Alle Artikel von Prof. Dr. med. Hans-Peter Bruch

Der Patient als Wirtschaftsfaktor oder wie wir mit unserem Körper den Markt bedienen müssen

Schon Franziskus der Erste warnte davor, Gesundheit vom Allgemeingut zur Ware werden zu lassen. Eine Ware, deren Zuteilung den Gesetzen des Marktes unterworfen ist.

In vollem Gegensatz zum päpstlichen Gedanken der Nächstenliebe formuliert der Ökonom Prof. Heinz Lohmann seine Thesen. Er ist einer der führenden Köpfe unter den sogenannten Entscheidern im Medizinsystem. Markant, provokant, wissend und ökonomisch durchdacht beherrschen seine Kernsätze in großen Lettern die Plakate:

“Wer Medizin und Ökonomie zu Gegensätzen erklärt, stiehlt sich aus der Verantwortung.”

Oder:

“Entgegen allen Behauptungen stand der Patient bisher nicht im Zentrum des Behandlungsprozesses. Er war wegen der Intransparenz des Systems eher Objekt als Subjekt.”

Da muss die Frage erlaubt sein, welche Absichten hinter den Behauptungen stecken. Behauptungen, die so unwidersprochen von einem Mann aufgestellt werden, der ganz nebenbei die sogenannten Entscheider-Kongresse organisiert und mit seinen medienwirksamen Statements dominiert?

Schlussfolgerungen aus diesen Behauptungen

Wenn das Medizinsystem auf der reinen Ökonomie basiert und transparent ist, wird es für die Patienten den besten Erfolg erzielen. Gleichzeitig werden die Belastungen für die Beitrags- oder Steuerzahler am geringsten sein.

Die reine Lehre der Ökonomie aber, ruht auf einem Grundgesetz, das die Ökonomie bestimmt. Man muss einen der beiden Faktoren Aufwand bzw. Ertrag stabil halten, um den zweiten daran zu optimieren.

Der kranke Mensch muss demnach unter den ökonomischen Gesichtspunkten Aufwand und Ertrag gesehen werden, damit ihm die beste Form der Medizin zu Teil wird.

Was ist nun unter Aufwand und Ertrag zu verstehen?

Im ökonomischen Sinne versteht man unter Aufwand den Verbrauch oder die Nutzung von Gütern Dienstleistungen und Abgaben. Unter Ertrag den Erlös aus dem Verkauf betrieblicher Leistungen.

In die Medizin übersetzt bedeutet dies: Ein Arzt verhält sich dann richtig, wenn er nur Behandlungen durchführt, bei denen Aufwand und Ertrag in einem so ausgewogenen Verhältnis stehen, dass die Kosten, aber auch der Overhead einer Klinik oder Praxis, jederzeit gedeckt sind. Wenn jedem Leistungsschritt des “Gesundheitsanbieters” dann auch noch ein administrativer Akt unterlegt wird, entsteht vollkommene Transparenz. Der Patient befindet sich nach Lohmann im besten aller denkbaren Gesundheitssysteme. Und die Gesundheitsökonomie kann, wie man unschwer erkennt, ohne jedes medizinische Wissen betrieben werden.

Muss man also nur noch die “unethisch denkenden Ärzte” bekehren, um Unwirtschaftlichkeit zu beseitigen? Oder ist die Sachlage doch etwas komplizierter?

In Deutschland ist Gesundheit ein Gut, das jedem Menschen, unabhängig von seiner Leistung, zusteht. Die Gesundheit besitzt damit Eigenschaften von privaten und öffentlichen Gütern. Artikel zwei, Satz zwei des Grundgesetzes legt eindeutig fest, dass jeder das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit hat. Man darf getrost daraus ableiten, dass die Bedürfnisse von kranken Menschen Vorrang vor den normalen Bedürfnissen der Gesellschaft haben.

Die Begriffe „Gesundheit“ und „Krankheit“ sind in ihren Grenzen jedoch durchaus fließend und entsprechend den gesellschaftlichen Wertvorstellungen in stetem Wandel begriffen.

Beobachtet man nun die Bezahlsysteme auf dem Medizinmarkt, reagieren sie in der Regel viel zu träge auf Veränderungen. Sie setzen häufig gänzlich falsche ökonomische Leistungsanreize. Sie vergüten Leistungen unterschiedlicher Komplexität in logisch nicht nachvollziehbarer Weise. Sie begünstigen nicht selten in großer Zahl ausgeführte einfache Leistungen. Und sie sind in erheblichem Maße der Einflussnahme durch Interessengruppen unterworfen.

In einem ökonomisch durchorganisierten System, muss demzufolge immer dann eine unlösbare Situation entstehen, wenn ein Höchstbetrag für ein Gesundheitsproblem festgelegt ist – die bestmögliche Therapie aber vielleicht gar nicht durchgeführt werden kann, weil sie diesen Höchstbetrag übersteigt. Ähnliches gilt auch, wenn ein gesundheitliches Problem des einen Patienten deutlich mehr Ressourcen verbraucht, als das gleichgelagerte Problem eines anderen. Markt und Wettbewerb können für das Gesundheitssystem schon deswegen nur eingeschränkt gelten, weil das „Wirtschaftssubjekt Patient“ nicht selbst aktiv eingreifen kann. In vollem Vertrauen, muss der Patient seinen Arzt über die beste Therapie bestimmen lassen. Die Krankenkasse übernimmt die Bezahlung, ohne dass der Patient die Rechnung überhaupt sieht.

In diesem Zusammenhang sei Prof. Nida Rümelin zitiert:

Paradoxerweise führt also die Korruption medizinischer Verlässlichkeit durch ökonomische Rationalität zu ökonomischer Insuffizienz

Warum gelingt es der reinen Ökonomie also nicht, diese für jeden denkenden Menschen erkennbaren Mängel zu beseitigen, um damit glaubwürdig zu bleiben?

Ist die Welt des Prof. Lohmann vielleicht doch zu trivial?

Das Zusammenleben könnte nicht funktionieren, wären die Menschen reine homini soziologici, die nur eine bestimmte Rolle ausführen würden. Sie sind aber Individuen, deren Individualität primär aus dem Erkennen von Grenzen entsteht – Grenzen anderer Menschen, aber auch der eigenen Grenzen. Und: der Verantwortung für das eigene Handeln. Letztlich haben sich daraus die Rangordnung der Menschenrechte und die Freiheitsrechte entwickelt. Denen steht, besonders in den modernen Industriegesellschaften, das Streben nach unbegrenzter Selbstverwirklichung und entgrenzter Sozialverpflichtung gegenüber.

Weite Teile der Gesellschaft, insbesondere aber manche Ökonomen, geben sich dabei der Hoffnung hin, dass diese Selbstverwirklichung mit Kapital erkauft werden könne. Michael J. Sandel, einer der profiliertesten politischen- und Moralphilosophen unserer Tage, bezeichnet es als die schicksalhafteste Änderung der letzten drei Jahrzehnte, dass es die Gier der Menschen den Märkten ermöglichte, mit ökonomischen Wertvorstellungen praktisch alle Lebensbereiche zu durchdringen. Das marktorientierte Denken hat sich fast unbemerkt auch der Aspekte des Lebens bemächtigt, die bislang von marktunabhängigen Normen geprägt und gesteuert waren. Längst sind Gesundheit, Bildung und Sicherheit zumindest in Teilen von gewinnorientierten Unternehmen übernommen.

Allenthalben wächst für alle sichtbar die Ungleichheit in der Gesellschaft. Das Kapital verdichtet sich in den Händen weniger. Wenn aber in einer Gesellschaft alles zu kaufen ist, werden jene immer mehr benachteiligt, die mit bescheidenen Mitteln über die Runden kommen müssen. Unter der Prämisse von Ökonomie, Priorisierung und Rationierung wird mit der Einführung eines Kopf- oder Bürgergeldes auch eine optimale medizinische Versorgung mehr und mehr von der Finanzkraft des Einzelnen abhängen.

Warum verhalten sich moderne Märkte so und nicht anders?

Das Schmiermittel im Getriebe des Marktes ist das Geld. Dies führt zu einer erschreckenden Konklusion. Seit der Entstehung in der Antike hat sich das Geld immer weiter von seiner Deckung durch einen materiellen Gegenwert entfernt. Von der Münze aus Edelmetall, über die Schuldverschreibungen der italienischen Goldschmiede im 13. Jahrhundert, das Papiergeld, dessen Sicherung durch Gold von Richard Nixon aufgehoben wurde, bis zum elektronischen Klick im virtuellen Netz ist der materielle Gegenwert des Geldes abhanden gekommen. Geld ist heute nichts anderes als Vertrauen auf die Wirtschaftskraft einer Region. Der Schöpfungsakt des Geldes ist nicht mehr an eine Deckung gebunden. Die Banken kreieren es per Mausklick im Netz. Der Wert des Geldes wird zur Glaubensfrage.

Dadurch wird der Bürger selbst zum Gegenwert des Geldes. Spätestens die Auswirkungen der letzten Wirtschaftskrise haben gelehrt, dass das moderne Geld mit dem menschlichen Körper und dem menschlichen Schicksal gedeckt wird. Damit wäre der Bürger also bei der Monetarisierung seines Körpers angelangt. „Die Ökonomie handelt das neue Gut ‚Mensch’“ (Sandel).

Nur so, und nicht anders, sind die Ausführungen eines Prof. Lohmann zu verstehen.

Stehen nun ökonomisches Denken und Medizin in vollem Gegensatz zueinander?

Das Medizinsystem verfügt nur über begrenzte Ressourcen, die einem stetig wachsenden Anspruch der Bevölkerung gegenüberstehen.

Einen Ausweg aus dem Dilemma weisen David Osoba und Frank Porzsolt mit dem Begriff der klinischen Ökonomik. Am Anfang der Überlegung stehen die Erkenntnis von Begrenzung des eigenen spezialistischen Wissens und der eigene Umgang mit dem Nichtwissen. Sie mündet in die zentrale Frage der klinischen Ökonomik:

CUI BONO?

Bezogen auf das Medizinsystem und die Patienten muss diese Frage kooperativ beantwortet werden von der Politik, von Ökonomen, von Kassenvertretern, von Ärzten und Wissenschaftlern verschiedener Fachdisziplinen. Für sogenannte Entscheider, die der reinen Lehre der Ökonomie frönen und sich im Besitz der allein seligmachenden Weisheit glauben, bietet die klinische Ökonomik keinen Platz.

Ziel der klinischen Ökonomik ist es, Gesundheitsprobleme in der Weise optimal zu behandeln, dass bei größtem Nutzen die geringste Belastung für den Patienten und die Gesellschaft entsteht. Dabei soll die Versorgung der Menschen nicht von der Schwere oder der Prognose einer Erkrankung abhängen, sondern vielmehr von der Verfügbarkeit und der Wirksamkeit einer möglichen Therapie. Da eine hohe Dichte an gesundheitlichen Leistungen auch mit einer Schädigung der Gesundheit einhergehen kann (N. Schmacke), müssen die Belastungen, die einem Patienten durch die medizinische Versorgung seiner Erkrankung auferlegt sind, durch den Mehrwert aufgewogen werden, der entsteht wenn Symptome gelindert bzw. eine Erkrankung geheilt wird.

Bei aller Wissenschaftlichkeit der Argumentationen muss dabei jedoch berücksichtigt werden, dass sich die Wertvorstellungen von Gesunden und Kranken deutlich unterscheiden. Und Medizin ist in weiten Bereichen eine Erfahrungswissenschaft. Das Wissen von Gesundheit und Krankheit, von Therapie und deren Wirkung gründet selten vollständig auf eindeutig beweisbarer naturwissenschaftlicher Erkenntnis. Selbst sogenannte evidenzbasierte Entscheidungen beruhen in der Regel nicht allein auf Fakten. Sie basieren vielmehr auch auf Werten, dem Wissen der Zeit und individuellen Wertvorstellungen. Sie tragen aber dazu bei, fundierte Werturteile zu begründen.

Jeder sollte sich bewusst sein, das die Medizin ständig die Gefahr der selektiven Wahrnehmung durch ihre Leistungsträger in sich birgt. Informationen und Gegebenheiten werden so wahrgenommen, wie man sie wahrnehmen will. Wirklichkeit und Wahrnehmung können verschieden sein.

Die klinische Ökonomik stützt sich daher nicht allein auf einzelne Kriterien, seien sie wissenschaftlich begründet, ökonomiegetrieben oder medizinisch, sondern auf interne Wertvorstellungen. Interne Wertvorstellungen werden durch externe Informationen geprägt. Diese Informationen müssen valide sein. Informationen sind dann valide, wenn gezeigt werden kann, wie häufig die durch die Information vermittelten Ziele auch wirklich erreicht werden. Ziele müssen klar definiert, Methoden sauber beschrieben und die Ergebnisse vollständig berichtet werden.

Eine, wie Nida Rümelin es ausdrückt, „gesteuerte, instrumentalisierte, allein ökonomischen oder politischen Kriterien unterworfene Wissenschaft und Medizin würde nie herausfinden, wie es sich wirklich verhält. Der Kern ist das wissenschaftliche Ethos. Es orientiert sich an wissenschaftlicher Verlässlichkeit und wohlbegründetem Urteil. Diese Orientierung ist durch Anreiz- und Abschreckungssysteme nicht zu ersetzen. Ökonomischer Erfolg verlangt – und die paradoxe Zuspitzung bedarf jetzt keiner näheren Erläuterung mehr – gerade die Entlastung von ökonomischer Rationalität“.

Die Zeit der einfachen Lösungen ist endgültig vorüber!

Bruch H.-P. / Porzsolt F. Der Patient als Wirtschaftsfaktor oder wie wir mit unserem Körper den Markt bedienen müssen. Passion Chirurgie. 2013 Juni, 3(06): Artikel 02_01.

Editorial: Monetarisierung des Patienten

Wer die Berichterstattung der Medien zu Fragen der Medizin und des Medizinsystems in Deutschland aufmerksam liest, muss häufig etwas ratlos sein.

Da liest man vom Zukunftsmarkt Medizin, der die Konjunkturtiefs abzufedern vermag, vom wichtigsten Teil des Arbeitsmarktes, von einer hochinnovativen Industrie, die allein in der Medizintechnik 1 Prozent des BIP erwirtschaftet. Man hört von engagierten Ärzten in Forschung und Lehre, von der Aufholjagd der Universitäten im internationalen Ranking. Und man erfährt, dass mehr als 80 Prozent der Patienten mit dem deutschen Medizinsystem, und den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen in diesem System, sehr zufrieden sind.

Im Gegenzug aber heißt es, dass in Deutschland zu viel operiert wird, das Land viel zu viele Klinikbetten hat und die Qualität der Arbeit deutlich verbessert werden muss. In den Kliniken wird unhygienisch gearbeitet. Nosokomiale Infektionen breiten sich weiter aus und die Zahl multiresistenter Keime steigt unablässig. Man müsse die Ärzteschaft in einen gnadenlosen Wettbewerb schicken, um schlummernde Effizienzreserven zu wecken. Und: „Täter“, „Tatort“, „Tatzeit“ im System sollen von anonymen Spitzeln geliefert werden, um der Korruption endlich Herr zu werden.

Können wir diesen Aussagen, die schnell zu Schlagzeilen mutieren, bedenkenlos glauben?

Perfekte Systeme sucht man in der menschlichen Gesellschaft vergebens. So liegt in jedem Vorwurf wohl immer auch ein Quäntchen Wahrheit. Jede Fachgruppe tut gut daran, Qualitätsverbesserung und Weiterentwicklung zu fördern. Vielleicht aber muss die Ärzteschaft heute auch mehr tun, um negativen Schlagzeilen zu begegnen. Denn die Ökonomisierung des Medizinsystems und die Monetarisierung des Menschen widerspricht dem Anspruch, das Patientenwohl in den Mittelpunkt des Tuns und Handelns zu stellen. Und die Konzentration kleiner Interessengruppen auf punktuelle Verbesserungen entspricht nicht der allgemeinen Problemlage. In weiten Teilen des Medizinsystems hat sich über Jahrzehnte ein strukturelles Problem aufgebaut, das, wenn überhaupt, nur in gemeinsamer vernunftgeleiteter Anstrengung zu beseitigen ist. In den wirklich wichtigen Fragen führen Egoismen in die Irre.

Zeit also, ein Branding für unser Fach zu erarbeiten, Entwicklungen zu analysieren und einen Blick in die Zukunft zu werfen, soweit wir in der Lage sind, diese zu antizipieren. Danach muss die Politik in die Pflicht genommen werden!

Bruch H.-P. Editorial Monetarisierung des Patienten. Passion Chirurgie. 2013 Juni; 3(06): Artikel 01.

Einheit der deutschen Chirurgie

Einheit, ein Wort, das allen wie selbstverständlich von den Lippen geht! Ohne nachzudenken versteht man seine Bedeutung. Dies heißt jedoch keineswegs, dass Einheit für alle den gleichen Sinn besitzt. Je nach Herkunft, Ausbildung und Umfeld wird der Sinn unterschiedlich interpretiert.

Der Wortstamm

Der Wortstamm gründet in grauer Vorzeit. Die zweite Silbe“ heit“ wurzelt im Indogermanischen und meint: fassen, halten, packen. Im Gotischen wird daraus haidus: Art oder Weise und im Altsächsischen schließlich häd: Stand, Würde, Wesen, Gestalt und Rang. „Heit“ im heutigen Sinne bedeutet am ehesten die Art und Weise wie etwas beschaffen ist. Die Ein-„heit“ ist demnach beschaffen aus dem Einen. Die vielfältige Verwendung des Wortes legt nahe, dass die uralte Bedeutung Wesen, Gestalt und Rang noch immer mitschwingt.

Der Begriff

Mythen, Geschichte und Religion sind in unserer Sprache und in unserem Denken jedenfalls weit mehr präsent, als es sich aufgeklärte Menschen vorstellen können. Der Begriff “Einheit” beschreibt so etwas ganz Besonderes! In der Militärsprache, in der Physik, in der Mathematik, in der Philosophie und in der Religion wird dieses Wort verwandt. Es definiert dabei stets eine Wesenseinheit, die auf Zeit oder „auf ewig“ angelegt ist. Hinterfragt man den Begriff Einheit weiter, entwickeln sich zwei Bedeutungsformen: Der Begriff Einheit wird einerseits verwandt, um die Welt besser zu verstehen und zu kategorisieren. Andererseits, weil man der Unwägbarkeit des Lebens zu begegnen sucht. Da verspricht die größere Gruppe Schutz und Schirm. Nicht umsonst sprechen wir von militärischer Einheit, von Einigkeit und Recht und Freiheit, von der Einheit des deutschen Volkes und auch von der Einheit der deutschen Chirurgie.

Aus diesem Zusammenhang erschließt sich der Beweggrund für Einheit. Einheit wird nur dann zum handlungsleitenden Begriff, wenn eine Gruppe in der Vereinigung eine Sinnstiftung erkennt, oder wenn sie sich den Unwägbarkeiten der Zeitläufte bzw. einer äußeren Bedrohung gegenüber sieht. Einheit bietet Geborgenheit . Dabei wird die Einheit nicht allein bestimmt von einer beeindruckenden Zahl ihrer Mitglieder.

Auch kleine Gruppen schließen sich in Einheit zusammen. Auch sie bilden hierarchische Strukturen, die Schutz und Sicherheit bieten. Solange man sich in der Welt, und sei sie auch nur eine Scheinwelt, sicher einzurichten versteht, gibt es keine Notwendigkeit, an eine übergeordnete Gemeinschaft Souveränität abzugeben.

Einheit in der Chirurgie ein handlungsleitender Begriff?

Das Dach der deutschen Chirurgie wird getragen von Säulen sehr unterschiedlicher Tragkraft. Jede besitzt ihre eigene Struktur. Jede ist wichtig für die Statik des Gesamtgebäudes. Manche scheint so mächtig, dass sie sich zutraut das Dach ohne Andere zu tragen.

Was soll da die Einheit der deutschen Chirurgie – vielleicht sogar die Einheit der deutschen Ärzteschaft in bestimmten für das Medizinsystem wichtigen Fragen?

Wo sind im Umfeld die Unwägbarkeiten?
Wo die möglichen Bedrohungen?
Ein kritischer Blick schafft schnell Klarheit!

Die Demographie ist, nach Meinung vieler Ökonomen, die am besten untersuchte Katastrophe nach dem zweiten Weltkrieg. Europa wird von einer gewaltigen Finanzkrise betroffen, deren Ende nicht abzusehen ist. Im günstigsten Falle beschert sie uns eine galoppierende Inflation, im ungünstigste Falle ein Ende der EU, wie wir sie kennen.

Wir erwarten europaweit bis zum Jahre 2020 einen Mangel von 1.000.000 Fachkräften im Medizinsystem. Auf dem Personalmarkt wird ein Kampf um die besten Köpfe entbrennen. Vor allem in der Pflege wird der Mangel dramatische Ausmaße annehmen.

Die Generation Y drängt in den Beruf. Sie besitzt einen gänzlich anderen Wertekompass als die Generation X oder die Babyboomergeneration. Mit zunehmender Lebenserwartung werden die Menschen länger gesund bleiben. Danach aber erwartet man sehr viel mehr Multimorbidität als heute – bis 2020 etwa 30 Prozent mehr Colon- und Rectumcacinome, 25 Prozent mehr Diabetiker und bis zu 90 Prozent mehr Demenzkranke.

Das Finanzvolumen, das die Mehrleistung im Gesundheitssystem und die jährlich deutlich steigenden Personal-, Sach- und sonstigen Kosten abdecken soll, reicht längst nicht mehr aus. In den Kliniken öffnet sich die Schere zwischen Kosten und Erlösen immer weiter. Die gegen das Medizinsystem gerichtete Zinseszinsspirale beginnt das Patientenwohl zu gefährden. 30 Prozent der deutschen Kliniken sind derzeit von Insolvenz bedroht.

Ein viel zu träges, in manchen Bereichen ungerechtes, ja geradezu unsinniges DRG-System tut ein Übriges. Es setzt in vielen Fällen falsche Leistungsanreize – ganz abgesehen vom längst wissenschaftlich bewiesenen Unsinn der Boni und der Zielvereinbarungen. Sie zielen, im Sinne der reinen ökonomischen Lehre, noch immer auf Masse nicht auf Klasse.

Ein stetig enger werdendes Korsett von Gesetzen und Vorschriften, primär zum Schutze der Patienten erdacht, bindet Arbeitskraft und Personal, ohne dass dem in den Personalplänen Rechnung getragen werden könnte.

Ein steigender Anteil der Kliniken muss dennoch nicht allein die eigenen Kosten erwirtschaften. Vielmehr sind aus dem Sozialsystem auch Investitionskosten und ein nicht selten saftiger Shareholdervalue herauszupressen – in Gänze gegen die Bestimmungen des Krankenhausfinazierungsgesetzes.

Die Kapitalknappheit zwingt die Kliniken sich in Einkaufsgemeinschaften zusammenzuschließen, um Marktmacht zu entwickeln und die Einkaufspreise zu drücken. Dies begrenzt die Gewinnmargen der Industrie und der Lieferanten.

Die Investitionen in Fort-und Weiterbildung schrumpfen schmerzhaft. Eine alternative Finanzierung ist kaum in Sicht. Die sektorübergreifende Versorgung wird mehr und mehr bislang klinische Leistungen in den ambulanten Sektor verlagern. Eine Reform der Musterweiterbildungsordnung steht an. Die Weiterbildung muss sektorübergreifend geplant, ambulante und klinische Versorgungsformen sinnvoll einbeziehen.

Aber wie bereitet sich die Politik auf die absehbaren Turbulenzen vor?

Man lehnt sich zurück und beobachtet das Treiben, empfiehlt mehr Wettbewerb und hofft, dass sich das Chaos lichte – hat man doch mit dem GemBA , dem IQUIG und dem AQUA Institutionen mit quasi gesetzgeberischer Funktion geschaffen. Diesen fehlt zwar die demokratische Legitimation, man überträgt ihnen aber gerne die ungeliebte Aufgabe, das Medizinsystem zu lenken.

Einmal mehr drängt sich der Eindruck auf, dass die politischen Entscheider, wie es heute so treffend heißt, nicht unbedingt das Wohl der Schutzbefohlenen im Auge haben. Dies ist jedoch unschädlich, da man die Ärzteverbände, fest im Griff hat.

In der trügerischen Hoffnung ein größeres Stück vom schrumpfenden Kuchen abzubekommen, bringen sie sich nicht selten gegeneinander in Stellung.

Man könnte so fortfahren!

Jedoch: ist die Problem – und Bedrohungslage nicht so ernst, um endlich eine Einheit der deutschen Chirurgie zum handlungsleitenden Begriff zu erheben?

Haben wir noch die richtigen Organisationsformen?

Sind die Aufgaben unter den Fachärzten so verteilt, dass dem Patientenwohl in bester Weise gedient wird?

Sind unsere Indikationen nach dem Stand der Wissenschaft immer noch korrekt?

Werden teure Geräte und Einrichtungen in idealer und wirtschaftlicher Weise genutzt?

Wohl kaum.

Gibt es eine Alternative?

Frei nach Ferdinand Piaech sei gesagt:

„Das Gesundheitssystem gehört wieder in die Hände der Ärzte. Sie haben Medizin im Blute. Sie sind die Besten ihrer Jahrgänge. Sie können mindestens genauso gut rechnen wie die Ökonomen oder die sogenannten Entscheider. Umgekehrt gilt dies nicht!“

Wer aber an den demokratischen Entscheidungsprozessen wirklich beteiligt sein will, wer das neue Medizinsystem vernünftig mit gestalten will, muss die Spielregeln der Demokratie verinnerlichen. Ohne die Souveränität der einzelnen Gruppen zu tangieren, ist Einigkeit notwendig – zumindest in den für das Medizinsystem wichtigen Fragen. Die Chirurgengemeinschaft muss die Meinungsmacht wiedergewinnen. Es muss gelingen die Einheit der Verbände und Gesellschaften in wichtigen Fragen zu erlangen. Der Einfluss einer großen Zahl von Meinungsbildnern eröffnet die Möglichkeit, die Probleme zielführend angehen zu können.

Ludwig Erhard hat es in Bezug auf Europa so formuliert:

„Wehe dem, der glaubt, man könne Europa etwa zentralstaatlich zusammenfassen, oder man könne es unter eine mehr oder minder ausgeprägte zentrale Gewalt stellen.

Nein – dieses Europa hat seinen Wert, auch für die übrige Welt, gerade in seiner Buntheit, in der Mannigfaltigkeit und Differenziertheit des Lebens.“

Dies gilt ganz sicher auch für die Fachgesellschaften und Verbände.

Es geht nicht um eine Fusion – vielmehr um die Kooperation dort, wo Ressourcen besser genutzt werden können und um die Einigkeit in den wirklich wichtigen Fragen. Fragen, die, vor allem in der Politik, in gemeinsamer Stärke vorgetragen und einer Lösung zugeführt werden müssen.

Es geht allerdings auch um Mut zur Veränderung.

Denn: Was wäre die Alternative zur Einheit der deutschen Chirurgie?

Bruch H.P. Einheit der deutschen Chirurgie. Passion Chirurgie. 2013 Mai, 3(05): Artikel 07_01.

„Facharzt für Notfallmedizin“ – wichtig zum Überleben zu jeder Zeit an jedem Ort

Das deutsche Gesundheitssystem wird in den nächsten Jahren erhebliche Umstrukturierungen erfahren. Einerseits soll der hohe medizinische Standard gewahrt bleiben, andererseits den geänderten ökonomischen Bedingungen Rechnung getragen werden. Eine wesentliche Ursache dafür ist die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse.

Sie wird spätestens im Jahre 2017 greifen, damit realistische Sparziele erreicht werden. Die Krankenhäuser befinden sich, bereits heute in einer zunehmend desolaten finanziellen Situation. Kommunen und Länder müssen jährlich viele Millionen Euro zuschießen, um jene Krankenhäuser am Leben zu erhalten, denen es nicht vergönnt ist, durch strukturelle Maßnahmen und spezielle Selektion, schwarze Zahlen zu schreiben. Ähnliches gilt natürlich auch für jene Kliniken, die durch eigenes Verschulden in eine finanzielle Schieflage geraten sind.

Diese Defizite dürfen und können in Zukunft nicht mehr getragen werden. Dabei sind die Zuweisungen für die Krankenhäuser, wie sie vom Krankenhausfinanzierungsgesetz einst vorgesehen waren, seit vielen Jahren linear gesunken. Die Kliniken sind damit in ein milliardenschweres strukturelles Defizit geraten, das kaum mehr ausgeglichen werden kann. Die derzeit laufende Kampagne der deutschen Krankenhausgesellschaft “Wir sind das Krankenhaus” legt davon beredtes Zeugnis ab.

Allerdings stellt sich die Frage, ob eine so einseitige Sicht der Dinge, den Anforderungen an eine vernunftgeleitete Problemlösung gerecht wird?

Wenn das Kapital absehbar nicht mehr hinreicht, um eine bestehende Struktur zu finanzieren, sollte es an der Zeit sein über grundlegende strukturgebende Veränderungen nachzudenken. Die große Zahl kleiner und kleinster Krankenhäuser wird jedenfalls in der jetzt bestehenden Organisationsform nicht erhalten bleiben.

Immer weniger Krankenhäuser?

Denn dem ökonomischen Problem hat sich ein Zweites hinzugesellt. Die Krankenhausstruktur und die Weiterbildungsordnung passen längst nicht mehr zusammen. Die Anforderungen, die durch die neue, flexible WBO auf die Krankenhäuser zukommen, sind in der gegenwärtigen Struktur in keiner Weise mehr abzubilden. Die Weiterbildung in Kompetenz-Leveln bedarf einer gewissen Größe der weiterbildenden Institution und einer Mindestzahl an Ärzten, soll die Weiterbildung curricular erfolgen.

Schließlich ist die Krankenhausstruktur in Deutschland eine Gliederung von Versorgungsstufen: nämlich Grund- und Regel-, Schwerpunkt- und Maximalversorgung, wobei die Art und Schwere einer Erkrankung die Versorgungsstufe bestimmen sollte.

Unter der Prämisse des knappen Geldes und der unvermeidlichen Umgestaltung des Medizinsystems – andernfalls werden ab 2016 viele Kliniken aus ökonomischen Gründen ungesteuert untergehen – wird man auch über die Versorgungsstrukturen nachdenken müssen.

Mit dem Beschluss des Ärztetages 2012 ist die sektor-übergreifende Versorgung zum wichtigen Begriff geworden. Die Trennung zwischen Klinik und niedergelassenem Bereich wird daher in sehr absehbarer Zeit aufgehoben werden. Eine flächendeckende Versorgung in kleineren Institutionen wird ohne Einbindung der in freier Praxis niedergelassenen Kollegen in die Grund- und Regelversorgung nicht mehr möglich sein. Es sei denn man würde das Modell der Staatsmedizin nach Kassenlage bevorzugen. Die beschränkte Leistungsfähigkeit dieses Systems darf in England aber auch in den skandinavischen Ländern bewundert werden.

Nun wird man fragen, was dies alles mit dem von der DGINA geforderten Facharzt für Notfallmedizin zu tun hat?

Die BÄK hat die formalen Voraussetzungen für die Einführung einer neuen Facharztbezeichnung eindeutig definiert:

  1. Es muss ein flächendeckender Bedarf bestehen.
  2. Es muss ein wissenschaftlicher Fortschritt zu erwarten sein.
  3. Eine Weiter- und Fotrbildungsmöglichkeit muss gegeben sein.

Notfälle müssen jederzeit überall optimal versorgt werden

Notfälle müssen jederzeit und nicht nur in Ballungsräumen möglichst optimal versorgt werden. Dies aber bedeutet, dass die Notfallmedizin integraler Bestandteil der Basisweiterbildung in den großen Fächern bleiben muss und die weite Verbreitung darüber hinaus gehender Qualifikationen notwendig erscheint.

Ein wissenschaftlicher Fortschritt im Bereich Notfallmedizin wird sich nur dann belegen lassen, wenn die Versorgungsforschung zu der Überzeugung gelangt und dies auch statistisch belegen kann, dass das Überleben und die optimale Therapie durch die Einführung des neuen Facharztes ganz allgemein richtungsweisend verbessert wird. Dabei dürfen die herausragenden Leistungen, die bereits heute von “Notfallmedizinern” an Kliniken der Schwerpunkt- und Maximalversorgung erbracht werden nicht als Maßstab für eine flächendeckende Versorgung herangezogen werden.

Eine der wichtigsten und aus berufspolitischer Sicht entscheidendsten Fragen aber hängt mit der Weiter- und Fortbildung zusammen. Der Wortlaut des Grundgesetzes bestimmt, dass möglichst alle Menschen in Deutschland unter möglichst gleichen Bedingungen leben sollen. Gesundheit ist ein Gut, das von den Bürgern nicht erworben werden muss. Es steht ihnen vielmehr per Gesetz zu, soweit dies durch die moderne Medizin sichergestellt werden kann.

Die Wirkungsstätte der modernen Notfallmedizin ist die Notaufnahme der Kliniken unabhängig von Klinikgrösse und Klinikführung. Jeder ankommende Notfall muss so schnell wie möglich einer optimalen Diagnostik und Therapie zugeführt werden. Dies kann auch bedeuten, dass er nach der Notfallversorgung unverzüglich in ein Zentrum der geeigneten Versorgungsstufe zu verlegen ist. Dazu bedarf es bestimmter Organisationsformen und bestimmter baulicher Voraussetzungen, die jedoch wiederum je nach Versorgungsstufe durchaus unterschiedlich sein werden. Der Facharzt für Notfallmedizin fokussiert besonders auf die Qualifikation, zur Leitung einer Notaufnahmestation, um so nach dem Erstkontakt des Patienten ein optimales klinisches Management sicherzustellen.

Unter den Kriterien der Versorgung in Schwerpunktkrankenhäusern nach einer gründlichen Umstrukturierung unseres gesamten Krankenhauswesens wäre dies eine durchaus gewinnende Idee. Allerdings müsste man sich dann von der flächendeckenden Medizin verabschieden und stattdessen schnelle, optimal betreute Transportmittel einsetzen. Da dies aber schon aus finanziellen Gründen in absehbarer Zeit nicht realisierbar sein wird, sollte man über Lösungen nachdenken, die eine optimale Notfallversorgung möglichst vieler Menschen an möglichst vielen Orten garantieren. Dabei sollte man auch die wohnortnahe Versorgung in einer alternden, zunehmend weniger mobilen Gesellschaft nicht aus den Augen verlieren. Die Vereinsamung eines alten Menschen in einem vom Wohnort weit entfernten Krankenhaus muss bedacht werden.

Dies aber impliziert aus rein berufspolitischen Überlegungen, dass möglichst viele in einer Notaufnahme tätige Ärzte über eine spezielle Kompetenz Notfallmedizin verfügen sollten. Diese Fachkompetenz muss aus allen großen Fächern der Medizin, zumindest aber der Inneren Medizin, der Anästhesie und der Chirurgie erreichbar sein unabhängig davon, ob der Kollege oder die Kollegin im niedergelassenen bzw. im klinischen Bereich tätig ist. Wo die Grenzen verschwinden, dürfen keine neuen Hürden aufgebaut werden.

Der BDC plädiert daher nachdrücklich für eine „Fachkompetenz Notfallmedizin.“

Bruch H.P. „Fachkompetenz Notfallmedizin“ – wichtig zum Überleben zu jeder Zeit an jedem Ort. Passion Chirurgie. 2013 Mai, 3(05): Artikel 02_04.

Bundeskongress Chirurgie 2013

In Nürnberg wird vom ersten bis dritten März 2013 der dritte “Bundeskongress Chirurgie” stattfinden. Die Ausrichter sind BNC, BDC und BAO gemeinsam mit vielen anderen Berufsverbänden und wissenschaftlichen Gesellschaften. Der Kongress entwickelt ein Modell der sektorübergreifenden Kooperation zwischen dem klinischen und dem niedergelassenen Bereich, dem vor wenigen Jahren noch keine Chance auf Verwirklichung eingeräumt worden wäre. Damit ist es gelungen, Schritt für Schritt die nicht immer ganz spannungsfreie Dichotomie zwischen Klinik und Praxis abzubauen, Vertrauen zu entwickeln und die Themen zu diskutieren, die bei unterschiedlichen Schwerpunkten beide Bereiche interessieren. Dazu gehören in diesem Jahr die chirurgische Onkologie, ein unfallchirurgischer Schwerpunkt und typische Nachwuchsthemen.

So mancher Kongressbesucher und so manche Kollegin mag sich angeregt durch die Diskussionen vielleicht fragen, ob ein selbstbestimmtes Leben im niedergelassenen Bereich nicht durchaus eine Alternative darstellen könnte.

Dies gilt insbesondere dann, wenn man einen Blick in die Zukunft unseres Medizinsystems wagt. Die Folgen des demographischen Wandels erfordern ein Umdenken. Auch unter günstigsten wirtschaftlichen Bedingungen wird das medizinische Schlaraffenland, in dem wir uns so bequem eingerichtet haben, nicht finanzierbar bleiben.

Man wird nicht umhinkommen, durchdachte, realistische Szenarien zu entwickeln, die zeigen, wie Strukturen so zu verändern sind, dass man mit den vorhandenen finanziellen Ressourcen auskommt und dennoch eine Medizin auf höchstem, wissenschaftlich untermauertem Niveau bewahrt.

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Bereits ein kurzer Blick auf die Krankenhauslandschaft zeigt, wie wenig sich deren Strukturen mit den Anforderungen der Weiterbildung in den chirurgischen Säulen zur Deckung bringen lassen. Zieht man dann noch ins Kalkül, dass die Krankenkassen danach streben, möglichst viele Leistungen in den finanziell deutlich günstigeren ambulanten Bereich zu verlagern, erhebt sich die Frage, wie denn in absehbarer Zeit die Assistenten für die kleinen Häuser noch gewonnen werden sollen und wie eine gründliche chirurgische Weiterbildung erfolgen kann, ohne den ambulanten Bereich einzubeziehen. Mit dem jetzt vorgeschlagenen Zertifikatehandel werden geradezu abstruse Werkzeuge in die Diskussion eingebracht, die mehr an den Ablasshandel der Vorreformationszeit, denn an moderne Steuerungsinstrumente gemahnen – Werkzeuge, die in keiner Weise zielführend sind

Der BDC ist der Auffassung, dass die sektorübergreifende Versorgung, die mit dem neuen Gesundheitsstrukturgesetz zum handlungsleitenden Begriff geworden ist, zur Normalität werden wird. Klinik und niedergelassener Bereich werden in der Weiterbildung, aber auch in der Patientenversorgung, eng zusammenarbeiten und es werden sich ganz neue Strukturen entwickeln müssen, damit Spitzenmedizin bezahlbar bleibt. Der Bundeskongress, der niedergelassene Kollegen und Kolleginnen und Kliniker zusammenführt, sollte daher einen festen Platz im Terminkalender eines jeden Chirurgen einnehmen, der sich mit den eigenen Zukunftsperspektiven beschäftigt.

Bruch H.-P. Bundeskongress Chirurgie 2013. Passion Chirurgie. 2012 Dezember; 2(12): Artikel 03_01.

Bruch H.-P. Bundeskongress Chirurgie 2013. Passion Chirurgie. 2012 Dezember; 2(12): Artikel 03_01.

Kommunikation und Führung contra Boni

Landläufig hält man Chirurgen für zupackende entscheidungsfreudige Menschen, die sich in Stresssituationen zu disziplinieren wissen und ihren Aufgaben auch unter ungünstigsten Bedingungen optimal gerecht werden. Klagsamkeit ist ihre Sache nicht. Um so verwunderlicher, dass dem BDC in den letzten Jahren immer mehr Berichte zugehen, die Unerfreuliches zum Inhalt haben.

Über einen langen Zeitraum haben sich Ärger, Unzufriedenheit, Frustration und Demotivation im Klinikalltag breit gemacht und es hat sich nicht selten eine zunehmende Kluft aufgetan zwischen Leistungsträgern und der administrativen Klinikführung.

Grund genug zu fragen, wie wir miteinander kommunizieren und umgehen wollen, wo die Probleme liegen und wie die Freude an der Arbeit erhalten werden kann.

Das Modell

Führung heißt Menschen bewegen und das Kommende vorbereiten. Menschen bewegen kann nur derjenige, der die innere Motivation der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu wecken und zu fördern vermag. Nur wer Menschen bewegt, kann nachhaltig im Sinne eines Unternehmens einwirken.

Studien- und Ausbildungsinhalte sind heute in der Regel so differenziert, dass ein hoch-spezialisiertes Sprach- und Fachwortbedeutungssystem entwickelt werden muss, um ein ausgewähltes Segment des professionellen Umfeldes zu beschreiben und die zielgerichtete Kommunikation innerhalb einer Gruppe von Fachleuten zu erleichtern.

Diese “Fachlichkeit” impliziert in vielen Fällen eigene Denkschemata und Wertvorstellungen, die jenseits der Fachgrenzen nicht verstanden, missverstanden und im ungünstigsten Falle abgelehnt werden. Dies ist geradezu idealtypisch für die Kommunikation zwischen Ökonomen und Medizinern, da sie neben unterschiedlichen Wertvorstellungen auch unterschiedliche Vorstellungen von Macht und Einfluss entwickelt haben.

Die wichtigste Kommunikationsaufgabe der Führung sollte es daher sein, für eine Begriffs- und Aufgabendefinition zu sorgen, die von allen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen begriffen und akzeptiert wird. Im Unternehmen muss, um es prägnant auszudrücken, mit einer Sprache gesprochen werden, damit der Standpunkt des jeweils Anderen verstanden wird.

Jedem Leistungsträger sollte dabei bekannt sein, wo das Unternehmen steht und welches die kurz- und langfristigen Unternehmensziele sind. Diese Ziele sollten attraktiv, mess- und erreichbar sein. Im günstigsten Falle haben alle Mitarbeiter/innen ein Verständnis für die Erfolgsformel, die in eine gedeihliche Zukunft weist.

Erfolg = ( Wissen + Phantasie ) x Umsetzung²
(E. Krauthammer)

Diese Formel scheint vordergründig eine reine Handlungsanweisung zu sein. Bei genauerer Betrachtung greift sie jedoch auf bestimmte immanent vorausgesetzte Definitionen zurück.

Diese Definitionen sind:

  • der Kernauftrag,
  • das Ziel des Unternehmens,
  • die Freiheit der Mitarbeiter/innen im vorgegebenen Rahmen ihrer Aufgaben.

Der Kernauftrag des Krankenhauswesens ist die Patientenzufriedenheit, das Ziel jedes Klinikums muss die Einzigartigkeit in seinem Umfeld auf einem, besser auf mehreren Gebieten sein. Voraussetzungen dafür sind Wissen und Können, Interdisziplinarität, strukturierte Organisation und vor allem menschliche Zuwendung. Patienten wollen sich soweit als irgend möglich in ihrem Leid verstanden und im ungewohnten klinischen Umfeld geborgen wissen. Gesellen sich Transparenz und Zuverlässigkeit hinzu, wird ihnen eine optimale Heilungschance eröffnet. Zumindest aber werden die belastenden Symptome, die eine Erkrankung mit sich bringt gelindert.

Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, die Patienten Vertrauen fassen und die Klinik etwas glücklicher verlassen, als sie diese betreten haben, werden sie zu Botschaftern des Unternehmens. Die von den Ökonomen immer wieder geforderte Wertsteigerung und das Wachstum des Klinikums sind dann selbstverständliche Resultate der richtigen Unternehmensphilosophie. Eine gesunde finanzielle Basis, die ein sorgenfreies Wirtschaften ermöglicht, entwickelt sich dann fast ohne weiteres Zutun. In einem so strukturierten Klinikum ist die Organisation stets Dienerin der Leistungseinheiten und des klinischen “Geschäftes”. Befördert von der Kernkompetenz der Leistungsträger leisten “Geschäft”, Organisation und Anpassung mit Geschäfts-, Organisations- und Anpassungsstrategie, Leitbild, Kulturwerten, Ritualen und Leuchtturmmanagement etc. ihren Beitrag zum Kernauftrag: „Der Patientenzufriedenheit und schliesslich dem Patientenvertrauen.”

Der Erfolg wird gefestigt, wenn sich die innere Motivation der Leistungsträger/innen im Klinikbetrieb auf hohem Niveau befindet. Dazu bedarf es einerseits der persönlichen Wertschätzung der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen durch die Klinik- und Unternehmensführung. Andererseits bedarf es der Freiheit im ethymologisch, indogermanischen Sinne. Fri-Halsa oder Freiheit ist danach immer gebunden an eine Gruppe, der das Individuum angehört und deren Gesetze die Handlungsfreiheit definieren und begrenzen.

Die offenen Fragen

Die Frage erhebt sich, wie dies mit den Gegebenheiten des modernen Medizinbetriebes in Übereinstimmung zu bringen ist.

In das Medizinsystem wurden in den letzten Jahrzehnten immer mehr Elemente des Wettbewerbes eingebracht. So sollten die Effizienzreserven im System gehoben und das Kostenbewusstsein der Akteure verbessert werden, um durch Leistungsverdichtung und Leistungssteigerung dem Medizinsektor zu größerer ökonomischer Transparenz und Systemkonformität zu verhelfen.

Nach der Definition von Daniel Bahr ist Wettbewerb ein Verfahren zur Verteilung knapper Mittel auf miteinander konkurrierende Zwecke. Da die Finanzkraft unserer Sozialsysteme nicht unerschöpflich ist, die Mittel aber möglichst optimal im Sinne der Patienten eingesetzt werden sollen, glaubt man im Wettbewerb eine Möglichkeit zu sehen, die mehr haushälterische Disziplin garantiert.

Allerdings braucht auch Wettbewerb, wenn er auf Dauer funktionieren soll, eine gewisse Freiheit. Es müssen zumindest Preise erzielt werden, die die Kosten des “Geschäftes” decken, eine Anpassungsstrategie erlauben, die Forschung und Entwicklung finanzieren und im besten Falle einen moderaten Überschuss zulassen, damit unvorhergesehene Kosten nicht zur existenzbedrohenden Krise führen.

Die Preisfindung wird unter diesen Bedingungen zu einer Frage des Wettbewerbes, aber auch der weitschauenden Zukunftsplanung, dem Vertrauen von zuweisenden Kollegen/innen und Patienten, der Werbung und der optimalen medizinischen Angebote.

Dieses Denken und Handeln hat die Medizin gezwungen, Abschied zu nehmen von der Maxime: „Wir können alles und machen alles.“

Es gilt heute vielmehr, die Maxime – die Einzigartigkeit des Unternehmens – herauszustellen, seine spezifischen Stärken und seine Leuchtturmbereiche zu fördern, schwache Bereiche aufzugeben, auszugliedern oder neu auszurichten, um so die Zukunft zu meistern. (Nach J. Debatin)

Die Ausrichtung eines Klinikums darf daher längst nicht mehr abhängig sein von historischen Entwicklungen. Vielmehr muss sie bestimmt werden von der Klinikführung, die einerseits die Potentiale der Leistungsträger kennen und fördern, andererseits strategische Konzepte entwickeln muss, die die Evolution des Unternehmens über viele Jahre vorzeichnen und die so kommuniziert werden, dass die Leistungsträger “mitgenommen”, am besten begeistert werden. Dies wird am ehesten erreicht, wenn ein sozialer Führungsstil gepflegt wird, der die Leistungsträger in eigener Sache zu Entwicklern macht und Zwischenziele definiert, auf die sich alle verständigen können.

Diesem Ideal stehen allerdings einige Faktoren entgegen, die die Ziele des grundsätzlich guten Systemwandels zu konterkarieren drohen und jede Klinikführung in ernsthafte Schwierigkeiten bringen, die es sich nicht erlauben kann, Patienten nach ökonomischen Gesichtspunkten zu selektionieren.

Die verständlichen Forderungen nach größtmöglicher Transparenz und Patientensicherheit wurden von der politischen Führung beantwortet mit überbordenden bürokratischen Vorschriften, die eine Arbeitsbeschaffungsmaschinerie in Gang setzen und astronomische Kosten verursachen.

In neuerer Zeit haben sich Kontrollinstanzen hinzugesellt, wie etwa der gemeinsame Bundesausschuss, das IQUIG- und das AQUA-Institut, die unabhängig von den Erkenntnissen der wissenschaftlichen Gesellschaften, manchmal durchaus auch ohne hinreichende fachliche Einsicht, entscheiden und prüfen – die Entwicklungen, und seien sie auch noch so sinnvoll, verzögern und die Bezahlung von Leistungen auf Jahre blockieren.

Die durchaus einleuchtende Systematik der DRG gibt den Kliniken Planungssicherheit und zumindest kurzfristigen Handlungsspielraum. Sie setzt allerdings, wie viele statistisch erhobene Zahlen unterdessen beweisen, Fehlanreize, die zum Patientenpicking und zur Leistungsausweitung führen, da sich auf diese Weise erhebliche ökonomische Vorteile erzielen lassen. Dies aber bedeutet, dass das System viel zu langsam reagiert, lange Zeit verstreichen lässt, während derer sich Gewinner und Verlierer etablieren und somit erhebliche Wettbewerbsverzerrungen entstehen. Das DRG-System und der gemeinsame Fonds der Krankenkassen laufen eben wegen dieser Trägheit Gefahr, mehr zu Elementen der Planwirtschaft denn zum Bestandteil des freien Wettbewerbes zu werden.

Löhne und Gehälter steigen jährlich. Verbrauchsmaterialien, Geräte, Infrastrukturkosten etc. werden nicht günstiger. Da die Zuweisungen entsprechend der DRG-Systematik praktisch konstant bleiben, kann ein ausgeglichenes wirtschaftliches Ergebnis nur durch fortgesetzte Mehrleistung und Einsparungen – aus Sicht des Vorstandes am sinnvollsten beim Personal – erzielt werden. Von freier Preisgestaltung, die integraler Bestandteil des Wettbewerbes sein muss, sind wir, nicht zuletzt auch aus berechtigten sozialen Gründen, weit entfernt.

Es ist bekannt, dass die Vorhaltekosten unserer Krankenhäuser im internationalen Vergleich sehr hoch sind. Die Versorgungsforschung in Deutschland ist aber nicht so fortgeschritten, dass man sicher sagen könnte, wieviel Medizin wir in Zukunft in welcher Qualifikation an welchem Ort vorhalten müssten, um eine optimale Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen.

Seit Jahrzehnten wissen wir, dass der sektoralen Versorgung unter den Gegebenheiten des demographischen Wandels keine Zukunft beschert sein wird. Dennoch wird die Idee der sektorübergreifenden Versorgung erst ganz langsam zum handlungsleitenden Begriff.

Die Realität

Jede Klinikführung ist also mit Aufgaben konfrontiert, die unter den heute gegebenen Umständen nicht optimal zu lösen sein werden.

Da dies allseits bekannt ist, wird vor allem für die Träger eine Frage relevant. Wie könnte es möglich werden, eine Klinikführung so zu beeinflussen, dass nicht das Können und Wollen, nicht das Erreichbare und Reale, sondern vielmehr das Erwünschte, unter den wirtschaftlichen Gegebenheiten das Bequemste die Zielkoordinaten bestimmt?

Vielfach glauben die Träger, sich dazu am besten manipulativer Mittel bedienen zu sollen. Die wissenschaftliche Literatur liefert zwar nicht einen einzigen Hinweis auf den langfristigen Erfolg dieses Verfahrens. Dennoch sind sogenannte Boni oder Incentives ein weit verbreitetes Mittel der Dressur. Sie zerstören, wie Reinhard K. Sprenger schreibt, die Bindung an die Sache und ersetzen sie durch die Bindung an die Belohnung.

Die negativen Wirkungen gehen jedoch weit darüber hinaus. Wer die Auswirkungen grosser Bonuszahlungen, die an ein kurzfristig zu erreichendes wirtschaftliches Ziel gebunden sind, erlebt hat, wird erstaunt festgestellt haben, wie ausserordentlich befremdlich manipulative Boni das Verhalten von Menschen verändern.

Die primäre Aufgabe wird nicht selten darin gesehen, die Schwächen und Defizite eines Klinikums aufzulisten. Es erscheint dabei sinnvoll, diese möglichst desaströs erscheinen zu lassen, da die geplanten Sanierungsmaßnahmen nicht zwangsläufig erfolgreich sein werden. Anschließend wird eine Vielzahl administrativer Projektgruppen ins Leben gerufen, die sich der Probleme annehmen müssen. Da alle “Anpassungsmaßnahmen” voraussichtlich Kollateralschäden erzeugen, wird die Verantwortung regelhaft auf mehrere Schultern verteilt. Man bedient sich dazu am besten namhafter Beratungsunternehmen, die befragt, deren Vorschläge allerdings in vielen Fällen nicht wirklich umgesetzt werden. Wegen eines allgemein verbreiteten Misstrauens und der impliziten Annahme, dass sie nur in die eigene Tasche wirtschaften würden, bleiben die Leistungsträger in diesen Gruppen unterrepräsentiert. Die Patienten besitzen in der Regel überhaupt keinen Anwalt, der Ihre Wünsche und Bedürfnisse vertreten könnte.

Die Arbeitsgruppen erhalten einen dezidierten Auftrag, wissen voneinander vielfach wenig, vom Gesamtunternehmen zu wenig. Allgemeine Aktivität wird sichtbar und dies beruhigt die Auftraggeber. Die Betroffenen erkennen jedoch nach kurzer Zeit den begrenzten Nutzen des Unterfangens. Sie bleiben demotiviert und frustriert zurück. Die Arbeitsleistung sinkt. Die Abwesenheit infolge von Krankheit erreicht bedenkliche Ausmaße.

Letztlich sind keine anderen Mittel mehr verfügbar, um die Boni nicht zu verwirken und die vorgegebenen ökonomischen Ziele doch noch zu erreichen, als Zwangsmaßnahmen wie Urlaubssperren, Einstellungsstopp, Personalreduktion etc.

Die Ziele des Unternehmens, was soll erreicht werden, die Absprachen, wer soll mit wem in welchem Zeitraum welche Zielvorstellung verwirklichen, bleiben gänzlich auf der Strecke. Hochmotivierte Leistungsträger besitzen schon aus Gründen des Selbsterhaltungstriebes kaum eine andere Wahl, als sich innerlich vom Unternehmen zu distanzieren und, wie es Eric Krauthammer ausdrückt, einen Teil ihrer Verantwortlichkeit niederzulegen, ohne dies als Niederlage zu empfinden. Über die Nebenwirkungen für das Unternehmen Krankenhaus muss nicht lange diskutiert werden, wenn Vernunft und Visionen gegen rigide Handlungsanweisungen getauscht werden.

Dies mag aus eigenem Erleben und der Kenntnis vieler Schilderungen eine sehr pointierte Darstellung sein.

Es bleibt jedoch festzuhalten, dass man schwierigen Bedingungen häufig mit nicht sonderlich geeigneten Mitteln zu begegnen sucht. Die Erfahrung, die Kreativität und die Meinung von Leistungsträgern/innen ist kaum mehr gefragt. Ein überaus wichtiger Beitrag zum Unternehmenserfolg geht verloren. Die langfristige Unternehmensstrategie wird ersetzt durch kurzfristig “monetär erfolgreiche” Maßnahmen, die kommuniziert, aber nicht mehr diskutiert werden. Kliniken werden mehr und mehr geführt wie moderne Wirtschaftsunternehmen, in denen Quartalszahlen und kurzfristige Gewinnerwartungen das Handeln der Akteure maßgeblich beeinflussen.

Bedenkt man aber, wie lange es in der Medizin dauert, neue diagnostische und therapeutische Behandlungsmaßnahmen einzuführen, zu etablieren und bekannt zu machen, welchen Zeitraumes es bedarf, um eine Klinik national und vielleicht sogar international zu verankern, sollte man annehmen, dass jedes Klinikum auf eine langfristige Strategie setzen muss. Dieses sinnvolle strategische Konzept kollidiert jedoch immer häufiger mit den kurzfristigen Erfolgserwartungen der Klinikträger an die Unternehmensführung. Es kollidiert auch mit der Halbwertszeit der Unternehmensführung selbst, da kaufmännische und ärztliche Direktoren in relativ kurzen Zeiträumen bestellt und wieder entlassen werden. Unternehmenskonzepte werden so immer wieder modifiziert oder ganz umgestellt.

Zielführende, langfristige Strategien, die den Akteuren die notwendige Muße zur Entwicklung neuer Ideen und Verfahren einräumen und so die Zukunft einer Klinik sichern, lassen sich kaum mehr umsetzen. Letztlich kann sich damit auf allen Seiten eine Wagenburgmentalität entwickeln. Das Vermögen und das Wollen des jeweils Anderen wird nicht mehr richtig verstanden. Anstatt die vorhandenen Potentiale zu erkennen und die Talente zu fördern, wird eine Strategie angewandt, die wohl mit den wirtschaftlichen Trends, nicht aber mit den Vorstellungen des Personals und der Patienten kompatibel ist. Das Misstrauen wächst und die Kommunikation wird notwendigerweise unidirektional. Sie fokussiert allein auf den kurzfristigen wirtschaftlichen Erfolg. Kapital und Humankapital werden diesem Erfolg nutzbringend untergeordnet.

Die Zukunft?

Auf Dauer kann eine derartige Unternehmensstrategie nicht erfolgreich sein. Die demographische Entwicklung und rigide administrative Vorschriften verursachen eine erkennbar zunehmende Kapitaldeckungslücke. Immer mehr Krankenhäuser geraten in wirtschaftliche Schwierigkeiten, die weder auf menschlichem Versagen noch auf Missmanagement gründen. Vielmehr haben sie strukturelle Ursachen, die in der systemischen Ebene liegen, welche durch kleinräumige Maßnahmen nicht zu beeinflussen ist. Dennoch sind Veränderungen im Sinne der Optimierung und eines besseren Umganges miteinander auch in den Kliniken ausserordentlich sinnvoll.

Daraus erwächst die Frage, welche Maßnahmen zu ergreifen seien, um diese Veränderungen herbeizuführen.

Ist das Wohl der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen und der Patienten wieder in den Mittelpunkt der Bemühungen zu rücken, oder setzt man weiterhin auf kurzfristige Strategien, die unsere Kliniken auszehren und ihre Untauglichkeit zur langfristigen Problemlösung längst bewiesen haben?

Ein Krankenhaus ist kein Industriebetrieb, ein Patient kein Werkstück. Auf dem Weg zur Anpassung an veränderte Gegebenheiten darf die schwarze Null nicht zum ultimativen Ziel erhoben werden. Sie wird erkauft durch einen Verlust an Arbeitsfreude, Behandlungsqualität und menschlicher Zuwendung.

Solange eine politisch gewollte und methodisch sinnvolle Anpassung an die Erfordernisse der Zukunft auf sich warten lässt, sollten sich die Akteure im Klinikbereich daher auf Handlungsanweisungen einigen, die den besonderen Bedingungen eines Krankenhauses Rechnung tragen.

Eine solche Handlungsanweisung könnte aus dem Sankt Galler Führungsmodell hergeleitet werden:

  • Ein Klinikum besteht aus Subsystemen, die in hohem Maße autonom und selbstorganisierend agieren müssen.
  • Autonome Systeme können nicht vollständig von oben geführt werden.
  • Eine Führungskraft muss sich der Tatsache bewusst sein, dass sie durch ihre Persönlichkeit und ihre Maßnahmen immer auf die Mitarbeiter/innen und deren Verhalten einwirkt.
  • Es ist Aufgabe der Führung, die Beziehungsgeflechte inner- und ausserhalb des Klinikums auf eine gesunde Basis zu stellen.
  • Bindende Absprachen und Selbstorganisation sind in komplexen Situationen erfolgreicher als unidirektionale Interventionen.
  • Führung gestaltet die Rahmenbedingungen.
  • Führung setzt Entwicklungen in Gang und verbessert Strukturen.

Einigte man sich auf einen solchen oder ähnlichen Kanon von sinnvollen Anweisungen, wären viele der angesprochenen Probleme aus der Welt geschafft.

Administrationen und Leistungsträger/innen würden wieder auf vernünftiger Basis miteinander kommunizieren und könnten sich in gegenseitiger Hochachtung gemeinsam den wirklich wichtigen kurz- und langfristigen Strategien zuwenden, die auf den Kernauftrag des Gesundheitssystemes „Das Patientenwohl“ gerichtet sind. Die Ergebnisse der vorliegenden Umfrage zur Kommunikation geben uns wertvolle Hinweise in die Hand, um mit sachbezogenen Argumenten eine dringend notwendige Diskussion zu beleben.

Bruch H.-P., Bruch J. Kommunikation und Führung contra Boni. Passion Chirurgie. 2012 März; 2(03): Artikel 02_01.

Editorial: Zoff im Krankenhaus

Unter dem Druck der ökonomischen Rahmenbedingungen verändern sich die Partnerschaften unter Kolleginnen und Kollegen und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in allen Einrichtungen über alle Fächergrenzen hinweg, die mit den Administrationen jahrzehntelang hervorragend, gut oder zumindest befriedigend funktioniert haben und lösen sich an vielen Orten mehr und mehr auf. Das gegenseitige Vertrauen geht verloren.

An die Stelle gemeinsamer sachbezogener Arbeit treten Machtstrukturen, planwirtschaftliche Vorgaben und Anforderungen an eine permanente Leistungssteigerung, die nur noch der Logik des Kapitales folgen. Wer die Grundregeln der Mathematik auch nur ansatzweise beherrscht, der weiß, dass eine Kultur der permanenten Leistungssteigerung im endlichen System finanzieller Ressourcen und menschlicher Leistungsfähigkeit a priori zum Scheitern verurteilt ist.

Der Kernauftrag der Medizin, das Patientenwohl, gerät unter solchen Bedingungen allzu leicht aus dem Fokus und droht ersetzt zu werden durch ökonomische Vorgaben, die kaum mehr nach dem Befinden des Patienten fragen. Menschliches Leid wird zum Gegenstand DRG-relevanter, nicht selten aufwertbarer erlössichernder Überlegungen und budgetrelevanter Zielvorgaben, oder anders ausgedrückt – nicht die Frage, was fehlt dem Patienten sondern vielmehr die Frage, was kann man im Zusammenhang mit seinem Leiden noch abrechnen, wird von zentraler Bedeutung.

Ganz in diesem Sinne wirken auch die sogenannten erfolgsabhängigen Gehaltsanteile, Boni oder Incentives, wenn diese nicht an den langfristigen Unternehmenserfolg gebunden sind. Der ökonomische Druck wird von den Krankenhausträgern an die Administrationen und von diesen häufig ungebremst an die Leistungsträger weitergereicht. Es nimmt daher nicht Wunder, dass das Instrument der Boni das primär der Motivation von Administrationen diente, fast flächendeckend auf die medizinischen Leistungserbringer übertragen wird.

Bald wird die Hälfte der Verträge leitender Chirurgen zielerreichungsabhängige Klauseln enthalten. Dem objektiven Betrachter drängt sich dabei schon die Frage auf, ob harte Indikation, leitliniengerechte Therapie und Nachsorge, Leistungswille und ein hoher Qualitätsanspruch nicht mehr hinreichen, um ein angemessenes Gehalt zu rechtfertigen?

Da sich die Vertragsklauseln aber nicht selten auf 30 bis 40 Prozent des Gehaltes beziehen, wird der Lebensstandard ganzer Familien im ungünstigsten Falle das auskömmliche Gehalt mit einer bestimmten durch Zielvereinbarungen definierten Mehr- oder nach Maß und Zahl bestimmten Spezialleistung unlösbar verknüpft. Wer sich diesem Ansinnen zu widersetzen wagt, dem kann das kurzfristige Ende der Karriere beschieden werden. Der Arzt wird gebunden an das ökonomische Ziel. Der Patient tritt in den Hintergrund.

Nicht ohne Grund warnt der Präsident der Bundesärztekammer immer wieder vor der vertraglichen Verknüpfung von Boni und kurzfristigen Erwartungen der Administrationen.

Denn weltfremd, wer glauben mag, dies hätte dauerhaft keine Auswirkungen auf die Indikationsstellung und die Zahl medizinischer Interventionen.

Der BDC ist in erster Linie Dienstleister für seine Mitglieder und Partner der wissenschaftlichen Gesellschaften. Seine vornehmste Aufgabe ist es daher, sich um das berufliche Umfeld dieser Mitglieder zu bekümmern – mit einem Wort, den Mitgliedern besonders in schwierigen Situationen partnerschaftlich zur Seite zu stehen.

In den nächsten Jahren wird es daher zu den wichtigen Zielen der wissenschaftlichen Gesellschaften und der Verbände gehören müssen neben den angestammten Aufgaben Lehre, Forschung und Krankenversorgung und der Kooperation über Grenzen hinweg, dafür Sorge zu tragen, dass Wunsch und Wirklichkeit in der klinischen Ökonomie einander wieder angenähert werden.

Unser System ist in die Jahre gekommen. Wenn die Methoden, von denen die Administration glaubt sie aus ökonomischen Gründen anwenden zu müssen, dem höchsten Ziel des Medizinsystemes – dem Patientenwohl – dauerhaft zuwiderlaufen, wird man darüber nachdenken müssen, wie das System zu verändern sei, damit der hohe Anspruch der Patienten an die Versorgungsqualität und die Versorgungssicherheit erfüllt werden kann und dies dennoch mit den zur Verfügung gestellten Kapitalressourcen in Übereinstimmung zu bringen ist.

Es bedarf einer neuen Partnerschaft zwischen den Krankenhausträgern der Administration und den Leistungsträgern, damit Arbeitszufriedenheit und Arbeitserfolg gewahrt werden und die Attraktivität der chirurgischen Profession erhalten bleibt.

Je größer die Einigkeit und Einheit in der chirurgischen Gemeinschaft, umso wirkungsvoller werden Argumente vorgetragen, umso besser können wir „Chirurgen in Partnerschaft“ auf Augenhöhe sein.

Allen muss wieder klar werden, dass der Patient das Krankenhaus nicht aus freien Stücken aufsucht. Wer Linderung von Beschwerden und Heilung in einen quasi industriellen Fliessbandprozess zwängen will, verkennt die Erwartungen unserer Patienten und gibt sich implizit der vollends unbegründeten Gewissheit hin, die Medizin wäre heute schon in der Lage, ihr eigenes Tun und Handeln jederzeit wissenschaftlich einwandfrei zu begründen.

Ihr

Prof. Dr. Hans-Peter Bruch
Präsident des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgen

Bruch H.-P. Zoff im Krankenhaus. Passion Chirurgie. 2012 März; 2(03): Artikel 01_01.

Gemeinsamer Bundeskongress Chirurgie 2012 – 02.03 – 04.03.2012 in Nürnberg

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

unser Gesundheitswesen steht vor großen Herausforderungen, nur einige Schlagwörter wie demographischer Wandel, medizinischer Fortschritt, Fachkräftemangel, Wachstumsmarkt Gesundheitswesen, Defizite bei der Finanzierung der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung, Rationierung, Priorisierung sollen genannt werden.

Vor diesem Hintergrund befinden wir uns als Ärzte und Chirurgen in einem besonderen Spannungsfeld. Bereits im März 2011 hat sich unser gemeinsamer Bundeskongress in Nürnberg bei der Eröffnung dem Thema „Wird in Deutschland zu viel operiert?“ gewidmet. Unsere Diskussion basierte auf eindeutigen Gutachten und gab klare Antworten, noch ehe die Diskussion durch vermeintlich potente Zweitmeinungsbildner über die Medien wieder mit oft unsachlicher Verunglimpfung der Operateure breitgetreten wurde. Dabei ist diese Frage für die eingangs genannten Probleme eher belanglos. Vielmehr ist für die Behandlung unserer Patienten entscheidend: wer behandelt was, wo, wie, welcher Nutzen besteht für den Patienten und welche Kosten sind damit verbunden. Dazu ist es erforderlich, auf der Basis der Mystik des Arzt-Patientenverhältnisses und entsprechender Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität sektorenübergreifende Behandlungskonzepte mit den Indikatoren Heilung, Linderung und Bewahrung vor Sekundärschäden zu entwickeln. Die Federführung bei der Konzeption, an der sich alle Leistungserbringer aus Klinik, Praxis, Pflege, Rehabilitation, Lehre und Forschung sowie Industrie und Fachhandel beteiligen sollten, müssen kommunikations- und integrationsfähige Ärzte übernehmen, die sich noch als Freiberufler verstehen. Die diesbezügliche Abhängigkeit von Kostenträgern, Ökonomen oder gesellschaftspolitischer Beliebigkeit muss durchbrochen werden, es gilt für die Leistungserbringer im Gesundheitswesen: Gemeinsam Stärke zeigen..

Dieses Motto hat sich der gemeinsame Bundeskongress des Berufsverbandes der niedergelassenen Chirurgen Deutschlands (BNC), des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgen (BDC) und des Bundesverbandes für ambulantes Operieren (BAO) unter Mitwirkung der Deutschen Gesellschaft für Plastische und Wiederherstellungschirurgie (DGPW), des Berufsverbandes der Orthopäden und Unfallchirurgen (BVOU) und des Bundesverbandes der Durchgangsärzte im Jahr 2012 auf die Fahnen geschrieben. Der Kongress, welcher die Tradition des Bundeskongresses des BNC, der Jahrestagung des BAO und des Chirurgentages des BDC fortsetzt und weiterentwickelt, soll eine gemeinsame sektorenverbindende fachliche und berufspolitische Kommunikationsplattform nicht nur für Ärzte, sondern auch für medizinische Fachberufe, Industrie und Fachhandel bieten.

Ein breites Spektrum praxis- und klinikrelevanter Themen der Allgemein-, Viszeral-, Kinder-, Gefäß- und Unfallchirurgie/Orthopädie wird in Form von Übersichtsreferaten fachkompetenter Kollegen mit anschließender Podiums- und Publikumsdiskussion abgehandelt, wobei das Spektrum von der „Chirurgie des Häufigen“- dem eingewachsenen Zehennagel – über die Traumatologie von Schulter und Arm bis zur Palliativmedizin reicht und die Nachbehandlung sowie konservative Behandlungsmethoden mit einschließt. Aber auch die Darstellung der „Chirurgie abseits vom Mainstream“ mit dem Blick über den Tellerrand von Praxis und Klinik auf Hilfsorganisationen, auf die Bundeswehr, auf soziales Engagement für Obdachlose soll etablierten und zukünftigen Kollegen die Möglichkeiten und Vielfalt chirurgischer Tätigkeit aufzeigen.

Höhepunkte des Kongresses werden wie in jedem Jahr Eröffnung, politischer Vormittag und „Was gibt es Neues in der Chirurgie?“ sein. Bei der Eröffnung mit Grußworten und Statements der Verbände und der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie geht es um das Thema „Der Chirurg vergöttert und verteufelt“ und in der politischen Diskussion am Samstagvormittag um die Frage „Versorgungsstrukturgesetz – Befreiung oder Fessel?“.Hierbei werden sich der Bundesminister Daniel Bahr, der KBV – Vorsitzende Dr. med. Andreas Köhler, Herr Thomas Ballast, Vorstandsvorsitzender des VdEK, und der Chirurg Dr. med. Karl-Dieter Stotz primär zu Wort melden. Über Neues in der Chirurgie – diesmal der Gefäßchirurgie – wird Herr Prof. Dr. med. Werner Lang, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin e.V. berichten.

Ein weiterer Schwerpunkt des Kongresses ist das Versorgungsmanagement. Es umfasst die Themen Praxisorganisation, das Management ambulanter Operationen in Klinik und Praxis sowie Kooperation zwischen Ärzten, Industrie und Fachhandel . Joachim M. Schmitt, Geschäftsführer des BVMed, wird in dieser Sitzung zum Thema „Health care compliance“ sprechen.

Abgerundet wird der Kongress durch den erstmals in dieser Form etablierten „Tag der medizinischen Fachberufe. Diese Veranstaltung richtet sich an Medizinische Fachangestellte (MFA), Gesundheits- und Krankenpfleger, MTRA, Wundschwestern/-experten, Physiotherapeuten.

Darüber hinaus bietet der Kongress traditionell zahlreiche praktische Workshops und Weiterbildungskurse an. In diesem Zusammenhang sei insbesondere auf die zertifizierten Laparoskopiekurse, den Zweitageskurs „Weiterbildung zum Sterilgutassistenten“ für ambulant operierende Praxen/Ambulanzen/MVZ , die Möglichkeit der Auffrischung der Fachkunde Strahlenschutz für Ärzte und MTRA/MFA und kostenlose Workshops wie Phlebologie für Einsteiger und Fortgeschrittene, Refresher Sonographie Bewegungsapparat u.v.a.m. hingewiesen. Besten Dank an unsere Sponsoren aus Industrie und Handel!

Bei allen Veranstaltungen sollen die Diskussion und das sektorenverbindende kollegiale Gespräch im Vordergrund stehen. Diesem Ansinnen sind auch eine vielfältige Industrieausstellung und unser gemeinsamer Gesellschaftsabend gewidmet, welcher am Samstag den 03.03.2012 in lockerer Atmosphäre in den Räumen des Germanischen Museums im Zentrum von Nürnberg stattfinden wird, wobei natürlich die Möglichkeit der Museumsbesichtigung besteht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, vielfach reduzieren wir uns als Chirurgen auf die reine operative Tätigkeit, die sicherlich Herzenssache, in der Außendarstellung spektakulär, am meisten befriedigend und manchmal auch erholsamer Rückzug ist. Aber diese Reduktion birgt die Gefahr in sich, das wir als reine Handwerker wahrgenommen und als solche behandelt werden, wie die Erfahrungen in etlichen interdisziplinären Zentren zeigen. Ureigenste chirurgische Professionen und Kompetenzen, wie die Behandlung chronischer Wunden, die Frakturnachbehandlung, die chirurgische Onkologie – um nur drei zu nennen, geben wir zunehmend aus der Hand. Für die Ausübung konservativer chirurgischer Behandlungsmethoden muss man sich schon fast schämen und die Diagnostik überlassen wir Dritten. So wird möglicherweise die Indikation der Behandlungsweise bald völlig fremdbestimmt. Ziel des Kongresses ist es daher auch, die Schönheit und Vielfalt, die zahlreichen Facetten unseres wunderbaren umfassenden und doch in sich notwendigerweise spezialisierten Fachgebietes darzustellen und insbesondere jungen Kollegen nahe zu bringen. Das Team der gemeinsamen Kongresskommission und die mitwirkenden Verbände haben dafür hochkarätige Referenten gewinnen können.

Wir würden uns freuen, Sie auch im Namen der Präsidenten und Vorsitzenden der beteiligten Berufsverbände sowie der Kongresskommission auf dem gemeinsamen Bundeskongress Chirurgie 2012 in Nürnberg begrüßen zu dürfen, um Gemeinsam Stärke zu zeigen.

Mit besten Grüßen

Dr. med. Stephan Dittrich
Leiter der gemeinsamen Kongresskommission BNC/BDC/BAO
Regionalvertreter der Niedergelassenen im BDC-Landesverband Thüringen
Prof. Dr. med. Hans-Peter Bruch
Präsident des Berufsverband der Deutschen Chirurgen

Beratung von Mitgliedern am BDC-Stand zu folgenden Themen:

  • Rechtsfragen
  • Niederlassung
  • Versicherungen
  • Karriereplanung

Der BDC-Justitiar Dr. Jörg Heberer sowie unser Vorstand und die Geschäftsleitung stehen zur Beantwortung Ihrer Fragen zur Verfügung.

Terminvereinbarung vorab über die BDC-Geschäftssstelle unter Tel. 030 / 28004 – 100, bzw. während des Kongresses direkt am BDC-Stand.

Dittrich S., Bruch H.-P. Gemeinsamer Bundeskongress Chirurgie 2012. Passion Chirurgie. 2012 Januar; 2(1): Artikel 03_01.

Grußwort des BDC zum 129. Chirurgenkongress 2012

Sehr geehrter Herr Kollege, sehr verehrte Frau Kollegin,

ganz unversehens ist das Motto, das der Präsident Professor Markus Büchler dem Chirurgenkongress gegeben hat –  Chirurgie in Partnerschaft – durch die grossen Überschriften der Presse hochaktuell geworden – dies jedoch in vollkommen anderer Weise als ursprünglich gedacht.

Das Wort Partner ist aus dem Englischen übernommen und findet seinen Wortstamm in Parcener, was soviel bedeutet wie Teilhaber. Partnerschaft hat demnach etwas zu tun mit Achtung und Begegnung auf gleicher Augenhöhe. Unsere Partner im Medizinsystem sind die Kolleginnen und Kollegen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in allen Einrichtungen über alle Fächergrenzen hinweg. Es sind die im niedergelassenen Bereich Tätigen, die mit den Klinikern kooperieren, und die Versorgung der Patienten sektorübergreifend sicherstellen. Und schliesslich sind es die Patienten selbst, deren Vertrauen es zu gewinnen und zu erhalten gilt.

Nicht jede Partnerschaft im Medizinsystem entwickelt sich jedoch so positiv, wie man sich dies wünschen möchte. Unter dem Druck der ökonomischen Rahmenbedingungen verändert sich die Partnerschaft, die mit den Administrationen jahrzehntelang hervorragend, gut oder zumindest befriedigend funktioniert hat und löst sich an vielen Orten mehr und mehr auf. Das gegenseitige Vertrauen geht verloren.

An die Stelle gemeinsamer sachbezogener Arbeit treten Machtstrukturen, planwirtschaftliche Vorgaben und Anforderungen an eine permanente Leistungssteigerung, die nur noch der Logik des Kapitales folgen. Wer die Grundregeln der Mathematik auch nur ansatzweise beherrscht, der weiß, dass eine Kultur der permanenten Leistungssteigerung im endlichen System finanzieller Ressourcen und menschlicher Leistungsfähigkeit a priori zum Scheitern verurteilt ist.

Der Kernauftrag der Medizin, das Patientenwohl, gerät unter solchen Bedingungen allzu leicht aus dem Fokus und droht ersetzt zu werden durch ökonomische Vorgaben, die kaum mehr nach dem Befinden des Patienten fragen. Menschliches Leid wird zum Gegenstand DRG-relevanter nicht selten aufwertbarer erlössichernder Überlegungen und budgetrelevanter Zielvorgaben, oder anders ausgedrückt – nicht die Frage, was fehlt dem Patienten sondern vielmehr die Frage ,was kann man im Zusammenhang mit seinem Leiden noch abrechnen, wird von zentraler Bedeutung.

Ganz in diesem Sinne wirken auch die sogenannten erfolgsabhängigen Gehaltsanteile, Boni oder Incentives, wenn diese nicht an den langfristigen Unternehmenserfolg gebunden sind. Der ökonomische Druck wird von den Krankenhausträgern an die Administrationen und von diesen häufig ungebremst an die Leistungsträger weitergereicht. Es nimmt daher nicht Wunder, dass das Instrument der Boni das primär der Motivation von Administrationen diente fast flächendeckend auf die medizinischen Leistungserbringer übertragen wird.

Bald wird die Hälfte der Verträge leitender Chirurgen zielerreichungsabhängige Klauseln enthalten. Dem objektiven Betrachter drängt sich dabei schon die Frage auf, ob harte Indikation, leitliniengerechte Therapie und Nachsorge, Leistungswille und ein hoher Qualitätsanspruch nicht mehr hinreichen, um ein angemessenes Gehalt zu rechtfertigen?

Da sich die Vertragsklauseln aber nicht selten auf 30 bis 40 % des Gehaltes beziehen, wird der Lebensstandard ganzer Familien im ungünstigsten Falle das auskömmliche Gehalt mit einer bestimmten durch Zielvereinbarungen definierten Mehr- oder nach Maß und Zahl bestimmten Spezialleistung unlösbar verknüpft. Wer sich diesem Ansinnen zu widersetzen wagt, dem kann das kurzfristige Ende der Karriere beschieden werden. Der Arzt wird gebunden an das ökonomische Ziel. Der Patient tritt in den Hintergrund.

Nicht ohne Grund warnt der Präsident der Bundesärztekammer immer wieder vor der vertraglichen Verknüpfung von Boni und kurzfristigen Erwartungen der Administrationen

Denn weltfremd, wer glauben mag, dies hätte dauerhaft keine Auswirkungen auf die Indikationsstellung und die Zahl medizinischer Interventionen.

Der BDC ist in erster Linie Dienstleister für seine Mitglieder und Partner der wissenschaftlichen Gesellschaften. Seine vornehmste Aufgabe ist es daher sich um das berufliche Umfeld dieser Mitglieder zu bekümmern – mit einem Wort, den Mitgliedern besonders in schwierigen Situationen partnerschaftlich zur Seite zu stehen.

In den nächsten Jahren wird es daher zu den wichtigen Zielen der wissenschaftlichen Gesellschaften und der Verbände gehören müssen neben den angestammten Aufgaben Lehre, Forschung und Krankenversorgung und der Kooperation über Grenzen hinweg dafür Sorge zu tragen, dass Wunsch und Wirklichkeit in der klinischen Ökonomie einander wieder angenähert werden.

Unser System ist in die Jahre gekommen. Wenn die Methoden, von denen die Administration glaubt sie aus ökonomischen Gründen anwenden zu müssen dem höchsten Ziel des Medizinsystemes dem Patientenwohl dauerhaft zuwiderlaufen, wird man darüber nachdenken müssen, wie das System zu verändern sei, damit der hohe Anspruch der Patienten an die Versorgungsqualität und die Versorgungssicherheit erfüllt werden kann und dies dennoch mit den zur Verfügung gestellten Kapitalressourcen in Übereinstimmung zu bringen ist.

Ein solcher Paradigmenwechsel erfordert ein Umdenken und er ist sicher nicht zu haben, ohne dass man Abschied nehmen muss von lieb gewordenen Gewohnheiten. Insbesondere wird man lernen müssen wieder mit einer Sprache zu sprechen, sich auf gemeinsame Ziele zu vereinbaren und diese kooperativ zu verwirklichen.

In den zurückliegenden Jahrzehnten aber ist es auch gelungen Spannungen zwischen den Fächern weitestgehend abzubauen. Dies war nur zu erreichen durch Flexibilität an den Fächergrenzen und Verständnis für die Ansichten und Wünsche des jeweils Anderen. An die Stelle der Uneinigkeit ist so in der Regel hochachtungsvolle Partnerschaft getreten, die dem Patientenwohl zugute kommt.

In gleicher Weise bedarf es einer neuen Partnerschaft zwischen den Krankenhausträgern der Administration und den Leistungsträgern, damit Arbeitszufriedenheit und Arbeitserfolg gewahrt werden und die Attraktivität der chirurgischen Profession erhalten bleibt.

Je größer die Einigkeit und Einheit in der chirurgischen Gemeinschaft, umso wirkungsvoller werden Argumente vorgetragen, umso besser können wir “Chirurgen in Partnerschaft ” auf Augenhöhe sein.

Allen muss wieder klar werden, dass der Patient das Krankenhaus nicht aus freien Stücken aufsucht. Wer Linderung von Beschwerden und Heilung in einen quasi industriellen Fliessbandprozess zwängen will, verkennt die Erwartungen unserer Patienten und gibt sich implizit der vollends unbegründeten Gewissheit hin, die Medizin wäre heute schon in der Lage ihr eigenes Tun und Handeln jederzeit wissenschaftlich einwandfrei zu begründen.

Der Chirurgenkongress bietet das Forum die wichtigen Zukunftsfragen der Chirurgie zu diskutieren. Dabei wird die Chirurgengemeinschaft nicht umhin kommen konstruktiv und eindeutig Stellung zu beziehen, – auch – wenn es um gesellschaftspolitische Fragen geht, die das Medizinsystem im Allgemeinen und die Chirurgie im Besonderen betreffen.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr
Prof. Dr. Hans-Peter Bruch

Editorial: Minimalinvasive Chirurgie

Die minimalinvasive Chirurgie (MIC) ist ein Paradebeispiel dafür, wie sich viele Entwicklungen in der Medizin vollziehen. Sie entstehen nicht aus dem “Mainstream”, es sind vielmehr die Querdenker, die eine eigene Gedankenwelt aufbauen und neue Wege gehen. In der Regel werden ihre Ideen, und nicht selten auch sie selbst, primär vehement abgelehnt und bekämpft. Der Lebensweg des ersten großen Protagonisten der minimalinvasiven Chirurgie, Professor Semm, legt davon beredtes Zeugnis ab.

Ohne die von der Wissenschaft geforderten Studien, fanden seine Ideen Nachahmer und begeisterte Jünger und diese hinterlassen der akademischen Gemeinschaft die Aufgabe der Evaluation und der Abschätzung von Risiken und Entwicklungspotentialen – eine Aufgabe, die wie wir unterdessen wissen, viele Jahre in Anspruch nehmen kann.

Immerhin haben uns die letzten 20 Jahre Vieles gelehrt und wir schulden gerade den Herren Müller und Köckerling Dank dafür, dass sie sich sehr frühzeitig und nachhaltig mit Studien zur minimalinvasiven Chirurgie beschäftigt haben.

Eine Erkenntnis aus den letzten beiden Dekaden ist dabei zweifelsohne, dass wir gerade mit Blick auf die minimalinvasive Chirurgie, die theoretischen und praktischen Inhalte der chirurgischen Weiterbildung nicht mehr als Nebenprodukt der täglichen klinischen Routine betrachten dürfen. Die Patientensicherheit, die zunehmende Leistungsverdichtung und die knapper werdenden Kapitalressourcen zwingen uns, praktische Lerninhalte aus der klinischen Routine und insbesondere aus dem Operationssaal in “Dry- und Wetlabs” zu verlegen. Dies besitzt für den chirurgischen Nachwuchs den zusätzlichen Charme, dass die Konzentration im OP ganz dem Patienten gehört und nicht mehr zum größten Teil auf technische Gegebenheiten gerichtet sein muss.

Die von Ferdinand Köckerling und dem Vorstand der CAMIC initiierten Curricula zur minimalinvasiven Chirurgie entfalten dabei weitere Vorteile. Der Lernfortschritt wird harmonisch entwickelt. Weiterzubildende und Weiterbildungseinrichtungen erhalten eine Rückkoppelung darüber, ob sie den Anforderungen, die von der Arbeitsgemeinschaft erhoben sind, auch wirklich gerecht werden. Anpassung und Entwicklung erhalten so eine neue Dynamik.

Der sachliche Blick zurück, den Jochen Müller wagt, macht uns ernüchternd deutlich, wie anscheinend gering die fassbaren Vorteile der MIC doch sind. Dabei sollten wir aber nicht aus den Augen verlieren, wie sehr Studien von leicht definierbaren Endpunkten getragen werden. Dies gilt ganz besonders für Cochrane Studien, die nach besonders strengen Regeln zu verfassen sind.

Was bedeuten zum Beispiel die positiven Wirkungen der MIC auf das Immunsystem des Menschen im Vergleich zur offenen Chirurgie? – Hier hat die Arbeitsgruppe um Jochen Müller Pionierarbeit geleistet – Wie ist die nur minimale Aktivierung der Endothelprogenitorzellen nach MIC einzuorden? Wie wirkt sich das “Gravity Displacement” auf die Infiltration der Darmwand durch Makrophagen aus? Wie kann es sein, dass man während einer Reoperation nach tumorradikaler Proktocolectomie nicht eine einzige Verwachsung im Abdomen findet?

Dies sind nur einige der Fragen, die durch Studien mit einfachen Endpunkten wohl nie geklärt werden können. So bleibt bei aller gebotenen Skepsis noch viel zu tun.

Und doch ist die Entwicklung schon wieder einen Schritt weitergegangen. Vestweber und Co-Autoren schildern eindrücklich die Vorteile der “Single Port Chirurgie”. Die Medizintechnik hat diesen Trend längst entdeckt und “designt” Manipulatoren, die den Chirurgen des Operierens in “Handschellen” entbinden.

Man darf gespannt sein, wohin uns der Weg führt, denn längst entstehen in den technischen Labors und mathematischen Instituten adaptierbare Weichgewebsnavigationssysteme. Die elastische Bildfusion ist keine Utopie mehr und mit der Fortentwicklung der Rechnerkapazität der Programme und der piezoelektrischen Antriebe mögen robotische Systeme irgendwann in absehbarer Zeit in den Operationssaal einziehen.

Bruch H.-P. Editorial Minimalinvasive Chirurgie. Passion Chirurgie. 2011 November; 1(11): Artikel 01_01.