Bedingungen, Fallstricke und das Arbeitsumfeld für Chirurgen in Entwicklungsländern berichten. Lesen Sie im Folgenden die häufigsten Fragen zum Thema „Arbeitsplatz Entwicklungsland“.

Welche Anforderungen sollte ein Chirurg für diesen Arbeitsplatz in Entwicklungsländern erfüllen?

Sicher sollte ein Chirurg Entdeckerfreude, Zielstrebigkeit, Improvisationstalent, Anpassungsfähigkeit und eine gewisse Furchtlosigkeit für einen Arbeitsplatz in Entwicklungsländern mitbringen. Bereits Albert Schweitzer musste für seine Vision der Gründung eines Missionskrankenhauses in Gabun Beharrlichkeit beweisen. So soll er erst nach längerer Zeit aufgrund einer Sondergenehmigung zum Medizinstudium zugelassen worden sein, da er zu diesem Zeitpunkt bereits als Dozent für Theologie an der Universität Strassburg tätig war. Eine breite Kenntnis auf dem Gebiet der Allgemein- und Unfallchirurgie ist generell von Vorteil. Da der häufigste operative Eingriff z. B. in Afrika der Kaiserschnitt ist, ist es sicher sinnvoll, sich ein paar gynäkologische Grundkenntnisse auch über geburtshilfliche Notfälle anzueignen. Durchaus kontrovers kann man die von einigen Hilfsorganisationen empfohlene Zusatzausbildung Public Health beurteilen. Für die eigentliche medizinische Arbeit vor Ort ist sie meines Erachtens nicht nötig.

Notwendig sind in jedem Falle englische und/oder französische Sprachkenntnisse. Auch sind vorherige Urlaubsreisen in Entwicklungsländer von Vorteil, um Infrastruktur, Menschen und Kultur besser zu begreifen.

Zahlreiche nationale und internationale Hilfsorganisationen existieren heutzutage. Es gibt NGO (non-governmental organisations), die vorwiegend in Krisengebieten agieren (z. B. Ärzte ohne Grenzen). Hier ist vorwiegend der breit ausgebildete Allround-Chirurg gefragt.

Es gibt aber auch die Möglichkeit, sich einer fachspezialisierten internationalen Hilfsorganisation wie zum Beispiel Operationhernia (siehe Link am Ende des Artikels) anzuschließen. Hier wird der erfahrene Hernienchirurg solche Patienten operieren, mit denen er auch im eigenen Lande die größte Erfahrung hat. Prof. Andrew Kingsnorth und Chris Oppong aus Plymouth in England begründeten diese Organisation in Jahre 2006. Begann man damals nur mit humanitären Einsätzen in Ghana sind zwischenzeitlich zahlreiche internationale Teams auch für kürzere ein- bis zweiwöchige Missionen in vielen Entwicklungsländern vor allem Afrikas, aber auch in Asien und Südamerika engagiert.

Darüber hinaus gibt es zahlreiche kirchliche Organisationen (z. B.: Brot für die Welt, Evangelischer Entwicklungsdienst (EED), Bischöfliches Hilfswerk Misereor) und zahlreiche Stiftungen (z. B. Alexander von Humboldt- Stiftung, Heinrich Böll-Stiftung, Friedrich Ebert-Stiftung, Konrad Adenauer-Stiftung), die entsprechende Kontakte vermitteln.

Warum sollte ich gerade in ein Entwicklungsland gehen?

Der Mangel an Ärzten in Entwicklungsländern ist bereits jetzt enorm. Die UNESCO beziffert heute 57 Länder mit kritischer Unterversorgung im Gesundheitswesen. Von diesen befinden sich 37 in Afrika [1].

OEBPS/images/02_05_A_02_2013_Entwicklung_image_02.jpgAbb. 2: Europäisches und afrikanisches OP-Personal bei der Arbeit

Die Gesundheitsversorgung wird sich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten jedoch keinesfalls verbessern. Diese wird sich durch das sogenannte brain drain (Abwanderung von Akademikern aus den Entwicklungsländern in hochentwickelte Industrieländer) und die weitere Bevölkerungsexplosion in den Entwicklungsländern sogar noch weiter dramatisch verschlechtern.

Wie ist die ärztliche Versorgung in den Krankenhäusern der Entwicklungsländer?

Es gibt erhebliche Unterschiede in den einzelnen Entwicklungsländern und zusätzlich regional. Auch wenn die Spanne weit reicht, ist sie generell mit einer europäischen medizinischen Versorgung (siehe Tab. 1) nicht zu vergleichen.

Tab. 1: Auszug aus World Health Statistics 2012 – Ausgewählte Länder [2]

Land Bevölkerung in Mio. Einwohner Ärzte Anzahl absolut Ärzte/10.000 Einwohner Kranken-schwestern Anzahl absolut Kranken-schwestern/ 10.000 Einwohner
Deutschland 82,3 297.835 36,0 918.000 111,0
Nigeria 158,4 55.376 4,0 224.943 16,1
Ghana 24,4 2033 0,9 24.974 10,4
Malawi 14,9 257 0,2 3896 2,8
Ruanda 10,6 221 0,2 4050 4,5
Liberia 4,0 51 0,1 978 2,7

In den meisten Krankenhäusern z. B. in Westafrika gibt es lediglich einen einzigen praktischen Arzt, der das gesamte Krankenhaus betreut und leitet. Dieser ist dann gleichermaßen für die Behandlung aller häufigen Infektionskrankheiten wie Malaria und Tuberkulose, für die Versorgung von Notfällen und Unfällen, für die Durchführung von Operationen z. B. Appendektomien und Herniotomien, aber auch für Entbindungen und Kaiserschnitte zuständig. Krankenschwestern übernehmen hier recht häufig auch ärztliche Tätigkeiten, die in unserem Gesundheitssystem völlig undenkbar wären. Urlaubs- oder Vertretungsregelungen entfallen. So kann es schon mal vorkommen (wie selbst in Ghana erlebt), dass eine frisch examinierte Anästhesieschwester ohne jegliche Berufserfahrung für die Durchführung einer Narkose alleinig zuständig ist. Entgegen so mancher Vorurteile habe ich sehr oft ein hochmotiviertes und engagiertes medizinisches Personal erleben dürfen.

Welche Patienten erwarten mich in Entwicklungsländern?

Sie sollten Patienten mit oftmals sehr ausgeprägten Krankheitsbildern erwarten, welche meist über Jahre bisher medizinisch unversorgt blieben. Die Leidensfähigkeit und Geduld der Patienten beeindruckt fast ebenso wie die unglaubliche und emotional berührende Dankbarkeit nach erfolgter Therapie. Es gibt darüber hinaus zahlreiche Erkrankungen, die unseren Breiten völlig unbekannt sind. Andere bei uns häufige Erkrankungen spielen im Gegenzug in Entwicklungsländern kaum eine oder gar keine Rolle. Auf die Infektionswege und Ansteckungsmöglichkeiten sollte man stets achten. In vielen allerdings nicht in allen Hospitälern wird vor einer geplanten Operation ein Hepatitis- und/oder HIV-Test des zu operierenden Patienten obligat durchgeführt. Die Verwendung von doppelten Handschuhen und eines Augenschutzes helfen zusätzlich für die eigene Sicherheit während der Operationen.

Die Patientenakquise für einen kurzzeitigen humanitären Einsatz sollte vorab rechtzeitig in Zusammenarbeit mit der entsprechenden Hilfsorganisation geplant werden. Meist werden die potentiellen Patienten über die regionalen Medien, wie Rundfunk und Zeitungen, informiert.

Welche Arbeitsbedingungen erwarten mich in den Krankenhäusern?

Die technische und apparative Ausstattung der Krankenhäuser ist von Land zu Land verschieden und auch regional sehr unterschiedlich, meist jedoch auf niedrigem Niveau. Die extremsten Unterschiede erlebte ich persönlich im Jahre 2010 auf Mauritius, wo sehr einfach ausgestattete staatliche Kliniken direkt neben, von zumeist indischen Investoren, bestausgestatteten Privatkliniken existierten.

OEBPS/images/02_05_A_02_2013_Entwicklung_image_03.jpgAbb. 3: Ein Op-Team bei der Arbeit vor Ort

Meist sind die Kliniken in der Dritten Welt auf ausrangierte Geräte und Spenden aus den Industrieländern angewiesen. Stromausfälle und fehlende Notstromversorgung erschweren die Arbeitsbedingungen zum Teil erheblich. Es macht dennoch insgesamt durchaus viel Spaß, Medizin unter einfachen Bedingungen zu machen. Die Vorstellungen von Arbeitszeiten, Termineinhaltungen und Zuverlässigkeit sind kulturell unterschiedlich. Hier sollten Sensibilität und Kompromissbereitschaft aber auch Disziplin sich ergänzen und zielführend wirken.

Was wird in den Krankenhäusern der Entwicklungsländer benötigt?

Wir versuchen bei jedem geplanten humanitären Einsatz viele Dinge möglichst zum dortigen Verbleib mitzunehmen. Dazu ist es immer notwendig, in dem jeweiligen Krankenhaus anzufragen, was ggf. vorhanden und was benötigt wird. Für chirurgische Einsätze zählen hierzu Monitore, Elektrokautergeräte, einfache Autoklaven, chirurgische Instrumente, resterilisierbare OP- Abdeckungen und -kittel und natürlich sämtliche Verbrauchsmaterialien. So manches bestens funktionierendes allerdings in der deutschen Klinik durch ein neueres und besseres High-Tech-Gerät ersetztes findet so ein neues Zuhause. Hier kann der Kontakt zu den Medizinprodukteherstellern oft überraschende Spenden generieren. Damit jedoch das gespendete Gerät nicht wie so oft in irgendwelchen Abstellkammern afrikanischer Krankenhäuser verstaubt, sollten wirklich nur benötigte Geräte mitgeführt werden und ggf. auch Ersatzteile mitgenommen werden. Ansonsten könnte so manch gut gemeinte Gabe die Wirkung verfehlen oder gar gefährlich für das medizinische Personal oder Patienten werden [3].

OEBPS/images/02_05_A_02_2013_Entwicklung_image_04.jpgAbb. 4: Europäische und afrikanische Ärztinnen im OP

Versuchen Sie darüber hinaus immer auch Kontakt zu Ihrer Fluggesellschaft aufzunehmen, um für das zu planende Übergepäck ggf. Sonderkonditionen zu verhandeln. Damit alles auch am rechten Ort ankommt scheint es immer sinnvoll zu sein, das gesamte Equipment mit dem eigenen Transport mitzuführen.

Welche bürokratischen Hürden gibt es zu beachten?

Über die entsprechende Hilfsorganisation sollten vorab Kontakte zu den entsprechenden Krankenhäusern bzw. regionalen Gesundheitsbehörden hergestellt werden, um eine Arbeitserlaubnis für alle Teammitglieder zu beantragen. Dieses offizielle Einladungsschreiben ist für den Visumantrag bzw. für die Einreise nötig. Darüber hinaus sollte für das mitgeführte medizinische Equipment über das zuständige Gesundheitsministerium eine Einfuhrgenehmigung bzw. Zollbescheinigung erwirkt werden. Auch hier helfen im Allgemeinen die Hilfsorganisationen.

Die Planung eines humanitären Einsatzes benötigt viel Zeit, ein Zeitfenster von bis zu sechs Monaten ist sinnvoll, um alles in Ruhe vorbereiten zu können.

Darüber hinaus benötigen Sie für einen solchen humanitären Einsatz natürlich finanzielle Mittel. Viele internationale Organisationen haben ihren Sitz nicht unbedingt in Deutschland, sodass diese für ggf. eingehende Spendengelder keine Spendenbescheinigung ausstellen können. Große Hilfsorganisationen haben darüber hinaus einen nicht geringen Verwaltungs- und Werbeaufwand.

Wir haben aus diesem Grund 2011 einen steuerbegünstigten, nicht eingetragenen Verein CHIRURGEN für Afrika gegründet, damit den Sponsoren garantiert werden kann, dass die Spendengelder fast ausschließlich für die Projektarbeit verwendet werden und darüber hinaus auch eine entsprechende Bescheinigung für das Finanzamt ausgestellt werden kann.

Vor der Abreise sollten Sie sich natürlich auch über empfohlene Impfungen informieren und Ihren Versicherungsschutz (z. B. Krankenversicherung, Rücktransportversicherung) prüfen.

Sind Sie dann schließlich mit ihrem Team und ihrem Material am Einsatzort angekommen werden Sie überrascht sein, dass man auch mit wenig Bürokratie gute Medizin machen kann. Sie werden sicher auch im eigenen Interesse ein OP-Buch führen. Weitere Formalitäten bestehen jedoch im Allgemeinen nicht. Das heißt, Sie müssen weder akribisch Patientenakten führen, OP-Einwilligungen ausführlich dokumentieren, OP-Berichte oder Entlassungsberichte schreiben, geschweige denn die in deutschen Krankenhäusern und Praxen allgegenwärtigen Versicherungsanfragen beantworten.

Sie werden nach einem solchen humanitären Auslandseinsatz stets geistig und emotional bereichert und vielleicht auch geerdet zurückkehren.

Habe ich Ihr Interesse für eine solche andersartige Erfahrung geweckt?

Literatur

[1] Policies and practices of countries that are experiencing a crisis in human resources for health: tracking survey Human Resources for Health Observer – Issue No. 6, December 2010 , WHO, http://www.who.int/hrh/resources/observer6/en/index.html

[2] World Health Statistics 2012, http://www.who.int/healthinfo 2012,

[3] Schäfer S. Medizinische Spenden können Armen schaden in Spiegel online 02.08.2012 http://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/medizinische-geraete-zu-spenden-ist-als-entwicklungshilfe-ungeeignet-a-847181.html

Weiterführende Informationen
Praxishomepage 3CHIRURGEN
Verein Chirurgen für Afrika
Internationalen Hilfsorganisation Operationhernia

Lorenz R. Arbeitsplatz Entwicklungsland: Albert Schweitzers next generation. Passion Chirurgie. 2013 Februar; 3(02): Artikel 02_05.

Editorial: „Sport ist ….“

Wer kennt nicht die Fortsetzung des obigen Spruches als Legitimation der körperlichen Inaktivität. Andererseits fördern Bewegung und sportliche Betätigung die Gesundheit und die Sozialisation des Menschen. Sport ist wichtiger Teil unserer heutigen Gesellschaft, aber auch der Unterhaltungskultur.

„Sport trägt zum Zusammenhalt der Gesellschaft bei, sät aber auch Zwietracht. Sport fördert die Völkerverständigung, ist aber auch für Nationalismus anfällig. Sport hält zur Fairness an, wird aber auch Anknüpfungspunkt für Gewalt. Sport leistet einen wichtigen Beitrag zur Gesundheitsvorsorge, er ist aber auch Quelle großer gesundheitlicher Schäden und ihrer sozialen Folgekosten.“

Dieter Grimm: Gold-Medaillen genügen. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29. Januar 2007, S. 35

In unserer aktuellen Ausgabe von Passion Chirurgie widmen wir uns weniger den gesellschaftlichen als vielmehr den chirurgischen Problemen beim Sport. Sowohl Unfallchirurgen/Orthopäden als auch Allgemein- und Viszeralchirurgen beschäftigen sich mit Sportverletzungen. In Deutschland werden sportmedizinische Fragestellungen jedoch nicht nur von Chirurgen und Orthopäden behandelt. Vielmehr wird die Sportmedizin im Rahmen einer fachübergreifenden ärztlichen Zusatz-Weiterbildung vermittelt und von verschiedenen Fachdisziplinen ausgeführt. Vor der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten gab es in der DDR sogar einen eigenständigen Facharzt für Sportmedizin mit vierjähriger Weiterbildungszeit.

Es gibt zahlreiche sportartspezifische Verletzungen. Dabei spielen neben akuten Verletzungen auch chronische Überlastungsschäden eine zunehmende Rolle – betroffen sind sowohl Breiten- als auch Leistungssportler. Hinzu kommen auch die in der jüngeren Vergangenheit entstandenen Extrem- und Funsportarten, die sich von den traditionellen Sportarten teilweise deutlich unterscheiden. Sportverletzungen gibt es sowohl im Mannschaftssport (zum Beispiel bei den Ballsportarten) als auch im Individualsport.

In unserem Heft geht es weniger um einen sportmedizinischen Gesamtüberblick, sondern vielmehr um einzelne Beispiele aus der Sportmedizin und ihren typischen Problemen. Die unterschiedlichen Sichtweisen der Autoren sollen die Vielfalt des Herangehens demonstrieren. Die Beiträge werden durch themenspezifische Fallbeispiele ergänzt, welche die Probleme für Sie plastisch erlebbar und dadurch leichter nachvollziehbar machen.

Die exakte Diagnostik der Sportverletzungen spielt eine entscheidende Rolle für den Erfolg der nachfolgenden Behandlung. Die Therapie der Sportverletzungen erfordert darüber hinaus immer ein gutes Zusammenspiel verschiedener Fachdisziplinen, einschließlich der Physiotherapeuten und Trainer. Oft sind auf den betroffenen Sportler individuell zugeschnittene Lösungen der Schlüssel zum Erfolg.

Die Sportlerleiste steht nur als eines der vielen möglichen Beispiele für die Komplexität von Sportverletzungen. Die fehlende exakte Begriffsdefinition ist nicht das einzige Problem. Maßgeblich stellt die Differentialdiagnose die entscheidenden Weichen für eine differenzierte und maßgeschneiderte Behandlung. Leitlinien zur Behandlung fehlen jedoch bis heute ebenso wie große Studien mit hoher Evidenz.

Eine in unseren Breiten wenig verbreitete Sportart, das in Großbritannien populäre Polo-Spiel wollen wir Ihnen in einem weiteren Artikel sportlich und medizinisch näher bringen.

Darüber hinaus werden typische sportbedingte knöcherne und Bandverletzungen des Schulter-, Ellenbogen- und Sprunggelenks mit deren Behandlungen übersichtsartig vorgestellt. Hier kommen zahlreiche innovative, sowohl konservative wie operative Behandlungskonzepte zum Einsatz, die eine schnellere Rückkehr zum Sport ermöglichen.

Das vorliegende Heft möchte Sie für eine differenzierte Betrachtung der Sportverletzungen sensibilisieren und zur gemeinsamen Diskussion anregen. Die Autoren freuen sich auf Ihre Kommentare und Meinungen!

Ihr Ralph Lorenz

Lorenz R. Sport ist… Passion Chirurgie. 2012 Mai; 2(05): Artikel 01.

Hernienchirurgische Weiterbildung auf dem Prüfstand

Bericht über den ersten Fortbildungskurs Hernie kompakt 25.-27. Januar 2011 und die 5. Berliner Hernientage 28.-29. Januar 2011

Gibt es eine Notwendigkeit zur Schaffung eines zusätzlichen Kompaktkurses für Hernienchirurgie? Die Antwort liegt in der derzeit immer komplexeren Behandlung der Hernien. Nicht nur eine Vielzahl an OP Techniken stehen heutzutage dem Hernienchirurgen zur Auswahl. sondern auch zahlreiche Netzmaterialien und Fixierungsmöglichkeiten. Es gibt keine eindeutigen Standards und nur grobe Leitlinien, die für viele Weiterbildungsassistenten oft unübersichtlich erscheinen. Laura Hampe, Assistenzärztin für Chirurgie im Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe Berlin konstatierte in ihrem Vortrag anlässlich der 5. Berliner Hernientage, dass man zwar im Laufe der chirurgischen Weiterbildung eine Systematik in diese vielfältigen Behandlungsmöglichkeiten erhalte, die Ausbildung sei jedoch immer von den in der Weiterbildungsklinik bestehenden Lehrmeinungen abhängig. Nur selten bestehe ein breit gefächertes Spektrum der Therapiemöglichkeiten.

Auch die Umfrageergebnisse bei den Teilnehmern von Hernie kompakt und der Berliner Hernientage kommen zu dem Schluss, dass die Qualität der Ausbildung derzeit noch unzureichend ist.

Die TED-Umfragewerte unter den fast 400 Teilnehmern der 5. Berliner Hernientage 2011 ergeben ein eindeutiges Bild:

Der enorme ökonomische Druck in den Kliniken führt darüber hinaus zu einer vermehrten Übernahme der Hernienoperationen durch erfahrene Chef- und Oberärzte, deren OP-Zeiten deutlich unter denen der Assistenzärzte liegen. Klassische Anfängeroperationen verschwinden zunehmend aus dem Klinikalltag. Entweder werden diese Eingriffe ambulant im niedergelassenen Sektor operiert oder die Eingriffe werden aufgrund des medizinischen Fortschrittes immer komplexer und diffiziler. De facto findet jedoch im niedergelassenen Sektor aufgrund der fehlenden finanziellen Förderung keine chirurgische Weiterbildung statt.

Es existieren daneben keine einheitlichen Weiterbildungsstandards entsprechend der Ausbildungsjahre. Die Teilnehmer des Kompaktkurses forderte n eine regelmäßige Qualitätssicherung nicht nur der Kliniken und Operationen sondern auch der Weiterbildung, ggf. auch mit Entzug der Weiterbildungsermächtigung bei unzureichender Ausbildung.

Die Schaffung neuer Konzepte in der chirurgischen Weiterbildung ist vor diesem Hintergrund eine dringende Aufgabe zur Sicherung der Zukunft der Chirurgie.

Dr. Stechemesser, Dr. Lorenz (Foto: A. Böhmig)

Dr. Reinpold, Dr. Lorenz (Foto: A. Böhmig)

Der erste dreitägige Weiterbildungskurs Hernie kompakt, der eine neue Struktur der Weiterbildung erstmalig umgesetzt hat, fand vom 25.01. bis zum 27.01.2011 in Berlin statt. Bereits Mitte Dezember war dieser Kurs mit 50 Teilnehmern aus allen Teilen Deutschlands und Österreichs vollständig ausgebucht. Zielgruppe waren sowohl Assistenzärzte in chirurgischer Weiterbildung als auch Fachärzte für Chirurgie, die ein grundlegendes Update der Hernienchirurgie erhalten wollten. Ziel war es, die Vielfalt der Möglichkeiten systematisch aufzuarbeiten und einen Blick über den „Tellerrand“ zu ermöglichen.

Der Kompaktkurs bestand aus 3 Teilen:

Tag 1
Anatomie
Tag 2
OP- Hospitation
Tag 3
Theorie
– Vortrag Anatomie
– Praktische Übungen an Präparaten
– Operationen an Leichen unter chirurgischer Anleitung
– Kurzpräsentation über alle wichtigen Techniken
– Quiz
9 beteiligte Kliniken und Praxen
13 OP-Säle
– Kleingruppen mit 4 Teilnehmern je OP-Saal
– Fokus Vielfalt der Möglichkeiten
Themen:
– Fehlermanagement
– Qualitätssicherung
– Hernienregister
– Materialien
– Übersicht Leistenhernie
– Übersicht primäre/sekundäre Ventralhernie
– Schmerz
– Ambulant/stationäre Versorgung

Am ersten Tag wurde mit einer anatomischen Vorlesung begonnen um danach diese Anatomie an ausgesuchten Präparaten entsprechend praktisch zu demonstrieren. Am Nachmittag wurde in Kleingruppen an Leichen unter chirurgischer Anleitung operiert, die zusätzlich von kurzen Präsentationen zu den wichtigsten Operationstechniken begleitet wurden. Abgerundet wurde dieser erste Tag durch ein Quiz zur Anatomie der Leiste und zu allgemeinen Fragen der Hernienchirurgie.

Am zweiten Tag wurden die Teilnehmer je nach Wunsch in einzelne Hospitationszentren in Berlin aufgeteilt. 9 Kliniken und Praxen mit insgesamt 13 OP-Sälen waren daran beteiligt. Somit war garantiert, dass jeder Teilnehmer Hands-on an mehreren Operationen assistieren konnte. Sowohl Kliniken als auch Kooperationsmodelle zwischen Klinik und Praxis und chirurgische Praxen waren an diesen Hospitationen beteiligt. Somit wurde auch eine große Vielfalt an Behandlungsoptionen garantiert.

Der dritte Tag wurde mit Präsentationen über verschiedene Themen der Zeit ergänzt. Dabei standen neben Fachthemen auch politische Themen und sogenannte Soft-skills auf dem Programm. Anschließend wurde viel Raum einer breiten Diskussion gegeben um die Erfahrungen der drei Tage auszutauschen.

Alle Teilnehmer erhielten ein ausführliches Script zu allen derzeit vorhandenen Operationstechniken mit kurzer Historie, OP-Anleitung und derzeitiger Studienlage. Dieses Skript liest sich wie ein „Nachschlagwerk der Hernienchirurgie“.

Das Feedback der Teilnehmer war überaus positiv:

Die Deutsche Herniengesellschaft signalisierte im Rahmen der 5. Berliner Hernientage diese Form von Weiterbildungsangebot künftig zu fördern und zu unterstützen.

Weiterbildungskonzepte bei unseren europäischen Nachbarn

Prof. Andrew Kingsnorth aus Plymouth, Präsident der European Hernia Society, zeigte im Rahmen seiner Präsentation bei den 5. Berliner Hernientagen ein britisches Modell zur Ausbildung in der Hernienchirurgie. Kernpunkt ist dabei eine strenge Systematik mit zusätzlicher Einteilung der Patienten in Schweregrade. Dabei gibt es 42 technische Schritte einer Leistenhernien-Operation und insgesamt 8 Schweregrade von Patienten je nach Ausmaß der Hernie und Dicke des Unterhautfettgewebes. Im 1. bis 3. Weiterbildungsjahr wird demnach die offene Hernienchirurgie erlernt und im 4. und 5. Weiterbildungsjahr werden die laparoskopischen Techniken vermittelt. Entscheidend sei eine kontinuierliche persönliche Supervision und eine stufenweise Ausbildung.

Prof. Marc Miserez aus Leuven ( Belgien), gleichzeitig Tagungspräsident des EHS-Kongresses 2011 im Juni 2011 in Gent, wies in seinem Vortrag darauf hin, dass gerade während der Lernphase Komplikationen häufiger sind, die Operationszeit länger ist und die Rate der Konversionen vom laproskopischen zum offenen Vorgehen höher ist. Auch er favorisiert zur Lösung dieses Problems ein strukturiertes Trainingsprogramm mit einem definierten Stufenmodell. Er empfiehlt jedoch im Gegensatz zu Prof. Kingsnorth mit dem Training der laparoskopischen Techniken bereits frühzeitig, schon während der ersten Weiterbildungsjahre zu beginnen. Eine adäquate Patientenselektion kann die Komplikationsrate während der Lernphase minimieren. Grundsätzlich sollte deshalb die endoskopische Ausbildung am besten mit einer weiblichen Hernie begonnen werden, niemals mit einem Rezidiv, einer Scrotalhernie oder einer rechtsseitigen Hernie nach Appendektomie.

Prof. Kingsnorth, Prof. Miserez, PD Niebuhr (Foto: A. Böhmig)

Neue Weiterbildungskonzepte auch in Deutschland

Prof. Reinhard Bittner aus der EuroMed Klinik Fürth berichtet über seinen mehrjährigen Erfahrungen mit Masterkursen für die laparoskopische Hernienchirugie. Seiner Ansicht nach fehlt es derzeit oft an einem Qualitätsbewusstsein der Chirurgen. Die Masterkurse würden hilfreich sein zur Überprüfung der Technik, zur Aktualisierung des Wissens und für praktische Übungen. Die Ausbildung an sogenannten Hernienmodellen bietet dabei zahlreiche Möglichkeiten für ein systematisches Training einzelner Operationsschritte wie dem operativen Zugang, der Präparation, der Netzeinlage und der Fixierung sowie dem Peritonealverschluss.

Prof. Schumpelick, Laura Hampe, Prof. Bittner (Foto: A. Böhmig)

Über seine Erfahrungen mit der Ausbildung in der mikroinvasiven Hernienchirurgie berichtete PD Henning Niebuhr aus dem Hanse-Hernienzentrum Hamburg. In einer Kostenanalyse zeigt er zusammenfassend, dass Ausbildungseingriffe grundsätzlich deutlich mehr Zeit fordern und deren Finanzierung in der jetzigen Vergütung nicht abgebildet ist.

Herniologen in Deutschland?

Auf die Frage, brauchen wir den Herniologen für die Ausbildung in der Hernienchirurgie, antwortete Prof. Volker Schumpleick in seinem Referat bei den Berliner Hernientagen mit einem klaren „Nein“. Der beste Ausbilder sei nach seiner Ansicht ein Chirurg mit breitbasierter Hernienerfahrung. Er fasste darüber hinaus erstmals 10 Gebote für die Hernienchirurgie zusammen:

DIE 10 GEBOTE DER HERNIENCHIRURGIE 2011

1. KLASSIFIKATION (EHS) IST OBLIGAT

2. STANDARDISIERTE INDIKATION UND VERFAHRENSWAHL

3. OBLIGATE QUALITÄTSKONTROLLE

4. VERBINDLICHES REGISTER

5. TRANSPARENTE AMBULANTE VERSORGUNG

6. AUSBILDUNG OHNE ZU FRÜHE SPEZIALISIERUNG

7. ZERTIFIZIERUNG

8. EBM – BASIERTE OPERATIONSVERFAHREN

9. EBM – BASIERTE NETZPROTHESEN

10. SPEZIALTECHNIKEN DURCH SPEZIALISTEN

Zusammenfassend muss festgestellt werden, dass die chirurgische Weiterbildung in Deutschland nicht nur auf dem Gebiet der Hernienchirurgie dringend reformiert werden muss um auch langfristig den qualifizierten chirurgischen Nachwuchs zu sichern.

Neben einer eigenständigen Finanzierung oder zumindest finanziellen Unterstützung der chirurgischen Weiterbildung, die insbesondere dem erhöhten Zeitbedarf der Weiterbildung gerecht wird, ist darüber hinaus eine systematische Standardisierung der Ausbildung auch unter Einbeziehung der niedergelassenen Chirurgen im Sinne einer Verbundweiterbildung zu fordern.

Hier sind neben den Ärztekammern auch die Berufsverbände und Fachgesellschaften gefragt gemeinsam Lösungsvorschläge zu erarbeiten.

Zusätzliche Weiterbildungsangebote wie Hernie kompakt ergänzen das derzeitige Angebot sinnvoll, können allerdings eine systematische und standardisierte Weiterbildung in der Chirurgie nicht ersetzen.

Dr. Stechemesser, Prof. Schumpelick, Dr. Lorenz, PD Conze (Foto: A. Böhmig

Saal Berliner Hernientage (Foto: A. Böhmig)

Lorenz R, Stechemesser B, Reinpold W. Hernienchirurgische Weiterbildung auf dem Prüfstand. Passion Chirurgie. 2011 Feb; 1 (2): Artikel 03_02.