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Ein Bericht aus drei Jahren Tätigkeit für die Kommission ART

Die Gründung der ART Kommission war eine Antwort des BMG auf eine immer weiter anschwellende Diskussion um einen „fachgerechten Gebrauch“ von Antiinfektiva, der als wesentliche Voraussetzung angesehen wurde, ihre Wirksamkeit zu erhalten und einer Entstehung und Weiterverbreitung von resistenten Krankheitserregern vorzubeugen. Denn längst betraf die Frage einer sachgerechten Therapie nicht mehr nur das einzelne Arzt-Patienten Verhältnis, sondern tangierte das öffentliche Interesse an einer Erhaltung und Verbesserung der Behandelbarkeit von Infektionen und septischen Erkrankungen. Zu diesem Zweck hat das BMG gemäß § 23 Absatz 2 IfSG – wie in der gemeinsamen Deutschen Antibiotika-Resistenzstrategie (DART) des Bundesministeriums für Gesundheit, des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung vorgesehen beim Robert Koch-Institut (RKI) die Kommission Antiinfektiva, Resistenz und Therapie (Kommission ART) errichtet.

Im Jahr 2011 erhielt ich eine Anfrage, ob ich mir vorstellen könne, als Mitglied bei der vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) in Gründung befindlichen ART-Kommission tätig zu werden. Meine langjährigen Erfahrungen in der Leitung einer septischen Station einer großen BG Klinik, meine Kenntnisse im Bereich Krankenhaushygiene, meine Aktivitäten im Arbeitskreis Krankenhaus- und Praxishygiene der AWMF sowie Publikationen auf dem Gebiet der Antibiotikatherapie waren mein Fundament, dass mich als Chirurgin und Unfallchirurgin qualifizierte, in einem politisch wirkenden Gremium mit unmittelbarer Aufhängung im Robert Koch-Institut Berlin zu agieren. Es dauerte dann „nur“ noch 14 Monate, in denen mit bürokratischer Gründlichkeit eine ausführliche Compliance Prüfung sämtlicher Mitglieder erfolgte, bis das Gremium sich schließlich erstmalig im nasskalten Januar 2013 zu seiner konstituierenden Sitzung in Berlin treffen konnte.

Die aktuell 16 Mitglieder werden vom BMG im Einklang mit den obersten Gesundheitsbehörden der Länder alle drei Jahre neu berufen. Neben den sogenannten berufenen Mitgliedern nehmen Vertreter des BMG, der obersten Landesgesundheitsbehörden, des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte, des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA), der AWMF und des RKI ohne Stimmrecht beratend an den Sitzungen teil.

Die berufenen Mitglieder sind im Einsatz von Antiinfektiva erfahrene und praktisch tätige Ärzte sowie Pharmazeuten und Mikrobiologen. Sie verfügen über besondere Kenntnisse auf den Gebieten der Diagnostik und Therapie von Infektionskrankheiten ihrer jeweiligen Fachgebiete sowie der pharmakologischen und epidemiologischen Bewertung. Die Mitgliedschaft in der Kommission ist ein persönliches Ehrenamt, das keine Vertretung zulässt. Als Mitglied ist man nur dem eigenen Gewissen verantwortlich und zur unparteiischen Erfüllung der Aufgaben verpflichtet.

In einer Geschäftsordnung wurden folgende Aufgaben für die Kommission ART formuliert:

1. Die Kommission Antiinfektiva, Resistenz und Therapie (Kommission ART), im Folgenden „Kommission“ genannt, beim Robert Koch-Institut (RKI) benennt in Empfehlungen die Standards für Diagnostik und antiinfektive Therapie, welche dem Stand der medizinischen Wissenschaft bei der Verhütung und Bekämpfung von Krankheitserregern mit potentieller Resistenzentwicklung entsprechen. Sie wirkt gegenüber Fachgesellschaften, anderen wissenschaftlichen Institutionen und Organen der Selbstverwaltung darauf hin, dass deren Empfehlungen und Leitlinien den Anforderungen nach Satz 1 entsprechen. Ergänzend kann die Kommission Empfehlungen zur praktischen Umsetzung der in Satz 1 genannten Standards geben und zu bestehenden Leitlinien Stellungnahmen abgeben.

2. Zur Erfüllung der Aufgaben nach Absatz 1 sichtet und bewertet die Kommission vorhandene Empfehlungen und Leitlinien der Fachgesellschaften, anderer wissenschaftlicher Institutionen und von Organen der Selbstverwaltung. Sie analysiert und bewertet Daten über die Veränderung des Erregerspektrums nach Art und Verbreitung, den medizinischen Einsatz von antiinfektiven Arzneimitteln (Verbrauch, Therapie und Indikationsstellungen) sowie erwünschte wie unerwünschte Effekte einschließlich Wirkungsveränderungen. Sie nimmt auf dieser Grundlage eine medizinisch-epidemiologische Nutzen-Risiko-Abwägung zwischen dem individuellen Interesse an einer wirksamen Behandlung und dem öffentlichen Interesse an einer Erhaltung der Wirksamkeit von Antiinfektiva vor und berücksichtigt Belange der praktischen Durchführung. Die Kommission berücksichtigt die gemäß § 92 Absatz 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V beschlossenen Richtlinien des Gemeinsamen Bundesauschusses.

3. Die Kommission nimmt ihre Aufgaben in engem Austausch mit der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), den Fachgesellschaften, anderen wissenschaftlichen Institutionen sowie Organen der Selbstverwaltung wahr. Sie kann die Erstellung von Empfehlungen und Leitlinien durch in Satz 1 genannte Einrichtungen anregen und diese beratend unterstützen.

4. Die Kommission versieht ihre Empfehlungen und Stellungnahmen mit einer wissenschaftlichen Begründung und legt sie durch Beschluss fest. Das RKI veröffentlicht die Empfehlungen der Kommission sowie die Fundstellen von ihr gemäß Absatz 3 Satz 2 unterstützter Empfehlungen und Leitlinien auf seinen Internetseiten.

5. Die Kommission macht ihr methodisches Vorgehen nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft bei der Erarbeitung ihrer Empfehlungen sowie der beratenden Unterstützung von Empfehlungen und Leitlinien von in Absatz 3 Satz 1 genannten Einrichtungen sowie Aufbau und Inhalt im Rahmen der Begründung ihrer Empfehlungen transparent. Die Empfehlungen werden von der Kommission unter Berücksichtigung aktueller infektionsepidemiologischer Auswertungen stetig weiterentwickelt.

6. Die Kommission soll geeignete Rahmenbedingungen wie auch Umsetzungshindernisse einer sachgerechten antiinfektiven Therapie thematisieren und dem BMG darüber ggf. mit praktischen Lösungsvorschlägen berichten. Über die Berichte fasst die Kommission Beschluss. Die Kommission berät darüber hinaus das BMG und die „Interministerielle Arbeitsgruppe Antibiotika-Resistenz“.

Der Arbeitsaufwand für die Kommission, die zweimal im Jahr tagt, ist hoch, da die Kommission Arbeitsgruppen mit Schwerpunktthemen gebildet hat, die zusätzlich mindestens zweimal im Jahr zusammen kamen und eine entsprechende Vor- und Nachbereitung nicht immer adäquate Unterstützung durch die zum Teil überlastete Geschäftsstelle des RKI fand.

Als den wahrscheinlich wesentlichsten Themenschwerpunkt sieht die Kommission ART die Notwendigkeit zur Entwicklung neuer und die Überarbeitung alter Leitlinien in der Infektionsmedizin an. Derzeit liegen 756 Leitlinien von 91 Fachgesellschaften vor, von denen sich immerhin 164 mit antiinfektiver Therapie und Prophylaxe befassen, von denen aber nur noch 113 Gültigkeit besitzen, da 51 abgelaufen sind. Allerdings entsprechen 41 % der gültigen Leitlinien lediglich einem S1 Niveau und nur 16,5 % sind qualitativ anspruchsvoll und evidenzbasierte S3 Leitlinien. Es existieren Leitlinien verschiedener Fachgesellschaften zu einem Thema mit zum Teil differierenden Handlungsempfehlungen. Im Rahmen einer Umfrage der AWMF und Kommission ART aus dem Jahre 2014 ergab sich, dass die befragten Fachgesellschaften den zeitlichen (92 %), finanziellen (82 %) und methodischen Aufwand (53 %) als wichtigste Hindernisse für die Erstellung von Leitlinien sehen. Während in den europäischen Nachbarländern Großbritannien und Niederlande sehr viel mehr staatliche Einflüsse die Erstellung von Leitlinien fordern, aber auch (finanziell und personell) fördern, beruht die Leitlinienerstellung und -Aktualisierung in Deutschland allein auf der Initiative der wissenschaftlichen Fachgesellschaften, die hierbei organisatorisch durch die AWMF unterstützt werden. Nach einer Umfrage der AWMF und Kommission ART wurden von Seiten der Fachgesellschaften finanzielle Unterstützung, eine bessere wissenschaftliche Anerkennung und eine Freistellung für Leitlinienarbeiten gefordert. Auf einer Punktwerteskala wurde die Erstellung von Leitlinien für die Versorgung von Patienten mit 7,6 (1 = äußerst geringe und 9 = äußerst hohe Bedeutung) Punkten eingeschätzt und ein Bedarf an mehr infektiologischen Leitlinien geäußert. Speziell hierfür hat die Kommission ART in Abstimmung mit AWMF eine Checkliste für Autoren entwickelt, in der infektiologisch relevante Aspekte aufgezeigt und ein optimales Verfahren in Bezug auf die Angaben zu Infektionsdiagnostik und Antibiotikatherapie vorgeschlagen werden. Speziell für das Gebiet Chirurgie wurde von Seiten der Kommission ART die Erstellung bzw. Überarbeitung und Aktualisierung folgender Leitlinien empfohlen:

  • akute Pankreatitis
  • chronische Pankreatitis
  • Cholangitis und sekundäre, tertiäre Peritonitis
  • Osteomyelitis
  • Prothesen assoziierte Infektionen
  • Spondylodiszitis

Neben der Leitlinienschwerpunktthematik hat die Kommission ART sich mit dem Thema der Verbreitung und Implementierung von infektiologischem Wissen und Erkenntnissen unter Ärzten beschäftigt und hierzu fachliche Stellungnahmen verfasst. Die Öffnung der in den allermeisten Landesärztekammern auf bestimmte Fachgruppen (Pädiater, Internisten und Neurologen) beschränkten Zusatzweiterbildung Infektiologie war und ist mir persönlich ein Anliegen gewesen. Die Diskussionen hierzu waren äußerst kontrovers und nicht immer frei vom Einfluss fachgesellschaftlicher „hoheitlicher“ Interessen. Dennoch ist es im Endeffekt gelungen, die Kommission zu überzeugen, sich hierzu mit einem eindeutigen Pro zu artikulieren und BMG sowie Bundesärztekammer entsprechende Empfehlungen zu geben. Denn „Wissen ist Macht“ und nur wenn wir Chirurgen uns auch entsprechend weiterbilden können, werden wir zukünftig auf dem Gebiet der septischen Chirurgie autark bleiben und mit entsprechender Expertise handeln können.

Die Arbeit in diesem Gremium, in dem der Frauenanteil erfreulicherweise sehr hoch ist, hat mir außerordentlich viel Spaß gemacht, neue Freundschaften erbracht und andere bestehende gefestigt sowie stets neues Wissen auf dem Gebiet der Infektionen, Antiinfektiva, Epidemiologie und Surveillance generiert. Besondere Anerkennung und großer Dank gilt der unermüdlichen Arbeit von Frau Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Marianne Abele-Horn, die mit großem Engagement die Kommission stets sachlich leitet.

Ich gebe den Staffelstab an Herrn Dr. Nikolai Spranger aus Berlin weiter, der auf Vorschlag der DGU und DGOU meine Nachfolge in der Kommission ART 2016 antreten wird und wünsche ihm viel Erfolg!

Seifert J. Nicht immer ist „ART“ Kunst. Passion Chirurgie. 2016 Januar, 6(01): Artikel 02_03.

Autor des Artikels

Profilbild von Julia Seifert

Prof. Dr. med. Julia Seifert

Zuständigkeit Hygiene im BDCLeitende Oberärztin der Klinik für Unfallchirurgie und OrthopädieUnfallkrankenhaus BerlinWarenerstr. 712683Berlin kontaktieren

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