Alle Artikel von Prof. Dr. med. Julia Seifert

Zukunftschancen in den chirurgischen Fachgebieten

Wohin geht es mit der Chirurgie, vor allem mit der „deutschen“ Chirurgie? Ein Thema, das den BDC immer wieder beschäftigt und das wir versuchen aktiv zu gestalten. So viel steht für uns in allen chirurgischen Fachgesellschaften jedenfalls fest: ChirurgIn ist ein Beruf mit Zukunft. Dennoch gelingt es nicht, langgehegte Vorurteile über diesen anspruchsvollen, handwerklich geprägten und wissenschaftlich fundierten Beruf auszuräumen. Umso wichtiger ist es, dazustellen, welche Chancen sich in der Chirurgie bieten und wie diese Chancen in den unterschiedlichen Fachgebieten genau aussehen.

Auch mit Blick auf die neue Legislaturperiode der Bundesregierung werden sich vielleicht neue Verhandlungsspielräume bieten, die die beruflichen Werdegänge eines Chirurgen verändern könnten, z. B. bei der zunehmenden Öffnung der Sektorengrenze.

„Zukunftschancen in den chirurgischen Fachgebieten“ als „Dauerbrenner“ war auch das Thema einer Sitzung beim letzten Kongress der DGCH. Vertreter der verschiedenen Fachsäulen im Gebiet Chirurgie sowie ein Gesundheitsökonom gaben auf Einladung des BDC und der DGCH Einblicke in ihr Fach. Wir haben für Sie die Kernaussagen einiger Vertreter zusammengestellt. Wohin geht die Reise? Lesen Sie selbst…

… aus Sicht des Gesundheitsökonomen

Vier Entwicklungstrends bestimmen die Zukunft der Chirurgie. An erster Stelle ist die ökonomische bzw. wirtschaftliche Entwicklung zu nennen, von der entscheidend der Finanzierungspielraum der Krankenversorgung abhängt. Insbesondere ist es die demographische Entwicklung, die die künftige Finanzierung begrenzen wird. So nimmt die Zahl der aktiven Beitragszahler ab und die der passiven Leistungsempfänger, das ist insbesondere die Seniorengeneration, deutlich zu. Für die Chirurgie bedeutet dies, dass einerseits die Alterschirurgie an Bedeutung gewinnt und andererseits das Potenzial an Ärztinnen und Ärzten schrumpft. Es wird insbesondere darauf ankommen, mehr Frauen für den chirurgischen Beruf zu begeistern.

Zweitens bedarf das System der Kranken- bzw. Gesundheitsversorgung der Restrukturierung. Deutschland hat zu viele kleine Krankenhäuser und damit auch zu viele kleine Chirurgien. Es wird in Zukunft darauf ankommen, durch eine Zentralisierung und Spezialisierung die Effizienz der Medizin und damit auch der Chirurgie zu steigern. Daneben ist die Tageschirurgie in Deutschland unterentwickelt und bedarf der Förderung. Auch das Fallpauschalensystem bedarf der Korrektur dort, wo hohe Fallzahlen das ökonomische Überleben sichern. Hier muss durch Qualitätssicherung Einhalt geboten werden.

Drittens fordern medizinisch-technische Entwicklungen die Chirurgie durch immer neue Methoden heraus. Die Chance für junge Chirurgen/innen liegt darin, dass sie unvoreingenommen den medizinisch-technischen Entwicklungen gegenüber treten. Es gilt die Chirurgie vor allem für Methoden der unterstützenden Technologien, wie zum Beispiel Robotertechnik, zu öffnen und unterstützende neue Berufe zu integrieren.

Schließlich sind es viertens gesellschaftliche Entwicklungstrends, welche die Zukunft der Chirurgie prägen. Hier sind zum einen die Digitalisierung des Alltagslebens, die Informationsherrschaft der sozialen Medien und die damit einhergehende postfaktische Meinungsmache, welche den Alltag der Chirurgen/innen prägen. Spektakuläre Ereignisse, wie die Prioritätensetzung in der Transplantationschirurgie, werden so in einer Öffentlichkeit diskutiert und kommentiert, der sich auch die Chirurgie stellen muss.

Letztlich bleibt als Ausblick, dass sich der Reformzyklus „Nach der Wahl ist vor der Reform“ bis in die Mitte des Jahrhunderts fortsetzen wird. Ein Zyklus, der junge Chirurgen/innen nicht verunsichern darf, da dies letztlich Anpassungen an die oben geschilderten Entwicklungstrends sind.

… aus Sicht der Plastischen und Wiederherstellungschirurgie

In den letzten Jahrzehnten hat sich durch die Spezialisierung in der Chirurgie die Versorgung der Patienten weiter optimiert. Gleichzeitig haben sich die Ziele verändert: Das pure Überleben einer Operation reicht längst nicht mehr aus. Form und Funktion und damit die Lebensqualität eines Patienten rücken immer mehr in den Vordergrund. Gleichzeitig kommt es zu einer zunehmenden Alterung der Bevölkerung. Gerade das Fachgebiet Plastische Chirurgie wird aus diesen Gründen in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen.

Seit mehr als 20 Jahren ist die Plastische Chirurgie ein eigenständiges Fachgebiet wie etwa Unfallchirurgie, Viszeralchirurgie, Herzchirurgie oder auch Gefäßchirurgie mit zwei Jahren Weiterbildung im Common Trunk und vier Jahren Spezialisierung im eigentlichen Fachgebiet. Leider wird das Fachgebiet Plastische Chirurgie noch zu oft in der Bevölkerung wie in der Ärzteschaft als Ästhetische Chirurgie aufgefasst [1]. Dies liegt wohl in dem gegenüber anderen Fachgebietsbezeichnungen schwer bildlich vorstellbaren Begriff „Plastisch“ begründet. Das Gegenteil ist aber der Fall: Das Fachgebiet besteht aus den vier Säulen Rekonstruktive Chirurgie, Verbrennungschirurgie, Handchirurgie und Ästhetische Chirurgie (Abb.1).

Der Plastische Chirurg ist also in allen Körperregionen tätig und stellt vorwiegend Form und Funktion nach Verletzungen oder Tumorresektionen wieder her. Dies bedingt ein hohes Maß an Vielseitigkeit und gleichzeitig an interdisziplinärer Zusammenarbeit mit anderen chirurgischen Fachgebieten. Vor allem spezielle Techniken wie etwa der mikrochirurgische Gewebetransfer mit der autologen Transplantation von freien Lappenplastiken etwa in der Wiederherstellung der Extremitäten oder auch der Brustrekonstruktion nach Mamakarzinom zeichnen das Fachgebiet aus. Dabei kommen dem Fachgebiet eine exzellente Weiterbildungsstruktur und eine umfangreiche Forschung als Fundament zu Gute. Darüber hinaus haben längst alle Säulen weitere Unterspezialisierungen erfahren, so dass sich Plastische Chirurgen oft auch nur auf einzelne Spezialgebiete fokussieren.

Abb. 1: Die vier Säulen der Plastischen Chirurgie auf dem Fundament der Forschung.

Neben der inhaltlich zunehmenden Bedeutung der Plastischen Chirurgie wird auch der ständig steigende Kostendruck im Gesundheitssystem eine primäre spezialisierte Versorgung immer deutlicher einfordern: Längst vorbei sind die Zeiten der „Rekonstruktiven Leiter“ in denen Patienten mit großen Gewebedefekten egal in welcher Körperregion in nicht-spezialisierten Abteilungen über Monate stationär behandelt wurden und erst dann einem Plastischen Chirurgen vorgestellt wurden [2]. Zurecht fordern Patienten und Gesundheitssystem eine frühzeitige spezialisierte Versorgung durch den Plastischen Chirurgen, der Gewebedefekte frühzeitig z. B. durch freie Lappenplastiken schnell und sicher zum Wohle des Patienten verschließen kann. Der weitere Ausbau von spezialisierten Abteilungen für Plastische Chirurgie mit der dafür notwendigen Infrastruktur auch an kleineren Kliniken ist daher unvermeidbar [2]. Immer mehr wird die Plastische Chirurgie so zum Auszeichnungsmerkmal eines Krankenhauses, welches auch Patienten mit komplexen Gewebedefekten schnell, kompetent und zuverlässig behandeln kann.

Die Vielseitigkeit des Fachgebiets und seiner Techniken verbunden mit den exzellenten Zukunftschancen führen zu einer ungebrochenen Attraktivität des Fachgebiets für den chirurgischen Nachwuchs.

… aus Sicht der Gefäßchirurgie

Wäre man der Vorhersage der European Society for Cardiology gefolgt, wäre die Gefäßchirurgie spätestens seit 1997 ein totes Fachgebiet gewesen. Hintergrund war die Weiterentwicklung der invasiven Gefäßtherapie in Richtung katheterbasierter Techniken, deren Implementierung mit dem klassischen Verständnis der Gefäßchirurgie als offen-rekonstruktives chirurgisches Fach an den nicht-herznahen Gefäßen nicht kompatibel schien. Die Deutsche Gesellschaft für Gefäßchirurgie hat jedoch – die Entwicklung der invasiven Gefäßtherapie vorausschauend – bereits sehr frühzeitig die Kathetertechniken in ihr Portfolio der Weiterbildungsordnung implementieren können, sodass diese Techniken bereits seit 1994 zum therapeutischen Armamentarium der Gefäßchirurgen gehören. Seither hat der Stellenwert der endovaskulären Therapie zugenommen, sodass zusätzlich spezielle akkreditierte Weiterbildungen innerhalb der DGG implementiert wurden (Endovasuklärer Chirurg, Endovaskulärer Spezialist).

Die Einführung von interdisziplinären zertifizierten Gefäßzentren, an denen neben der Gefäßchirurgie die Radiologie und Angiologie beteiligt sind, hat die organorientierte Ausrichtung des Faches geschärft. Die aktuellsten Entwicklungen gehen jedoch mit der Bildung von organorintierten Kliniken über die Zentrumsbildung noch hinaus, denn sie haben Einfluss auf die Weiterbildung der Assistenten hin zum Gefäßspezialisten, der neben der invasiven Therapie und der Diagnostik von Gefäßerkrankungen auch Kenntnis über deren medikamentöse Therapie hat und damit auch die Behandlung der für den Gefäßpatienten typischen kardiovaskulären Komorbiditäten einschließt. Anders als andere chirurgische Fachgebiete geht die Gefäßchirurgie damit den Weg in Richtung der Gefäßmedizin und versteht sich damit als Spezialisierung, die neben der Behandlung des aktuellen Gefäßproblems ihre Patienten im weiteren Verlauf ihrer Erkrankung lebenslang begleitet: Es geht neben der Beseitigung des akuten Gefäßproblems um die Optimierung der Gesamtperformance des kardiovaskulären Patienten. Hier kommt dem Gefäßtherapeuten von morgen eine entscheidende Rolle zur Verbesserung der Langzeitprognose seiner Patienten zu, die bis heute quo ad vitam noch etwa zehn Jahre unter derjenigen der altersadjustierten Gesamtbevölkerung Deutschlands liegt.

… aus Sicht der Thoraxchirurgie

Die Einführung von unterschiedlichen Facharztsäulen unter dem Dach der Chirurgie hat zu einer fortwährenden Modernisierung und Spezialisierung geführt. Eine weitere Spezialisierung ist nur in High-volume Zentren möglich. Volume-outcome Studien zeigen die Notwendigkeit dieser Zentren. Nach Zahlen des statistischen Bundesamtes aus dem Jahre 2016 gilt für die Thoraxchirurgie jedoch die Devise: „Viele machen wenig und wenige machen viel“. 43 Prozent aller anatomischen Lungenkrebsoperationen werden in Kliniken durchgeführt die weniger als 75 Eingriffe beim Lungenkarzinom pro Jahr durchführen. Umgekehrt erbringen nur 10 Prozent aller Thoraxchirurgien mehr als 100 anatomische Resektionen beim Lungenkarzinom im Jahr. Es stellt sich die Frage wie Kliniken mit geringer OP-Frequenz eine strukturierte Weiterbildung mit Subspezialisierung gewährleisten können.

ur Subspezialisierung bei minimal-invasiven anatomischen Resektionsverfahren, werden international Mindestmengen von bis zu 50 Eingriffen pro Operateur pro Jahr für eine entsprechende Lernkurve verlangt. Erlöse müssen hierbei kostendeckend sein. Aktuell besteht eine Diskrepanz zwischen dem Erlös bei komplexen und einfachen Resektionen. Hierbei würde eine Zentralisierung zu einer entsprechenden Mischkalkulation beitragen. Ziel einer weiteren Subspezialisierung muss der Nachweis des verbesserten Langzeitüberlebens des im Zentrum behandelten Patienten sein. Herr Prof. Hartwig W. Bauer formulierte im Februar 2017: „Mindestmengen in der Chirurgie – Wir wissen was zu tun ist und müssen tun was wir wissen.“ Die weitere Spezialisierung in der Thoraxchirurgie wird nur durch eine weitere Zentralisierung möglich sein, hierzu sind politische Lösungen zu fordern.

… aus Sicht der Herzchirurgie

Wenn man gerade sein Studium abgeschlossen hat, sucht man für sich eine Zukunft und fragt sich dabei auch, ob die Disziplin, für die man sich interessiert, eine Zukunft hat. Ich bin mir nicht sicher, ob es diese Frage ist, die sich junge Chirurgen stellen sollten. Als ich selbst mit der Herzchirurgie begann, wurden gerade die ersten Koronarstents implantiert und ich hörte von überall her, dass es in zehn Jahren keine Herzchirurgie mehr gäbe. Es gab viele rationale Gründe, dieses Fach nicht zu wählen. Aber ich war durch Praktika „angefixt“, fasziniert und hatte das Gefühl, dass das Fachgebiet und ich „zusammenpassen“. Mich haben diese rationalen Erwägungen dann auch wenig beeinflusst, da ich überzeugt blieb, dass dieses hochästhetische, akribische und heilende chirurgische Fach verbunden mit einem unglaublichen „Thrill“ schlichtweg das Richtige für mich war. Diese Überzeugung ist wichtig, gerade in Tagen des Nicht-Gelingens. Und nicht alles gelingt. Und die älteren Herzchirurgen, auf die ich traf und treffe, haben mich beeindruckt: sie wirkten wie Wanderer auf einem Weg, der durch das Gehen erst begehbar wird. Daran hat sich bis heute in dieser hochinnovativen Disziplin nichts geändert. Wer sich für Herzchirurgie interessiert, sollte sich zunächst die Fragen stellen, die ich in meinem Text „was ist ein guter Chirurg?“ zusammengefasst habe. Wer dann noch immer meint, dass er das Zeug zu einem guten Chirurgen hätte, ist damit bereits ein heißer Kandidat für die Zukunft der Herzchirurgie. Er muss sich darauf einstellen, sich in seinem Berufsleben mehrfach neu zu erfinden, neu zu definieren, neu zu lernen. Auch die Herzchirurgie, die ich vor 30 Jahren lernte, ist weit entfernt von der Herzchirurgie, die ich heute praktiziere. Er muss sich darauf einstellen, gebraucht zu werden.

Die Zukunft der Herzchirurgie wird definiert durch die Menschen, die sich für das Fach Herzchirurgie entscheiden und es auszufüllen und zu gestalten bereit sind. Und diese Zukunft sehe ich seit nunmehr dreißig Jahren unverändert mit großem Optimismus.

Ich könnte anführen, dass die Menschen – unsere Patienten – immer älter werden und damit die kardiovaskulären Erkrankungen überproportional steigen werden. Ich könnte anführen, dass eine immer aggressiver werdende Kardiologie nicht zuletzt die Herzchirurgie als Partner bei Komplikationen in immer weiter steigendem Maße brauchen wird. Ich könnte anführen, dass es viele Erkrankungen gibt, die nur durch Herzchirurgen erfolgreich behandelt und geheilt werden können. Ich könnte anführen, dass wenn die interventionellen Methoden ausgereizt sind, die Herzchirurgie weiterhin im Spiel ist. Ich könnte anführen, dass gerade das Organ „Herz“ Innovationen verspricht von „Contractile Patches“ über den „3-D-Druck“ von Klappen und vielleicht sogar Organteilen oder ganzen Herzen bis hin zu technologischen Neuerungen bei Herzersatz- bzw. Herzergänzungsverfahren. Aber das ist nicht das, was ich jungen Menschen mit auf den Weg geben möchte.

Ich sage zur Zukunft ganz einfache Dinge: Es wird immer eine Herzchirurgie geben. Es wird immer Ärzte geben, die in der Herzchirurgie, und nur in der Herzchirurgie ihr eigentliches, ihr wirkliches berufliches Glück finden werden und die – wenn sie etwas anderes tun – unabhängig von ihrem Erfolg das Gefühl nicht loswerden, sie seien irgendwie vom Weg abgekommen. Wenn man etwas liebt, was man mehr liebt als sich selbst und dieses tut, stellt sich als Begleitprodukt Glück ein. Von diesem Glück wissen viele ältere Herzchirurgen zu berichten. Und genau diese Menschen sind es, die in der Vergangenheit dazu beigetragen haben, dass die Herzchirurgie in den letzten dreißig Jahren allen Ansagen trotzend eine glänzende Vergangenheit hatte und eine glänzende Zukunft haben wird. Und so ist das einzige, was ich jungen Menschen wirklich sagen kann: Folge Deinem Herzen und folge Deinem Herzen. Mehr gibt es nicht. [3]

Literatur

[1] Giunta RE; Schmidt-Tintemann U.  Was soll Plastische Chirurgie? Handchir Mikrochir Plast Chir 2013; 45: 191–192

[2] Giunta RE. Über die Solidarität unter den chirurgischen Fachgebieten oder „Wer nicht mit am Tisch sitzt, landet auf der Speisekarte“ Handchir Mikrochir Plast Chir 2016; 48: 61–64

[3] Christian Friedrich Vahl (2014) Was ist ein guter Chirurg Dtsch Ärztebl (6)

Seifert J: Zukunftschancen in den chirurgischen Fachgebieten. Passion Chirurgie. 2017 November, 7(11): Artikel 03_03.

Rezension: Ellenbogen – Expertise Orthopädie und Unfallchirurgie

Ellenbogen – Expertise Orthopädie und Unfallchirurgie
Hrsg. LP Müller, B Hollinger und K Burkhart
528 S. , 1206 Abb., Thieme Verlag 2016
ISBN 978-3-13-174981-9
EUR [D]249,99 EUR
Bestellen über Amazon

Es handelt sich um ein sehr umfassendes Lehrbuch, das sämtliche Aspekte unfallchirurgisch-orthopädischer Erkrankungen und Therapien auf aktuellem Stand beleuchtet. Insgesamt 41 Autoren haben daran mitgewirkt.

Sehr ausführlich, und mit zum Teil sehr guten Zeichnungen und Abbildungen versehen, sind die jeweiligen anatomischen Erläuterungen, die lediglich eine fehlerhafte Darstellung der knöchernen Anatomie bei Handgelenkspronation auf Seite 20 aufweist. Der Radius überschlägt die Elle und nicht umgekehrt.

Die Didaktik ist übersichtlich, verständlich und umfasst neben Kapiteln zur „Anatomie und Biomechanik“, „Diagnostik inklusive Untersuchungstechniken und Bildgebung“ auch die operativen „offenen und arthroskopischen Zugänge“ zum Ellenbogengelenk.

Die weiteren Kapitel gliedern sich in „Kindliche Pathologien“, „Trauma beim Erwachsenen“, „Sport und Overuse“, „Endoprothetik des Ellenbogens“ und „Septic and Non-union Conditions“. Keine Sorge: Obwohl die Überschriften partiell anglikanisiert wurden, sind sämtliche Kapitel in deutscher Sprache.

Schön herausgearbeitet wurden die Empfehlungen zum Vorgehen bei Ellenbogenluxationen, akuten bzw. chronischen Instabilitäten.

Das Buch ist in jedem Fall eine Bereicherung für Orthopäden und Unfallchirurgen, ob jung oder alt und zeigt wieder einmal: Um auf der Höhe der Zeit zu bleiben, sind regelmäßige Updates nötig. Dazu bedarf es Fortbildungs- und Lesezeit, denn wer gegen aktuelle und publizierte Erkenntnisse therapiert, kann in Rechtfertigungsschwierigkeiten kommen, wenn es um ärztliche Behandlungsfehler geht. Daher sind sogenannten Clinical Pathways, wie sie hier im Buch zu finden sind, von zunehmender Bedeutung.

Seifert J. Rezension: Ellenbogen – Expertise Orthopädie und Unfallchirurgie. Passion Chirurgie. 2017 Juni; 7(06): Artikel 04_03.

Rezension: Bildatlas operative Zugangswege

Bildatlas operative Zugangswege
V. Bühren, H. Hörterer, W. Schmidt (Hsg.)
614 Seiten, 951 farbige Abbildungen, Hardcover inkl. englischsprachiger DVD, Format: 240 x 300 mm
DVD-Laufzeit: ca. 120 Min.01 Sprache: Englisch
1. Auflage 2012, KVM Verlag
ISBN: 978-3-940698-72-8
149,00 Euro
Bestellen über Amazon

Eines der wichtigsten Bücher im Regal eines Unfallchirurgen und Orthopäden ist wohl die übersichtliche Darstellung von „Zugangswegen“. Wahrscheinlich hat es jeder schon am eigenen Leib erfahren, was es heißt, nicht den optimalen Zugang gewählt zu haben, um festzustellen, dass der gewünschte Einblick auf die verletzte Struktur unzureichend, das manuelle Handling der Reposition und Osteosynthese o. ä. erheblich erschwert ist. Während die Osteosynthesen stets dem gleichen biomechanischen Prinzip gehorchen und daher sich nur unwesentlich in ihrer Art unterscheiden, ist es besonders der Zugang, der über wohl und wehe (Durchblutung des Gewebes, Exposition des Knochen/Gelenkes, Infektion und Wundverschluss…) der OP entscheidet. Daher ist so ein Buch ein wichtiger Begleiter im chirurgischen Alltag, den man immer mal wieder vor einer OP konsultiert. Da diese Bedeutung allerdings schon lange den Chirurgen bewusst war, existieren eine ganze Reihe solcher Werke auf dem Markt. Daher muss der 2012 deutschsprachig erschienene Bildatlas mit den klassischen z. T. mehrbändigen Werken von Breitner, Dupac oder Bauer u. a. konkurrieren.

Mit 951 Abbildungen (intraoperative Fotos und Zeichnungen), 3,2 kg Gewicht und Ausmaßen von 24×30 cm ein gewaltiger Bildatlas, der sowohl klassische offene als auch arthroskopische und minimal-invasive Zugangstechniken beschreibt. Neben einer Darstellung der regionalen Anatomie werden die Patientenlagerung, anatomische Querschnitte und Orientierungspunkte sowie potenzielle OP-Risiken erläutert. Im Text sind sog. QR-Codes integriert. Durch scannen der QR-Codes können Videosequenzen online direkt über Smartphones und dafür ausgestattete Tablet-PCs abgespielt werden. Zusätzlich enthält der Atlas noch eine DVD mit englischsprachigen Videosequenzen, die technische Details der Operationen erläutern.

Bei der Durchsicht fielen mir zwei fehlende Zugänge auf, die in einer Neuauflage Berücksichtigung finden sollten: der modifizierte Stoppa Zugang für das Acetabulum (Archdeacon et al. J Am Acad Orthop Surg 2011) sowie der minimalinvasive posteromediale Zugang zum Tibiakopf (Frosch et al. Oper Orthop Traumatol 2012).

Ein besonders für die digitale Generation geeignetes Nachschlagewerk zur Vorbereitung auf Operationen im Bereich Orthopädie und Unfallchirurgie.

Chirurgische Aus- und Weiterbildung bei uns und unseren Nachbarn

 

Nach der Reform ist vor der Reform …

Der Studentenstreik 1988/89 (UniMut), der letztlich zur Entwicklung eines reformierten Curriculums für Mediziner führte, basierte im Wesentlichen auf zwei Kritikpunkten am herkömmlichen Studium: Der Wissensstoff wurde überwiegend in überfüllten Veranstaltungen in Vorlesungsform angeboten, der zur Passivität verdammte. Fächer wie Anatomie, Physiologie und Biochemie wurden weitgehend isoliert voneinander dargestellt, auch den klinischen Disziplinen fehlte der gemeinsame Bezug. Die Studierenden forderten mehr Verantwortung für Lernprozesse und die Gestaltung des Studienablaufs, drangen aber auch auf eine inhaltliche Revision. Ihre Forderungen nach einer neuen Gewichtung der Lehrinhalte beschränkten sich nicht nur darauf, den Unterricht praxisbezogener zu gestalten und die Inhalte durch sinnvolle Verknüpfung theoretischer und klinischer Aspekte anschaulicher zu machen. Es wurde auch kritisch hinterfragt, ob das überwiegend naturwissenschaftlich orientierte Menschenmodell, wie es traditionell vorherrschte, ausreichend sei, die Vielzahl körperlicher und psychischer Störungen und ihre gegenseitige Beeinflussung verstehen und adäquat behandeln zu können. Eine weitere Forderung war daher, naturwissenschaftliche Aspekte nicht isoliert, sondern im Zusammenhang mit psychischen Bezügen und ihrer sozialen Bedeutung patientenorientiert zu vermitteln und wissenschaftliche Grundlagen einer „ganzheitlichen“ Heilkunde zum Studieninhalt zu machen. Der von den Medizinstudenten in einer Inhalts-AG entworfene Reformstudiengang wurde von der Charité übernommen. Der sog. Modellstudiengang löste dort 2010/2011 den Regelstudiengang ab.

Weit mehr öffentliche Aufmerksamkeit erregte dann zehn Jahre später die in Bologna durch die Bildungsminister der europäischen Länder unterzeichnete transnationale Hochschulreform, die eine zukünftige europaweite Harmonisierung von Studiengängen und -abschlüssen sowie eine internationale Mobilität der Studierenden sichern sollte. Bisher allerdings haben nur sieben Länder (Schweiz, Dänemark, Niederlande, Belgien, Island, Armenien und Portugal) ihren medizinischen Fakultäten eine solche Umstrukturierung verbindlich vorgeschrieben. Deutschland hat zumindest die staatlich geregelten Studiengänge wie Medizin und Rechtswissenschaften bisher ausgenommen, legt aber trotz erheblicher Widerstände auf eine künftige Umstellung großen Wert und bezeichnet dies als „nationales Ziel für die kommenden Jahre“.

Trotz oder wegen der Studienreformen(?): das Medizinstudium ist mehr denn je gefragt. Doch ungeachtet steigender Studierendenzahlen: Eine chirurgische Laufbahn streben am Ende des PJ nur noch etwa 10 % der Studenten an.

Erneut steht etwa zehn Jahre später eine Reform ins Haus. Diesmal aber will man in der Reformwerkstatt der Bundesärztekammer (BÄK) nicht einfach mehr nur novellieren, sondern grundlegend ausmisten, bereinigen und anpassen. Keine einfache Reform, vielmehr eine Revolution, zumal von verschiedenen Seiten Nutzen, Wirksamkeit, Effizienz und Machbarkeit bezweifelt werden.

Auslöser der Reform waren laut BÄK das mäßige Abschneiden bei der Evaluation der Weiterbildung, der von Leistungserbringern, Fachgesellschaften und Berufsverbänden beklagte Nachwuchsmangel, die Notwendigkeit zur Anpassung an den medizinisch-technischen Fortschritt sowie ein wachsender Anteil an jungen Ärztinnen und Ärzten mit Wunsch nach Familie und entsprechender Work-Life-Balance, sprich variableren Arbeitszeiten. Die Weiterbildungsevaluation hatte aufgezeigt, dass es wenig strukturierte oder gar vergleichbare Weiterbildungen in den Abteilungen/Kliniken gab. Curricula oder Pläne fehlten, Rotationen, Kooperationen und Austausch fanden nicht oder unzureichend statt, geforderte OP-Mengen konnten nicht erbracht werden, da technischer Fortschritt bestimmte Eingriffe zur Mangelware machte und Weiterbilder ihrer Aufgabe der Weiterbildung nicht oder unzureichend nachkamen. Zudem wurde mit Heranwachsen einer neuen Generation junger Ärzte evident, dass die derzeitig gültige WBO wenig Platz für eine Modifikation und Flexibilisierung der Arbeitszeiten bietet.

Während die Gliederung der zukünftigen Weiterbildung in die Abschnitte A-C (A: Paragrafen-Teil, B: Gebiete, Facharzt- und Schwerpunktkompetenzen, C: Zusatzweiterbildungen) belassen wird, sollen vier sog. Weiterbildungsblöcke zu absolvieren sein:

  1. Grundlagen,
  2. patientenbezogene,
  3. behandlungsbezogene
  4. und technisch-diagnostische Inhalte.

Dafür ringen derzeit Ärztekammern, Fachgesellschaften und Berufsverbände um praxisnahe und theoretische Inhalte, Didaktik, Dokumentationspflichten, angemessene, aber variable Weiterbildungszeiten, die Auflösung der Säule Allgemeinchirurgie, versorgungs- und realitätsnahe Richtzahlen sowie die Einbeziehung des ambulanten Sektor. Fertigkeiten, Kenntnis- und Erfahrungslevel werden zu den Maßeinheiten der zukünftigen Weiterbildungsordnung.

Die Herausforderung der neuen WBO dürfte in der Schaffung von entsprechenden Voraussetzungen liegen:

(1)Bildung von Stadt-, Land- und Konzern-übergreifenden Weiterbildungsverbünden

(2)Finanzierung einer intersektoralen Weiterbildung

(3)Qualifizierung von Weiterbildern (z. B.: durch „Train-the-Trainer“-Workshops) mit zeitlicher Befristung der Weiterbildungsbefugnis

(4)Reformierung der Weiterbildungsbefugnis durch Schaffung einer modularen Weiterbildungsbefugnis nach Inhalten statt Zeiten

(5)Ausreichend Personal für sog. „Mentoring“ im klinischen Alltag, Wissenschaft und Forschung

(6)Regelmäßige Evaluation und Re-Evaluation von Weiterbildern, Weiterbildungskonzepten und Weiterbildungsstätten

(7)Einhaltung einer aktuell für das Gebiet Chirurgie geplanten fünfjährigen Weiterbildungszeit (Mindestweiterbildungszeit) bei gleichzeitig verkürzten und flexibilisierten Arbeitszeiten (EU Konformität)

Das Konstrukt ist noch lange nicht fertig und in den Hinterzimmern werden Vergleiche mit dem Flughafenprojekt BER laut. So bleibt also doch noch ein wenig Zeit, einen Blick auf unsere bestehende Aus- und Weiterbildung zu werfen und, im Sinne eines modernen Bench-Marking, unsere berufliche Entwicklung und Perspektive mit denen anderer europäischer Länder zu vergleichen.

Die Idee dazu entstand, als ich unseren Assistenzärzten über eine mehrstündige sehr kontroverse Gremiendiskussion berichtete, wobei mir der österreichische Kollege schließlich entgegnete: „Ich versteh die Deutschen nicht. Ich bin extra aus Wien herkommn weil Ihr eine guade Weiterbildung habt und man sich aussuchen kann wo man zum Arbeiten anfangt.

Immerhin acht Kolleginnen und Kollegen bieten einen kurzen Einblick in die chirurgische Aus- und Weiterbildung ihres Landes. Dabei haben wir, um bessere Vergleichbarkeit zu schaffen, alle gebeten, zu sechs Fragen Stellung zu beziehen:

  1. Gibt es Zugangsbeschränkungen für das Medizinstudium? Wenn ja, welche
  2. Existieren Studiengebühren?
  3. Besteht freie Fach- und Ortswahl?
  4. Existiert eine curriculäre Weiterbildungsstruktur?
  5. Wie lange dauert die Weiterbildung zum Facharzt?
  6. Wie werden Ärzte in WB vergütet?

 

1.Das Medizinstudium ist in Deutschland zulassungsbeschränkt. Studienplätze werden durch die Stiftung für Hochschulzulassung (ehemals ZVS) vergeben, bei der sich Abiturienten bewerben müssen. Vierzig Prozent der Plätze werden direkt vergeben, wovon die Hälfte nach Abiturnote (NC), die andere nach Wartezeit verteilt werden. Die restlichen 60% der Studienplätze werden von den Hochschulen in einem Auswahlverfahren (AdH) vergeben. Einige Universitäten haben den sog. Medizinertest (jetzt TMS) im AdH wieder eingeführt: mit diesem kostenpflichtigen Test (TMS: Test für medizinische Studiengänge) werden Konzentrationsvermögen, Textverständnis, räumliches Denken und Auffassungsgabe geprüft. Der Test, der 1997 abgeschafft und erst 2006 wieder eingeführt wurde, sagt laut Statistik in Zusammenschau mit der Abiturnote den Studienerfolg am besten vorher.

2. Die deutsche Allgemeinheit kostet ein Medizinstudium etwa 15.000 Euro/Semester. Seit 2015 existieren jedoch keine allgemeinen Studiengebühren mehr. Semestergebühren werden in Höhe von 50 Euro erhoben. Langzeitstudenten zahlen mehr (bis 500 Euro). Der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPwskR), den auch Deutschland unterzeichnet hat, fordert, dass „der Hochschulunterricht auf jede geeignete Weise, insbesondere durch allmähliche Einführung der Unentgeltlichkeit, jedermann gleichermaßen entsprechend seinen Fähigkeiten zugänglich gemacht werden muss“ (Art. 13.2.c). Damit soll das kulturelle Menschenrecht auf Bildung gewährleistet werden.

3. Es existiert weder eine Zulassungsbeschränkung für ein Fach, noch eine Beschränkung in der Wahl des Ortes, wo die Weiterbildung stattfinden soll. Der approbierte Arzt muss sich an einer sog. Weiterbildungsstätte initiativ bewerben, um dort seine WB in dem gewünschten Fach aufzunehmen. Nur die von der jeweiligen Landesärztekammer für die Weiterbildung zugelassenen Stätten bzw. Personen dürfen Ärzte weiterbilden. Die Weiterbildungsbefugnis ist an bestimmte Vorgaben (Strukturen und Prozesse, Inhalte) geknüpft und kann zeitlich begrenzt sein. Die Aufnahme an der beworbenen Stätte für das beworbene Fach hängt dann ausschließlich von sog. marktwirtschaftlichen Aspekten ab (Eignung des Bewerbers, freie Weiterbildungsstelle etc.). Problematisch ist die europaweite einzigartige sektorale Trennung von Niederlassung und Klinik eine bürokratische Hürde, die m. E. nach vollständig aufgebrochen werden sollte.

4. Die Weiterbildung wird durch die Ärztekammern der Bundesländer föderal geregelt und überwacht. Es existiert eine Weiterbildungsordnung, in der Zeiten, theoretische Kenntnisse und praktische Fertigkeiten beschrieben sind. Diese müssen erworben, durchgehend dokumentiert und vom Weiterbilder bestätigt werden. Dieser muss der Ärztekammer in einem Zeugnis die sog. Facharztreife bescheinigen, ohne die eine Zulassung zur Facharztprüfung nicht möglich ist. Bei Erfüllung der o, g. Vorgaben inklusive einer Mindestweiterbildungszeit von aktuell sechs Jahren (Chirurgie) wird eine mündliche Prüfung durch die Landesärztekammer notwendig, um den Facharzttitel zu erwerben.

5. In Deutschland sind derzeit eine Mindestweiterbildungszeit von 72 Monaten (sechs Jahre) vorgesehen, die sich in einen Basisabschnitt (sog. Common Trunk) und eine aufbauende Weiterbildung von 48 Monaten gliedert. Dies gilt für alle acht Säulen des Gebiets Chirurgie (Allgemeinchirurgie, Viszeralchirurgie, Thoraxchirurgie, Plastische und ästhetische Chirurgie, Orthopädie und Unfallchirurgie, Kinderchirurgie, Gefäßchirurgie, Herzchirurgie).

6. Seit 1996 werden Ärzte in Weiterbildung vollwertig vergütet. Der Tarifvertrag für angestellte Ärzte weist vier Entgeltstufen auf (Arzt, Facharzt, Oberarzt, leitender Oberarzt) und ist nach Jahren gestaffelt. Chefärzte sind ausgenommen, da sie als sog. Selbständige außertariflich vergütet werden. Aktuell verdient ein Arzt im ersten Jahr seiner ärztlichen Tätigkeit ca. 4.480 Euro monatlich Brutto. Zu berücksichtigen ist, dass die gesetzlich geregelte Höchstarbeitszeit von derzeit 48h/Woche durch eine sog. Opt-Out-Regelung ausgehebelt und mindestens kurzfristig auf 60 Wochenstunden und mehr erhöht werden kann.


  1. Voraussetzung zum Studium ist die Hochschulreife: Matura (gleichzusetzen mit dem Abitur in Deutschland). Seit 2009 hat die Schweiz ein Bachelor-Master Programm für Medizin etabliert. Die Vergabe der Studienplätze erfolgt durch swissuniversities (Rektorenkonferenz der schweizerischen Hochschulen). Man meldet sich für das Bachelorstudium (Vorklinik) mit seiner Wunsch-Universität an. Bei Kapazitätsproblemen gibt es einen Medizinertest oder die Universitäten nehmen die Bewerber auf und entscheiden im ersten Jahr durch verschärfte Testverfahren, wer weiter studieren darf. Die Fortführung des Studiums zum Master ist nach erfolgreichem Bachelorabschluss garantiert, allerdings unter Umständen mit einem Universitätswechsel verbunden. Die elf Universitäten haben Masterprogramme mit teilweise inhaltlich anderen Schwerpunkten, weswegen es sinnvoll ist, sich vor Beginn des Studiums die Wahl der Universität dahingehend gut zu überlegen.

2. Die Kosten werden teilweise von den Studenten getragen. Die Studiengebühr wird von der jeweiligen Universität festgelegt und liegt zwischen 500 bis 4.000 CHF pro Semester, im Schnitt aber bei 1.000-2.000 CHF. Ausländische Studenten zahlen eine zusätzliche Abgabe von ca. 1.800 CHF.

3. Ja. Der Studienabgänger bewirbt sich initiativ an Stellen, die die Weiterbildungsberechtigung haben. Eine staatliche Regulierung existiert nicht. Es existiert ein Online-Register mit den zugelassenen Weiterbildungsstätten.

4. Ja. Das Thema Weiterbildung wird geregelt durch ein autonomes Organ der FMH (Foederatio Medicorum Helveticorum), nämlich das Schweizerische Institut für ärztliche Weiter- und Fortbildung (SIWF), das dafür zuständig ist, Weiterbildungstitel für Fachärztinnen und -ärzte zu erteilen, die Weiterbildungs- und Fortbildungsordnungen zu erlassen sowie Kliniken und Arztpraxen als anerkannte Weiterbildungsstätten zu zertifizieren. Neben der Länge der Weiterbildungszeit sind auch die Weiterbildungsstätten vorgegeben: man muss eine bestimmte Anzahl an Jahren in einem Spital der Kategorie A oder U und B gewesen sein, welche in ihrer Versorgungsleistung variieren (Unispital, mittelgroßes und kleines Spital). Vorgegeben sind auch bestimmte Fortbildungen, Kongressteilnahmen sowie Forschungs- und Vortragsarbeiten, die man nachweisen muss.

5. In der Regel mindestens sechs Jahre. Bei den Chirurgen davon die ersten 2 Jahre Basischirurgie, danach das Basisexamen und erst nach bestandenem Basisexamen ist die Fortführung der Weiterbildung über die nächsten vier Jahre im speziellen Teil der Chirurgie möglich. Auch wissenschaftliche Tätigkeit wird bis zu einem Umfang von zwei Jahren für die Facharztweiterbildungszeit anerkannt. Die Facharztprüfung wird organisiert und abgenommen durch die jeweiligen Fachgesellschaften. Sie ist zweiteilig: schriftlich und mündlich.

6. Assistenzärzte werden vollwertig vergütet. Der Lohn ist von Kanton zu Kanton aber unterschiedlich. Die Vergütung steigt mit der Anzahl der bereits geleisteten Arbeitsjahre. Auch als Altassistent (ohne Facharzttitel) kann man bereits bei guten Leistungen Oberarzt werden und dann entsprechend ein Oberarzt-Gehalt beziehen.

1. Medizinstudienplätze in England sind zulassungsbeschränkt. Schottland zum Beispiel verfügt lediglich über fünf medizinische Hochschulen mit insgesamt 800 Studienplätzen für Medizin. Daher bedarf es neben ausgezeichneten Noten in naturwissenschaftlichen Fächern wie z. B. Mathematik und Chemie eines Lebenslaufes mit zusätzlichem Nachweis über besonderes soziales Engagement oder Ausnahmekompetenzen im Bereich Musik, Kultur oder Sport. Des Weiteren werden Auswahlgespräche durchgeführt sowie eine schriftliche Begründung des persönlichen Wunsches nach einem Medizinstudium verlangt.

2. Während das Studium in Schottland gebührenfrei ist, kostet es in England ungefähr 9.000 Pfund pro Jahr (>10.000 Euro/Jahr). Bizarrer Weise haben ausländische Studenten aus der EU (und nur diese) bis zum Brexit auch in England keine Gebühren zahlen müssen. Das führte dazu, dass überwiegend Studenten aus dem Nicht-EU-Ausland aufgenommen wurden, um dem System der Universitäten mehr Geld zuzuführen. Zu guter Letzt musste man jedoch feststellen, dass diese nach Abschluss ihres Studiums mit einer guten Ausbildung das Land Richtung Heimat verließen und das Gesundheitswesen in Großbritannien davon nicht profitierte. Politisch, wirtschaftlich und sozial ein Problem, zumal der Ärztemangel in der Fläche nur durch teure stunden- oder tageweise aushelfende Ärzte ausgeglichen werden kann.

3. Nach Abschluss des Medizinstudium muss der „Junior Doktor” zwei Jahre einer Basisweiterbildung („General Training“) in einem Krankenhaus nachweisen, bevor er im General Medical Council (entspricht unserer Ärztekammer) registriert werden kann. Innerhalb dieser zwei Jahre muss der Arzt sich für eine Fachrichtung entscheiden, in der er dann ab dem dritten Jahr weitergebildet werden möchte. Es besteht freie Fachwahl. Mittlerweile wurde das Bewerbungsverfahren bürokratisiert und zentralisiert: Dutzende von Bewerber auf eine Stelle werden interviewt. Im Anschluss daran erfolgt eine Ranglistenzuteilung über das gesamte Land. Wer mit seiner Platzzuteilung unzufrieden ist, kann versuchen zu tauschen. Jede Weiterbildungsstätte wird evaluiert und reguliert durch Personen, die sehr eng mit der lokal ansässigen Hochschule zusammen arbeiten, welche wiederum durch Gott und das GMC reguliert werden. Im Rahmen dieses Weiterbildungscontrolling können Weiterbildungsbefugnisse, wenn z. B. entsprechende Standards fehlen, auch entzogen werden.

4. Die Weiterbildung verläuft sehr strukturiert. Die Vorgaben werden durch das JCST (Joint Committee on Surgical Training) gemacht. Sie sind zusammengefasst auf 339 Seiten im sog. ISCP (Intercollegiate Surgical Curriculum Program). Die dort beschriebenen zu erwerbenden Kenntnisse und Fähigkeiten sind umfangreich. Die Programme werden regelmäßig überarbeitet und sind unter www.iscp.ac.uk/ einzusehen. Nach Abschluss des Programms erfolgt eine Prüfung für das CCT (Certificate of Completion of Training), in welchem alle Fähigkeiten, Kenntnisse und Fertigkeiten für das jeweilige Fach geprüft werden.

5. Um sich zu spezialisieren bedarf es nach Beendigung der zweijährigen Basis einer Weiterbildungszeit von etwa zehn Jahren. Wer in die Forschung gehen will oder Allgemeinarzt werden möchte, der braucht in der Regel noch länger. Die Zeit, die ein angehender Chirurg im OP-Saal verbringen muss, schätze ich mit 48.000 Stunden ein. Aufgrund der Anpassung der Arbeitszeiten an EU-Legislative ist das ein großes Problem, da damit auch die eigentlich notwendigen OP-Stunden reduziert wurden und kein ausreichendes Training stattfinden kann.

6. Das Gehalt eines Junior Doktor ist durch das Gesundheitsministerium landesweit reguliert, unabhängig ob man in z. B. Birmingham schuftet oder auf den Oakney Inseln drei Patienten pro Tag behandelt. Das Gehalt erhöht sich dann jährlich. Es existieren keine Unterschiede zwischen bestimmten Kompetenzleveln: das Grundgehalt von Oberärzten in der Chirurgie ist das Gleiche wie das von Oberärzten in der Dermatologie. Lediglich die Variable Zahl der Bereitschaftsdienste führt zu einer Differenz des Endgehaltes.

  1. Gibt es Zugangsbeschränkungen für das Medizinstudium? Wenn ja, welche
  2. Existieren Studiengebühren?
  3. Besteht freie Fach- und Ortswahl?
  4. Existiert eine curriculäre Weiterbildungsstruktur?
  5. Wie lange dauert die Weiterbildung zum Facharzt?
  6. Wie werden Ärzte in WB vergütet?

1. Medizinstudienplätze sind auch in Polen zulassungsbeschränkt. Im Zeitraum zwischen den akademischen Jahren 2006/07 und 2011/12 wuchs die jährliche Zahl der Absolventen um 25 Prozent auf 2.853. Für das akademische Jahr 2014/15 wurden 3.194 Plätze für das Direktstudium freigegeben. Zugangsvoraussetzung ist das Abitur (Matura). Es existiert ein Numerus clausus, der sich an der Nachfrage orientiert. Wer diesen NC erreicht erhält eine Zulassung zu einem schriftlichen Test, dessen Ergebnis dann ausschlaggebend für die Zulassung zum Studium ist. Wer als Deutscher in Polen studieren will, kann dies an einigen Universitäten gegen Zahlung einer jährlichen Gebühr (5.000 bis 10.000 Euro) tun. Dabei wird er beim Durchlaufen der bürokratischen Hürden durch eine Agentur unterstützt. Voraussetzung ist ein Abitur, das Bestehen der Aufnahmeprüfung der jeweiligen Universität und das Zahlen der Gebühr. Das Studium erfolgt in englischer Sprache. Das Studium endet nicht wie in Deutschland mit einem Staatsexamen. Das Studium wird mit einem M.D. beendet und wird in Deutschland als Approbation anerkannt. Es existieren auch Kooperationen von Universitäten (Stettin) mit deutschen Klinikgruppen (z. B. Asklepios). An diesen Universitäten wird teilweise auch auf Deutsch unterrichtet. Durch Abschaffung des einjährigen Praktikums nach dem Examen haben die Ärzte einen schnelleren Zugang zum Gesundheitswesen, sodass die Absolventen direkt kurativ tätig sein können und die Anzahl der Ärzte zügiger ansteigen kann. Die Erfahrungen, die während des Praktikums gesammelt werden sollten, werden in das sechste Studienjahr integriert.

2. Die Studiengebühren bzw. Universitätsgebühren trägt der Studierende privat. Eine staatliche Unterstützung existiert nicht.

3. Nach Beendigung des Studiums besteht keine weitere Regulierung, welches Fach gewählt wird. Auch die Ortswahl der Klinik ist frei. Vergleicht man die Zahlen der Studienabsolventen mit den Zahlen der Neumeldungen bei den Ärztekammern, fällt eine große Differenz auf. Es melden sich viel weniger Ärzte bei den Kammern neu an, als Ärzte von den Universitäten abgehen. Das bedeutet, dass die Absolventen entweder nicht als Arzt tätig sind oder direkt nach dem Studium ins Ausland gehen. Für das Gesundheitssystem bedeuten diese Zahlen einen Verlust an Ärzten in der Patientenversorgung. Diese Differenz kann als Indikator für die Abwanderungen aus Polen gesehen werden.

4. Die Weiterbildungsstellen (Krankenhäuser) werden evaluiert und müssen bestimmte Strukturvorgaben erfüllen, um an der Weiterbildung teilnehmen zu können. Es gibt drei Möglichkeiten die Weiterbildung zu machen:

  1. staatlich finanzierte Weiterbildung mit sehr geringem Lohn,
  2. Arbeitsstelle direkt über das Krankenhaus, welches auch den Lohn bezahlt (Tarifrecht) oder
  3. Volontariat – umsonst.

Das Gesundheitssystem ist unterfinanziert und zum Teil unstrukturiert, sodass es an vielen Stellen zu einem Mangel kommt. Nach Angaben des Statistischen Amtes im Gesundheitswesen kommen in Polen auf 1.000 Einwohner zwei Ärzte. In Deutschland sind es vier auf 1.000 Einwohner. Um den Lebensunterhalt einer Familie zu erwirtschaften, arbeiten Ärzte oft an mehreren Stellen.

5. Die Weiterbildung zum Chirurgen dauert offiziell sechs Jahre.

6. Zum Gehalt: siehe Punkt 4

7. Zum Thema Arzt in Polen kann auch folgender LINK (Promotionsarbeit mit dem Titel „Die ärztliche und fachärztliche Ausbildung in Deutschland und Polen“ aus 2016) empfohlen werden: https://edoc.ub.uni-muenchen.de/19761/1/Kolodziej_Monika.pdf

1. Auch in Griechenland besteht eine Regelung zum Medizinstudium. Wer Humanmedizin studieren will benötigt eine 12-jährige Hochschulreife sprich Abitur (Apolytirion) und muss anschließend eine Prüfung absolvieren. Lediglich sieben Universitäten bzw. Medizinschulen bieten ein Humanmedizinstudium an, so dass ein großer Andrang auf die Studienplätze ist.

2. Für das Fach Medizin existiert ein Numerus clausus. Das Studium wird staatlich finanziert. Gebühren fallen nicht an. Sogar das Lehrmaterial ist kostenlos.

3. Nach Abschluss des Studiums kann der approbierte Arzt sich frei bewerben, denn eine Regulierung existiert nicht. Fach- und Ortswahl sind frei.

4. Weiterbilden dürfen allerdings nur zugelassene Stätten und Einrichtungen, die bestimmte Strukturen anbieten. An diesen Weiterbildungsstätten kann sich der Studienabgänger bewerben und kommt dann auf eine Warteliste, die nach und nach abgebaut wird. Es gilt, dass nicht der Beste und Fähigste, sondern der auf der Warteliste als nächster Registrierte den Platz erhält. Beliebte Weiterbildungsstätten sind also häufig auf Jahre blockiert.

5. Die Dauer der fachärztlichen Weiterbildung ist gesetzlich geregelt und endet mit einer schriftlichen und mündlichen Prüfung. Vorgegeben sind die europäisch geforderten 5.500 Stunden, die in der Regel in einem sechsjährigen Curriculum zu absolvieren sind.

6. Die Bezahlung der angestellten Ärzte in Weiterbildung erfolgt nach Tarif. Ärzte in Weiterbildung werden also voll vergütet, allerdings sind die Löhne in Griechenland gering und nicht mit denen in Deutschland vergleichbar. Einige Chefärzte verdienen nur wenig mehr als Assistenzärzte. Im Zuge der Weltwirtschaftskrise, die Griechenland stark getroffen hat, sind Stellen in Krankenhäusern gestrichen und abgebaut worden, sodass aktuell ca. 37 % der jungen Ärzte arbeitslos gemeldet sind. Die Emigration griechischer Ärzte nach Zentral- und Nordeuropa hat sich in den letzten Jahren verfünffacht.

1. Auch hier gilt: Wer Medizin studieren will, muss die Hochschulreife besitzen. Da aber das Medizinstudium sehr beliebt ist und der Andrang entsprechend höher als die Zahl der universitären Plätze, wurde ein sog. Numerus fixus eingeführt, der die Funktion eines NC erfüllt. Je nach Abiturnote werden die Abiturienten in verschiedene Gruppen (A-E) eingeteilt. Wer in die Gruppe A kommt, erhält automatisch einen Platz. Alle anderen müssen unterschiedlich lange warten. Wer aus Deutschland in den Niederlanden studieren will, muss drei Naturwissenschaften im Abitur nachweisen und kommt dann automatisch in die Gruppe C.

2. Das Studium ist gebührenpflichtig. Derzeit beträgt die Gebühr 1.951 Euro im Jahr. Die Studiengebühren werden direkt an die Hochschulen gezahlt und dienen der Qualität der Bildung. So werden sie für Lehrmaterialien, Einzel- und Gruppenarbeitsplätze oder beispielsweise für Gast-Vorträge genutzt. Auf das Jahr verrechnet, zahlt jeder Student 163 Euro Studiengebühren pro Monat. Das Studium ist stärker verschult als in Deutschland. Das Konstrukt des „Problem basierten Lernens“ (PBL) wurde in Maastricht entwickelt und hat sich in den Niederlanden in allen Studiengängen durchgesetzt. Das Studium endet mit dem Master.

3. Da in Holland nicht jeder weitergebildet wird, der sein Medizinstudium abgeschlossen hat, unterscheidet man zwischen AGNIOs und AGIOs (Assistent Geneeskunde (Niet) In Opleiding): Ärzte ohne Weiterbildung und Ärzte in Weiterbildung. Fast alle holländischen Medizinstudenten arbeiten nach dem Studium ein bis zwei Jahre als AGNIOs („Assistenzarzt nicht in Weiterbildung“), bis sie einen Platz für die Facharztweiterbildung bekommen. Erst wenn sie erste Erfahrungen im Beruf gesammelt haben, können sie sich im weiteren Verlauf um eine Weiterbildungsstelle bewerben. Für den chirurgischen Fachbereich ist diese Bewerbungsprozedur landesweit streng geregelt. Die Auswahl erfolgt nur zweimal im Jahr, und die Bewerber dürfen sich jeweils bei maximal zwei der insgesamt acht regionalen Weiterbildungskommissionen (Regionale Opleidings Commissies (ROC’s)) gleichzeitig bewerben. Eine erfolgreiche Bewerbung wird zudem durch die Vielzahl von Bewerbern auf eine deutlich geringere Zahl an Weiterbildungsstellen erschwert. Die AGIOS-Stellen sind somit das Nadelöhr der niederländischen Facharztausbildung. Bewerben kann man sich nur an den medizinischen Fakultäten, da die Facharztweiterbildung immer einer solchen angeschlossen ist. Die Weiterbildung findet im Rahmen an Universitäten angegliederter strukturierter Programme statt, die durch das Gesundheitsministerium finanziert werden. Die Qualifizierung ist das primäre Ziel der Weiterbildung und nicht die Arbeitsleistung der Weiterbildungsassistenten. Ein Vertrag ist dann auch immer für die gesamte Weiterbildungszeit und komplett „durchgeplant“ mit einer entsprechenden Zeit an der Uniklinik und an verschiedenen kleineren Häusern.

4. Die curriculären Strukturen in der Weiterbildung sind auch in Holland gegeben. Die Universitäten sind dafür zuständig und verantwortlich. Es gibt eine Qualitätssicherung und der Huisartsen en Verpleeghuisartsen Registratie Commissie (HVRC) hat die Aufsicht darüber. Weiterbilder müssen fünf Jahre Berufserfahrung haben und eine Liste von 120 Kriterien erfüllen, bevor sie weiterbilden dürfen. Zusätzlich geben die Weiterbildungsassistenten Feedback an die Weiterbilder über ihre Leistung.

5. Die Dauer der Weiterbildung im Fach Chirurgie beträgt zwei bis vier Jahre. Eine Niederlassung als Facharzt für Chirurgie ist in den Niederlanden nicht möglich. In der Niederlassung arbeiten ausschließlich Allgemeinmediziner, die Patienten spezifisch in die Krankenhäuser zuweisen. Wer promovieren möchte muss eine drei- bis vierjährige wissenschaftliche Tätigkeit an einer Universitätsklinik ohne klinische Mitarbeit vorweisen.

6. Die Hauptformen der Beschäftigung innerhalb einer niederländischen Klinik sind das hierzulande bekannte Angestelltenverhältnis gegenüber einem Klinikträger sowie die Teilhaberschaft in einer sogenannten Maatschap. Maatschap heißt „Gemeinschaft/Gesellschaft“. Eine Gemeinschaft gleichberechtigter Fachärzte, z. B. eine Gruppe von Chirurgen, räumlich angesiedelt in einem Krankenhaus, die einen gemeinschaftlichen Vertrag mit dem Krankenhaus schließen. Darüber hinaus kann die Maatschap selbst Fachärzte im Angestelltenverhältnis beschäftigten. In Universitätskliniken wird ausschließlich die Beschäftigungsform des Angestelltenverhältnisses angeboten.

  1. Gibt es Zugangsbeschränkungen für das Medizinstudium? Wenn ja, welche
  2. Existieren Studiengebühren?
  3. Besteht freie Fach- und Ortswahl?
  4. Existiert eine curriculäre Weiterbildungsstruktur?
  5. Wie lange dauert die Weiterbildung zum Facharzt?
  6. Wie werden Ärzte in WB vergütet?

1. Voraussetzung zum Studium ist die Hochschulreife: Matura (gleichzusetzen mit dem Abitur in Deutschland). Seit 2013 gibt es einen Studierfähigkeitstest den MedAT. Dieser gilt für die österreichischen Universitäten in Wien, Innsbruck, Graz und Linz. Im Rahmen eines Quotensystems werden 75 % der Studienplätze für Personen mit einer österreichischen Matura oder gleichstellten Staatsangehörigen (Liechtensteiner, Luxemburger und Südtiroler), 20 % für Personen mit einem Reifezeugnis innerhalb der EU und 5 % für solche außerhalb der EU reserviert. Eine Ausnahme stellt die private Paracelsus Universität in Salzburg mit einem eigenen dreistufigen Aufnahmeverfahren dar. Das Diplomstudium Humanmedizin dauert 12 Semester und hat das Ziel, die AbsolventInnen zu handlungskompetenten DoktorInnen der gesamten Medizin (Dr. med.univ.) auszubilden.

2. An staatlichen Hochschulen werden keine allgemeinen Studiengebühren erhoben. Österreicher, Angehörige anderer EU-Mitgliedsstaaten und Schweizer, die die vorgesehene Studienzeit um mehr als zwei Semester überschreiten, zahlen einen Studienbeitrag. Dieser Beitrag beträgt derzeit (seit 2013) pro Semester 363,63 Euro.

3.Es gibt keine Zugangsbeschränkung auf das Fach oder den Ort wo die Ausbildung stattfinden soll. Der Studienabgänger bewirbt sich initiativ an Stellen, die als Weiterbildungsstätten bei der Österreichischen Ärztekammer anerkannt sind. Die Anerkennung ist auf sieben Jahre befristet.

4. Die Weiterbildung wird in der Ärztinnen-/Ärzte-Ausbildungsordnung 2015 – ÄAO 2015 des Bundesministeriums für Gesundheit geregelt. Das alte „Turnus System“ (vorgeschaltete dreijährige Ausbildung zum Allgemeinmediziner), mit den damit häufig verbunden Wartezeiten und Arbeitsstättenwechsel, wurde mit der ÄAO 2015 am 01. Juni 2015 in seiner ursprünglichen Form abgeschafft. Ersetzt wurde es durch eine neun Monate dauernde Basisausbildung zum Erwerb einer Basiskompetenz in chirurgischen und konservativen Fächern in der Ausbildung zum Allgemeinmediziner und zum Facharzt aller Sonderfächer, ausgenommen dem Fach Anatomie.

5. Die Ausbildung zur Fachärztin/zum Facharzt eines Sonderfaches wird nach abgeschlossener neunmonatiger Basisausbildung in Sonderfach-Grundausbildung und ­Sonderfach-Schwerpunktausbildung aufgeteilt. Die Gesamtausbildung zur Fachärztin/zum Facharzt beträgt zumindest 72 Monate. Abgeschlossen wird die Ausbildung mit der Facharztprüfung.

6. Es gibt kein einheitliches Gehaltssystem ähnlich dem Tarifsystem in Deutschland. Für jedes Bundesland gelten gesonderte Regelungen für die Berechnung des monatlichen Entgeltes. Als Beispiel verdient ein Vorarlberger Turnusarzt (Arzt in Weiterbildung) im ersten Jahr ohne Nachtdienste etwa 3.100 Euro monatlich und liegt damit im Vergleich zum restlichen Land im oberen Drittel. Die Vergütung steigt mit den abgeleisteten Arbeitsjahren.

1. Zunächst gibt es neben der allgemeinen Hochschulreife keine Zugangsbeschränkungen. Das erste Jahr des Studiums (Première Année Commune des Études de Sante, PACES) findet gemeinsam mit Pharmazeuten, Zahnmedizinern und Geburtshelfern statt. Im ersten Jahr findet eine Siebungsklausur statt die nur ca. 20 % bestehen. Nach einem weiteren Jahr erreicht der Student den zweiten Studienabschnitt (Deuxième cycle d’études médicales, DCEM). Nach weiteren vier Jahren wird dieser Abschnitt, in dem der Student bereits viel Praxis sammelt, mit einer Prüfung (Examen Classant National, ECN) abgeschlossen.

2. In Frankreich gibt es keine Studiengebühren.

3. Nein. In Abhängigkeit der Prüfung nach dem zweiten Studienabschnitt (Examen Classant National, ECN) und nach Rangliste wählt der Student eine Uniklinik und eine Fachrichtung und beginnt dort den dritten Studienabschnitt, das Internat.

4. Das Internat enthält die Grundausbildung in der gewählten Fachrichtung und ist praktisch ausgerichtet. Am Ende der Ausbildung, nach dem erfolgreichen Abschluss des Internat, und nach geschriebener Doktorarbeit (Diplome d’Etudes Spécialisées, DES) erhält der Student den Abschluss Diplome d’Etat de Docteur en Médecine und ist zur eigenständigen Ausübung des Berufes in einem Fach berechtigt.

5. Die Facharztausbildung, das Internat, dauert drei Jahre für Allgemeinmedizin und vier bis fünf Jahre für andere Fachrichtungen.

6. Grundlage der Entlohnung französischer Krankenhausärzte in öffentlichen Einrichtungen ist ein Erlass des Ministeriums für Gesundheit und Sport. Das Gehaltssystem unterscheidet drei verschiedene Arztgruppen. Die erste Stufe bilden die sich in der Facharztausbildung befindlichen „Internes“. Das feste Gehalt setzt sich zusammen aus dem Fixum, sowie einem Zuschlag für besondere Verantwortung in den letzten beiden Jahren.

1. Voraussetzung für die Zulassung zum IMAT (zentraler Aufnahmetest) ist eine abgeschlossene Hochschulreife. Anhand der Punktezahl der Ergebnisse wird eine Rangliste gebildet. In Abhängigkeit von der Anzahl der Bewerber und der Anzahl der zur Verfügung stehenden Plätze schwankt die Wahrscheinlichkeit, einen Platz an einer Universität zu erhalten.

2. In Italien werden Studiengebühren erhoben. Diese werden entsprechend der Fachrichtung beziehungsweise der Fakultät sowie der finanziellen Leistungskraft der Familie des Studierenden eingestuft. Neben den Studiengebühren gibt es noch eine landesweit einheitliche Einschreibgebühr von 170 Euro und eventuell Zuschläge für Prüfungen oder andere Leistungen der Universität. Im Durchschnitt muss man mit Gebühren von 850 bis 1.000 Euro pro Studienjahr rechnen. Private Universitäten haben etwas höhere Gebühren als die staatlichen.

3. Nach einem kurzen dreimonatigen Turnus wird eine landesweite Reihungsprüfung absolviert. In Abhängigkeit der Reihung kann die Fachrichtung sowie die Weiterbildungstätte gewählt werden. Seit ca. drei Jahren werden neben den Universitätskliniken auch zugelassene Partnerkliniken als Ausbildungsstätten akzeptiert.

4. Die Ausbildung zum Facharzt (Specializzazione) richtet sich nach einer festgelegten Weitbildungsordnung. Jährlich muss eine Prüfung über die erworbenen Inhalte absolviert werden. Generell ist die italienische Facharztausbildung, insbesondere in den chirurgischen Fachrichtungen, deutlich theoretischer als z. B. in Deutschland ausgelegt.

5. Die Facharztausbildung (Specializzazione) dauert, abhängig von der Fachrichtung, zwischen vier und sechs Jahren.

6. Das Gehaltssystem ist einheitlich geregelt. Ein Weiterbildungsassistent (medico in formazione specialistica) verdient über die gesamte Ausbildung hinweg ca. 1.700 Euro netto.

Fazit

Der Vergleich der Aus- und Weiterbildung mit unseren Nachbarländern zeigt, dass offensichtlich auch dort definierte Zugangsbeschränkungen zum Hochschulstudium der Humanmedizin bestehen, da die Nachfrage auf Studienplätze größer ist als das Angebot. Ebenso existieren in allen dargestellten Ländern definierte Studiencurricula mit vergleichbaren Inhalten und Anforderungen sowie regulierte Strukturvorgaben für eine chirurgische Weiterbildung, die, wie hier dargestellt, mit mindestens sechs Jahren veranschlagt wird.

Während die Evaluation von Aus- und Weiterbildung besonders in Großbritannien, den Niederlanden und der Schweiz ausgeprägt ist, hat sie in Deutschland noch keine Tradition.

Allerdings: was nutzen Regelungen und Vorschriften, wenn sie nicht eingehalten werden?

Wenn die Finanzierung des Gesundheitswesen zu Strukturproblemen in den Krankenhäusern führt und gleichzeitig große länderspezifische Differenzen im Gehalt der Ärzte bestehen, führt dies unweigerlich zur Abwanderung von Ärzten in das Ausland. Davon besonders betroffen sind derzeit Polen und Griechenland.

Nach unserem Empfinden liegt Deutschland im oberen Mittelfeld, was die Qualität der Aus- und Weiterbildung angeht und sicherlich an der Spitze, was die Bezahlung der Ärzte in Weiterbildung betrifft.

Summa summarum bleibt ein wesentliches Manko für die Weiterbildung in Deutschland zu beklagen: die sektorale Trennung von Niederlassung und Klinik führt zur Trennung der Ärzteschaft, nicht nur medizinisch inhaltlich, sondern leider auch berufspolitisch. Vorrangigstes Ziel sollte es daher sein, diese Grenzen auch im Sinne einer ganzheitlichen Patientenversorgung aufzubrechen.

Seifert J. / Ackerl M. G. Chirurgische Aus- und Weiterbildung bei uns und unseren Nachbarn Passion Chirurgie. 2017 April, 7(04): Artikel 03_03.

Editorial: „Divide et impera“

Wir scheinen kleinteilig orientiert zu sein: aufgewachsen in einem Land mit föderalen Strukturen mit dem Vorteil basisnaher demokratischer Arbeit und den Nachteilen von z. B. ungleichen Bildungsstrukturen, mit Landesärztekammern, die, entgegen den Empfehlungen der Bundesärztekammer, inkompatible WBO schaffen, mit Fachgesellschaften und Berufsverbänden, die innerhalb der Gebiete der Weiterbildung keine einheitliche Auffassung zur Dauer der Weiterbildung generieren können, mit politisch implementierten allerhöchsten Qualitätsansprüchen, die dankbar aufgenommen zur Zergliederung, Subspezialisierung, Zertifizierung, Ab- und Ausgrenzung führen und vor allen Dingen eines bewirken: ein Auseinanderdriften eines großen Kollegiums, das in kleine Gruppen versprengt, wenig Einfluss und Wirkung erzielt. Ergebnis dieses Dilemma ist u.a. der Ruf nach personengebundenen Mindestmengen und einem eigenen Facharzt für Notfallmedizin.

Natürlich ist klar, dass der medizinisch technische und wissenschaftliche Fortschritt einen generalistisch agierenden Chirurgen fast unmöglich macht. Das aber ist nicht gemeint. Vielmehr bedarf es bei allem, was wir tun, eines übergeordneten politisch nachhaltigen Denkens, in dem wir uns, eventuell auf wenige, aber gemeinsame Werte und Ziele besinnen und diese nach außen geschlossen kommunizieren.

Dieser Anspruch wird im vorliegenden Heft aufgegriffen, das zur aktuellen Berufspolitik im Fach Orthopädie und Unfallchirurgie ausführlich informiert, Weiterbildungsaktivitäten spiegelt und einen Rundumblick in die europäischen Nachbarländer wirft, um deren Weiterbildung und Berufsstrukturen im Gebiet Chirurgie zu beleuchten. Der Artikel zum Thema Radiusfraktur zeigt im Fazit auf, dass wir trotz moderner Implantat-Entwicklung keine wesentlichen Fortschritte in der Behandlung gemacht haben und das konservative Therapieren nicht verlernen dürfen, womit wir wieder das o. g. Thema des Generalisten aufgerufen hätten.

Das Team der Redaktion, die Autoren und ich wünschen Ihnen ausreichend Muße zum Lesen und Erkenntnisgewinn,

Ihre Julia Seifert

Seifert J. Editorial „Divide et impera“. Passion Chirurgie. 2017 April; 7(04): Artikel 01. 

Editorial: Hygiene in der ambulanten Chirurgie

Liebe Leserinnen und Leser, liebe Mitglieder,

eine prägnante Übersicht für niedergelassene Chirurgen über die Notwendigkeit, Art, Umfang und Strukturierung von Hygiene hat man bisher vergeblich gesucht. In dieser Sonderausgabe „Hygiene in der ambulanten Chirurgie“ finden Sie eine solche Zusammenfassung, die ebenfalls über den damit verbundenen Arbeitsschutz in der Niederlassung und der ambulanten Chirurgie informiert und dabei das bestehende Wissen, das in vielen Publikationen verstreut dargestellt wird, bündelt und zusammenfasst.

Innerhalb der Artikel finden Sie integrierte Videos zu den einzelnen Themen. Lesen Sie die Sonderausgabe über unsere App BDC|Mobile und nutzen Sie so die Möglichkeit, die Videos innerhalb des eMagazins anzuschauen. Falls Sie BDC|Mobile noch nicht heruntergeladen haben, finden Sie hier eine Beschreibung dazu.

Die Übersichtsarbeit „Hygiene in der ambulanten Chirurgie“ von Wagner und Kevekordes baut auf den vorhandenen Empfehlungen der KRINKO, den Leitlinien der awmf, den TRBA 250 sowie dem IfSG auf, zitiert diese in angemessener Weise und bietet somit die bestmögliche Evidenz für ein immer noch heftig umstrittenes und viel diskutiertes Thema. Die hier dargestellten Anforderungen sind sogenannte Standards der Hygiene in der Praxis und der ambulanten Chirurgie, deren Überprüfung den Gesundheitsämtern obliegt.

Hygiene ist längst zu einem wesentlichen Qualitätsmerkmal geworden, an der mittel- und langfristig die Chirurgie in Deutschland gemessen werden soll.

Allen, die bisher vergeblich nach einer übersichtlichen Darstellung gesucht haben, wünsche ich jetzt viel Spaß und Erkenntnis beim Lesen.

Ihre
Prof. Dr. Julia Seifert

Laden Sie diese Ausgabe der Passion Chirurgie als eMagazin mit integrierten Videos herunter. Im BDC|Shop können Sie außerdem die DVD “Hygienemanagement in der ambulanten Chirurgie” mit weiteren Videobeiträgen erwerben.
Weiterführende Informationen
So funktioniert BDC|Mobile
Alle Artikel der Sonderausgabe "Hygiene in der ambulanten Chirurgie"
DVD "Hygiene-Management in der ambulanten Chirurgie" im BDC|Shop bestellen
Literatur

Editorial: Hygiene im chirurgischen Alltag – keine Kunst

Die Gefahr muss wirklich als sehr groß eingeschätzt werden, wenn schon die G7 Staaten sich mit dem Thema von Erregern und Resistenzen befassen wollen. Tatsächlich droht erneut eine Gesetzgebung, die das Thema präventiv aufgreifen will, denn unlängst wurde eine „Expertenkommission“ an den runden Tisch von Herrn Karl Lauterbach gebeten, um Statements zu den Themen Antibiotikaresistenzen und -therapie im ambulanten und stationären Sektor auszutauschen. Die Politik hat längst wahrgenommen, dass Mediziner und Infektiologen/Mikrobiologen an einem Strang ziehen, dass entsprechende Maßnahmenkataloge greifen und dass das Problem multiresistenter Erreger und „Krankenhausinfektionen“ von der Presse und Öffentlichkeit überbewertet und Deutschland trotz hoher Eingriffsquoten in der internationalen Surveillance nosokomialer Infektionen nur im mittleren Drittel steht. Aber „kein Grund zur Sorge“ ist nicht die richtige Haltung, wenn Dinge voran gebracht und optimiert werden sollen. Das ist einleuchtend. Daher haben wir erneut ein Heft mit dem Thema Hygiene und bakterielle Infektionen ausgestattet. Da jede(r) Kollege/in in der Niederlassung verpflichtet ist, einen HB-Arzt vorzuhalten, möchten wir Ihnen nochmals den BDC-Kurs zum Hygienebeauftragten Arzt (HBA) näher bringen, der seit diesem Jahr als E-Learning Kurs mit Präsenztagen nicht mehr nur in Berlin, sondern jetzt auch in Hannover angeboten wird. Darüber hinaus beleuchten wir die sogenannten Krankenhausinfektionen, deren Ursachen und Risiken sowie Präventionsmöglichkeiten. Und wer ART mit Kunst übersetzt, sollte auch lesen, was die Kommission in den letzten zwei Jahren getan hat…

Ich hoffe, die Thematik findet Ihr Interesse und verbleibe mit den besten Wünschen für ein gesundes und erfolgreiches neues Jahr!

Seifert J. Editorial: Hygiene im chirurgischen Alltag: keine Kunst. Passion Chirurgie. 2015 Dezember; 5(12): Artikel 01.

Nicht immer ist „ART“ Kunst

 

Ein Bericht aus drei Jahren Tätigkeit für die Kommission ART

Die Gründung der ART Kommission war eine Antwort des BMG auf eine immer weiter anschwellende Diskussion um einen „fachgerechten Gebrauch“ von Antiinfektiva, der als wesentliche Voraussetzung angesehen wurde, ihre Wirksamkeit zu erhalten und einer Entstehung und Weiterverbreitung von resistenten Krankheitserregern vorzubeugen. Denn längst betraf die Frage einer sachgerechten Therapie nicht mehr nur das einzelne Arzt-Patienten Verhältnis, sondern tangierte das öffentliche Interesse an einer Erhaltung und Verbesserung der Behandelbarkeit von Infektionen und septischen Erkrankungen. Zu diesem Zweck hat das BMG gemäß § 23 Absatz 2 IfSG – wie in der gemeinsamen Deutschen Antibiotika-Resistenzstrategie (DART) des Bundesministeriums für Gesundheit, des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung vorgesehen beim Robert Koch-Institut (RKI) die Kommission Antiinfektiva, Resistenz und Therapie (Kommission ART) errichtet.

Im Jahr 2011 erhielt ich eine Anfrage, ob ich mir vorstellen könne, als Mitglied bei der vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) in Gründung befindlichen ART-Kommission tätig zu werden. Meine langjährigen Erfahrungen in der Leitung einer septischen Station einer großen BG Klinik, meine Kenntnisse im Bereich Krankenhaushygiene, meine Aktivitäten im Arbeitskreis Krankenhaus- und Praxishygiene der AWMF sowie Publikationen auf dem Gebiet der Antibiotikatherapie waren mein Fundament, dass mich als Chirurgin und Unfallchirurgin qualifizierte, in einem politisch wirkenden Gremium mit unmittelbarer Aufhängung im Robert Koch-Institut Berlin zu agieren. Es dauerte dann „nur“ noch 14 Monate, in denen mit bürokratischer Gründlichkeit eine ausführliche Compliance Prüfung sämtlicher Mitglieder erfolgte, bis das Gremium sich schließlich erstmalig im nasskalten Januar 2013 zu seiner konstituierenden Sitzung in Berlin treffen konnte.

Die aktuell 16 Mitglieder werden vom BMG im Einklang mit den obersten Gesundheitsbehörden der Länder alle drei Jahre neu berufen. Neben den sogenannten berufenen Mitgliedern nehmen Vertreter des BMG, der obersten Landesgesundheitsbehörden, des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte, des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA), der AWMF und des RKI ohne Stimmrecht beratend an den Sitzungen teil.

Die berufenen Mitglieder sind im Einsatz von Antiinfektiva erfahrene und praktisch tätige Ärzte sowie Pharmazeuten und Mikrobiologen. Sie verfügen über besondere Kenntnisse auf den Gebieten der Diagnostik und Therapie von Infektionskrankheiten ihrer jeweiligen Fachgebiete sowie der pharmakologischen und epidemiologischen Bewertung. Die Mitgliedschaft in der Kommission ist ein persönliches Ehrenamt, das keine Vertretung zulässt. Als Mitglied ist man nur dem eigenen Gewissen verantwortlich und zur unparteiischen Erfüllung der Aufgaben verpflichtet.

In einer Geschäftsordnung wurden folgende Aufgaben für die Kommission ART formuliert:

1. Die Kommission Antiinfektiva, Resistenz und Therapie (Kommission ART), im Folgenden „Kommission“ genannt, beim Robert Koch-Institut (RKI) benennt in Empfehlungen die Standards für Diagnostik und antiinfektive Therapie, welche dem Stand der medizinischen Wissenschaft bei der Verhütung und Bekämpfung von Krankheitserregern mit potentieller Resistenzentwicklung entsprechen. Sie wirkt gegenüber Fachgesellschaften, anderen wissenschaftlichen Institutionen und Organen der Selbstverwaltung darauf hin, dass deren Empfehlungen und Leitlinien den Anforderungen nach Satz 1 entsprechen. Ergänzend kann die Kommission Empfehlungen zur praktischen Umsetzung der in Satz 1 genannten Standards geben und zu bestehenden Leitlinien Stellungnahmen abgeben.

2. Zur Erfüllung der Aufgaben nach Absatz 1 sichtet und bewertet die Kommission vorhandene Empfehlungen und Leitlinien der Fachgesellschaften, anderer wissenschaftlicher Institutionen und von Organen der Selbstverwaltung. Sie analysiert und bewertet Daten über die Veränderung des Erregerspektrums nach Art und Verbreitung, den medizinischen Einsatz von antiinfektiven Arzneimitteln (Verbrauch, Therapie und Indikationsstellungen) sowie erwünschte wie unerwünschte Effekte einschließlich Wirkungsveränderungen. Sie nimmt auf dieser Grundlage eine medizinisch-epidemiologische Nutzen-Risiko-Abwägung zwischen dem individuellen Interesse an einer wirksamen Behandlung und dem öffentlichen Interesse an einer Erhaltung der Wirksamkeit von Antiinfektiva vor und berücksichtigt Belange der praktischen Durchführung. Die Kommission berücksichtigt die gemäß § 92 Absatz 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V beschlossenen Richtlinien des Gemeinsamen Bundesauschusses.

3. Die Kommission nimmt ihre Aufgaben in engem Austausch mit der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), den Fachgesellschaften, anderen wissenschaftlichen Institutionen sowie Organen der Selbstverwaltung wahr. Sie kann die Erstellung von Empfehlungen und Leitlinien durch in Satz 1 genannte Einrichtungen anregen und diese beratend unterstützen.

4. Die Kommission versieht ihre Empfehlungen und Stellungnahmen mit einer wissenschaftlichen Begründung und legt sie durch Beschluss fest. Das RKI veröffentlicht die Empfehlungen der Kommission sowie die Fundstellen von ihr gemäß Absatz 3 Satz 2 unterstützter Empfehlungen und Leitlinien auf seinen Internetseiten.

5. Die Kommission macht ihr methodisches Vorgehen nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft bei der Erarbeitung ihrer Empfehlungen sowie der beratenden Unterstützung von Empfehlungen und Leitlinien von in Absatz 3 Satz 1 genannten Einrichtungen sowie Aufbau und Inhalt im Rahmen der Begründung ihrer Empfehlungen transparent. Die Empfehlungen werden von der Kommission unter Berücksichtigung aktueller infektionsepidemiologischer Auswertungen stetig weiterentwickelt.

6. Die Kommission soll geeignete Rahmenbedingungen wie auch Umsetzungshindernisse einer sachgerechten antiinfektiven Therapie thematisieren und dem BMG darüber ggf. mit praktischen Lösungsvorschlägen berichten. Über die Berichte fasst die Kommission Beschluss. Die Kommission berät darüber hinaus das BMG und die „Interministerielle Arbeitsgruppe Antibiotika-Resistenz“.

Der Arbeitsaufwand für die Kommission, die zweimal im Jahr tagt, ist hoch, da die Kommission Arbeitsgruppen mit Schwerpunktthemen gebildet hat, die zusätzlich mindestens zweimal im Jahr zusammen kamen und eine entsprechende Vor- und Nachbereitung nicht immer adäquate Unterstützung durch die zum Teil überlastete Geschäftsstelle des RKI fand.

Als den wahrscheinlich wesentlichsten Themenschwerpunkt sieht die Kommission ART die Notwendigkeit zur Entwicklung neuer und die Überarbeitung alter Leitlinien in der Infektionsmedizin an. Derzeit liegen 756 Leitlinien von 91 Fachgesellschaften vor, von denen sich immerhin 164 mit antiinfektiver Therapie und Prophylaxe befassen, von denen aber nur noch 113 Gültigkeit besitzen, da 51 abgelaufen sind. Allerdings entsprechen 41 % der gültigen Leitlinien lediglich einem S1 Niveau und nur 16,5 % sind qualitativ anspruchsvoll und evidenzbasierte S3 Leitlinien. Es existieren Leitlinien verschiedener Fachgesellschaften zu einem Thema mit zum Teil differierenden Handlungsempfehlungen. Im Rahmen einer Umfrage der AWMF und Kommission ART aus dem Jahre 2014 ergab sich, dass die befragten Fachgesellschaften den zeitlichen (92 %), finanziellen (82 %) und methodischen Aufwand (53 %) als wichtigste Hindernisse für die Erstellung von Leitlinien sehen. Während in den europäischen Nachbarländern Großbritannien und Niederlande sehr viel mehr staatliche Einflüsse die Erstellung von Leitlinien fordern, aber auch (finanziell und personell) fördern, beruht die Leitlinienerstellung und -Aktualisierung in Deutschland allein auf der Initiative der wissenschaftlichen Fachgesellschaften, die hierbei organisatorisch durch die AWMF unterstützt werden. Nach einer Umfrage der AWMF und Kommission ART wurden von Seiten der Fachgesellschaften finanzielle Unterstützung, eine bessere wissenschaftliche Anerkennung und eine Freistellung für Leitlinienarbeiten gefordert. Auf einer Punktwerteskala wurde die Erstellung von Leitlinien für die Versorgung von Patienten mit 7,6 (1 = äußerst geringe und 9 = äußerst hohe Bedeutung) Punkten eingeschätzt und ein Bedarf an mehr infektiologischen Leitlinien geäußert. Speziell hierfür hat die Kommission ART in Abstimmung mit AWMF eine Checkliste für Autoren entwickelt, in der infektiologisch relevante Aspekte aufgezeigt und ein optimales Verfahren in Bezug auf die Angaben zu Infektionsdiagnostik und Antibiotikatherapie vorgeschlagen werden. Speziell für das Gebiet Chirurgie wurde von Seiten der Kommission ART die Erstellung bzw. Überarbeitung und Aktualisierung folgender Leitlinien empfohlen:

  • akute Pankreatitis
  • chronische Pankreatitis
  • Cholangitis und sekundäre, tertiäre Peritonitis
  • Osteomyelitis
  • Prothesen assoziierte Infektionen
  • Spondylodiszitis

Neben der Leitlinienschwerpunktthematik hat die Kommission ART sich mit dem Thema der Verbreitung und Implementierung von infektiologischem Wissen und Erkenntnissen unter Ärzten beschäftigt und hierzu fachliche Stellungnahmen verfasst. Die Öffnung der in den allermeisten Landesärztekammern auf bestimmte Fachgruppen (Pädiater, Internisten und Neurologen) beschränkten Zusatzweiterbildung Infektiologie war und ist mir persönlich ein Anliegen gewesen. Die Diskussionen hierzu waren äußerst kontrovers und nicht immer frei vom Einfluss fachgesellschaftlicher „hoheitlicher“ Interessen. Dennoch ist es im Endeffekt gelungen, die Kommission zu überzeugen, sich hierzu mit einem eindeutigen Pro zu artikulieren und BMG sowie Bundesärztekammer entsprechende Empfehlungen zu geben. Denn „Wissen ist Macht“ und nur wenn wir Chirurgen uns auch entsprechend weiterbilden können, werden wir zukünftig auf dem Gebiet der septischen Chirurgie autark bleiben und mit entsprechender Expertise handeln können.

Die Arbeit in diesem Gremium, in dem der Frauenanteil erfreulicherweise sehr hoch ist, hat mir außerordentlich viel Spaß gemacht, neue Freundschaften erbracht und andere bestehende gefestigt sowie stets neues Wissen auf dem Gebiet der Infektionen, Antiinfektiva, Epidemiologie und Surveillance generiert. Besondere Anerkennung und großer Dank gilt der unermüdlichen Arbeit von Frau Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Marianne Abele-Horn, die mit großem Engagement die Kommission stets sachlich leitet.

Ich gebe den Staffelstab an Herrn Dr. Nikolai Spranger aus Berlin weiter, der auf Vorschlag der DGU und DGOU meine Nachfolge in der Kommission ART 2016 antreten wird und wünsche ihm viel Erfolg!

Seifert J. Nicht immer ist „ART“ Kunst. Passion Chirurgie. 2016 Januar, 6(01): Artikel 02_03.

Rezension: MRT des Bewegungsapparats

MRT des Bewegungsapparats
4. vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage 2014
744 S. , 1972 Abb. , gebunden
ISBN: 9783131036841
249,99 €
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Die vorliegende nunmehr vierte vollständig überarbeitete Auflage ist nicht nur ein umfangreicher und qualitativ hochwertiger Bildatlas, sondern gleichzeitig ein umfassendes Lehrbuch der MRT Bildgebung und Diagnostik für das muskuloskeletale System.

Die Einleitung umfasst auf 50 Seiten Grundlagen und wesentliche Neuerungen relevanter Magnetresonanztechniken wie z. B. MR-Neurografie und MR-Prothesensequenzen. Im Weiteren folgen die speziellen Kapitel nach anatomischen Regionen geordnet. Knochenmark, Tumore und Osteoporose stellen eigenständige Kapitel dar.

Die Kapitel weisen eine sachliche Einführung und wichtige Hinweise zur korrekten Lagerung des Patienten mit Hinweisen zu typischen Fehlern auf. Klassifikationen von Pathologien wurden aktualisiert und an den Umstand angepasst, dass heutzutage nicht die alleinige Feststellung einer Läsion, sondern ihre Spezifikation und Klassifikation erwartet wird. Daher wurden übersichtliche Tabellen und prägnante Schemazeichnungen ergänzt. Internetlinks wurden eingefügt, um dem Leser die Möglichkeit zu bieten, im Internet bestimmte Themen zu vertiefen. Sogenannte Klinik-Interviews mit Klinikern sollen in den jeweiligen Kapitelabschnitten zur klinischen Relevanz den Blick der Radiologen für Diskrepanzen schärfen.

Das Buch ist sowohl zur Vorbereitung auf die Prüfung „Zusatzbezeichnung MRT-fachgebunden“ zu empfehlen als auch hervorragend als Nachschlagewerk geeignet und gehört daher in jede Bibliothek moderner Orthopäden und Unfallchirurgen.

Seifert J. Rezension: MRT des Bewegungsapparats. Passion Chirurgie. 2015 November; 5(11): Artikel 03_06.

Editorial Einsatz- und Katastrophenmedizin

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Verehrte Leserinnen und Leser,

Wie gut kennen Sie den Katastrophenplan Ihrer Klinik? Wissen Sie, wann er zum letzten Mal aktualisiert wurde? Wo haben sich die Mitarbeiter zu treffen, wer ist für was konkret verantwortlich? Existiert ein Konzept für den Umgang mit Strahlenopfern, mit potentiell hochinfektiösen Patienten?

Könnten Sie sich als niedergelassener Chirurg vorstellen, regelmäßig in Dritte Welt Ländern Patienten zu beraten und zu operieren?

Noch vor einigen Jahren schien das denkbar größte Untergangsszenario ein Eigentor des geliebten Fußballvereins.

Mittlerweile vernehmen wir nahezu täglich humanitäre Krisen- und Kriegsmeldungen aus fernen Gebieten, in denen schon längst auch unsere Bundeswehr und ihr Sanitätsdienst aktiv beteiligt sind. Wir profitieren von einer globalisierten Welt und sind daher Teil derselben, folglich ein Land, das möglicherweise auch einmal Austragungsort politischer oder religiöser Terrorakte werden könnte.

Um jetzt und in Zukunft innerhalb der Welt- und westlichen Wertegemeinschaft gewappnet zu sein für diese verantwortungsvollen Aufgaben, bedarf es einer gezielten und strukturierten Motivation sowie Förderung des medizinischen Nachwuchses, mit einer auf die notwendigen umfangreichen chirurgischen Fertigkeiten optimal zugeschnittenen Weiter- und lebenslangen Fortbildung.

Was Ärzte motiviert und wie sie entsprechende Expertise erlangen, in Katastrophen, Krisen und Kriegen chirurgische Hilfe zu leisten, ist Thema dieses Heftes.

Ich wünsche Ihnen beim Lesen viel Spaß und Erkenntnis,

Ihre

Julia Seifert

Seifert J. Editorial Einsatz- und Katastrophenmedizin. Passion Chirurgie. 2015 Februar; 5(02): Artikel 01.