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Einführung von AmbuPRAX in unserer chirurgischen Praxis – ein Erfahrungsbericht

Unsere große unfallchirurgisch-orthopädische Gemeinschaftspraxis firmiert als Gelenkzentrum Schaumburg und hat als Besonderheit eine enge und sehr umfangreiche intersektorale Kooperation mit dem Ev. Agaplesion Klinikum Schaumburg in ­Obernkirchen-Vehlen. In zwei Praxisteilen haben wir ca. 25.000 ambulante Fälle jährlich. Darüber hinaus versorgen wir pro Jahr etwa 1.600 stationäre Patienten. Unsere Gelenkspezialisten implantieren u. a. jährlich mehrere Hundert Endoprothesen an Hüfte, Knie und Schulter. Dazu kommen ca. 1.000 ambulante Operationen pro Jahr.

Vorgeschichte

Schon seit Jahren suchten wir eine Vereinfachung der administrativen Verfahren, insbesondere bei der präoperativen Risikoaufklärung vor den von uns durchgeführten stationären und ambulanten Operationen.

Im Rahmen des gemeinsamen Bundeskongresses Chirurgie in Nürnberg im Februar 2019 wurde uns vom Vertriebsleiter von AmbulApps vollmundig zugesichert, seine Software AmbuPRAX würde jede Praxis komplett digitalisieren und den Papierverbrauch auf Null bringen. Auch wenn uns diese Zusicherung etwas übertrieben vorkam, erschien uns dieses Angebot in Anbetracht der täglichen Papierflut in unserer Praxis doch attraktiv. Ein Besuch in einer orthopädischen Referenzpraxis bei Hannover bestätigte die Alltagstauglichkeit des Systems, so dass schließlich die Einführung von AmbuPRAX in unserer Praxis ab Ende 2020 beschlossen wurde.

Implementierung – Hardware

Zunächst mussten die technischen Voraussetzungen geschaffen werden. AmbuPRAX läuft auf Apple-Tablet-Computern, so dass wir uns zur Anschaffung von 20 aktuellen iPads (Stand 2020) und den dazugehörigen elektronischen Stiften (Apple Pencil) entschlossen, also je 10 Geräte für unsere beiden Praxisteile. Das Ausfüllen der Formulare ist zwar auch mit dem Finger möglich, die Stifte erlauben aber eine deutlich feinere Darstellung.

Darüber hinaus musste das WLAN in beiden Betriebsteilen optimiert werden, da die Synchronisation der Tablets mit dem Server über eine verschlüsselte WLAN-Verbindung erfolgt. Für die Lagerung und zum Aufladen der Geräte haben wir inzwischen eine Ladestation im Bereich der Anmeldung der Praxis geschaffen. Auf dem EDV-Server wurde gesonderter Speicherplatz reserviert.

Implementierung – Software

Die Einführung von AmbuPRAX in unserer Praxis war gekennzeichnet durch ein außergewöhnliches Engagement der Firma und namentlich durch den persönlichen Einsatz des Entwickler-Ehepaars Schmidt. Dadurch war das System in wenigen Tagen einsatzbereit.

Dreh- und Angelpunkt der Software ist das sogenannte „Control-Center“. Aus unserem Praxisverwaltungssystem (PVS, Medistar) werden die Stammdaten unserer Patientinnen und Patienten über ein Makro per BDT-Schnittstelle exportiert und konnten dann problemlos in verschiedene Arten von Formularen importiert werden. Besonders häufig benötigen wir die Aufklärungsbögen von perimed für die Endoprothetik an Hüfte, Knie und Schulter sowie für arthroskopische Eingriffe. Aber auch individuelle oder praxisinterne Formulare können in die Software importiert und angepasst werden. So verwenden wir für die kleinen handchirurgischen Eingriffe unsere eigenen kompakten Aufklärungsformulare.

Auch die Vorlagen für den Anamnesebogen und die von den Patienten zu unterschreibende Datenschutzerklärung wurden unter Beachtung der gesetzlichen Vorgaben und der Anforderungen unseres Gelenkzentrums selbst entwickelt und implementiert. Darüber hinaus haben wir in AmbuPRAX Formulare hinterlegt, die vom PVS nicht angeboten werden und sonst handschriftlich ausgefüllt werden müssten, z. B. die Arbeitsplatzbeschreibung sowie das Formular für die Wiedereingliederung bei BG-Patienten (Abb. 1).

Abb. 1: Auswahl aus den zur Verfügung gestellten ausfüllbaren Vorlagen

Der tägliche Workflow

In unseren beiden Praxis-Teilen sind jeweils 10 iPads vorhanden. Wir haben einen hohen Anteil neuer Patienten, die erstmals (oder erstmals nach Ablauf von zwei Jahren) in unsere Praxis kommen. Diese Patienten erhalten direkt bei der Anmeldung ein iPad ausgehändigt (Abb. 2) mit der Bitte, selbst während der Wartezeit die Datenschutzerklärung (Abb. 3) zu unterschreiben sowie den mehrseitigen Anamnese-Bogen auszufüllen und ebenfalls zu unterzeichnen. In den Bögen können Pflichtfelder und optionale Angaben definiert werden. Die meisten Patienten kommen damit technisch sehr gut zurecht. Nur wenige – meist ältere – Patientinnen und Patienten benötigen dazu die Unterstützung durch eine MFA, was dann in der Regel im Behandlungsraum geschieht.

Abb. 2: Ausfüllen und Unterschreiben der Datenschutzerklärung mit dem Apple Pencil

Abb. 3: Einsatz der iPads an der Praxis-Anmeldung

Sobald die Formulare auf dem Tablet unterzeichnet und abgeschlossen sind, erfolgt ein automatischer „smart import“ aus dem AmbuPRAX-Control Center in unser Dokumentenverwaltungssystem Moviestar, so dass die Dokumente beim Arztgespräch schon zur Verfügung stehen. Darüber hinaus werden wichtige Angaben aus dem Anamnesebogen, wie z. B. die Medikamente, automatisch in die medizinischen Daten von Medistar übernommen und dort angezeigt. Hilfreich ist auch der optisch prägnante Hinweis auf vorliegende Allergien. Die Dokumente werden im Control Center zusätzlich archiviert und können bei Bedarf von dort nachgeladen werden. Die unveränderliche Archivierung ist mit einem Zertifikat der Bundesdruckerei und einem Zeitstempel versehen und gilt somit als rechtssicher.

Die Tablets werden nach einmaligem Gebrauch sorgfältig desinfiziert und stehen dann rasch wieder zur Verfügung.

Attraktive Zusatzfunktionen

Die Software AmbuPRAX bietet darüber hinaus die Möglichkeit, mit der Kamera der iPads Fotos zu erstellen und diese direkt in die Dokumentenverwaltung zu importieren (Abb. 4 und 5). Dies bietet sich zum Beispiel an für die Verlaufsdokumentation bei Wunden oder die im EBM (Kapitel 31.2.2) vorgeschriebene präoperative Befunddokumentation. Mitgebrachte Einzelbefunde können im Behandlungsraum fotografisch dokumentiert werden und brauchen dann nicht mehr eingescannt zu werden. Bei Dupuytren-Patienten empfiehlt sich ein präoperatives Foto, weil postoperativ leicht vergessen wird, wie stark die Beugekontraktur vor dem Eingriff ausgeprägt war.

Abb. 4: Fotodokumentation einer Hautnekrose nach Sturz auf das Knie und Erstversorgung alio loco

Abb. 5: Das Foto von Abb. 4 ist sofort in der Dokumentenverwaltung archiviert

Häufig gestellte kritische Fragen

Werden die Tablets nicht versehentlich mitgenommen oder entwendet?

Nein, weil man mit den iPads außerhalb der Praxis nichts anfangen kann. Der Zugang zur Funktion ist mit einer 6-stelligen Zahlenkombination kodiert und außer der AmbuPRAX Software ist keinerlei Nutzung der Tablets möglich. Darüber hinaus kann jedes Apple-Gerät geortet werden, wenn es eingeschaltet wird, so dass eine versehentliche oder absichtliche Mitnahme aus der Praxis lokalisiert werden könnte.

Erfreulicherweise gibt es auch keinen Schwund bei den zugehörigen Apple Pencils, die jeweils fest einem Gerät zugeordnet sind. Zum Schutz der Geräte haben wir stabile Hüllen angeschafft, die auch einen Platz für die Aufnahme des Stifts bieten. Die Stifte können einfach über die Firewire-Schnittstelle an den iPads selbst aufgeladen werden.

Sind diese präoperativen Risiko-Aufklärungen rechtssicher?

Aus der Rechtsprechung ist bekannt, dass bei der Verwendung von vorgefertigten Formularen individuelle Anpassungen als Hinweis auf eine patientenspezifische Einzelaufklärung gefordert werden. Das System ermöglicht es, wie auf Papier in die Bögen handschriftliche Markierungen, Erläuterungen und Ergänzungen einzufügen, um dieser Forderung nachzukommen. Uns ist darüber hinaus keine Rechtsprechung bekannt, in der eine digital unveränderlich gespeicherte Aufklärung in Form eines pdf-Dokuments nicht anerkannt wurde. Die Dokumente werden nach der Unterschrift unveränderlich und mit Zertifikat und Zeitstempel archiviert.

Darüber hinaus wird nach der Unterschrift nachgefragt, ob der Patient einen Ausdruck des Aufklärungsbogens zur Mitnahme wünscht. Viele Patientinnen und Patienten verzichten darauf. Im Endausbau des Systems soll das Dokument nach Abschluss als verschlüsselte E-Mail an den Patienten zur eigenen elektronischen Archivierung oder zum Selbstausdruck versandt werden.

Rechnet sich diese Investition betriebswirtschaftlich?

Aus unserer Sicht kann diese Frage mit Ja beantwortet werden. Der Workflow in der Praxis hat sich deutlich beschleunigt, so dass mehr Sprechstundenzeit für mehr Patientinnen und Patienten zur Verfügung steht. Eine weitere Verbesserung erwarten wir durch die zukünftige Nutzung des Patientenportals (s. u.). Auch im Hinblick auf die Nachhaltigkeit unserer Praxis ist AmbuPRAX ein großer Fortschritt. Benötigten wir früher monatlich viele Tausend Seiten Papier zum Ausdrucken und Kopieren, so hat sich dieser Aufwand jetzt um ca. 90 % reduziert. Weggefallen ist auch der erhebliche Aufwand durch das Einscannen der Papierformulare und die anschließende datenschutzrechtlich einwandfreie Entsorgung (Schredder oder verschlossene Datentonne). Die daraus resultierenden Kosten sind minimiert worden.

Wieviel Papier kann denn nun wirklich eingespart werden?

Im 2. Quartal 2021 wurden in unserer Praxis 8.885 Dokumente über AmbuPRAX ausgefüllt und gespeichert. Das entspricht insgesamt 18.343 Druckseiten. Leider müssen wir die Risiko-Aufklärungen zur Operation im Krankenhaus noch zweimal ausdrucken, einmal für die Krankenhausakte und eine Abschrift für den Patienten. Aber auch hier arbeiten wir mit Hochdruck an einer Lösung. Die Anpassung an das Krankenhausinformationssystem ist aber schwierig umzusetzen.

Fazit

Gut ein halbes Jahr nach der Einführung von AmbuPRAX sind wir mit dem Produkt und mit der Vereinfachung unserer Praxisabläufe sehr zufrieden. Die Unterstützung bei der Implementierung und auch aktuell durch die Hotline war und ist exzellent. Um den Workflow weiter zu verbessern, planen wir als nächsten Schritt die Erweiterung um das Patientenportal. Dies bedeutet, dass Patientinnen und Patienten sich schon im Vorfeld des Praxisbesuchs über das Web-Portal anmelden und den Anamnesebogen und die Datenschutzerklärung am Bildschirm und in aller Ruhe ausfüllen können. Dies wird den administrativen Aufwand in der Praxis weiter reduzieren. Darüber hinaus können wir dann die unterschriebenen präoperativen Aufklärungsbögen direkt an die angegebene E-Mail-Adresse senden, was wiederum den noch bestehenden restlichen Druckaufwand reduzieren wird.

Der BDC hat mit Ambulapps einen Rahmenvertrag geschlossen. Dieser ermöglicht allen Mitgliedern des BDC Zugang zu den Leistungen zu Sonderkonditionen.

Detaillierte Informationen finden Sie auf BDC|Online unter:
www.bdc.de/sonderkonditionen-fuer-bdc-mitglieder-fuer-digitalisierung-der-praxisunterlagen

Der Vollständigkeit halber ist zu erwähnen, dass auch andere Produkte für den gleichen Zweck am Markt angeboten werden.

Kalbe P, Barth F: Einführung von AmbuPRAX in unserer chirurgischen Praxis – ein Erfahrungsbericht. Passion Chirurgie. 2021 September; 11(09): Artikel 04_07.

Abrechnung Laryngoskopie als Kassenleistung abgelehnt

Abrechnung Laryngoskopie als Kassenleistung abgelehnt

Fragestellung

Vor Schilddrüsen-, Nebenschilddrüseneingriffen ist eine Laryngoskopie, die regelhaft vom HNO-Arzt durchgeführt wird, empfohlener Standard.

Gibt es seitens unseres Berufsverbands eine Handlungsempfehlung, wenn die Laryngoskopie seitens des niedergelassenen HNO-Kollegen als nicht statthafte Kassenleistung abgelehnt wird und unter Berufung auf den Berufsverband-HNO als IGEL-Leistung dem Patienten in Rechnung gestellt werden soll?

Beantwortung

Aus der Sicht der kassenärztlichen Vereinigungen sind Voruntersuchungen, die Bedingung für einen stationären operativen Eingriff darstellen, in der DRG für diesen Eingriff einkalkuliert und somit auch aus der DRG zu finanzieren. Dies ist natürlich schwierig, wenn die Fachdisziplin (hier HNO-Heilkunde) im betreffenden Krankenhaus nicht vorhanden ist. Dann bleibt die Möglichkeit, einen externen Konsiliararzt mit dieser Untersuchung zu beauftragen und diese Leistung im Innenverhältnis nach der GOÄ zu vergüten. Üblich ist dabei entweder der Einfachsatz oder der Steigerungssatz der Basisversorgung oder auch Standardversorgung. Dies ist Verhandlungssache. Es gibt rechtlich keine Möglichkeit, eine solche Leistung in den Bereich der vertragsärztlichen Versorgung zu verschieben.

Leider sind unsere Sektoren im Gesundheitssystem so streng abgeschottet, vor allem auch bezüglich der Finanzierung.

Es tut mir leid, dass ich Ihnen keine günstigere Auskunft geben kann.

Kalbe P: Sprechstunde Niederlassung Abrechnung Laryngoskopie als Kassenleistung abgelehnt. Passion Chirurgie. 2021 Juli/August; 11(07/08): Artikel 04_04.

BDC-Praxistest: Zweitmeinungsverfahren Schulterarthroskopie

Vorwort

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Der Anspruch auf das Einholen einer Zweitmeinung ist in der GKV-Versorgung bereits seit 2015 gesetzlich verankert. Gesetzlich versicherte Patient:innen besitzen also einen Rechtsanspruch, vor planbaren Operationen eine zweite, unabhängige ärztliche Meinung einzuholen. Die Indikationen sind noch sehr eingeschränkt (Hysterektomie, Tonsillektomie, Schulterarthroskopie, Knie-TEP, Amputation bei diabetischem Fuß), aber seit dem Start des Verfahrens in 2018 werden sie erweitert und sollen konsequent ausgebaut werden.

Ein Fortschritt, könnte man meinen, um das hohe Lied auf den Patientenschutz zu singen, doch die genauere Betrachtung lässt viele Fragen offen. Dass die Auswahl der zu hinterfragenden Therapien in der anfänglichen Testphase begrenzt bleibt, liegt auf der Hand. Die exakte Auswahl der zu prüfenden Verfahrensvorschläge ist aber zu wenig transparent und imponiert so fast willkürlich. Und warum – wie bei vielen anderen Maßnahmen der bürokratischen Qualitätsprüfung – erneut fast nur operative Eingriffe auf dem Prüfstand stehen sollen, wird auch nicht klar. Müssen konservativ tätige Ärzte nicht geprüft werden? Oder sind Medikationsfehler weniger relevant? Das wohl nicht, aber dafür nicht so teuer. Immerhin plant das IQWiG bei den 15 in 2021 neu vorgeschlagenen Indikationen aber jetzt mit der Myokardszintigraphie auch eine nicht-interventionelle Maßnahme. Das umweht jetzt aber alles wieder der Odem der vermeintlichen operativ-interventionellen Überversorgung. In Zeiten, in denen Teile der doch immer so klammen GKV ohne Skrupel Maßnahmen der Physiatrie und Homöopathie entlohnen, denen es an jeglichem wissenschaftlichen Unterbau mangelt, oder über 200 Millionen Euro ins Marketing stecken (sollte die Deutsche Handballnationalmannschaft wirklich für die AOK werben?), hören viele doch die Nachtigall trapsen. Man will Geld sparen – so weit, so gut. Aber muss man dafür den vermeintlichen Patentenschutz instrumentalisieren, und wieder mal die Ärzte diskreditieren? Kooperative Qualitätssicherung geht anders. Richtig offensichtlich werden die Ziele des Programms bei der Auswahl der Zweitmeinungsexperten, denn die Vorgaben sind so lau, dass sie nicht ganz so weit entfernt an die Zulassung zum Heilpraktiker erinnern. Expert:in für die Zweitmeinung wird man schnell – 800 sind es bundesweit allein für die drei Starter Hysterektomie, Tonsillektomie oder Schulterarthroskopie. Da herrscht also kein Mangel. Und die anderen sind alles Trottel und Betrüger? Armes Deutschland. Und wenn man dann doch keinen Second-Opinion-Expert findet, helfen die Kassen gerne mit Ihren eigenen Spezialisten aus. Denn das sind ja bekanntermaßen, die, die sich in allem am besten auskennen. Eh klar.

Fragt man drei Ärzte zu einem medizinischen Thema erhält man bekanntlich vier Meinungen. Die Überprüfung strittiger Indikationen ist deshalb richtig und notwendig. Die Zweitmeinung ist aber genau deshalb auch schon seit Jahrzehnten Bestandteil des Arzt- und Patientenalltags. Eine Standardisierung des Verfahrens mag notwendig sein, aber dann braucht es veritable Experten und eine generelle Ausdehnung auf alle ärztlichen Maßnahmen. Kostet dann aber mehr. Eine Mengenbegrenzung – und um die geht es doch tatsächlich – erreicht man wissenschaftlich viel fundierter über die Fachgesellschaften. Vielleicht braucht es da mehr Druck, aber sie sind die richtigen Hebel. Noch schneller und klarer geht es nur über Rationierungen, doch dieses böse Wort traut sich kein Funktionär oder Politiker auszusprechen. Da beschimpft man lieber die Ärzte.

Das Thema ist heiß – oder sollte man zurzeit besser sagen „geht viral“? Grund genug für uns, das Zweitmeinungsverfahren am Beispiel der Schultereingriffe genauer zu beleuchten.

Erhellende Lektüre wünschen

Prof. Dr. med. C. J. Krones und Prof. Dr. med. D. Vallböhmer


 

In der Passion Chirurgie 07/08/2020 erschien ein Artikel zum neu etablierten Zweitmeinungsverfahren Schulterarthroskopie. Die praktische Umsetzung und erste Erfahrungen wurden jetzt durch eine BDC-Umfrage evaluiert. Als Modell-Region wurde die KV Niedersachsen ausgewählt. Dort besaßen zum Zeitpunkt der Umfrage 27 Orthopäden und Unfallchirurgen die Genehmigung als Zweitmeiner und wurden auf der Homepage der KVN aufgeführt. Davon haben 19 den kurzen Fragebogen zu den praktischen Erfahrungen ausgefüllt und anonym zurückgesandt.

Hier die Tendenz der Antworten:

  • Die meisten Zweitmeiner hatten noch keine oder sehr wenige Anfragen. Von diesen wurde das Verfahren besonders kritisch beurteilt.
  • Dagegen hatten wenige Zweitmeiner in der kurzen Zeit seit der Implementierung des Verfahrens (Anfang 2020) einstellige bis niedrig zweistellige Patientenzahlen.
  • Das Verfahren wurde allgemein als bürokratisch und aufwändig, jedoch sinnvoll aus Patientensicht beurteilt. Einige Zweitmeiner sind der Auffassung, dass die Patienten auch ohne das Verfahren zu Ihnen gekommen wären.
  • Die Indikation zur subakromialen Dekompression als isolierte Maßnahme werde zu häufig gestellt und stelle den häufigsten Kritikpunkt dar. Gelegentlich seien konservative Behandlungsmaßnahmen noch nicht ausgeschöpft gewesen.
  • Oft fehle der konservative Therapieversuch.
  • Bei der Indikation zur Schulter-TEP würden teilweise unrealistische Erwartungen geweckt.
  • Bei Patienten mit einem langen Leidensweg und hohem Leidensdruck wurden im Rahmen der Zweitmeinung keine „unnötigen Indikationen“ für Schulter-Operationen gesehen.
  • Die Honorierung für die Zweitmeinung wird als unzureichend beurteilt.
  • Einer der Zweitmeiner kritisiert, dass für die Zulassung keine eigenen Erfahrungen mit der zu prüfenden Operationsmethode vorausgesetzt werden.
  • Darüber hinaus wurden drei erfahrene und überregional bekannte Schulterchirurgen vom BDC angeschrieben und um ihre Erfahrungen und eine Einschätzung des Verfahrens gebeten. Zwei davon haben geantwortet:
  • Die Abgabe einer Zweitmeinung stelle für sie keine Neuerung, sondern Routine dar, allerdings in sehr geringem Umfang im Vergleich zur gesamten Anzahl von Schulterpatienten.
  • Die eigene Beteiligung als Zweitmeiner für die KV wurde als nicht notwendig betrachtet, weil die Patienten ohnehin bei ihnen vorgestellt würden. Die niedergelassenen Haus- und Fachärzte der Region wüssten am besten, wer eine kompetente Zweitmeinung abgeben könne.
  • Die Zweitmeinung betreffe nicht nur die Indikation zur Arthroskopie, sondern auch andere operative Eingriffe an der Schulter und konservative Maßnahmen.
  • Eigene Operationsindikationen seien – soweit bekannt – nie durch Zweitmeinung anderer Kollegen negiert worden.
  • Das Zweitmeinungsverfahren im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung (Heilverfahrenskontrolle gemäß Nr. 35 UV-GOÄ) wurde als nützlich bewertet.
  • Auch von einem der Schulter-Spezialisten wird kritisiert, dass für die KV-Zulassung als Zweitmeiner keine eigenen Erfahrungen mit der zu prüfenden Operationsmethode vorausgesetzt werden.

 

Kalbe P: BDC-Praxistest: Zweitmeinungsverfahren Schulterarthroskopie. Passion Chirurgie. 2021 Juni; 11(06): Artikel 05_01.

Wundmanagement in Klinik und Praxis mit Vertretern der Kostenträger

BDC-Sitzung im Rahmen des DCK 2021

„Wundmanagement in Klinik und Praxis (mit Vertretern der Kostenträger)“

Live-Stream am Freitag, 16. April 2021 13: 30–15: 00 Uhr


Der BDC bleibt am Ball mit seinem Engagement für die Verbesserung der Versorgungsqualität für Patienten mit chronischen Wunden. Beim diesjährigen Chirurgenkongress (DCK) wurde ein Versprechen aus dem DCK 2019 umgesetzt, als bei einer Vortragssitzung zum gleichen Thema die Forderung aufkam, in einer Folgeveranstaltung auch die Kostenträger mit in die Pflicht zu nehmen.

Bei der mit mehr als 550 Chat-Teilnehmern sehr gut besuchten Hybridsitzung am diesjährigen Kongress-Freitag machte Dr. Glockemann vom Wundzentrum Hannover den Aufschlag. Neben der Darstellung der verschiedenen Pathomechanismen chronischer Wunden beklagte er vor allem den häufig verschleppten Verlauf durch verzögerte Überweisungen zum Spezialisten. Er bedauerte vor allem, dass die Leitlinien der Wundbehandlung teilweise nicht bekannt seien und oft über Monate mit ungeeigneten Wundauflagen behandelt werde. Außerdem unterbleibe häufig eine Ursachenabklärung. Die unzureichende Abbildung der Behandlung chronischer Wunden im EBM und die permanente Regressgefahr im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung würden diese Spezialisierung für niedergelassene Chirurgen außerhalb von Sonderverträgen unattraktiv machen, obwohl ein großer Behandlungsbedarf bestehe.

Professor Storck trug anschließend seine Erfahrungen aus einer Wundambulanz an einem städtischen Krankenhaus in Karlsruhe bei. Er hob insbesondere auf die Komplexität der Ursachenklärung ab und betonte, dass dazu eine gute interdisziplinäre Zusammenarbeit im Team und auf den jeweils geeigneten Versorgungsebenen erforderlich sei. Er wies auf die Bedeutung der aktuell überarbeiteten Leitlinien der AWMF zur Behandlung chronischer Wunden und auf die Stellungnahmen des deutschen Wundrates hin.

Mit Spannung erwartet wurde vor allem die Positionierung der Vertreter der AOK Niedersachsen. Frau Apothekerin Silke Nimbach berichtete aus ihren Erfahrungen bei der Verordnungsprüfung und kritisierte u.a., dass teilweise langdauernd ungeeignete silberhaltige Wundauflagen verordnet würden. Die Leitlinien seien offenbar nicht bei allen Ärzten bekannt. Herr Markus Dehning als Leiter des Unternehmensbereiches Versorgungsmanagement der AOK zeigte sich dann erfreulicherweise offen für die Gestaltung eines Versorgungsvertrages nach Paragraph 140 SGB V. Dies allerdings zunächst nur als Pilotprojekt mit einer begrenzten Anzahl von Partnern.

Dieses Angebot war auch ein zentrales Thema der sich anschließenden lebhaften Diskussion. Von chirurgischer Seite wurde kritisiert, dass im Rahmen dieses Pilotprojektes nichtärztliche Wundmanager eine zentrale Rolle als Case Manager spielen sollen. Dies lege die Vermutung nahe, dass hier ein hohes Maß an Delegation oder sogar Substitution angestrebt werde. Auf die überragende Bedeutung ärztlicher und speziell chirurgischer Kompetenzen bei der Beurteilung chronischer Wunden wurde hingewiesen. Professor Storck forderte die Berücksichtigung der aktuellen AWMF-Leitlinien bei der Ausgestaltung der im geplanten Vertrag festgelegten Behandlungspfade. Professor Betzler schlug vor, den Vertrag gleich bundesweit mit allen Allgemeinen Ortskrankenkassen auszurollen, was von den AOK Vertretern als schwierig bewertet wurde. Herr Dehning betonte aber die Vorteile, wenn eine große Versorgerkrankenkasse wie die AOK mit einem hohen Marktanteil ein solches Pilotprojekt auflegen würde. Insgesamt fand diese Ankündigung großes Interesse auf der Ärzteseite und es wurde eine unterstützende Kooperation von Seiten der kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN) und vom Berufsverband der deutschen Chirurgen (BDC) zugesagt.

 

Kalbe P: Wundmanagement in Klinik und Praxis mit Vertretern der Kostenträger. Passion Chirurgie. 2021 Juni; 11(06): Artikel 03_02.

IT-Sicherheits-Richtlinie der KBV

Finanzieller Aufwand muss von den Krankenkassen erstattet werden

Die Bundesregierung treibt die Digitalisierung im Gesundheitswesen (und nicht nur dort) mit erheblichem Druck voran. Der zwangsweise Anschluss aller Arztpraxen an die Telematik-Infrastruktur (TI) hat bei vielen Vertragsärzten zu großem Verdruss geführt, zumal die Ärzte dabei jahrelang nur als kostenlose Dienstleister für den Stammdatenabgleich der Krankenkassen fungiert haben. Für das Jahr 2021 sind nunmehr weitere Funktionen der TI in der Pipeline, die wenigstens für die Patientinnen und Patienten (Notfalldaten-Management) und hoffentlich im Verlauf des Jahres auch durch die verbesserte innerärztliche Kommunikation (KIM-Dienste) einen gewissen Benefit versprechen.

Allerdings hat die zwangsweise elektronische Vernetzung der Ärzteschaft in einzelnen Praxen auch gravierende Sicherheitslücken in der Infrastruktur und Sicherheit der EDV-Anlagen und deren Anbindung offengelegt, die es Hackern ermöglichen würden, in die Praxissysteme einzudringen und sensible Patientendaten zu entwenden.

Insofern ist es grundsätzlich zu begrüßen, dass die KBV nach einem langen Diskussionsprozess nunmehr eine IT-Sicherheitsrichtlinie verabschiedet hat, deren Vorgaben alle Arztpraxen nach einer Übergangsfrist einzuhalten haben. Der Autor war als Delegierter der KBV-Vertreterversammlung in diesen Prozess eingebunden und kann bestätigen, dass diese – zweifellos immer noch sehr umfänglichen – technischen Vorgaben den besterreichbaren Kompromiss darstellen und dass eine erhebliche Verschlankung und pragmatische Anpassung gegenüber den ursprünglichen Forderungen des BSI (Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik) erreicht werden konnte.

Abstufung des Sicherheitsaufwandes

Es war der Ärzteschaft besonders wichtig, den Umfang der vorgeschriebenen Maßnahmen an die Praxisgröße anzupassen. Dies ist nunmehr gelungen, indem drei Stufen definiert und der IT-Sicherheitsaufwand daran angepasst wurde:

  • Praxis: Praxis mit bis zu 5 ständig mit der Datenverarbeitung betrauten Personen
  • Mittlere Praxis: Praxis mit 6-20 ständig der Datenverarbeitung betrauten Personen
  • Großpraxis mit Datenverarbeitung im erheblichen Umfang: Praxis mit mehr als 20 ständig mit der Datenverarbeitung betrauten Personen oder mit komplexen EDV-Strukturen

Gestufte Umsetzung mit Fristen bis 2022

Darüber hinaus konnte eine gewisse zeitliche Streckung der Umsetzung bis zum 01.01.2022 erreicht werden. Trotzdem sollte man als Praxis-Inhaber ohne Verzögerung daran gehen, die Anbindung der Praxis an das Internet zu überprüfen und notwendige Änderungen/Ergänzungen in Auftrag zu geben, zumal zahlreiche Vorgaben schon bis zum 01.04.2021 umzusetzen sind. Dies dürfte in den meisten Fällen die Einbeziehung von IT-Experten erfordern, für welche die KBV darüber hinaus ein Zertifizierungsverfahren anbietet. Dies ist zwar nicht obligatorisch, bietet aber dem Auftraggeber eine gewisse Sicherheit, dass der externe Dienstleister zumindest weiß, worum es geht.

Bei aller verständlichen Unzufriedenheit über diese erneute zusätzliche Belastung der Praxen ist zu berücksichtigen, dass es sich um die Umsetzung einer gesetzlichen Verpflichtung (§ 75b SGB V) handelt und dass damit auch die Anforderungen der Datenschutzgrundverordnung gewährleistet werden.

Kosten und Refinanzierung

Es steht außer Frage, dass die Umsetzung der Vorgaben aus der IT-Sicherheitsrichtlinie mit erheblichen Investitionen und darüber hinaus mit laufenden Kosten für die Praxen verbunden ist. Deren Höhe ist abhängig von der Praxis-Größe und der bereits vorhandenen IT-Infrastruktur.

Bisher sind in der Refinanzierung der Telematik-Infrastruktur nur die zusätzlichen Kosten für den Konnektor, die Kartenlesegeräte und die Installation berücksichtigt. Die KBV und die Berufsverbände fordern einhellig, dass den Praxen auch die zusätzlichen Kosten für die in der Richtlinie vorgeschriebenen Sicherheitsmaßnahmen von den Krankenkassen erstattet werden müssen. Diese Forderung wird von der KBV in den Bewertungsausschuss eingebracht.

Konsequenzen für die niedergelassenen Chirurgen

Alle chirurgischen Praxen sollten Kontakt mit ihrem IT-Dienstleister aufnehmen und gemeinsam die IT-Sicherheitsrichtlinie als Checkliste abarbeiten. Sofern bestimmte dort empfohlene Maßnahmen unter Bezug auf die individuelle Praxisstruktur für nicht erforderlich gehalten werden, sollte dies mit einer Begründung schriftlich fixiert werden. Eine Beratung bieten neben den Softwareherstellern oft auch lokale IT-Dienstleister. Die Angebote sollten nach Leistungsumfang und Kosten verglichen werden.

Eine kompetente Beratung zur IT-Sicherheit und zu speziellen Versicherungslösungen bietet auch unser Kooperationspartner Ecclesia-med: https://www.ecclesiamed.de/news/news-details/news/cyberrisiken/

Darüber rät Ihnen Ihr Berufsverband dringend, Ihren elektronischen Arztausweis zu beantragen, sofern dies noch nicht geschehen ist. Dazu rufen Sie bitte die entsprechende Homepage einer der bisher zugelassenen Dienstleister auf:

Bei weiteren Fragen wenden Sie sich bitte an die IT-Beratung Ihrer kassenärztlichen Vereinigung oder an Ihren Berufsverband.

Kalbe P: IT-Sicherheits-Richtlinie der KBV. Passion Chirurgie. 2021 Mai; 11(05): Artikel 03_04.

Digitalisierung in der chirurgischen Praxis: Der Frust geht um

Wenn man ­ wie unsere Praxis ­ zu den Ersten gehörte, die sich im Dezember 2017 an die Telematik Infrastruktur (TI) angeschlossen haben, muss man heute resigniert feststellen, dass man davon bisher keinen Mehrwert hatte, sondern nur Kosten, organisatorischen Aufwand und Ärger. Schade eigentlich, denn wir gehören durchaus zu den „EDV-affinen“ ärztlichen Kollegen.

Zwar ist der befürchtete Gau an der Anmeldetheke ausgeblieben, weil der Stammdatenabgleich mit den Krankenkassen (VSDM) meist reibungslos funktioniert und sich die TI im Vergleich zu den ersten Monaten deutlich stabilisiert hat. Jedoch der ist Nutzen für die Praxis aus dieser ersten praktischen Anwendung der TI gleich Null. Man hat darüber hinaus noch den Aufwand mit dem Handling der ungültigen oder defekten Versichertenkarten. Meine Hoffnung, dass mit der TI die Kommunikation im Gesundheitswesen (KIM) verbessert werden könnte, dümpelt leider nur so vor sich hin. Die ersten KIM-Dienste sind zwar zertifiziert, jedoch haben dies die Anbieter von Praxisverwaltungssystemen wieder zum Anlass genommen, die Praxen mit zusätzlichen Lizenz- und Softwarepflege-Gebühren zu belasten. Die Kompatibilität des Hersteller-unabhängigen KIM-Dienstes kv-dox der KBV wird dem Vernehmen nach angezweifelt. Also leider zunächst einmal wieder nichts mit der Hoffnung, endlich einen Vorteil für die Praxis aus der TI zu ziehen und den anachronistischen Fax-Versand loszuwerden.

Als weitere Dienste der TI wurden 2020 der elektronische Medikationsplan (eMP) und das Notfalldaten-Management (NFDM) freigeschaltet. Diese eigentlich sinnvolle Anwendung dürfte allerdings wegen des bürokratischen Aufwands für die Befüllung wenig Akzeptanz finden. Trotzdem empfehle ich allen Kollegen, eine Lizenz dafür zu kaufen, zumindest einmal einen Notfalldatensatz zu erstellen und dann die EBM-Ziffer 01641 abzurechnen. Für die abschließende digitale Signatur des NDFS brauchen Sie allerdings auch Ihren elektronischen Arztausweis. Haben Sie schon? Sind Sie sicher, dass der auch geeignet ist? Wenn Sie auch zu den Pionieren der TI gehörten, haben Sie diesen Ausweis vielleicht schon vor einigen Jahren erhalten. Aber sorry, der ist jetzt nicht mehr aktuell. Sie brauchen einen E-Arztausweis (eHBA) der zweiten Generation. Also müssen Sie die ganze Beantragung inkl. Post-Ident-Verfahren etc. noch einmal durchlaufen. Immerhin werden wenigstens die Kosten für den alten Ausweis angerechnet. Warum empfehle ich Ihnen trotzdem, dies zu machen und bis zu drei Monate auf die Ausfertigung des E-Arztausweises zu warten? Weil die Abrechnung der Nr. 01641 (und einer KV spezifischen Ziffer für die Betriebsbereitschaft für eMP und NFDM) die Voraussetzung dafür ist, dass Sie weitere Kartenlesegeräte für Ihre Praxis finanziert bekommen. Wofür braucht man die?

Nun, unser Gesundheitsminister hat enge zeitliche Vorgaben für die Implementierung weiterer digitaler Dienste auf den Weg gebracht, für die man sämtlich den eHBA einlesen muss. Von denen die Ärzte und die Praxen allerdings, Sie ahnen es, zunächst einmal wieder nur den Aufwand und die Kosten haben (Tabelle 1). So sollen noch in diesem Jahr die eAU, die elektronische Patientenakte (ePA) und das e-Rezept verpflichtend werden, obwohl viele Praxen noch nicht über ein Update ihrer Konnektoren und einen eHBA verfügen.

Tab. 1: Einführung verschiedener Dienste der Telematik Infrastruktur (TI) ab 2020. Alle Dienste benötigen zuvor ein Update des Konnektors, ein kostenpflichtiges Zusatzmodul des PVS und den Einsatz des eHBA 2.0.

Dienst

NFDM

eMP

eArztbrief

eAU

ePA

e-Rezept

Start

Vorhanden

Vorhanden

Vorhanden

01.10.2021

01.1.2021

01.7.2021

KIM Dienst

+

+

+

+

Digitale Arzt-Signatur

+

+

+

+

+

Um die Verunsicherung noch zu steigern hat die gematik in ihrem aktuellen „Whitepaper“ schon die zweite Generation der Telematik Infrastruktur (TI 2.0) angekündigt [1]. Und dies, man mag es kaum glauben, als reine Software-Lösung ohne den Hardware-Konnektor, der bisher als unverzichtbar für die Datensicherheit gepriesen wurde. Offenbar setzt sich in der gematik jetzt doch die Erkenntnis durch, dass man eine umfassende Vernetzung aller Player in der Gesundheitsversorgung mit der sperrigen Konnektor-Lösung nicht realisieren kann. Sie brauchen aber nach meiner Einschätzung nicht zu befürchten, schon morgen Ihren gerade erst für viel Geld installierten Konnektor auf den Elektronik-Schrott werfen zu müssen. In Anbetracht der Umsetzungsgeschwindigkeit bisheriger Projekte der TI dürften viele der jetzt installierten Konnektoren noch ihre Laufzeit von fünf Jahren erleben, bevor auf die Version 2.0 umgestellt wird.

Gibt es denn nicht auch Lichtblicke? Einen praktischen Nutzen könnte ich mir vorstellen durch den in Planung befindlichen elektronischen Impfpass. Dies allerdings unter der Voraussetzung, dass er auch flächendeckend zum Einsatz kommt und regelmäßig aktualisiert wird. Sie erleben sicher, so wie ich, den täglichen Kampf um die Frage des Tetanusimpfschutzes. Eine umfassende elektronische Dokumentation könnte da helfen. Dies auch im Hinblick darauf, dass sich demnächst nicht nur die Frage nach dem Impfschutz gegen Tetanus, sondern vor allem auch gegen COVID-19 stellen wird.

Welchen Nutzen wird uns die elektronische Patientenakte (e-PA) bringen? Da wartet leider die nächste Frustration auf uns. Die Illusion einer möglichst sektorenübergreifenden und stets aktuellen Dokumentation aller relevanten Gesundheitsdaten in einer strukturierten und leicht durchsuchbaren Form müssen wir leider erst einmal verschieben. Ich hoffe allerdings, dass wir dies nicht ganz ad acta legen müssen, denn dies ist die Hauptattraktion für das ganze TI-Projekt. Was allerdings jetzt gemäß der gesetzlichen Verpflichtung von den Krankenkassen als e-PA angeboten wird kann diesem Anspruch in keiner Weise gerecht werden. Somit kritisiert der Sachverständigenrat im Gesundheitswesen (SVR) in seinem jüngsten Gutachten [2] diese Lösung mit einem „mehrfachen Opt-In-Verfahren für die Befüllung und Freigabe“ völlig zu Recht als zu kompliziert für die Versicherten. Darüber hinaus ist für die behandelnden Ärzte kein Gewinn an Informationen aus einem Sammelsurium von unstrukturiert eingestellten pdf-Dokumenten zu erwarten. Zumal man noch nicht einmal die Gewissheit hat, dass der Patient nicht vielleicht wesentliche Informationen „ausgegraut“ hat.

Haben Ihre Patienten Sie schon einmal um die Verordnung einer Digitalen Gesundheitsanwendung (DiGA) gebeten? Damit müssen Sie demnächst rechnen. Es gibt nämlich eine DiGA für unser Fachgebiet: Die von BfArM als Medizinprodukt (vorläufig) zugelassenen App „Vivira“ bietet Unterstützung bei der konservativen Behandlung von Verschleißleiden der Wirbelsäule und der großen Gelenke: https://diga.bfarm.de/de/verzeichnis/387. Für die Verordnung einer dauerhaft gelisteten DiGA rechnen Praxen die Gebührenordnungsposition (GOP) 01470 (18 Punkte/2 Euro) ab. Die Verordnung erfolgt auf dem Arzneimittelrezept (Muster 16). Die GOP kann auch abgerechnet werden, wenn die Verordnung im Rahmen einer Videosprechstunde erfolgt.

Die vom BfArM geprüften und zugelassenen zehn Apps machen aber nur einen Bruchteil der ca. 3.300 beim ZI registrierten Gesundheits-Apps aus. Wenn Sie sich an deren Beurteilung beteiligen wollen können Sie sich beim ZI auf der Homepage https://www.kvappradar.de/ registrieren.

Im Rahmen der Corona-Pandemie haben die verschiedenen technischen Anwendungen für Video-Sprechstunden einen regelrechten Boom erlebt. Für bestimmte Bereiche der Chirurgie sind diese zweifellos gut einzusetzen, wie die Beiträge in dieser Passion Chirurgie zeigen. Die von der KBV veröffentlichten Anwenderzahlen sind aber vorsichtig zu bewerten. Die genaue Analyse zeigt nämlich, dass die Mehrzahl der chirurgischen Anwender die zugehörige EBM-Ziffer nur ein- bis fünfmal pro Quartal angesetzt haben und dass die Leistungshäufigkeit im Quartal 3/2020 im Vergleich zum zweiten Quartal 2020 schon wieder rückläufig war. Es dürften sich also viele Kollegen bei der ersten Corona-Welle bei der KV registriert, Online-Sprechstunden aber nur selten durchgeführt haben.

Lassen Sie mich mit einem etwas optimistischeren Ausblick auf die Zukunft der Digitalisierung in den chirurgischen Praxen schließen. Zum Glück gibt es viele sinnvolle digitale Anwendungen neben der Telematik-Infrastruktur, welche die Praxisabläufe verbessern und vereinfachen können: Die Online Terminvergabe, webbasierte Dienstplanung und Arbeitszeiterfassung, das digitale Dokumentenmanagement, die digitale Bildgebung etc. Einen Überblick darüber bieten wir Ihnen mit unserem neuen BDC-Seminar „EDV-Unterstützung für niedergelassene Chirurginnen und Chirurgen“ (Webinar am 24. April 2021), dass wir nach Abklingen der Corona-Pandemie wieder als Präsenz-Veranstaltung anbieten werden.

Außerdem habe ich die Hoffnung, dass auch die Dienste der Telematik Infrastruktur in gewissem Umfang den Gesetzen des Marktes unterliegen. Wenn kaum einer die ePA in der jetzigen Ausgestaltung nutzen wird – und davon gehe ich aus- wird man um eine Anpassung in eine praktikable Form nicht umhinkommen.

Also bleiben Sie stark und vor allem gesund!

PraxisBarometer Digitalisierung 2020

Digitale ambulante Versorgung: Fehleranfälligkeit und Sicherheit der IT-Systeme sorgen Ärzte und Psychotherapeuten

Etwas mehr als ein Drittel der ärztlichen und knapp 80 Prozent der psychotherapeutischen Praxen bieten mittlerweile Videosprechstunden an oder beabsichtigen dies. In der Zeit vor Beginn der Pandemie waren es bei den Ärzten lediglich zehn Prozent und bei den Psychotherapeuten drei Prozent, die per Videosprechstunde mit ihren Patienten kommunizierten. Schutz des Praxisteams und der Patienten vor Covid-19 nennen 87 Prozent der Praxen als Treiber dieses Digitalisierungsschubes. Aber auch verstärkte Nachfragen von Patienten waren für 25 Prozent der Praxen der Anlass.

Das zeigt eine repräsentative bundesweite Befragung von knapp 2.200 Arzt- und Psychotherapeutenpraxen für das PraxisBarometer Digitalisierung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), das regelmäßig Wissenschaftler des IGES Instituts erstellen. Es erscheint bereits in dritter Auflage und analysiert die Digitalisierung der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung. Die Befragung lief in den Sommermonaten und zeigt den Stand bis zum Juli 2020.

 

Immer mehr Ärzte sehen den Nutzen von Videosprechstunden

Praxen schätzen den Nutzen von Videosprechstunden für sich und ihre Patienten auch deshalb, weil sie Arbeitszeiten flexibler machen, das Besucheraufkommen reduzieren und Patienten leichteren Zugang verschaffen. Vor zwei Jahren werteten noch 18 Prozent den Mehrwert von Videosprechstunden als eher oder sehr hoch. Aktuell sind es rund 30 Prozent. Allerdings rückt auch die telefonische Beratung wieder stärker in den Fokus, als technisch einfachere Alternative zur internetabhängigen Bildübertragung. Besprechungen, etwa über Untersuchungsergebnisse, seien auch darüber sehr gut möglich.

 

Vor allem größere Praxen bieten digitale Angebote

Bei weiteren digitalen Angeboten sind vor allem größere Praxen führend: Während nur 18 Prozent der Einzelpraxen etwa eine Online-Terminvereinbarung ermöglichen, sind dies bei Praxen mit fünf und mehr Ärzten oder Psychotherapeuten rund 34 Prozent. Auch eine Online-Rezeptbestellung ist in jeder zehnten Einzelpraxis, hingegen in jeder vierten der großen Praxen möglich. Auch der Grad der Digitalisierung der Patientendokumentation ist abhängig von der Praxisgröße: Unter den großen Praxen mit fünf und mehr Ärzten/Psychotherapeuten haben mehr als zwei Drittel (67 Prozent) die Patientendokumentation nahezu komplett digitalisiert, bei den Einzelpraxen dagegen lediglich rund ein Drittel (34 Prozent).

 

Klagen über störanfällige Telematikinfrastruktur (TI)

Das PraxisBarometer Digitalisierung untersucht erstmals die aktuellen Erfahrungen der Praxen mit der Telematikinfrastruktur (TI). Danach sind inzwischen knapp 90 Prozent der ärztlichen Praxen angeschlossen. Doch das System scheint sehr fehleranfällig zu sein: Mehr als ein Drittel der Praxen berichtet, dass es mindestens einmal pro Woche Störungen gibt. Diese betreffen den Konnektor, das Kartenterminal oder den Netzwerkzugang.

 

Sorge und Informationsbedarf beim Thema IT-Sicherheit

Sorge bereitet den Praxen die Administration und Sicherheit ihrer IT: Mehr als 80 Prozent sehen dies als Hemmnis der weiteren Digitalisierung. Was den Praxen fehlt, sind eigenen Aussagen zufolge vor allem verbindliche Checklisten oder Leitlinien zur Sicherheit. Dabei gilt die Sorge ihrer Verantwortung für patientenbezogene Daten, sobald diese durch neue digitale Anwendungen den Praxisbereich verlassen.

 

Kaum Fortschritte beim Datenaustausch mit anderen Leistungserbringern

Beim digitalen Austausch zwischen Praxen und auch Krankenhäusern klaffen Wunsch und Realität noch immer weit auseinander. Rund 59 Prozent aller Praxen erwarten etwa von der digitalen Übertragung von Arztbriefen große Unterstützung im Praxisalltag. Aber knapp ein Viertel der Arztpraxen empfängt derzeit noch immer keinerlei digitale Daten von anderen ambulanten Einrichtungen. Ausnahmen bleiben – wie schon in den PraxisBarometern der Vorjahre gezeigt – Labordaten, die 70 Prozent der Arztpraxen digital empfangen. Bei den Hausärzten sind es sogar 90 Prozent.

Digitale Wüste ist weiterhin die schriftliche Kommunikation mit Krankenhäusern. Bei 95 Prozent der Praxen läuft diese noch immer überwiegend in Papierform ab. Dabei wünschen sich 70 Prozent der Praxen, Entlassbriefe ihrer Patienten nach einem Klinikaufenthalt digital zu empfangen. Real treffen diese Berichte derzeit nur bei fünf Prozent elektronisch ein.

Quelle: iges.com

Literatur

[1]   gematik (2020): Arena für digitale Medizin. Whitepaper Telematikinfra­struktur 2.0 für ein föderalistisch vernetztes GesundheitssystemHrsg.:gematik GmbH, Friedrichstraße 136, 10117 Berlin

[2]   Sachverständigenrat im Gesundheitswesen SVR (2021): Digitalisierung für Gesundheit. Ziele und Rahmenbedingungen eines dynamisch lernenden Gesundheitssystems. Gutachten 2021

Kalbe P: Digitalisierung in der chirurgischen Praxis: Der Frust geht um. Passion Chirurgie. 2021 Mai; 11(05): Artikel 03_01.

Hier geht es zur Studie „PraxisBarometer Digitalisierung 2020“

Nachruf zum Tod von Dr. med. Michael Bartsch

Am 9. Dezember 2020 ist unser lieber und geschätzter Kollege Dr. med. Michael Bartsch verstorben. Der Vorstand des BDC konnte Dr. Bartsch noch im vergangenen Jahr auf der Präsidiumssitzung im November mit der Wolfgang Müller-Osten-Medaille für seine Verdienste um die Zusammenarbeit des BNC und BDC ehren. Es erfüllt uns mit Genugtuung, dem Kollegen Bartsch mit dieser Auszeichnung noch ein Zeichen der hohen Wertschätzung erbracht zu haben.

1957 in Mannheim geboren, studierte er ab 1978 Medizin in Regensburg, Erlangen und an der LMU München. Ab 1985 absolvierte er seine Facharztweiterbildung an der Chirurgischen Klinik und Poliklinik der Universität Erlangen-Nürnberg (Gall). Nach seiner Facharztanerkennung im Jahr 1991 wechselte er in die Unfallchirurgie der Uni Erlangen-Nürnberg (Beck/Hennig) und erwarb 1993 die Teilgebietsbezeichnung Unfallchirurgie. Kurz darauf wurde er 1994 zum Oberarzt ernannt. Es folgten die Zusatzbezeichnungen Sportmedizin und Chirotherapie. Während dieser Zeit hielt er zahlreiche Vorträge auf nationalen und internationalen wissenschaftlichen Kongressen und er publizierte mehr als 50 Zeitschriftenbeiträge.

Dr. Michael Bartsch sammelte ausgiebige Erfahrungen in beiden Sektoren der Chirurgie. Nach seiner Oberarzt-Tätigkeit entschied er sich 1995 für eine Karriere in der Niederlassung. Bis 2003 war er in einer chirurgisch-unfallchirurgischen Gemeinschaftspraxis in Roth bei Nürnberg tätig und erhielt dort auch die D-Arzt-Zulassung. 2003 gehörte er zu den Mitbegründern des MVZ ACUNA Praxisklinik Roth, in dem er bis zu seinem krankheitsbedingten Ruhestand im Jahr 2020 erfolgreich tätig war.

Wir verlieren mit Michael Bartsch einen versierten Chirurgen, der bewiesen hat, dass der Karriereweg aus der Universitätsklinik heraus auch in der Niederlassung zu beruflichem Erfolg und persönlicher Zufriedenheit führen kann. Obwohl er nie ein Mandat für den BDC innehatte, war er doch unserem Berufsverband stets zugetan und setzte sich immer – auch gegen Widerstände aus den eigenen Reihen – für eine enge Kooperation mit dem BDC ein.

Dies dokumentiert sich vor allem in der erfolgreichen Zusammenarbeit mit ihm als Leiter des gemeinsamen Bundeskongresses Chirurgie in Nürnberg von 2016 bis 2019. Darüber hinaus war Michael Bartsch verlässlicher Ansprechpartner des BDC in Perioden politischer Spannungen zwischen dem BDC und dem Berufsverband der niedergelassenen Chirurgen (BNC). In letzterem war er seit dem Jahr 2000 im Vorstand aktiv.

Insbesondere mit seinem ausgleichenden und integren Wesen hat Dr. Bartsch dazu beigetragen, dass durchgehend ein konstruktiver Gesprächsfaden zwischen den Berufsverbänden aufrechterhalten wurde. Nicht zuletzt deswegen werden wir ihn vermissen. Seiner Ehefrau und seiner Familie gilt die aufrichtige Teilnahme des BDC-Vorstands und aller Chirurgen, die ihn als kompetenten, freundlichen und hilfsbereiten Kollegen in Erinnerung behalten werden.

Für den BDC-Vorstand:
Dr. Peter Kalbe
Vizepräsident

Abrechnung der Behandlung von chronischen Wunden im EBM

Im allgemein zugänglichen Bereich des EBM (Kapitel 2) findet sich nur ein einziger spezifischer Komplex zur Behandlung sekundär heilender Wunden:

02310: Behandlungskomplex einer/von sekundär heilenden Wunde(n)

Voraussetzung für die Abrechnung sind drei persönliche Arzt-Patientenkontakte. Darüber hinaus muss bei jedem Kontakt eine Wundbehandlung erfolgen, also z. B. eine Nekrosenabtragung oder ein Débridement oder eine Tamponade oder ein Kompressionsverband. Der Komplex kann nach dem dritten Kontakt angesetzt werden. Leider sind zahlreiche andere Grundleistungen der Wundbehandlung gegen diese GO.-Nr. gesperrt, zum Beispiel die Leistungen der primären Wundversorgung (02300-02302) sowie die Ruhigstellung (02350). Das ist besonders ärgerlich nach einer Emmert-Plastik gemäß der Nr. 02302 und führt zu der kuriosen Konsequenz, dass man rückwirkend diese Leistungen wieder streichen muss, wenn man den Komplex ansetzt. Weiterhin kann der Komplex nur einmal im Behandlungsfall (in der Regel pro Quartal) abgerechnet werden, egal wie viele Wunden wie oft behandelt werden müssen.

Darüber hinaus ist der Ansatz nicht möglich beim diabetischen Fuß, beim Ulcus cruris, beim Lymphödem und bei Thrombosen, weil für diese Krankheitsbilder gesonderte GO.-Positionen zur Verfügung stehen:

02311: Behandlung Diabetischer Fuß

Diese Leistung ist für Chirurgen frei, allerdings nur, wenn gegenüber der KV der Nachweis erbracht wird, dass im Durchschnitt der letzten vier Quartale vor Antragstellung je Quartal die Behandlung von mindestens 100 Patienten mit Diabetes mellitus durchgeführt wurde. Dies ist anhand der ICD Statistik nachzuweisen. Diese GO.-Nr. ist ebenfalls gegen die Kleinchirurgie und andere Behandlungskomplexe gesperrt, ansonsten aber ohne Mengenbegrenzung je Sitzung und je Bein abrechenbar. Es ist allerdings zu beachten, dass der obligate Leistungsinhalt die Abtragung ausgedehnter Nekrosen der unteren Extremität beinhaltet. Dies dürfte auch bei ausgedehnten Befunden nur in begrenzter Häufigkeit zutreffen.

02312: Behandlungskomplex eines oder mehrerer chronisch venösen/r Ulcus/Ulcera cruris

Hier wird ebenfalls obligat die Abtragung von Nekrosen gefordert, allerdings nicht explizit ausgedehnter Nekrosen. Weiterhin obligat sind die Lokaltherapie der Wunde und der entstauende phlebologische Kompressionsverband. Darüber hinaus ist eine Fotodokumentation zu Beginn der Behandlung und weiter alle vier Wochen erforderlich. Der Ansatz ist je Sitzung und je Bein möglich, allerdings limitiert auf maximal 4.244 Punkte pro Behandlungsfall. Das ermöglicht somit maximal 77-mal die Abrechnung der 02312, sofern der Leistungsinhalt erbracht wurde.

Seit dem 01.10.2020 neu im EBM ist folgende Leistungsposition:

02314: Zusatzpauschale für die Vakuumversiegelungstherapie

Diese Leistung wurde auf Grund eines Beschlusses des Gemeinsamen Bundesausschusses in den EBM aufgenommen und ist demgemäß auch limitiert durch die Eingrenzungen der entsprechenden Richtlinie. Zusammengefasst bedeutet dies, dass die 02314 nur bei Patienten berechnungsfähig ist, bei denen aufgrund wund- oder patientenspezifischer Risikofaktoren unter einer Standardwundbehandlung keine ausreichende Heilung zu erwarten ist. Die 02314 ist nicht gegenüber anderen Wundbehandlungen gesperrt, allerdings schon gegen die Pauschale für die fachärztliche Grundversorgung, was eigentlich nicht nachvollziehbar ist.

Zusätzlich sind die Kostenpauschalen 40901-40903 anzusetzen. Die Industrie bietet u. a. „single use“ Systeme zur Vakuumversiegelung an, deren Kosten deutlich unter den Erstattungssätzen liegen können, sodass sich diese Therapie in Rahmen einer Wundsprechstunde/eines Wundzentrums als betriebswirtschaftlich durchaus attraktiv darstellen kann. Die Vergütung erfolgt zunächst extrabudgetär, wird aber später in die Gesamtvergütung überführt. Sofern die Anschaffung einer teuren Vakuumpumpe erwogen wird darf nicht übersehen werden, dass die jetzige Regelung unter dem Vorbehalt einer kurzfristigen Überprüfung durch das Institut des Bewertungsausschusses steht und somit zunächst nur bis zum 30.09.2021 festgeschrieben ist (Protokollnotiz).

Die Vakuumversiegelung kann auch bei intendiertem primärem Wundverschluss gemäß GO.-Nr. 31401 bei den ambulanten und 36401 bei den belegärztlichen Operationen abgerechnet werden. Nur bei den ambulanten Operationen sind zusätzlich die Sachkosten pauschal nach der GO.-Nr. 40900 anzusetzen, bei den belegärztlichen Operationen sind diese in der DRG enthalten.

Gelegentlich sieht man, dass die GO.-Nr. 02300 irrtümlich für die Behandlung sekundär heilender Wunden angesetzt wird. Dies wird von den KVen zu Recht gestrichen, weil sich diese GO.-Nr. explizit auf eine primäre Wundversorgung bezieht. Ältere Kollegen werden sich noch an die alte GO.-Nr. 2022 aus dem EBM vor der letzten großen Reform erinnern, die regelhaft bei der Behandlung von sekundär heilenden Wunden angesetzt wurde. Diese Leistung ist aber – wie viele andere – im Rahmen der Pauschalierung und Komplexierung in der Kalkulation der Grundpauschale aufgegangen. Details zu den dort enthaltenen Leistungen finden Sie in EBM im Anhang IV.1 (Verzeichnis der nicht gesondert berechnungsfähigen Leistungen).

Fachärztliche Behandlungskomplexe

In fachärztlichen Kapitel 7 (bzw. 18) bildet ein weiterer Komplex die Behandlung von chronischen Wunden ab:

07340 (18340): Behandlung sekundär heilender Wunde(n)

Hier werden fünf Arzt-Patienten-Kontakte vorausgesetzt. Gemäß der Allgemeinen Bestimmungen muss davon lediglich ein Kontakt persönlich erbracht werden, die restlichen können auch z. B. per Video oder Foto oder auch als Delegationsleistung durch das Praxispersonal erfolgen. Es gelten die gleichen Abrechnungsausschlüsse wie bei der GO.-Nr. 02310, allerdings sind zumindest im Behandlungsfall die Leistungen der Kleinchirurgie (02300-02302) nicht gesperrt, was insbesondere bei der Emmertplastik (02302) interessant ist. Leider ist die Pauschale für die fachärztliche Grundversorgung auch gegen diesen Komplex gesperrt, was aus fachlicher Sicht nicht nachvollziehbar ist, zumal die Versorgung chronischer Wunden definitiv zur chirurgischen Grundversorgung zählt.

Ab dem sechsten Kontakt fortgesetzte Wundbehandlungen sind bisher nicht gesondert abrechenbar, was die langfristige Wundpflege unwirtschaftlich macht. Der BDC setzt sich dafür ein, dass bei der anstehenden „kleinen EBM-Reform“ im Rahmen der Zusammenlegung der Kapitel 7 und 18 eine sachgerechte Abrechnungsmöglichkeit für diese langdauernden Wundbehandlungen eingeführt wird.

Operative Leistungen zur Wund-Sanierung, zum Defektverschluss oder zur Kausaltherapie

Über die hier aufgeführten Leistungen der Grundversorgung hinaus sind natürlich Operationen in den Kapiteln 31 (ambulante Operationen) bzw. 36 (belegärztliche Operationen) abzurechnen. Dies z. B. für ein radikales und ausgedehntes Débridement – ggf. mit temporärem Wundverschluss – (ops=5-916.7nn), für plastische Operationen zum Defektverschluss, z. B. Lappenplastiken (ops=5-895.4nn) oder für Eingriffe der Gefäßchirurgie.

Kalbe P, Rüggeberg JA: Abrechnung der Behandlung von chronischen Wunden im EBM. Passion Chirurgie. 2021 Januar/Februar; 11(01/02): Artikel 04_05.

Editorial im Januar 2021: Chronische Wunde

Ausgabe 01-02/2021, Chronische Wunde

Liebe BDC-Mitglieder!

Die Chirurgie ist seit der Antike eng mit der Wundbehandlung verbunden. Vom Mittelalter bis in die frühe Neuzeit wurde die Chirurgie teilweise synonym als „Wundarznei“ bezeichnet. In der aktuellen Weiterbildungsordnung gehören „Wundmanagement und stadiengerechte Wundtherapie“ zu den übergreifenden Basisinhalten im Gebiet Chirurgie. Im Rahmen der zunehmenden Spezialisierung der chirurgischen Fächer drohen jedoch die Kompetenzen und Erfahrungen in der Wundbehandlung teilweise verloren zu gehen. Satzungsgemäß nimmt der Berufsverband der deutschen Chirurgen auch die Aufgabe wahr, allen auf die Einengung oder Schmälerung der chirurgischen Gebiete gerichteten Bestrebungen entgegen zu wirken. Das Thema „Chronische Wunde“ ist daher schon seit mehreren Jahren regelmäßig Gegenstand von BDC-Vortragssitzungen beim Deutschen Chirurgenkongress (DCK) und nun auch Schwerpunktthema dieser Ausgabe der Passion Chirurgie.

Chronische Wunden gelten zu Recht als Volkskrankheit, denn bis zu 3 Millionen Deutsche leiden darunter. Die meist langwierige und aufwändige Behandlung hat eine immense volkswirtschaftliche Bedeutung, vor allem auch im Hinblick auf die potenziellen Komplikationen, also drohende Amputationen. Die aktuellen Behandlungskonzepte setzen auf die Kooperation von Ärzten, Wundmanagern, Wundexperten und Pflegediensten. Dabei ist die regelmäßige Wundpflege in gewissem Umfang delegierbar. Teilweise überregional tätige Managementgesellschaften haben sich mit einheitlich hohen Behandlungsstandards etabliert. Es ist aber unerlässlich, dass die Chirurgie ihrer zentralen Rolle bei der Beurteilung, Indikationsstellung und operativen Behandlung von Wundheilungsstörungen nachkommt und sich gegen alle Tendenzen zur Substitution und zur Migration in andere Gebiete aufstellt.

Wer chronische Wunden erfolgreich behandeln will, muss die Pathophysiologie und den phasischen Ablauf der Wundheilung kennen und verstehen. Frau PD Weyand und Professor Vogt erläutern in ihrem Artikel den aktuellen Stand der zellulären und humoralen Mechanismen der physiologischen Wundheilung und die potenziellen Störfaktoren. Im Fazit verweisen sie auf die überragende Bedeutung der feuchten Wundbehandlung, des chirurgischen Débridements und der gezielten Antibiose. Professor Riedl und Professor Storck verweisen in ihrem Artikel darauf, dass eine strukturierte Therapie chronischer Wunden stets eine Kausaltherapie voraussetzt. Dies erfordert die Einbeziehung weiterer Fachkompetenzen, vor allem der Gefäßchirurgie. Aber auch die interdisziplinäre Abklärung von Ursachen aus der Inneren Medizin, der Dermatologie und der Neurologie ist notwendig. Einen Ausblick auf Basistugenden der perioperativen Hygiene und Innovationen bei der Wundbehandlung bietet das Interview mit Professor Bail. Ein kurzer Überblick über die Abrechnung der Wundbehandlungen im EBM rundet die Darstellung ab.

Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist es unattraktiv, ein Wundzentrum zu betreiben. Sowohl in den Krankenhäusern als auch in den Praxen ist die langwierige Betreuung von Patienten mit chronischen Wunden defizitär. Auch wenn im EBM jüngst die Abrechnung der Vakuumtherapie hinzugekommen ist, so sind dort vor allem langdauernde Wundbehandlungen nur unzureichend abgebildet. Dazu kommt die latente Gefahr, durch die Verordnung teurer Wundauflagen in ein Regressverfahren zu geraten. In Anbetracht der Sekundärkosten durch Spätfolgen chronischer Wunden ist es vollkommen unverständlich, dass nicht mehr Krankenkassen Interesse an Sonderverträgen für die Versorgung von Wundpatienten haben.

Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Erkenntnisgewinn beim Lesen dieser Ausgabe. Uns allen wünsche ich, dass sich die aktuell sehr hohe Inzidenz der COVID-19 Erkrankung deutlich reduziert hat, wenn Sie dies veröffentlicht sehen. Dies würde es uns erleichtern, dann über die Corona Pandemie hinaus auch wieder den Blick auf andere ungelöste Probleme der Gesundheitsversorgung zu richten.

Bleiben Sie gesund!

Kalbe P: Editorial Chronische Wunde. Passion Chirurgie. 2021 Januar/Februar; 11(01/02): Artikel 01.

BDC-Kommentar: IT-Sicherheits-Richtlinie der KBV muss von den Krankenkassen erstattet werden

BDC-Vizepräsident Dr. Kalbe kommentiert die Verabschiedung der IT-Sicherheitsrichtlinie der Kassenärztlichen Bundesvereinigung

Die Bundesregierung treibt die Digitalisierung im Gesundheitswesen (und nicht nur dort) mit erheblichem Druck voran. Der zwangsweise Anschluss aller Arztpraxen an die Telematik-Infrastruktur hat bei vielen Vertragsärzten zu großem Verdruss geführt, zumal die Ärzte dabei jahrelang nur als kostenlose Dienstleister für den Stammdatenabgleich der Krankenkassen fungiert haben. Für das Jahr 2021 sind nunmehr weitere Funktionen der IT in der Pipeline, die wenigstens für die Patientinnen und Patienten (Notfalldaten-Management) und hoffentlich im Verlauf des Jahres auch durch die verbesserte innerärztliche Kommunikation (KIM-Dienste) einen gewissen Benefit versprechen.

Allerdings hat die zwangsweise elektronische Vernetzung der Ärzteschaft in einzelnen Praxen auch gravierende Sicherheitslücken in der Infrastruktur und Sicherheit der EDV-Anlagen und deren Anbindung offengelegt, die es Hackern ermöglichen würden, in die Praxissysteme einzudringen und sensible Patientendaten zu entwenden. Insofern ist es grundsätzlich zu begrüßen, dass die KBV nach einem langen Diskussionsprozess nunmehr eine IT-Sicherheitsrichtlinie verabschiedet hat, deren Vorgaben alle Arztpraxen nach einer Übergangsfrist einzuhalten haben. Der Autor war als Delegierter der KBV-Vertreterversammlung in diesen Prozess eingebunden und kann bestätigen, dass diese – zweifellos immer noch sehr umfänglichen – technischen Vorgaben den besterreichbaren Kompromiss darstellen und dass eine erhebliche Verschlankung und pragmatische Anpassung gegenüber den ursprünglichen Forderungen des BSI (Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik) erreicht werden konnte:

Abstufung des Sicherheitsaufwandes

Es war der Ärzteschaft besonders wichtig, den Umfang der vorgeschriebenen Maßnahmen an die Praxisgröße anzupassen. Dies ist nunmehr gelungen, indem 3 Stufen definiert und der IT-Sicherheitsaufwand daran angepasst wurde:

  • Praxis: Praxis mit bis zu 5 ständig mit der Datenverarbeitung betrauten Personen
  • Mittlere Praxis: Praxis mit 6-20 ständig der Datenverarbeitung betrauten Personen
  • Großpraxis mit Datenverarbeitung im erheblichen Umfang: Praxis mit mehr als 20 ständig mit der Datenverarbeitung betrauten Personen oder mit komplexen EDV-Strukturen

Gestufte Umsetzung mit Fristen bis 2022

Darüber hinaus konnte eine gewisse zeitliche Streckung der Umsetzung bis zum 01.01.2022 erreicht werden. Trotzdem sollte man als Praxis-Inhaber ohne Verzögerung darangehen, die Anbindung der Praxis an das Internet zu überprüfen und notwendige Änderungen/Ergänzungen in Auftrag zu geben, zumal zahlreiche Vorgaben schon bis zum 01.04.2021 umzusetzen sind. Dies dürfte in den meisten Fällen die Einbeziehung von IT-Experten erfordern, für welche die KBV darüber hinaus ein Zertifizierungsverfahren anbietet. Dies ist zwar nicht obligatorisch, bietet aber dem Auftraggeber eine gewisse Sicherheit, dass der externe Dienstleister zumindest weiß, worum es geht.
Bei aller verständlichen Unzufriedenheit über diese erneute zusätzliche Belastung der Praxen ist zu berücksichtigen, dass es sich um die Umsetzung einer gesetzlichen Verpflichtung (§ 75b SGB V) handelt und dass damit auch die Anforderungen der Datenschutzgrundverordnung gewährleistet werden.

Kosten und Refinanzierung

Es steht außer Frage, dass die Umsetzung der Vorgaben aus der IT-Sicherheitsrichtlinie mit erheblichen Investitionen und darüber hinaus mit laufenden Kosten für die Praxen verbunden ist. Deren Höhe ist abhängig von der Praxis-Größe und der bereits vorhandenen IT-Infrastruktur.

Bisher sind in der Refinanzierung der Telematik-Infrastruktur nur die zusätzlichen Kosten für den Konnektor, die Kartenlesegeräte und die Installation berücksichtigt. Die KBV und die Berufsverbände fordern einhellig, dass den Praxen auch die zusätzlichen Kosten für die in der Richtlinie vorgeschriebenen Sicherheitsmaßnahmen von den Krankenkassen erstattet werden müssen. Diese Forderung wird von der KBV in den Bewertungsausschuss eingebracht.

Konsequenzen für die niedergelassenen Chirurgen

Alle chirurgischen Praxen sollten Kontakt mit ihrem IT-Dienstleister aufnehmen und gemeinsam die IT-Sicherheitsrichtlinie als Checkliste abarbeiten. Sofern bestimmte dort empfohlene Maßnahmen unter Bezug auf die individuelle Praxisstruktur für nicht erforderlich gehalten werden, sollte dies mit einer Begründung schriftlich fixiert werden. Eine Beratung bieten neben den Softwareherstellern oft auch lokale IT-Dienstleister. Die Angebote sollten nach Leistungsumfang und Kosten verglichen werden.

Eine kompetente Beratung zur IT-Sicherheit und zu speziellen Versicherungslösungen bietet auch unser Kooperationspartner Ecclesia-med. 

Darüber rät Ihnen Ihr Berufsverband dringend, Ihren elektronischen Arztausweis zu beantragen, sofern dies noch nicht geschehen ist. Dazu rufen Sie bitte die entsprechende Homepage einer der bisher zugelassenen Dienstleister auf:

  • Bundesdruckerei
  • Medisign
  • Telekom

Bei weiteren Fragen wenden Sie sich bitte an die IT-Beratung Ihrer Kassenärztlichen Vereinigung oder an Ihren Berufsverband.

Dr. med. P. Kalbe Vizepräsident
Berufsverband der Deutschen Chirurgen e.V.