Alle Artikel von Jörg-Andreas Rüggeberg

Editorial: Passion Praxis

Vor einiger Zeit wurde ich gebeten, einen Vortrag zum Thema „Lebensqualität niedergelassener Chirurgen“ zu halten. Na ja, einfach, habe ich gedacht, schließlich werde ich in meinem Amt nahezu täglich mit Mails und Briefen aus der Kollegenschaft beglückt, in denen diese mir ihre jeweiligen Probleme, Nöte und Ärgernisse mit der Bitte um Abhilfe oder auch nur bloße Kenntnisnahme zukommen lassen. Nie schreibt jemand, es gehe ihm oder ihr gut, die Arbeit mache Spaß, sei befriedigend oder macht sonst eine positive Äußerung. Also liege ich sicher richtig, im Vortrag auf miserable Umfeldbedingungen, übermäßige Arbeitsbelastung und letztlich unterirdische Lebensqualität zu verweisen.

Aber halt, das kann doch nicht sein, dass mehr als 3.500 Kolleginnen und Kollegen mit Ihrem Schicksal hadern. Ist es wirklich so, dass sich die Freiheit des Niedergelassenen nur an der Länge der Kette bemisst, die ihm um den Hals gelegt ist?

Wie so oft, gibt es in der Beurteilung von Lebensqualität mehrere unterschiedliche Wahrnehmungen, die sich erst in der Zusammenfassung zu einer Art Wahrheit verdichten. Nehmen wir den bekannten Sysiphos. Der muss ohne Hilfen einen schweren Stein bei Wind und Wetter einen steilen Hang hinaufrollen, um oben angelangt den Stein wieder herunterrollen zu sehen und von vorne anzufangen. Es handelt sich um eine monotone, wiederkehrende schwere körperlich belastende Arbeit unter schlechten Umfeldbedingungen ohne greifbaren Erfolg, die jeden Gewerkschaftler zum Streik aufrufen ließe. Andererseits: Sysiphos arbeitet an der frischen Luft, darf sich bewegen und körperlich auftrainieren, kommt immer wieder an einem Höhepunkt an, sieht jeden Meter zurückgelegter Strecke und vor allem geht es immer aufwärts. Wozu also jammern, wenn man die Dinge auch von der positiven Seite sehen kann.

Viel zu lange haben wir Klagelieder angestimmt über fesselnde Budgets, überbordende Bürokratie, lange Arbeitszeiten und schlechte Einkommen. Das Ergebnis: Kaum noch junge Kolleginnen und Kollegen finden den Weg in die Niederlassung, es sei denn, sie finden ihre Arbeitsbedingungen in der Klinik noch schrecklicher. Aber ist die Flucht aus dem Unerträglichen in das Unsägliche eine vernünftige Motivation?

Nein, die Arbeit in der eigenen Praxis ist mit das Schönste, was man in seinem Berufsleben erreichen kann. Man ist frei in seinen Therapieentscheidungen, man kann jeden Menschen ganz individuell nach dessen Bedürfnissen behandeln, man erlebt täglich medizinische und menschliche Erfolge, erlebt Dankbarkeit, Anerkennung und bekommt gelegentlich auch mal eine Tafel Schokolade.

Wozu bin ich Arzt geworden? Doch im Kern aus der Begeisterung heraus, anderen Menschen zu helfen. Genau das kann ich in der eigenen Praxis verwirklichen und zwar genau so, wie ich das will. Natürlich gibt es Ärgernisse genug, aber nicht in der Interaktion mit meinen Patienten. Überlassen Sie den Kampf mit den Institutionen doch Ihrem Berufsverband und widmen sich Ihrem Hobby. Denn Arbeit ist dann keine Belastung mehr, wenn sie Spaß macht. Es ist mehr eine Frage der Einstellung. Wer nur die Nachteile sieht, hat zwar Recht, aber leidet. Wer das Positive sucht und findet, für den ist der Einstieg in die eigene Praxis die Erfüllung eines Lebenstraums. Ich für meinen Teil habe meine Entscheidung niemals bereut und werde, so ich gesund bleibe sogar über das Rentenalter hinaus meiner Passion frönen.

Rüggeberg J. Editorial: Passion Praxis. Passion Chirurgie. 2014 August; 4(08): Artikel 01.

Wie geht es weiter mit dem EBM?

Reformen des EBM sind immer wieder ein Thema ausgiebiger Spekulationen und insofern ähneln Artikel dazu gerne in gewisser Weise einer Kaffeesatzleserei. Es dürfte inzwischen aber allen bekannt sein, dass die KBV eine Überarbeitung des aktuellen EBM plant und zumindest für den hausärztlichen Bereich auch schon in Teilen umgesetzt hat.

Insofern ist es schon von Interesse, in welche Richtung sich diese EBM-Reform bewegen wird.

Eines vorweg: Als Termin für die Einführung des fachärztlichen Teils des EBM ist aktuell der 01.01.2016 vorgesehen. Ich persönlich halte diesen Termin aus zwei Gründen für unrealistisch: Erstens dauert der Gang durch die Gremien insbesondere die Beschlussfassung im Bewertungsausschuss lange. Ein Entwurf, der zum Jahresanfang 2016 in Kraft treten soll, müsste spätestens bis September 2015 beschlossen sein und deshalb im Prinzip schon zu Beginn des Jahres 2015, also in einem halben Jahr fertig sein. Das ist nicht zu erwarten. Zweitens stehen im Jahr 2016 Neuwahlen für die KV-Vorstände an und die werden Ihre Wiederwahlaussichten nicht durch mit Sicherheit aufkommenden Zorn der Basis über einen neuen EBM gefährden wollen. Also sind meine nachfolgenden Ausführungen noch relativ früh und entsprechend ohne jede Verbindlichkeit. Gleichwohl sollen Sie informiert werden über die Vorstellungen Ihres Berufsverbandes um ggf. mit uns in eine weitere Diskussion einzutreten.

Wichtig in diesem Zusammenhang sind einige Vorbemerkungen, um unsere Vorschläge für eine EBM-Reform im richtigen Licht einordnen zu können:

1: Der EBM bringt prinzipiell kein neues Geld ins System. Unter den gesetzlichen Bedingungen eines Budgets geht es immer nur um eine Umverteilung des eklatanten Mangels zwischen den Fachgruppen. Eine Leistungsbewertung wird zwar im Grundsatz durchgeführt, relativiert sich aber stets an der zur Verfügung gestellten Geldmenge. Wie sagte Herr Köhler so schön: „Die Freiheit des Arztes definiert sich an der Länge der Kette, die ihm um den Hals gelegt wurde.“ Jede EBM-Position ist also nur eine Relativbewertung der Leistungen zueinander und lediglich für die extrabudgetären Leistungen tatsächlich eine Preisgestaltung.

2.: Alle Vorschläge basieren auf den Bedingungen des aktuellen Systems. Diese Bedingungen lehnen wir grundsätzlich und vehement ab, dazu gehört insbesondere die Budgetproblematik mit den damit verbundenen Leistungsbegrenzungen. Wir verlangen wie jeder Unternehmer einen konkreten festen und garantierten Preis für unsere Leistungen. Das würde dann entsprechend der Systematik (nicht zwingend des dringend überarbeitungswürdigen) Inhalts der GOÄ eine Gebührenordnung ergeben, die den Namen auch verdient. Dieses ist aber unter den bekannten politischen Rahmenbedingungen illusorisch, also müssen wir entgegen unserer Grundüberzeugung Vorschläge entwickeln, die innerhalb des perfiden Systems einigermaßen unser Leistungsgeschehen abbilden.

Da die Budgetierung nur mit knebelnden Mengenbegrenzungen funktionieren kann, muss in diesem Zusammenhang ein Ziel sein, Anreize zu überbordenden Einzelleistungsabrechnungen zu vermeiden, da so nur die Gefahr für die Kollegenschaft besteht, ggf. in Plausibilitätsprobleme zu geraten und am Ende einen Regress zu zahlen für Gelder, die überhaupt gar nicht eingenommen worden sind. Deshalb haben wir nach langer Diskussion darauf verzichtet, die bisherigen Komplexe in Einzelleistungen aufzulösen, obwohl dies für uns eher der reinen Lehre entspräche. Dennoch ist es wichtig, im Fachkapitel Chirurgie als Gruppe ein klar erkennbares Profil zu entwickeln und spezifische Leistungen zu benennen, die typisch sind für eine chirurgische Praxis und eventuell sogar ein Alleinstellungsmerkmal darstellen.

Um es noch einmal deutlich zu sagen: Wir wünschen und fordern eine eindeutige und mit festen Preisen versehene Gebührenordnung auf der Basis tatsächlich erbrachter Einzelleistungen, müssen aber die Realität anerkennen und daher unter den gegebenen Bedingungen eine Verbesserung des aktuellen EBM zähneknirschend systemkonform anstreben.

Im Folgenden erhalten Sie nun einen Überblick über die Forderungen, die wir im Lichte der obigen Ausführungen eingebracht haben. Es handelt sich dabei um einen Diskussionsentwurf, der von unserer Seite durchaus noch verändert werden kann. Spannender und leider überhaupt nicht abzuschätzen ist die Frage, ob die KBV sich unserer Vorschläge annimmt und wenn ja, wie. Es gibt nun mal keine Verpflichtung der KBV, Vorschläge oder Forderungen der Berufsverbände eins zu eins zu übernehmen.

Ich verzichte bei der Aufstellung auf jeweilige Begründungen, weil ich denke, dass sich dies von alleine erschließen dürfte.

Vorschläge für EBM-Änderungen bzw. Ergänzungen der Fachgruppe Chirurgie

Präambel Kap. 7

 

Neuformulierung Satz 1 entsprechend M-WBO

 

 

1. Die in diesem Kapitel aufgeführten Gebührenordnungspositionen können ausschließlich von
• Fachärzten für Chirurgie,
• Fachärzten für Allgemeinchirurgie,
• Fachärzten für Viszeralchirurgie,
• Fachärzten für Gefäßchirurgie,
• Fachärzten für Thoraxchirurgie,
• Fachärzten für Herzchirurgie,
• Fachärzten für Kinderchirurgie,
• Fachärzten für Plastische Chirurgie,
• Fachärzten für Orthopädie/Unfallchirurgie
berechnet werden.

07210-07212

 

Splitting in Neu-Patienten (ICD) und bekannte Patienten bezogen auf Vorquartal

 

07210
07211
07212

Grundpauschale Erstkontakt im Krankheitsfall

 

 

Obligater Leistungsinhalt
• Persönlicher Arzt-Patienten-Kontakt, erstmalig im Krankheitsfall
Fakultativer Leistungsinhalt
• Weitere persönliche oder andere Arzt-Patienten-Kontakte im Behandlungsfall gemäß 4.3.1 der Allgemeinen Bestimmungen,
• Ärztlicher Bericht entsprechend der Gebührenordnungsposition 01600,
• Individueller Arztbrief entsprechend der Gebührenordnungsposition 01601,
• In Anhang 1 aufgeführte Leistungen,
Abrechnungsbestimmung
einmal im Krankheitsfall
Der Krankheitsfall ist definiert in § 21 Abs. 1 BMV-Ä bzw. § 25 Abs. 1 EKV und umfasst das aktuelle sowie die drei nachfolgenden Kalendervierteljahre, die der Berechnung der krankheitsfallbezogenen Gebührenordnungsposition folgen.

07213-07215

07213
07214
07215

Grundpauschale im Behandlungsfall bei gleichem Krankheitsfall

 

 

Obligater Leistungsinhalt:
• Persönlicher Arzt-Patienten-Kontakt,
Fakultativer Leistungsinhalt
• Weitere persönliche oder andere Arzt-Patienten-Kontakte gemäß 4.3.1 der Allgemeinen Bestimmungen,
• Ärztlicher Bericht entsprechend der Gebührenordnungsposition 01600,
• Individueller Arztbrief entsprechend der Gebührenordnungsposition 01601,
• In Anhang 1 aufgeführte Leistungen,
Abrechnungsbestimmung
einmal im Behandlungsfall
Abrechnungsausschluss
Im Krankheitsfall 07210, 07211, 07212

07230

 

Zusatzpauschale für die sofortige unvorhergesehene (Notfall)-Behandlung eines Patienten

 

 

Obligater Leistungsinhalt:
• Notfallbehandlung eines Unfallverletzten am Unfalltag
Und/oder
• Akutbehandlung eines Patienten innerhalb von 24 Stunden (einem Werktag) nach Eintritt der Erkrankung
Und/oder
• Akutbehandlung eines Patienten innerhalb eines Werktages nach Überweisung durch einen Vertragsarzt oder nach ambulanter Notfallbehandlung im Krankenhaus
Und/oder
• Umgehende Anschlussbehandlung nach Entlassung aus stationärer Behandlung innerhalb von zwei Werktagen

07240

 

Zusatzpauschale für die Behandlung von Mehrfachverletzungen und/oder eines Polytraumas

 

 

Obligater Leistungsinhalt:
Dokumentation von Behandlung von
• Verletzungen an wenigstens zwei großen Extremitätenabschnitten (distal bzw. proximal des Ellbogen- und/oder Kniegelenks)
Und/oder
• Mindestens einem Extremitätenabschnitt und einem Abschnitt des Körperstamms (Becken/Wirbelsäule)
Und/oder
• Verletzungen des Bewegungsapparates und einer Körperhöhle
Und/oder
• Verletzungen mehrerer Körperhöhlen
Und/oder
• Kombinationsverletzungen der Extremitäten mit großen Blutgefäßen und/oder stammnahen Nerven und/oder einem Schädelhirntrauma

07250

 

Zusatzpauschale Zweitmeinung
Beurteilung von externen Befunden zur Erstellung einer Zweitmeinung auf Überweisung durch einen anderen Vertragsarzt

 

 

Obligater Leistungsteil:
• Sichtung, Bewertung und Dokumentation externer Befunde
• Beratung des Patienten zu alternativen Behandlungsmöglichkeiten
• (Dauer mindestens 10 Minuten, falls neue zeitbasierte Budgetsystematik)

07310

 

Zusammenführung mit 07311 ohne Altersdifferenzierung
Begründung: Bei Kindern ist der therapeutische Aufwand etwas geringer, dafür der Zeitbedarf wegen der Elterngespräche umso höher

07320

 

Viszeralchirurgischer Komplex (wie bisher)

07321

 

Thoraxchirurgischer Komplex

 

 

Beratung, Untersuchung und Behandlung eines Patienten mit einer thoraxchirurgischen Erkrankung

Obligater Leistungsinhalt:
Mindestens zwei Arzt-Patienten-Kontakte im Behandlungsfall
Nur für Fachärzte für Thoraxchirurgie

07322

 

Herzchirurgischer Komplex

 

 

Beratung, Untersuchung und Behandlung eines Patienten mit einer herzchirurgischen Erkrankung
Obligater Leistungsinhalt:
Mindestens zwei Arzt-Patienten-Kontakte im Behandlungsfall
Nur für Fachärzte für Herzchirurgie

07331

 

Zusatzpauschale Diagnostik und/oder Behandlung von degenerativen Erkrankungen der Wirbelsäule bei Jugendlichen und bei Erwachsenen

 

 

Obligater Leistungsinhalt:
• Diagnostik und/oder Therapie von Erkrankungen der Wirbelsäule
und/oder
• Segmentale Funktionsdiagnostik und Differentialdiagnostik
und/oder
• Weiterführende neurologische Diagnostik,
• Mindestens 2 Arzt-Patienten-Kontakte im Behandlungsfall,

 

 

Fakultativer Leistungsinhalt

 

 

• Anlage und/oder Wiederanlage einer Orthese,
• Mobilisationen nach Funktionsdiagnostik,
• Anleitung zur Durchführung von Bewegungsübungen,
• Behandlung mit Lokalanästhetika,
• Haltungsschulung,

 

 

Einmal im Behandlungsfall

 

 

Der Ausschluss der Nebeneinanderberechnung von Behandlungskomplexen ist nicht sachgerecht und sollte entfallen.

 

 

Kleinchirurgische Eingriffe:

 

 

So genannte „kleine“ chirurgische Eingriffe erfordern nach chirurgischem Verständnis grundsätzlich zur Patientensicherheit die gleichen Erfordernisse der Strukturqualität wie sie für Operationen im Eingriffsraum vorausgesetzt werden. Es ist daher folgerichtig, diese Eingriffe, soweit sie mit einer instrumentellen Eröffnung der Haut oder Schleimhaut einhergehen, im Kapitel 31 zu definieren. Damit wird auch die dort abgerechnete Menge reduziert, weil Eingriffe aus dem Kapitel 31 genehmigungspflichtig sind und insofern nur einer kleinen Anzahl von Vertragsärzten zugänglich sind.
Ersatzweise fordern die Chirurgen eine gesonderte Abrechnungsziffer, wie sie auch für andere Fachgruppen eingerichtet ist und auch aktuell für die Hausärzte vorgesehen wird.

07360
(31960)

 

Siehe 02300 ggf. im Eingriffsraum, dann 31.6

07361
(31961)

 

Siehe 02301 ggf. im Eingriffsraum, dann 31.6

07362
(31962)

 

Siehe 02302 ggf. im Eingriffsraum, dann 31.6

31101
36101

 

• Chirurgischer Eingriff an der Körperoberfläche der Kategorie A1 entsprechend Anhang 2
Oder
• Spaltung eines ausgedehntes großen Abszesses entsprechend der Vorgaben der Allgemeinen Bestimmungen 4.3.7

31965

 

Punktion eines großen Gelenkes

 

 

Obligater Leistungsinhalt
Durchführung in einem Eingriffsraum gemäß den Bedingungen des AOP-Vertrages

Kapitel 31.1.2
31015

 

Zusatzpauschale Überweisung zur Ambulanten Operation

 

 

Obligater Leistungsinhalt:
• Erstellen einer Indikation zu einem ambulanten Eingriff
• Beratung des Patienten über die Operationsmethode, alternative Möglichkeiten, den zu erwartenden postoperativen Verlauf und die Erfordernisse der häuslichen Betreuung
• Zusammenstellung und Mitgabe der relevanten Untersuchungsergebnisse
• Ausstellung einer fachgebundenen Überweisung
Fakultativer Leistungsinhalt:
• Organisation der postoperativen Betreuung
• Kontaktnahme mit der operativen Einheit
• Durchführung der perioperativen Thromboembolieprophylaxe

Präambel Kap. 31.2

 

Satz 8:

 

 

Ergänzen um die GOP 01102

31xx8

 

Zuschlag zu den Gebührenordnungspositionen 31xx1 bis 31xx6 bei Simultaneingriffen und/oder Rezidiveingriffen und zu der Gebührenordnungsposition 31xx7
Ausschluss: 31141 bis 31146 (nur für Rezidiveingriffe)

36xx8

 

Zuschlag zu den Gebührenordnungspositionen 36xx1 bis 36xx6 bei Simultaneingriffen und/oder Rezidiveingriffen und zu der Gebührenordnungsposition 36xx7
Ausschluss: 36141 bis 36146 (nur für Rezidiveingriffe)

01102

 

Geplante Inanspruchnahme des Vertragsarztes an Samstagen, Sonn- und Feiertagen zwischen 07:00 und 19:00 Uhr

Rüggeberg J. Wie geht es weiter mit dem EBM? Passion Chirurgie. 2014 August, 4(08): Artikel 02_05.

Wahlprüfsteine 2013

Bundestagswahlkampf bedeutet meist Austausch von Schlagworten, deren substantielle Inhalte sich dem Bürger meist nicht direkt erschliessen. Bürgerversicherung, soziale Gerechtigkeit, Gesundheit für alle auf höchstem Niveau klingt bestens, aber wie sieht es im Detail genauer aus?

Der BDC hat die Wahlprogramme der Bundestagsparteien geprüft und mangels klarer Aussagen zusätzliche Fragen gestellt, die auch von allen beantwortet wurden. Aus diesen Antworten haben wir die Kernaussagen herausgefiltert und im Folgenden jeweils nebeneinander gestellt. Die vollständigen Schreiben der Parteien können Sie gerne auf unserer Homepage unter www.bdc.de nachlesen. Dort haben wir auch die Antworten der PIRATEN eingestellt.

Jeweils im Anschluss an die Fragenblöcke erlaube ich mir, einen kurzen Kommentar abzugeben, da auch die Antworten vieles offen lassen. Sie mögen dieses nutzen, um zumindest auf dem Feld der Gesundheitspolitik die Positionen der Parteien einordnen zu können. Entscheiden müssen Sie mit Ihrem Wahlkreuz selber.

1. Grundsätzliches

Wie wollen Sie das zukünftige Gesundheitssystem ausgestalten, um Mangelversorgung zu verhindern? (Wollen Sie Leistungen ausgliedern? Wollen Sie die Finanzierung des Systems verändern? Wollen Sie Zuzahlungen einführen? Wollen Sie den Bürgern mehr eigenverantwortliche Pflichten geben? Wollen Sie Zuteilungen vornehmen wie in Skandinavien oder England?)

07_01_a_08_2013_wahlpruefsteine_logo_cduDie Folgen des demografischen Wandels und der medizinische Fortschritt erfordern regelmäßige Anpassungen von Struktur, Organisation und Finanzierung des Gesundheitswesens in Deutschland. Mit der Weiterentwicklung des Gesundheitsfonds und der neuen Beitragsautonomie der Krankenkassen (Zusatzbeiträge/Prämienrückerstattung) setzen wir den erfolgreichen Weg, die Kos-tensteigerungen der Zukunft in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht ausschließlich zu Lasten der abhängig Beschäftigten und Rentner zu finanzieren, kontinuierlich fort.

Der Einstieg in einen steuerfinanzierten Sozialausgleich und die Steuerfinanzierung versicherungsfremder Leistungen, sind ein wichtiges Element zur Entlastung der Beitragszahler und Ausdruck gesamtgesellschaftlicher Solidarität.

Wir bekennen uns zum Wettbewerb der Kassen. Dazu zählt aus unserer Sicht auch die Möglichkeit der Kassen, sich bei Satzungsleistungen, Wahl- und Zusatztarifen sowie differenzierten Versorgungsangeboten zu unterscheiden. Eine staatliche Einheitsversicherung für alle lehnen wir entschieden ab.

Die private Krankenversicherung ist in unserem freiheitlichen Gesundheitssystem ein wichtiges Element der Nachhaltigkeit. Deshalb wollen wir sie erhalten.

07_01_a_08_2013_wahlpruefsteine_logo_spdEine drohende Unterversorgung im deutschen Gesundheitssystem kann durch eine nachhaltige Finanzierung, durch eine Sicherstellung der Versorgung in allen Regionen und durch eine Steigerung der Qualität zur Vermeidung von (v.a. mengenmäßiger) Fehl- und Überversorgung erreicht werden. Bezogen auf die einzelnen Versicherten kann „Mangelversorgung“ verhindert werden, indem soziale Spaltung durch den Abbau gesamtgesellschaftlicher Solidarität in der GKV verhindert wird.

Deshalb will die SPD die Solidarität, die Nachhaltigkeit in der Finanzierung und die Versorgungsgerechtigkeit durch ein einheitliches, solidarisches Krankenversicherungs- und Honorarsystem mit einer Bürgerversicherung stärken.


07_01_a_08_2013_wahlpruefsteine_logo_grueneWir brauchen eine neue Innovationskultur im Gesundheitswesen. Neue medizinische Behandlungsverfahren und Produkte sind daraufhin zu prüfen, ob sie den Patienten tatsächlich mehr nutzen als die bereits vorhandenen Angebote. Wir müssen in Gesundheit und nicht nur in Krankheit investieren. Durch eine Politik, die auch Anforderungen an die Kinderbetreuung, das Bildungssystem oder die Stadtentwicklung stellt. Und drittens brauchen wir mehr Solidarität bei der Finanzierung der Gesundheitsausgaben. Es geht nicht weiter an, dass sich ausgerechnet die wirtschaftlich leistungsfähigsten Bevölkerungsgruppen nicht am Solidarausgleich innerhalb der Krankenversicherung beteiligen müssen. Zudem ist ihm Rahmen einer Bürgerversicherung die Beitragspflicht auch auf Vermögenseinkommen und Gewinne auszuweiten.


07_01_a_08_2013_wahlpruefsteine_logo_fdpDie FDP steht für ein freiheitliches und vielfältiges Gesundheitssystem, das auf den Prinzipien des Wettbewerbs beruht, Solidarität und Eigenverantwortung miteinander verbindet und das Wohl der Patientinnen und Patienten in den Mittelpunkt der medizinischen Versorgung stellt. Wir setzen uns ein für Wahlfreiheit für den Bürger, mehr Beitragsautonomie der Krankenkassen und den Erhalt der Freiberuflichkeit als Garant für ein leistungsfähiges Gesundheitswesen. Eine Politik der Budgetierung wird im demografischen Wandel zu einem Mangel an Ärzten, Pflegekräften und anderen notwendigen Leistungsangeboten führen. Um dem vorzubeugen, brauchen wir leistungsgerechte Vergütungen, gute Arbeitsbedingungen und den Abbau von unnötiger bürokratischer Regulierung.


07_01_a_08_2013_wahlpruefsteine_logo_dielinkeGesundheit ist ein Grund- und Menschenrecht. Anspruch linker Gesundheitspolitik ist es, allen Menschen in Deutschland unabhängig von der Größe des Geldbeutels eine hochwertige Gesundheitsversorgung zu ermöglichen. Jegliche Rationierung verschärft die bestehende gesundheitliche Ungleichheit. Zuzahlungen und Zusatzbeiträge sind zutiefst ungerecht und unsozial. Unter dem neoliberalen Dogma der Eigenverantwortung werden Leistungen gekürzt und Kosten auf Versicherte und Patientinnen und Patienten verlagert.

Wir schlagen eine gerechte und solide Finanzierung vor. Alle in Deutschland lebenden Menschen werden Mitglied der solidarischen Bürgerinnen- und Bürgerversicherung. Sämtliche erforderliche Leistungen werden zur Verfügung gestellt, der medizinische Fortschritt wird einbezogen. Alle entrichten den gleichen Prozentsatz ihres gesamten Einkommens. Niemand soll aus der Verantwortung entlassen werden – weder durch eine Privatversicherung, noch durch eine Beitragsbemessungsgrenze, die die höchsten Einkommen entlastet. Das GKV-Finanzierungsgesetz und jegliche Zuzahlungen, Zusatzbeiträge und Beschränkung medizinisch notwendiger Leistungen gehören abgeschafft.

Nach einer wissenschaftlichen Studie kann so der Beitragssatz um 5 Prozent auf circa 10,5 Prozent sinken und langfristig dort bleiben.

Kommentar:

SPD, Grüne und Die Linke fordern eindeutig die Einführung einer Bürgerversicherung, das heißt Versicherungspflicht für alle in einer einheitlichen (gesetzlichen) Krankenversicherung, damit Abschaffung der privaten Vollversicherung, stattdessen nur noch private Zusatzversicherung. CDU und FDP plädieren für die Beibehaltung des bisherigen Systems aus gesetzlicher und privater Versicherung. Abgesehen von der Partei Die Linke sagt niemand etwas über die konkreten finanziellen Auswirkungen. Zum Thema Bürgerversicherung finden Sie in diesem Heft einen weiteren wichtigen Beitrag, da dies von entscheidender Bedeutung für die Zukunft unseres Sozialsystems sein wird. Die Grünen betonen als Einzige den Zusammenhang zwischen Gesundheit und anderen sozialen Faktoren.

2. Ambulant-Stationär

Planen Sie die Übernahme der ambulanten fachärztlichen Versorgung durch Krankenhäuser mit angestellten Ärzten? Bevorzugen Sie eine Leistungserbringung durch Angestellte oder durch freiberuflich selbständige Ärzte? (Welche Vorstellungen haben Sie von Kooperationsmodellen an der Schnittstelle ambulant – stationär? Befürworten Sie eine (Teil-) Leistungserbringung bei stationären Patienten durch freiberufliche Konsilärzte?)

07_01_a_08_2013_wahlpruefsteine_logo_cduFür CDU und CSU bilden die Therapiefreiheit, die freie Arzt- und Krankenhauswahl für die Patienten sowie die Unabhängigkeit der freien Gesundheitsberufe im Krankenversicherungssystem den Kern eines freiheitlichen Gesundheitswesens. Die Beschäftigten in den Kliniken, Praxen und ambulanten Diensten stehen für eine qualitativ hochwertige, patientennahe Versorgung. Diese Strukturen wollen wir bewahren. Wir lehnen eine Staatsmedizin ab und wollen, dass die Freien Berufe in einem selbstverwalteten, freiheitlichen System weiterhin eine tragende Säule erstklassiger Patientenversorgung sind.

Versorgungsangebote über die Sektorengrenzen hinweg gilt es im Interesse der Patienten weiter auszubauen. Die integrierte Versorgung wollen wir weiterentwickeln. Durch bessere Versorgungsmodelle werden die Sektorengrenzen durchlässiger gemacht und damit können Synergieeffekte in der Gesundheitsversorgung entstehen.


07_01_a_08_2013_wahlpruefsteine_logo_spdWir wollen die bedarfsgerechte Versorgung in strukturschwachen Regionen besonders fördern. Dazu werden wir die flächendeckende hausarztzentrierte Versorgung sowie die Vernetzung zwischen Leistungserbringern der verschiedenen Gesundheitsberufe stärken. Die Primärversorgung ist das Rückgrat einer starken, wohnortnahen Versorgung. Gleichzeitig werden wir die integrierte Versorgung mit einer eigenständigen zweckgebundenen Finanzierung neu anstoßen und verstetigen.

Damit wollen wir eine qualitätsgesicherte Zusammenarbeit zwischen haus-, fach- und spezialärztlichem Bereich, den nicht ärztlichen Heilberufen, dem ambulanten und stationären Sektoren sowie zwischen pflegerischen, rehabilitativen und medizinischem Bereich gewährleisten.

Um die Versorgung regional sicherzustellen, wollen wir in Zukunft eine sektorübergreifende Bedarfsplanung schaffen. Städten und Gemeinden kommt bei der Gestaltung der lokalen Gesundheitsversorgung eine zunehmend stärkere Rolle zu.


07_01_a_08_2013_wahlpruefsteine_logo_grueneVon einer vollständigen Verlagerung der fachärztlichen Versorgung an die Krankenhäuser halten wir wenig. Das wäre vielerorts abträglich für die wohnortnahe Versorgung und würde überdies eher zu höheren als zu niedrigeren Ausgaben führen. Für wichtig halten wir aber eine stärkere Integration von ambulanter und stationärer fachärztlicher Versorgung. Wir wollen die dafür notwendigen Rahmenbedingungen schaffen. So zum Beispiel durch die Harmonisierung der Vergütungssysteme in beiden Bereichen. Wie diese integrierten Versorgungsformen dann konkret aussehen – einschließlich der Beteiligung von Konsilärzten -, ist nicht in Berlin, sondern von den Akteuren vor Ort zu entscheiden. Das betrifft auch die Frage „selbstständig oder angestellt“. Da haben wir keine Vorlieben.


07_01_a_08_2013_wahlpruefsteine_logo_fdpDie freiberuflich tätigen niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte sind seit Jahrzehnten der Garant für eine qualitativ gute und flächendeckende Gesundheitsversorgung. Die FDP teilt nicht die Mär der doppelten Facharztschiene. Niedergelassene als auch angestellte Fachärzte sind gleichberechtigt wichtig für eine wohnortnahe Patientenversorgung. Kooperationsmodelle bieten die Möglichkeit, eine über die Gesundheitssektoren hinweg optimierte medizinische Versorgung zu erreichen und damit Qualität und Wirtschaftlichkeit zu steigern.


07_01_a_08_2013_wahlpruefsteine_logo_dielinkeDIE LINKE will die ineffektive und teure Trennung von ambulanten und stationären Einrichtungen schrittweise überwinden. Niedergelassene Ärzte, Medizinische Versorgungszentren (MVZ), Krankenhäuser, ambulante und stationäre Rehabilitations- und Pflegeeinrichtungen sowie diagnostische Zentren müssen sich regional vernetzen und konsequent am Bedarf der Bevölkerung ausrichten.

Ferner wollen wir das Vordringen profitorientierter Kapitalgesellschaften und Konzerne in die stationäre und ambulante Versorgung unterbinden und dort, wo bereits geschehen, durch Rückführung in kommunales oder freigemeinnütziges Eigentum wieder in das Solidarsystem integrieren. MVZ müssen den poliklinischen Gedanken aufgreifen.

Kommentar:

Grundsätzlich betonen alle Parteien die Notwendigkeit einer ambulanten fachärztlichen Versorgung in freier Praxis. SPD und Die Linke setzen sich aber sehr pointiert für Hausarztmodelle und poliklinische MVZ bzw. Stärkung der integrierten Versorgung ein. FDP und Grüne stellen die Förderung von Kooperationsmodellen in Aussicht, die Grünen zusätzlich die Schaffung sektorübergreifender einheitlicher Abrechnungsbedingungen.

3. Ärztemangel und Weiterbildung

Wie wollen Sie dem drohenden Ärztemangel begegnen? (Wie stellen Sie sich die Finanzierungshilfen für die Facharzt-Weiterbildung vor? Wie wollen Sie die Versorgung der Patienten sicherstellen, bzw. auf welches Niveau soll diese abgesenkt werden? Planen Sie die Herausnahme der Medizinerausbildung aus dem akademischen Studiengang und Ersatz durch eine Fachhochschulqualifikation (Bolognaprozess, Bachelor-Studiengang für Ärzte)?)

07_01_a_08_2013_wahlpruefsteine_logo_cduOhne motivierte und leistungsbereite Ärztinnen und Ärzte und andere nicht-ärztliche Gesundheitsberufe lässt sich keine flächendeckende medizinische Versorgung sichern, insbesondere im ländlichen Raum. Mit der Abschaffung der strikten Budgetierung und der Weiterentwicklung des vertragsärztlichen Honorarsystems zu einer verlässlichen und leistungsgerechten ambulanten Vergütung mit dem Versorgungsstrukturgesetz haben wir wichtige Anreize geschaffen, die es für Ärztinnen und Ärzte attraktiver machen, sich an der ambulanten Versorgung in unterversorgten oder drohend unterversorgten Gebieten zu beteiligen.

Angesichts der überwiegenden Anzahl weiblicher Absolventen an medizinischen Hochschulen und dem zunehmenden ärztlichen und pflegerischen Fachkräftebedarf, gewinnen Fragen der Vereinbarkeit von Familien- und Berufstätigkeit sowie der Aufgabenneuordnung und -teilung im Gesundheitswesen immer mehr an Bedeutung. Dies gilt auch für die Rück- und Neugewinnung von Fachkräften aus dem Ausland.

Wir begrüßen die sog. Bologna-Umstellung insgesamt, halten die Umstellung im Bereich Medizin (wie auch Jura und Lehramt) allerdings für besonders schwierig. Sie sollte daher nicht eher erfolgen bis die Gewährleistung des gleichen hohen Ausbildungsniveaus auch in den neuen Strukturen gewährleistet ist.


07_01_a_08_2013_wahlpruefsteine_logo_spdEs gibt in Deutschland keinen Mangel an Studienbewerbern. Immer noch kommen auf einen Medizinstudienplatz mehrere Bewerber. Problematisch wird die Situation zuerst im Bereich der hausärztlichen Versorgung. Wir müssen den Beruf des Hausarztes attraktiver machen und dazu einen ganzen Kanon an Instrumenten einsetzen. Wir wollen die Aus-, Fort- und Weiterbildung der Ärztinnen und Ärzte stärken. Dies ist eine fortwährende Aufgabe, die vor allem von und mit den Berufsständischen Verbänden, Kammern und Fachgesellschaften weiterentwickelt werden muss.


07_01_a_08_2013_wahlpruefsteine_logo_grueneÄrztinnen und Ärzte werden auch in Zukunft eine akademische Ausbildung brauchen. Diese Anforderung wird nach unserer Auffassung durch den Bologna-Prozess auch nicht wirklich in Frage gestellt. Allerdings könnte die Aufteilung in Bachelor und Master mehr Raum für berufsgruppenübergreifende Ausbildungsphasen eröffnen. Was den Ärztemangel angeht, betrifft dieser vor allem die hausärztliche Versorgung. Diesem wird mittelfristig nur durch eine stärkere Vernetzung der Versorgung einschließlich der Beteiligung anderer Gesundheitsberufe zu begegnen sein.


07_01_a_08_2013_wahlpruefsteine_logo_fdpDie FDP setzt sich für eine qualitativ gute, flächendeckende ärztliche Versorgung ein. Das setzt voraus, dass junge Menschen sich wieder als Ärztinnen und Ärzte niederlassen wollen. Unterstützen muss man dies durch ein einfaches und transparentes Vergütungssystem, durch leistungsgerechte Finanzierung, durch den Abbau unnötiger bürokratischer Anforderungen und nicht zuletzt durch gezielte Hilfen vor Ort. Mit dem GKV-Versorgungsstrukturgesetz haben wir wichtige Maßnahmen ergriffen, um eine gute und flächendeckende Versorgung auch künftig sicherzustellen. Wir haben Anreize für Ärztinnen und Ärzte gesetzt, auch in ländlichen Regionen tätig zu werden und die Rahmenbedingungen für die ärztliche Tätigkeit insgesamt attraktiver gemacht. Mit der Abschaffung der Praxisgebühr hat die FDP dafür gesorgt, dass Arztpraxen und Notfallambulanzen in

Krankenhäusern von erheblichem bürokratischen Aufwand entlastet wurden und wieder mehr Zeit für die Patientinnen und Patienten bleibt. Nur so wird es uns auch gelingen, wieder mehr junge Medizinabsolventen für die Niederlassung zu gewinnen. Kein gangbarer Weg ist es aus unserer Sicht, die Qualifikation angehender Ärztinnen und Ärzte herabzusetzen. Die Medizin wird auch in den nächsten Jahren an Komplexität zunehmen. Eine Absenkung der Ausbildungsanforderungen ist da die falsche Antwort.


07_01_a_08_2013_wahlpruefsteine_logo_dielinkeDIE LINKE fordert, dass der Einsatz von Ärztinnen und Ärzten nicht den Interessen einzelner Akteure im Gesundheitssystem unterworfen wird. Das Instrument der Bedarfsplanung bleibt erforderlich. Der Bedarf muss künftig kleinräumig und wohnortnah festgestellt werden. Die Versorgungsanalyse wie die Versorgungsplanung sollten künftig den ambulanten wie stationären Bereich gleichermaßen umfassen.

Die Ausbildung von Ärztinnen und Ärzten, aber auch die Vergütungsstrukturen und Arbeitsbedingungen begünstigen momentan eher einen Zuwachs im fachärztlichen Bereich.Wir sehen diese Entwicklung sehr kritisch. Nicht nur aufgrund der Verteilung, sondern gerade auch aufgrund der Altersstruktur von Hausärztinnen und Hausärzten im ländlichen Raum ist ein Gegensteuern notwendig. Hausärztinnen und Hausärzte sollten bei der Honorarverteilung in den

Kassenärztlichen Vereinigungen besser berücksichtigt werden, in dem die „sprechende Medizin“ gegenüber der „Gerätemedizin“ höher bewertet wird.

Kommentar:

Die von uns gestellte Frage ist leider von allen nur ausweichend beantwortet worden. Lediglich im hausärztlichen Bereich sehen SPD, Grüne und Die Linke einen drohenden Mangel. Alle Parteien gehen mehr oder weniger übereinstimmend davon aus, dass der Beruf des Arztes weiterhin auf hohem akademischen Niveau erlernt werden soll ohne Absenkung der bisherigen Qualifikationen. Allerdings wird an anderer Stelle dann davon ausgegangen, dass verschiedene bisher rein ärztliche Tätigkeiten auch von anderen Heilberufen übernommen werden könnten.

4. Arzt-Vorbehalt

Wie stehen Sie zur Frage der „De-Professionalisierung“ des Arztberufes? (Welche Tätigkeiten wollen Sie an nichtärztliche Leistungserbringer übertragen? Wo endet für Sie der so genannte Arztvorbehalt?)

07_01_a_08_2013_wahlpruefsteine_logo_cduDie Therapiefreiheit, die freie Arzt- und Krankenhauswahl für die Patienten sowie die Unabhängigkeit der freien Gesundheitsberufe im Krankenversicherungssystem bilden für CDU und CSU den Kern eines freiheitlichen Gesundheitswesens. Wir wollen die Attraktivität der Gesundheitsberufe steigern. Dazu wollen wir Potenziale, Kompetenzen und Fähigkeiten der im Gesundheitswesen Tätigen stärken und weiterentwickeln und im Interesse der Patientinnen und Patienten möglichst optimal einsetzen. Abgrenzungen zwischen Institutionen und Professionen wollen wir angesichts von Mehrfacherkrankungen und regionaler Ungleichheit auf ihre Notwendigkeit, Wirksamkeit und Zukunftsfähigkeit überprüfen und die Tätigkeiten zugunsten von mehr Kooperation, Delegation und zu neuen Berufsbildern weiterentwickeln. Dabei ist uns die Therapiefreiheit des Arztes ein hohes Gut, das wir schützen und erhalten werden.

Einige Behandlungstätigkeiten, die bislang ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten waren, können im Rahmen von Modellprojekten probeweise auf ausgebildete Kranken- und Altenpflegekräfte übertragen werden. An der Erarbeitung dieser Richtlinie des Gemeinsamen Bundesauschusses haben die Ärzte konstruktiv mitgewirkt. Den in der Richtlinie zur Übertragung vorgesehenen Tätigkeiten muss eine ärztliche Verordnung vorausgehen. Die Diagnose selbst sowie die Therapie bleiben damit weiterhin in ärztlicher Hand.


07_01_a_08_2013_wahlpruefsteine_logo_spdDie SPD hält grundsätzlich am Arztvorbehalt fest. Arztentlastende Tätigkeiten, i.S. der Delegierung, die zu effizienteren Abläufen und zu Zeitgewinnen für die ärztliche Behandlung am Patienten führen, sollten gefördert werden, weil nur über eine bessere Kooperation und eine stärkere Einbeziehung auch der nichtärztlichen Berufe die Versorgung der Patientinnen und Patienten in der Fläche sichergestellt werden kann.

 


07_01_a_08_2013_wahlpruefsteine_logo_grueneAngesichts eines sich verändernden Krankheitsspektrums hängt die Qualität der Gesundheitsversorgung immer mehr von einer guten Zusammenarbeit unterschiedlicher Gesundheitsberufe ab. Dieses muss sich auch in einer veränderten Arbeits- und Aufgabenteilung zwischen ihnen widerspiegeln. Dazu wollen wir einen Dialogprozess mit den Vertretungen der Gesundheitsberufe führen, der etwa in ein Allgemeines Heilberufegesetz münden könnte.


07_01_a_08_2013_wahlpruefsteine_logo_fdpEine moderne Gesundheitsversorgung versteht die Beteiligten nicht als Einzelkämpfer. Vielmehr spielen Kooperation, Zusammenarbeit und Aufgabenverteilung für eine gute Versorgung der Patientinnen und Patienten eine große Rolle. Wir setzen uns dafür ein, dass die Aufgaben zwischen den Beteiligten klar geregelt und verteilt sind und wollen ärztliche und nichtärztliche Berufe insgesamt aufwerten und attraktiver machen. Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung wird man zukünftig auch intensiver als bisher darüber nachdenken müssen, welche Aufgaben die Ärztinnen und Ärzte selbst übernehmen müssen und welche Aufgaben von anderen Berufsgruppen und unter welchen Bedingungen wahrgenommen werden können. Dies kann nur gemeinsam mit der Ärzteschaft gelingen.


07_01_a_08_2013_wahlpruefsteine_logo_dielinkeNeue Versorgungsformen, wie poliklinische Strukturen oder Gemeindeschwesterstationen, sind zu fördern. So sollten erfolgreich erprobte Modellprojekte, wie beispielsweise AGnES (Arztentlastende, Gemeindenahe, E-Health-gestützte, Systemische Intervention) überall angewendet werden, um die Ärztin oder den Arzt vor Ort zu entlasten. Die gesetzlichen Regelungen hierfür sind geschaffen. Sie müssen nun vor Ort genutzt werden. Allerdings müsste die gesetzliche Beschränkung auf unterversorgte Gebiete aufgehoben und die Aufgaben ausgeweitet werden. Das Gemeindeschwestermodell verdient eine Renaissance.

Kommentar:

Alle Parteien sprechen von der Notwendigkeit einer verbesserten Kooperation zwischen allen Gesundheitsberufen, betonen aber (noch) den Arztvorbehalt in der Verordnung medizinischer Leistungen. Lediglich Die Linke spricht sich klar für eine Übertragung auf nichtmedizinische Fachberufe aus, so wie es dem Modell „Schwester Agnes“ aus der vormaligen DDR entspricht. Es ist festzustellen, dass sowohl linksorientierte wie auch konservative Parteien zumindest darüber nachdenken, Teile der Versorgung auch in nichtärztliche Verantwortung zu verlagern.

5. Krankenhaus-Finanzierung

Beabsichtigen Sie, die Krankenhausfinanzierung auf neue Grundlagen zu stellen oder belassen Sie es bei der Fortführung der dualen Finanzierung?

07_01_a_08_2013_wahlpruefsteine_logo_cduCDU und CSU haben 2013 auch im stationären Bereich die Koppelung der Preisentwicklung für Krankenhausleistungen an die Grundlohnrate beendet und einen Orientierungswert eingeführt, der die tatsächliche Kostenentwicklung im Krankenhausbereich abbildet. Mit der Einführung des DRG-Fallpauschalensystems vor über zehn Jahren wurde ein wichtiger Schritt zur Stärkung der Wirtschaftlichkeit getan.

Die Sicherung einer wohnortnahen medizinischen und pflegerischen Versorgung vor allem in ländlichen Regionen, aber auch in strukturschwächeren Stadtteilen, ist uns ein besonderes Anliegen. Daher werden wir zukünftig die Krankenhausstruktur insgesamt in den Fokus unserer Betrachtung stellen. Die Leistungsangebote müssen aufeinander abgestimmt werden, um sicherzustellen, dass auch zukünftig jeder Bürger die Leistungen, die er benötigt, in der gebotenen Qualität in zumutbarer Entfernung von seinem Wohnort erhält. Fehlanreize durch nicht morbiditätsbedingte Mengenausweitung sind zu vermeiden. Angesichts der seit Jahren kontinuierlich rückläufigen Investitionsmittel der Bundesländer ist auch die bestehende Trennung zwischen Betriebs- und Investitionskostenfinanzierung auf ihre Zukunftstauglichkeit hin zu überprüfen. In diesem Zusammenhang ist dann allerdings auch über neue Formen der Bedarfsplanung und Verantwortung in der Versorgungssteuerung zu diskutieren.


07_01_a_08_2013_wahlpruefsteine_logo_spdDie SPD setzt sich für eine qualitativ hochwertige stationäre Versorgung ein. Dazu gehören vor allem gute Arbeitsbedingungen und zufriedene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Wir werden die Krankenhausfinanzierung so reformieren, dass die flächendeckende Versorgung und Trägervielfalt gesichert und Qualität besser honoriert wird.

In einem gerechten Finanzierungssystem müssen die Personalkosten ausreichend berücksichtigt werden, damit die Krankenhäuser nicht auf ungerechtfertigte Mengenausweitungen ausweichen.

Wir werden einen Anspruch auf eine Zweitmeinung vor bestimmten Behandlungen verbindlich einführen und damit allen Betroffenen einen Zugang zu den besten Spezialistinnen und Spezialisten ermöglichen. Die Qualitätsberichte der Krankenhäuser werden wir weiterentwickeln. Die Krankenkassen sollen zur Verbesserung der Versorgungsqualität selektive Verträge mit Krankenhäusern abschließen können. Qualität und Patientensicherheit soll bei der Krankenhausplanung und –finanzierung eine stärkere Rolle spielen.

10 Jahre nach Einführung der Fallpauschalen werden wir Unter- und Überdeckungen beseitigen, damit Krankenhäuser sich nicht auf finanziell attraktive Leistungen beschränken. Das dient dem fairen Wettbewerb und der bedarfsgerechten Versorgung.


07_01_a_08_2013_wahlpruefsteine_logo_grueneGroßen Reformbedarf sehen wir sowohl bei der Krankenhausplanung als auch bei der Investitionsfinanzierung. Bei der Planung fordern wir die Zusammenführung von stationärer und ambulanter Planung. Darüber hinaus wollen wir Krankenkassen und Ländern die Möglichkeit eröffnen, gemeinsam die Verantwortung für die Investitionsfinanzierung und Planung zu übernehmen. Zugleich sollen die Krankenhäuser weitgehend selbst über die aus ihrer Sicht nötigen Investitionen entscheiden können.


07_01_a_08_2013_wahlpruefsteine_logo_fdpDeutschland braucht leistungsfähige Krankenhäuser für eine innovative, flächendeckende und wohnortnahe Patientenversorgung. Eine hochwertige Krankenhausversorgung kann aber nur gelingen, wenn den Krankenhäusern ausreichende Mittel zur Finanzierung zur Verfügung stehen. Die Länder dagegen kommen ihrer Verpflichtung zur Investitionsfinanzierung immer weniger nach. Die Investitionsmittel sind in den letzten 20 Jahren um 30 Prozent zurückgegangen. Die FDP setzt sich für die künftige Finanzierung von Investitionskosten und Betriebskosten aus einer Hand ein.


Den Vorschlag einer monistischen Krankenhausfinanzierung halten wir für falsch. Wer die Krankenkassen für die Investitionen zahlen lassen will, der muss auch die Planung in die Hände der Kassen legen (Konnexitätsprinzip). Wir halten es für richtig, dass ein demokratisch legitimiertes Organ die Krankenhausplanung und damit auch die Investitionsfinanzierung übernimmt.

07_01_a_08_2013_wahlpruefsteine_logo_dielinkeDIE LINKE fordert eine öffentlich organisierte, angemessen finanzierte und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung. Die Krankenhausplanung sollte deshalb in der Verantwortung der Länder bleiben. Private Kliniken sind in nicht-kommerzielle Trägerschaften zu überführen, der frei-gemeinnützige Bereich ist zu stärken.

Statt Wettbewerb und Privatisierung müssen Solidarität und Parität Leitgedanken der sozialen Sicherungssysteme und vor allem des Gesundheitswesens insgesamt sein.

Kommentar:

Die eigentliche Kernfrage nach Beibehaltung oder Abschaffung der bisherigen dualen Finanzierung von Kliniken wird eher zwischen den Zeilen beantwortet. Die Union und die SPD sagen dazu eigentlich gar nichts, die FDP setzt sich eher für eine Abschaffung der dualen Finanzierung ein, Die Linke spricht sich im Gegensatz dazu eindeutig gegen eine monistische Finanzierung aus. Die Grünen stellen sich eine gemeinsame Verantwortung von Kassen und Bundesländern vor und denken darüber hinaus auch über eine Zusammenführung der Planung ambulant-stationär nach.

6. Ambulante Versorgung

Wer soll zukünftig den Sicherstellungsauftrag für die ambulante Patientenversorgung gewährleisten, wenn das KV-System dazu nicht mehr in der Lage sein wird? (Wer definiert Art und Umfang des Sicherstellungsauftrages? Wollen Sie Versicherungsmodelle in der Eigenverantwortung des Bürgers reduzieren oder stärken?)

07_01_a_08_2013_wahlpruefsteine_logo_cduCDU und CSU stehen für ein menschliches Gesundheitswesen. Wir wollen, dass auch in Zukunft jeder in Deutschland – unabhängig von Einkommen, Alter, sozialer Herkunft oder gesundheitlichem Risiko – eine qualitativ hochwertige wohnortnahe medizinische Versorgung erhält und so am medizinischen Fortschritt teilhaben kann. Unabdingbar ist für uns auch künftig eine kollektivvertragliche Regelung zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung vor allem im ländlichen Raum.

Wir halten es weiterhin für den richtigen Weg, dass der Sicherstellungsauftrag für den ambulanten Bereich durch die Kassenärztlichen Vereinigungen erfolgen soll.

Wir sind sowohl gegen eine Staats- wie gegen reine Kassenmedizin und wollen, dass die Beteiligten in einem selbstverwalteten Gesundheitswesen als Partner auf gleicher Augenhöhe handeln.


07_01_a_08_2013_wahlpruefsteine_logo_spdDie SPD geht davon aus, dass der Sicherstellungsauftrag bei den KVen verbleibt.

 


07_01_a_08_2013_wahlpruefsteine_logo_grueneWir gehen davon aus, dass der Sicherstellungsauftrag für die ambulante ärztliche Versorgung auf absehbare Zeit auch weiterhin bei den Kassenärztlichen Vereinigungen liegen wird. Allerdings wird die Versorgungsplanung und die Sicherstellung mehr und mehr sektorenübergreifend erfolgen müssen. Zu erwägen wäre, den mit dem Versorgungsstrukturgesetz ermöglichten „Gemeinsamen Landesgremium“, bestehend aus Kassenärztlicher Vereinigung, Krankenkassen und Landeskrankenhausgesellschaft eine höhere Verbindlichkeit und eine stärkere Stellung einzuräumen. Aus unserer Sicht müsste in diesem Zusammenhang aber auch die Beteiligung von Ländern, Kommunen und Patientenvertretungen gewährleistet sein.


07_01_a_08_2013_wahlpruefsteine_logo_fdpSolange überzeugende Alternativen fehlen, spricht sich die FDP für eine Beibehaltung der bestehenden Strukturen aus. Wer die Kassenärztlichen Vereinigungen abschaffen will, muss beantworten, wer die bisherigen Aufgaben künftig übernehmen soll. Er muss sicherstellen, dass der hohe Versorgungsstandard weiterhin erhalten bleibt und belegen können, dass mit einem neuen System Vorteile verbunden sind.


07_01_a_08_2013_wahlpruefsteine_logo_dielinkeDIE LINKE befürwortet eine transparente und demokratische Selbstverwaltung. Wir betrachten es grundsätzlich skeptisch, wenn sich die Politik in medizinische Fachfragen einmischt. Stattdessen sollte sie einen normativen Rahmen für eine hochwertige, barrierefreie, diskriminierungsfreie und gerechte Gesundheitsversorgung schaffen. Auch die Übertragung öffentlicher Aufgaben an die Körperschaften der Selbstverwaltung bewährt sich grundsätzlich.

Die Verantwortung für die richtige und angemessene Versorgung trägt die Ärztin und der Arzt als medizinische Fachpersonen und nicht der Patient bzw. die Patientin im Sinne von Eigenverantwortung. Denn das Kostenbewusstsein von Patientinnen und Patienten kann zur Nichtinanspruchnahme von notwendigen Leistungen und zu verminderter Compliance bzw. Adherence führen.

Kommentar:

Offenbar gibt es keine Absichten, den Sicherstellungsauftrag von den Kassenärztlichen Vereinigungen abzuziehen, auch wenn diese das zumindest als Drohpotential selber wollen. Lediglich die Grünen schlagen auch in diesem Zusammenhang vor, die sektoralen Grenzen auch in Bezug auf die Planung und den Sicherstellungsauftrag in einem gemeinsamen Gremium zu überwinden.

Rüggeberg J. A. Wahlprüfsteine 2013. Passion Chirurgie. 2013 August; 3(08): Artikel 07_01.

Hier finden Sie die ungekürzten Antworten der Parteien:
CDU/CSU
SPD
Bündnis 90 Die Grünen
FDP
DIE LINKE
Piratenpartei

Editorial: Ärzte sind selbständig…

Warum verhalten sie sich nicht auch so?

Mit großer Genugtuung haben wir vor wenigen Tagen das Urteil des Bundesgerichtshofs zur Kenntnis nehmen dürfen, wonach Ärzte eben nicht als Amtsträger und abhängige Erfüllungsgehilfen der Krankenkassen tätig werden, sondern ihre Behandlung in freier Entscheidung unabhängig von Vorgaben Dritter durchführen. Natürlich entbindet das nicht von den Sorgfaltspflichten in der Beachtung der Wirtschaftlichkeitsgebote, aber mit diesem Urteil wird (von Experten durchaus unerwartet) nachhaltig die Freiberuflichkeit des Arztes betont. Gleichzeitig ist mit dem letzten Reformgesetz auch die personelle Verzahnung zwischen stationärer und ambulanter Versorgungsebene gestärkt worden; Krankenhausleistungen dürfen jetzt gesetzlich legitimiert (und gewünscht?) von Ärzten erbracht werden, die dort nicht angestellt sind.

Also: alle Wege stehen offen. Aber die Ärzteschaft zögert!

Zugegeben, die notwendigen Verhandlungen mit Klinikträgern über eine Intensivierung der Kooperation sind mühsam und leider immer noch von gegenseitigem Misstrauen geprägt. Nicht immer steht die Optimierung der Patientenversorgung im Vordergrund, sondern leider oft genug der Wunsch nach finanziellem Vorteil. Nach wie vor sind Fragen der hierarchischen Strukturen bei zusätzlichen externen Ärzten ungeklärt, Fragen der Weiterbildung, der Verantwortlichkeit, letztlich auch Steuerprobleme in der Auszahlung von Honoraren.

Andererseits, wer Neuland betritt, darf nicht erwarten, dort gleich ein dichtes Netz bestens ausgebauter Autobahnen vorzufinden. Die ersten Wegbereiter haben es immer am schwersten, es muss ja nicht gleich so gehen wie im norddeutschen Spruch über die Moorbauern: „des Ersten Tod, des Zweiten Not, des Dritten Brot.“ Inzwischen gibt es genügend Modelle der sektorenübergreifenden Kooperation, die beweisen, dass ein solches Zusammengehen für alle Beteiligten Vorteile bringt, wenn jeder auf den anderen zugeht. Manchmal denke ich, dass unserer BDC-Kampagne „Nur Mut“ für Studenten eine Ausweitung auf die „alten Hasen“ erfahren müsste, um Sie aus eingefahrenen Geleisen auf neue Wege zu locken.

Wir werden auf Dauer gegenüber rein ökonomisch denkenden Verwaltungsmanagern unsere freie ärztliche Entscheidungskompetenz verlieren, wenn wir uns nicht beizeiten darum kümmern, selber deren Denkstrukturen zumindest zu erlernen. Das betrifft sowohl Kliniker, die mit immer neuen Zielvorgaben konfrontiert werden, wie auch Niedergelassene, denen die Krankenkassen (via KV) vorschreiben wollen, was sie wie zu tun haben. Letzteres ist zwar jetzt durch das oben genannten Urteil des BGH begrenzt worden, aber angesichts immer knapper werdender Ressourcen und eines drohenden Zusammenbruchs der sozialen Sicherungssysteme wird auch Gesetzgeber nicht umhin können, die Schrauben wieder fester zu ziehen. Spätestens nach der kommenden Bundestagswahl werden wir erleben, dass erneut versucht wird, über dirigistische Regelungen ein Problem in den Griff zu bekommen, dass eigentlich nur durch grundlegenden Strukturwandel bewältigt werden kann. Dazu wird aber keine Regierung in absehbarer Zeit bereit sein.

Wir müssen selber offensiv Strategien entwickeln, wie wir auch in Zukunft eine hochwertige Medizin verwirklichen können. Das geht nur, wenn wir uns nicht nur auf rein fachliche Aspekte beschränken, sondern intensiv die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen unseres Handelns im Blick behalten. Dazu muss man bereit sein, auch ökonomische Denkstrukturen zu erlernen und vor entsprechend zu handeln. Der Einzelne wird dies nicht mehr schaffen, Kooperation und gegenseitiges Vertrauen sind die Zukunft.

Rüggeberg J. Ärzte sind selbständig… Passion Chirurgie. 2012 September; 2(09): Artikel 01_01.

Bundesgerichtshof stärkt die Freiberuflichkeit des Arztes

Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe hat durchaus zur Überraschung der meisten Experten ein klares Bekenntnis zur Freiberuflichkeit des Arztes abgegeben.

Konkret ging es um den Strafvorwurf der Bestechung bzw. Bestechlichkeit bei der Annahme von Geschenken im Zusammenhang mit einer bevorzugten Verordnung bestimmter Medikamente. Nach Auffassung des Gerichts machen sich Kassenärzte, die für die Verordnung von Arzneimitteln Geschenke von Pharma-Unternehmen entgegennehmen, nicht wegen Bestechlichkeit strafbar. Zwar sehen die Richter im konkreten Fall durchaus “korruptives Verhalten” – dies sei jedoch nach geltendem Recht nicht strafbar. In den weiteren Ausführungen wird dies damit begründet, dass der niedergelassene Arzt weder als “Amtsträger” noch als “Beauftragter” der gesetzlichen Krankenkassen handele. Eine Strafbarkeit wegen “Bestechlichkeit” oder “Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr” hätte vorausgesetzt, dass der Arzt entweder “Amtsträger” ist oder zumindest als “Beauftragter” der Krankenkassen tätig wird. Beides sei nicht der Fall, entschieden die elf Richter des Großen Senats. “Der freiberuflich tätige Kassenarzt ist weder Angestellter noch Funktionsträger einer öffentlichen Behörde”, so die Richter. Das Verhältnis zwischen Arzt und Patient sei “wesentlich von persönlichem Vertrauen und einer Gestaltungsfreiheit gekennzeichnet, die der Bestimmung durch die gesetzlichen Krankenkassen weitgehend entzogen ist”. “Darüber zu befinden, ob die Korruption im Gesundheitswesen strafwürdig ist und durch Schaffung entsprechender Straftatbestände eine effektive strafrechtliche Ahndung ermöglicht werden soll, ist Aufgabe des Gesetzgebers”, heißt es in der Mitteilung des BGH.

Das Urteil bestätigt die Rechtsauffassung der Ärzte, wonach diese eben nicht abhängige Beauftragte der Krankenkassen sind. Im gegenteiligen Fall wäre der Schritt in ein Angestelltenverhältnis nicht mehr weit gewesen. Das heißt nun natürlich nicht, dass Bestechung im Medizinbetrieb nun völlig legal wäre, wie es von entsprechend ausgerichteten Medien mit bösartigem Unterton verbreitet wurde. Unser Berufsrecht besitzt hierzu klare Regelungen, die auch völlig ausreichend sind. Darunter fällt auch die berühmt-berüchtigte „Zuweisung gegen Entgelt“. Kollegen, die Patienten gegen eine „Fangprämie“ in bestimmte Häuser einweisen, machen sich genauso strafbar wie diejenigen, die überhöhte Honorare einstreichen bei den von ihnen in eine bestimmte Klinik geschickten und dort selbst operierten Patienten. Deshalb ist es wichtig, darauf zu verweisen, dass es keinen Freibrief für Bestechung gibt. Wie so oft bei höchstrichterlichen Entscheidungen geht es zwar in der Sache um einen konkreten Einzelfall, die Begründungen im Urteil sind aber von größerer, weil wegweisender Bedeutung. Und hier ist es wichtig, dass der BGH festgestellt hat, dass ein Arzt nicht Beauftragter oder gar Amtsträger einer Krankenkasse ist.

Auch wenn (wie immer) der Gesetzgeber aufgefordert wird, entsprechende Klarheit herbeizuführen, will der Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr nach Angaben seines Sprechers nicht an der Freiberuflichkeit der Vertragsärzte rütteln. Auch der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Jens Spahn hat sich entsprechend geäußert: “Die Freiheit der Ärzte ist eine der Stärken unseres Gesundheitswesens”. Dagegen hat für die SPD deren Gesundheitsexperte im Bundestag, Karl Lauterbach, sofort angekündigt: „Wir werden jetzt einen Gesetzentwurf vorlegen.“ Das hatte die SPD bereits im November 2010 getan, aber bisher nur von der Fraktion der Linken Unterstützung erfahren. Im Strafgesetzbuch solle sichergestellt werden, dass die Korruption von Ärzten bestraft werden kann. Man darf gespannt sein, was nach dem Urteil aus Karlsruhe und insbesondere nach der kommenden Bundestagswahl in diesem Zusammenhang an Gesetzen auf uns zukommen wird.

Rüggeberg J. Bundesgerichtshof stärkt die Freiberuflichkeit des Arztes. Passion Chirurgie. 2012 September; 2(09): Artikel 02_04.

Mehr Verlagerung in den ambulanten Bereich

Im Juni diesen Jahres hat der Sachverständigenrat zur Begutachtung und Entwicklung im Gesundheitswesen ein Gutachten zum „Wettbewerb an der Schnittstelle zwischen ambulanter und stationärer Gesundheitsversorgung“ vorgelegt. Danach könne ein intensiver zielgerichteter Wettbewerb an den Schnittstellen zwischen den Sektoren zu einer höheren Effizienz führen, erklärte der Vorsitzende Prof. Eberhard Wille.

Insbesondere gebe es ein „noch nicht ausgeschöpfte Potenzial der Substitution von stationären durch ambulante Leistungen“. So sei der Anteil ambulanter Operationen in anderen Ländern deutlich höher als in Deutschland.

Der Rat sieht die Gründe hierfür in unterschiedlichen Qualitätsanforderungen, einer ungleichen Investitionssituation und uneinheitlichne Leistungsbeschreibungen zwischen den Sektoren. Aus unserer chirurgischen Sicht können wir das nur bestätigen. Die Vergütung nach DRG stationär und OPS-basierter EBM-Kategorie ambulant klafft um etwa den Faktor sieben auseinander. Zudem fehlen Richtlinien oder Vereinbarungen, wie ggf. im Falle einer vorzeitigen Entlassung die dann notwendige ambulante Weiterbetreuung finanziert werden soll. Auch die Vergütung für im Krankenhaus durch nicht-angestellte Ärzte vorgenommenen Leistungen ist ungeregelt, obwohl gerade dieser Bereich der sogenannten Honorararzttätigkeit vom Gesetzgeber unmissverständlich freigegeben worden ist.

Der Sachverständigenrat rät allerdings nicht nur zu einer (sinnvollen) einheitlichen Vergütung, sondern auch zu einer Überführung der ambulanten Operationen aus den bisherigen Regelungen der dreiseitigen Verträge nach § 115b SGB V in die neue Systematik der spezialfachärztlichen Versorgung nach § 116b SGB V. Um eine Mengenausweitung zu verhindern, sollen die Krankenkassen dann Selektivverträge mit Leistungserbringern abschließen können.

Der BDC unterstützt im Einklang mit den Kollegen des BNC die Forderung des Sachverständigenrates nach einem einheitlichen Vergütungssystem. Ein solches System in Anlehnung an das bisherige Fallpauschalen-System der Krankenhäuser macht die rechtliche Abgrenzung zwischen vollstationären Operationen, Ein-Tages-Fällen und ambulanten Eingriffen überflüssig. Damit entfallen auch die ökonomischen Anreize, ambulant mögliche Behandlung in vollstationäre Behandlung zu überführen. Eine zukünftige Vergütung muss für die gleiche Leistung auch gleich sein, unabhängig von der Frage, ob die Behandlung stationär oder ambulant, vom Krankenhaus oder vom Vertragsarzt erbracht wird.

Was schreiben Andere zu diesem Thema?

Dr. med. Ökonomicus im OP?

GKV-Studie: Teil der Mengenentwicklung geht auf das Konto Umsatz

Berlin (opg) – In den Krankenhäusern steigt die Anzahl der Behandlungen und der Schweregrade unaufhaltsam. Nur ein Teil dieser Steigerungsraten lässt sich durch die demographische Entwicklung erklären. Das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) hat dies im Auftrag des GKV-Spitzenverbandes (GKV-SV) gutachterlich herausgefunden.

Viele Operationen seien nicht medizinischen, sondern ökonomischen Anreizen geschuldet. Demographie allein erklärt Anstieg nicht Nach Analysen der Gutachter um Dr. Boris Augurzky – auch Prof. Stefan Felder, Universität Basel, und Prof. Jürgen Wasem, Universität Duisburg-Essen, gehören dazu – steigt die Leistungsmenge seit Einführung der Fallpauschalen jährlich um ca. drei Prozent. Schon die Begleitforschung zeige, dass weniger als die Hälfte davon auf die Alterung der Bevölkerung zurückzuführen ist. Man müsse als Patient aufpassen, dass man nicht unters Messer komme, spitzt Dr. Wulf-Dietrich Leber, Leiter der Abteilung Krankenhäuser des GKV-Spitzenverbandes, vor der Presse am 29. Mai zu. Zu konstatieren sei eine „fast brutal stetige Mengenentwicklung“, die völlig autonom ablaufe und zu einem politischen Problem werde. Es gebe eine Grenze des medizinisch Sinnvollen, insbesondere bei der Endoprothetik oder in letzter Zeit zunehmend bei der Wirbelsäulenchirurgie. Laut RWI-Bericht nahm zwischen 2006 und 2010 die Summe aller Casemixpunkte, d.h. die Summe aller mit dem Schwergrad gewichteten stationären Fälle, um insgesamt 13 Prozent zu. Dies entspricht einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von 3,1 Prozent. Die durchschnittliche Fallzahl stieg über denselben Zeitraum um 8,1 Prozent bzw. im Durchschnitt um 2,0 Prozent pro Jahr. Selbst wenn man der durchaus umstrittenen These folgen wollte, dass die demographische Änderung zu steigenden Krankenhauseinweisungen führe, würde sie den tatsächlichen Anstieg der stationären Fallzahlen bei weitem nicht erklären können, heißt es in dem Gutachten. Weniger als 40 Prozent des beobachtbaren Anstiegs lasse sich mit der Alterung in Deutschland erklären, hat Augurzky errechnet. Also müsse es andere Faktoren geben: Medizinischer Fortschritt? Angebotsinduzierte Nachfrage? Eine vorhandene Rationierung wurde aufgebrochen?, wirft der Wissenschaftler in den Raum.

Leber: Es muss auch am Preis angesetzt werden.

Es gebe verschiedene, darunter eben auch ökomische Gründe für die Entwicklung. Als eine Ursache geben RWI und Kassenverband an, dass einzelne Behandlungen in den Kliniken immer höher bezahlt werden – und die Krankenhäuser analog dazu die Zahl steigerten. Positiv bewertet der Spitzenverband die Maßnahmen, die von der Politik im Rahmen des Psych-Entgeltgesetzes zur Begrenzung der Mengendynamik verabschiedet werden sollen. Es sollen insbesondere Mehrleistungsabschläge den Anreiz für Krankenhäuser reduzieren, ökonomisch indizierte und medizinisch nicht notwendige Leistungen zu erbringen. Dies sei ein richtiger Ansatz, würde aber auf Dauer das Mengenproblem nicht lösen. Leber fordert aus Sicht des GKV-SV: „Es muss auch am Preis angesetzt werden, wenn man die Menge in den Griff kriegen will.“

Bringt Zertifikatehandel eine Lösung?

Die Krankenkassen und die Kliniken auf Bundesebene – GKV-SV und Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) – sollen im Rahmen eines Forschungsauftrages nachhaltige Lösungen bis Mitte 2013 erarbeiten. Wesentliche Optionen, um die Mengen zu steuern, werden bereits im RWI-Gutachten aufgezeigt. Leber nennt auf der einzelvertraglichen Ebene direkte Verträge, die zwischen Kassen und einzelnen Kliniken möglich sein sollten. Damit unterstützt er das von der AOK lange geforderte Wettbewerbselement. Kollektivvertraglich seien Mengenübertragungen zu prüfen. RWI-Vertreter Augurzky spricht bei diesem für Deutschland neuen Instrument vom Handel mit Zertifikaten, über den die einzelnen Einrichtungen die Berechtigung für die Casemix-Punkte (CMP) erwerben könnten. Dabei würden bei Einführung des Instrumentes die Krankenhäuser im Umfang ihrer erbrachten CMP Zertifikate erhalten, die zur künftigen Abrechnung zum Landesbasisfallwert gegenüber den Kassen berechtigen. Ohne Zertifikate können Leistungen dagegen gar nicht oder nur mit einem hohen Abschlag erbracht werden, heißt es in dem Gutachten. Die Einführung dieses Handels werde dazu führen, „dass Krankenhäuser, die ihre Leistungen ausweiten wollen, Zertifikate von solchen Häusern erwerben, die ihre Leistungen zurückfahren wollen“. Es seien unterschiedliche Modelle denkbar, wie die Ausgabe neuer, zusätzlicher Zertifikate im Zeitablauf organisiert werde – aufgrund des sich ändernden demographisch oder medizinisch bedingt steigenden Behandlungsbedarfs.

Über andere Möglichkeiten der Steuerung müsste man ebenfalls nachdenken, so Leber. Ein weiterer Vorschlag aus dem RWI sieht vor, die Schiedsstellenfähigkeit prospektiver Mehrleistungsvereinbarungen wegfallen zu lassen. Dies bewirke, dass Mengenausweitungen, auf die sich die Krankenhäuser und Krankenkassen nicht ex ante einigen, nur im Rahmen des retrospektiven Mehrerlösausgleichs vergütet werden. Als Nachteil nennen die RWI-Vertreter, dass der Wettbewerb der Krankenhäuser im Vergleich zum Status quo verrringert, in gewissem Maße auch der Anreiz zur Spezialisierung reduziert werde. Eine Gefährdung der Versorgungssicherheit könne vereinzelt nicht ausgeschlossen werden.

DKG spricht von diffamierenden Verdächtigungen

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) reagiert pikiert auf den RWI-Bericht. „Es wundert schon sehr, dass die Krankenkassen vor Ort mit den Krankenhäusern die Leistungen vereinbaren und dann der Bundesverband der Kassen hingeht und alles in Frage stellt“, kommentiert Hauptgeschäftsführer Georg Baum. Die Vergütungen für die stationären Behandlungen würden jährlich zwischen dem GKV-Spitzenverband und der Deutschen Krankenhausgesellschaft neu vereinbart. „Sollte der Bundesverband der Kassen Erkenntnis haben, dass Fallpauschalen zu hoch vergütet sind, dann hätten wir schon erwartet, dass er dies in den vom Gesetzgeber vorgesehenen Selbstverwaltungsprozess einbringt“, so Baum. Der medizinische Behandlungsbedarf könne nur von den behandelnden Ärzten beurteilt werden. Die pauschale Verdächtigung, die Krankenhäuser würden aus nichtmedizinischen Gründen Patienten operieren, sei diffamierend und dezidiert zurückzuweisen.

Quelle: OPG – Operation Gesundheitswesen, Der gesundheitspolitische Infodienst, Ausgabe 17/2012, 01. Juni 2012

Rüggeberg J. Mehr Verlagerung in den ambulanten Bereich. Passion Chirurgie. 2012 September; 2(09): Artikel 04_01.

Weiterführende informationen
Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung, Mengenentwicklung und Mengensteuerung stationärer Leistungen, Endbericht
GKV Spitzenverband, Pressemitteilung vom 30. Mai 2012: Mengenentwicklung im Krankenhausbereich - Anstieg der Operationen teilweise ökonomisch motiviert
Deutsche Krankenhausgesellschaft, Pressemitteilung vom 30. Mai 2012: Doppeltes Spiel der Krankenkassen
Verband der Krankenhausdirektoren Deutschlands, Pressemitteilung vom 30. Mai 2012: Kliniken weisen Diffamierung des GKV-Spitzenverbandes zurück

Editorial: Erleichtert aufatmen…

 … könnte man, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn man das zum Jahresbeginn in Kraft getretene Gesundheitsstrukturgesetz betrachtet. Erstmals seit Jahren restriktiver Kostendämpfung und immer absurder werdender dirigistischer Regulation werden wir nicht mit neuen Grenzen konfrontiert, sondern bekommen etwas Luft in der Gestaltung unserer Patientenversorgung. Ein erleichtertes Aufatmen signalisiert ein Ende von Bedrohung. Ist das so?

Ich fürchte nein. Eher ist es ein zwischenzeitliches Luftholen Ertrinkender, denn die nächste Welle kommt mit Sicherheit. Dazu muss man gar nicht eine mögliche Veränderung der Regierungskonstellation mit entsprechend veränderten ideologischen Ansätzen bemühen. Es genügt der einfache Blick auf die zu erwartenden demographischen Veränderungen, die zwangsläufig zu fundamentalen Umwälzungen in unseren sozialen Sicherungssystemen führen und damit auch den Bereich Gesundheitsversorgung betreffen werden. Es wird unausweichlich notwendig werden, über Rationierung, Priorisierung und Finanzierung zu sprechen, auch wenn alle Protagonisten diese Themen meiden wie der Teufel das Weihwasser. Wenn es ums Geld geht, sind die Fronten unverändert verhärtet, die GOÄ-Reform geht, wenn überhaupt, nur äußerst zäh voran und wird jedenfalls nicht mehr Finanzmittel freigeben als bisher vorhanden sind, wenn wir nicht unsere Patienten mit noch höheren Prämien belasten wollen. Gleiches gilt für den Bereich der GKV. Jede noch so berechtigte Forderung der Ärzteschaft findet ihre Grenzen bei der Frage der Zumutbarkeit von Solidarbeiträgen der Bürger.

Wir müssen also nach anderen Wegen suchen, und diese lassen sich im neuen Gesetz zumindest erahnen. Ausdrücklich werden strukturelle Veränderungen, insbesondere in der Verflechtung der bisherigen Versorgungsebenen ermöglicht, wenn auch nicht bindend vorgeschrieben. Leider ist die sektorale Trennung zwischen stationär und ambulant nach wie vor auch in den Köpfen vieler Einzelner verhaftet. Wir müssen jetzt und sofort die Angebote des Gesetzgebers mit Leben füllen und Kooperationen herstellen. Denken Sie immer daran, dass ein nächstes Gesetz die heutigen Optionen mit einem Federstrich wegfegen kann, wenn nicht rechtzeitig Tatsachen geschaffen werden, die nicht mehr wegzuregeln sind.

Nehmen Sie sich bitte die Zeit, in dieser Ausgabe der Passion Chirurgie die Aussagen von Prof. Beske zu den Konsequenzen der demographischen Entwicklung und die Analyse des Gesetzes zu studieren. Ich denke, dass Sie dann mit mir übereinstimmen werden, dass nur Gemeinsamkeit helfen kann, ein Desaster abzuwenden. Wir im BDC haben die große Chance, diesbezüglich eine Vorreiterrolle zu übernehmen, weil wir in unserer Mitgliederschaft alle Chirurginnen und Chirurgen unabhängig von Ihrer Dienststellung, ihrem Versorgerstatus und ihrer sonstigen Gruppenzugehörigkeit vereinen. Wir könnten Modelle entwickeln und etablieren, die innovativ und zukunftsorientiert sind. Aber wie immer braucht es dazu Protagonisten, die bereit sind, mit persönlichem Einsatz die Dinge voranzubringen. Große Veränderungen beginnen nun einmal immer in kleinen Keimzellen. Wir werden gerne erste Erfahrungsberichte breit kommunizieren und tun dies bereits in einer vom BDC organisierten Sitzung anlässlich des diesjährigen Chirurgenkongresses in Berlin. Aber ohne Ihre Mithilfe sind auch wir machtlos.

Um das Eingangsbild nochmals zu bemühen: Ich sehe uns Ärzte kurz an die Oberfläche kommen, um Luft zu schnappen. Aber wir sollten die Gelegenheit nutzen, auf dem Wasser schwimmende Balken auch zu ergreifen, diese zu einem Floß zusammenzufügen und damit den kommenden Stürmen zu trotzen. Tun wir es nicht, versinken wir wieder.

Rüggeberg, J. Erleichtert aufatmen. Passion Chirurgie. 2012 Februar; 2(2): Artikel 01_01.

Solidarische Krankenversicherung und demografischer Wandel: Wie mit begrenzten Finanzen umgehen?

Die Schere zwischen dem, was medizinisch sinnvoll und notwendig ist und dem, was an Versorgung in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) geleistet werden kann, klafft immer weiter auseinander. Der entscheidende Grund ist der Mangel an Geld. Es gibt zwei Möglichkeiten, mit diesem Mangel umzugehen. Entweder wird der Weg der stillen, der geheimen, der versteckten Rationierung und der rein zufallsbedingten Zuteilung und Einschränkung von Leistungen weitergegangen, die unsozialste und ungerechteste Form von Leistungseinschränkungen überhaupt, oder der Weg einer geordneten Leistungszuteilung und Leistungseinschränkung, transparent, begründet und im gesellschaftlichen Diskurs, der einzige Weg für Verteilungsgerechtigkeit.

Die meisten Familien in unserem Land sprechen und entscheiden darüber, was sie sich mit dem ihnen zur Verfügung stehenden Geld leisten können, wie und wo man sparen kann und wann und ob man sich bestimmte Dinge kauft. Das ist die alltäglich notwendige Rationierung und Priorisierung, der offene und intelligente Umgang mit begrenzten Ressourcen. Dies brauchen wir auch im Gesundheitswesen. Um auch in Zukunft eine solidarische bedarfsgerechte Gesundheitsversorgung bei begrenzten Mitteln sicherzustellen und die hierfür erforderlichen Veränderungen im Leistungskatalog der GKV transparent, gerecht und nachvollziehbar zu machen, ist es erforderlich, offen über Priorisierung und Rationierung zu diskutieren.

Ausgangslage

Demografischer Wandel. Entscheidenden Einfluss auf den Versorgungsbedarf hat die Bevölkerungsentwicklung. Bis 2060 wird die Bevölkerungszahl um 17 Millionen, die nachwachsende Generation um fünf Millionen und die Altersgruppe im erwerbsfähigen Alter ebenfalls um 17 Millionen abnehmen. Dagegen nimmt die Altersgruppe 67 Jahre und darüber um fünf Millionen zu. Während heute drei Personen im erwerbstätigen Alter für eine Person im Rentenalter zur Verfügung stehen, beträgt diese Relation 2060 nur noch 1 zu 1. Die Lebenserwartung kann von 41 Jahren für Jungen und 44 Jahren für Mädchen im Jahr 1900 auf bis zu 88 Jahre für Jungen und 91 Jahre für Mädchen in 2060 steigen. Die Rentenbezugsdauer nimmt entsprechend kontinuierlich zu.

Morbiditätsentwicklung. Es nehmen zu die Multimorbidität mit einem höheren Versorgungsbedarf und höheren Kosten sowie mit dem Alter verstärkt auftretender Krankheiten, z. B. die Zahl der jährlichen Herzinfarkte um 75 %, der jährlichen Schlaganfallpatienten um 62 % und der Erkrankungen an Krebs um 27 %. Die Zahl der Demenzkranken verdoppelt sich von 1,1 auf 2,2 Millionen, die Zahl der Pflegebedürftigen von 2,25 auf 4,5 Millionen.

Medizinischer Fortschritt. Für die Ausgabenentwicklung der GKV ist neben der demografischen Entwicklung der medizinische Fortschritt von entscheidender Bedeutung. Damit der medizinische Fortschritt auf der einen Seite auch in Zukunft der gesamten Bevölkerung ohne Ansehen der Person zugutekommt, auf der anderen Seite aber finanzierbar bleibt, müssen insbesondere teure Innovationen vor Übernahme in den Leistungskatalog der GKV daraufhin geprüft werden, ob der finanzielle Aufwand ihrem Wert für die Gesundheitsversorgung entspricht.

Finanzsituation der Gesetzlichen Krankenversicherung. 2008 haben rund 51 Millionen Mitglieder die Beiträge für Ausgaben der GKV in Höhe von 160 Milliarden Euro aufgebracht. 2060 müssen rund 40 Millionen Mitglieder, also 11 Millionen weniger, die Beiträge für Ausgaben in Höhe von 468 Milliarden Euro aufbringen, 308 Milliarden Euro mehr. Dies kann zu einer Erhöhung des Beitrags¬satzes auf über 50 % führen. Selbst ein um einiges darunterliegender Beitragssatz ist nicht diskussionsfähig. Entscheidend ist jedoch die Entwicklungstendenz und damit die Größenordnung, die bestimmend sein wird für gesundheitspolitisches Handeln. Es wird davon ausgegangen, dass in der GKV wie in den öffentlichen Haushalten eine Umsteuerung von bedarfsbestimmt zu einnahmeorientiert erfolgt. Dies bedeutet, dass in Zukunft das jeweils in der GKV vorhandene Finanzvolumen darüber entscheidet, was an Leistungen finanziert werden kann.

Über-, Unter- und Fehlversorgung. Die Politik spricht gerne von Verteilungsdefiziten bei behaupteter Über-, Unter- oder Fehlversorgung, ohne nachvollziehbare Beweise anzuführen. Soll die für viele Leistungsgebiete behauptete Unterversorgung ausgeglichen werden, sind zusätzliche Finanzmittel erforderlich.

Leistungskürzungen. Der Gesetzgeber hat im GKV-Modernisierungsgesetz und im GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz Leistungen gekürzt. Dies waren politische Entscheidungen ohne eine öffentliche Diskussion und ohne eine vergleichende Abwägung darüber, welche Leistungen als vorrangig und welche als nachrangig angesehen werden müssen.

Neue Leistungen, neue Kosten. Der Leistungskatalog der GKV ist ein dynamischer Prozess mit einem ständigen Wandel. Es werden vorzugsweise neue Leistungen hinzugefügt, selten Leistungen als überholt oder überflüssig aufgegeben. Grundsätzlich muss gefordert werden, dass neue Leistungen nur bei Gegenfinanzierung erbracht werden dürfen. Hiervon ist die Wirklichkeit weit entfernt. Die Entscheidungen der Politik zur Aufnahme neuer Leistungen in den Leistungskatalog der GKV erfolgen stets ohne Gegenfinanzierung und sind bei der Finanzsituation der GKV so nicht vertretbar.

Öffentliche Diskussion über Priorisierung und Rationierung. In der öffentlichen Diskussion wird von der Ärzteschaft seit längerem darauf hingewiesen, dass die finanziellen Mittel nicht ausreichen, um alle Leistungen zu finanzieren, was schon heute zu einer stillen Rationierung führt. Gefordert wird eine öffentliche Diskussion über diese Problematik. Die Politik lehnt jede Form von Priorisierung und Rationierung wie auch eine öffentliche Diskussion über diese Problematik ab.

Ein Blick über die Grenzen. Alle Industrienationen, deren Haushaltslage durch Schulden gekennzeichnet ist mit der Notwendigkeit zu Einsparungen, reduzieren Sozialleistungen und dabei auch Ausgaben in der Gesundheitsversorgung. Großbritannien zum Beispiel, das hoch verschuldet ist, hat für den nationalen Gesundheitsdienst ein striktes Sparprogramm veröffentlicht, das Leistungskürzungen enthält, deren Diskussion in Deutschland zu einem Aufstand führen dürfte. Die Leistungskürzungen betreffen z. B. Reduktionen von Hüft- und Knieendoprothesen, von Mandeloperationen oder von Operationen bei Krampfadern. Der Blick über die Grenzen macht deutlich, was auch auf uns zukommen kann, da auch in Deutschland die Schulden der öffentlichen Haushalte kontinuierlich steigen und grundgesetzlich eine Schuldenbremse festgelegt worden ist.

Zwischenbilanz. Die vorstehende Bestandsanalyse zeigt, dass Leistungseinschränkungen in der Gesetzlichen Krankenversicherung unvermeidbar sind und dass diese Leistungseinschränkungen ein geordnetes Vorgehen erfordern. Methoden der Wahl sind Priorisierung und Rationierung. Wer unverändert jede Diskussion über Leistungseinschränkungen und damit über Priorisierung und Rationierung ablehnt, muss als erstes die Fakten zur Entwicklung der Ausgaben und Einnahmen in der GKV aus den vorstehenden Abschnitten widerlegen.

Lösungsmöglichkeiten

Neubestimmung der Aufgaben der GKV. Die Aufgaben der GKV sind in § 1 SGB V so umfassend definiert, dass der GKV praktisch jede Aufgabe der Gesundheitsversorgung im weitesten Sinne übertragen werden kann. Ein solcher Leistungsumfang ist in Zukunft nicht mehr finanzierbar. Aus diesem Grund muss die Aufgabe der GKV neu bestimmt und konkretisiert werden. Die GKV darf nur noch die Aufgabe haben, im Krankheitsfall sicherzustellen, dass die erforderlichen medizinischen Maßnahmen nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft durchgeführt werden können. Die Leistungen im Krankheitsfall können um Schwangerenvorsorge, Leistungen zur Früherkennung von Krankheiten einschließlich Kinderuntersuchungen, aktive Schutzimpfungen und Leistungen zur Verhütung von Zahnerkrankungen ergänzt werden.

Begriffsbestimmung von Priorisierung und Rationierung. Eine Diskussion über Priorisierung und Rationierung erfordert eindeutige Begriffsbestimmungen. Priorisierung ist eine Ordnung nach Wertigkeit, nach Prioritäten und Posterioritäten. Vertikale Priorisierung ist in der Medizin die Aufstellung einer Rangfolge innerhalb eines bestimmten Versorgungsbereichs, einer Indikation oder eines Krankheitsbildes. Horizontale Priorisierung ist die Gewichtung unterschiedlicher Versorgungsbereiche, Indikationen oder Krankheiten untereinander und letztlich des Leistungskatalogs des gesamten Gesundheitssystems. Priorisierung kann Grundlage von Rationierung sein. Rationierung ist die sinnvolle, die vernünftige, die rationale Verwendung begrenzter Mittel. Explizite Rationierung ist eine offene und damit eine öffentlich gemachte, begründete und transparente Einschränkung von Leistungen. Implizite, heimliche, stille, verborgene, verdeckte oder unkontrollierte Rationierung ist jede Form der Rationierung, die nicht öffentlich gemacht wird und damit intransparent ist, die unsozialste und ungerechteste Form von Leistungseinschränkungen überhaupt. Die von der Gesundheitspolitik zu lösende Aufgabe lautet, was mit den in Zukunft zur Verfügung stehenden Mitteln geleistet werden kann und was nicht.

Versichertenbeiträge ausschließlich für Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung. In einem Sozialstaat mit sozialer Gerechtigkeit und Solidarität dürfen Beiträge, die von Versicherten für ein bestimmtes Sozialsystem geleistet werden, nur für die Aufgaben dieses Sozialsystems verwendet werden. Weder dürfen Mittel für die Finanzierung anderer Sozialsysteme noch zur Entlastung des Staatshaushalts verwendet werden. Diese Forderung gewinnt für die GKV darum immer mehr an Bedeutung, weil eine immer geringere Zahl von Beitragszahlern im versicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis ständig steigende Ausgaben zu finanzieren hat.

Quersubventionierung. Als Quersubventionierung werden alle Ausgaben der GKV bezeichnet, die von der GKV zur Subventionierung anderer Sozialsysteme oder vom Staat geleistet werden. Die Familienversicherung für Kinder, Ehe¬gatten und Lebenspartner ist insbesondere unter dem Gesichtspunkt abnehmender finanzieller Ressourcen in der GKV eine öffentliche Aufgabe. Die Gesamtkosten lagen 2008 bei 24,9 Milliarden Euro. Bezieher von Arbeitslosengeld-II sind in der GKV versichert. Es ist jedoch weder zu begründen noch gegenüber den Beitragszahlern zu rechtfertigen, dass hierfür von der Bundesagentur für Arbeit und vom Bundesarbeitsministerium keine kostendeckenden Beiträge an die GKV gezahlt werden. Die Quersubventionierung zur Entlastung der Bundesagentur für Arbeit und des Bundesarbeitsministerium lag 2011 bei 5,1 Milliarden Euro. Für eine Reihe von Versichertengruppen, die im SGB V aufgeführt sind, werden keine oder nur reduzierte Beiträge gezahlt. Genaue Zahlen liegen nicht vor. In allen Fällen subventioniert die GKV die öffentliche Hand. Versicherungsfremde Leistungen sind Leistungen, die der GKV aus sozial-, familien- oder gesellschaftspolitischen Gründen ohne Gegenfinanzierung übertragen worden sind. Diese Leistungen müssen zukünftig aus Steuermitteln finanziert werden. Eine pauschale Gegenfinanzierung durch den Bund reicht nicht aus. Jede einzelne versicherungsfremde Leistung muss exakt definiert und der GKV vom Staat mit voller Gegenfinanzierung als Auftragsverwaltung übertragen werden. Alle versicherungsfremden Leistungen sind damit im Leistungskatalog der GKV zu streichen.

Umgestaltung und Herausnahme von Leistungen. Um in jedem Fall auch zukünftig die Versorgung der Patienten mit lebensnotwendigen Behandlungen uneingeschränkt für alle zu gewährleisten, muss der aktuelle Leistungskatalog der GKV grundlegend auf die Wertigkeit der einzelnen Leistungen hin überprüft werden. Dabei wird eine Diskussion zu führen sein über essentielle für alle jederzeit und von der Solidargemeinschaft zu finanzierende Regelleistungen und darüber hinausgehende Zusatzleistungen in der Eigenverantwortung des Einzelnen. Dies betrifft Indikationen und Behandlungsanlässe einerseits wie auch die qualitativ oder quantitativ unterschiedlichen diagnostischen bzw. therapeutischen Optionen andererseits. So ist beim Kaiserschnitt eine Zunahme zu beobachten, die darauf hindeutet, dass neben der medizinischen Indikation auch Wunschkaiserschnitte durchgeführt werden. Die dabei entstehenden Mehrkosten müssen von den Betroffenen selbst getragen werden. Ebenso ist zu fragen, ob jede aufwändige Diagnostik auf Wunsch oder Drängen des Patienten immer auch medizinisch erforderlich ist und anderenfalls vom Patienten selbst getragen werden muss.

Grundsatzüberlegungen für weitere Leistungskürzungen. Kommt es zur weiteren Verschärfung der Finanzsituation der GKV gibt es folgende Optionen:

Herausnahme von

  • Akupunktur
  • Krankengeld
  • ambulanter, psychotherapeutischer Behandlung mit Ausnahme bei Kindern
  • Zahnersatz mit Ausnahme bei Kindern,
  • Reduzierung des GKV-Anteils bei der künstlichen Befruchtung,
  • Reduzierung der Heilmittel um Wellnessangebote,
  • Weitergehende Streichung der Übernahme von Fahrtkosten,
  • Integration von Sozialer Pflegeversicherung und medizinischer Rehabilitation der Gesetzlichen Rentenversicherung in die Gesetzliche Krankenversicherung,
  • Erhöhung der Härtefallgrenze auf drei Prozent des Bruttoeinkommens.

Zuzahlungen in der Gesetzlichen Krankenversicherung. Die Begrenzung der Zuzahlung bei Krankenhausbehandlung auf 28 Tage sollte aufgehoben werden. Die im internationalen Vergleich in Deutschland hohe Zahl von Arztkontakten muss hinsichtlich ihrer Gründe detailliert untersucht werden. Die Praxisgebühr hat ihre angedachte Steuerungsfunktion nicht geleistet und muss durch ein anderes System ersetzt werden mit dem Ziel einer Verringerung der Inanspruchnahme auf das medizinisch Notwendige. Die Zuzahlung bei Arzneimitteln soll auf eine prozentuale Beteiligung mit Kappungsgrenze umgestellt werden. Als Grundprinzip in allen Leistungsbereichen sollten Festbeträge und Festzuschüsse eingeführt werden. Den Patienten muss die Möglichkeit eingeräumt werden, über eine notwendige Regelversorgung hinausgehende Leistungsanforderungen eigenverantwortlich zusätzlich zur GKV-Leistung in Anspruch nehmen zu können.

Medizinische Versorgung auf den Prüfstand. Frühgeborene werden mit einem immer geringeren Geburtsgewicht intensivmedizinisch behandelt. Auch in Deutschland muss die Frage gestellt werden, ob es hierfür Grenzen geben muss. Diese Frage ist vom Deutschen Ethikrat zu beantworten. Die Frage eines würdigen Sterbens steht nicht zur Diskussion. Trotzdem muss die Frage gestellt werden, ob die spezialisierte, ambulante Palliativversorgung nicht eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist.

Es ist zu prüfen, ob die in Deutschland im europäischen Vergleich überdurchschnittlich hohe Zahl an Betten in der akuten Krankenhausversorgung medizinisch begründet und damit berechtigt ist. Auch bei einer Diskussion über die Struktur der medizinischen Versorgung muss gefordert werden, die Zahl der Betten in der stationären Rehabilitation zu reduzieren. Für medizinische Großgeräte ist eine bundesweite bedarfsbestimmte Abstimmung erforderlich.

Gesundheitliches Fehlverhalten. Es ist nicht vertretbar, dass die Auswirkungen von gesundheitlichem Fehlverhalten durch eine ständig abnehmende Zahl von Beitragszahlern finanziert werden. Der Deutsche Ethikrat wird beauftragt, konkrete Vorschläge für diese Problematik mit dem Ziel zu erarbeiten, Verursacher von Kosten durch gesundheitliches Fehlverhalten an den Kosten zu beteiligen.

Karenztage. Es werden zwei Karenztage eingeführt. Karenztage können mit Urlaubstagen abgegolten werden. Diese Forderung erscheint gerechtfertigt, da Deutschland von allen Ländern der EU die höchste Zahl an Urlaubstagen hat.

Schlussbemerkung

Die vorgenannten Thesen müssen diskutiert werden. Diese Diskussion findet jedoch nicht statt. Sie wird im Gegenteil verhindert. Wenn aber weiterhin die mit dem demografischen Wandel und dem medizinischen Fortschritt verbundenen Probleme negiert werden, läuft unser im Prinzip vorbildliches Gesundheitssystem Gefahr, in eine ungesteuerte Situation zu geraten, die weder sozial noch humanitär zu verantworten ist.

Literatur

[1] Beske, F., F. Brix: „Solidarische, transparente und bedarfsgerechte Gesundheitsversorgung im demografischen Wandel durch Priorisierung und Rationierung – Begründung und Vorschläge“. Schriftenreihe / Fritz Beske Institut für Gesundheits-System-Forschung Kiel; Bd. 121. Kiel 2011. Die Studie kann gegen eine Schutzgebühr von 10 € zzgl. Versandkosten bestellt werden bei: IGSF Kiel, Weimarer Str. 8, 24106 Kiel, Tel. 0431–800 60-0, Fax 0431–800 60-11, E-Mail: [email protected]

Beske F. / Rüggeberg J.A. Solidarische Krankenversicherung und demografischer Wandel. Passion Chirurgie. 2012 Februar; 2(02): Artikel 02_01.

Das neue GKV-Versorgungsgesetz – Bedeutung für die Chirurgie

Zum 01.01.2012 ist das GKV-Versorgungsstrukturgesetz in Kraft getreten, das sowohl im Krankenhaus als auch in der niedergelassenen Praxis wesentliche Änderungen bewirken wird. Schon immer war auch bei früheren Gesetzen die operative Medizin Vorreiter für Innovationen (Beispiel Ambulantes Operieren). Auch diesmal gibt es interessante Passagen, die Chirurgen neue Optionen eröffnen.

Das Gesetz ist das erste nach Jahrzehnten staatlicher Regelungen, in dem es nicht ausschließlich um Kostendämpfungsmaßnahmen geht. Der wichtigste Punkt ist die Tatsache, dass erstmals zugunsten struktureller Verbesserungen der Grundsatz der Beitragsstabilität aufgehoben worden ist, auch wenn das nicht dazu führen wird, dass nun Gelder in unbegrenzter Höhe fließen. Der zweite wichtige Punkt liegt in der Anerkennung eines existenten Ärztemangels und einer damit verbundenen Flexibilisierung der Arbeitsbedingungen sowie veränderter Planungsbedingungen. Schließlich ist eine klare Intention erkennbar, die bestehenden Grenzen zwischen der ambulanten und stationären Versorgung aufzulösen.

Während des Gesetzgebungsverfahrens wurden vor allem die Stichworte kleinräumige Bedarfsplanung und spezialärztliche Versorgung kontrovers diskutiert. Vielen ist dabei entgangen, dass dieses Gesetz eine Fülle weiterer Regelungen beinhaltet, die in ihren Auswirkungen durchaus weitreichende Folgen haben dürften. Zur besseren Übersicht ist die nachfolgende Kommentierung unterteilt in die Bereiche Krankenhaus sowie Vertragsarztpraxis, obwohl natürlich beide unmittelbare Interaktionen aufweisen, im Besonderen bei den Regelungen zu Medizinischen Versorgungszentren und der so genannten spezialfachärztlichen Versorgung. Die Nennung einzelner Paragraphen bezieht sich jeweils auf das Sozialgesetzbuch V.

Krankenhaus

Es wird ein so genanntes Entlassmanagement gesetzlich verankert (§§ 11 und 39), das Kliniker verpflichtet, eine unmittelbare (fachärztliche) Nachsorge stationär behandelter Patienten zu sichern. Wie genau dies geschehen soll, ist nicht geregelt und muss durch entsprechende Vereinbarungen seitens der zuständigen Krankenhausgesellschaft noch geklärt werden. Der ärztliche Notfalldienst soll ebenfalls zukünftig sektorenübergreifend geregelt werden, was im Übrigen in vielen Regionen bereits gelebte Realität ist.

Niedergelassene Ärzte dürfen jetzt offiziell entgegen bisheriger Rechtsprechung im Rahmen von § 115a vor- und nachstationäre Leistungen für das Krankenhaus erbringen und vor allem auch ambulante Operationen gemäß § 116b am Krankenhaus durchführen. Durch diese Neuregelung wird die Flexibilisierung der Zusammenarbeit von Vertragsärzten und Krankenhäusern bei vor- und nachstationärer Behandlung verdeutlicht. Konkret bestimmt das Gesetz, dass ein Krankenhaus die vor- und nachstationäre Behandlung auch durch hierzu ausdrücklich beauftragte niedergelassene Ärzte entweder in den Räumen des Krankenhauses oder in der Arztpraxis erbringen kann. Der niedergelassene Vertragsarzt erbringt dann mit der Beauftragung Leistungen des Krankenhauses nach § 115a, deren Vergütung durch das Krankenhaus erfolgen muss.

Das bedeutet, dass in Zukunft die bisherige Praxis von ambulanter Leistungserbringung durch externe Ärzte legalisiert wird und damit gegenteilige Urteile der Sozialgerichte aus den letzten Jahren ab dem 1.1.12 hinfällig sind. Es wird eine wichtige Verhandlungsaufgabe zwischen Krankenhausgesellschaft und KV-System sein, hier die jeweiligen Honoraranteile aus den DRG-Erlösen zu präzisieren, um Rechtssicherheit zu schaffen. Derzeit ist die Krankenhausgesellschaft naturgemäß nicht bereit, Erlösanteile aus einem DRG abzugeben, andererseits kann der Vertragsarzt bei gedeckelter Gesamtvergütung keine Zusatzleistungen innerhalb seiner Kontingente erbringen. Leider umgeht der Gesetzgeber konkrete Regelungen und überlässt wie so oft den eigentlichen Streitpunkt den Vertragspartnern.

Kliniken und auch Niedergelassene können unter bestimmten Bedingungen, aber deutlich leichter als bisher, neue Behandlungsmethoden erproben (§ 137), deren Leistungen unmittelbar durch die Krankenkassen vergütet werden. Der Gemeinsame Bundesausschuss überprüft, ob eine Methode bezüglich ihres Nutzens hinreichend belegt ist und das Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative bietet. Ist dies nicht der Fall, kann eine solche Methode nicht zu Lasten der Krankenkassen abgerechnet werden. Falls aber die Methode zwar das Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative bietet, jedoch ihr Nutzen noch nicht hinreichend belegt ist, kann der Gemeinsame Bundesausschuss eine Richtlinie zur Erprobung der Methode beschließen, um hierdurch die notwendigen Erkenntnisse für die Nutzenbewertung zu erlangen. Für einen befristeten Zeitraum ist dann die Erbringung der Untersuchungs- und Behandlungsmethode zu Lasten der Krankenkassen möglich. Für den Fall, dass die technische Anwendung einer Methode auf dem Einsatz eines Medizinproduktes beruht, muss der Hersteller die Kostenübernahme der wissenschaftlichen Begleitung und Auswertung in angemessenem Umfang erklären. Mit diesen Neuregelungen soll ein schnellerer Zugang zu Innovationen gewährleistet werden.

Der bekannte Problembereich der Zuweisung gegen Entgelt (Schmiergeldzahlung) wird in den §§ 73 und 128 neu geregelt. Zu beachten ist dabei, dass eine unerlaubte Zuwendung auch die Überlassung von Sachmitteln, Personal oder sonstiger Leistungen beinhaltet. Letztlich wird im Gesetz versucht, das umzusetzen, was auch Sinn macht, nämlich eine Arbeitsteilung zwischen Krankenhaus und Praxis auf dem Boden der Aufteilung der Honorare entsprechend der tatsächlichen Versorgungsanteile. Für die operative Medizin sind durch das Gesetz wichtige Klarstellungen erfolgt, die eine bisher geübte Zusammenarbeit zwischen Klinikern und Externen auf ein legales Fundament bringt und damit sicher die schon längst begonnene Entwicklung der sektorenübergreifenden Kooperation fördern wird.

Nicht im SGB V, dafür im Krankenhausfinanzierungsgesetz findet sich eine Änderung, wonach Ausgründungen von Privatkliniken auf dem Gelände oder in unmittelbarer Nähe des Stammhauses verboten werden. Damit sollen Privatpatienten vor möglicher Gewinnmaximierung durch unterschiedliche Preisgestaltung geschützt werden, denn in solchen Ausgründungen müssen die gleichen Abrechnungsbedingungen erfüllt werden wie im Stammhaus.

Eher unbemerkt kommt es im § 28 zu einer Aufweichung der Grenzen ärztlicher Tätigkeit. Der Gesetzgeber propagiert ganz offiziell die Delegation bisher ärztlicher Bereiche auf nichtärztliche Hilfsberufe. Es bleibt abzuwarten, ob dies ein hilfreicher oder gefährlicher Vorstoß sein wird, da auch in diesem Punkt eine konkrete Ausgestaltung fehlt, etwa die Präzisierung der Tätigkeiten, die zukünftig auch von Nichtärzten eigenverantwortlich erbracht werden sollen.

Medizinische Versorgungszentren

Ab dem 1.1.2012 ist die Gründung eines MVZ nur noch für Ärzte und/oder Krankenhäuser erlaubt und zwar in der Rechtsform von Personengesellschaften, Genossenschaften oder einer GmbH. Besonders wichtig ist die neu eingeräumte Möglichkeit für dort angestellte Ärzte, die auf sie entfallende Zulassung in eine eigenständige (freie) Zulassung umzuwandeln. Die bisherige Einbahnstrasse „einmal angestellt = immer angestellt“ entfällt (§ 95).

Ein Aufkauf freiwerdender Sitze durch ein MVZ ist ebenfalls nicht mehr ohne Weiteres möglich (§ 103). Wenn ein Sitz in einer unterversorgten Region vakant wird, muss er auch dort weiter besetzt werden und kann nicht transferiert werden. Es wird damit für Kliniken schwieriger, den ambulanten Markt durch Gründung eines MVZ und den Aufkauf von Zulassungen zu besetzen. Auch dieser Punkt wird zu neuen Strukturen partnerschaftlicher Kooperation zwingen, anstelle konfrontativer Konkurrenz, gleich von welcher Seite diese ausgeht. Denn die genannte Regelung trifft selbstverständlich auch für MVZ zu, die von Vertragsärzten betrieben werden.

Vertragsärzte

Insgesamt gibt es im Gesetz eine ganze Reihe von Passagen (§§ 75 und 79), in denen die fachärztliche Versorgung gezielt verbessert wird, auch wenn die geforderte Legaldefinition dafür nach wie vor fehlt.

Die bisherigen Regelungen zur Vergütung im EBM je nach Versorgungsbedarf sind weitgehend entfernt worden (§ 87). Im Prinzip heißt es jetzt wieder gleiches Geld für alle. Neu ist eine Passage zur Förderung kooperativer Netzstrukturen. Möglicherweise ist dieser Absatz im § 87 ähnlich innovativ wie es die Einführung der MVZ gewesen ist. Letztlich ist es nur konsequent, Kooperationen auf allen Ebenen zu fördern, um angesichts immer knapperer Ressourcen und steigendem Behandlungsbedarf die Kräfte zu bündeln, Doppelvorhaltungen zu reduzieren und Behandlungspfade zu verschlanken.

Bedauerlicherweise greift der Staat aber auch in die privaten Besitzstrukturen von Praxen ein, indem im Falle einer Überversorgung eine freiwerdende Zulassung durch die KV eingezogen, also nicht nachbesetzt werden kann (§ 103). Da die KV den Verkehrswert dieses Sitzes bezahlen muss, wird von diesem Instrument wohl eher nur im Ausnahmefall Gebrauch gemacht werden.

Einige Kleinigkeiten sind noch erwähnenswert wie z.B. die Aufhebung der Residenzpflicht, eine verbesserte Vertretungsmöglichkeit nach Geburten und Erziehungszeiten, die verminderte Schärfe bei Wirtschaftlichkeitsprüfungen (Beratung vor Regress) und die veränderten Regelungen zur zeitlichen Präsenz bei Gründungen von Zweigpraxen. Im Grundsatz nimmt das Gesetz zahlreiche restriktive Vorgaben aus den Vorläufergesetzen zurück, verzichtet aber nicht völlig auf bekannte dirigistische Regelungen.

Spezialfachärztliche Versorgung

Neu eingeführt wurde im § 116b die so genannte spezialfachärztliche Versorgung, die übrigens bis kurz vor der Verabschiedung des Gesetzes noch lediglich spezialärztliche Versorgung hieß. Mit der Änderung des § 116b soll schrittweise ein sektorenverbindender Bereich der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung geschaffen werden. Unter gleichen Qualitäts- und Vergütungsbedingungen können bestimmte spezialfachärztliche Leistungen von Krankenhausärzten oder niedergelassenen Vertragsärzten erbracht werden. Bereits durch die Bezeichnung als spezialfachärztliche Versorgung wird klargestellt, dass die Versorgung Fachärzten vorbehalten ist. Umfasst werden von der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung die Diagnostik und Behandlung komplexer, schwer therapierbarer Krankheiten, die je nach Krankheit einer speziellen Qualifikation, einer interdisziplinären Zusammenarbeit und/oder besonderer Ausstattung bedürfen. Hierzu gehören vor allem Krankheiten mit schweren oder besonderen Verlaufsformen (z. B. onkologische Erkrankungen, HIV/Aids, Multiple Sklerose), seltene Erkrankungen und Erkrankungszustände mit entsprechend geringen Fallzahlen (z. B. Tuberkulose, Mukoviszidose, schwerwiegende immunologische Erkrankungen) sowie hochspezialisierte Leistungen (z. B. CT/MRT-gestützte interventionelle schmerztherapeutische Leistungen, Brachytherapie) zählen. In einem nicht abschließenden Katalog werden anschließend jeweils beispielhafte Erkrankungen aufgeführt. Für Chirurgen besonders wichtig ist der Punkt, dass ambulante Operationen weiterhin im § 115b geregelt bleiben und nicht Eingang in die neue spezialfachärztliche Versorgung finden.

Allerdings bleibt festzustellen, dass diese neue Versorgungsstruktur am Übergang zwischen stationärer und ambulanter Behandlung auf nur sehr wenige Krankheitsbilder begrenzt bleibt und im Übrigen im Einzelnen vom Gemeinsamen Bundesausschuss differenziert zu regeln sein wird. Zunächst einmal ist es nicht mehr als ein Einstieg in eine neue Versorgungsebene, die wie immer in solchen Fällen von beiden Parteien (Krankenhaus und Niedergelassene) skeptisch als Gefährdung oder positiv als Ausweitung ihres jeweiligen Bereichs gesehen wird. Letztlich wird es der Gemeinsame Bundesausschuss sein, der mit seinen ihm aufgetragenen Nachfolgeregelungen diese neue Versorgungsebene entweder zu einem Schattendasein verurteilt oder eine echte Grenzauflösung zwischen stationär und ambulant herbeiführt.

Fazit

Wie meistens gibt der Gesetzgeber lediglich Rahmenbedingungen vor. Die konkrete Ausgestaltung obliegt dann anderen Normgebern. Vor allem wird der Gemeinsame Bundesausschuss mit zahlreichen Ausgestaltungen beauftragt. Angesichts der bisherigen Praxis ist leider davon auszugehen, dass dieses äußerst langwierig und nicht immer unstreitig vorangehen wird. Vor allem die von vielen erhoffte neue Form der Bedarfsplanung und die spezialfachärztliche Versorgung werden sicher noch viel Zeit und Auseinandersetzung benötigen, bevor erkennbar wird, was tatsächlich geschehen wird.

Einige Meinungen insbesondere aus den Reihen der Krankenkassen sehen dieses Gesetz sehr skeptisch und argumentieren damit, dass die geplanten Verbesserungen nicht bei den Patienten ankommen werden, sondern vielmehr hiermit ein Gesetz für Ständevertreter geschaffen wurde. Zusätzlich befürchten die Kritiker auch eine weitere Explosion der Kosten im Gesundheitswesen mit der Folge neuer Kostendämpfungsgesetze.

Auf der anderen Seite sind die Befürworter des Gesetzes der Meinung, dass hierdurch gerade dem sich abzeichnenden Ärztemangel – speziell in strukturschwachen Regionen – entgegengewirkt werden könne und u. a. die zielgenauere Bedarfsplanung sowie das reformierte Vergütungssystem zu einer wesentlichen Verbesserung der Bedingungen für Ärzte führe. Ebenso werde letztendlich auch eine maßgebliche Verbesserung der Versorgung der Patienten erreicht. Insbesondere werde die vertragsärztliche Versorgung flexibler und damit attraktiver gestaltet.

Das GKV-Versorgungsstrukturgesetz birgt somit auf der einen Seite neue Hoffnungen und Erwartungen, gerade im Hinblick auf eine langfristige qualitativ hochwertige medizinische Versorgung sowie auf die beruflichen Voraussetzungen für Ärzte. Andererseits schürt es aber auch Zweifel und bereits jetzt werden Forderungen nach einer massiven Nachbesserung laut.

Immerhin ist es ein Gesetz, das nicht einfach nur die Ärzte auf das Niveau von Leistungserbringern reduziert, die mit immer weniger Honorar immer mehr Menschen versorgen sollen, sondern neue Horizonte eröffnet, in denen die Ärzte in flexiblen und nicht wie bisher immer streng abgeschotteten Segmenten neue Kooperationen testen können, die sowohl die Patientenversorgung als auch die eigene Situation verbessern können. Solange jedenfalls, bis eine mögliche neue Regierungskonstellation alles wieder zurückdreht. Die Chirurgen, die ja bereits seit Jahren mit der Einführung des Ambulanten Operierens und seit kürzerer Zeit mit dem Einsatz von Honorar- bzw. Konsiliarärzten eine sektorübergreifende Versorgung praktizieren, sollten auch dieses neue Gesetz positiv aufnehmen und nicht zuletzt in eigenem Interesse die neuen Möglichkeiten offensiv nutzen. Es ist abzusehen, dass eine ggf. veränderte Regierungskoalition viele Ansätze zur Flexibilisierung und zur freien Gestaltung der Versorgungswege wieder zurücknehmen wird, wenn nicht rechtzeitig unveränderbare Fakten geschaffen werden.

Für die juristische Unterstützung dankt der Verfasser dem Justitiar des BDC Dr. J. Heberer. Einen Artikel von Dr. Heberer zum Thema finden Sie unten.

Rüggeberg J. Das neue GKV-Versorgungsgesetz. Passion Chirurgie. 2012 Februar; 2(02): Artikel 02_02.

Komplexe Verwaltungsprozesse – AKR, e-Card, RLV, QZV

Je komplexer die Verwaltungsprozesse werden, um so verwirrender gestalten sich die diversen Abkürzungen. An dieser Stelle wollen wir einen kurzen Sachstandsbericht zu den o. g.Themen geben und versuchen, für Sie Entscheidungshilfen zu bieten.

Ambulante Kodierrichtlinien

AKR und ganz sicher kein Ende:

  1. Die jetzige Lage: alle KV-Vertreterversammlungen der Länder und der KBV haben sich für die Verschiebung der AKR zum Zwecke der Nachbesserung ausgesprochen. Das ist auch der überwiegende Tenor der Aussagen der Berufsverbände, auch des BDC.
  2. Der Vorstand der KBV hat sich ebenfalls für diese Verschiebung ausgesprochen.
  3. Nach zahllosen Protesten hat der Bundesgesundheitsminister Dr. Rösler sodann empfohlen, die Beteiligten mögen sich auf eine Verschiebung der Einführung der AKR auf nächstes Jahr einigen.
  4. Wir sahen die Verschiebung damit als beschlossen an, aber:
  5. Wir haben die Rechnung ohne den Wirt gemacht, denn der SpiBu (Spitzenverband der Krankenkassen) hat die Gelegenheit genutzt, um die schon für erledigt gehaltene Verschiebung an eine neue Bedingung zu knüpfen:
  6. Die KV solle zustimmen, dass beim Honorar 2013 Abstriche hinzunehmen sind.
  7. Nachdem per Spargesetz bereits für 2011 und 2012 der Honorarzuwachs auf einen morbi-unabhängigen Fixwert begrenzt wurde, möchten die Kassen dies auch gleich für 2013 festzurren.
  8. Tatsache ist, dass bei einer Wiedereinführung des Morbiditätsbezugs für die Gesamtvergütung dann auch vernünftig kodiert werden muss, sonst ist die Morbidität eben nicht nachzuweisen und es gibt kein Geld.

Die Linie des BDC bleibt klar:

Wir unterstützen die Forderung an die KBV, weiter mit dem Ziel zu verhandeln, dass die Einführung der AKR ohne finanzielle Nachteile für die Ärzteschaft bis 1.1.2012 verschoben wird.

Dennoch kann es auf Druck der Kassen doch noch zu einer früheren Umsetzung kommen. Wir empfehlen also, mit den Vorbereitungen im Sinne guter Praxisführung zu beginnen: Aufräumen bei den Diagnosen, ein kritischer Blick auf die Plausibiliät des jetzt Kodierten, Löschen antiker Zustand-nach-Diagnosen usw. Ohne nervigen Zeitaufwand wird es sicher nicht gehen, weder im Juni noch vor Weihnachten.

Überraschend hat die KBV-VV Anfang April einen neuen Beschluss gefasst, nämlich die AKR erst zum 1.1.2012 einzuführen und zwar nur in einigen Referenzpraxen (sozusagen als Testlauf) und diese Praxen mit zusätzlichen Honoraren zu unterstützen. Ich erwarte allerdings, dass die Kassen als zustimmungspflichtiger Vertragspartner diesen Beschluss nicht akzeptieren werden und auch eine Schiedsamt hier nicht im Sinne der Ärzte urteilen wird.

E-Card

Bekanntlich hat der Gesetzgeber die Kassen gezwungen, ab 1.10.11 die neuen elektronischen Gesundheitskarten mindesten für 10 Prozent der Versicherten auszugeben. Das bedeutet, dass am 1.10. einige Patienten mit der neuen Karte auflaufen, die von den bisherigen Lesegeräten nicht verarbeitet werden kann. Also müssen auch wir die entsprechenden Lesegeräte anschaffen, unabhängig von der grundsätzlichen Ablehnung der neuen Karte. Die Anschaffung der Geräte wird von den Kassen subventioniert, in der Regel wird aber der Installationsaufwand höher sein als die Erstattungsbeträge.. Es stellt sich also leider nicht die Frage, ob Kartenlesegeräte neuer Machart angeschafft werden oder nicht, sondern nur noch, welche Typen. Es geht dabei um die Frage der Onlineanbindung ja oder nein. Verständlicherweise haben wir alle erhebliche Bauchschmerzen, uns mit den Kassen direkt online zu verbinden. Das ist auch tatsächlich nicht erforderlich, jedenfalls zum Termin der Einführung. Dennoch rate ich dringend, Geräte zu beschaffen, die eine online-Anbindung ermöglichen. Der Grund ist einfach: Aktuell bekommen Sie die Geräte im Prinzip kostenfrei, später nicht mehr. Ich erwarte, dass die Pflicht zur online-Anbindung zu einem späteren Zeitpunkt auch kommen wird, allen Protesten zum Trotz. Ein Indiz für diese Pläne ist das ominöse neue Feld auf dem Überweisungsschein, bei dem angekreuzt werden soll, ob ein Versicherter ggf. nur eingeschränkten Versicherungsschutz besitz, weil er seine Beiträge nicht bezahlt hat (§16.3 SGB V). Diese Information haben wir nicht und können sie nur durch direkten Datenabgleich mit den Kassen bekommen. Das ist demnach das Einfallstor für die verpflichtende Notwendigkeit der online-Anbindung, nicht jetzt, aber später. Also, wenn Sie schon in den sauren Apfel neuer Lesegeräte beißen müssen, dann am besten ein onlinefähiges, bei dem sich ggf. die online-Verbindung auch ausschalten lässt.

RLV und QZV

Auf diesem Feld gibt es nichts Neues. Weiterhin sind RLV und QZV, was die abgerechneten Leistungen betrifft, gegeneinander permeabel. Es ist also im Prinzip egal, mit welchen Leistungen Sie die Summe der Budgets füllen. Anders verhält es sich in denjenigen KV-Regionen, in denen die RLV nicht einfach fallzahlbezogen, sondern leistungsfallzahlbezogen zur Verfügung gestellt werden. Wer leistungsfallbezogene Budgets hat, muss sehen, dass er auch weiterhin möglichst viele Patienten mit den entsprechenden Leistungen bedient, da sich aus der Leistungsfallzahl dann das Budget fürs nächste Jahr ergibt. Das ist ganz klar ein Mechanismus, der zu einer unsinnigen Mengenausweitung führt mit allen bekannten Konsequenzen des sinkenden Erlöses für die einzelne Leistung.

Neben diesen beiden Budgets gibt es KV-spezifisch unterschiedliche allgemeine, das heißt fachgruppenübergreifende Budgets für die ehemaligen so genannten freien Leistungen (z.B. Hausbesuche, Unzeitzuschläge etc.). Hier kann man im Prinzip unbegrenzt Leistungen abrechnen, allerdings im Rahmen eines Gesamtbudgets. Das kennen Sie noch von früher: im Ergebnis gibt es einen floatenden Punktwert. Sie wissen also nicht, zu welchem Prozentsatz diese Leistungen ausgezahlt werden, aber dennoch: sie sind nicht begrenzt und außerhalb Ihres RLV und QZV.

Leider in den meisten KVen inzwischen auch budgetiert sind die echten extrabudgetären Leistungen wie das Ambulante Operieren. Die Gemengelage ist hier von KV zu KV sehr verschieden, aber letztlich hält sich die Budgetierung in Grenzen, solange es nicht zu einer Mengenexplosion kommt

Rüggeberg JA. Komplexe Verwaltungsprozesse – AKR, e-Card, RLV, QZV. Passion Chirurgie. 2011 April; 1(4): Artikel 04_01.