Alle Artikel von Benedikt Braun

„PJ-Initiative BDC und bvmd“ – Nachwuchsgewinnung im PJ

Man mag beim Thema „chirurgischer Nachwuchs“ schnell versucht sein mit den Augen zu rollen, „viel gehört und wenig Lösungen gesehen“ ist mittlerweile oft der erste Eindruck. Aber das Thema ist in der klinischen Versorgung präsenter denn je, und es gibt die ominösen Lösungen eben doch. Eine aktuelle Erhebung des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgie e. V. (BDC) zeigt, wie sehr dieser Mangel in der Breite schon wahrgenommen wird, nicht nur in der reinen Zahl, sondern auch in der Qualität [1]. Wo verlieren wir also die ganzen Interessenten an unserem schönen Fach, obwohl doch die Motivation zur Chirurgie, gerade zu Beginn des Studiums, sehr hoch ist [2]?

Die Online-Vorstellung zum aktuellen Berufsmonitoring der Universität Trier und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung aus dem Oktober 2022 führt es noch einmal eindrücklich vor Augen [3]: Die Studierenden verlieren ihr Interesse an der Chirurgie im Verlauf des Studiums, und das Praktische Jahr (PJ) ist dabei nicht besonders hilfreich. Der negative Einfluss des PJ ist seit Längerem bekannt, und der Verlust der an der Chirurgie interessierten Studierenden während des PJ über die letzten Jahre weitgehend konstant [4]. Das PJ in der Chirurgie schreckt einfach ab, was die Notwendigkeit zu konkreten Verbesserungen in diesem Punkt deutlich unterstreicht. Um diesem Missstand endlich zu begegnen, hat der BDC bereits vor vier Jahren gemeinsam mit der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e. V. (bvmd) eine Projektgruppe ins Leben gerufen, die mit den Studierenden einen Leitfaden für ein „gutes chirurgisches Tertial“ ausgearbeitet hat [5]. In diesem jetzt vorliegenden Ratgeber sind vielfältige Maßnahmen aufgeführt, welche die Lehre im praktischen Jahr maßgeblich vertiefen und die Ausbildungsqualität und Zufriedenheit strukturiert steigern. Begleitet wird der Leitfaden von einem zusammenfassenden Flyer, Mustermaterial zur Evaluation, beispielhaften Ablaufplänen und einem PJ-Plakat [6]. Die Zusammensetzung der Arbeitsgruppe sowie Inhalt und Umfang des Projekts sind in der Deutschen Medizin bisher einzigartig.

Der BDC-/bvmd-PJ-Leitfaden

Der ausführliche Leitfaden gliedert die wesentlichen Informationen zu einem guten PJ-Ablauf in drei Phasen. Der Vorbereitungsteil umfasst dabei Maßnahmen wie die Rotationsorganisation, Informationen zum Ablauf von Einführungstagen oder die Zuordnung von Mentoren. In der Durchführungsphase liegt der Fokus vor allem auf den Kernaufgaben und Lernzielen, den „Anvertraubaren Professionellen Tätigkeiten“ (APTs), aber auch in der strukturellen Gestaltung des PJ-Unterrichts. Eine sehr konkrete Hilfestellung bietet hier das „Stationsplakat“, das idealerweise gut sichtbar z. B. in den Stationszimmern platziert wird. Es fasst die wesentlichen Lernziele, Aufgaben und auch Pflichten für Lernende und Lehrende grafisch einfach zusammen. Durch die ständige Sichtbarkeit im direkten Stationsalltag werden die Beteiligten kontinuierlich an ihre Aufgaben, Verpflichtungen und Chancen erinnert, was die Compliance im täglichen Miteinander unterstützt. Das Plakat ist entweder über den BDC direkt als Print zu beziehen, lässt ich aber auch über die Website herunterladen.

Abb. 1: Beispiel zu den Informationen im PJ-Flyer des BDC. Gezeigt ist eine kurze Rationale sowie ein Musterablauf/Inhalt für einen PJ-Einführungstag (rechte Seite).

In der dritten Phase (PJ-Nachbereitung) liegen die Schwerpunkte in der Evaluation und kontinuierlichen Verbesserung. Nobody is perfect – und ein Eingehen auf konstruktive und berechtigte Kritik kann wahre Wunder bewirken. Die Auswertung unterstützen BDC und bvmd mit Musterevaluationen, die neben bereits bestehenden und in Lehrkliniken oft verpflichtenden, aber vielfach abteilungsübergreifend vorgenommenen Evaluationen einen klaren Mehrwert bieten. Begleitet werden die einzelnen Maßnahmen von Praxis- und Literaturbeispielen wie auch Informationsgrafiken, welche die Umsetzung unterstützen. In dem separat erstellten Flyer werden die wesentlichen Kernpunkte des ausführlichen Leitfadens für das Praktische Jahr dann noch mal zusammengefasst (Abb. 1). Der Flyer listet stichpunktartig und übersichtlich die leicht umsetzbaren, sehr praktischen Vorschläge zur nachhaltigen Optimierung der Lehr- und Arbeitsbedingungen der uns anvertrauten PJ-Studierenden nochmals auf.

Nutzen Sie die Chance – it’s up to you.

Weitere Informationen zur gemeinsamen Initiative der bvmd und des BDC „Chirurgischen Nachwuchs gewinnen und halten“ inkl. den Leitfaden für das Praktische Jahr, das daran angelehnte Stationsplakat und einige Musterdokumente („Ablaufplan im PJ“ und „PJ Evaluation“) zum Downloaden finden Sie unter: https://www.bdc.de/pj-leitfaden

Nachwuchsgewinnung ist in der Chirurgie heute wichtiger denn je. Kein Weg der Nachwuchsgewinnung ist so direkt, unmittelbar und effizient wie die Begeisterung von PJ-Studierenden im eigenen Fach und Haus – für das eigene Fach und Haus!

 

Literatur

[1]   Vallböhmer D, Fuchs H, Dittmar R, Krones CJ: „Nehmen wir jetzt jeden?“ – Eine Umfrage in deutschen chirurgischen Kliniken. Passion Chirurgie. 2018 Mai, 8(05): Artikel 04_02.
[2]   Schneider KN, Masthoff M, Gosheger G, Schopow N, Theil JC, Marschall B, Zehrfeld J. Generation Y in der Chirurgie–der Konkurrenzkampf um Talente in Zeiten des Nachwuchsmangels. Der Chirurg. 2020 Nov;91(11):955-61.
[3]   Website der Präsentation vom 11.10.2022: https://www.kbv.de/media/sp/ergebnisse_medizinstudentenbefragung_kbv_2022.pdf
[4]   Berurfsmonitoring Medizinstudierende 2018; online verfügbar unter: https://www.kbv.de/media/sp/Berufsmonitoring_Medizinstudierende_2018.pdf
[5]   Braun BJ, Schmidt J, Chabiera PJ, Fritz T, Lutz B, Drossard S, Mees ST, Brunner SN, Luketina R, Blank B, Kokemohr P, Röth A, Rüggeberg JA, Meyer HJ: Strukturierte Grundvoraussetzungen für das Praktische Jahr. Passion Chirurgie. 2019 Oktober, 9(10): Artikel 03_03.

Braun BJ, Krones CJ, Kirschniak A: „PJ-Initiative BDC und bvmd“ – Nachwuchsgewinnung im PJ. Passion Chirurgie. 2022 Dezember; 12(12): Artikel 04_03.

Editorial im Oktober 2021: Nachwuchs 2021

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

wer in Deutschland Fußballschiedsrichter werden möchte, sollte mindestens zwölf Jahre alt sein. Seine Ausbildung umfasst je nach Landesverband des Deutschen Fußball-Bundes 20 bis 50 Unterrichtsstunden innerhalb von zwei bis sechs Wochen. Am Ende muss er Regelfragen beantworten und eine körperliche Prüfung bestehen, zum Beispiel einen 1300-Meter-Lauf in maximal sechs Minuten absolvieren.

Eine „fertige“ Chirurgin startet selten unter 30 Jahren. Ihre Ausbildung umfasst ein Medizinstudium, dann folgt die Facharztweiterbildung, alles in allem rund zwölf Jahre. Alleine das Studium enthält drei große Prüfungen. Dabei sind an insgesamt sieben Tagen 640 Multiple-Choice-Aufgaben und eine 45- bis 60-minütige mündlich-praktische Prüfung an freiwilligen „Patienten“ zu bewältigen.

Aber Fußballschiedsrichter und Chirurgen haben auch etwas gemein: Zu viele hören auf. Zu wenige kommen nach. Der Frauenanteil ist – vorsichtig formuliert – ausbaufähig.

Beim Berufsverband der Deutschen Chirurgen gibt es ein Ressort, das sich speziell mit der Thematik der Nachwuchsförderung beschäftigt. In einem der Fachbeiträge in diesem Heft geht es darum, was dieses Ressort so macht, um die Faszination des Fachs Chirurgie an potenzielle Interessenten weiterzugeben. Ein anderer Beitrag blickt in ein Nachbarland und versucht die Frage zu beantworten, wie es eigentlich die Niederländer mit ihrem chirurgischen Nachwuchs halten.

Auch dem „Perspektivforum Junge Chirurgie“ haben wir einen Artikel gewidmet: Dabei handelt es sich um eine bei der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie angesiedelte Plattform, die sich als Stimme junger Chirurginnen und Chirurgen und solcher, die es gerne werden wollen, versteht. Eines der Forumsziele ist es, „die derzeitigen Bedingungen“ für den chirurgischen Nachwuchs „zu verbessern“.

Doch sind die wirklich so schlecht? Zugegeben: Die Anforderungen sind hoch, der Alltag ist selten planbar. Notfälle richten sich nicht nach Arbeitszeitregelungen, Schichtsystemen oder Wochenendplanungen. Sie passieren einfach. Hoch ist auch die Verantwortung: Fehler können ernsthafte gesundheitliche Beeinträchtigungen von Patienten, im Extremfall auch ihren Tod zur Folge haben.

Was steht auf der Habenseite? Zum Beispiel ein unglaublich vielfältiges Studium. Eine Ausbildung, die hohe Anforderungen stellt, bei der man aber auch weiß, was man gelernt hat. Am Ende das Bewusstsein, einen Beruf auszuüben, der nicht nur in Pandemiezeiten systemrelevant ist. Einen Beruf, den Ferdinand Sauerbruch für „das Letzte und Schönste und Größte an Beziehungen von Mensch zu Mensch“ hielt.

Ich wünsche Ihnen eine spannende und motivierende Lektüre mit unserem Nachwuchsheft.

PD Dr. med. Benedikt Braun, MBA

Braun B: Editorial – Nachwuchs 2021. Passion Chirurgie. 2021 Oktober; 11(10): Artikel 01.

D

BDC-Praxistest: Kommentar zur Umfrage des Hartmannbundes unter Assistenzärztinnen und -ärzten – Abgleich mit der Chirurgie und Perspektiven

Vorwort

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Zufriedenheitsanalysen stammen eigentlich aus der Betriebswirtschaft. Untersucht werden mit diesem Instrument in der Regel die aktuellen Bedürfnisse und Wünsche von Kunden. Die Performance des Anbieters wird dann an den Ergebnissen gemessen, und danach – mehr oder minder – konsequent angepasst. Das Verfahren ist bewährt, denn es sichert den wirtschaftlichen Erfolg des Anbieters. Und es hat deshalb in vielen Branchen schon längst auch Eingang in die Akquise, Bindung und Pflege von Personal gefunden. Doch obwohl gerade Ärzte diesen sozialen Werten in der Patientenbetreuung genuin verbunden sind, werden sie selbst seit Generationen weiterhin konsequent davon ausgeschlossen. Unverändert scheint es gesellschaftlicher Konsens zu sein, dass Ärzte altruistisch handeln. Das bleibt im Verhältnis zu den Patienten und Patientinnen aus gutem Grund auch die solide Grundfeste der Beziehung. Doch es kann nicht richtig sein, eine aufopfernde Selbstaufgabe auch in den ärztlichen Arbeitsbedingungen zu fordern. Und sei es selbst aus der rein utilitaristischen Zielsetzung das Gesundheitssystem in Leistung und Rentabilität zu erhalten.

Nun bleiben Umfragen zur Arbeitszufriedenheit in ihren Ergebnissen volatil und wissenschaftlich wenig valide. Die Stichproben sind nie wirklich repräsentativ und natürlich rufen die Beschwerten immer am lautesten. Das Ganze funktioniert immer wie eine Polaroid Aufnahme der aktuellen Stimmung. Doch trotzdem bietet der aktuelle Poll des Hartmannbunds erschreckende Resultate. Man mag sich damit trösten wollen, dass nur knapp 15% der Befragten aus der Chirurgie oder Orthopädie stammen. Wir waren doch schon immer härter als die anderen. Doch diese Täuschung verbrämt die echten Aussagen. Der wahre Schluss ist, dass wir trotz aller Probleme in der Nachwuchsarbeit offensichtlich immer noch nichts kapiert haben. Man muss den Hund nicht zum Jagen tragen, aber man sollte ihn beim Jagen auch nicht quälen. Gute Leute lockt man mit guten Bedingungen. Jede Nachwuchsakademie in Industrie, Dienstleistungssektor oder auch dem Sport kann das besser als wir. Es ist jetzt endlich Zeit für einen Wandel, denn der Druck steigt.

Erhellende Lektüre wünschen

Prof. Dr. med. C. J. Krones    und    Prof. Dr. med. D. Vallböhmer

                       


In der aktuellen „Assistenzarzt-Umfrage 2021 – Arbeitsbedingungen, Ökonomisierung und Digitalisierung“ des Hartmannbundes werden die Arbeitsbedingungen von Assistenzärztinnen und -ärzten vor dem Hintergrund von Ökonomisierung und notwendiger Digitalisierung evaluiert. Es wurden dazu 1.258 Fragebögen ausgewertet. 72 % der Befragten waren weiblich, 28 % männlich. Insgesamt stammten 115 Befragte (ca. 9 %) zum Zeitpunkt der Umfrage aus der Chirurgie und 62 (ca. 5 %) aus der Orthopädie. Das Gros der Teilnehmer war mit 333 (ca. 26 %) in der Inneren Medizin tätig, gefolgt von der Allgemeinmedizin mit 139 (ca. 12 %), der Anästhesiologie mit 123 (ca. 10 %) und der Kinderheilkunde mit 107 (ca. 9 %). Mehr als ein Drittel der Befragten gaben einschließlich Bereitschaftsdienst und Mehrarbeit eine durchschnittliche Wochenarbeitszeit von über 55 Stunden an, ca. 6 % sogar mehr als 65 Stunden. Bei ca. 45 % der Beteiligten konnten Überstunden nicht konsequent dokumentiert oder vollständig anerkannt werden. Fast ٣٧ % gaben an, durch eine Eltern- oder Teilzeit beruflich benachteiligt worden zu sein. In der Bereitschaft arbeitet mit ca. 42 % fast die Hälfte deutlich mehr als 50 % der Dienstzeit. Pausenzeiten konnten bei 34 % selten oder so gut wie nie eingehalten werden. 62 % der Befragten bemängelten, in der Regel nicht genügend Zeit für ihre Patienten zu finden. Nur knapp 24 % empfinden ihre Arbeitsbelastung als zufriedenstellend. In großer Mehrheit wirkt sich die Arbeitsbelastung negativ auf das Privat- und Familienleben aus (ca. 64 %). Ca. 32 % befürchten gesundheitliche Beeinträchtigungen, ca. 15% beklagen solche Schäden bereits. Mehr als ein Drittel der Teilnehmer leidet unter Schlafstörungen, genauso viele erwägen den Beruf aufzugeben oder die Fachrichtung zu wechseln. Und ca. 47 % empfinden einen belastenden ökonomischen Druck in ihrem Arbeitsalltag.

Nüchtern betrachtet zeichnet die Umfrage des Hartmannbundes ein erschreckendes Bild: Lange Arbeitszeiten, mit oft unvollständiger Dokumentation, hoher ökonomischer Druck, betriebswirtschaftlich unsinnige, arztfremde Tätigkeiten, fehlende Zeit für die Patientenversorgung, rückschrittliche Digitalisierung, keine Entlastungsmöglichkeiten, Sanktionen bei Freistellungen, bis hin zur unmittelbaren gesundheitlichen Beeinträchtigung bei knapp 15 % und drohenden Beeinträchtigung bei weiteren fast 40% sind erschütternd. Arbeitsschutzbeauftragte, Überwachungsinstitutionen, aber auch Patientenschutzverbände und Fachgesellschaften müssten Alarm schlagen: Die Validität der Antworten vorausgesetzt, werden in einem viel zu hohen Prozentsatz von Kliniken oder Abteilungen die Vorgaben des Arbeits- und Patientenschutzes missachtet.

Vor einer tieferen Interpretation sind aber auch die Limitationen der Umfrage kritisch zu betrachten. Einschränkend ist festzuhalten, dass der Teilnehmerpool der Umfrage, insbesondere vor dem Hintergrund der über 90.000 Studienabsolventen pro Jahr, mit knapp über 1.000 sehr niedrig ist. Dazu strecken sich die Antwortenden über ein breites Spektrum an Facharztdisziplinen, was eine Einzelbetrachtung insbesondere der operativen Gebiete nach streng statistischen Gesichtspunkten nicht sinnvoll erscheinen lässt. Es ist dazu auch zu diskutieren, inwieweit diese Umfrage durch ein Unzufriedenheitsbias betroffen ist, der bei solchen Erhebungen gerade mit sehr geringer Teilnehmerzahl immer anzunehmen ist. Dies wird dadurch verstärkt, dass nicht klar ersichtlich ist, wer zur Umfrage eingeladen wurde. Schließlich bleibt zu bemängeln, dass die Umfrage, wie so viele andere Projekte dieser Art, vornehmlich problem- und weit weniger lösungsfokussiert bleibt. Lösungsmöglichkeiten lassen sich nur sporadisch aus den Freitextantworten der Teilnehmer ableiten oder werden in den Problemfeldern stichpunktartig aufgezählt.

Wie ist die Umfrage also nun für uns zu werten? Rein wissenschaftlich betrachtet ist eine Generalisierung der Ergebnisse nicht ausreichend valide möglich. Trotzdem lassen sich aber durchaus Analogien zu den Ergebnissen der aktuellen BDC-Umfrage zur Beurteilung der Arbeits- und Weiterbildungssituation in der Chirurgie erkennen (vgl. Braun BJ: Gemeinsame Assistentenumfrage des BDC und des Perspektivforums Junge Chirurgie der DGCH 2018/2019. Passion Chirurgie. 2019 Dezember, 9(12): Artikel 04_02). Auch hier zeigt sich eine relevante Unzufriedenheit mit den Rahmenbedingungen des Berufs, nicht aber mit dem Beruf selbst. So stellen auch hier die wesentlichen Kritikpunkte arztfremde Tätigkeiten, sinnfremde Arbeitsinhalte und überbordende Arbeitszeiten dar.

Als ein möglicher Lösungsansatz wird in der BDC-Studie eine Entlastung von nicht ärztlichen Tätigkeiten durch Delegation vorgeschlagen. Ökonomische Spareffekte durch Delegation, eine verbesserte Behandlungsqualität und die Reduktion des Behandlungsrisikos bei hoher Zufriedenheit der Mitarbeiter sowie Vorteile im Wettbewerb um qualifiziertes Personal sollten zusätzliche Argumente zur kreativen Suche und Umsetzung entsprechender Maßnahmen sein. In diesem Kontext haben BDC und Perspektivforum Junge Chirurgie gemeinsam eine vereinfachte Berechnung zu diesen delegierbaren Tätigkeiten erstellt und publiziert. Sie soll für dieses Thema sensibilisieren, aber auch als einfache Lösungsmöglichkeit zur lokalen Anwendung einladen (vgl. Braun BJ, Fritz T. Überlegungen und Berechnungen zur Effizienz des Einsatzes von Ärzten für delegierbare, nicht-ärztliche Tätigkeiten – ein Denkanstoß in Zeiten des Nachwuchsmangels. Zentralblatt für Chirurgie-Zeitschrift für Allgemeine, Viszeral-, Thorax-und Gefäßchirurgie. 2021 Apr 21).

Hauptgründe für die Unzufriedenheit (Mehrfachnennung möglich):

Anteil der Antworten

Hohe zeitliche Arbeitsbelastung (z. B. Überstunden)

60,54 %

Unregelmäßige Arbeitszeiten mit Schicht-/Wochenenddiensten

49,29 %

Hoher Zeitdruck während der Arbeit (Arbeitsverdichtung)

61,25 %

Schlechte Vereinbarkeit von Familie und Beruf

46,72 %

Schlechte Vereinbarkeit mit anderen beruflichen Tätigkeiten (z. B. Forschung)

24,22 %

Schlechte Vereinbarkeit mit anderen privaten Tätigkeiten (z. B. Freizeitaktivitäten)

46,44 %

Merklicher/fühlbarer Einfluss ökonomischer Faktoren auf fachlich-medizinische Entscheidungen

48,58 %

Schlechtes Arbeitsklima im Arbeitsalltag (zwischen Ärzten, zwischen Ärzten und anderen Berufsgruppen etc.)

30,06 %

Steile Hierarchien

15,10 %

Hoher Anteil arztfremder Tätigkeiten im Berufsalltag

62,39 %

Mangelnde Qualität der ärztlichen Weiterbildung

53,56 %

Fehlende Anleitung und/oder Supervision im Berufsalltag

41,31 %

Geringe Anerkennung für die geleistete Arbeit

51,42 %

Schlecht planbarer Feierabend

35,75 %

Vgl. Braun BJ: Gemeinsame Assistentenumfrage des BDC und des Perspektivforums Junge Chirurgie der DGCH 2018/2019. Passion Chirurgie. 2019 Dezember, 9(12): Artikel 04_02.

Wie sollte man diese Daten und Studien aber nun weiter nutzen? Lösungsvorschläge gibt es einige, der Weg und die Umsetzung sind aber so vielfältig wie der Arztberuf selbst. Einen wichtigen Aspekt stellt sicherlich auch die Eigenverantwortung dar. Diese bleibt in vielen Umfragen nahezu unberücksichtigt, oder spielt mit Fragen zum Berufswechselwunsch nur eine indirekte Rolle. In unserer aktuellen Umfrage haben wir daher versucht, Wechselwünsche und tatsächliche Wechsel miteinander abzugleichen. Es zeigt sich darin eine Zunahme der Wechselbereitschaft unter Assistenzärztinnen und -ärzten. In diesen eigenverantwortlichen Wechseln zeigt sich der Druck, den junge Assistenzärzte gerade in Zeiten des Nachwuchsmangels ausüben können. Überspitzt stellt der selbständige Stellenwechsel den stärksten Motor für Veränderung. Mängel in der Dokumentation von Stunden, bei verpflichtender Durchführung von Weiterbildungsgesprächen, innerklinischer Weiterbildung und dem Führen von Logbüchern sind nicht nur aus Führungssicht schwer verständlich, sondern sollten auch von den Assistenzärztinnen und -ärzten nicht toleriert werden. Einfache Lösungen in der Führung liegen hier zum Beispiel in der konsequenten Benennung von Oberärztinnen und -ärzten für die Weiterbildung, die durch Entlastung von anderen zeitintensiven Tätigkeiten aber auch ausreichende Kapazitäten für die Koordination dieser Aspekte erhalten. Aber eben auch in der Eigenverantwortlichkeit solche Dinge einzufordern, oder noch besser bei der Umsetzung in der eigenen Klinik mitzugestalten.

Es bleibt verwunderlich, dass gerade Arbeits- und Patientenschutz hier nicht eine viel höhere gesamtgesellschaftliche und auch politische Wahrnehmung finden. Hier gilt es seitens der Verbände und Fachgesellschaften auf der Basis der vielen vorliegenden Daten öffentlichkeitswirksam Einfluss auf die politische Entwicklung zu nehmen. Wenngleich die meisten auf Umfragen basierten Daten aus dem ärztlichen Sektor den oben genannten deutlichen Bias aufweisen, sind diese doch zumindest vergleichbar und nicht minder eindrücklicher als viele medial besser präsente Diskussionen aus anderen medizinischen, wie auch nicht medizinischen Berufen.

Abschließend erscheint es aber sehr wichtig festzuhalten, dass der Arztberuf weiterhin attraktiv und eine klinische Karriere erstrebenswert bleibt. Letztlich unterstreichen dies auch die unverändert steigenden Zahlen von Medizinstudierenden in Deutschland, wie auch die weiter zunehmende Zuwanderung ausländischer Ärztinnen und Ärzte. Viele in der Umfrage geäußerten Beschwernisse lassen sich ohne Zweifel an vielen Kliniken in unterschiedlicher Ausprägung wiederfinden. Sie erfordern einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess. Der Beruf als solcher ist aber eben auch mehr als eine reine Funktion der Zeit, also kein „9-to-5-Job“, sondern vielmehr und ganz ohne Pathos eine Berufung, der man sich gerne verschreibt, wenn der Rahmen, unter dem man seine Tätigkeit ausführt, stimmt. Hier liegt der wahre Kern aller Umfragen dieser Art, nicht in der Materie selbst. Den eigenen Weg innerhalb der vielen verschiedenen Möglichkeiten beruflicher Verwirklichung muss jeder eigenverantwortlich selbst finden, und dies ist auch unter den aktuellen Bedingungen weiterhin gut möglich.

Wir sollten aber trotzdem alle beständig daran arbeiten, die Rahmenbedingungen in einem im ständigen Wandel befindlichen System nach unseren Möglichkeiten zu beeinflussen. Umfragen, wie die Aktuelle des Hartmannbunds bilden den Grundstock für weitergehende Analysen und Diskussionen. Kommentierende Artikel wie dieser sind dabei ein steter Tropfen, und ähneln sich doch oft in Ton und Fokus. Um Dopplungen zu vermeiden sei deshalb auf einen vorangegangenen Kommentar verwiesen (Braun B, Rüggeberg J: Medizin für den Menschen: Gesundheit vor Gewinn – Gedanken zum offenen Brief des Bündnis Junger Ärzte vor dem Hintergrund des Nachwuchsmangels. Passion Chirurgie. 2020 September, 10( 09): Artikel 04_02), der mit einer Sammlung an interessanten Artikeln zur weitergehenden Beschäftigung mit diesem Thema schließt.

Lösungen erfordern Zeit und Einsatz. Kleinere, fast selbstverständliche Dinge können lokal angegangen werden, größere sind nur politisch zu adressieren. Ich möchte deshalb im Kleinen mit einem Appell zum bewussten und vor allem selbstkritischen Umgang mit der chirurgischen Weiterbildung und den Rahmenbedingungen schließen und im Großen gerne jeden einladen, den Wandel auch aktiv mitzugestalten. Wir stehen beim Berufsverband gerne für Rückfragen und neue Mitstreiterinnen und Mitstreiter zur Verfügung.

Braun B.: BDC-Praxistest: Kommentar zur Umfrage des Hartmannbundes unter Assistenzärztinnen und -ärzten – Abgleich mit der Chirurgie und Perspektiven. Passion Chirurgie. 2021 Oktober; 11(10): Artikel 05_01.

Delegation von Tätigkeiten aus dem ärztlichen Dienst – Potenzial zur Effizienzsteigerung ärztlicher Arbeit

Die Kranken- und Gesundheitsversorgung ist ein sehr personalintensiver Sektor. Etwa 62 % der Betriebskosten eines Krankenhauses sind Personalkosten – mit Schwankungen abhängig von Bundesland, Größe und Versorgungsauftrag. Die Kernleistungen werden von Mitarbeiterinnen des Pflegedienstes (31,7 % der Personalkosten) und des ärztlichen Dienstes (29,8 % der Personalkosten) erbracht (vgl. Destatis). Gerade für diese Berufsgruppen besteht ein ausgeprägter Fachkräftemangel. Hohe Personalfluktuationen verstärken mancherorts diesen Mangel. Somit sind unter effizienter Nutzung der Arbeitskraft und -zeit gerade dieser Berufsgruppe durch Delegation von Tätigkeiten nicht nur Einsparungen von Lohnkosten zu berücksichtigen. Auch ein nachhaltiger Umgang mit der Ressource „Fachkraft“ und ihrer Arbeitszeit, ihrer Gesundheit, ihrer Identifikation mit der Institution und Motivation sind wichtige Faktoren bei der Effizienzbeurteilung ihres Einsatzes. Obwohl der Gesetzgeber und die Selbstverwaltung die Notwendigkeit bereits frühzeitig erkannt und entsprechende Rahmenbedingungen zur Delegation geschaffen haben, wird das Potenzial zur Delegation in Krankenhäusern aktuell bei weitem nicht ausgeschöpft und aktuelle Umfragen identifizieren die mangelnde Delegationsmöglichkeit als wesentlichen Faktor ärztlicher Unzufriedenheit.

Die Wahrnehmung der Bedeutung des Arbeitseinsatzes der Mitarbeiter als wichtiger Faktor für deren Zufriedenheit und letztlich auch für die Gewinnung und den Halt qualifizierten Personals rechtfertigt die erneute Aufarbeitung von Umfragedaten des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgen (BDC) und des Perspektivforums Junge Chirurgie der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie im Rahmen dieses Themenheftes. Hierbei sollen direkte ökonomische Zahlen der Kosteneinsparung durch Delegation als wesentliches Argument besonders die wirtschaftlichen Faktoren der Arbeitszufriedenheit und des mentalen und physischen Wohlergehens der Mitarbeiterinnen die ärztlichen Repräsentanten ansprechen. Die Originalarbeit ist zur Publikation in der Zeitschrift Zentralblatt für Chirurgie erschienen und wird für dieses Sonderhaft erneut beleuchtet [1].

Ziel dieser Arbeit war es die aus einer Belastung durch nicht unmittelbar ärztliche Tätigkeiten resultierende Arbeitszufriedenheit vor dem Hintergrund der entstehenden Kostenbelastung und eines möglichen Einsparpotentials bei adäquater Delegation zu analysieren. Durch die erneute Aufarbeitung und Akzentuierung dieses Beitrages soll für diese wichtige Thematik sensibilisiert werden.

Methodik

Bezüglich der dezidierten Berechnung zum Artikel möchten wir gerne auf die publizierte Originalarbeit im Zentralblatt für Chirurgie verweisen [1].

Die Analyse basiert auf der im Abstand von drei bis fünf Jahren erscheinenden Weiterbildungs- und Nachwuchsumfrage des BDC in Ihrer aktuellen Fassung [2]. Insgesamt konnten über 700 Antworten erhoben werden. Abgefragt wurden demografische Daten, die allgemeine Zufriedenheit mit der Weiterbildungssituation, die pro Tag für prinzipiell delegierbare Tätigkeiten aufgebrachte Arbeitszeit in Minuten, sowie Details zu arztfremden Tätigkeiten und deren zeitlichem Aufwand.

Zur Berechnung wurde die für prinzipiell delegierbare Tätigkeit aufgewandte Zeit auf die in der Umfrage identifizierten nicht ärztlichen Tätigkeiten gemäß Ihrer Gewichtung verteilt. Multipliziert mit dem Minutenbruttoarbeitslohn und der durchschnittlichen Arbeitszeit pro Jahr ergaben sich daraus die durchschnittlichen Kosten pro Tätigkeit, Mitarbeiter und Jahr. Anhand der Durchschnittsgehälter der für die delegierbaren Tätigkeiten in Frage kommenden Berufsgruppen konnten dann analog die Kosten für die Durchführung durch Nicht-Ärzte berechnet werden. Über die Differenz beider Summen ergab sich das Einsparpotential.

Ergebnisse

Insgesamt beantworteten 708 WeiterbildungsassistentInnen (Ø Alter 34,1 Jahre; 52,3 % weibliche Teilnehmer) unsere Umfrage, von denen 61,5 % in der Weiterbildung Allgemein-/Viszeralchirurgie und 24,9 % in der Weiterbildung Orthopädie/Unfallchirurgie waren. Die Zufriedenheit in Schulnoten lag bei einem Durchschnitt von 3,6. Als häufigste Gründe für eingeschränkte Zufriedenheit wurden ein hoher Anteil arztfremder Tätigkeiten (62,4 %), gefolgt von hohem Zeitdruck (61,5 %), sowie der insgesamt hohen zeitlichen Arbeitsbelastung (60,5 %) angegeben (Abbildung 1).

Abb. 1: Häufigste Gründe für eingeschränkte Zufriedenheit mit der Weiterbildung bei WeiterbildungsassistentInnen (Durchschnittliche Zufriedenheit in Schulnoten: 3,6)

Die pro Tag für prinzipiell delegierbare Tätigkeiten anfallende Zeit betrug 124,32 Minuten. Diese Zeit verteilte sich auf die Tätigkeiten Blutentnahme, Anlage peripherer Venenverweilkatheter, Schreibtätigkeit, Dokumentation, Kodierung und organisatorische Telefonate. Insgesamt entstehen Kosten pro Mitarbeiter und Jahr von 16.307,91 Euro. Aufgeteilt auf die einzelnen Tätigkeiten ergibt sich folgendes Bild:

Tab. 1: Zeitanteil delegierbarer Tätigkeiten

Prinzipiell delegierbare Tätigkeit

Anteil der Tätigkeit an der Tagesarbeitszeit (%)

Resultierende Kosten pro Mitarbeiter/Jahr (€)

Blutentnahmen

14,8

2.410,38

Anlage peripherer Venenverweilkatheter

15,6

2.550,11

Schreibtätigkeit

19,9

3.242,95

Dokumentation

18,5

3.015,89

Kodierung

15,1

2.462,78

Telefonate

16,1

2.625,80

Insgesamt bestünde so bei Volldelegation der Tätigkeiten ein Einsparpotenzial von 7.760,68 Euro bei Delegation unter Einschluss studentischer Hilfskräfte, oder 5884,84 Euro ohne diese. Wiederum aufgeteilt auf die einzelnen Tätigkeiten zeigt sich folgendes Einsparpotenzial:

Tab. 2: Einsparpotential bei Volldelegation von delegierbaren Tätigkeiten

Tätigkeit

Einsparpotential pro Mitarbeiter/Jahr (€) mit studentischen Hilfskräften

Einsparpotential pro Mitarbeiter/Jahr (€) ohne studentische Hilfskräfte

Blutentnahmen

1.794,57

883,07

Anlage peripherer Venenverweilkatheter

1.898,60

934,26

Schreibtätigkeit

1.188,09

1.188,09

Dokumentation

1.104,90

1.104,90

Kodierung

812,54

812,54

Telefonate

961,99

961,99

Diskussion

Der Versorgungsstandard in unserem Gesundheitssystem ist hoch, die damit verbundenen Kosten allerdings auch. Ganz wesentlich werden diese durch das medizinische Personal bedingt, mit dem höchsten Anteil in den Berufsgruppen des Pflegedienstes (31,7 %) und des ärztlichen Dienstes (29,8 %). Für beide Berufsgruppen besteht ein ausgeprägter Fachkräftemangel, der alleine bereits seit vielen Jahren die Frage nach der Möglichkeit einer Delegation aufgeworfen hat. So ist es nach einem Entscheid des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 1975 für Ärztinnen und Ärzte möglich, an nicht-ärztliches Personal zu delegieren [3]. Für die Krankenhausträger besteht ein zunehmender Ökonomisierungsdruck, der auf das ärztliche Personal weitergeleitet wird: Man muss wirtschaftlich Arbeiten und trotzdem Patienten adäquat versorgen. Hinzu kommen Probleme durch den zunehmenden Fachkräftemangel, die durch „Produktionsausfall“ (z. B. Nichtbelegung von Betten, Schließung von OP-Sälen) weiter den ökonomischen Druck akzentuieren. Hier gewinnt eine entsprechende Delegation an Bedeutung, zeigt doch das berechnete Einsparpotenzial eine Möglichkeit auf, die eigene ökonomische Situation zu verbessern. Außer ihrer unmittelbaren ökonomischen Bedeutung kann Delegation von Tätigkeiten auch als Instrument zur Abwendung oder Reduktion von Gefahren aus psychischen Belastungen durch die Arbeit angesehen werden. Grundsätzlich legen die Ergebnisse der Umfrage nahe, dass eine signifikante Zufriedenheitssteigerung durch entsprechende Delegation zu erwarten ist und die Attraktivität des eigenen Standorts für den Nachwuchs gesteigert wird. Der vorliegende Artikel soll daher ganz explizit zur lokalen Anwendung einladen und anregen.

Juristische Aspekte einer Delegation sind umfassend behandelt: § 15 Abs. 1 SGB V sieht explizit eine Delegation von Tätigkeiten an Hilfspersonal vor, welche die Ärztin anordnet und verantwortet. Dies trifft auf Leistungen zu, die auf Grund Ihrer Art und Schwere nicht höchstpersönlich erbracht werden müssen. [3, 4, 5]. Die Entscheidung über eine Delegation ist von der Qualifikation des Mitarbeiters abhängig. Die Bundesärztekammer und die Kassenärztliche Bundesvereinigung empfehlen hierzu, bei Mitarbeiterinnen mit Ausbildung in einem Fachberuf im Gesundheitswesen eingangs die formale Qualifikation festzustellen, zu Beginn persönlich die Leistungen zu überprüfen, stichprobenartig nachzuprüfen, im Bedarfsfall zu schulen und eingehender zu überwachen und bei fehlender Qualifikation nicht zu delegieren. Besteht keine geeignete abgeschlossene Berufsausbildung, ist zunächst die generelle Eignung zu prüfen (Auswahlpflicht), anschließend muss eine zur selbstständigen Durchführung befähigende Anleitung erfolgen (Anleitungspflicht), die regelmäßig, im Verlauf auch nur stichprobenartig, überwacht werden muss (Überwachungspflicht). Der Überwachende hat sich dabei in Rufweite aufzuhalten.

Die Analyse der Umfrageergebnisse zeigt, dass die aufgeführten Tätigkeiten grundsätzlich delegierbar sind, sowie eine Delegation unmittelbare und mittelbare ökonomische Vorteile aufweist. Außerdem unterstreicht sie die Bedeutung einer Erfassung der Zufriedenheit der weiterzubildenden Kolleginnen im Rahmen der gesetzlich vorgeschriebenen Gefährdungsbeurteilung und die Delegation von Tätigkeiten als Maßnahme zur Reduktion von Unzufriedenheitsursachen als Lösungsansatz. Die Berechnung verdeutlicht, dass eine sinnvolle Delegation für den Krankenhausträger nicht nur wirtschaftlich unmittelbar von Vorteil ist. Weiterhin legt die Umfrage auch nahe, dass mit einer Steigerung der Mitarbeiterzufriedenheit eine gesteigerte Attraktivität der Klinikinstitution im Wettbewerb um neue und gute Mitarbeiterinnen verbunden sein kann.

Außer der Möglichkeit und den ökonomischen Vorteilen einer Delegation von Tätigkeiten aus dem Aufgabenbereich des ärztlichen Dienstes ist aus der Umfrage ein weiterer Aspekt zur Notwendigkeit von Delegation abzuleiten. Gemäß Arbeitsschutzgesetz und der Berufsgenossenschaftlichen DGUV-Vorschrift 1 ist der Arbeitgeber verpflichtet, für Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten am Arbeitsplatz zu sorgen. Ein wesentlicher Punkt der gesetzlich für jeden Arbeitsplatz vorgeschriebenen Gefährdungsbeurteilung ist die Erhebung psychischer Belastungsfaktoren. Die erhobenen Werte der Umfrage zur Mitarbeiterzufriedenheit von im Durchschnitt 3,6 sollten die Arbeitsschutzbeauftragten alarmieren, ist doch die Zufriedenheit der Mitarbeiterinnen ein wesentlicher Faktor, der in die Beurteilung der Gefährdung am Arbeitsplatz eingeht. Die genannten Hauptursachen für eine eingeschränkte Zufriedenheit mit dem hohen Anteil arztfremder Tätigkeiten im Berufsalltag (62,4 %) und hohem Zeitdruck während der Arbeit (61,5 %) sowie insgesamt hoher zeitlicher Arbeitsbelastung (60,5 %) erfordern zur Behebung oder Reduktion der Gefährdung eine Entlastung. Hier bietet sich eine Delegation unmittelbar an.

Natürlich ist die im Rahmen dieser Arbeit vorgestellte Analyse abstrahierend vereinfacht. Alleine die zur Berechnung herangezogenen Gehälter sind nur eine Annäherung an die Realsituation. Auch die zur Berechnung herangezogenen Gehälter des Delegationspersonals sind Online ermittelbare Durchschnittswerte. Darüber hinaus ist auch die Tätigkeitszusammenstellung vielerorts different zum Durchschnitt aus der Umfrage. Auch eine vollständige Delegation ist nur unzureichend umsetzbar. Alles dies wird insgesamt das Einsparpotential in Realität sicherlich etwas einschränken. Trotz allem wurde durch eine vorsichtige Berechnung nur anhand des ärztlichen Bruttolohnes ohne Zulagen, oder Dienste versucht zu einem übertragbaren Rechenergebnis zu gelangen. Die Gehälter des übernehmenden Personals wurden im Gegensatz eher in höheren Perzentilen angesetzt, sodass auch hier eine insgesamt vorsichtige Berechnung erfolgt ist.

Schlussfolgerung

Bei allen Vorzügen fällt es schwer zu verstehen, warum mit den schon seit Langem geschaffenen, prinzipiellen Rahmenbedingungen für Delegation, nicht zuletzt auch durch das GKV-Versorgungsstrukturgesetzes, das bereits 2012 in Kraft getreten ist, das Thema Delegation nicht schon viel flächendeckender adressiert wird. Vorteile bestehen letztlich auf allen Seiten der Versorgung. Die Untersuchung zeigt, dass aus Delegation von Tätigkeiten nicht nur unmittelbare ökonomische Vorteile resultieren. Eine wesentliche Erkenntnis der vorliegenden Untersuchung ist auch der Hinweis auf Belastungsfaktoren resultierend aus einer Unzufriedenheit durch einen hohen Anteil arztfremder Tätigkeiten, einen ohnehin bestehenden hohen Zeitdruck bei der Arbeit und eine insgesamt hohe zeitliche Arbeitsbelastung. Die Erfassung dieses Belastungsfaktors sollte Eingang finden in die Analyse der Arbeitszufriedenheit als wesentlichen Faktor im Rahmen der gesetzlich vorgeschriebenen Gefahrenanalyse. Als Lösungsansatz zur Reduktion von Überlastungen des ärztlichen Dienstes bietet sich die Delegation von nicht ärztlichen Tätigkeiten an. Auch die Vorteile im Wettbewerb um geeignete Mitarbeiterinnen in Zeiten von Fachkräftemangel sollten als Argument für eine Steigerung der Zufriedenheit der Mitarbeiter nicht unterschätzt werden.

Literatur

[1]   Braun BJ, Fritz T. Überlegungen und Berechnungen zur Effizienz des Einsatzes von Ärzten für delegierbare, nicht-ärztliche Tätigkeiten – ein Denkanstoß in Zeiten des Nachwuchsmangels. Zentralblatt für Chirurgie-Zeitschrift für Allgemeine, Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie. 2021 Apr 21.

[2]   Braun BJ. Gemeinsame Assistentenumfrage des BDC und des Perspektivforums Junge Chirurgie der DGCH 2018/2019. Passion Chirurgie 2019; 9.

[3]   Krull B. Delegation ärztlicher Leistungen an nicht-ärztliches Personal: Möglichkeiten und Grenzen. Deutsches Ärzteblatt 2015; 112: 2-4.

[4]   Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung, Persönliche Leistungserbringung – Möglichkeiten und Grenzen der Delegation ärztlicher Leistungen (29.08.2008). Im Internet; Stand: 23.01.2021

[5]   Kassenärztliche Bundesvereinigung und GKV Spitzenverband, Anlage 24 zum Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä); Vereinbarung über die Delegation ärztlicher Leistungen an nicht-ärztliches Personal in der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung gemäß § 28 Abs. 1 S. 3 SGB V (01.01.2015). Im Internet; Stand: 10.10.2020

Braun B: Delegation von Tätigkeiten aus dem ärztlichen Dienst – Potential zur Effizienzsteigerung ärztlicher Arbeit. Passion Chirurgie. 2021 Oktober; 11(10): Artikel 04_03.

„Schnitten“ und „Aufschneider“ dringend gesucht: Mehr Mut zu einem faszinierenden ärztlichen Karriereziel

Vor einigen Jahren startete der Berufsverband der Deutschen Chirurgen (BDC) eine Kampagne mit dem Titel „Nur Mut! Kein Durchschnittsjob: ChirurgIn“. Ziel war es, mit einprägsamen, mehrdeutigen Slogans – im Volksmund auch „Teekesselchen“ genannt – und Plakatmotiven wie „Schnitten“ und „Aufschneider“ angehende junge Medizinerinnen und Mediziner für eine chirurgische Karriere zu begeistern. Im Laufe der Zeit hat der BDC, auch in Kooperation mit anderen Verbänden, auf dem Gebiet der Nachwuchsförderung weitere Programme und Projekte aufgelegt. Besonderen Wert legt der Verband auf eine praxisnahe, tatkräftige und umfassende Unterstützung an möglichst vielen Stellen im Verlauf der medizinischen, gerade chirurgischen Karriereanbahnung: Während des Medizinstudiums, vor der Abschlussprüfung, bei der Bewerbung auf die erste Stelle und im Verlauf der Weiterbildung.

Sie reicht derzeit von der BDC-Nachwuchskampagne „Nur Mut! Kein Durchschnittsjob: ChirurgIn”, die auch spezielle Workshops aus der Reihe „Chirurgie zum Mitmachen“ umfasst, über den mit dem Berufsverband Deutscher Internisten (BDI) veranstalteten Nachwuchs-Kongress „Staatsexamen & Karriere“, bis hin zur „Chirurgischen Woche“, initiiert von der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie und vom BDC, um nur die Leuchtturmprojekte zu nennen. Begleitet und beworben werden diese Veranstaltungen vom BDC auch über die sozialen Medien. Das stellt den Kontakt zum chirurgischen Nachwuchs sicher und räumt diesem eine weitere Möglichkeit zum Netzwerken ein.

Nachwuchskampagne „Nur Mut!“

Das Flaggschiff der Nachwuchsarbeit des BDC ist die seit 2008 laufende, bundesweite Kampagne „Nur Mut! Kein Durchschnittsjob: ChirurgIn“. Ziel der Kampagne ist es, gezielt Medizinstudierende in den klinischen Semestern anzusprechen und für eine chirurgische Laufbahn zu begeistern. Die Nachwuchskampagne soll möglichst realitätsnah über das Berufsbild informieren und die faszinierenden Seiten der Chirurgie vermitteln. Innerhalb des Facebook-Auftritts des BDC hat diese Kampagne eine eigene Seite.

Dazu gehören vor allem die vielen Facetten, welche die Chirurgie auf den verschiedensten Ebenen hat und die gerade die Chirurgie auszeichnen: die Grundversorgung und die Hochleistungsmedizin, die elektiven Operationen und die Notfallversorgung, die minimalinvasive Chirurgie und die offenen Eingriffe, um nur die wichtigsten zu nennen. Der Nachwuchs hat die Möglichkeit eine eher allgemein ausgerichtete chirurgische Tätigkeit oder sieben Spezialisierungen zu ergreifen. die Allgemeine Chirurgie, die Gefäßchirurgie, die Herzchirurgie, die Kinderchirurgie, die Plastische und Ästhetische Chirurgie, die Thoraxchirurgie, die Unfallchirurgie und Orthopädie und die Viszeralchirurgie.

Offen zu sein für Berufsverbände und Fachgesellschaften auf dem Gebiet der Chirurgie – das ist die Absicht der Kampagne. Deshalb entwickelte man ein vom Corporate Design des BDC unabhängiges, neues Design, das sich insbesondere auf der eigens errichteten Website www.chirurg-werden.de wiederfindet. Dort finden Interessierte auch eine Aufstellung von Charaktereigenschaften, die helfen können, um Chirurgin oder Chirurg zu werden: Dazu gehören auch praktisches Geschick, Flexibilität und die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Chirurgie ist für alle Interessierten eine überlegenswerte Alternative. Jedenfalls sorgten die Postkarten und Plakate, die zum Kampagnenstart auf Informationsveranstaltungen verteilt oder vor Hörsälen aufgehängt wurden, mit ihren mehrdeutigen Slogans für großes Aufsehen. Das Augenzwinkern war natürlich beabsichtigt. Die Botschaft: Spannend und abwechslungsreich wird es auf jeden Fall.

Workshops „Chirurgie zum Mitmachen“

Teil der Kampagne „Nur Mut!“ ist das Angebot von Workshops aus der Reihe „Chirurgie zum Mitmachen“ über die BDC-Akademie. Ziel ist es, Medizinstudierenden das Fach Chirurgie praktisch näherzubringen. Dazu gibt es in den Veranstaltungen verschiedene Arbeitsstationen: zum Beispiel für einen Naht- und Knotenkurs, für die minimalinvasive Chirurgie, einen Gipskurs oder für die Osteosynthese. Einleitende Referate führen in die Themen ein oder haben übergreifenden Charakter, wie zum Beispiel ein Vortrag zu den Karrierewegen in der Chirurgie.

Nachdem etwa anderthalb Jahre lang pandemiebedingt die Veranstaltungen zu „Nur Mut!“ nur als Online-Unterricht erfolgten, starteten am 22.09.2021 mit dem Workshop in Erfurt wieder Präsenzveranstaltungen. Die nächsten Veranstaltungen aus der Reihe sind für den 13.11.2021 in Minden und den 20.11.2021 in Langen geplant.

Nachwuchskongress „Staatsexamen und Karriere“

Auch schon seit 2012 bieten BDC – über die BDC-Akademie – und BDI ein eigens entwickeltes Seminar- und Kongressformat für Medizinstudierende an, das auf die dritte ärztliche Prüfung vorbereitet. Im Mittelpunkt: der praktisch-mündliche Prüfungsteil der beiden Pflichtfächer Chirurgie und Innere Medizin. Mit Videositzungen, Fallbeispielen sowie Tipps und Tricks aus dem Klinikalltag bereiten anerkannte Experten auf die Prüfung vor. Darüber hinaus bieten solche Kongresse auch immer wieder eine hervorragende Möglichkeit, Menschen kennenzulernen, neue Kontakte zu knüpfen und bestehende aufzufrischen. Der letzte Kongress aus dieser Reihe fand vom 1. bis 2. Oktober 2021 in Berlin statt.

Bei der Veranstaltung 2018 gab es zum ersten Mal ein spezielles Beiprogramm, das sogenannte „Clinical Reasoning“. Dabei sprechen die Referenten vor Kleingruppen ihre Überlegungen zur Diagnose und Therapie konkreter Fälle offen aus. Die „richtige Lösung“ wird dann gemeinsam erarbeitet. Um es möglichst authentisch zu gestalten, kennen nicht mal die Mediziner vorab die ausgewählten Fälle. Auch hier ist das Ziel eine möglichst praxis- und realitätsnahe Vorbereitung auf den mündlichen Prüfungsteil.

Chirurgische Woche

Was gibt es darüber hinaus? Zu erwähnen ist insbesondere die Chirurgische Woche, eine Initiative der DGCH und des BDC, die Anfang Oktober 2021 bereits zum neunten Mal stattgefunden hat. Die Referenten – Chirurginnen und Chirurgen verschiedener Fachrichtungen und Ausbildungsstufen – vermitteln mit viel Engagement nicht nur Fachwissen und begleiten praktische Übungen. Auf der Agenda stehen vielmehr auch viele fachübergreifende Themen, wie zum Beispiel die Aus- und Weiterbildung und auch allgemein die Karriereplanung in der Chirurgie.

„Sie für eine chirurgische Laufbahn zu motivieren, ist unser Anliegen“, so haben es die Initiatoren im Veranstaltungsflyer formuliert. Dieses Ziel gilt nicht nur für die Chirurgische Woche, sondern ist das Leitmotiv der Nachwuchsarbeit des BDC als solcher.

Braun B, Wannenwetsch H: „Schnitten“ und „Aufschneider“ dringend gesucht: Mehr Mut zu einem faszinierenden ärztlichen Karriereziel. Passion Chirurgie. 2021 Oktober; 11(10): Artikel 03_02.

Mehr Handwerk geht nicht – Faszination Unfallchirurgie

Nachwuchskampagne Nur Mut!

Mehr Handwerk geht nicht – Faszination Unfallchirurgie

BERUF UND LEBEN ALS UNFALLCHIRURG:IN

Das orthopädische und unfallchirurgische Gebiet deckt die Operation und Rekonstruktion der Verletzungen des Bewegungsapparates ab. Als Arzt/Ärztin kümmert man sich um die gesamte endoprothetische Versorgung des Skelettsystems und die minimalinvasive Gelenkchirurgie.

Die konservativen Therapien von Frakturen sowie Verletzungen und Erkrankungen des muskoloskeletalen Systems werden ebenso abgedeckt. Wichtige Arbeitsbereiche sind die Notfallversorgung von Schwerverletzten und die Therapie von Sportverletzungen, aber auch vorbeugende Maßnahmen gehören zum unfallchirurgischen Arbeitsspektrum. Auf der Facharztqualifikation für Orthopädie und Unfallchirurgie bauen eine Vielzahl von Zusatzweiterbildungen für die klassischen Domänen der Orthopädie oder Unfallchirurgie auf.

Interview mit PD Dr. med. Benedikt Braun

Geschäftsführender Oberarzt und Sektionsleiter Unt. Extremität, Tübingen

Passion Chirurgie: Faszination Unfallchirurgie – was ist für Sie das Beste am Fach?

Benedikt Braun: Das Beste an der Unfallchirurgie ist für mich der irgendwie unmittelbare Charakter des Faches. Gerade in der Akuttraumatologie trifft man auf Patienten mit einem plötzlich eingetretenen Problem, z.B. Knochen gebrochen, und muss und kann es auch oftmals ganz akut helfen. Das ist wahnsinnig befriedigend, da man den Effekt seiner Arbeit sehr unmittelbar wahrnimmt. Es gibt ein Problem, man ergreift eine Lösung und sieht sehr direkt die Auswirkungen davon. Leider manchmal nicht immer ganz so wie geplant, aber auch diese Fälle sind dann wiederum eine Herausforderung das Problem zu lösen. Das ist für mich viel ansprechender als eine Therapie zu verschreiben und monatelang auf einen Effekt zu warten. Das wäre nichts für mich. Natürlich ist es nicht immer so schwarz-weiß und es gibt auch chronische Verläufe, bei denen man Patienten über eine lange Zeit und immer wieder betreuen muss, aber auch da besteht immer ein sehr direkter Draht zum Patienten und zur Verletzung.

Zusätzlich ist natürlich auch der OP eine einmalige Arbeitsumgebung. In der Unfallchirurgie decken wir fast den ganzen Körper ab, ebenso verschiedenste Verletzungen, teilweise anatomisch sehr anspruchsvolle Zugänge, das Handwerkliche, manchmal gröber, manchmal filigran. Da braucht es vor allem ein gutes Teamwork, viel Vorbereitung und in den richtigen Momenten höchste Konzentration und Präzision. Gleichzeitig lässt unser Fachgebiet aber auch Raum für planbarere Eingriffe. Mit Elektiveingriffen aus dem eher orthopädischen Spektrum unseres gemeinsamen Fachbereiches und gut organisierten Sprechstunden, kann man auch einen eher geregelten Tag bestreiten. Eigentlich ist für fast jeden etwas dabei und man kann seine individuellen Bedürfnisse ganz gut abdecken. Vielleicht nicht immer an jedem Ort und in jedem Krankenhaus, aber mit ein wenig Umsicht, kann man sich da etwas Schönes gestalten.

PC: Aus heutiger Perspektive: Was würden Sie Ihrem jüngeren Ich im Studium mitgeben?

BB: Ehrlicherweise nicht viel. Ich habe gerne studiert und meine Studienzeit in Aachen auch sehr genossen. Meine Frau kennengelernt, gute Freunde gefunden. Zeit im Ausland verbracht. Zwar nicht sofort gewusst, welche Fachrichtung ich später einschlagen wollte, dadurch aber auch manche Fächer kennengelernt und gesehen, was diese ausmachen und was „etwas für einen sein könnte“. Ganz ehrlich, so richtig viel mitgeben würde ich mir also nicht. Vielleicht nur: „Mach‘s ruhig nochmal so und mach dir weniger einen Kopf darüber, was später kommt. Es wird schon passen!“

PC: Hand aufs Herz: Wie gelingt die Balance zwischen Beruf und Familie?

BB: Da lege ich gerne die Hand aufs Herz und störe mich daher erstmal an der Formulierung. Ich sehe es absolut nicht als Balance. Leben und Beruf müssen zusammenpassen. Ich fände es sehr unbefriedigend und wehre mich auch gegen die Vorstellung, dass das eine das andere ausschließt, wie es der Begriff Balance ja unweigerlich impliziert. Für die allermeiste Zeit, manchmal flucht man ja schon mal, mache ich meinen Beruf sehr gerne und nehme auch die anderen Tätigkeiten, die mit meiner Arbeit assoziiert sind, sei es für den Berufsverband, für Fachgesellschaften und Berufsvereinigungen oder für die Forschung, mit großer Freude wahr. Das ist ganz explizit ein Teil meines Lebens. Eben kein Brotberuf – das wäre nichts für mich. Dass man in diesem Rahmen nicht immer ganz pünktlich zu Hause ist, oder auch mal ein Wochenende am Schreibtisch verbringt, ist mir vor diesem Hintergrund letztlich egal, vielmehr noch mache ich das gerne, wenn es einem Zweck dient, dem ich mich gerne verschreibe und ich freue mich, dass ich eine Frau habe, die diese Einstellung mit mir teilt und auch entsprechend lebt. Genauso genießen wir aber Zeit, die nichts mit der Arbeit zu tun hat, gehen leidenschaftlich gerne wandern und bergsteigen, verreisen gern (was sich auch sehr gut mit Fachkongressen verbinden lässt) und neuerdings mache ich auch wieder sehr gerne Musik. Ich habe mir gerade eine wunderbare Barockflöte gekauft, mit der ich jetzt versuche alte Musik zu spielen. Das erfordert, je nachdem, was ich gerade übe, tatsächlich die meiste Geduld und Toleranz meiner Frau. Aber für mich gehört das alles zusammen und ich würde nie einzelne Teile davon gegeneinander aufwiegen.

Letztlich ist das aber alles individuell und das ist das Schöne an der Medizin und der Unfallchirurgie im Speziellen. Platz die eigenen Ansprüche zu verwirklichen, gibt es. Manchmal ändern sich auch die Ansprüche und das ist dann auch okay. Es muss ja nicht jeder forschen, oder für Gesellschaften nebenher etwas machen. In dem Fachgebiet ist viel Platz.

PC: Wenn Sie auf Ihre chirurgische Laufbahn schauen: Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?

BB: Die Frage finde ich immer etwas schwierig. Wenn man zu hoch greift, erscheint man unangenehm überheblich, und tiefstapeln ist ja auch irgendwie unehrlich. Wenn mich die letzten Jahre etwas gelehrt haben, dann, dass es immer nicht ganz so kommt, wie man denkt. Mit einer guten Ausbildung ist man aber glücklicherweise für vieles gewappnet und durch einen starken Rückhalt in der Familie und im Freundeskreis kann man sich an eigentlich alle Veränderungen ganz gut anpassen. Und wenn mal etwas nicht passt, muss man sich einfach nochmal umschauen… Ich schätze mich daher glücklich der Zukunft, wie auch immer sie aussehen mag, eher entspannt entgegensehen zu können. Vielleicht ist das ja auch ein Effekt der unfallchirurgischen Ausbildung. Man muss sich auch auf vieles, oftmals unvermittelt einstellen und lernt gut damit umzugehen…

Aber wenn ich jetzt wirklich darauf antworten müsste, wo ich mich in zehn Jahren sehe, dann bezüglich meiner Familie und Freunde gerne in exakt der gleichen Situation. Klinisch gesprochen, kann ich mir schon gut vorstellen in einer leitenden Position tätig zu sein und mir ein gutes Team in einer entsprechenden Abteilung aufzubauen. Zumindest im Moment fände ich das eine spannende Herausforderung.

PC: In schwierigen Zeiten – was oder wer hat Sie motiviert dranzubleiben?

BB: Die wichtigste Stütze ist tatsächlich meine Frau. Sie ist nicht nur in den schwierigen Zeiten mein wichtigster Motivator, sondern auch in den guten, wovon es glücklicherweise viel mehr gibt. Wir versuchen, uns eigentlich in allen Belangen aktiv zu unterstützen und binden uns gegenseitig in die großen und kleinen Entscheidungen ein. Privat sowieso, aber auch beruflich. So ist meine Frau auch sehr versiert in der Unfallchirurgie, obwohl sie eigentlich Gynäkologin ist. Aber auch meine weitere Familie und meine engsten Freunde sind mir in diesem Belang sehr wichtig. Das ist für mich ein Umfeld, mit dem ich über alles sprechen kann und wo ich einen ehrlichen Rat bekomme – ob er mir immer direkt gefällt oder nicht.

PC: Gab es ein entscheidendes Erlebnis, das Sie motiviert hat?

BB: Nicht wirklich. Es sind eher immer die vielen kleinen Dinge, die in der Summe ein ständiger Motivator waren. Aber das eine einschneidende Erlebnis, von dem viele immer sprechen, gab es bei mir bisher noch nicht. Ist aber auch okay, der ganze Weg bisher hat mir viel Freude bereitet und viele kleine Dinge motivieren mich immer wieder.

PC: Wie wichtig war für Sie ein Netzwerk und welches Netzwerk war hilfreich?

BB: Auch wenn ich diesen Begriff nicht so gerne mag, weil er immer so ein wenig nach Karrierist klingt, gibt es natürlich „Netzwerke“, die für mich sehr wichtig waren. Über meine Familie und Freunde habe ich ja schon gesprochen. Aber auch beruflich gibt es da einige, die mir einfallen würden. Zum einen sind das die Kollegen, die einem ganz unmittelbar in der Klinik helfen, in der Ausbildung allgemein oder auch bei schwierigen OPs und Fällen. Da sind meine bisherigen beiden Chefs (Professor Pohlemann und Professor Histing), die mir extrem dabei geholfen haben, mich beruflich so entwickeln zu können, und die mir auch weiterhin wahnsinnig dabei helfen mich weiterzuentwickeln. Dafür bin ich extrem dankbar. Darüber hinaus sind es bei mir natürlich auch der BDC und die Arbeit mit dem Perspektivforum der DGCH, über die ich an vielen Stellen die Möglichkeit habe, aktiv an der chirurgischen Ausbildung etwas mitzugestalten. Und zu guter Letzt die AO, eine Unfallchirurgen Vereinigung, über die ich neben viel Forschungsunterstützung auch die Möglichkeit habe, Entwicklungsprozesse auf unserem Fachgebiet in einem internationalen Team mitzugestalten. Das bringt neben vielen interessanten Kontakten verstreut über den Globus auch tolle Möglichkeiten, für die ich wahnsinnig dankbar bin. Und da läuft auch alles zusammen. Solche Möglichkeiten bekommt man nur mit viel Unterstützung und der zeitliche Aufwand für diese Tätigkeiten und die damit verbundenen Reisen gehen nur mit dem nötigen Rückhalt – alleine schafft man das alles nicht. Ein Netzwerk zum Netzwerk quasi ist also extrem wichtig für mich und ich hoffe, die betroffenen Personen wissen auch, wie dankbar ich Ihnen dafür bin.

Für das Fach Chirurgie begeistern, ganzheitlich informieren und unterstützen – das ist die Mission der Nachwuchskampagne „Nur Mut! Kein Durchschnittsjob: ChirurgIn“ des BDC. In der neu aufgelegten Interviewreihe wollen wir die Facetten der Chirurgie transparent machen und zeigen, wie junge Chirurgen und Chirurginnen ihren Beruf leben.

www.chirurg-werden.de

Braun B: Nachwuchskampagne NurMut! Mehr Handwerk geht nicht – Faszination Unfallchirurgie. Passion Chirurgie. 2021 Juli/August; 11(07/08): Artikel 04_02.

„Fragt mich alles!“ – BDC-Nachwuchsbeauftragter Benedikt Braun stellt sich den Fragen einer internationalen Community

BDC-NACHWUCHSBEAUFTRAGTER BENEDIKT BRAUN STELLT SICH DEN FRAGEN EINER INTERNATIONALEN COMMUNITY

„Wenn ich perspektivisch an plastischer Chirurgie interessiert bin, soll ich den Common Trunk lieber in der Gefäß- oder Unfallchirurgie absolvieren?“, „Wie kann ich mein Interesse an Forschung im Lebenslauf kenntlich machen?“, „Auf welche Fragen im Bewerbungsgespräch kann ich mich vorbereiten?“ – diese und viele weitere Fragen konnten im März 2021 Medizinstudierende und junge Ärzte und Ärztinnen aus ganz Europa und der Welt an PD Dr. Benedikt Braun, Nachwuchsbeauftragter des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgen (BDC) und geschäftsführender Oberarzt in der Klinik für Unfall- und Wieder­herstellungschirurgie der BG Klinik Tübingen stellen.

In dem Format „Ask me anything” im sozialen Netzwork Reddit, genauer auf r/medicalschoolEU, einem Forum von knapp 4.000 Mitgliedern, beantwortete er auf Einladung des Moderationsteams drei Stunden lang Fragen unter anderem aus Belgien, den Niederlanden, Polen, Ungarn, Portugal, Brasilien, den USA zur chirurgischen Facharztweiterbildung in Deutschland, der Stellensuche und der Karriereplanung – ein Angebot, dass insbesondere in Zeiten der COVID-Pandemie, die Hospitationen, Famulaturen und den Austausch auf Messen erschwert, gerne angenommen wurde.

Eine Frage, die gleich zwei Mal unabhängig voneinander gestellt wird, betrifft die für die Chirurgie notwendigen Handfertigkeiten. „Manchmal habe ich das Gefühl, dass meine Handfertigkeiten nicht so gut sind, wie ich hoffe.“ – PD Dr. Braun ermutigt: „Sie können sich beruhigen. Es gibt sicherlich junge Assistenzärzt:innen, die zu Beginn begabter sind als andere, aber im Verlauf der Weiterbildung gibt es so viele Möglichkeiten zu trainieren, dass die Fertigkeiten sich in jedem Fall verbessern werden.“

Der BDC informiert Chirurgie-interessierte Studierende mit der Kampagne „Nur Mut! Kein Durchschnittsjob: ChirurgIn“ über die vielen Facetten und Spezialisierungsmöglichkeiten innerhalb der Chirurgie. Zu den praktischen Tools, die auf der Internetseite der Kampagne angeboten werden, gehört unter anderem eine Checkliste für die Auswahl einer Weiterbildungsstätte.

Interessierte können die Fragen und Antworten auch im Nachgang des Formats HIER nachlesen. Auf r/medicalschoolEU findet sich ein englischsprachiger Guide für ausländische Medizinstudierende und Absolvent:innen, die noch am Anfang des Deutschlernens stehen. Jeden Dienstag findet ein virtueller Austausch zur Weiterbildung in Deutschland statt.

Braun B: „Fragt mich alles!“ – BDC-Nachwuchsbeauftragter Benedikt Braun stellt sich den Fragen einer internationalen Community. Passion Chirurgie. 2021 Mai; 11(05): Artikel 04_03.

60 Jahre BDC: Nachwuchschirurgen mit klaren Zukunftsvorstellungen

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Es liegt nahe zu einem Jubiläumsanlass, die Gedanken in die Vergangenheit schweifen und eigene Erlebnisse und Erfahrungen wieder aufleben zu lassen. Den am ersten Viertelpunkt seines beruflichen Lebensweges stehenden Chirurgen drängen sich jedoch eher Fragen zur Zukunft unseres faszinierenden Fachgebietes auf. Eine ganz zentrale Frage betrifft den chirurgischen Nachwuchs. Nachwuchssorgen bedrücken alle medizinischen Fachgebiete. Lösungswege zu erarbeiten sollte eine der vornehmsten Aufgaben einer Standesorganisation sein. Zunächst gilt es, ausreichend Kollegen für das Fach zu gewinnen und zu begeistern; genauso wichtig ist es jedoch die richtigen zu finden und noch wichtiger sie zu motivieren und gut auszubilden.

Entsprechend einem Klassiker unter den Vorurteilen gerade älter eingesessener Chirurginnen und Chirurgen will der Nachwuchs eigentlich alles nur auf dem Silbertablett: Etwas überspitzt formuliert, dürfte es danach in Zukunft nur absolut planbare Eingriffe geben mit festen Schnitt- und Nahtzeiten, ohne Gefahr der Überschreitung der Regelarbeitszeit, denn Arbeit ist eben nicht Leben, pünktlicher Feierabend, dann Freizeit – eine Balance zwischen „Work“ und „Life“. Und wenn die OP zu lange dauert, muss man diese vielleicht zwischen mehreren Operateuren teilen – quasi „surgery sharing“ als Maximalvariante des „Job sharing“.

Dieses Vorurteil verkennt aber doch in seiner pauschalisierenden Art manch berechtigten Anspruch der nachwachsenden Generation. Diese Vorstellungen anzuerkennen und zu berücksichtigen, ist ein wesentlicher Schritt, um junge Ärzte für unser Fachgebiet zu interessieren und dem zunehmend empfundenen Nachwuchsmangel (vgl. Vallböhmer et. al, Passion Chirurgie 2018) zu begegnen. Die aktuelle Weiterbildungsumfrage des BDC und Perspektivforums Junge Chirurgie zeigt ganz deutlich, dass es auf die reine Arbeitszeit viel weniger ankommt, als auf den Inhalt der Arbeit. Arztfremde Tätigkeiten und ein mit Aufgaben fern von der Patientenversorgung überfrachteter Alltag sind wesentliche Faktoren die zur Unzufriedenheit des Nachwuchses führen. Wer hier einen zukunftsträchtigen Arbeitsplatz schaffen will, der sollte den Tagesablauf seiner Weiterbildungsassistenten genau analysieren. Wo werden sinnvolle, versorgende Tätigkeiten ausgefüllt, wo sind vielleicht weniger beliebte, aber notwendige Tätigkeiten und wo solche, die problemlos auch auf andere Berufsgruppen übertragen werden könnten.  Bei adäquater Delegation führt das nicht nur zur Zufriedenheit beim ärztlichen Personal, sondern es lohnt sich auch betriebswirtschaftlich. Gleiches gilt auch für die Kinderbetreuung. Gemäßigte Überschreitungen der Arbeitszeit sind weniger relevant, wenn die eigenen Kinder gut betreut sind. Auch hier gibt es deutschlandweit tolle Beispiele und Nachweise zu den Effekten hinsichtlich der Mitarbeiterzufriedenheit bei gleichzeitiger Rentabilität.

Die Jobzufriedenheit im Fach Chirurgie ist nach einer großen Umfrage unter Weiterbildungsassistenten auch von einer fairen und transparenten Verteilung von Weiterbildungsoperationen abhängig; mehr als 70 Prozent (!) der Umfrageteilnehmer beklagen ein Fehlen einer fairen, dafür aber oft von der Sympathie der Op-Organisatoren abhängige, Verteilung der Operationen oder anderer ausbildungsrelevanter Eingriffe. Neben einem Bewusstsein für die Problematik können moderne Softwarelösungen mehr Transparenz und Gerechtigkeit schaffen. Auch gut organisierte Klinikfortbildungen, Unterstützung bei externen Weiterbildungsmaßnahmen, Mentoring durch erfahrenere Klinikmitarbeiter, Logbücher und Weiterbildungsgespräche, die ordnungsgemäß geführt werden, sind Punkte, die laut der zitierten Umfrage sowohl das Fach Chirurgie wie auch die Ausbildungsstätte attraktiv machen. Wir, die erfahreneren Chirurgen, sind es, die den Nachwuchs, die künftigen Mitarbeiter, heranziehen und fachlich qualifizieren. Wer einen solchen Rahmen für die Weiterbildungsassistenten schaffen kann, der darf der Zukunft entspannt entgegen schauen.

 Weitere Anregungen zum Thema bieten die Kurse, Arbeiten und auch Themenreferate unseres Jubiläumsprotagonisten BDC. Mit Analysen der Bedürfnisse von Weiterbildungsassistenten, Publikationen und Fortbildungen wird das mittlerweile 60-jährige Geburtstagskind nicht müde für diese Verbesserungen einzustehen und bei den Studierenden mit seinen Fortbildungen und Informationsveranstaltungen einen fruchtbaren Boden zu bereiten, auf dem dann durch persönliche Begeisterung und gute Arbeitsverhältnisse der Nachwuchs von morgen heranwachsen kann. Last not least: Den perfekten Arbeitsplatz gibt es schlicht nicht. Bedürfnisse und Ansprüche an einen idealen Berufszustand schwanken interindividuell und im Laufe der Karriere auch intraindividuell, trotz der gerne pauschal wahrgenommenen Nachwuchsgeneration. Es liegt also immer auch ein großes Stück Eigenverantwortung in der Wahl der späteren Ausbildungsstelle. Das verbirgt sich im neudeutschen Wort „Career fit“. Diesen Kompatibilitätscheck zwischen eigenem Anspruch und angebotener Stelle muss jeder für sich selbst machen.

 

Durch Hospitation die Nische finden, die einen glücklich macht

BDC-Nachwuchsbeauftragter Dr. Benedikt Braun im Gespräch auf arzt & karriere, dem Karriereportal für Mediziner über die Gründe, warum eine fachärztliche Weiterbildung zum/zur ChirurgIn eine hervorragende Option ist, Tipps für Nachwuchsmediziner die geeignete Weiterbildungsstelle zu finden und warum das Work-Life-Balance-Argument nicht greift.

Gründe für eine Weiterbildung im Fach Chirurgie. Die Chirurgie bietet die große Chance – wie kaum ein anderes Fach, eine Nische zu finden, die Mediziner auf lange Sicht erfüllt und glücklich macht. Das stärkste Argument den Chirurgenberuf zu ergreifen, ist der unmittelbare Charakter des Fachs. Oftmals handelt es sich um eindeutige, akut aufgetretene Erkrankungen oder Verletzungen, die eine möglichst schnelle Lösung für den Patienten erfordern. Auch der OP ist ein starkes Argument für das Fach – sicherlich eine Arbeitsumgebung wie keine andere. Die Arbeit erfordert eine gute Vorbereitung, Teamarbeit und höchste Konzentration und Präzision, und das für eine Vielzahl von Operationen mit ganz unterschiedlichen Herausforderungen. Wem das nicht liegt, der hat in der Chirurgie die Möglichkeit, mit Elektiveingriffen und gut organisierten Sprechstunden einen weitestgehend geregelten Tag ohne große Überraschungen zu gestalten.

Konkrete Tipps zur fachärztlichen Weiterbildung. Eine Hospitation ist die ideale Gelegenheit, den künftigen Arbeitsplatz kennenzulernen. Ein erster Eindruck vom Haus und direkte Einblicke in die Arbeitsumgebung helfen, wichtige Fragen zu klären:

  • Wie ist die Stimmung im Team?
  • Sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zufrieden?
  • Kann der OP-Katalog für die Facharztausbildung fristgerecht absolviert werden?
  • Wie sind die Arbeitszeiten und Überstundenregeln?
  • Gibt es Möglichkeiten, einen eigenen klinischen Schwerpunkt zu verfolgen?
  • Wie sieht es mit der Forschung aus, etwa in Bezug auf Finanzierung und Arbeitsgruppen?

Das sind wesentliche Fragen, die angehende Mediziner auf ihre eigenen Bedürfnisse zuschneiden sollten. Ein kleiner Tipp noch für alle Hospitanten: Wer wirklich wissen will, wie es mit der operativen Weiterbildung aussieht, der sollte sich einfach mal im OP-Plan die Mitarbeiter-Einteilungen der letzten Wochen zeigen lassen. Das beantwortet oft schon viele Fragen.

Work-Life-Balance “nur“ ein Schlagwort. Der Begriff Work-Life Balance suggeriert, dass Arbeit und Leben streng voneinander getrennt sind. Viele gehen – meistens – sehr gerne zur Arbeit und haben große Freude daran, ihren Beruf auszuüben. Die Arbeit als Chirurg ist also nicht diametral dem eigenen Leben gegenübergestellt, wie es der Begriff der Balance nahelegt, sondern ein ganz wesentlicher Teil des Medizinerlebens. Inwieweit die Rahmenbedingungen zu jedem einzelnen Chirurgen passen, hängt sicherlich vom Anspruch ab und ist immer auch mit einer gewissen Prise Realismus zu beurteilen. Angehende Mediziner, die gerne bei langen und aufwendigen Operationen mitwirken und diese irgendwann eigenverantwortlich durchführen wollen, können nicht erwarten, jeden Tag zur selben Uhrzeit zu Hause zu sein. Anders herum besteht immer auch die Möglichkeit, innerhalb des Fachbereichs eine Weiterbildung und Spezialisierung zu finden, die eine deutlich höhere Planbarkeit erlaubt.

Hier geht’s zum vollständigen Interview: https://arztundkarriere.com/weiterbildung/chirurgie-weiterbildung/

Medizin für den Menschen: Gesundheit vor Gewinn – Gedanken zum offenen Brief des Bündnisses Junger Ärzte vor dem Hintergrund des Nachwuchsmangels

Die aktuelle Covid-19-Pandemie führt uns die Leistungs- und Adaptationsfähigkeit unseres Gesundheitssystems vor Augen: Die adäquate Behandlung von Covid-19 infizierten Patienten und den resultierenden gesundheitlichen Folgen, aber auch anderer notfallmäßig und dringlich zu behandelnder Erkrankungen und Verletzungen ist, befreit von einigen bürokratischen Fesseln, effizienter möglich geworden. Ökonomische Nachteile wurden selbstverständlich in Kauf genommen, um Kapazitäten und Behandlungsqualität für das medizinisch notwendig Gebotene zu schaffen. Die täglich aktualisierten Statistiken wiesen durchgehend Reservekapazitäten für Intensivpatienten auf, die Mortalitätsrate war in Deutschland stets sehr niedrig. Es konnten sogar zusätzlich noch Kapazitäten vorgehalten werden, um Erkrankte aus dem Ausland zu behandeln – insgesamt ein beachtlicher Erfolg unseres Systems und seiner „Akteure“. Dabei bestehen die Nachwuchssorgen, gerade auf dem Gebiet der Chirurgie, ungeachtet weiter. Drohend die von PWC und Wifor berechnete Facharztlücke von über 20 % für 2030 im Hinterkopf [1] fragt man sich: Wie würde eine Krise dann aussehen, wenn wir jetzt nicht gegensteuern?

Aus diesem Gedanken der hohen Leistungsfähigkeit bei weniger Bürokratie ist unter Beteiligung des Nachwuchsressorts des BDC durch das Bündnis Junger Ärzte ein offener Brief an Frau Bundeskanzlerin Merkel und Herrn Bundesgesundheitsminister Spahn entstanden. Hierin werden zum einen die durch die politischen Rahmenbedingungen des deutschen Gesundheitswesens mitbedingte bedenkliche Profitmaximierung mancher Träger, wie auch die zunehmende Bürokratisierung unseres ärztlichen Alltages und letztlich ganz allgemein die oftmals nachwuchsabschreckenden Rahmenbedingungen während der Ausbildung zum Facharzt als verbesserungswürdige Zustände aufgeführt. Der Brief endet mit einem Appell zum Dialog – Antworten und resultierende Maßnahmen bleiben aktuell noch abzuwarten.

Wir möchten daher ganz gezielt diesen Brief aufgreifen und analysieren, inwieweit diese Forderungen auch auf die Chirurgie zutreffen und wo Möglichkeiten bestehen für die einzelnen Kliniken, ganz konkret anpacken zu können, ohne auf eine mitunter träge und oftmals leider auch kompromissbehaftete politische Lösung warten zu müssen.

Forderung 1 aus dem offenen Brief: „Ende der Profitmaximierung entgegen dem Patientenwohl: Menschen sollten keine Untersuchungen oder Behandlungen erhalten, nur, weil sie ökonomisch lukrativ sind. Das bisherige Vergütungssystem mit seinem Drang nach Effizienzsteigerung setzt genau diesen Fehlanreiz. Die Folge: Ärzten wird es erheblich erschwert, ihrer Fürsorgepflicht nachzukommen und frei zu entscheiden.“

Ein Krankenhaus muss für den Träger tragbar sein, sonst ist seine Existenz bedroht. Diese Grundannahme ist unter den Rahmenbedingungen in unserem System unabdingbar, der Fokus von Krankenhausverwaltungen, einen rentablen Betrieb zu führen, also per se verständlich und notwendig. Das trifft auf die Chirurgie, wie auch auf alle anderen Bereiche zu. Gleichsam sollte es in der Verantwortung eines jeden Arztes liegen, Eingriffe und Behandlungen nach der eigenen Überzeugung von medizinischer Notwendigkeit vorzunehmen und nicht nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten – hier ist Eigenverantwortung gefragt! Trotzdem aber wird von einigen Weiterbildungsassistenten standortabhängig eine unterschiedlich ausgeprägte Bevorzugung von betriebswirtschaftlich dienlichen Eingriffen zu Lasten anderer, weniger ertragsträchtiger Prozeduren wahrgenommen. Ein maßvoller Umgang mit diesem Punkt wird für die Nachwuchsgewinnung zunehmend relevant und sollte von Klinikverwaltungen bedacht werden. Auch politisch sollten solche Konfliktsituationen durch eine entsprechende, kontinuierliche Anpassung der Vergütung vermieden werden. Wie wichtig die Ausrichtung der Krankenhausverwaltung und eine Förderung der Weiterbildung durch selbige für den Nachwuchs ist, zeigt sich auch in der aktuellen Weiterbildungs-Umfrage des BDC; ein wichtiger Motivationsfaktor, der aber nach Meinung vieler Assistenten nur unzureichend umgesetzt wird [2].

Natürlich ist eine gute chirurgische Ausbildung aller Assistenzärztinnen und -ärzte für einen Träger alleine schon durch die bei assistenzärztlich durchgeführter Versorgung längere OP-Zeit auf den ersten Blick etwas teurer [3], allerdings kann ein größeres Krankenhaus ohne Weiterbildungsassistenten kaum alle Leistungen adäquat und in der gewohnten Form anbieten. Eine Gegenrechnung, die oftmals in dieser Diskussion und in Studien außer Acht gelassen wird.

Forderung 2 aus dem offenen Brief: „Bürokratieabbau und Digitalisierung: Schluss mit den endlosen Dokumentationen zur Begründung von medizinischen Selbstverständlichkeiten. Wir Ärztinnen und Ärzte benötigen Zeit für unsere Patienten. Nötige Dokumentationen können verstärkt von zusätzlichem Fachpersonal vorgenommen werden.“

Ein gesteigerter Bürokratieaufwand schreckt ab. Wie die aktuelle Weiterbildungsumfrage des BDC zeigt, trifft dies auf die Chirurgie ganz besonders zu. Gefragt, wodurch sie die Attraktivität der Chirurgie am wesentlichsten eingeschränkt sahen, gab die überwältigende Mehrheit der Befragten die grundsätzlichen Rahmenbedingungen an, führend dabei prinzipiell delegierbare Tätigkeiten, unter diesen ganz besonders den bürokratischen Dokumentationsaufwand (Abb. 1).

Abb. 1: Umfrage des BDC unter den AssistenzärztInnen in 2019

Ungeachtet der Motivation, den Nachwuchs zu gewinnen, wäre eine eingehende Analyse der prinzipiell delegierbaren Tätigkeiten für den Krankenhausträger auch wirtschaftlich relevant. Wie die Umfrage zeigt, machen diese Tätigkeiten bei den Weiterbildungsassistentinnen und -assistenten im Mittel über 2 Stunden pro Tag aus, was einen immensen Kostenfaktor darstellt [2, 4], der von den allermeisten Trägern aber als Regulationsmaßnahme ungenutzt bleibt. Hier besteht für viele Klinikverwaltungen ein eindeutiger Besserungsbedarf, der nicht nur zu einer besseren Mitarbeiterzufriedenheit führen dürfte, sondern auch betriebswirtschaftlich sinnvoll ist. Auch für die Politik wäre es ein starkes Signal, Weiterbildungseingriffe, die entsprechend assistiert wurden, mit einer zusätzlichen Vergütung zu versehen – eine elegante, wenn gleich bis dato ungenutzte Lösungsmöglichkeit.

Politisch sollten darüber hinaus die vielen Aufwände überdacht und möglichst gemeinsam mit der Ärzteschaft auf ein sinnvolles Maß reduziert werden. Ein mühsamer Prozess, für den die Bereitschaft zur Begleitung aber gerade im Nachwuchs extrem hoch ist. Ansonsten liegt auch hier wieder die Verantwortung bei den Klinikträgern und leitenden Ärzten, durch eine individuelle Analyse der Entlastungsmöglichkeiten vor Ort die eigene Wirtschaftlichkeit zu stärken und dadurch noch an Attraktivität für den Nachwuchs zu gewinnen.

Forderung 3 aus dem offenen Brief: „Wissende Ärzte für eine zukunftsfähige Medizin: Für uns junge Ärztinnen und Ärzte ist es essenziell, dass wir zu guten Fachärzten werden. Die entsprechende Weiterbildung ist nur mit einer ausreichenden Personalausstattung möglich. Wenn ältere Ärzte ihr Wissen und ihre Fähigkeiten nicht mehr an Jüngere weitergeben können, weil ihnen die Zeit dazu fehlt, stehen wir vor einem dramatischen Qualitätsverlust, der uns allen schadet.“

Die Rahmenbedingungen, unter denen wir unseren Beruf ausüben, sind der wesentliche Faktor zur Wahl eines chirurgischen Faches beim Nachwuchs! Umfrageergebnisse und persönliche Gespräche bestätigen die überwältigende Relevanz gerade für die Chirurgie immer wieder [5, 6]. Die Bedingungen während der Arbeit sind dabei vielen Chirurginnen und Chirurgen auch wichtiger als die oftmals müßig geführte Diskussion um eine Work-Life Balance [7]. Wenn die Arbeitszeit mit sinnvollen Tätigkeiten gefüllt ist, wird sie als reine Funktion der Zeit weniger relevant. Angehende Chirurginnen und Chirurgen wollen in den OP, wollen Patienten behandeln, helfen. Das macht den Beruf aus – das schafft auch einen Weg aus der zunehmend als relevant erkannten Gratifikationskrise im Spannungsfeld aus langen Arbeitszeiten, die mit oftmals als sinnlos erachteten Tätigkeiten gefüllt sind und unzureichend vergütet werden. Arztfremde Tätigkeiten und die Delegation dieser bleibt den Umfragen nach einer der relevantesten Motivationsfaktoren auf diesem Gebiet [2]. Darüber hinaus gibt es aber auch weitere Möglichkeiten, die Rahmenbedingungen der chirurgischen Weiterbildung zu verbessern. Beginnend bei transparenten Operationskatalogen über adäquate Kinderbetreuung hin zu flexibleren Arbeitszeitmodellen, liegen verschiedenste Möglichkeiten vor, die allesamt schon an einzelnen Standorten oder auch in anderen Medizinsystemen besser umgesetzt sind, teilweise wissenschaftlich aufbereitet sind und so auch als Modell für weitere Kliniken dienen könnten. Wenn wir an diesen Punkten die Situation der Weiterbildungsassistentinnen und -assistenten nachhaltig verbessern, sollte sich auch die Problematik des Nachwuchsmangels in der Chirurgie deutlich entspannen, die sich aktuell bei zunehmender Exposition der Studierenden zur Chirurgie ja eher verschärft [6] und von vielen leitenden Chirurgen auch schon deutlich wahrgenommen wird [8].

Fazit

Die Gedanken aus dem offenen Brief und auch aus diesem Artikel sind nicht neu. Ein Blick durch die Literatur zeigt, dass diese schon wiederholt und an verschiedensten Stellen zu Papier gebracht wurden. Getreu dem Motto „steter Tropfen höhlt den Stein“, fassen auch wir sie hier noch einmal zusammen und wollen als Beigabe und zur Nachlese noch einmal gesondert auf eine Auswahl interessanter Artikel hinweisen (siehe Infobox). Eine Beschäftigung mit dem Thema lohnt sich! Bei gesteigerter Wechselbereitschaft wird sich die Nachwuchsproblematik letztlich auch durch eine Wahl mit den Füßen weiter zuspitzen. Auch die Politik lässt dabei viele bekannte Lösungsmöglichkeiten offen, nachhaltig einen Nährboden für gut ausgebildeten Nachwuchs für die Medizin insgesamt und für die Chirurgie im Speziellen zu schaffen. Dieser Artikel soll daher ein Appell an uns alle sein, die Lösungsmöglichkeiten, die in unserer Reichweite liegen, zu ergreifen, um unser Gesundheitssystem auch in Zukunft leistungsfähig zu halten.

Interessante Artikel zum Thema

Nachwuchsmangel allgemein:

Kasch et al. Zentralblatt für Chirurgie 2016 [5]; Umfrageanalyse unter mehr als 9000 Studierenden zu den Attraktivitätsfaktoren bei der Facharztwahl

Berufsmonitoring Medizinstudierende 2018 [6]; Analyse der gesamten Weiterbildungssituation Medizinstudierender von der bvmd, KBV, MFT und Universität Trier

Vallböhmer et al. Passion Chirurgie 2018 [8]; Umfrageanalyse zur Wahrnehmung des Nachwuchsmangels bei mehr als 700 leitenden Chirurginnen/Chirurgen

Sonderheft zum Thema Nachwuchsmangel in der Innovative Surgical Sciences 2019 [9]; Sonderheft zu verschiedenen Themen aus dem Bereich Nachwuchs und Chirurgie in der ISS

Schneider et al. Der Chirurg 2020 [10]; Umfrageanalyse zur Motivation Studierender Chirurg/-in zu werden

Wifor/PWC Fachkräftemangel Gesundheitswesen 2010 [1]; Analyse zum Fachkräftemangel im Gesundheitswesen bis zum Jahr 2030

Braun et al. Passion Chirurgie 2019 [2]; aktuelle Weiterbildungsumfrage von BDC und PFJC

Familie und Beruf/Work Life Balance:

Fritze-Büttner et al. Zentralblatt für Chirurgie 2017 [11]: Operieren während der Schwangerschaft

Fritze-Büttner et al. Zentralblatt für Chirurgie 2019 [12]: Vereinbarkeit von Familie und Beruf, besonders für Chirurginnen

Herath et al. ISS 2019 [13]; Umfrage und persönliche Erfahrungen eines Ärzteehepaares zum Thema Familie und Beruf

Braun et al. Der Chirurg 2018 [7]; Gedanken zur „Work Life Balance“ und Nachwuchsmangel in der Chirurgie

Wirtschaftlichkeit/OP/Nachwuchs:

Schackmar Promotionsarbeit 2012 [14]: Promotion zu den Kosten, die durch korrekte Assistenz von OPs durch Weiterbildungsassistenten entstehen

Saliba et al. Journal of the American College of Surgeons 2016 [3]; Analyse von mehr als 1.000.000 Behandlungen zu OP Zeiten, Morbidität und Mortalität bei Weiterbildungseingriffen

andere Kostenanalyse

Kneist et al. Der Chirurg 2016 [15]; Analyse zur Einführung eines transparenten OP Planes

Braun B, Rüggeberg J: Medizin für den Menschen: Gesundheit vor Gewinn – Gedanken zum offenen Brief des Bündnis Junger Ärzte vor dem Hintergrund des Nachwuchsmangels. Passion Chirurgie. 2020 September, 10(09): Artikel 04_02.