Alle Artikel von Jörg-Andreas Rüggeberg

Sektorübergreifende Versorgung – Mehr als nur ein Schlagwort?

Der Begriff „Sektorübergreifende Versorgung“ beherrscht in zunehmendem Maße die öffentliche Diskussion, unter anderem auch im aktuellen Koalitionsvertrag. In der Regel ist die Formulierung positiv besetzt als erstrebenswertes und heilbringendes Ziel, allerdings sind Hinweise zur Umsetzung eher vage, wenn überhaupt zu erkennen.

Der BDC hat seit Jahren die sektorübergreifende Versorgung auf der Agenda und bietet jedes Jahr anlässlich des Chirurgenkongresses Sitzungen mit verschiedenen Aspekten dazu an. Dennoch, trotz aller Willensbekundungen, ist es bisher keinen Schritt voran gegangen. Woran liegt das?

Ein wichtiger, vielleicht entscheidender Punkt ist bereits die Namensgebung. Es geht nämlich nur vordergründig um eine sektorübergreifende oder -verbindende Versorgung, sondern um die Überwindung fest zementierter Sektorengrenzen. Die kollegiale gemeinsame Betreuung einzelner Patienten durch Kliniker und Niedergelassene ist längst gelebte Praxis, allerdings nur in Form gegenseitiger Information und Beratung. Eine organisierte und generelle Kooperation scheitert an den Betonmauern des Systems.

Auf der einen Seite stehen die Krankenhäuser, planungstechnisch in Länderhoheit und finanziert über Fallpauschalen (DRG). Die Ärzte sind Angestellte und weisungsabhängig von Vorgaben der Verwaltungen. Auf der anderen Seite die niedergelassenen Ärzte, zwangsorganisiert über die Körperschaft der Kassenärztlichen Vereinigung (KV), ebenfalls länderspezifisch. Die Finanzierung ist hochkomplex in einem gedeckelten Budget, nicht unmittelbar leistungsbezogen und im Prinzip über Fallzahlen gesteuert. Eine Niederlassungsfreiheit gibt es nicht, Arztsitze werden über eine bundesweite Bedarfsplanung aus dem vorigen Jahrhundert vergeben. Aus der Zeit Konrad Adenauers stammt auch das Monopol der KVen auf die ambulante Versorgung gekoppelt mit dem Verzicht auf ein Streikrecht. Dieses Monopol wird inzwischen mit Billigung der Politik ausgehöhlt, indem ambulante Notfallversorgungen in großem Umfang an Kliniken erbracht werden und dafür neue Strukturen wie etwa Portalpraxen installiert werden.

Die genannten unterschiedlichen Regelungen wären nicht unüberwindbar, wenn es nicht auch eine stringente Trennung der Finanzmittel für Kliniken und Praxen bei den Krankenkassen gäbe. Einsparungen in einem Sektor führen nicht zu einem notwendigen Transfer dieser Mittel in den jeweils anderen Bereich. Das führt naturgemäß zu einem vertiefenden Grabenkampf zwischen Kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenhausträgerorganisationen, denn verständlicherweise wird keiner freiwillig Honoraranteile abgeben wollen.

Ohne eine grundlegende Reform der Finanztrennung wird jeder systematische Ansatz einer sektorübergreifenden Versorgung scheitern. Allenfalls könnte man das Belegarztsystem als einen Ansatz betrachten, bei dem sowohl ambulant wie stationär derselbe Arzt tätig wird. Aber auch dieses System wird bestraft mit Erlösabschlägen, die nicht wirklich nachvollziehbar sind.

Bereits heute gibt es zahlreiche Individuallösungen, die aber immer nur auf Basis von Einzelverträgen abgeschlossen werden können. Die Bereitschaft der Ärzteschaft, im Sinne ihrer Patienten eine echte kooperative Behandlung gemeinsam über alle Bereiche zu gestalten, ist vorhanden. Allein, es fehlt der politische Wille zu einer grundlegenden Reform.

Rüggeberg JA. Sektorübergreifende Versorgung – Mehr als nur ein Schlagwort? Passion Chirurgie. 2018 Juni, 8(06): Artikel 05_02.

Editorial: Der Wandel kommt…

… auf leisen Sohlen. Wo finden wir uns am Ende als Ärzte wieder? Denn egal, wie auch immer sich eine Regierung findet, die Bestrebungen, das Gesundheitssystem tiefgreifend zu verändern, sind allgegenwärtig.

Allen voran versuchen die Kostenträger immer wieder mit teilweise ziemlich plakativen Aussagen, vermeintliche Missstände an den Pranger zu stellen. Stellt sich nur die Frage, ob dies nur dazu dient, die Patientenversorgung zu verbessern oder doch eher einen strukturellen Kahlschlag vorzubereiten. Jüngstes Beispiel dafür ist die Aussage, dass jährlich hunderte Tote zu beklagen seien, weil diese am falschen Ort operiert worden seien. Das Thema ist bekannt: Mindestmengen! Grundsätzlich befürworten natürlich auch wir Chirurgen ohne jede Einschränkung eine optimierte Versorgung an solchen Häusern, die dafür die erforderliche Expertise aufweisen. Entsprechend haben wir uns dazu in der Vergangenheit und aus aktuellem Anlass auch jetzt wieder eindeutig positioniert. Es muss allerdings die Frage beantwortet werden, für welche Eingriffsarten welche Mindestmengen gelten sollen. Da genügt es nicht, einfach platt zu fordern „viel hilft viel“, sondern es müssen ausreichend begründete Daten evaluiert werden, auf deren Grundlage entsprechende Empfehlungen herausgegeben werden können.

Die Mindestmengendiskussion ist eben nur vordergründig wohlmeinend im Sinne der Patienten gedacht. Im Kern geht es um die Reduktion kleinerer Abteilungen respektive kleinerer Kliniken. Letztere sind aber vorwiegend in der Fläche angesiedelt und halten dort die wohnortnahe Versorgung aufrecht, die ja schließlich auch immer lautstark gefordert wird. Wenn derartige Häuser nicht zuletzt wegen Wegfalls bestimmter Leistungen nicht mehr wirtschaftlich zu betreiben sind und geschlossen werden, ahnen wir schon den Aufschrei der Politik, dass die Ärzte wieder einmal um des eigenen Profits willen die Versorgung der Patienten mit Füßen treten. Wohl gemerkt: Qualität für Patienten ist die eine Seite, die von niemandem bestritten wird, die Konsequenzen wollen wir dann aber auch dort ansiedeln, wo sie hingehören. Wir müssen uns vehement gegen die Doppelzüngigkeit Dritter wehren, die bei Einschränkungen gleich welcher Art stets jede Schuld von sich weisen.In die ähnliche Richtung geht eine bundesweit in die Medien gestreute Attacke gegen die Schulterchirurgie.

Auch hier wird ohne mit der Wimper zu zucken den Chirurgen vorgeworfen, überflüssige Operationen vorzunehmen. Dies ist die Kernaussage der jeweiligen Artikel, die dann mit einer in England erschienenen „wissenschaftlichen“ Studie untermauert wird. Es zeigt sich bei genauerer Betrachtung aber, dass diese sogenannte Studie erstens keinerlei wissenschaftlichen Kriterien genügt und im Übrigen die o. g. Aussage auch gar nicht wirklich bestätigt. Alle mit der Thematik vertrauten Verbände, darunter auch der BDC, haben eine sehr fundierte und ausgewogene Gegendarstellung ausgearbeitet, die wie zu erwarten leider keine gleiche Öffentlichkeit erfahren hat wie die reißerische Erstmeldung. Es gilt: „Patient stirbt nach Arztbesuch“ ist eine Meldung; „Patient wird nach Arztbesuch von einem Auto erfasst“ interessiert niemanden.Was aber ist der Hintergrund für die ärgerliche Publikumsverunsicherung? Auch hier geht es natürlich wieder nur um die Frage, ob teure Operationen verhindert werden können.

Wir haben das bereits mit dem Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Herausnahme der arthroskopischen Eingriffe bei Gonarthrosen aus dem Leistungskatalog der Krankenkassen erlebt. Die zitierte Meldung zur Schulterchirurgie zielt in die gleiche Richtung. Für uns Chirurgen steht außer Frage, dass wir Indikationen zu operativen versus konservativen Maßnahmen zum Wohle der Patienten sorgfältig abwägen. Die Indikationsstellung ist die zentrale Aufgabe und eigentliche Kunst unseres Faches, verankert in der Weiterbildungsordnung und durch Erfahrung vertieft. Wir müssen aufpassen, dass nicht irgendwelche Organisationen – aus welchen Gründen auch immer – in diese unsere Kompetenz eingreifen. Allerdings setzt das auch von unserer Seite voraus, dass wir verantwortungsbewusst handeln und uns freihalten von ökonomischen Zwängen. Verlieren wir die Hoheit über die Indikationsstellung, werden wir in kürzester Zeit zu auftragnehmenden Handlangern für Operationen, die am Ende dann auch von speziell geschulten nicht-ärztlichen Physician Assistants erbracht werden könnten.

Vor diesem Hintergrund ist das Menetekel einer möglichen Bürgerversicherung eher nur eine wohlklingende Worthülse im Rahmen der Gerechtigkeitsdebatte. Ob eine solche grundsätzliche Veränderung unserer Sozialversicherung sinnvoll ist oder nicht, darum wird erbittert gestritten. Still und heimlich wird aber schon längst an verschiedenen Stellschrauben gedreht, deren Ziel es ist, die Versorgung, die in Deutschland weltweit mit am höchsten ist, langsam zurückzudrehen. Wir wären gut beraten, wenn wir dies – insbesondere auch die Hintergründe – so verstehen und dann selber vernünftige Vorschläge einbrächten, statt immer nur klagend hinterherzurennen. Wer sich nicht bewegt, der wird bewegt – und wenn es aufs Abstellgleis geht.

Rüggeberg JA, Meyer HJ: Der Wandel kommt… Passion Chirurgie. 2017 Januar; 7(01): Artikel 01.

Editorial: Schöne Neue Welt?

Ein Editorial bietet immer mal wieder ­Gelegenheit, über allgemeine Themen nachzudenken. Noch ganz unter dem Eindruck des gerade abgelaufenen 120. Deutschen Ärztetages will mir eine durchaus bedrückende Vorstellung nicht aus dem Kopf: Brauchen wir eigentlich in Zukunft noch Menschen als Ärzte? Gerade in der Chirurgie ist es ja keineswegs abwegig, einzelne Prozeduren von Robotern erledigen zu lassen, die das zweifellos mit großer Präzision tun können. Niemand wird den Vorteil missen mögen, der durch den Einsatz von Operationsrobotern ermöglicht wird, auch wenn im Detail fatale Störungen auftreten können. Der Mensch von heute hat sich längst an die maschinellen Unterstützer gewöhnt. Ein Staubsauger ist heutzutage besser mit seiner Umgebung vernetzt als es noch die erste Mondlandefähre war.

Wer heute einem Jugendlichen in altmodischer Form die Hand geben will, muss erst dessen Smartphone überwinden. Die digitale Welt ist unaufhaltsam längst fester Bestandteil unseres Lebens geworden.

Warum auch nicht. Informationen allgegenwärtig abrufen zu können und alles, was man möchte, jederzeit an jedermann zu posten, ist ja nicht dramatisch. Oder vielleicht doch? Wer heute mit digitalen Gesundheitsarmbändern joggen geht, mag es bereichernd finden, wenn zu den erhobenen Gesundheitsdaten gleich ein Kommentar gesendet wird (von wem?). Ist ja hilfreich, zu wissen, wie viel Kalorien verbrannt worden sind und wie viel Flüssigkeit jetzt aufgenommen werden sollte. Auch ist es für manchen sinnvoll, wenn ein kleiner Sensor an der Tablette meldet, ob diese eingenommen wurde oder nicht. Aber halt: Wer bekommt diese Information außer dem Nutzer? Vielleicht der Arzt, der damit die Compliance seines Patienten prüfen kann? Oder die Krankenkasse, die genau dasselbe tut? Will man das?

Das entscheidende Thema der Zukunft wird daher nicht die Beantwortung der Frage sein, was alles technisch möglich ist, sondern die Diskussion über die Steuerung, Eingrenzung und Nutzung der nachgerade unendlichen Datenströme. Gerade wir Ärzte sind gefordert, hier das Wohl unserer Patienten und die Geheimhaltung der Informationen im Blick zu behalten. Ohne Zweifel bietet die Digitalisierung große Vorteile, aber entscheidend wird sein, wer welchen Zugang zu welchen Daten bekommen darf.

Dicht am gleichen Thema ist auch die Diskussion, ob überhaupt noch ein Arzt in die Behandlung der Patienten eingebunden sein wird. Der Deutsche Ärztetag hat als Reaktion auf eine längst gelebte Praxis in der Schweiz beschlossen, die Berufsordnung dahingehend zu überarbeiten, dass nicht länger das Verbot der „ausschließlichen“ Fernbehandlung bestehen soll. Im Klartext heißt das, Patienten können rein telefonisch oder über andere Medien beraten und ggf. therapiert werden, ohne dass ein unmittelbarer persönlicher Kontakt zwischen dem Menschen Arzt und dem Patienten hergestellt wird. Und ebenfalls beschlossen wurde die Einführung eines „Physician Assistant“, eine Art „Arzt light“ mit Masterstudium.

Jetzt frage man sich, wer möglicherweise am anderen Ende des digitalen Korridors sitzt und die Patienten ärztlich (?) betreut. Jedes der angesprochenen Themen ist für sich allein genommen möglicherweise sinnvoll; in der Kombination ergeben sich ungeahnte Abgründe.

Vielleicht bin ich antiquiert und nicht in der Lage, den neuen Verheißungen einer digitalen Welt etwas abzugewinnen. Aber wenn das alles auf eine Medizin ohne Arzt, ohne den zugewandten Menschen hinausläuft, bin ich froh, bald mein Pensionsalter erreicht zu haben. Für mich ist die Heilkunst am Menschen immer damit verbunden, dass sie von empathisch handelnden Menschen, im speziellen von dazu ausgebildeten Ärzten ausgeübt wird. Hoffen wir, dass auch unsere Nachfolger, von denen wir behandelt werden müssen, das trotz aller Technikaffinität auch noch so sehen.

Rüggeberg J.-A. Editorial: Schöne Neue Welt? Passion Chirurgie. 2017 Juli; 7(07): Artikel 01.

Keine Angst vor teuren Verordnungen! Entlassmedikation rational prüfen

Seit ewigen Zeiten zieht sich die Angst vor Regressen durch alle Bereiche unserer budgetierten Arbeit und führt zu Vermeidungsstrategien, die durchaus zum Nachteil der Patientenversorgung werden können. Dabei handelt es sich um ein Gespenst, das bei näherer Betrachtung letztlich ein Phantom ist und mit geschickter Argumentation viel von seinem Schrecken verliert.

Was ist der Grund dafür, dass Vertragsärzte davor zurückschrecken, teure Verordnungen aus der Klinik in der ambulanten Versorgung nicht weiter verschreiben zu wollen und so eine möglicherweise notwendige Behandlung unterbrechen? Wie immer gibt es mehrere Facetten einer derartigen Änderung der vom Klinikkollegen empfohlenen weiteren Therapie. Beiden ist gemeinsam, dass sie auf Unwissen der Beteiligten beruhen.

Wirtschaftlichkeitsprüfung & Regressforderungen

Grundlage allen Übels ist die sogenannte Wirtschaftlichkeitsprüfung – hier verkürzt nur für den Pharmabereich abgehandelt. Jeder Vertragsarzt (also der niedergelassene Arzt) wird getreu den Paragrafen des Sozialgesetzbuches dahingehend überprüft, ob er wirtschaftlich, ausreichend, notwendig und zweckmäßig (WANZ) arbeitet. Luxusmedizin und Überflüssiges darf nicht für Kassenpatienten verordnet werden. Entgegen den Beteuerungen der Politik und der Kassenvertreter hat der gemeine Kassenpatient eben nur Anspruch auf Notwendiges und Ausreichendes (in der Schule Note vier, reicht gerade so zur Versetzung). Das gilt nicht nur für die ärztliche Leistung an sich, sondern auch für alle damit verbundenen Verordnungen (Medikamente, orthopädische Hilfsmittel, Physiotherapie etc.). Die Leistungen von uns Ärzten sind über die budgetierte Honorierung (DRG im Krankenhaus und EBM samt HVM in der Praxis) sowieso gedeckelt. Dagegen sind Verordnungen im Prinzip völlig ungebremst und deshalb wurde das Instrument der Wirtschaftlichkeitsprüfung mit der Androhung eines Regresses eingeführt. Zum Verständnis für die Krankenhauskollegen: Regress bedeutet, dass der Arzt Geld bezahlen muss, dass er nie selber bekommen hat, für von ihm verordnete Medikamente oder Heil- und Hilfsmittel. Nachvollziehbar, dass keiner so etwas riskieren möchte.

Das bedeutet aber nicht, dass es im Falle einer Auffälligkeit automatisch zu einem Regress kommt. Zunächst läuft ein eher standardisiertes Prüfverfahren ab, indem die Verordnungen des Einzelnen mit denen der Fachgruppe in Relation gesetzt werden. Die Fachgruppenwerte sind dabei durchaus unterschiedlich, ein Internist hat ein höheres Volumen für Medikamente als ein Chirurg, der wiederum kann mehr Krankengymnastik verordnen, weil das in der Gruppe allgemein in höherem Umfang erfolgt. Wie auch immer, zunächst wird nur eine Überschreitung des Einzelnen gegenüber seiner Fachgruppe festgestellt. Nur dann wird es aufwendig und bei einem echten Fehlverhalten auch teuer.

Einzelfallprüfung

Aber: Immer noch bleibt bei allem der Anspruch des Patienten auf die o. g. WANZ-Kriterien. Was notwendig ist, darf und muss verordnet werden, egal wie das Budget überschritten wird. Allerdings muss dann im Rahmen einer Einzelfallprüfung nachgewiesen werden, dass es auch so gewesen ist. Das ist extrem ärgerlich und mühsam, zumal die Prüfung lange zurückliegende Zeiträume (drei bis vier Jahre) erfasst. Wenn dann der Nachweis erbracht wird, dass die Verordnung erstens notwendig und zweitens wirtschaftlich war, passiert gar nichts!

Soweit die theoretische Ausgangslage, kommen wir zu den praktischen Anwendungen:

Wer grundsätzlich nur teure Coxibe verordnet und einfache nicht-steroidale Antirheumatika beiseite lässt, wird Schwierigkeiten haben, dies durch die aktuelle Studienlage begründen zu können. Im Einzelfall kann das natürlich geschehen, wenn sonst keine Wirkung zu erzielen ist. Das sollte dann schon im Vorfeld so dokumentiert werden, dass im Falle einer Prüfung diese Patienten identifiziert werden und die Notwendigkeit im Einzelnen begründet werden kann. Ähnliches gilt für die Gabe von Antibiotika. Auch hier gibt es nun einmal entsprechende Leitlinien, die zu befolgen sind. Ein genereller Schrotschuss ist nicht nur teuer und wird zu Recht in der Wirtschaftlichkeitsprüfung zur Auffälligkeit führen, sondern ist auch medizinisch fragwürdig. Für solche nicht wissenschaftlich begründete Pharmakotherapie gibt es dann auch kein Entkommen. Erst recht trifft dies bei Präparaten zu, die tendenziell im Wellnessbereich dem allgemeinen Wohlbefinden dienen sollen. Lesen gefährdet die Dummheit und die Lektüre der Leitlinien muss schon vorausgesetzt werden.

Spezialfall: Empfehlung des Krankenhauses

Anders verhält es sich bei Verordnungen, die vom Krankenhaus im Entlassbericht mehr oder weniger verbindlich vorgeschrieben werden. Hier kommt zum Problem der Wirtschaftlichkeit noch das für die Niedergelassenen extrem unangenehme Problem dazu, mit den Patienten eine möglicherweise notwendige Änderung der Medikation unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten zu diskutieren, ganz zu schweigen von den rechtlichen Konsequenzen, wenn einer Empfehlung des Krankenhauses (aus welchen Gründen auch immer) nicht entsprochen wird. Deshalb ist dieser Artikel vor allem dazu gedacht, das gegenseitige Verständnis zu wecken und beide – Kliniker und Niedergelassene – dazu zu bringen, sich jeweils rational zu verhalten.

Man muss noch ergänzend wissen, dass manche Medikamente in der Klinik zu extrem billigen Preisen abgegeben werden, die aber in der „freien Wildbahn“ ganz anders aussehen. Die Gründe für eine solche Strategie der Pharmaindustrie liegen auf der Hand. Für die Kliniker muss daher gelten, dass sie in die Entlassbriefe möglichst nur Generika schreiben und dem Vertragsarzt explizit freistellen, aus dieser Gruppe ein preiswertes Medikament zu verordnen. Außerdem darf auch gerne nachgedacht werden, ob die Medikation überhaupt noch zwingend, also notwendig ist.

Im Einzelfall ergibt sich aber durchaus die Notwendigkeit, spezielle Originalpräparate, z. B. spezifische Antibiotika, auch über einen längeren Zeitraum zu verordnen. Dann ist es sehr hilfreich, wenn von der Klinik auch eine schriftliche Begründung für den Einsatz dieses speziellen Medikaments geliefert wird. Mit einer solchen Begründung (wissenschaftlich durch Studienlage evidenzbasiert) hat der Vertragsarzt die notwendige Dokumentation an der Hand, um ggf. diesen konkreten Fall aus seiner Wirtschaftlichkeitsprüfung herausnehmen zu können. Das gilt übrigens sinngleich auch für die Verordnung von Heil- und Hilfsmitteln.

Kollegiale Zusammenarbeit & Information

Im Klartext: Wenn Sie als Krankenhausarzt wollen, dass eine spezifische Therapie (die ggf. sehr teuer ist) auch von den Niedergelassenen weitergeführt wird, so müssen Sie das bitte mit entsprechenden Dokumenten belegen, die wiederum den Niedergelassenen vor einem Regress schützen. Die Niedergelassenen wiederum müssen in den Patientenakten die (extern vorgegebene und aber auch selbst überprüfte) Begründung für die jeweilige Verordnung dokumentieren und sind dann vor einem möglichen Regress geschützt.

Kollegiale Zusammenarbeit und gegenseitige Information an der Schnittstelle zwischen Klinik und Praxis hilft allen, vor allem aber den Patienten.

J.-A. Rüggeberg. Keine Angst vor teuren Verordnungen! Entlassmedikation rational prüfen. Passion Chirurgie. 2017 Mai, 7(05): Artikel 04_06.

Editorial: Enge Netze fangen viele Fische

Es gibt bekanntlich mehrere Methoden, Fische zu fangen. Eine ist schon von Franz Schubert nach dem Gedicht von Christian F. D. Schubart in einer wunderbaren Vertonung bekannt. Da wird mit Geduld und List eine einzige Forelle gefischt. Die Methode des Angelns ist also eher etwas für den isolierten Fang. Gleichwohl empfindet jeder Angler nach langem Ansitzen eine gewisse Genugtuung, wenn denn etwas hängenbleibt.

Professioneller ist da eher der Fang größerer Mengen mit Netzen. Der bringt größeren Ertrag, ist aber durchaus mit Nachteilen wie Überfischung, Zerstörung des Meeresgrundes und unerwünschtem Beifang verbunden.

Was hat nun der Fischfang mit uns als BDC zu tun?

Auch wir sorgen für Sie als unsere Mitglieder dafür, dass Ihr Tisch gedeckt ist und Fisch gilt ja als nahrhaft. Also stehen wir vor der Frage: Angeln oder Fischen? Beides wird getan. In vielen persönlichen Einzelgesprächen und mit noch mehr Schriftsätzen kümmern wir uns wie ein geduldiger Angler darum, dass am Ende ein mehr oder weniger dicker Fisch an Land gezogen wird. Leider gelingt das nicht immer, manchmal aber doch. Gelegentlich springt einem der Fisch im letzten Moment vom Haken, so wie es aktuell mit der Reform der Musterweiterbildungsordnung droht. Dann war alle Mühe umsonst. Andere Fische sind dennoch geborgen, so wie die Neustrukturierung unserer Akademie, die Weiterentwicklung der BDC-Satzung oder die Nachwuchsförderung. Das alles sind Dinge, die wir als BDC sozusagen in eigener Regie voranbringen und keine externen Partner im Boot benötigen.

Dagegen sind die wirklich großen Projekte nur in Gemeinsamkeit zu stemmen. Dazu bedarf es fest geflochtener Netze und darin sehen wir als Ihre Repräsentanten eine wichtige Aufgabe für uns. Das Herstellen von Netzwerken, neudeutsch „Networking“ genannt, ist eine fundamentale Notwendigkeit, um in der Politik oder innerhalb der Selbstverwaltung überhaupt etwas erreichen zu können. So haben wir mehrere verbandsübergreifende Allianzen geschmiedet, teilweise auch mit Partnern, die nicht unmittelbar zu den üblichen Verdächtigen gehören. Natürlich haben wir verschiedene Gruppen, in denen Berufsverbände gemeinsam agieren, wie GFB, SpiFa oder auch die Allianz Deutscher Ärzteverbände. Selbstverständlich sind wir als BDC in den Gremien der KBV und der Bundesärztekammer regelmäßig vertreten und positionieren uns dort unter anderem zur Weiterentwicklung der GOÄ resp. des EBM. Wir sind beratend beim DIMDI und in vielen Institutionen tätig, die sich jeweils mit Einzelfragen im Gesundheitssystem befassen. In dieser Ausgabe der Passion Chirurgie finden Sie z. B. auch ein gemeinsames Thesenpapier, erstellt von BDC, BDI, dem Verband leitender Krankenhausärzte und (durchaus ungewöhnlich) dem Verband der Krankenhausdirektoren. Es verschafft einfach mehr Gehör bei den Adressaten, wenn sich mehrere teilweise auch sehr unterschiedlich ausgerichtete Verbände zu einer gemeinsamen Position zusammenfinden.

Das ist das, was mit Netzen gemeint ist. Es ist leider auch immer wieder nötig, die Netze zu flicken und das ist nur mit ständigem persönlichem Einsatz möglich. Gerne wird den Funktionären vorgehalten, auf allen möglichen Hochzeiten zu tanzen und kein Buffet zu verpassen. Bedenken Sie bitte, dass dies alles viel, viel Lebenszeit verschlingt und auch die Qualität des Essens keinesfalls den Verlust an Lebensqualität kompensiert.

Trotz allem machen wir es gerne, weil es dem übergeordneten Ziel dient, für Sie als unsere Mitglieder möglichst viele Fische zu fangen.

Rüggeberg J.-A. Editorial: Enge Netze fangen viele Fische. Passion Chirurgie. 2017 Februar; 7(02): Artikel 01.

Editorial: Orthopädie und Unfallchirurgie – Einigkeit macht stark

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Chirurgie und Orthopädie haben lange nebeneinander her existiert, jede Gruppe mit eigenen Schwerpunkten und auch unterschiedlicher Verbandsorganisation. Die Änderung der Muster-Weiterbildungsordnung hat hier eine gravierende Veränderung bewirkt, einfach gesprochen: Es gibt seitdem keine Chirurgen mehr ebenso wie es keine Orthopäden mehr gibt. Stattdessen haben wir im Gebiet Chirurgie acht Säulen, von denen eine (die stärkste) jetzt die Säule des neu geschaffenen Facharztes für Orthopädie/Unfallchirurgie ist. Die Fachgesellschaften haben durch die Neugründung der DGOU bereits die Zusammenführung der Unfallchirurgen (DGU) mit den Orthopäden (DGOOC) umgesetzt. Auf der Berufsverbandsebene ist dieser Prozess sehr viel langsamer, aber durchaus im Sinne einer Annäherung von BDC und BVOU zu sehen. Beide Verbände sind nach wie vor eigenständig unterwegs und das soll auch so bleiben. Im täglichen Geschäft gibt es aber erfreulicherweise einen engen Kontakt, als dessen Ergebnis beide bemüht sind, gemeinsame Interessen auch gemeinsam nach außen zu vertreten. Beispiele sind die gemeinsamen Auftritte bei der KBV zur Ausarbeitung eines gemeinsamen Gebührenkapitels im EBM, der gemeinsame Auftritt beim Bundesausschuss (G-BA) zur Frage einer gemeinsamen Bedarfsplanung, öffentliche Stellungnahmen zum Ambulanten Operieren und den Hygieneanforderungen und vieles mehr. Ein Beispiel dieser Gemeinsamkeit finden Sie in der in dieser Ausgabe beigefügten gemeinsamen Positionierung zum Thema Arthroskopie bei Gonarthrose.

Natürlich gibt es trotz dieser löblichen Gemeinsamkeiten auch durchaus den verständlichen Wunsch beider Berufsverbände nach Eigenständigkeit und letztlich das konkurrierende Werben um Mitglieder. Mir persönlich wäre es am liebsten, die Kollegen entschieden sich für eine Mitgliedschaft in beiden Verbänden, weil damit die Gesamtvertretung schlicht durch das Momentum der Zahl gestärkt wird. Andererseits wird der BDC immer der Heimatverband für alle chirurgischen Säulen und damit auch für Orthopädie und Unfallchirurgie bleiben. Kein anderer Verband ist so groß und über alle Spezialitäten so breit aufgestellt wie der BDC.

Sie werden bemerkt haben, dass wir immer wieder ein sogenanntes Schwerpunktheft herausgeben, dieses Mal zum Thema Orthopädie/Unfallchirurgie. Wir betonen damit, dass wir für alle Kolleginnen und Kollegen aus allen Säulen tätig sind und deren spezifische Interessen sehr wohl im Blick haben. Es gibt im BDC keine Bevorzugung einzelner Gruppen, wir arbeiten für jeden und immer dort, wo wir gebraucht werden. Unser Ziel wird immer sein, durch gemeinsames Agieren größtmögliche Wirkung zu erzielen.

In diesem Sinne wünsche ich nicht nur den Unfallchirurgen/Orthopäden viel Spaß bei der Lektüre „ihrer“ Ausgabe der Passion Chirurgie, sondern auch allen anderen, denen ein wenig Informationen aus dem Fach eines Familienmitgliedes sicher nicht schadet.

Mit herzlichen Grüßen

Ihr Jörg-Andreas Rüggeberg

Rüggeberg J.-A. Editorial: Orthopädie und Unfallchirurgie: Einigkeit macht stark. Passion Chirurgie. 2016 Mai; 6(05): Artikel 01.

Ein Kommentar zum Streit um die neue GOÄ

Wir alle beklagen seit Jahrzehnten einen Stillstand bezüglich der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ), deren aktuell geltende Version noch DM-Beträge ausweist. Inzwischen lassen sich eine Vielzahl neuer Verfahren gar nicht mehr bzw. nur über komplizierte Analogbewertungen abbilden, von einem Inflationsausgleich der letzten 20 Jahre ganz zu schweigen. Immer wieder gab es Versuche, die GOÄ zu novellieren, aber nichts ist geschehen. Dazu muss man wissen, dass die GOÄ nicht Ergebnis ärztlicher Definitions- und/oder Wertfindung ist, sondern eine vom Staat vorgegebene amtliche Gebührenordnung. Diese wird vom Bundesministerium für Gesundheit als Verordnung vorgelegt und muss vom Bundesrat – somit durch die Länder – genehmigt werden. Die Länder wiederum tragen die Hauptlast der Beihilfe und haben naturgemäß kein Interesse an einer wie auch immer gearteten Erhöhung der Preise für ärztliche Leistungen. Entsprechend haben einige Gesundheitsminister jede Diskussion um eine GOÄ-Novellierung als entweder unerwünscht oder als politis­ch nicht umsetzbar abgewiesen.

Jetzt hingegen hören wir erstmals aus dem Munde des Ministers Gröhe (CDU) eine klare Ansage, er werde das Projekt noch in der laufenden Legislatur umsetzen. Allerdings sei als zwingende Voraussetzung eine zuvorige Einigung zwischen Ärzteschaft, privater Krankenversicherung und Beihilfe erforderlich. Das klingt gut, zumal von Seiten der SPD sofort apodiktisch eine Verbesserung ärztlicher Einnahmen abgelehnt wurde und auch der CDU-Abgeordnete Spahn (ein wichtiger Meinungsbildner in der Gesundheitspolitik) nachgeschoben hat, an einem solchen Streit wolle man den Koalitionsfrieden nicht zerbrechen lassen.

Der Grund für die Ablehnung ist zum einen der immer wieder aufflammende Sozialneid gegenüber vermeintlichen Besserverdienern, zum anderen aber auch der Wunsch, die Versicherungssysteme über die sogenannte Bürgerversicherung anzugleichen bzw. die Privatversicherung ganz abzuschaffen.

Soweit die Ausgangslage:

  • Die GOÄ ist völlig veraltet, unterbewertet und ungerecht.
  • Es besteht die erstmalige Chance auf Novellierung durch den amtierenden Minister.
  • Inzwischen (im Verborgenen!) fand eine Einigung zwischen BÄK und PKV statt.

Nun könnte man meinen, alles sei gut. Aber kaum steht tatsächlich eine mögliche Novelle ins Haus, hagelt es Kritik bis zur völligen Ablehnung des Entwurfs. Wie ist das möglich? Warum gilt wieder: Was ich hab‘, das will ich nicht, und was ich will, das hab ich nicht; oder: Nicht vieles will ich, alles will ich!

Ohne Zweifel gab es seitens der Bundesärztekammer schwerste taktische Fehler zu beklagen in der Art und Weise der Kommunikation des jeweiligen Verhandlungsstandes mit der PKV. Da hilft auch der Verweis auf ein vom Ministerium verordnetes „Schweigegelöbnis“ wenig. Selbst wenn es das gäbe, blieben einer cleveren Truppe immer subtile Möglichkeiten, zumindest den Meinungsbildnern in der Ärzteschaft vereinzelt Indiskretionen zukommen zu lassen. Die Einschätzung der BÄK-Verhandler, nur sie allein seien berechtigt, in einer derart wichtigen Frage allein zu entscheiden, ist leider ziemlich realitätsfremd und wie sich zeigt für den weiteren Fortgang der Diskussion fatal. Es wird der Ärzteschaft und eben auch den Funktionären der Verbände zugemutet, eine absolute „blackbox“ zu akzeptieren, solange niemand offiziell etwas von den neuen Leistungslegenden und schon gar nicht von den konkreten Bewertungen weiß. Die Berufsverbände sind zwar gebeten worden, Vorschläge abzugeben, haben danach aber nie mehr etwas davon gehört, wissen also nicht, ob und wenn ja, in welchem Umfang ihre Vorschläge übernommen wurden.

Sicher kann man Verständnis haben, dass konkrete Bewertungen nicht veröffentlicht werden, um Streit und vermutlich zu erwartenden Zorn zu vermeiden. Aber wie soll die ärztliche Basis Ja sagen zu einer Gebührenordnung, deren Gebühren geheim sind? Lediglich das Preisfindungsprinzip ist ungefähr bekannt und durchaus akzeptabel. Eine betriebswirtschaftliche Kalkulation auf Basis der den Leistungen zuzuordnenden Kosten und des jeweiligen Zeitbedarfs ist grundsätzlich richtig, aber bekanntlich steckt der Teufel im Detail und das ist nicht bekannt. Bleibt als Fazit bezüglich der neuen Legenden und Bewertungen eine völlig verfehlte Informationspolitik der BÄK und aus der Unsicherheit entsprechend entstandene Unruhe.

Legendierung und Preisfindung sind aber nur eine Seite der Medaille, obwohl diese wichtigen Punkte innerärztlich gar nicht so sehr im Vordergrund der aktuellen Diskussion standen. Vielmehr ging es auch beim Sonderärztetag im Januar vor allem um den sogenannten Paragraphenteil, also die Vereinbarungen zwischen Ärzteschaft und Kassenverband zu allgemeinen grundsätzlichen Strukturen zukünftiger Weiterentwicklungen. Stein des Anstoßes ist die Installation einer gemeinsamen Gebührenordnungskommission (GeKo), die paritätisch besetzt, in Zukunft einstimmig (!) neue Positionen verhandeln und dem BMG eine Beschlussvorlage liefern soll. Ebenfalls wird der Verweis auf die jeweils gültige Weiterbildungsordnung als Voraussetzung zur Abrechnung bestimmter Leistungen kritisiert. An dieser Stelle entzündet sich eine nur schwer begreifliche Fundamentalkritik, die den Untergang des Abendlandes prophezeit, den Verlust der Freiheit des Arztberufs und eine EBMisierung der GOÄ im Sinne einer Vertragsordnung zwischen Ärzten und Kassen so wie in der GKV. Alles im Prinzip zutreffend, aber wo ist der Unterschied zur gegenwärtigen Situation? Auch heute ist eine Weiterentwicklung der problematischen Analogbewertungen nur gemeinsam mit allen Beteiligten möglich – es sollte selbstverständlich sein, dass Leistungen nur von dazu qualifizierten Ärzten erbracht werden. Natürlich ist es legitim, die Festlegung gängiger Praxis unter grundsätzlichen Gesichtspunkten zu kritisieren, aber das ändert nichts am status quo. Stattdessen sind einzelne Arztgruppen geradezu lustvoll mit einer Fundamentalkritik aufgetreten bis zur völligen Ablehnung des Entwurfs, den wie schon gesagt, im Detail niemand wirklich kennt. Bemerkenswert ist auch die Art des Auftritts mit organisierten Krawallmachern, Transparenten und teilweise im Ton völlig unangemessenen Beiträgen. Man hatte den Eindruck, dass es vielmehr um eine Ablehnung des parlamentarischen Prinzips als um eine konstruktive Weiterentwicklung ging. Eine Demokratie lebt von Wahlen ihrer Mandatsträger. Diese können und müssen ihr Mandat nach bestem Wissen und Gewissen ausüben und sich auf das grundsätzliche Vertrauen ihrer Wähler verlassen dürfen. Wenn die Mandatsträger in den Augen der Wähler falsch agieren, so werden sie abgewählt. Basisdemokratie stößt immer an die Grenzen der großen Zahl und ist nur auf dem Weg der Beauftragung gewählter Mandatsträger möglich. Das sollte in einem demokratischen Gemeinwesen akzeptiert werden.

Es ist eine Katastrophe, wie sich die Ärzteschaft selbst – durch eine fundamentale innerärztliche Opposition und durch unerträgliche Inkonsequenz – lächerlich macht. Denn obwohl die GOÄ-Reform im Prinzip bei mehreren Ärztetagen in der jetzt zu beschließenden Fassung befürwortet worden ist, wird jetzt das Gegenteil gewünscht. Diese Zerrissenheit demonstriert die Unfähigkeit der Ärzteschaft zu konstruktiver politischer Gestaltung. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass nur jetzt und vermutlich in Zukunft nie wieder eine GOÄ-Novelle möglich sein wird.

Erfreulicherweise hat der Sonderärztetag mit großer Mehrheit den Fundamentalisten eine Abfuhr erteilt und den Vorstand der BÄK mandatiert, das Projekt weiterzutreiben. Es bleibt aber ein bitterer Nachgeschmack. Zum einen gegenüber der BÄK wegen des wenig professionellen Verhaltens, zum anderen vor allem wegen des Bildes einer zutiefst zerstrittenen Ärzteschaft, das so schnell nicht wieder auszulöschen sein wird, zumal man leider den Eindruck gewinnen musste, dass es weniger um die Sache als vielmehr um die Lust am Streit ging. Schade, aber eigentlich nichts Neues.

Rüggeberg J.-A. Ein Kommentar zum Streit um die neue GOÄ. Passion Chirurgie. 2016 März, 6(03): Artikel 07_01.

Rezension EBM 2015 – Kommentierter Einheitlicher Bewertungsmaßstab


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as vorliegende Werk präsentiert den EBM 2015 in der Fassung vom 01. April 2015 mit vollständigen Legendentexten, Punktzahlbewertung und zusätzlicher Angabe der Eurobeträge. Zusätzlich sind Angaben zu Prüfzeiten enthalten. Nicht aufgenommen wurden Kapitel zu ambulanten und belegärztlichen Operationen. Die einzelnen Leistungen sind knapp kommentiert im Sinne ergänzender Erklärungen. Angesichts der völlig differenten Strukturen von EBM und GOÄ sind die Hinweise auf entsprechende GOÄ-Positionen zu den EBM-Ziffern naturgemäß eher global gefasst.

Der vorliegende Kommentar eignet sich als fachübergreifendes Nachschlagewerk, für die chirurgische Praxis ist eher ein fachspezifischer Katalog insbesondere mit Hinweisen zur Abrechnung operativer Leistungen erforderlich.


EBM 2015 – Kommentierter Einheitlicher Bewertungsmaßstab

Stand der Ausgabe 01.04.2015

P.M. Hermanns, G. Filler (Hrsg.)

5. Aufl. 2015, XXV, 774 S.

Springer

ISBN 978-3-662-46609-4

69,99 €

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Rezensent:

Dr. med. Jörg-A. Rüggeberg
Vizepräsident des BDC
Luisenstraße 58/59, 10117 Berlin

[email protected]

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Rüggeberg J.-A. Rezension: EBM 2015





Kommentierter Einheitlicher Bewertungsmaßstab. Passion Chirurgie. 2015 Oktober; 5(10): Artikel 03_05.

 

Wird in Deutschland zu viel operiert? – Meinungen aus der Chirurgie

Die Gefäßchirurgie

H.-H. Eckstein, A. Kühnl

Der in der Öffentlichkeit heiß diskutierte Anstieg der OP-Zahlen in Deutschland wurde auf dem letztjährigen Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie aus Sicht verschiedener operativer Fachrichtungen aufgegriffen. Die Frage ist berechtigt, nicht nur aufgrund internationaler Vergleichsdaten sondern aufgrund des evidenten Anstiegs der beim Statistischen Bundesamt dokumentierten OP-Ziffern (OPS-Ziffern Gruppe 5) von 12 Millionen auf > 15 Millionen (+ 30 %) im Zeitraum 2005 bis 2012! Betrifft dies in gleichem Umfang auch die Gefäßchirurgie und wenn ja, gibt es hierfür epidemiologische oder medizinische Gründe?

Tatsächlich hat sich die Anzahl aller peripheren endovaskulären Prozeduren im o.g. Zeitraum von 72.000 auf 131.000 beinahe verdoppelt (+ 82 %). Außerdem ist die Anzahl der peripheren Thrombenarteriektomien (TEA) und Bypass-Operationen von 75.000 auf 93.000 (+ 24 %) angestiegen. Im gleichen Zeitraum ist es aber auch zu einer Zunahme der peripheren arteriellen Hauptdiagnosen von 199 auf 226/100.000 Einwohner bei der pAVK (insgesamt ca. 180.000/Jahr) und 22 auf 27 Fälle/100.000 Einwohner (insgesamt ca. 22.000/Jahr) der akuten Extremitätenischämie gekommen. Auch diese Zunahme ist vermutlich durch den zunehmenden Anteil > 80-jähriger PatientInnen erklärt. Somit sind die steigende Lebenserwartung und die immer besseren Behandlungsmöglichkeiten als Ursachen des Anstiegs der peripheren Revaskularisationen sehr wahrscheinlich. Immerhin – und das ist das Wichtigste – hat die Anzahl der Major-Amputationen seit 2005 von ca. 29.000 auf 19.500 (- 32 % !) abgenommen. Vermehrt revaskularisierende Maßnahmen zahlen sich also vermutlich aus, trotz immer älterer PatientInnen und trotz einer Zunahme der PAVK! Eine, wie ich finde, überaus erfreuliche Entwicklung.

Beim abdominalen Aortenaneurysma (AAA) zeigt sich ein ähnlicher Trend. Auch hier lässt sich ein Anstieg der Hauptdiagnosen 171.4 (nicht-rupturiertes AAA) auf zuletzt 13.600 in 2012 (+ 17 % seit 2005) vermerken, aber auch hier wird dieser Zuwachs nahezu ausschließlich über die deutlich angestiegene Anzahl > 80-jähriger PatientInnen erklärt. Das Durchschnittsalter der AAA-PatientInnen hat seit 2005 von 69 auf 72 Jahre (Männer) und 73 auf 75 Jahre (Frauen) zugenommen. Gleichzeitig werden mittlerweile > 60 % aller elektiven AAAs endovaskulär versorgt, hierdurch steht eine vergleichsweise sichere Therapie auch für ältere PatientInnen zur Verfügung [2]. Dies sollten wir als Fortschritt verbuchen!

Bei der Carotisstenose bewegen wir uns seit einigen Jahren laut der Berichte des AQUA Institutes bei ca. 27.000 offenen Operationen und ca. 6.000 Carotis-Stents. Trotz einer Zunahme des Anteils der >80-jährigen Patienten von 13 % in 2005 auf 16 % in 2014 ist allenfalls eine sehr geringe Zunahme der Carotis-OPs zu verzeichnen. Dies kann man auch als eine zunehmend kritische Indikationsstellung, gerade auch bei älteren PatientInnen interpretieren. In jedem Fall erweist sich das gern gepflegte und in manchen Fachkreisen verbreitete Vorurteil, in der Gefäßchirurgie würde jede Carotisstenose kritiklos operiert, als vermutlich gegenstandslos.

Die Diskussion um „zu viele Operationen“ ist auch in der Gefäßchirurgie berechtigt, jedoch ist der unzweifelhaft bestehende Zuwachs am wahrscheinlichsten durch den demographischen Wandel bedingt und wird zudem durch neue Behandlungsverfahren, die nun auch bei älteren Patienten sicher eingesetzt werden können, verstärkt. Allerdings verfügen wir derzeit – mit Ausnahme der Carotisstenose – über viel zu wenige belastbare Daten zur Ergebnisqualität der verschiedenen Behandlungsregime auf nationaler Ebene und auf Ebene der einzelnen Kliniken. Ob wir allerdings dem Beispiel der Engländer und Amerikaner folgen sollten, auch arzt-bezogene Fallzahlen und Komplikationen zu erfassen (und zu publizieren) sei dahingestellt. Lassen wir doch unsere Kollegen in UK und USA erst einmal ihre Erfahrungen mit dieser Art der „schönen neuen Welt“ machen.

Eine schwierige Baustelle bleibt die einfache Tatsache, dass vermutlich zu viele Kliniken komplexe und im Einzelfall auch komplikationsträchtige arterielle Eingriffe vornehmen. So wurden in 2014 insgesamt über 33.000 offene oder endovaskuläre Eingriffe im Bereich der extracraniellen A. carotis in 654 (!) deutschen Krankenhäusern erbracht, und ca. 14.000 operativ behandelte abdominale Aortenaneurysmen in 516 Krankenhäusern (im Durchschnitt ca. 15 Prozeduren/Jahr) versorgt.

Gerade für Eingriffe mit einem bewiesenen „Volume-Outcome-Zusammenhang“ (und hierzu gehört sicherlich das Aortenaneurysma) erscheint es überaus problematisch, wenn komplexe operative Behandlungen in viel zu vielen „low-volume-Kliniken“ erfolgen. Persönlich sind wir überzeugt, dass sich auch die Gefäßchirurgie auf Dauer der sicherlich schwierigen und z. T. auch schmerzhaften Diskussion um eine schrittweise Zentralisierung der Behandlung von komplexen Gefäßerkrankungen wird stellen müssen.

Literatur

[1] Kühnl A, Sollner H, Flessenkamper I, Eckstein HH Status quo der Gefäßchirurgie in Deutschland. GEFASSCHIRURGIE. 2013;18: 355-364.

[2] Trenner M, Haller B, Sollner H, Storck M, Umscheid T, Niedermeier H, Eckstein HH. 12 Jahre „Qualitätssicherung BAA“ der DGG Teil 1: Trends in Therapie und Outcome des nicht rupturierten abdominellen Aortenaneurysmas in Deutschland zwischen 1999 und 2010 GEFASSCHIRURGIE 2013;18: 206-213.

Die Orthopädie & Unfallchirurgie

D. Pennig

Im Jahre 1984 beschäftigte sich Wennberg mit der Frage, warum die diagnostischen und operativen Eingriffe im Medicare-Programm in dreizehn Großregionen der Vereinigten Staaten eine auffällig große Varianz zeigten. Die Beantwortung der Frage, welche Eingriffszahl für eine bestimmte Population noch angemessen, normal oder richtig sei, konnten die Autoren schon vor 30 Jahren nicht schlüssig beantworten.

Wenn von einigen Teilnehmern der öffentlichen Diskussion der Eindruck erweckt wird, Patienten kämen quasi direkt von der Straße auf den Operationstisch, so ist dies fern von jeglicher Realität. Es greift in dem Behandlungspfad eines Patienten grundsätzlich das Mehraugen-Prinzip. Patienten, die letztendlich eine Endoprothese der Hüfte oder des Kniegelenks erhalten oder einem wirbelsäulenchirurgischen Eingriff unterzogen werden, haben regelhaft eine längere Leidensgeschichte hinter sich, werden über die Kette Hausarzt-Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie-Klinik untersucht, beraten und letztendlich bei entsprechender Indikationsstellung operativ behandelt. Hinzu tritt die Diskussion, ob im internationalen Vergleich in Deutschland eine Überversorgung mit den oben genannten Eingriffen vorliegt. Im Bereich der Hüftendoprothetik sind von 2005 bis 2011 die Zahlen stabil, d. h. eine Steigerung hat nicht mehr stattgefunden. Im Bereich der Knieendoprothetik im gleichen Zeitraum ist die Zahl der Eingriffe moderat von etwa 61.000 im Jahr 2005 auf etwa 69.000 im Jahr 2011 (Gesamtzahl) gestiegen. Eine deutliche Steigerung ist bei den Wirbelsäulenoperationen zu verzeichnen. Im Jahre 2005 wurden 97.027 Eingriffe durchgeführt, im Jahre 2011 lag die Eingriffszahl bei 229.206. Dies entspricht einer Steigerungsrate von 136 % in dem genannten Zeitraum. Unstrittig ist, dass es bei den oben genannten Eingriffen regionale Unterschiede nach Bundesländern bezogen auf das Jahr 2011 gibt. Die Varianz beträgt bei der Berücksichtigung von Kreisen in den Bundesländern 1:2,2 in Bezug auf die Hüftendoprothetik, 1:2,5 in Bezug auf die Hüftendoprothetik bei Arthrose, bei der Kniegelenksendoprothetik beträgt die Varianz 1:2,9. In Großbritannien beträgt die Varianz in Bezug auf die Hüfttotalendoprothetik 1:2,8; in den USA für die gleiche Eingriffsart 1:6,6. In der Versorgungsrate mit Knieendoprothese beträgt die Varianz in den USA 1:5,2.

Es bleibt somit festzuhalten, dass in anderen entwickelten Ländern eine hohe Varianz zu beobachten ist, ohne dass eine schlüssige Erklärung hierfür vorliegt. Auch werden von der Politik keinerlei Steuerungsmechanismen basierend auf diesen Zahlen ergriffen.

In Deutschland sind die Operationszahlen bei Hüfttotalendoprothesen umgekehrt proportional zur Zahl der niedergelassenen Orthopäden. Dies gilt analog zur Knieendoprothetik. Hier ist die Inzidenz der Knieendoprothetik umgekehrt proportional zur Anzahl der Arthroskopien.

Im internationalen Vergleich werden in Deutschland, der Schweiz und Frankreich pro 100.000 Einwohner mehr Hüftendoprothesen implantiert als in anderen Ländern. Allein aus dieser Tatsache lässt sich jedoch keinesfalls ableiten, dass die Operationsrate zu hoch ist. Bei einem breit differenzierten Angebot konservativer Behandlungsmöglichkeiten ist die Rate der implantierten Hüftendoprothesen geringer als in Gebieten, in denen weniger niedergelassene Ärzte sich auch konservativ um den Bewegungsapparat bemühen. Der Eingriff der Politik in dieses Versorgungssystem muss mit größter Sorge beobachtet werden. Da die Rate der implantierten Knieendoprothesen umgekehrt proportional zur Zahl der durchgeführten arthroskopischen Eingriffe ist, muss mit berechtigter Sorge beobachtet werden, ob die Herausnahme der Indikation Gonarthrose, behandelt im Rahmen arthroskopischer Eingriffe, basierend auf zwei Studien, die von den zuständigen wissenschaftlichen Fachverbänden mit berechtigter Kritik bewertet werden folgenlos bleibt. Letztendlich hat der Patient den berechtigten Wunsch, dass sein Beschwerdebild individuell bewertet und therapiert wird. Jeder Eingriff in das Verhältnis Arzt-Patient durch staatliche und halbstaatliche Organisationen muss unweigerlich zu Lasten der betroffenen Patienten gehen und ist damit abzulehnen.

Eine vereinfachte Betrachtungsweise der Versorgungszahlen in Deutschland ist dementsprechend nicht zielführend. Bei differenzierter Betrachtung bleibt zu bemerken, dass weder im Bereich der Hüft- noch der Knieendoprothetik in den oben genannten Zeiträumen weitere Steigerungsraten zu bemerken sind. Die Steigerungsraten im Bereich der Wirbelsäuleneingriffe müssen und werden durch die zuständigen wissenschaftlichen Fachgesellschaften bewertet werden. Im Rahmen des Arzt-Patientenverhältnisses und gerade im Bereich des Bewegungsapparates ist jede Form der Polemik abzulehnen. Die klinisch tätigen Ärzte üben ihre Rolle in der Beratung des Patienten als Anwalt der Interessen dieses Patienten aus und versuchen, dem individuellen Beschwerdebild des Patienten unter Berücksichtigung der Patientenpersönlichkeit gerecht zu werden.

Literatur

J E Wennberg Dealing with medical practice variations: a proposal for action

Health Affairs, 3, no.2 [1984]:6-32; doi: 10.1377/hlthaff.3.2.6.

Die niedergelassenen Chirurgen

J.-A. Rüggeberg

Diese Fragestellung, ob in Deutschland zu viel operiert würde, ist ebenso provokant wie irreführend. Bekanntlich erfüllt jeder Eingriff per se den Tatbestand der vorsätzlichen Körperverletzung und bedarf insofern der expliziten Einwilligung der Patienten, die strengen juristischen Anforderungen unterliegt, Voraussetzung ist ferner eine nachweisbare medizinische Indikation, die dokumentiert werden muss und meist durch Leitlinien der Fachgesellschaften vorgegeben ist. Man muss daher schlussfolgern, dass jede Operation zunächst nach wissenschaftlichen Kriterien sorgfältig in ihrer Indikation geprüft wurde und jedenfalls nicht überflüssig oder fahrlässig veranlasst wurde.

Interessanter ist die Frage, ob in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern vergleichbarer Infrastruktur angesichts hoher Eingriffszahlen bei der Alternativabwägung zwischen verschiedenen Behandlungsformen (konservativ versus operativ) eher eine Entscheidung zugunsten einer interventionellen Lösung getroffen wird. Und wenn ja, warum?

In der öffentliche Diskussion wird an diesem Punkt regelmäßig eine ökonomische Fehlsteuerung des Systems beklagt, bei dem operative Therapien höhere Fallpauschalen erzielen lassen, Kliniken sich auf lukrative Eingriffe spezialisieren, Mengenausweitungen durch Bonussysteme provoziert werden oder ambulante OP-Zentren die extrabudgetäre Vergütung zur Finanzierung der konservativen Praxis nutzen.

Letzteres lässt sich jedenfalls schon lange nicht mehr belegen. Während (politisch gewollt) ambulante Operationen in den Praxen der Vertragsärzte Mitte der achtziger Jahre bis etwa zur Jahrtausendwende eine deutliche Steigerungsrate aufwiesen, stagnieren die Zahlen seit Jahren. Es lässt sich erkennen, dass einerseits das Angebot einer Ambulanten Operation aus den verschiedensten Gründen von den Patienten angenommen worden ist, bestimmte Patientengruppen aber nach wie vor eine stationäre Behandlung bevorzugen. Gäbe es eine ungerechtfertigte Indikationsausweitung, so müssten die Operationszahlen trotzdem steigen. Das aber ist nicht der Fall. Eher steht zu befürchten, dass die Zahlen zurückgehen, weil die Erlössituation in der Regel kaum die Kosten deckt, die ihrerseits durch steigende (gesetzlich induzierte) Anforderungen noch weiter anziehen (Hygieneerfordernisse, Haftpflicht, Personal etc.).

Nun lässt sich mit Statistiken alles und jedes beweisen oder widerlegen, nicht aber eine wertende Frage nach einem „Zuviel“. Eingriffszahlen an sich beweisen zunächst nur einen Wandel in der Behandlungsstrategie. Ein implantiertes Hüft- oder Kniegelenk verschafft den Patienten wieder schmerzfreie Mobilität, ein Bandscheibeneingriff behebt in der Regel lang andauernde Schmerzen, eine Staroperation ermöglicht klares Sehen. Für sich genommen jeweils segensreiche Verbesserungen für die Patienten. Zweifelsfrei könnte in jedem Einzelfall auch weiter konservativ behandelt werden, allerdings mit Einschränkungen für die Betroffenen und sei es auch nur (?) eine chronische Medikation.

Volkswirtschaftlich ist Letzteres sicher preiswerter, solange die Menschen nicht weiter immer älter werden und daher auch länger entsprechende Medikamente kostenpflichtig verbrauchen.

Hier wäre eine Gegenrechnung zwischen Operation und konservativer Folgekosten interessant, aber im Prinzip unethisch.

Denn letztlich ist es der Patient, der selbstbestimmt über seine Behandlungsoptionen entscheidet und diese Entscheidung sollte nicht unter ökonomischen Aspekten erfolgen. Vielmehr erleben wir in der täglichen Praxis, dass die Menschen auch in zunehmendem Lebensalter nicht bereit sind, altersbedingte Einschränkungen hinzunehmen, wenn es denn dank des Fortschritts der Medizin Möglichkeiten gibt, diese Defizite zu beseitigen. Es kann und darf nicht Aufgabe des Arztes sein, den Willen der Patienten unter finanziellen Gesichtspunkten zu negieren. Allerdings bedarf es in der konkreten Beratung und Aufklärung der Benennung von Alternativen. Wenn diese dann nicht gewünscht werden, ist es im Ergebnis der Patient, der „zu viele“ Operationen abfordert. Aus diesem Grund ist die öffentliche Diskussion über dieses Thema völlig fehlgeleitet, wenn die sogenannten Leistungserbringer an den Pranger gestellt werden, auch wenn Einzelfälle dieses suggerieren. Wenn Politik, Gesellschaft und sonstige interessierte Kreise „Zuviel“ rufen, so müssen sie auch den Mut haben, den Bürgern zu sagen, wer auf was in Zukunft zu verzichten hat. Eine systemoffene Diskussion über die Grenzen der Leistungsfähigkeit unserer sozialen Sicherungssysteme ist längst überfällig, wird aber zugunsten ständiger vergeblicher Regulierungsversuche innerhalb des Systems verzweifelt vermieden. Wer allen alles verspricht, darf sich nicht wundern, wenn die Geschenke auch angenommen werden.

Eckstein H.-H. / Kühnl A. Wird in Deutschland zu viel operiert? – Meinungen aus der Chirurgie. Die Gefäßchirurgie. Passion Chirurgie. 2015 September, 5(09): Artikel 02_02_01.

Pennig D. Wird in Deutschland zu viel operiert? – Meinungen aus der Chirurgie. Die Orthopädie & Unfallchirurgie. Passion Chirurgie. 2015 September, 5(09):
Artikel 02_02_02.

Rüggeberg J.-A. Wird in Deutschland zu viel operiert? – Meinungen aus der Chirurgie. Die niedergelassenen Chirurgen. Passion Chirurgie. 2015 September, 5(09): Artikel 02_02_03.

Aus der Bahn geschleudert – und beschleunigt: Ergebnisse des Gutachtens zur Einheit der Chirurgie

Kaum etwas ist in den Führungsgremien der chirurgischen Verbände in den letzten beiden Jahren so nachhaltig und auch kontrovers diskutiert worden wie das so genannte Kruse-Gutachten zur Einheit der Deutschen Chirurgie. Auch den nicht unmittelbar mit der Materie befassten Mitgliedern dürfte nicht entgangen sein, dass hier ein seit Jahren immer wieder diskutierter Prozess offenbar ernsthaft ins Stocken geraten ist. Das hängt sicher auch damit zusammen, dass die konkreten Inhalte des Gutachtens bis dato nicht allen bekannt sind, weswegen wir dieses an dieser Stelle vollständig publizieren, bzw. wegen des Umfangs des Gutachten eine Zusammenfassung liefern mit dem Verweis auf die Fundstelle der vollständigen Dokumentation (Studienergebnisse als PDF-Datei am Ende des Artikels verfügbar).

Seit mehr als 20 Jahren wird immer wieder diskutiert, ob und in welchem Umfang die unterschiedlichen Verbände in der Vertretung chirurgischer Interessen gemeinsam agieren oder sich in Abgrenzung zueinander profilieren sollen. Diese Diskussionen namentlich zwischen BDC und DGCH haben in den letzten Jahren eine neue Dynamik und Intensität entwickelt und zu konkreten Verhandlungen auf der Vorstandsebene über eine Zusammenlegung einzelner Tätigkeitsbereiche (z. B. gemeinsame Mitgliederverwaltung, gemeinsame Pressestelle, gemeinsame Akademie etc.) geführt. Bedauerlicherweise sind die im Grunde positiven Ansätze dieser Gespräche nie umgesetzt worden. Das Projekt drohte ähnlich einer zur Erkundung neuer Welten ins All geschickten Raumsonde mangels Treibstoff zum Stillstand zu kommen.

Trotz interner Kritik im Vorstand des BDC wurde letztlich mehrheitlich beschlossen, dass der Berufsverband und die Fachgesellschaften unter ihren Mitgliedern eine Umfrage zum Projekt „Einheit in der deutschen Chirurgie“ durchführen, um zu prüfen, ob die Vorstellungen der Präsidien überhaupt im Einklang mit den Wünschen der Mitglieder stehen. Beauftragt war damit (für eine erhebliche Summe Geldes) die Agentur „nextpractice“ aus Bremen.

In zweistündigen Einzel-Interviews wurden 162 Mitglieder von BDC und DGCH, sowie 17 Nichtmitglieder befragt. Die Ergebnisse dieser Befragungen wurden in dreidimensionalen Aufarbeitungen visualisiert und analysiert. Wir empfehlen an dieser Stelle nochmals, diese durchaus interessanten Darstellungen in der PDF am Ende des Artikels anzusehen.

Eine Zusammenfassung der Ergebnisse ist nicht ganz einfach, weil nahezu jede dieser komplexen Folien aus dem Gutachten unterschiedliche Interpretationen zulässt. Daher an dieser Stelle eine knappe Darstellung aus der Sicht des BDC:

Studiendesign

  • Eine Erhebung/Berechnung der notwendigen Anzahl der zu befragenden Personen hinsichtlich Repräsentativität wurde nicht erstellt.
  • Im Falle einer Doppelmitgliedschaft der Befragten in BDC und DGCH resp. Fachgesellschaft ist eine solche nicht nachvollziehbar zugeordnet worden. Eine klare Zuordnung der Aussagen dieser Personen daher nicht möglich.

Ergebnis

  • Es besteht eine deutliche positive Wahrnehmung des BDC als Motor des Prozesses „Einheit“.
  • Um die „Einheit in der Chirurgie“ zu erreichen, ist aus „DGCH-Perspektive“ eine große Veränderungsnotwendigkeit der DGCH notwendig.
  • Aus „BDC-Perspektive“ werden die „Anforderungen an die Chirurgie heute“ durch den BDC bereits weitgehend erfüllt.
  • Die Befragung macht deutlich, dass offenbar ein großes Interesse der Befragten an kooperativer Gemeinsamkeit besteht, gleichzeitig und quasi im Gegensatz dazu werden als Zentralproblem interne Machtinteressen identifiziert.
  • Der BDC steht bezüglich seines Agierens sehr dicht an einer Idealvorstellung der Mitglieder.
  • Die Befragten geben den einzelnen Themen eine unterschiedliche Bedeutung: politische Gesamtvertretung versus medizinische Fachthemen. Daraus resultiert die Notwendigkeit einer differenzierten Außendarstellung.
  • Im Ausblick auf die Zukunft zeigt sich ein deutlicher Pessimismus gegenüber der DGCH, das Ziel einer Chirurgischen Einheit zu erreichen, beim BDC dagegen schon heute eine sehr gute Einschätzung, allerdings für die Zukunft etwas abgeschwächt.
  • Die DGCH wird (auch von den eigenen Mitgliedern) eher als Dachverband denn als Mitgliedergesellschaft gesehen.
  • Alle Befragten mit Ausnahme der Leitungsebene der DGCH sind beginnend enttäuscht vom bisherigen Fortschritt der Einheit Chirurgie.
  • Die Studie zeigt einen starken Unterschied in der Bewertung der Führungsebenen durch die jeweils eigenen Mitglieder. Der BDC wird dabei im Gegensatz zur DGCH positiv bewertet.

Fazit

Aus all diesen Aussagen folgerte Prof. Kruse, dass der BDC in Folge seines guten Standings gar kein Interesse haben könne, gemeinsam mit Partnern tätig zu werden.

Diese Aussage hat leider nicht ganz überraschend zu erheblichen Irritationen geführt, obwohl sie völlig aus der Luft gegriffen ist und nach Einschätzung des Vorstandes durch die Befragung nicht bestätigt wird.

Unseres Erachtens nach handelt sich eher um eine unzulässige Wertung bei nicht verwertbarer Datenlage, nach dem Motto: Wenn die keine Vorteile sehen, warum sollten sie dann zusammengehen?

Um auf das Bild der oben genannten Raumsonde zurückzukommen: Diese hat auf ihrer weiten Reise ins Unbekannte ein plötzliches Hindernis vor sich und droht daran zu zerschellen. Aber es ist gelungen, dieses Hindernis knapp zu passieren und jetzt wird sich zeigen, ob durch die Gravitationsablenkung am Ende eine Beschleunigung in Richtung eines neuen Ziels erreicht wurde.

Die Tatsache, dass nur eine gemeinsame Vertretung aller chirurgischen Verbände die Schlagkraft und damit die Bedeutung des Faches Chirurgie verbessern kann, bleibt ebenso unverändert wie die Erkenntnis, dass angesichts knapper werdender Ressourcen die wirtschaftliche Existenz aller Beteiligten nur in Gemeinsamkeit gesichert werden kann. Aber vielleicht ist es hilfreich, den direkten Weg durch eine Mauer mit Hilfe kleiner Umwege zielführender zu gestalten. Insofern sollte die Studie trotz aller Kritik als Treibsatz gewertet werden und nicht als Bremse. Die Verantwortlichen im BDC jedenfalls werden die notwendigen Konsequenzen ziehen und in Kürze hoffentlich wegweisende Entscheidungen treffen.

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Studienergebnisse „Projekt: Einheit der deutschen Chirurgie“, erste Ergebnisse aus Tiefeninterviews mit162 Mitgliedern von BDC, BVOU und DGCH sowie 17 Nichtmitgliedern

Rüggeberg J. / Seifert J. Aus der Bahn geschleudert – und beschleunigt: Ergebnisse des Gutachtens zur Einheit der Chirurgie. Passion Chirurgie. 2015 März, 5(03): Artikel 07_01.