01.03.2012 Sonstige
Editorial: Zoff im Krankenhaus
Unter dem Druck der ökonomischen Rahmenbedingungen verändern sich die Partnerschaften unter Kolleginnen und Kollegen und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in allen Einrichtungen über alle Fächergrenzen hinweg, die mit den Administrationen jahrzehntelang hervorragend, gut oder zumindest befriedigend funktioniert haben und lösen sich an vielen Orten mehr und mehr auf. Das gegenseitige Vertrauen geht verloren.
An die Stelle gemeinsamer sachbezogener Arbeit treten Machtstrukturen, planwirtschaftliche Vorgaben und Anforderungen an eine permanente Leistungssteigerung, die nur noch der Logik des Kapitales folgen. Wer die Grundregeln der Mathematik auch nur ansatzweise beherrscht, der weiß, dass eine Kultur der permanenten Leistungssteigerung im endlichen System finanzieller Ressourcen und menschlicher Leistungsfähigkeit a priori zum Scheitern verurteilt ist.
Der Kernauftrag der Medizin, das Patientenwohl, gerät unter solchen Bedingungen allzu leicht aus dem Fokus und droht ersetzt zu werden durch ökonomische Vorgaben, die kaum mehr nach dem Befinden des Patienten fragen. Menschliches Leid wird zum Gegenstand DRG-relevanter, nicht selten aufwertbarer erlössichernder Überlegungen und budgetrelevanter Zielvorgaben, oder anders ausgedrückt – nicht die Frage, was fehlt dem Patienten sondern vielmehr die Frage, was kann man im Zusammenhang mit seinem Leiden noch abrechnen, wird von zentraler Bedeutung.
Ganz in diesem Sinne wirken auch die sogenannten erfolgsabhängigen Gehaltsanteile, Boni oder Incentives, wenn diese nicht an den langfristigen Unternehmenserfolg gebunden sind. Der ökonomische Druck wird von den Krankenhausträgern an die Administrationen und von diesen häufig ungebremst an die Leistungsträger weitergereicht. Es nimmt daher nicht Wunder, dass das Instrument der Boni das primär der Motivation von Administrationen diente, fast flächendeckend auf die medizinischen Leistungserbringer übertragen wird.
Bald wird die Hälfte der Verträge leitender Chirurgen zielerreichungsabhängige Klauseln enthalten. Dem objektiven Betrachter drängt sich dabei schon die Frage auf, ob harte Indikation, leitliniengerechte Therapie und Nachsorge, Leistungswille und ein hoher Qualitätsanspruch nicht mehr hinreichen, um ein angemessenes Gehalt zu rechtfertigen?
Da sich die Vertragsklauseln aber nicht selten auf 30 bis 40 Prozent des Gehaltes beziehen, wird der Lebensstandard ganzer Familien im ungünstigsten Falle das auskömmliche Gehalt mit einer bestimmten durch Zielvereinbarungen definierten Mehr- oder nach Maß und Zahl bestimmten Spezialleistung unlösbar verknüpft. Wer sich diesem Ansinnen zu widersetzen wagt, dem kann das kurzfristige Ende der Karriere beschieden werden. Der Arzt wird gebunden an das ökonomische Ziel. Der Patient tritt in den Hintergrund.
Nicht ohne Grund warnt der Präsident der Bundesärztekammer immer wieder vor der vertraglichen Verknüpfung von Boni und kurzfristigen Erwartungen der Administrationen.
Denn weltfremd, wer glauben mag, dies hätte dauerhaft keine Auswirkungen auf die Indikationsstellung und die Zahl medizinischer Interventionen.
Der BDC ist in erster Linie Dienstleister für seine Mitglieder und Partner der wissenschaftlichen Gesellschaften. Seine vornehmste Aufgabe ist es daher, sich um das berufliche Umfeld dieser Mitglieder zu bekümmern – mit einem Wort, den Mitgliedern besonders in schwierigen Situationen partnerschaftlich zur Seite zu stehen.
In den nächsten Jahren wird es daher zu den wichtigen Zielen der wissenschaftlichen Gesellschaften und der Verbände gehören müssen neben den angestammten Aufgaben Lehre, Forschung und Krankenversorgung und der Kooperation über Grenzen hinweg, dafür Sorge zu tragen, dass Wunsch und Wirklichkeit in der klinischen Ökonomie einander wieder angenähert werden.
Unser System ist in die Jahre gekommen. Wenn die Methoden, von denen die Administration glaubt sie aus ökonomischen Gründen anwenden zu müssen, dem höchsten Ziel des Medizinsystemes – dem Patientenwohl – dauerhaft zuwiderlaufen, wird man darüber nachdenken müssen, wie das System zu verändern sei, damit der hohe Anspruch der Patienten an die Versorgungsqualität und die Versorgungssicherheit erfüllt werden kann und dies dennoch mit den zur Verfügung gestellten Kapitalressourcen in Übereinstimmung zu bringen ist.
Es bedarf einer neuen Partnerschaft zwischen den Krankenhausträgern der Administration und den Leistungsträgern, damit Arbeitszufriedenheit und Arbeitserfolg gewahrt werden und die Attraktivität der chirurgischen Profession erhalten bleibt.
Je größer die Einigkeit und Einheit in der chirurgischen Gemeinschaft, umso wirkungsvoller werden Argumente vorgetragen, umso besser können wir „Chirurgen in Partnerschaft“ auf Augenhöhe sein.
Allen muss wieder klar werden, dass der Patient das Krankenhaus nicht aus freien Stücken aufsucht. Wer Linderung von Beschwerden und Heilung in einen quasi industriellen Fliessbandprozess zwängen will, verkennt die Erwartungen unserer Patienten und gibt sich implizit der vollends unbegründeten Gewissheit hin, die Medizin wäre heute schon in der Lage, ihr eigenes Tun und Handeln jederzeit wissenschaftlich einwandfrei zu begründen.
Ihr
Prof. Dr. Hans-Peter Bruch
Präsident des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgen
Bruch H.-P. Zoff im Krankenhaus. Passion Chirurgie. 2012 März; 2(03): Artikel 01_01.
Autor des Artikels
Prof. Dr. med. Hans-Peter Bruch
ehem. PräsidentBerufsverband der Deutschen Chirurgen e.V.Luisenstr. 58/5910117BerlinWeitere Artikel zum Thema
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