Alle Artikel von Benedikt Braun

Künstliche Intelligenz, Computer Vision und Bildgebung in der Unfallchirurgie

Kaum ein Fach ist in Diagnostik und Verlaufsbeurteilung so sehr abhängig von bildgebenden Verfahren wie die Unfallchirurgie. Von Sonographie über konventionelles Röntgen, Computertomographie (CT) und Magnetresonanztomographie (MRT) bis hin zu weiteren Spezialbildgebungen sind wir für eine hochaufgelöste Darstellung des Bewegungsapparats auf diese Verfahren angewiesen. Die moderne Bildgebung ermöglicht uns, Verletzungen frühzeitig und genau zu diagnostizieren und den Heilungsprozess zu beurteilen. Alle diese Verfahren waren aber bis vor wenigen Jahren in der Beurteilung im Wesentlichen auch von der beurteilenden Person abhängig. Konzentration, Aufmerksamkeit, Erfahrung und Ausbildung sind dabei nur einige Faktoren, warum die Beurteilung dieser Modalität teilweise mit einer hohen Interobserver-Variabilität vergesellschaftet ist.

Künstliche Intelligenz (KI) hat ein großes Potenzial, die Bildgebung in der Unfallchirurgie weiter zu optimieren. Der Teilbereich der KI, der hier im Wesentlichen zum Einsatz kommt, ist das Feld der sogenannten „Computer Vision“ [1]. Hierbei werden maschinelles Lernen und komplexe neuronale Netzwerke eingesetzt, um es Computern zu ermöglichen, Informationen aus klinischen Bildern und visuellen Eingaben zu erfassen, zu analysieren und zu interpretieren. Eines der ganz wesentlichen Ziele ist dabei eine verbesserte Diagnosegenauigkeit, die ermöglichen soll, dass gerade subtile und selten auftretende Verletzungen besser erkannt werden können, aber auch, dass besonders schwerwiegende Verletzungen mit entsprechenden klinischen Konsequenzen nicht übersehen werden. Nicht nur in der Akutdiagnostik, sondern auch in der Nachbehandlung besteht großes Potential für den Einsatz von Computer-Vision-Methodiken. Durch eine bessere Erkennung des Heilungsverlaufs von Frakturen ist zu erwarten, dass die Nachbehandlung bezüglich Belastung und Bewegung zukünftig individueller angepasst werden kann. Daneben versprechen KI-Algorithmen auch eine Effizienzsteigerung: zeitraubende Routineaufgaben, wie etwa die Vermessung der Beinachsen, können durch neuronale Netze schneller und genauer durchgeführt werden [2].

Wie weit diese Techniken aktuell schon verbreitet sind, sieht man daran, dass wir bereits im klinischen Alltag zunehmend mit KI-gestützten Analysetechniken konfrontiert werden. Boneview Trauma (gleamer.ai) und andere bereits jetzt kommerziell erhältliche Systeme sind dabei sicherlich erst der Beginn der zunehmenden Verbreitung dieser Form der Bildbeurteilung. Wir möchten in diesem Artikel daher kurz die Grundlagen der Technik und damit verbundene Herausforderungen vorstellen, um im Anschluss vor diesem Hintergrund zukünftige Entwicklungen zu diskutieren.

Funktionsweise

Zum Einsatz der Technik können grundsätzlich verschiedene Arten von Bilddaten als Input verwendet werden. Häufig sind hier aktuell vor allem konventionelle Röntgen- und CT-Bildgebung zu nennen. Um ein entsprechendes Modell zu konstruieren, das über konventionelle Statistik hinausgeht und auch komplexe, nichtlineare Beziehungen zwischen individuellen Bildmerkmalen und einem Befund erkennt, gibt es verschiedene Herangehensweisen [1, 3]. Ganz grob unterscheidet man dabei zwei grundsätzliche Techniken, die aktuell im medizinischen Bereich häufiger zur Anwendung kommen. Das sogenannte „Supervised Learning“, bei dem es zu jedem Bild eine menschliche Aussage als Vorgabe für das Modell gibt. In diesem Fall werden korrekte Wertungen des Modells belohnt und falsche Wertungen bestraft. So lernt das neuronale Netz, die menschliche Wertung nachzuahmen. Die zweite Technik ist das sogenannte „Unsupervised Learning“. Hier sind die menschlichen Wertungen für die Bilder nicht vorhanden und das neuronale Netz wird stattdessen darauf trainiert, ein allgemeines Bildverständnis zu entwickeln, indem es beispielsweise maskierte Bildbereiche vorhersagen muss. Meist werden diese Techniken hintereinander angewandt, d. h. das Modell entwickelt durch Unsupervised Learning anhand einer großen Datenmenge zunächst ein generelles Verständnis der Bildinhalte (beispielsweise, dass ein Röntgenbild schwarz-weiß ist und Knochenkonturen in der Regel kontinuierlich verlaufen), bevor es in einem zweiten Schritt im Supervised Learning dazu gebracht wird, eine konkrete Fragestellung zu beantworten („Fraktur ja oder nein“). Zur Erstellung des Modells werden die Bilddaten in Trainings- und Testsets aufgeteilt. Eine gebräuchliche Aufteilung ist hier ein Split von 80:20. Das Modell wird basierend auf den Trainingsdaten erstellt, während die Testdaten zur anschließenden Validierung dienen. Durch das Aufteilen der Daten wird vermieden, dass sich das Modell zu sehr an die Trainingsdaten anpasst („Overfitting”). Eine weitergehende Einführung in die Technik, wie auch die damit verbundene Nomenklatur im orthopädisch-unfallchirurgischen Kontext kann in folgenden Publikationen im Detail nachgelesen werden: Lisacek-Kiosoglous et al [3] und Prijs et al [1].

Anwendungsbeispiele

Detektion von Frakturen

Der vielleicht naheliegendste Anwendungszweck für Computer Vision auf unserem Fachgebiet liegt in der Detektion von Frakturen. Hier häufen sich die Beschreibungen in der Literatur sowohl für die obere als auch die untere Extremität [3–5]. Hohe, im mindesten menschenäquivalente Detektionsraten, sind hier vom Calcaneus bis zum Radius für die häufigsten Frakturen beschrieben [3]. Auch für Frakturen mit erschwerter Detektierbarkeit in konventionell-radiologischen Untersuchungen, wie zum Beispiel an der Handwurzel, sind entsprechende wissenschaftliche Arbeiten publiziert [3, 4].

Automatisierte Messungen

Zeitraubende Routineaufgaben für Radiologen oder Unfallchirurgen eignen sich besonders für die Anwendung von KI-Modellen. Hierbei werden die ärztlichen Kolleg:innen nicht ersetzt, sondern in ihrer Arbeit unterstützt. Exemplarisch sei hier auf die automatisierte Vermessung der Beinachsen verwiesen, die herkömmlicherweise manuell erfolgt. Diese kann mittels KI-Modellen sowohl schneller als auch genauer und konsistenter erfolgen (Abb. 1) [2].

Abb. 1: Beispiel für die Anwendung einer KI. Von links nach rechts: Originalbild, Referenzmessung durch Radiologen, Segmentierung der Knochen durch das KI-Modell, Extraktion von Landmarken durch das KI-Modell, automatisierte Winkelmessung durch das KI-Modell. Bild reproduziert aus Schock J, Truhn D, Abrar DB, Merhof D, Conrad S, Post M et al. Automated Analysis of Alignment in Long-Leg Radiographs by Using a Fully Automated Support System Based on Artificial Intelligence. Radiology: Artificial Intelligence 2021;3:e200198. https://doi.org/10.1148/ryai.2020200198.

Nachbehandlung nach Verletzungen

Auch im Rahmen der Nachbehandlungsphase können Techniken aus dem breiten Anwendungsfeld der KI dabei helfen, den Behandlungsprozess zu unterstützen. So nutzen wir im Rahmen von klinischen Studien zur Darstellung der Frakturmechanik einen Simulationsablauf, der den Einfluss der postoperativen Belastung auf die Frakturheilung visualisieren kann (Abb. 2) [6].

Abb. 2: Simulationsbild eines Patienten mit einer Pseudarthrose des distalen Femurs vor (initial treatment) und nach (current treatment) einer Revisionsbehandlung. Das Farbschema zeigt die zu erwartende Gewebedifferenzierung in Relation zur Patienten-individuellen Belastung gemäß den Grenzwerten, publiziert aus der Arbeitsgruppe um Prof. Lutz Claes.

Hierzu werden 3D-Modelle der Versorgungssituation unserer Patient:innen aus der vorhandenen Bildgebung konstruiert und im Anschluss mit den individuellen Bewegungsdaten zur jeweiligen Behandlungssituation belastet. Wenngleich der dahinterstehende Arbeitsablauf nicht primär KI gestützt ist, gibt es hier in der Verarbeitung des Bildmaterials Ansatzpunkte, wie KI-Techniken das Handling der Bilddaten vereinfachen können und Arbeitsabläufe, die anderweitig händisch erfolgen müssten, weitestgehend automatisiert werden können. Durch die „automatische“ Erkennung von Knochen und seine Grenzen kann das zur 3D-Modellerstellung benötigte Segmentieren des Bilddatensatzes soweit erleichtert werden, dass der ansonsten zeitraubende Prozess zu großen Teilen ohne menschliche Intervention ablaufen kann. Dies bietet in Zukunft eine große potentielle Erleichterung, die letztlich auch den Zugang zu dieser erweiterten Diagnostik für mehr Zentren möglich machen wird.

Ein weiterer Ansatzpunkt auch für Techniken, die sich an der Schnittstelle zwischen klassischer Statistik und KI befinden, ist die weitergehende Auswertung von bereits bestehenden klinischen und Forschungsdatensätzen. Ein Beispiel kann hier die Auswertung von Datensätzen mit vielen Datenpunkten sein, wie zum Beispiel die longitudinale Erhebung von postoperativen Bewegungsdaten mit hoher Frequenz (tägliche Schrittzahl, Aktivitätszeit über mehrere Monate). In einer ersten Machbarkeitsstudie haben wir zur Darstellung des prinzipiellen Nutzens dieser Techniken ein logistisches Regressionsmodell erstellt, was uns ermöglichen soll, in Zukunft Patient:innen mit einem Risiko für einen verlangsamten Rehabilitationsprozess frühzeitig zu erkennen, um sie so einer intensivierten Beübung oder auch frühzeitigen Intervention zuführen zu können (Abb. 3) [7]. Die Analyse basiert dabei lediglich auf Bewegungsdaten, die mit patienteneigenen Wearable-Systemen (Smartphone, Smartwatch) erhoben wurden, und schafft dabei einen Mehrwert zur klassischen Auswertung. Dabei wird der Rehabilitationsverlauf über den Surrogat-Parameter Schrittzahl visualisiert. Für diese Art der Anwendung, wie KI auch für bereits vorhandene Datensätze einen interpretativen Mehrwert schaffen kann, gibt es in der aktuellen Literatur viele Beispiele.

Abb. 3: Visualisierung des Rehabilitationsverlaufs bei Patient:innen nach muskuloskelettalen Verletzungen. Gezeigt ist der Rehabilitationsprogress des untersuchten Kollektivs visualisiert anhand der relativen Schrittzahl (y-Achse) über die Zeit vor (links der roten Linie) und nach der Verletzung (rechts der roten Linie; x-Achse zeigt die Tage). Über ein lineares Regressionsmodell ist es möglich, die Wahrscheinlichkeit der funktionellen Erholung nach der Verletzung mit einer Genauigkeit von über 80 % vorherzusagen (ACC und AUC > 80 %).

Herausforderungen

Grundsätzlich sind alle Modelle durch die Qualität und die Strukturierung der Trainingsdatenbank limitiert. Qualität und Umfang der Daten, die für die Ausbildung von KI-Algorithmen verwendet werden, sind entscheidend für die Genauigkeit der Ergebnisse. Es ist nicht zu erwarten, dass ein Modell Frakturen oder Pathologien erkennt, die völlig anders aussehen als jene, die es im Training präsentiert bekommen hat. Externe Validierung ist ein entscheidender Schritt bei der Validierung eines Modells mit neuen Daten, zum Beispiel aus einer anderen geografischen Region. Ein Frakturerkennungsprogramm mag am Ort der Trainingsdatenerstellung gut funktionieren (interne Validierung), kann aber im Einsatz an einem weiteren Krankenhaus (externe Validierung) bereits an seine Grenzen stoßen. Dies kann bedingt sein durch andere Einstelltechniken, unterschiedliche Vorverarbeitung der Bilder oder eine andere Dosisvorwahl zur Bilderstellung. Ändern sich lokale Protokolle der Bilderstellung, kann auch ein bereits gut funktionierendes System Fehler machen. Hier wird in Zukunft ein höherer Fokus zu setzen sein, um eine Anwendbarkeit in der Breite zu ermöglichen. Letztlich wirft der Einsatz von KI auch ethische Fragen auf, wie zum Beispiel die Frage nach der Verantwortung für die Entscheidungen, die KI-Algorithmen treffen. Datensicherheit und Data-Ownership sind dabei weitere relevante Fragestellungen, die in der aktuellen Literatur diskutiert werden, den Umfang dieses Übersichtsartikels aber sprengen würden.

Ausblick

Das Feld entwickelt sich schnell weiter und Ausblicke in die allzu weite Ferne sind vor dem Hintergrund des schnellen technischen Fortschritts mit einem hohen Maß an Ungenauigkeit versehen. Der Einsatz von Bildgebung und KI in der Unfallchirurgie ist noch in einem frühen Stadium. In den nächsten Jahren ist jedoch mit einer weiteren Verbreitung dieser Technologien zu rechnen, die dazu beitragen werden, die Diagnose und Behandlung von Unfallverletzungen weiter zu verbessern und die Patientenversorgung zu optimieren.

Fragt man die aktuell in den Populärmedien wahrscheinlich meistverbreiteten Sprachmodelle von „open ai“ und „Google“ nach ihrer Einschätzung zur KI und Bildgebung, so bekommt man eine wenig überraschende Aufstellung der zukünftig relevanten Anwendungsfelder in der Unfallchirurgie:

  1. Automatisierte Diagnose von Frakturen;
  2. Planung von Implantaten;
  3. Navigation während der Operation;
  4. Individualisierung der Behandlung und Nachbehandlung.

Dies stimmt auch mit der Meinung des Autorenteams überein. Wichtig zu erkennen ist auch, dass wir uns zu einer Verbreitung dieser Technik während aller Aspekte der Behandlung hinbewegen (Präklinik, Klinik und Nachbehandlung/Rehabilitation). Nicht mehr nur in der Diagnosestellung, sondern ganz spezifisch auch in der Behandlungs- und Nachbehandlungsphase werden Computer-Vision-Anwendungen zukünftig vermehrt zum Einsatz kommen. Es ist anzunehmen, dass dadurch der Grad der Therapieindividualisierung für die Patient:innen deutlich steigen wird. Aber auch für die Kolleg:innen wird sich dadurch die Ausübung der Arbeit in Zukunft ändern. Durch die Vereinfachung von bildassoziierten Arbeitsabläufen (Erkennen, Planungsunterstützung) ist nicht zu erwarten, dass KI Arztstellen ersetzen wird, sondern verschiedene Aufgaben für uns verringern kann und uns ermöglichen wird, unsere Zeit effizienter mit unseren Patient:innen zu verbringen.

Literatur

[1]   Prijs J, Liao Z, Ashkani-Esfahani S, Olczak J, Gordon M, Jayakumar P, et al. Artificial intelligence and computer vision in orthopaedic trauma: the why, how, and what. The Bone & Joint Journal 2022;104-B:911–4. https://doi.org/10.1302/0301-620X.104B8.BJJ-2022-0119.R1.
[2]   Schock J, Truhn D, Abrar DB, Merhof D, Conrad S, Post M, et al. Automated Analysis of Alignment in Long-Leg Radiographs by Using a Fully Automated Support System Based on Artificial Intelligence. Radiology: Artificial Intelligence 2021;3:e200198. https://doi.org/10.1148/ryai.2020200198.
[3]   Lisacek-Kiosoglous AB, Powling AS, Fontalis A, Gabr A, Mazomenos E, Haddad FS. Artificial intelligence in orthopaedic surgery: exploring its applications, limitations, and future direction. Bone Joint Res 2023;12:447–54. https://doi.org/10.1302/2046-3758.127.BJR-2023-0111.R1.
[4]   Langerhuizen DW, Bulstra AEJ, Janssen SJ, Ring D, Kerkhoffs GM, Jaarsma RL, et al. Is deep learning on par with human observers for detection of radiographically visible and occult fractures of the scaphoid? Clinical Orthopaedics and Related Research 2020;478:2653.
[5]   Beyaz S, Açıcı K, Sümer E. Femoral neck fracture detection in X-ray images using deep learning and genetic algorithm approaches. Joint Diseases and Related Surgery 2020;31:175.
[6]   Braun BJ, Histing T, Herath SC, Rollmann MF, Reumann M, Menger MM, et al. Bewegungsanalyse und muskuloskeletale Simulation in der Pseudarthrosentherapie–Erfahrungen und erste klinische Ergebnisse. Die Unfallchirurgie 2022:1–9.
[7]   Braun BJ, Histing T, Menger MM, Herath SC, Mueller-Franzes GA, Grimm B, et al. Wearable activity data can predict functional recovery after musculoskeletal injury: Feasibility of a machine learning approach. Injury 2024;55:111254.

Braun B, Histing T, Girnstein C, Schäfer D, Roland M, Truhn D: Künstliche Intelligenz, Computer Vision und Bildgebung in der Unfallchirurgie. Passion Chirurgie. 2024 März; 14(03/I): Artikel 03_01.

Letzter Halt PJ – Nachwuchs für die Klinik motivieren

Erfahrungen mit dem gemeinsamen PJ-Leitfaden des BDC und der bvmd

Das Thema Nachwuchsmangel wird bei Kongressen, Sitzungen, Fachgesellschaften und Berufsverbänden weiterhin viel diskutiert und die Neuauflage des Berufsmonitorings bestätigt es [1, 2]: Je mehr die Studierenden Kontakt mit dem klinischen Alltag in einem chirurgischen Fach haben, desto höher ist die Gefahr, dass man sie von einer Karriere in diesem Fach abschreckt. Die Gründe dafür sind vielfältig und reichen von mangelnder Betreuung über als unnötig empfundene Aufgaben bis hin zum Kontakt mit unzufriedenen Mitarbeitenden [3]. Das Praktische Jahr (PJ) bietet im Laufe des Medizinstudiums die zunächst letzte große Chance, Studierende von der Attraktivität und Vielseitigkeit chirurgischer Fächer zu begeistern und sie damit zu überzeugen, eine chirurgische Laufbahn anzustreben. Das PJ birgt jedoch auch das relevante Risiko, angehende Ärztinnen und Ärzte durch vermeintlich negative Aspekte der Chirurgie abzuschrecken. Dabei gibt es strukturierte Möglichkeiten, das PJ gewinnbringend für alle Beteiligten zu gestalten, die über die aktuell medial sehr präsente Diskussion zum PJ-Gehalt weit hinausgehen [4, 5].

Der PJ-Leitfaden des BDC und der bvmd

Der gemeinsame PJ-Leitfaden von BDC und bvmd (Bundesvereinigung der Medizinstudierenden in Deutschland e.V.) intendiert dabei, eine Liste der Möglichkeiten aufzuzeigen, die der Literatur, aber auch der eigenen Erfahrung nach einen für alle Studierenden erfolgreichen PJ-Ablauf ermöglichen und gleichzeitig darauf abzielt, die Motivation der besonders chirurgisch interessierten PJler:innen auf die erste chirurgische Stelle zu übertragen. Gegliedert ist der Leitfaden in drei Teile, die sich mit dem Ablauf der Vorbereitung, PJ-Durchführung, bis hin zur Nachbereitung befassen. Dies umfasst in der Vorbereitung Maßnahmen wie Rotationsorganisation, Einführungstage und Mentoring, in der Durchführung insbesondere Lernziele und Kernaufgaben, aber auch die strukturelle Gestaltung und Eingliederung der PJler:innen in den Arbeitsalltag, und schließlich in der Nachbereitung die Evaluation. Ein Fokus liegt dabei auch auf den zunehmend und geforderten „Anvertraubaren professionellen Tätigkeiten“ (APTs) [6]. Im Leitfaden werden die einzelnen Maßnahmen mit Praxis- und Literaturbeispielen wie auch Informationsgrafiken im Detail vorgestellt, wodurch die Umsetzung unterstützt werden soll. In einem separaten Flyer werden die wesentlichen Kernpunkte des ausführlichen Leitfadens für das Praktische Jahr noch einmal zusammengefasst (Abb. 1). Darüber hinaus wird der Flyer auch von entsprechendem Zusatzmaterial begleitet, das von einem Stationsplakat über Information zu den APTs bis hin zu Musterevaluationen reicht und auf die eigene Situation vor Ort angepasst werden kann (Abb. 2). Wir haben an unseren Kliniken Aspekte dieses Leitfadens berücksichtigt und teilweise auch auf die Verhältnisse vor Ort angepasst und wollen mit diesem Artikel von unseren Erfahrungen damit berichten. Zusätzlich wollen wir Sie als Leser:in anregen, sich ebenfalls mit diesem wichtigen Thema auseinanderzusetzen, die Ressource des PJ-Leitfadens zu nutzen und auf Ihre Bedürfnisse zuzuschneiden.

Abb. 1: Auszug aus dem PJ-Flyer des BDC

„… und nach der Prüfung fange ich bei euch an“

In Zeiten des Personalmangels ist das natürlich der Spruch, den man zum Abschluss eines Tertials hören möchte. Motivierte und engagierte Mitarbeitende zu gewinnen, die durch ein erfolgreiches PJ-Tertial vor Ort auch noch gut eingearbeitet sind, sollte das Ziel sein. Das ist die Idealvorstellung, die wir auch mit dem Flyer aufgegriffen haben. Ziel ist hier eine umfassende Eingliederung der Studierenden in den Alltag einer Station. Einfache Selbstverständlichkeiten wie ein System- und Internetzugang, die Nennung im OP-Plan und einfacher Zugang zu Berufskleidung und Mitarbeiter-Kantine sind dabei die kleinen Startpunkte für einen erfolgreichen Ablauf. Dass es hierzu einiger lokaler Anpassungen bedarf, ist unvermeidlich. Besonders in großen Kliniken ist es für Studierende im PJ zunächst eine Herausforderung, die klinikinterne und personelle Infrastruktur zu durchschauen und zusätzlich Möglichkeiten zu finden, sich im Rahmen ihrer medizinischen Ausbildung in den Klinikalltag einzubringen. Um diese Herausforderung nicht zur Stolperfalle werden zu lassen und um die Studierenden zu motivieren, sich als wertgeschätztes Mitglied eines Teams zu verstehen, bietet es sich an, bereits von Anfang an feste Ansprechpartner:innen festzulegen.

Besonders hilfreich erleben die PJ-ler:innen die Zuteilung einer Mentor:in, die sie während ihrer Rotation als Bezugsperson begleitet. Ein weiteres Defizit, das PJ-Studierende häufig kritisieren, ist die rechtzeitige und eindeutige namentliche Einteilung im OP-Plan. Ist hier etwa der IT-Aufwand „zu hoch“, um die PJ-Studierenden zu jedem Turnus neu in das Krankenhausinformationssystem einzupflegen, kann eine Eintragung der Studierenden im Info-Block des tagesaktuellen OP-Plans mit namentlicher Nennung Abhilfe schaffen. Mit wenig Aufwand können so die PJler:innen auf dem jeweiligen OP-Tagesplan bereits am Vortag ihre Zuteilung erkennen, sodass gemeinsam mit dem Mentoring-Team der Station eine Vorbereitung auf den Eingriff ermöglicht werden kann.

Abb. 2: Stationsplakat zu den Anvertraubaren Professionellen Tätigkeiten (APT), zum Download: www.bdc.de/chirurgin-werden/pj-leitfaden/

„Jetzt kann ich mir Vorstellen, ein Fremdjahr in der Chirurgie zu machen“

Wir können nicht alle Studierenden für unser Fach gewinnen und ein „Bekehren“ für die Chirurgie sollte nicht der Anspruch sein, gute PJ-Lehre anzubieten. Es sollte für alle Studierenden eine Ausbildung angeboten werden, die alle die Inhalte vermittelt, von denen man auch in anderen Fächern profitieren kann. Dazu zählen neben den manuellen Aspekten, wie Hautnaht oder Infiltrationen, auch die chirurgische Arbeits- und Herangehensweise, wie sogar in einer Umfrageanalyse unter Kolleg:innen in anderen Facharztweiterbildungen eindrucksvoll gezeigt werden konnten [7]. Entsprechende Aspekte sind auch im PJ-Leitfaden berücksichtigt. Insbesondere das Mentoring-System schafft hier eine gute Betreuung der Studierenden, die es erlaubt, Behandlungsverläufe genauso wie Arbeitsweisen direkt und realistisch zu erfahren. Dabei lässt es sich im klinischen Alltag nicht immer umsetzen, den oder die Mentor:in als Einzelperson zu realisieren (Urlaub, Dienste, Dienstreisen, Freizeitausgleich), aber zumindest im Stationssystem gemeinsam mit den Assistent:innen und Oberärzt:innen eines umschriebenen Bereichs kann man fest zugeteilte PJ-Studienrende mit wenigen Personen intensiv betreuen. In diesem Rahmen können so auch zunehmend eigenverantwortliche Tätigkeiten übernommen werden, die neben der Betreuung „eigener“ Patient:innen auf der Station auch die Aufnahme, gemeinsame Versorgung im OP und Nachversorgung umfassen kann. Dies lässt sich bis hin zum Äquivalent einer interdisziplinären Ausbildungsstation auch im kleineren Rahmen steigern. In der Absprache mit dem Mentor:innen-Team kann man dann auch, gerade für die PJler:innen, die eine andere Facharztweiterbildung anstreben, präferentiell Tätigkeiten suchen, die eine gewisse Vorbereitung auf die später angestrebte Weiterbildung zulassen. Das Spektrum der Chirurgie mit Einsätzen auf der Station, in der Präklinik, aber auch in der zentralen Notaufnahme, oder Funktionsbereichen, wie der Sonographie, ist hier glücklicherweise sehr breit. Zu einem chirurgischen Tertial gehört natürlich immer auch die Einteilung im OP, auch wenn es später keine schneidende Karriere wird, aber auch hier kann man mit Fokus auf Organsysteme oder Anatomie und Zugänge noch für viele Studierende ein interessantes Schnittfeld zwischen den Fachbereichen finden. Ein schöner Spruch ist dabei das oben genannte, sinngemäße Zitat eines PJlers unserer Station. Für ihn war klar, dass er im europäischen Ausland einen spezifischen Facharzt für Notfallmedizin anstrebt. Sein Einsatz war daher im Wesentlichen in der Zentralen Notaufnahme, aber auch auf der Station und im OP. Hier konnte er sich besonders für die allgemeine Arbeitsweise, aber auch die chirurgische Anatomie der Zugänge begeistern. Wie er uns im Abschlussgespräch seines Tertials mitgeteilt hat, war die Arbeit im Team auf der Station und auch im OP für ihn so motivierend, dass er sich ein vorher kategorisch ausgeschlossenes Fremdjahr in der Chirurgie nun als erstrebenswerte Option vorstellt. Ein motivierender Stimulus für das gesamte Team!

„Ich musste dauernd im OP aushelfen“

Nichts lässt sich immer in maximaler Konsequenz umsetzen. Krankheitsfälle und andere Unwägbarkeiten können auch die beste Planung schnell durcheinanderbringen. Da sind PJler:innen schnelle Lückenbüßer, um noch kurz „bei einer Hüfte das Bein zu halten“. Es lässt sich auch im besten PJ-Tertial nicht immer vermeiden, dass auch notwendige Blutentnahmen anfallen. Das Verständnis für diese Pflichtaufgaben steigt aber mit der Qualität und dem Inhalt des weiteren Tertials. Das wird in den vielen Gesprächen mit den Studierenden schnell deutlich.

Hierbei spielt besonders der Team-Faktor eine entscheidende Rolle: Werden die PJ-Studierenden im klinischen Alltag als vollständiges Mitglied im interdisziplinären Team integriert und folgt den womöglich lästigeren Aufgaben ein von Wertschätzung geprägtes Lehren und Lernen, so sind viele angehende Kolleg:innen gerne bereit, auch bei unliebsamen Tätigkeiten zu unterstützen. Wenn nichts mehr hilft und Abteilung und PJler:in vollkommen inkompatibel sind, sollte man auch einen Wechsel auf eine andere Station oder in eine andere chirurgische Fachabteilung ermöglichen. Das ist auch im ausführlichen Leitfaden von den Studierenden in dieser Form festgehalten worden. Glücklicherweise sind dazu bei den Autor:innen des Artikels aber keine eigenen Erfahrungen vorhanden.

Fazit

Es zeigt, sich, dass alleine der Fokus hin zu einer guten PJ-Betreuung ein wesentliches Moment ist, die Studierenden für eine chirurgische Laufbahn zu begeistern oder zumindest ein versöhnliches Bild von einer solchen zu vermitteln, auch wenn die angestrebte Weiterbildung ein anderes Ziel hat. Gleichzeitig ist auch sichtbar, wie schnell der eigene Alltag, trotz guter Vorsätze, den PJ-Ablauf beeinträchtigen kann. Hier noch ein paar Blutentnahmen extra, dort mal für eine OP einspringen, bei der man nichts sieht, nicht wirklich helfen kann und dann auch noch niemand etwas erklärt, sind doch allen bekannte Umstände. Diese lassen sich auch im bestgeführten Alltag sicher nicht vollständig vermeiden. Sowohl die eigenen Erfahrungen als auch die vorhandene Literatur zeigen aber, dass es Maßnahmen gibt, die damit verbundene Unzufriedenheit zu minimieren. Das erhöht die Attraktivität des Fachs und der jeweiligen Abteilung. Mit dem PJ-Leitfaden haben wir einige der wesentlichen Maßnahmen gemeinsam mit der Bundesvereinigung der Medizinstudierenden Deutschland zusammengefasst und mit Zusatzmaterialien (Stationsposter, Evaluationsbogen) aufbereitet.

Auf der BDC-Website unter www.bdc.de/pj-leitfaden möchten wir Sie gerne einladen, dieses Material kostenfrei herunterzuladen und an Ihre lokalen Verhältnisse anzupassen. Die fortwährende Auseinandersetzung mit diesem Thema ist in der heutigen Zeit unabdingbar und kann ein ganz wesentlicher Attraktivitätsfaktor für den eigenen Standort sein. Wir hoffen, mit unseren Erfahrungen und dem Leitfaden einen motivierenden Impetus dafür geben zu können. Sprechen Sie uns auch im Nachgang der Lektüre gerne an, treten Sie mit uns in Kontakt. Der BDC und das Nachwuchsressort des BDCs unterstützen Sie gerne!

Literatur

[1]   Website der Präsentation des aktuellen Berufsmonitorings vom 11.10.2022: https://www.kbv.de/media/sp/ergebnisse_medizinstudentenbefragung_kbv_2022.pdf
[2]   Berurfsmonitoring Medizinstudierende 2018; online verfügbar unter: https://www.kbv.de/media/sp/Berufsmonitoring_Medizinstudierende_2018.pdf
[3]   Giantini Larsen, AM, Pories, S, Parangi, S, Robertson, FC. Barriers to pursuing a career in surgery: an institutional survey of Harvard Medical School students. Annals of Surgery, 2021, 273(6), 1120-1126.
[4]   Braun BJ, Schmidt J, Chabiera PJ, Fritz T, Lutz B, Drossard S, Mees ST, Brunner SN, Luketina R, Blank B, Kokemohr P, Röth A, Rüggeberg JA, Meyer HJ: Strukturierte Grundvoraussetzungen für das Praktische Jahr. Passion Chirurgie. 2019 Oktober, 9(10): Artikel 03_03.
[5]   Pankert J, Psathakis N, Schmidt J, Steineck J: Heute PJ – Morgen Chirurgie?! Passion Chirurgie. 2022 September; 12(09): Artikel 04_02.
[6]   Medizinischer Fakultätentag; Leitfaden Anvertraubare Professionelle Tätigkeiten; online verfügbar unter: https://medizinische-fakultaeten.de/wp-content/uploads/2019/07/Leitfaden-APTChirurgieMFT.pdf
[7]   Zundel S, Meder A, Zipfel S, Herrmann-Werner A. The surgical experience of current non-surgeons gained at medical school: a survey analysis with implications for teaching today’s students. BMC medical education. 2015 Dec;15(1):1-7.

Girnstein C, Rolinger J, Millner J, Kirschniak A, Histing T, Braun BJ: Letzter Halt PJ – Nachwuchs für die Klinik motivieren. Passion Chirurgie. 2023 Dezember; 13(12): Artikel 03_02.

„PJ-Initiative BDC und bvmd“ – Nachwuchsgewinnung im PJ

Man mag beim Thema „chirurgischer Nachwuchs“ schnell versucht sein mit den Augen zu rollen, „viel gehört und wenig Lösungen gesehen“ ist mittlerweile oft der erste Eindruck. Aber das Thema ist in der klinischen Versorgung präsenter denn je, und es gibt die ominösen Lösungen eben doch. Eine aktuelle Erhebung des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgie e. V. (BDC) zeigt, wie sehr dieser Mangel in der Breite schon wahrgenommen wird, nicht nur in der reinen Zahl, sondern auch in der Qualität [1]. Wo verlieren wir also die ganzen Interessenten an unserem schönen Fach, obwohl doch die Motivation zur Chirurgie, gerade zu Beginn des Studiums, sehr hoch ist [2]?

Die Online-Vorstellung zum aktuellen Berufsmonitoring der Universität Trier und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung aus dem Oktober 2022 führt es noch einmal eindrücklich vor Augen [3]: Die Studierenden verlieren ihr Interesse an der Chirurgie im Verlauf des Studiums, und das Praktische Jahr (PJ) ist dabei nicht besonders hilfreich. Der negative Einfluss des PJ ist seit Längerem bekannt, und der Verlust der an der Chirurgie interessierten Studierenden während des PJ über die letzten Jahre weitgehend konstant [4]. Das PJ in der Chirurgie schreckt einfach ab, was die Notwendigkeit zu konkreten Verbesserungen in diesem Punkt deutlich unterstreicht. Um diesem Missstand endlich zu begegnen, hat der BDC bereits vor vier Jahren gemeinsam mit der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e. V. (bvmd) eine Projektgruppe ins Leben gerufen, die mit den Studierenden einen Leitfaden für ein „gutes chirurgisches Tertial“ ausgearbeitet hat [5]. In diesem jetzt vorliegenden Ratgeber sind vielfältige Maßnahmen aufgeführt, welche die Lehre im praktischen Jahr maßgeblich vertiefen und die Ausbildungsqualität und Zufriedenheit strukturiert steigern. Begleitet wird der Leitfaden von einem zusammenfassenden Flyer, Mustermaterial zur Evaluation, beispielhaften Ablaufplänen und einem PJ-Plakat [6]. Die Zusammensetzung der Arbeitsgruppe sowie Inhalt und Umfang des Projekts sind in der Deutschen Medizin bisher einzigartig.

Der BDC-/bvmd-PJ-Leitfaden

Der ausführliche Leitfaden gliedert die wesentlichen Informationen zu einem guten PJ-Ablauf in drei Phasen. Der Vorbereitungsteil umfasst dabei Maßnahmen wie die Rotationsorganisation, Informationen zum Ablauf von Einführungstagen oder die Zuordnung von Mentoren. In der Durchführungsphase liegt der Fokus vor allem auf den Kernaufgaben und Lernzielen, den „Anvertraubaren Professionellen Tätigkeiten“ (APTs), aber auch in der strukturellen Gestaltung des PJ-Unterrichts. Eine sehr konkrete Hilfestellung bietet hier das „Stationsplakat“, das idealerweise gut sichtbar z. B. in den Stationszimmern platziert wird. Es fasst die wesentlichen Lernziele, Aufgaben und auch Pflichten für Lernende und Lehrende grafisch einfach zusammen. Durch die ständige Sichtbarkeit im direkten Stationsalltag werden die Beteiligten kontinuierlich an ihre Aufgaben, Verpflichtungen und Chancen erinnert, was die Compliance im täglichen Miteinander unterstützt. Das Plakat ist entweder über den BDC direkt als Print zu beziehen, lässt ich aber auch über die Website herunterladen.

Abb. 1: Beispiel zu den Informationen im PJ-Flyer des BDC. Gezeigt ist eine kurze Rationale sowie ein Musterablauf/Inhalt für einen PJ-Einführungstag (rechte Seite).

In der dritten Phase (PJ-Nachbereitung) liegen die Schwerpunkte in der Evaluation und kontinuierlichen Verbesserung. Nobody is perfect – und ein Eingehen auf konstruktive und berechtigte Kritik kann wahre Wunder bewirken. Die Auswertung unterstützen BDC und bvmd mit Musterevaluationen, die neben bereits bestehenden und in Lehrkliniken oft verpflichtenden, aber vielfach abteilungsübergreifend vorgenommenen Evaluationen einen klaren Mehrwert bieten. Begleitet werden die einzelnen Maßnahmen von Praxis- und Literaturbeispielen wie auch Informationsgrafiken, welche die Umsetzung unterstützen. In dem separat erstellten Flyer werden die wesentlichen Kernpunkte des ausführlichen Leitfadens für das Praktische Jahr dann noch mal zusammengefasst (Abb. 1). Der Flyer listet stichpunktartig und übersichtlich die leicht umsetzbaren, sehr praktischen Vorschläge zur nachhaltigen Optimierung der Lehr- und Arbeitsbedingungen der uns anvertrauten PJ-Studierenden nochmals auf.

Nutzen Sie die Chance – it’s up to you.

Weitere Informationen zur gemeinsamen Initiative der bvmd und des BDC „Chirurgischen Nachwuchs gewinnen und halten“ inkl. den Leitfaden für das Praktische Jahr, das daran angelehnte Stationsplakat und einige Musterdokumente („Ablaufplan im PJ“ und „PJ Evaluation“) zum Downloaden finden Sie unter: https://www.bdc.de/pj-leitfaden

Nachwuchsgewinnung ist in der Chirurgie heute wichtiger denn je. Kein Weg der Nachwuchsgewinnung ist so direkt, unmittelbar und effizient wie die Begeisterung von PJ-Studierenden im eigenen Fach und Haus – für das eigene Fach und Haus!

 

Literatur

[1]   Vallböhmer D, Fuchs H, Dittmar R, Krones CJ: „Nehmen wir jetzt jeden?“ – Eine Umfrage in deutschen chirurgischen Kliniken. Passion Chirurgie. 2018 Mai, 8(05): Artikel 04_02.
[2]   Schneider KN, Masthoff M, Gosheger G, Schopow N, Theil JC, Marschall B, Zehrfeld J. Generation Y in der Chirurgie–der Konkurrenzkampf um Talente in Zeiten des Nachwuchsmangels. Der Chirurg. 2020 Nov;91(11):955-61.
[3]   Website der Präsentation vom 11.10.2022: https://www.kbv.de/media/sp/ergebnisse_medizinstudentenbefragung_kbv_2022.pdf
[4]   Berurfsmonitoring Medizinstudierende 2018; online verfügbar unter: https://www.kbv.de/media/sp/Berufsmonitoring_Medizinstudierende_2018.pdf
[5]   Braun BJ, Schmidt J, Chabiera PJ, Fritz T, Lutz B, Drossard S, Mees ST, Brunner SN, Luketina R, Blank B, Kokemohr P, Röth A, Rüggeberg JA, Meyer HJ: Strukturierte Grundvoraussetzungen für das Praktische Jahr. Passion Chirurgie. 2019 Oktober, 9(10): Artikel 03_03.

Braun BJ, Krones CJ, Kirschniak A: „PJ-Initiative BDC und bvmd“ – Nachwuchsgewinnung im PJ. Passion Chirurgie. 2022 Dezember; 12(12): Artikel 04_03.

Editorial im Oktober 2021: Nachwuchs 2021

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

wer in Deutschland Fußballschiedsrichter werden möchte, sollte mindestens zwölf Jahre alt sein. Seine Ausbildung umfasst je nach Landesverband des Deutschen Fußball-Bundes 20 bis 50 Unterrichtsstunden innerhalb von zwei bis sechs Wochen. Am Ende muss er Regelfragen beantworten und eine körperliche Prüfung bestehen, zum Beispiel einen 1300-Meter-Lauf in maximal sechs Minuten absolvieren.

Eine „fertige“ Chirurgin startet selten unter 30 Jahren. Ihre Ausbildung umfasst ein Medizinstudium, dann folgt die Facharztweiterbildung, alles in allem rund zwölf Jahre. Alleine das Studium enthält drei große Prüfungen. Dabei sind an insgesamt sieben Tagen 640 Multiple-Choice-Aufgaben und eine 45- bis 60-minütige mündlich-praktische Prüfung an freiwilligen „Patienten“ zu bewältigen.

Aber Fußballschiedsrichter und Chirurgen haben auch etwas gemein: Zu viele hören auf. Zu wenige kommen nach. Der Frauenanteil ist – vorsichtig formuliert – ausbaufähig.

Beim Berufsverband der Deutschen Chirurgen gibt es ein Ressort, das sich speziell mit der Thematik der Nachwuchsförderung beschäftigt. In einem der Fachbeiträge in diesem Heft geht es darum, was dieses Ressort so macht, um die Faszination des Fachs Chirurgie an potenzielle Interessenten weiterzugeben. Ein anderer Beitrag blickt in ein Nachbarland und versucht die Frage zu beantworten, wie es eigentlich die Niederländer mit ihrem chirurgischen Nachwuchs halten.

Auch dem „Perspektivforum Junge Chirurgie“ haben wir einen Artikel gewidmet: Dabei handelt es sich um eine bei der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie angesiedelte Plattform, die sich als Stimme junger Chirurginnen und Chirurgen und solcher, die es gerne werden wollen, versteht. Eines der Forumsziele ist es, „die derzeitigen Bedingungen“ für den chirurgischen Nachwuchs „zu verbessern“.

Doch sind die wirklich so schlecht? Zugegeben: Die Anforderungen sind hoch, der Alltag ist selten planbar. Notfälle richten sich nicht nach Arbeitszeitregelungen, Schichtsystemen oder Wochenendplanungen. Sie passieren einfach. Hoch ist auch die Verantwortung: Fehler können ernsthafte gesundheitliche Beeinträchtigungen von Patienten, im Extremfall auch ihren Tod zur Folge haben.

Was steht auf der Habenseite? Zum Beispiel ein unglaublich vielfältiges Studium. Eine Ausbildung, die hohe Anforderungen stellt, bei der man aber auch weiß, was man gelernt hat. Am Ende das Bewusstsein, einen Beruf auszuüben, der nicht nur in Pandemiezeiten systemrelevant ist. Einen Beruf, den Ferdinand Sauerbruch für „das Letzte und Schönste und Größte an Beziehungen von Mensch zu Mensch“ hielt.

Ich wünsche Ihnen eine spannende und motivierende Lektüre mit unserem Nachwuchsheft.

PD Dr. med. Benedikt Braun, MBA

Braun B: Editorial – Nachwuchs 2021. Passion Chirurgie. 2021 Oktober; 11(10): Artikel 01.

D

BDC-Praxistest: Kommentar zur Umfrage des Hartmannbundes unter Assistenzärztinnen und -ärzten – Abgleich mit der Chirurgie und Perspektiven

Vorwort

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Zufriedenheitsanalysen stammen eigentlich aus der Betriebswirtschaft. Untersucht werden mit diesem Instrument in der Regel die aktuellen Bedürfnisse und Wünsche von Kunden. Die Performance des Anbieters wird dann an den Ergebnissen gemessen, und danach – mehr oder minder – konsequent angepasst. Das Verfahren ist bewährt, denn es sichert den wirtschaftlichen Erfolg des Anbieters. Und es hat deshalb in vielen Branchen schon längst auch Eingang in die Akquise, Bindung und Pflege von Personal gefunden. Doch obwohl gerade Ärzte diesen sozialen Werten in der Patientenbetreuung genuin verbunden sind, werden sie selbst seit Generationen weiterhin konsequent davon ausgeschlossen. Unverändert scheint es gesellschaftlicher Konsens zu sein, dass Ärzte altruistisch handeln. Das bleibt im Verhältnis zu den Patienten und Patientinnen aus gutem Grund auch die solide Grundfeste der Beziehung. Doch es kann nicht richtig sein, eine aufopfernde Selbstaufgabe auch in den ärztlichen Arbeitsbedingungen zu fordern. Und sei es selbst aus der rein utilitaristischen Zielsetzung das Gesundheitssystem in Leistung und Rentabilität zu erhalten.

Nun bleiben Umfragen zur Arbeitszufriedenheit in ihren Ergebnissen volatil und wissenschaftlich wenig valide. Die Stichproben sind nie wirklich repräsentativ und natürlich rufen die Beschwerten immer am lautesten. Das Ganze funktioniert immer wie eine Polaroid Aufnahme der aktuellen Stimmung. Doch trotzdem bietet der aktuelle Poll des Hartmannbunds erschreckende Resultate. Man mag sich damit trösten wollen, dass nur knapp 15% der Befragten aus der Chirurgie oder Orthopädie stammen. Wir waren doch schon immer härter als die anderen. Doch diese Täuschung verbrämt die echten Aussagen. Der wahre Schluss ist, dass wir trotz aller Probleme in der Nachwuchsarbeit offensichtlich immer noch nichts kapiert haben. Man muss den Hund nicht zum Jagen tragen, aber man sollte ihn beim Jagen auch nicht quälen. Gute Leute lockt man mit guten Bedingungen. Jede Nachwuchsakademie in Industrie, Dienstleistungssektor oder auch dem Sport kann das besser als wir. Es ist jetzt endlich Zeit für einen Wandel, denn der Druck steigt.

Erhellende Lektüre wünschen

Prof. Dr. med. C. J. Krones    und    Prof. Dr. med. D. Vallböhmer

                       


In der aktuellen „Assistenzarzt-Umfrage 2021 – Arbeitsbedingungen, Ökonomisierung und Digitalisierung“ des Hartmannbundes werden die Arbeitsbedingungen von Assistenzärztinnen und -ärzten vor dem Hintergrund von Ökonomisierung und notwendiger Digitalisierung evaluiert. Es wurden dazu 1.258 Fragebögen ausgewertet. 72 % der Befragten waren weiblich, 28 % männlich. Insgesamt stammten 115 Befragte (ca. 9 %) zum Zeitpunkt der Umfrage aus der Chirurgie und 62 (ca. 5 %) aus der Orthopädie. Das Gros der Teilnehmer war mit 333 (ca. 26 %) in der Inneren Medizin tätig, gefolgt von der Allgemeinmedizin mit 139 (ca. 12 %), der Anästhesiologie mit 123 (ca. 10 %) und der Kinderheilkunde mit 107 (ca. 9 %). Mehr als ein Drittel der Befragten gaben einschließlich Bereitschaftsdienst und Mehrarbeit eine durchschnittliche Wochenarbeitszeit von über 55 Stunden an, ca. 6 % sogar mehr als 65 Stunden. Bei ca. 45 % der Beteiligten konnten Überstunden nicht konsequent dokumentiert oder vollständig anerkannt werden. Fast ٣٧ % gaben an, durch eine Eltern- oder Teilzeit beruflich benachteiligt worden zu sein. In der Bereitschaft arbeitet mit ca. 42 % fast die Hälfte deutlich mehr als 50 % der Dienstzeit. Pausenzeiten konnten bei 34 % selten oder so gut wie nie eingehalten werden. 62 % der Befragten bemängelten, in der Regel nicht genügend Zeit für ihre Patienten zu finden. Nur knapp 24 % empfinden ihre Arbeitsbelastung als zufriedenstellend. In großer Mehrheit wirkt sich die Arbeitsbelastung negativ auf das Privat- und Familienleben aus (ca. 64 %). Ca. 32 % befürchten gesundheitliche Beeinträchtigungen, ca. 15% beklagen solche Schäden bereits. Mehr als ein Drittel der Teilnehmer leidet unter Schlafstörungen, genauso viele erwägen den Beruf aufzugeben oder die Fachrichtung zu wechseln. Und ca. 47 % empfinden einen belastenden ökonomischen Druck in ihrem Arbeitsalltag.

Nüchtern betrachtet zeichnet die Umfrage des Hartmannbundes ein erschreckendes Bild: Lange Arbeitszeiten, mit oft unvollständiger Dokumentation, hoher ökonomischer Druck, betriebswirtschaftlich unsinnige, arztfremde Tätigkeiten, fehlende Zeit für die Patientenversorgung, rückschrittliche Digitalisierung, keine Entlastungsmöglichkeiten, Sanktionen bei Freistellungen, bis hin zur unmittelbaren gesundheitlichen Beeinträchtigung bei knapp 15 % und drohenden Beeinträchtigung bei weiteren fast 40% sind erschütternd. Arbeitsschutzbeauftragte, Überwachungsinstitutionen, aber auch Patientenschutzverbände und Fachgesellschaften müssten Alarm schlagen: Die Validität der Antworten vorausgesetzt, werden in einem viel zu hohen Prozentsatz von Kliniken oder Abteilungen die Vorgaben des Arbeits- und Patientenschutzes missachtet.

Vor einer tieferen Interpretation sind aber auch die Limitationen der Umfrage kritisch zu betrachten. Einschränkend ist festzuhalten, dass der Teilnehmerpool der Umfrage, insbesondere vor dem Hintergrund der über 90.000 Studienabsolventen pro Jahr, mit knapp über 1.000 sehr niedrig ist. Dazu strecken sich die Antwortenden über ein breites Spektrum an Facharztdisziplinen, was eine Einzelbetrachtung insbesondere der operativen Gebiete nach streng statistischen Gesichtspunkten nicht sinnvoll erscheinen lässt. Es ist dazu auch zu diskutieren, inwieweit diese Umfrage durch ein Unzufriedenheitsbias betroffen ist, der bei solchen Erhebungen gerade mit sehr geringer Teilnehmerzahl immer anzunehmen ist. Dies wird dadurch verstärkt, dass nicht klar ersichtlich ist, wer zur Umfrage eingeladen wurde. Schließlich bleibt zu bemängeln, dass die Umfrage, wie so viele andere Projekte dieser Art, vornehmlich problem- und weit weniger lösungsfokussiert bleibt. Lösungsmöglichkeiten lassen sich nur sporadisch aus den Freitextantworten der Teilnehmer ableiten oder werden in den Problemfeldern stichpunktartig aufgezählt.

Wie ist die Umfrage also nun für uns zu werten? Rein wissenschaftlich betrachtet ist eine Generalisierung der Ergebnisse nicht ausreichend valide möglich. Trotzdem lassen sich aber durchaus Analogien zu den Ergebnissen der aktuellen BDC-Umfrage zur Beurteilung der Arbeits- und Weiterbildungssituation in der Chirurgie erkennen (vgl. Braun BJ: Gemeinsame Assistentenumfrage des BDC und des Perspektivforums Junge Chirurgie der DGCH 2018/2019. Passion Chirurgie. 2019 Dezember, 9(12): Artikel 04_02). Auch hier zeigt sich eine relevante Unzufriedenheit mit den Rahmenbedingungen des Berufs, nicht aber mit dem Beruf selbst. So stellen auch hier die wesentlichen Kritikpunkte arztfremde Tätigkeiten, sinnfremde Arbeitsinhalte und überbordende Arbeitszeiten dar.

Als ein möglicher Lösungsansatz wird in der BDC-Studie eine Entlastung von nicht ärztlichen Tätigkeiten durch Delegation vorgeschlagen. Ökonomische Spareffekte durch Delegation, eine verbesserte Behandlungsqualität und die Reduktion des Behandlungsrisikos bei hoher Zufriedenheit der Mitarbeiter sowie Vorteile im Wettbewerb um qualifiziertes Personal sollten zusätzliche Argumente zur kreativen Suche und Umsetzung entsprechender Maßnahmen sein. In diesem Kontext haben BDC und Perspektivforum Junge Chirurgie gemeinsam eine vereinfachte Berechnung zu diesen delegierbaren Tätigkeiten erstellt und publiziert. Sie soll für dieses Thema sensibilisieren, aber auch als einfache Lösungsmöglichkeit zur lokalen Anwendung einladen (vgl. Braun BJ, Fritz T. Überlegungen und Berechnungen zur Effizienz des Einsatzes von Ärzten für delegierbare, nicht-ärztliche Tätigkeiten – ein Denkanstoß in Zeiten des Nachwuchsmangels. Zentralblatt für Chirurgie-Zeitschrift für Allgemeine, Viszeral-, Thorax-und Gefäßchirurgie. 2021 Apr 21).

Hauptgründe für die Unzufriedenheit (Mehrfachnennung möglich):

Anteil der Antworten

Hohe zeitliche Arbeitsbelastung (z. B. Überstunden)

60,54 %

Unregelmäßige Arbeitszeiten mit Schicht-/Wochenenddiensten

49,29 %

Hoher Zeitdruck während der Arbeit (Arbeitsverdichtung)

61,25 %

Schlechte Vereinbarkeit von Familie und Beruf

46,72 %

Schlechte Vereinbarkeit mit anderen beruflichen Tätigkeiten (z. B. Forschung)

24,22 %

Schlechte Vereinbarkeit mit anderen privaten Tätigkeiten (z. B. Freizeitaktivitäten)

46,44 %

Merklicher/fühlbarer Einfluss ökonomischer Faktoren auf fachlich-medizinische Entscheidungen

48,58 %

Schlechtes Arbeitsklima im Arbeitsalltag (zwischen Ärzten, zwischen Ärzten und anderen Berufsgruppen etc.)

30,06 %

Steile Hierarchien

15,10 %

Hoher Anteil arztfremder Tätigkeiten im Berufsalltag

62,39 %

Mangelnde Qualität der ärztlichen Weiterbildung

53,56 %

Fehlende Anleitung und/oder Supervision im Berufsalltag

41,31 %

Geringe Anerkennung für die geleistete Arbeit

51,42 %

Schlecht planbarer Feierabend

35,75 %

Vgl. Braun BJ: Gemeinsame Assistentenumfrage des BDC und des Perspektivforums Junge Chirurgie der DGCH 2018/2019. Passion Chirurgie. 2019 Dezember, 9(12): Artikel 04_02.

Wie sollte man diese Daten und Studien aber nun weiter nutzen? Lösungsvorschläge gibt es einige, der Weg und die Umsetzung sind aber so vielfältig wie der Arztberuf selbst. Einen wichtigen Aspekt stellt sicherlich auch die Eigenverantwortung dar. Diese bleibt in vielen Umfragen nahezu unberücksichtigt, oder spielt mit Fragen zum Berufswechselwunsch nur eine indirekte Rolle. In unserer aktuellen Umfrage haben wir daher versucht, Wechselwünsche und tatsächliche Wechsel miteinander abzugleichen. Es zeigt sich darin eine Zunahme der Wechselbereitschaft unter Assistenzärztinnen und -ärzten. In diesen eigenverantwortlichen Wechseln zeigt sich der Druck, den junge Assistenzärzte gerade in Zeiten des Nachwuchsmangels ausüben können. Überspitzt stellt der selbständige Stellenwechsel den stärksten Motor für Veränderung. Mängel in der Dokumentation von Stunden, bei verpflichtender Durchführung von Weiterbildungsgesprächen, innerklinischer Weiterbildung und dem Führen von Logbüchern sind nicht nur aus Führungssicht schwer verständlich, sondern sollten auch von den Assistenzärztinnen und -ärzten nicht toleriert werden. Einfache Lösungen in der Führung liegen hier zum Beispiel in der konsequenten Benennung von Oberärztinnen und -ärzten für die Weiterbildung, die durch Entlastung von anderen zeitintensiven Tätigkeiten aber auch ausreichende Kapazitäten für die Koordination dieser Aspekte erhalten. Aber eben auch in der Eigenverantwortlichkeit solche Dinge einzufordern, oder noch besser bei der Umsetzung in der eigenen Klinik mitzugestalten.

Es bleibt verwunderlich, dass gerade Arbeits- und Patientenschutz hier nicht eine viel höhere gesamtgesellschaftliche und auch politische Wahrnehmung finden. Hier gilt es seitens der Verbände und Fachgesellschaften auf der Basis der vielen vorliegenden Daten öffentlichkeitswirksam Einfluss auf die politische Entwicklung zu nehmen. Wenngleich die meisten auf Umfragen basierten Daten aus dem ärztlichen Sektor den oben genannten deutlichen Bias aufweisen, sind diese doch zumindest vergleichbar und nicht minder eindrücklicher als viele medial besser präsente Diskussionen aus anderen medizinischen, wie auch nicht medizinischen Berufen.

Abschließend erscheint es aber sehr wichtig festzuhalten, dass der Arztberuf weiterhin attraktiv und eine klinische Karriere erstrebenswert bleibt. Letztlich unterstreichen dies auch die unverändert steigenden Zahlen von Medizinstudierenden in Deutschland, wie auch die weiter zunehmende Zuwanderung ausländischer Ärztinnen und Ärzte. Viele in der Umfrage geäußerten Beschwernisse lassen sich ohne Zweifel an vielen Kliniken in unterschiedlicher Ausprägung wiederfinden. Sie erfordern einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess. Der Beruf als solcher ist aber eben auch mehr als eine reine Funktion der Zeit, also kein „9-to-5-Job“, sondern vielmehr und ganz ohne Pathos eine Berufung, der man sich gerne verschreibt, wenn der Rahmen, unter dem man seine Tätigkeit ausführt, stimmt. Hier liegt der wahre Kern aller Umfragen dieser Art, nicht in der Materie selbst. Den eigenen Weg innerhalb der vielen verschiedenen Möglichkeiten beruflicher Verwirklichung muss jeder eigenverantwortlich selbst finden, und dies ist auch unter den aktuellen Bedingungen weiterhin gut möglich.

Wir sollten aber trotzdem alle beständig daran arbeiten, die Rahmenbedingungen in einem im ständigen Wandel befindlichen System nach unseren Möglichkeiten zu beeinflussen. Umfragen, wie die Aktuelle des Hartmannbunds bilden den Grundstock für weitergehende Analysen und Diskussionen. Kommentierende Artikel wie dieser sind dabei ein steter Tropfen, und ähneln sich doch oft in Ton und Fokus. Um Dopplungen zu vermeiden sei deshalb auf einen vorangegangenen Kommentar verwiesen (Braun B, Rüggeberg J: Medizin für den Menschen: Gesundheit vor Gewinn – Gedanken zum offenen Brief des Bündnis Junger Ärzte vor dem Hintergrund des Nachwuchsmangels. Passion Chirurgie. 2020 September, 10( 09): Artikel 04_02), der mit einer Sammlung an interessanten Artikeln zur weitergehenden Beschäftigung mit diesem Thema schließt.

Lösungen erfordern Zeit und Einsatz. Kleinere, fast selbstverständliche Dinge können lokal angegangen werden, größere sind nur politisch zu adressieren. Ich möchte deshalb im Kleinen mit einem Appell zum bewussten und vor allem selbstkritischen Umgang mit der chirurgischen Weiterbildung und den Rahmenbedingungen schließen und im Großen gerne jeden einladen, den Wandel auch aktiv mitzugestalten. Wir stehen beim Berufsverband gerne für Rückfragen und neue Mitstreiterinnen und Mitstreiter zur Verfügung.

Braun B.: BDC-Praxistest: Kommentar zur Umfrage des Hartmannbundes unter Assistenzärztinnen und -ärzten – Abgleich mit der Chirurgie und Perspektiven. Passion Chirurgie. 2021 Oktober; 11(10): Artikel 05_01.

Delegation von Tätigkeiten aus dem ärztlichen Dienst – Potenzial zur Effizienzsteigerung ärztlicher Arbeit

Die Kranken- und Gesundheitsversorgung ist ein sehr personalintensiver Sektor. Etwa 62 % der Betriebskosten eines Krankenhauses sind Personalkosten – mit Schwankungen abhängig von Bundesland, Größe und Versorgungsauftrag. Die Kernleistungen werden von Mitarbeiterinnen des Pflegedienstes (31,7 % der Personalkosten) und des ärztlichen Dienstes (29,8 % der Personalkosten) erbracht (vgl. Destatis). Gerade für diese Berufsgruppen besteht ein ausgeprägter Fachkräftemangel. Hohe Personalfluktuationen verstärken mancherorts diesen Mangel. Somit sind unter effizienter Nutzung der Arbeitskraft und -zeit gerade dieser Berufsgruppe durch Delegation von Tätigkeiten nicht nur Einsparungen von Lohnkosten zu berücksichtigen. Auch ein nachhaltiger Umgang mit der Ressource „Fachkraft“ und ihrer Arbeitszeit, ihrer Gesundheit, ihrer Identifikation mit der Institution und Motivation sind wichtige Faktoren bei der Effizienzbeurteilung ihres Einsatzes. Obwohl der Gesetzgeber und die Selbstverwaltung die Notwendigkeit bereits frühzeitig erkannt und entsprechende Rahmenbedingungen zur Delegation geschaffen haben, wird das Potenzial zur Delegation in Krankenhäusern aktuell bei weitem nicht ausgeschöpft und aktuelle Umfragen identifizieren die mangelnde Delegationsmöglichkeit als wesentlichen Faktor ärztlicher Unzufriedenheit.

Die Wahrnehmung der Bedeutung des Arbeitseinsatzes der Mitarbeiter als wichtiger Faktor für deren Zufriedenheit und letztlich auch für die Gewinnung und den Halt qualifizierten Personals rechtfertigt die erneute Aufarbeitung von Umfragedaten des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgen (BDC) und des Perspektivforums Junge Chirurgie der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie im Rahmen dieses Themenheftes. Hierbei sollen direkte ökonomische Zahlen der Kosteneinsparung durch Delegation als wesentliches Argument besonders die wirtschaftlichen Faktoren der Arbeitszufriedenheit und des mentalen und physischen Wohlergehens der Mitarbeiterinnen die ärztlichen Repräsentanten ansprechen. Die Originalarbeit ist zur Publikation in der Zeitschrift Zentralblatt für Chirurgie erschienen und wird für dieses Sonderhaft erneut beleuchtet [1].

Ziel dieser Arbeit war es die aus einer Belastung durch nicht unmittelbar ärztliche Tätigkeiten resultierende Arbeitszufriedenheit vor dem Hintergrund der entstehenden Kostenbelastung und eines möglichen Einsparpotentials bei adäquater Delegation zu analysieren. Durch die erneute Aufarbeitung und Akzentuierung dieses Beitrages soll für diese wichtige Thematik sensibilisiert werden.

Methodik

Bezüglich der dezidierten Berechnung zum Artikel möchten wir gerne auf die publizierte Originalarbeit im Zentralblatt für Chirurgie verweisen [1].

Die Analyse basiert auf der im Abstand von drei bis fünf Jahren erscheinenden Weiterbildungs- und Nachwuchsumfrage des BDC in Ihrer aktuellen Fassung [2]. Insgesamt konnten über 700 Antworten erhoben werden. Abgefragt wurden demografische Daten, die allgemeine Zufriedenheit mit der Weiterbildungssituation, die pro Tag für prinzipiell delegierbare Tätigkeiten aufgebrachte Arbeitszeit in Minuten, sowie Details zu arztfremden Tätigkeiten und deren zeitlichem Aufwand.

Zur Berechnung wurde die für prinzipiell delegierbare Tätigkeit aufgewandte Zeit auf die in der Umfrage identifizierten nicht ärztlichen Tätigkeiten gemäß Ihrer Gewichtung verteilt. Multipliziert mit dem Minutenbruttoarbeitslohn und der durchschnittlichen Arbeitszeit pro Jahr ergaben sich daraus die durchschnittlichen Kosten pro Tätigkeit, Mitarbeiter und Jahr. Anhand der Durchschnittsgehälter der für die delegierbaren Tätigkeiten in Frage kommenden Berufsgruppen konnten dann analog die Kosten für die Durchführung durch Nicht-Ärzte berechnet werden. Über die Differenz beider Summen ergab sich das Einsparpotential.

Ergebnisse

Insgesamt beantworteten 708 WeiterbildungsassistentInnen (Ø Alter 34,1 Jahre; 52,3 % weibliche Teilnehmer) unsere Umfrage, von denen 61,5 % in der Weiterbildung Allgemein-/Viszeralchirurgie und 24,9 % in der Weiterbildung Orthopädie/Unfallchirurgie waren. Die Zufriedenheit in Schulnoten lag bei einem Durchschnitt von 3,6. Als häufigste Gründe für eingeschränkte Zufriedenheit wurden ein hoher Anteil arztfremder Tätigkeiten (62,4 %), gefolgt von hohem Zeitdruck (61,5 %), sowie der insgesamt hohen zeitlichen Arbeitsbelastung (60,5 %) angegeben (Abbildung 1).

Abb. 1: Häufigste Gründe für eingeschränkte Zufriedenheit mit der Weiterbildung bei WeiterbildungsassistentInnen (Durchschnittliche Zufriedenheit in Schulnoten: 3,6)

Die pro Tag für prinzipiell delegierbare Tätigkeiten anfallende Zeit betrug 124,32 Minuten. Diese Zeit verteilte sich auf die Tätigkeiten Blutentnahme, Anlage peripherer Venenverweilkatheter, Schreibtätigkeit, Dokumentation, Kodierung und organisatorische Telefonate. Insgesamt entstehen Kosten pro Mitarbeiter und Jahr von 16.307,91 Euro. Aufgeteilt auf die einzelnen Tätigkeiten ergibt sich folgendes Bild:

Tab. 1: Zeitanteil delegierbarer Tätigkeiten

Prinzipiell delegierbare Tätigkeit

Anteil der Tätigkeit an der Tagesarbeitszeit (%)

Resultierende Kosten pro Mitarbeiter/Jahr (€)

Blutentnahmen

14,8

2.410,38

Anlage peripherer Venenverweilkatheter

15,6

2.550,11

Schreibtätigkeit

19,9

3.242,95

Dokumentation

18,5

3.015,89

Kodierung

15,1

2.462,78

Telefonate

16,1

2.625,80

Insgesamt bestünde so bei Volldelegation der Tätigkeiten ein Einsparpotenzial von 7.760,68 Euro bei Delegation unter Einschluss studentischer Hilfskräfte, oder 5884,84 Euro ohne diese. Wiederum aufgeteilt auf die einzelnen Tätigkeiten zeigt sich folgendes Einsparpotenzial:

Tab. 2: Einsparpotential bei Volldelegation von delegierbaren Tätigkeiten

Tätigkeit

Einsparpotential pro Mitarbeiter/Jahr (€) mit studentischen Hilfskräften

Einsparpotential pro Mitarbeiter/Jahr (€) ohne studentische Hilfskräfte

Blutentnahmen

1.794,57

883,07

Anlage peripherer Venenverweilkatheter

1.898,60

934,26

Schreibtätigkeit

1.188,09

1.188,09

Dokumentation

1.104,90

1.104,90

Kodierung

812,54

812,54

Telefonate

961,99

961,99

Diskussion

Der Versorgungsstandard in unserem Gesundheitssystem ist hoch, die damit verbundenen Kosten allerdings auch. Ganz wesentlich werden diese durch das medizinische Personal bedingt, mit dem höchsten Anteil in den Berufsgruppen des Pflegedienstes (31,7 %) und des ärztlichen Dienstes (29,8 %). Für beide Berufsgruppen besteht ein ausgeprägter Fachkräftemangel, der alleine bereits seit vielen Jahren die Frage nach der Möglichkeit einer Delegation aufgeworfen hat. So ist es nach einem Entscheid des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 1975 für Ärztinnen und Ärzte möglich, an nicht-ärztliches Personal zu delegieren [3]. Für die Krankenhausträger besteht ein zunehmender Ökonomisierungsdruck, der auf das ärztliche Personal weitergeleitet wird: Man muss wirtschaftlich Arbeiten und trotzdem Patienten adäquat versorgen. Hinzu kommen Probleme durch den zunehmenden Fachkräftemangel, die durch „Produktionsausfall“ (z. B. Nichtbelegung von Betten, Schließung von OP-Sälen) weiter den ökonomischen Druck akzentuieren. Hier gewinnt eine entsprechende Delegation an Bedeutung, zeigt doch das berechnete Einsparpotenzial eine Möglichkeit auf, die eigene ökonomische Situation zu verbessern. Außer ihrer unmittelbaren ökonomischen Bedeutung kann Delegation von Tätigkeiten auch als Instrument zur Abwendung oder Reduktion von Gefahren aus psychischen Belastungen durch die Arbeit angesehen werden. Grundsätzlich legen die Ergebnisse der Umfrage nahe, dass eine signifikante Zufriedenheitssteigerung durch entsprechende Delegation zu erwarten ist und die Attraktivität des eigenen Standorts für den Nachwuchs gesteigert wird. Der vorliegende Artikel soll daher ganz explizit zur lokalen Anwendung einladen und anregen.

Juristische Aspekte einer Delegation sind umfassend behandelt: § 15 Abs. 1 SGB V sieht explizit eine Delegation von Tätigkeiten an Hilfspersonal vor, welche die Ärztin anordnet und verantwortet. Dies trifft auf Leistungen zu, die auf Grund Ihrer Art und Schwere nicht höchstpersönlich erbracht werden müssen. [3, 4, 5]. Die Entscheidung über eine Delegation ist von der Qualifikation des Mitarbeiters abhängig. Die Bundesärztekammer und die Kassenärztliche Bundesvereinigung empfehlen hierzu, bei Mitarbeiterinnen mit Ausbildung in einem Fachberuf im Gesundheitswesen eingangs die formale Qualifikation festzustellen, zu Beginn persönlich die Leistungen zu überprüfen, stichprobenartig nachzuprüfen, im Bedarfsfall zu schulen und eingehender zu überwachen und bei fehlender Qualifikation nicht zu delegieren. Besteht keine geeignete abgeschlossene Berufsausbildung, ist zunächst die generelle Eignung zu prüfen (Auswahlpflicht), anschließend muss eine zur selbstständigen Durchführung befähigende Anleitung erfolgen (Anleitungspflicht), die regelmäßig, im Verlauf auch nur stichprobenartig, überwacht werden muss (Überwachungspflicht). Der Überwachende hat sich dabei in Rufweite aufzuhalten.

Die Analyse der Umfrageergebnisse zeigt, dass die aufgeführten Tätigkeiten grundsätzlich delegierbar sind, sowie eine Delegation unmittelbare und mittelbare ökonomische Vorteile aufweist. Außerdem unterstreicht sie die Bedeutung einer Erfassung der Zufriedenheit der weiterzubildenden Kolleginnen im Rahmen der gesetzlich vorgeschriebenen Gefährdungsbeurteilung und die Delegation von Tätigkeiten als Maßnahme zur Reduktion von Unzufriedenheitsursachen als Lösungsansatz. Die Berechnung verdeutlicht, dass eine sinnvolle Delegation für den Krankenhausträger nicht nur wirtschaftlich unmittelbar von Vorteil ist. Weiterhin legt die Umfrage auch nahe, dass mit einer Steigerung der Mitarbeiterzufriedenheit eine gesteigerte Attraktivität der Klinikinstitution im Wettbewerb um neue und gute Mitarbeiterinnen verbunden sein kann.

Außer der Möglichkeit und den ökonomischen Vorteilen einer Delegation von Tätigkeiten aus dem Aufgabenbereich des ärztlichen Dienstes ist aus der Umfrage ein weiterer Aspekt zur Notwendigkeit von Delegation abzuleiten. Gemäß Arbeitsschutzgesetz und der Berufsgenossenschaftlichen DGUV-Vorschrift 1 ist der Arbeitgeber verpflichtet, für Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten am Arbeitsplatz zu sorgen. Ein wesentlicher Punkt der gesetzlich für jeden Arbeitsplatz vorgeschriebenen Gefährdungsbeurteilung ist die Erhebung psychischer Belastungsfaktoren. Die erhobenen Werte der Umfrage zur Mitarbeiterzufriedenheit von im Durchschnitt 3,6 sollten die Arbeitsschutzbeauftragten alarmieren, ist doch die Zufriedenheit der Mitarbeiterinnen ein wesentlicher Faktor, der in die Beurteilung der Gefährdung am Arbeitsplatz eingeht. Die genannten Hauptursachen für eine eingeschränkte Zufriedenheit mit dem hohen Anteil arztfremder Tätigkeiten im Berufsalltag (62,4 %) und hohem Zeitdruck während der Arbeit (61,5 %) sowie insgesamt hoher zeitlicher Arbeitsbelastung (60,5 %) erfordern zur Behebung oder Reduktion der Gefährdung eine Entlastung. Hier bietet sich eine Delegation unmittelbar an.

Natürlich ist die im Rahmen dieser Arbeit vorgestellte Analyse abstrahierend vereinfacht. Alleine die zur Berechnung herangezogenen Gehälter sind nur eine Annäherung an die Realsituation. Auch die zur Berechnung herangezogenen Gehälter des Delegationspersonals sind Online ermittelbare Durchschnittswerte. Darüber hinaus ist auch die Tätigkeitszusammenstellung vielerorts different zum Durchschnitt aus der Umfrage. Auch eine vollständige Delegation ist nur unzureichend umsetzbar. Alles dies wird insgesamt das Einsparpotential in Realität sicherlich etwas einschränken. Trotz allem wurde durch eine vorsichtige Berechnung nur anhand des ärztlichen Bruttolohnes ohne Zulagen, oder Dienste versucht zu einem übertragbaren Rechenergebnis zu gelangen. Die Gehälter des übernehmenden Personals wurden im Gegensatz eher in höheren Perzentilen angesetzt, sodass auch hier eine insgesamt vorsichtige Berechnung erfolgt ist.

Schlussfolgerung

Bei allen Vorzügen fällt es schwer zu verstehen, warum mit den schon seit Langem geschaffenen, prinzipiellen Rahmenbedingungen für Delegation, nicht zuletzt auch durch das GKV-Versorgungsstrukturgesetzes, das bereits 2012 in Kraft getreten ist, das Thema Delegation nicht schon viel flächendeckender adressiert wird. Vorteile bestehen letztlich auf allen Seiten der Versorgung. Die Untersuchung zeigt, dass aus Delegation von Tätigkeiten nicht nur unmittelbare ökonomische Vorteile resultieren. Eine wesentliche Erkenntnis der vorliegenden Untersuchung ist auch der Hinweis auf Belastungsfaktoren resultierend aus einer Unzufriedenheit durch einen hohen Anteil arztfremder Tätigkeiten, einen ohnehin bestehenden hohen Zeitdruck bei der Arbeit und eine insgesamt hohe zeitliche Arbeitsbelastung. Die Erfassung dieses Belastungsfaktors sollte Eingang finden in die Analyse der Arbeitszufriedenheit als wesentlichen Faktor im Rahmen der gesetzlich vorgeschriebenen Gefahrenanalyse. Als Lösungsansatz zur Reduktion von Überlastungen des ärztlichen Dienstes bietet sich die Delegation von nicht ärztlichen Tätigkeiten an. Auch die Vorteile im Wettbewerb um geeignete Mitarbeiterinnen in Zeiten von Fachkräftemangel sollten als Argument für eine Steigerung der Zufriedenheit der Mitarbeiter nicht unterschätzt werden.

Literatur

[1]   Braun BJ, Fritz T. Überlegungen und Berechnungen zur Effizienz des Einsatzes von Ärzten für delegierbare, nicht-ärztliche Tätigkeiten – ein Denkanstoß in Zeiten des Nachwuchsmangels. Zentralblatt für Chirurgie-Zeitschrift für Allgemeine, Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie. 2021 Apr 21.

[2]   Braun BJ. Gemeinsame Assistentenumfrage des BDC und des Perspektivforums Junge Chirurgie der DGCH 2018/2019. Passion Chirurgie 2019; 9.

[3]   Krull B. Delegation ärztlicher Leistungen an nicht-ärztliches Personal: Möglichkeiten und Grenzen. Deutsches Ärzteblatt 2015; 112: 2-4.

[4]   Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung, Persönliche Leistungserbringung – Möglichkeiten und Grenzen der Delegation ärztlicher Leistungen (29.08.2008). Im Internet; Stand: 23.01.2021

[5]   Kassenärztliche Bundesvereinigung und GKV Spitzenverband, Anlage 24 zum Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä); Vereinbarung über die Delegation ärztlicher Leistungen an nicht-ärztliches Personal in der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung gemäß § 28 Abs. 1 S. 3 SGB V (01.01.2015). Im Internet; Stand: 10.10.2020

Braun B: Delegation von Tätigkeiten aus dem ärztlichen Dienst – Potential zur Effizienzsteigerung ärztlicher Arbeit. Passion Chirurgie. 2021 Oktober; 11(10): Artikel 04_03.

„Schnitten“ und „Aufschneider“ dringend gesucht: Mehr Mut zu einem faszinierenden ärztlichen Karriereziel

Vor einigen Jahren startete der Berufsverband der Deutschen Chirurgen (BDC) eine Kampagne mit dem Titel „Nur Mut! Kein Durchschnittsjob: ChirurgIn“. Ziel war es, mit einprägsamen, mehrdeutigen Slogans – im Volksmund auch „Teekesselchen“ genannt – und Plakatmotiven wie „Schnitten“ und „Aufschneider“ angehende junge Medizinerinnen und Mediziner für eine chirurgische Karriere zu begeistern. Im Laufe der Zeit hat der BDC, auch in Kooperation mit anderen Verbänden, auf dem Gebiet der Nachwuchsförderung weitere Programme und Projekte aufgelegt. Besonderen Wert legt der Verband auf eine praxisnahe, tatkräftige und umfassende Unterstützung an möglichst vielen Stellen im Verlauf der medizinischen, gerade chirurgischen Karriereanbahnung: Während des Medizinstudiums, vor der Abschlussprüfung, bei der Bewerbung auf die erste Stelle und im Verlauf der Weiterbildung.

Sie reicht derzeit von der BDC-Nachwuchskampagne „Nur Mut! Kein Durchschnittsjob: ChirurgIn”, die auch spezielle Workshops aus der Reihe „Chirurgie zum Mitmachen“ umfasst, über den mit dem Berufsverband Deutscher Internisten (BDI) veranstalteten Nachwuchs-Kongress „Staatsexamen & Karriere“, bis hin zur „Chirurgischen Woche“, initiiert von der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie und vom BDC, um nur die Leuchtturmprojekte zu nennen. Begleitet und beworben werden diese Veranstaltungen vom BDC auch über die sozialen Medien. Das stellt den Kontakt zum chirurgischen Nachwuchs sicher und räumt diesem eine weitere Möglichkeit zum Netzwerken ein.

Nachwuchskampagne „Nur Mut!“

Das Flaggschiff der Nachwuchsarbeit des BDC ist die seit 2008 laufende, bundesweite Kampagne „Nur Mut! Kein Durchschnittsjob: ChirurgIn“. Ziel der Kampagne ist es, gezielt Medizinstudierende in den klinischen Semestern anzusprechen und für eine chirurgische Laufbahn zu begeistern. Die Nachwuchskampagne soll möglichst realitätsnah über das Berufsbild informieren und die faszinierenden Seiten der Chirurgie vermitteln. Innerhalb des Facebook-Auftritts des BDC hat diese Kampagne eine eigene Seite.

Dazu gehören vor allem die vielen Facetten, welche die Chirurgie auf den verschiedensten Ebenen hat und die gerade die Chirurgie auszeichnen: die Grundversorgung und die Hochleistungsmedizin, die elektiven Operationen und die Notfallversorgung, die minimalinvasive Chirurgie und die offenen Eingriffe, um nur die wichtigsten zu nennen. Der Nachwuchs hat die Möglichkeit eine eher allgemein ausgerichtete chirurgische Tätigkeit oder sieben Spezialisierungen zu ergreifen. die Allgemeine Chirurgie, die Gefäßchirurgie, die Herzchirurgie, die Kinderchirurgie, die Plastische und Ästhetische Chirurgie, die Thoraxchirurgie, die Unfallchirurgie und Orthopädie und die Viszeralchirurgie.

Offen zu sein für Berufsverbände und Fachgesellschaften auf dem Gebiet der Chirurgie – das ist die Absicht der Kampagne. Deshalb entwickelte man ein vom Corporate Design des BDC unabhängiges, neues Design, das sich insbesondere auf der eigens errichteten Website www.chirurg-werden.de wiederfindet. Dort finden Interessierte auch eine Aufstellung von Charaktereigenschaften, die helfen können, um Chirurgin oder Chirurg zu werden: Dazu gehören auch praktisches Geschick, Flexibilität und die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Chirurgie ist für alle Interessierten eine überlegenswerte Alternative. Jedenfalls sorgten die Postkarten und Plakate, die zum Kampagnenstart auf Informationsveranstaltungen verteilt oder vor Hörsälen aufgehängt wurden, mit ihren mehrdeutigen Slogans für großes Aufsehen. Das Augenzwinkern war natürlich beabsichtigt. Die Botschaft: Spannend und abwechslungsreich wird es auf jeden Fall.

Workshops „Chirurgie zum Mitmachen“

Teil der Kampagne „Nur Mut!“ ist das Angebot von Workshops aus der Reihe „Chirurgie zum Mitmachen“ über die BDC-Akademie. Ziel ist es, Medizinstudierenden das Fach Chirurgie praktisch näherzubringen. Dazu gibt es in den Veranstaltungen verschiedene Arbeitsstationen: zum Beispiel für einen Naht- und Knotenkurs, für die minimalinvasive Chirurgie, einen Gipskurs oder für die Osteosynthese. Einleitende Referate führen in die Themen ein oder haben übergreifenden Charakter, wie zum Beispiel ein Vortrag zu den Karrierewegen in der Chirurgie.

Nachdem etwa anderthalb Jahre lang pandemiebedingt die Veranstaltungen zu „Nur Mut!“ nur als Online-Unterricht erfolgten, starteten am 22.09.2021 mit dem Workshop in Erfurt wieder Präsenzveranstaltungen. Die nächsten Veranstaltungen aus der Reihe sind für den 13.11.2021 in Minden und den 20.11.2021 in Langen geplant.

Nachwuchskongress „Staatsexamen und Karriere“

Auch schon seit 2012 bieten BDC – über die BDC-Akademie – und BDI ein eigens entwickeltes Seminar- und Kongressformat für Medizinstudierende an, das auf die dritte ärztliche Prüfung vorbereitet. Im Mittelpunkt: der praktisch-mündliche Prüfungsteil der beiden Pflichtfächer Chirurgie und Innere Medizin. Mit Videositzungen, Fallbeispielen sowie Tipps und Tricks aus dem Klinikalltag bereiten anerkannte Experten auf die Prüfung vor. Darüber hinaus bieten solche Kongresse auch immer wieder eine hervorragende Möglichkeit, Menschen kennenzulernen, neue Kontakte zu knüpfen und bestehende aufzufrischen. Der letzte Kongress aus dieser Reihe fand vom 1. bis 2. Oktober 2021 in Berlin statt.

Bei der Veranstaltung 2018 gab es zum ersten Mal ein spezielles Beiprogramm, das sogenannte „Clinical Reasoning“. Dabei sprechen die Referenten vor Kleingruppen ihre Überlegungen zur Diagnose und Therapie konkreter Fälle offen aus. Die „richtige Lösung“ wird dann gemeinsam erarbeitet. Um es möglichst authentisch zu gestalten, kennen nicht mal die Mediziner vorab die ausgewählten Fälle. Auch hier ist das Ziel eine möglichst praxis- und realitätsnahe Vorbereitung auf den mündlichen Prüfungsteil.

Chirurgische Woche

Was gibt es darüber hinaus? Zu erwähnen ist insbesondere die Chirurgische Woche, eine Initiative der DGCH und des BDC, die Anfang Oktober 2021 bereits zum neunten Mal stattgefunden hat. Die Referenten – Chirurginnen und Chirurgen verschiedener Fachrichtungen und Ausbildungsstufen – vermitteln mit viel Engagement nicht nur Fachwissen und begleiten praktische Übungen. Auf der Agenda stehen vielmehr auch viele fachübergreifende Themen, wie zum Beispiel die Aus- und Weiterbildung und auch allgemein die Karriereplanung in der Chirurgie.

„Sie für eine chirurgische Laufbahn zu motivieren, ist unser Anliegen“, so haben es die Initiatoren im Veranstaltungsflyer formuliert. Dieses Ziel gilt nicht nur für die Chirurgische Woche, sondern ist das Leitmotiv der Nachwuchsarbeit des BDC als solcher.

Braun B, Wannenwetsch H: „Schnitten“ und „Aufschneider“ dringend gesucht: Mehr Mut zu einem faszinierenden ärztlichen Karriereziel. Passion Chirurgie. 2021 Oktober; 11(10): Artikel 03_02.

Mehr Handwerk geht nicht – Faszination Unfallchirurgie

Nachwuchskampagne Nur Mut!

Mehr Handwerk geht nicht – Faszination Unfallchirurgie

BERUF UND LEBEN ALS UNFALLCHIRURG:IN

Das orthopädische und unfallchirurgische Gebiet deckt die Operation und Rekonstruktion der Verletzungen des Bewegungsapparates ab. Als Arzt/Ärztin kümmert man sich um die gesamte endoprothetische Versorgung des Skelettsystems und die minimalinvasive Gelenkchirurgie.

Die konservativen Therapien von Frakturen sowie Verletzungen und Erkrankungen des muskoloskeletalen Systems werden ebenso abgedeckt. Wichtige Arbeitsbereiche sind die Notfallversorgung von Schwerverletzten und die Therapie von Sportverletzungen, aber auch vorbeugende Maßnahmen gehören zum unfallchirurgischen Arbeitsspektrum. Auf der Facharztqualifikation für Orthopädie und Unfallchirurgie bauen eine Vielzahl von Zusatzweiterbildungen für die klassischen Domänen der Orthopädie oder Unfallchirurgie auf.

Interview mit PD Dr. med. Benedikt Braun

Geschäftsführender Oberarzt und Sektionsleiter Unt. Extremität, Tübingen

Passion Chirurgie: Faszination Unfallchirurgie – was ist für Sie das Beste am Fach?

Benedikt Braun: Das Beste an der Unfallchirurgie ist für mich der irgendwie unmittelbare Charakter des Faches. Gerade in der Akuttraumatologie trifft man auf Patienten mit einem plötzlich eingetretenen Problem, z.B. Knochen gebrochen, und muss und kann es auch oftmals ganz akut helfen. Das ist wahnsinnig befriedigend, da man den Effekt seiner Arbeit sehr unmittelbar wahrnimmt. Es gibt ein Problem, man ergreift eine Lösung und sieht sehr direkt die Auswirkungen davon. Leider manchmal nicht immer ganz so wie geplant, aber auch diese Fälle sind dann wiederum eine Herausforderung das Problem zu lösen. Das ist für mich viel ansprechender als eine Therapie zu verschreiben und monatelang auf einen Effekt zu warten. Das wäre nichts für mich. Natürlich ist es nicht immer so schwarz-weiß und es gibt auch chronische Verläufe, bei denen man Patienten über eine lange Zeit und immer wieder betreuen muss, aber auch da besteht immer ein sehr direkter Draht zum Patienten und zur Verletzung.

Zusätzlich ist natürlich auch der OP eine einmalige Arbeitsumgebung. In der Unfallchirurgie decken wir fast den ganzen Körper ab, ebenso verschiedenste Verletzungen, teilweise anatomisch sehr anspruchsvolle Zugänge, das Handwerkliche, manchmal gröber, manchmal filigran. Da braucht es vor allem ein gutes Teamwork, viel Vorbereitung und in den richtigen Momenten höchste Konzentration und Präzision. Gleichzeitig lässt unser Fachgebiet aber auch Raum für planbarere Eingriffe. Mit Elektiveingriffen aus dem eher orthopädischen Spektrum unseres gemeinsamen Fachbereiches und gut organisierten Sprechstunden, kann man auch einen eher geregelten Tag bestreiten. Eigentlich ist für fast jeden etwas dabei und man kann seine individuellen Bedürfnisse ganz gut abdecken. Vielleicht nicht immer an jedem Ort und in jedem Krankenhaus, aber mit ein wenig Umsicht, kann man sich da etwas Schönes gestalten.

PC: Aus heutiger Perspektive: Was würden Sie Ihrem jüngeren Ich im Studium mitgeben?

BB: Ehrlicherweise nicht viel. Ich habe gerne studiert und meine Studienzeit in Aachen auch sehr genossen. Meine Frau kennengelernt, gute Freunde gefunden. Zeit im Ausland verbracht. Zwar nicht sofort gewusst, welche Fachrichtung ich später einschlagen wollte, dadurch aber auch manche Fächer kennengelernt und gesehen, was diese ausmachen und was „etwas für einen sein könnte“. Ganz ehrlich, so richtig viel mitgeben würde ich mir also nicht. Vielleicht nur: „Mach‘s ruhig nochmal so und mach dir weniger einen Kopf darüber, was später kommt. Es wird schon passen!“

PC: Hand aufs Herz: Wie gelingt die Balance zwischen Beruf und Familie?

BB: Da lege ich gerne die Hand aufs Herz und störe mich daher erstmal an der Formulierung. Ich sehe es absolut nicht als Balance. Leben und Beruf müssen zusammenpassen. Ich fände es sehr unbefriedigend und wehre mich auch gegen die Vorstellung, dass das eine das andere ausschließt, wie es der Begriff Balance ja unweigerlich impliziert. Für die allermeiste Zeit, manchmal flucht man ja schon mal, mache ich meinen Beruf sehr gerne und nehme auch die anderen Tätigkeiten, die mit meiner Arbeit assoziiert sind, sei es für den Berufsverband, für Fachgesellschaften und Berufsvereinigungen oder für die Forschung, mit großer Freude wahr. Das ist ganz explizit ein Teil meines Lebens. Eben kein Brotberuf – das wäre nichts für mich. Dass man in diesem Rahmen nicht immer ganz pünktlich zu Hause ist, oder auch mal ein Wochenende am Schreibtisch verbringt, ist mir vor diesem Hintergrund letztlich egal, vielmehr noch mache ich das gerne, wenn es einem Zweck dient, dem ich mich gerne verschreibe und ich freue mich, dass ich eine Frau habe, die diese Einstellung mit mir teilt und auch entsprechend lebt. Genauso genießen wir aber Zeit, die nichts mit der Arbeit zu tun hat, gehen leidenschaftlich gerne wandern und bergsteigen, verreisen gern (was sich auch sehr gut mit Fachkongressen verbinden lässt) und neuerdings mache ich auch wieder sehr gerne Musik. Ich habe mir gerade eine wunderbare Barockflöte gekauft, mit der ich jetzt versuche alte Musik zu spielen. Das erfordert, je nachdem, was ich gerade übe, tatsächlich die meiste Geduld und Toleranz meiner Frau. Aber für mich gehört das alles zusammen und ich würde nie einzelne Teile davon gegeneinander aufwiegen.

Letztlich ist das aber alles individuell und das ist das Schöne an der Medizin und der Unfallchirurgie im Speziellen. Platz die eigenen Ansprüche zu verwirklichen, gibt es. Manchmal ändern sich auch die Ansprüche und das ist dann auch okay. Es muss ja nicht jeder forschen, oder für Gesellschaften nebenher etwas machen. In dem Fachgebiet ist viel Platz.

PC: Wenn Sie auf Ihre chirurgische Laufbahn schauen: Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?

BB: Die Frage finde ich immer etwas schwierig. Wenn man zu hoch greift, erscheint man unangenehm überheblich, und tiefstapeln ist ja auch irgendwie unehrlich. Wenn mich die letzten Jahre etwas gelehrt haben, dann, dass es immer nicht ganz so kommt, wie man denkt. Mit einer guten Ausbildung ist man aber glücklicherweise für vieles gewappnet und durch einen starken Rückhalt in der Familie und im Freundeskreis kann man sich an eigentlich alle Veränderungen ganz gut anpassen. Und wenn mal etwas nicht passt, muss man sich einfach nochmal umschauen… Ich schätze mich daher glücklich der Zukunft, wie auch immer sie aussehen mag, eher entspannt entgegensehen zu können. Vielleicht ist das ja auch ein Effekt der unfallchirurgischen Ausbildung. Man muss sich auch auf vieles, oftmals unvermittelt einstellen und lernt gut damit umzugehen…

Aber wenn ich jetzt wirklich darauf antworten müsste, wo ich mich in zehn Jahren sehe, dann bezüglich meiner Familie und Freunde gerne in exakt der gleichen Situation. Klinisch gesprochen, kann ich mir schon gut vorstellen in einer leitenden Position tätig zu sein und mir ein gutes Team in einer entsprechenden Abteilung aufzubauen. Zumindest im Moment fände ich das eine spannende Herausforderung.

PC: In schwierigen Zeiten – was oder wer hat Sie motiviert dranzubleiben?

BB: Die wichtigste Stütze ist tatsächlich meine Frau. Sie ist nicht nur in den schwierigen Zeiten mein wichtigster Motivator, sondern auch in den guten, wovon es glücklicherweise viel mehr gibt. Wir versuchen, uns eigentlich in allen Belangen aktiv zu unterstützen und binden uns gegenseitig in die großen und kleinen Entscheidungen ein. Privat sowieso, aber auch beruflich. So ist meine Frau auch sehr versiert in der Unfallchirurgie, obwohl sie eigentlich Gynäkologin ist. Aber auch meine weitere Familie und meine engsten Freunde sind mir in diesem Belang sehr wichtig. Das ist für mich ein Umfeld, mit dem ich über alles sprechen kann und wo ich einen ehrlichen Rat bekomme – ob er mir immer direkt gefällt oder nicht.

PC: Gab es ein entscheidendes Erlebnis, das Sie motiviert hat?

BB: Nicht wirklich. Es sind eher immer die vielen kleinen Dinge, die in der Summe ein ständiger Motivator waren. Aber das eine einschneidende Erlebnis, von dem viele immer sprechen, gab es bei mir bisher noch nicht. Ist aber auch okay, der ganze Weg bisher hat mir viel Freude bereitet und viele kleine Dinge motivieren mich immer wieder.

PC: Wie wichtig war für Sie ein Netzwerk und welches Netzwerk war hilfreich?

BB: Auch wenn ich diesen Begriff nicht so gerne mag, weil er immer so ein wenig nach Karrierist klingt, gibt es natürlich „Netzwerke“, die für mich sehr wichtig waren. Über meine Familie und Freunde habe ich ja schon gesprochen. Aber auch beruflich gibt es da einige, die mir einfallen würden. Zum einen sind das die Kollegen, die einem ganz unmittelbar in der Klinik helfen, in der Ausbildung allgemein oder auch bei schwierigen OPs und Fällen. Da sind meine bisherigen beiden Chefs (Professor Pohlemann und Professor Histing), die mir extrem dabei geholfen haben, mich beruflich so entwickeln zu können, und die mir auch weiterhin wahnsinnig dabei helfen mich weiterzuentwickeln. Dafür bin ich extrem dankbar. Darüber hinaus sind es bei mir natürlich auch der BDC und die Arbeit mit dem Perspektivforum der DGCH, über die ich an vielen Stellen die Möglichkeit habe, aktiv an der chirurgischen Ausbildung etwas mitzugestalten. Und zu guter Letzt die AO, eine Unfallchirurgen Vereinigung, über die ich neben viel Forschungsunterstützung auch die Möglichkeit habe, Entwicklungsprozesse auf unserem Fachgebiet in einem internationalen Team mitzugestalten. Das bringt neben vielen interessanten Kontakten verstreut über den Globus auch tolle Möglichkeiten, für die ich wahnsinnig dankbar bin. Und da läuft auch alles zusammen. Solche Möglichkeiten bekommt man nur mit viel Unterstützung und der zeitliche Aufwand für diese Tätigkeiten und die damit verbundenen Reisen gehen nur mit dem nötigen Rückhalt – alleine schafft man das alles nicht. Ein Netzwerk zum Netzwerk quasi ist also extrem wichtig für mich und ich hoffe, die betroffenen Personen wissen auch, wie dankbar ich Ihnen dafür bin.

Für das Fach Chirurgie begeistern, ganzheitlich informieren und unterstützen – das ist die Mission der Nachwuchskampagne „Nur Mut! Kein Durchschnittsjob: ChirurgIn“ des BDC. In der neu aufgelegten Interviewreihe wollen wir die Facetten der Chirurgie transparent machen und zeigen, wie junge Chirurgen und Chirurginnen ihren Beruf leben.

www.chirurg-werden.de

Braun B: Nachwuchskampagne NurMut! Mehr Handwerk geht nicht – Faszination Unfallchirurgie. Passion Chirurgie. 2021 Juli/August; 11(07/08): Artikel 04_02.

„Fragt mich alles!“ – BDC-Nachwuchsbeauftragter Benedikt Braun stellt sich den Fragen einer internationalen Community

BDC-NACHWUCHSBEAUFTRAGTER BENEDIKT BRAUN STELLT SICH DEN FRAGEN EINER INTERNATIONALEN COMMUNITY

„Wenn ich perspektivisch an plastischer Chirurgie interessiert bin, soll ich den Common Trunk lieber in der Gefäß- oder Unfallchirurgie absolvieren?“, „Wie kann ich mein Interesse an Forschung im Lebenslauf kenntlich machen?“, „Auf welche Fragen im Bewerbungsgespräch kann ich mich vorbereiten?“ – diese und viele weitere Fragen konnten im März 2021 Medizinstudierende und junge Ärzte und Ärztinnen aus ganz Europa und der Welt an PD Dr. Benedikt Braun, Nachwuchsbeauftragter des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgen (BDC) und geschäftsführender Oberarzt in der Klinik für Unfall- und Wieder­herstellungschirurgie der BG Klinik Tübingen stellen.

In dem Format „Ask me anything” im sozialen Netzwork Reddit, genauer auf r/medicalschoolEU, einem Forum von knapp 4.000 Mitgliedern, beantwortete er auf Einladung des Moderationsteams drei Stunden lang Fragen unter anderem aus Belgien, den Niederlanden, Polen, Ungarn, Portugal, Brasilien, den USA zur chirurgischen Facharztweiterbildung in Deutschland, der Stellensuche und der Karriereplanung – ein Angebot, dass insbesondere in Zeiten der COVID-Pandemie, die Hospitationen, Famulaturen und den Austausch auf Messen erschwert, gerne angenommen wurde.

Eine Frage, die gleich zwei Mal unabhängig voneinander gestellt wird, betrifft die für die Chirurgie notwendigen Handfertigkeiten. „Manchmal habe ich das Gefühl, dass meine Handfertigkeiten nicht so gut sind, wie ich hoffe.“ – PD Dr. Braun ermutigt: „Sie können sich beruhigen. Es gibt sicherlich junge Assistenzärzt:innen, die zu Beginn begabter sind als andere, aber im Verlauf der Weiterbildung gibt es so viele Möglichkeiten zu trainieren, dass die Fertigkeiten sich in jedem Fall verbessern werden.“

Der BDC informiert Chirurgie-interessierte Studierende mit der Kampagne „Nur Mut! Kein Durchschnittsjob: ChirurgIn“ über die vielen Facetten und Spezialisierungsmöglichkeiten innerhalb der Chirurgie. Zu den praktischen Tools, die auf der Internetseite der Kampagne angeboten werden, gehört unter anderem eine Checkliste für die Auswahl einer Weiterbildungsstätte.

Interessierte können die Fragen und Antworten auch im Nachgang des Formats HIER nachlesen. Auf r/medicalschoolEU findet sich ein englischsprachiger Guide für ausländische Medizinstudierende und Absolvent:innen, die noch am Anfang des Deutschlernens stehen. Jeden Dienstag findet ein virtueller Austausch zur Weiterbildung in Deutschland statt.

Braun B: „Fragt mich alles!“ – BDC-Nachwuchsbeauftragter Benedikt Braun stellt sich den Fragen einer internationalen Community. Passion Chirurgie. 2021 Mai; 11(05): Artikel 04_03.

60 Jahre BDC: Nachwuchschirurgen mit klaren Zukunftsvorstellungen

zur Artikelserie …

Es liegt nahe zu einem Jubiläumsanlass, die Gedanken in die Vergangenheit schweifen und eigene Erlebnisse und Erfahrungen wieder aufleben zu lassen. Den am ersten Viertelpunkt seines beruflichen Lebensweges stehenden Chirurgen drängen sich jedoch eher Fragen zur Zukunft unseres faszinierenden Fachgebietes auf. Eine ganz zentrale Frage betrifft den chirurgischen Nachwuchs. Nachwuchssorgen bedrücken alle medizinischen Fachgebiete. Lösungswege zu erarbeiten sollte eine der vornehmsten Aufgaben einer Standesorganisation sein. Zunächst gilt es, ausreichend Kollegen für das Fach zu gewinnen und zu begeistern; genauso wichtig ist es jedoch die richtigen zu finden und noch wichtiger sie zu motivieren und gut auszubilden.

Entsprechend einem Klassiker unter den Vorurteilen gerade älter eingesessener Chirurginnen und Chirurgen will der Nachwuchs eigentlich alles nur auf dem Silbertablett: Etwas überspitzt formuliert, dürfte es danach in Zukunft nur absolut planbare Eingriffe geben mit festen Schnitt- und Nahtzeiten, ohne Gefahr der Überschreitung der Regelarbeitszeit, denn Arbeit ist eben nicht Leben, pünktlicher Feierabend, dann Freizeit – eine Balance zwischen „Work“ und „Life“. Und wenn die OP zu lange dauert, muss man diese vielleicht zwischen mehreren Operateuren teilen – quasi „surgery sharing“ als Maximalvariante des „Job sharing“.

Dieses Vorurteil verkennt aber doch in seiner pauschalisierenden Art manch berechtigten Anspruch der nachwachsenden Generation. Diese Vorstellungen anzuerkennen und zu berücksichtigen, ist ein wesentlicher Schritt, um junge Ärzte für unser Fachgebiet zu interessieren und dem zunehmend empfundenen Nachwuchsmangel (vgl. Vallböhmer et. al, Passion Chirurgie 2018) zu begegnen. Die aktuelle Weiterbildungsumfrage des BDC und Perspektivforums Junge Chirurgie zeigt ganz deutlich, dass es auf die reine Arbeitszeit viel weniger ankommt, als auf den Inhalt der Arbeit. Arztfremde Tätigkeiten und ein mit Aufgaben fern von der Patientenversorgung überfrachteter Alltag sind wesentliche Faktoren die zur Unzufriedenheit des Nachwuchses führen. Wer hier einen zukunftsträchtigen Arbeitsplatz schaffen will, der sollte den Tagesablauf seiner Weiterbildungsassistenten genau analysieren. Wo werden sinnvolle, versorgende Tätigkeiten ausgefüllt, wo sind vielleicht weniger beliebte, aber notwendige Tätigkeiten und wo solche, die problemlos auch auf andere Berufsgruppen übertragen werden könnten.  Bei adäquater Delegation führt das nicht nur zur Zufriedenheit beim ärztlichen Personal, sondern es lohnt sich auch betriebswirtschaftlich. Gleiches gilt auch für die Kinderbetreuung. Gemäßigte Überschreitungen der Arbeitszeit sind weniger relevant, wenn die eigenen Kinder gut betreut sind. Auch hier gibt es deutschlandweit tolle Beispiele und Nachweise zu den Effekten hinsichtlich der Mitarbeiterzufriedenheit bei gleichzeitiger Rentabilität.

Die Jobzufriedenheit im Fach Chirurgie ist nach einer großen Umfrage unter Weiterbildungsassistenten auch von einer fairen und transparenten Verteilung von Weiterbildungsoperationen abhängig; mehr als 70 Prozent (!) der Umfrageteilnehmer beklagen ein Fehlen einer fairen, dafür aber oft von der Sympathie der Op-Organisatoren abhängige, Verteilung der Operationen oder anderer ausbildungsrelevanter Eingriffe. Neben einem Bewusstsein für die Problematik können moderne Softwarelösungen mehr Transparenz und Gerechtigkeit schaffen. Auch gut organisierte Klinikfortbildungen, Unterstützung bei externen Weiterbildungsmaßnahmen, Mentoring durch erfahrenere Klinikmitarbeiter, Logbücher und Weiterbildungsgespräche, die ordnungsgemäß geführt werden, sind Punkte, die laut der zitierten Umfrage sowohl das Fach Chirurgie wie auch die Ausbildungsstätte attraktiv machen. Wir, die erfahreneren Chirurgen, sind es, die den Nachwuchs, die künftigen Mitarbeiter, heranziehen und fachlich qualifizieren. Wer einen solchen Rahmen für die Weiterbildungsassistenten schaffen kann, der darf der Zukunft entspannt entgegen schauen.

 Weitere Anregungen zum Thema bieten die Kurse, Arbeiten und auch Themenreferate unseres Jubiläumsprotagonisten BDC. Mit Analysen der Bedürfnisse von Weiterbildungsassistenten, Publikationen und Fortbildungen wird das mittlerweile 60-jährige Geburtstagskind nicht müde für diese Verbesserungen einzustehen und bei den Studierenden mit seinen Fortbildungen und Informationsveranstaltungen einen fruchtbaren Boden zu bereiten, auf dem dann durch persönliche Begeisterung und gute Arbeitsverhältnisse der Nachwuchs von morgen heranwachsen kann. Last not least: Den perfekten Arbeitsplatz gibt es schlicht nicht. Bedürfnisse und Ansprüche an einen idealen Berufszustand schwanken interindividuell und im Laufe der Karriere auch intraindividuell, trotz der gerne pauschal wahrgenommenen Nachwuchsgeneration. Es liegt also immer auch ein großes Stück Eigenverantwortung in der Wahl der späteren Ausbildungsstelle. Das verbirgt sich im neudeutschen Wort „Career fit“. Diesen Kompatibilitätscheck zwischen eigenem Anspruch und angebotener Stelle muss jeder für sich selbst machen.