Zurück zur Übersicht

Wenn man ­ wie unsere Praxis ­ zu den Ersten gehörte, die sich im Dezember 2017 an die Telematik Infrastruktur (TI) angeschlossen haben, muss man heute resigniert feststellen, dass man davon bisher keinen Mehrwert hatte, sondern nur Kosten, organisatorischen Aufwand und Ärger. Schade eigentlich, denn wir gehören durchaus zu den „EDV-affinen“ ärztlichen Kollegen.

Zwar ist der befürchtete Gau an der Anmeldetheke ausgeblieben, weil der Stammdatenabgleich mit den Krankenkassen (VSDM) meist reibungslos funktioniert und sich die TI im Vergleich zu den ersten Monaten deutlich stabilisiert hat. Jedoch der ist Nutzen für die Praxis aus dieser ersten praktischen Anwendung der TI gleich Null. Man hat darüber hinaus noch den Aufwand mit dem Handling der ungültigen oder defekten Versichertenkarten. Meine Hoffnung, dass mit der TI die Kommunikation im Gesundheitswesen (KIM) verbessert werden könnte, dümpelt leider nur so vor sich hin. Die ersten KIM-Dienste sind zwar zertifiziert, jedoch haben dies die Anbieter von Praxisverwaltungssystemen wieder zum Anlass genommen, die Praxen mit zusätzlichen Lizenz- und Softwarepflege-Gebühren zu belasten. Die Kompatibilität des Hersteller-unabhängigen KIM-Dienstes kv-dox der KBV wird dem Vernehmen nach angezweifelt. Also leider zunächst einmal wieder nichts mit der Hoffnung, endlich einen Vorteil für die Praxis aus der TI zu ziehen und den anachronistischen Fax-Versand loszuwerden.

Als weitere Dienste der TI wurden 2020 der elektronische Medikationsplan (eMP) und das Notfalldaten-Management (NFDM) freigeschaltet. Diese eigentlich sinnvolle Anwendung dürfte allerdings wegen des bürokratischen Aufwands für die Befüllung wenig Akzeptanz finden. Trotzdem empfehle ich allen Kollegen, eine Lizenz dafür zu kaufen, zumindest einmal einen Notfalldatensatz zu erstellen und dann die EBM-Ziffer 01641 abzurechnen. Für die abschließende digitale Signatur des NDFS brauchen Sie allerdings auch Ihren elektronischen Arztausweis. Haben Sie schon? Sind Sie sicher, dass der auch geeignet ist? Wenn Sie auch zu den Pionieren der TI gehörten, haben Sie diesen Ausweis vielleicht schon vor einigen Jahren erhalten. Aber sorry, der ist jetzt nicht mehr aktuell. Sie brauchen einen E-Arztausweis (eHBA) der zweiten Generation. Also müssen Sie die ganze Beantragung inkl. Post-Ident-Verfahren etc. noch einmal durchlaufen. Immerhin werden wenigstens die Kosten für den alten Ausweis angerechnet. Warum empfehle ich Ihnen trotzdem, dies zu machen und bis zu drei Monate auf die Ausfertigung des E-Arztausweises zu warten? Weil die Abrechnung der Nr. 01641 (und einer KV spezifischen Ziffer für die Betriebsbereitschaft für eMP und NFDM) die Voraussetzung dafür ist, dass Sie weitere Kartenlesegeräte für Ihre Praxis finanziert bekommen. Wofür braucht man die?

Nun, unser Gesundheitsminister hat enge zeitliche Vorgaben für die Implementierung weiterer digitaler Dienste auf den Weg gebracht, für die man sämtlich den eHBA einlesen muss. Von denen die Ärzte und die Praxen allerdings, Sie ahnen es, zunächst einmal wieder nur den Aufwand und die Kosten haben (Tabelle 1). So sollen noch in diesem Jahr die eAU, die elektronische Patientenakte (ePA) und das e-Rezept verpflichtend werden, obwohl viele Praxen noch nicht über ein Update ihrer Konnektoren und einen eHBA verfügen.

Tab. 1: Einführung verschiedener Dienste der Telematik Infrastruktur (TI) ab 2020. Alle Dienste benötigen zuvor ein Update des Konnektors, ein kostenpflichtiges Zusatzmodul des PVS und den Einsatz des eHBA 2.0.

Dienst

NFDM

eMP

eArztbrief

eAU

ePA

e-Rezept

Start

Vorhanden

Vorhanden

Vorhanden

01.10.2021

01.1.2021

01.7.2021

KIM Dienst

+

+

+

+

Digitale Arzt-Signatur

+

+

+

+

+

Um die Verunsicherung noch zu steigern hat die gematik in ihrem aktuellen „Whitepaper“ schon die zweite Generation der Telematik Infrastruktur (TI 2.0) angekündigt [1]. Und dies, man mag es kaum glauben, als reine Software-Lösung ohne den Hardware-Konnektor, der bisher als unverzichtbar für die Datensicherheit gepriesen wurde. Offenbar setzt sich in der gematik jetzt doch die Erkenntnis durch, dass man eine umfassende Vernetzung aller Player in der Gesundheitsversorgung mit der sperrigen Konnektor-Lösung nicht realisieren kann. Sie brauchen aber nach meiner Einschätzung nicht zu befürchten, schon morgen Ihren gerade erst für viel Geld installierten Konnektor auf den Elektronik-Schrott werfen zu müssen. In Anbetracht der Umsetzungsgeschwindigkeit bisheriger Projekte der TI dürften viele der jetzt installierten Konnektoren noch ihre Laufzeit von fünf Jahren erleben, bevor auf die Version 2.0 umgestellt wird.

Gibt es denn nicht auch Lichtblicke? Einen praktischen Nutzen könnte ich mir vorstellen durch den in Planung befindlichen elektronischen Impfpass. Dies allerdings unter der Voraussetzung, dass er auch flächendeckend zum Einsatz kommt und regelmäßig aktualisiert wird. Sie erleben sicher, so wie ich, den täglichen Kampf um die Frage des Tetanusimpfschutzes. Eine umfassende elektronische Dokumentation könnte da helfen. Dies auch im Hinblick darauf, dass sich demnächst nicht nur die Frage nach dem Impfschutz gegen Tetanus, sondern vor allem auch gegen COVID-19 stellen wird.

Welchen Nutzen wird uns die elektronische Patientenakte (e-PA) bringen? Da wartet leider die nächste Frustration auf uns. Die Illusion einer möglichst sektorenübergreifenden und stets aktuellen Dokumentation aller relevanten Gesundheitsdaten in einer strukturierten und leicht durchsuchbaren Form müssen wir leider erst einmal verschieben. Ich hoffe allerdings, dass wir dies nicht ganz ad acta legen müssen, denn dies ist die Hauptattraktion für das ganze TI-Projekt. Was allerdings jetzt gemäß der gesetzlichen Verpflichtung von den Krankenkassen als e-PA angeboten wird kann diesem Anspruch in keiner Weise gerecht werden. Somit kritisiert der Sachverständigenrat im Gesundheitswesen (SVR) in seinem jüngsten Gutachten [2] diese Lösung mit einem „mehrfachen Opt-In-Verfahren für die Befüllung und Freigabe“ völlig zu Recht als zu kompliziert für die Versicherten. Darüber hinaus ist für die behandelnden Ärzte kein Gewinn an Informationen aus einem Sammelsurium von unstrukturiert eingestellten pdf-Dokumenten zu erwarten. Zumal man noch nicht einmal die Gewissheit hat, dass der Patient nicht vielleicht wesentliche Informationen „ausgegraut“ hat.

Haben Ihre Patienten Sie schon einmal um die Verordnung einer Digitalen Gesundheitsanwendung (DiGA) gebeten? Damit müssen Sie demnächst rechnen. Es gibt nämlich eine DiGA für unser Fachgebiet: Die von BfArM als Medizinprodukt (vorläufig) zugelassenen App „Vivira“ bietet Unterstützung bei der konservativen Behandlung von Verschleißleiden der Wirbelsäule und der großen Gelenke: https://diga.bfarm.de/de/verzeichnis/387. Für die Verordnung einer dauerhaft gelisteten DiGA rechnen Praxen die Gebührenordnungsposition (GOP) 01470 (18 Punkte/2 Euro) ab. Die Verordnung erfolgt auf dem Arzneimittelrezept (Muster 16). Die GOP kann auch abgerechnet werden, wenn die Verordnung im Rahmen einer Videosprechstunde erfolgt.

Die vom BfArM geprüften und zugelassenen zehn Apps machen aber nur einen Bruchteil der ca. 3.300 beim ZI registrierten Gesundheits-Apps aus. Wenn Sie sich an deren Beurteilung beteiligen wollen können Sie sich beim ZI auf der Homepage https://www.kvappradar.de/ registrieren.

Im Rahmen der Corona-Pandemie haben die verschiedenen technischen Anwendungen für Video-Sprechstunden einen regelrechten Boom erlebt. Für bestimmte Bereiche der Chirurgie sind diese zweifellos gut einzusetzen, wie die Beiträge in dieser Passion Chirurgie zeigen. Die von der KBV veröffentlichten Anwenderzahlen sind aber vorsichtig zu bewerten. Die genaue Analyse zeigt nämlich, dass die Mehrzahl der chirurgischen Anwender die zugehörige EBM-Ziffer nur ein- bis fünfmal pro Quartal angesetzt haben und dass die Leistungshäufigkeit im Quartal 3/2020 im Vergleich zum zweiten Quartal 2020 schon wieder rückläufig war. Es dürften sich also viele Kollegen bei der ersten Corona-Welle bei der KV registriert, Online-Sprechstunden aber nur selten durchgeführt haben.

Lassen Sie mich mit einem etwas optimistischeren Ausblick auf die Zukunft der Digitalisierung in den chirurgischen Praxen schließen. Zum Glück gibt es viele sinnvolle digitale Anwendungen neben der Telematik-Infrastruktur, welche die Praxisabläufe verbessern und vereinfachen können: Die Online Terminvergabe, webbasierte Dienstplanung und Arbeitszeiterfassung, das digitale Dokumentenmanagement, die digitale Bildgebung etc. Einen Überblick darüber bieten wir Ihnen mit unserem neuen BDC-Seminar „EDV-Unterstützung für niedergelassene Chirurginnen und Chirurgen“ (Webinar am 24. April 2021), dass wir nach Abklingen der Corona-Pandemie wieder als Präsenz-Veranstaltung anbieten werden.

Außerdem habe ich die Hoffnung, dass auch die Dienste der Telematik Infrastruktur in gewissem Umfang den Gesetzen des Marktes unterliegen. Wenn kaum einer die ePA in der jetzigen Ausgestaltung nutzen wird – und davon gehe ich aus- wird man um eine Anpassung in eine praktikable Form nicht umhinkommen.

Also bleiben Sie stark und vor allem gesund!

PraxisBarometer Digitalisierung 2020

Digitale ambulante Versorgung: Fehleranfälligkeit und Sicherheit der IT-Systeme sorgen Ärzte und Psychotherapeuten

Etwas mehr als ein Drittel der ärztlichen und knapp 80 Prozent der psychotherapeutischen Praxen bieten mittlerweile Videosprechstunden an oder beabsichtigen dies. In der Zeit vor Beginn der Pandemie waren es bei den Ärzten lediglich zehn Prozent und bei den Psychotherapeuten drei Prozent, die per Videosprechstunde mit ihren Patienten kommunizierten. Schutz des Praxisteams und der Patienten vor Covid-19 nennen 87 Prozent der Praxen als Treiber dieses Digitalisierungsschubes. Aber auch verstärkte Nachfragen von Patienten waren für 25 Prozent der Praxen der Anlass.

Das zeigt eine repräsentative bundesweite Befragung von knapp 2.200 Arzt- und Psychotherapeutenpraxen für das PraxisBarometer Digitalisierung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), das regelmäßig Wissenschaftler des IGES Instituts erstellen. Es erscheint bereits in dritter Auflage und analysiert die Digitalisierung der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung. Die Befragung lief in den Sommermonaten und zeigt den Stand bis zum Juli 2020.

 

Immer mehr Ärzte sehen den Nutzen von Videosprechstunden

Praxen schätzen den Nutzen von Videosprechstunden für sich und ihre Patienten auch deshalb, weil sie Arbeitszeiten flexibler machen, das Besucheraufkommen reduzieren und Patienten leichteren Zugang verschaffen. Vor zwei Jahren werteten noch 18 Prozent den Mehrwert von Videosprechstunden als eher oder sehr hoch. Aktuell sind es rund 30 Prozent. Allerdings rückt auch die telefonische Beratung wieder stärker in den Fokus, als technisch einfachere Alternative zur internetabhängigen Bildübertragung. Besprechungen, etwa über Untersuchungsergebnisse, seien auch darüber sehr gut möglich.

 

Vor allem größere Praxen bieten digitale Angebote

Bei weiteren digitalen Angeboten sind vor allem größere Praxen führend: Während nur 18 Prozent der Einzelpraxen etwa eine Online-Terminvereinbarung ermöglichen, sind dies bei Praxen mit fünf und mehr Ärzten oder Psychotherapeuten rund 34 Prozent. Auch eine Online-Rezeptbestellung ist in jeder zehnten Einzelpraxis, hingegen in jeder vierten der großen Praxen möglich. Auch der Grad der Digitalisierung der Patientendokumentation ist abhängig von der Praxisgröße: Unter den großen Praxen mit fünf und mehr Ärzten/Psychotherapeuten haben mehr als zwei Drittel (67 Prozent) die Patientendokumentation nahezu komplett digitalisiert, bei den Einzelpraxen dagegen lediglich rund ein Drittel (34 Prozent).

 

Klagen über störanfällige Telematikinfrastruktur (TI)

Das PraxisBarometer Digitalisierung untersucht erstmals die aktuellen Erfahrungen der Praxen mit der Telematikinfrastruktur (TI). Danach sind inzwischen knapp 90 Prozent der ärztlichen Praxen angeschlossen. Doch das System scheint sehr fehleranfällig zu sein: Mehr als ein Drittel der Praxen berichtet, dass es mindestens einmal pro Woche Störungen gibt. Diese betreffen den Konnektor, das Kartenterminal oder den Netzwerkzugang.

 

Sorge und Informationsbedarf beim Thema IT-Sicherheit

Sorge bereitet den Praxen die Administration und Sicherheit ihrer IT: Mehr als 80 Prozent sehen dies als Hemmnis der weiteren Digitalisierung. Was den Praxen fehlt, sind eigenen Aussagen zufolge vor allem verbindliche Checklisten oder Leitlinien zur Sicherheit. Dabei gilt die Sorge ihrer Verantwortung für patientenbezogene Daten, sobald diese durch neue digitale Anwendungen den Praxisbereich verlassen.

 

Kaum Fortschritte beim Datenaustausch mit anderen Leistungserbringern

Beim digitalen Austausch zwischen Praxen und auch Krankenhäusern klaffen Wunsch und Realität noch immer weit auseinander. Rund 59 Prozent aller Praxen erwarten etwa von der digitalen Übertragung von Arztbriefen große Unterstützung im Praxisalltag. Aber knapp ein Viertel der Arztpraxen empfängt derzeit noch immer keinerlei digitale Daten von anderen ambulanten Einrichtungen. Ausnahmen bleiben – wie schon in den PraxisBarometern der Vorjahre gezeigt – Labordaten, die 70 Prozent der Arztpraxen digital empfangen. Bei den Hausärzten sind es sogar 90 Prozent.

Digitale Wüste ist weiterhin die schriftliche Kommunikation mit Krankenhäusern. Bei 95 Prozent der Praxen läuft diese noch immer überwiegend in Papierform ab. Dabei wünschen sich 70 Prozent der Praxen, Entlassbriefe ihrer Patienten nach einem Klinikaufenthalt digital zu empfangen. Real treffen diese Berichte derzeit nur bei fünf Prozent elektronisch ein.

Quelle: iges.com

Literatur

[1]   gematik (2020): Arena für digitale Medizin. Whitepaper Telematikinfra­struktur 2.0 für ein föderalistisch vernetztes GesundheitssystemHrsg.:gematik GmbH, Friedrichstraße 136, 10117 Berlin

[2]   Sachverständigenrat im Gesundheitswesen SVR (2021): Digitalisierung für Gesundheit. Ziele und Rahmenbedingungen eines dynamisch lernenden Gesundheitssystems. Gutachten 2021

Kalbe P: Digitalisierung in der chirurgischen Praxis: Der Frust geht um. Passion Chirurgie. 2021 Mai; 11(05): Artikel 03_01.

Hier geht es zur Studie „PraxisBarometer Digitalisierung 2020“

Autor des Artikels

Profilbild von Kalbe

Dr. med. Peter Kalbe

Vizepräsident des BDCGelenkzentrum SchaumburgStükenstraße 331737Rinteln kontaktieren

Weitere Artikel zum Thema

PASSION CHIRURGIE

Passion Chirurgie: Digitalisierung in der Chirurgie

Im Mai dreht sich bei uns alles um die Entwicklung

Passion Chirurgie

Lesen Sie PASSION CHIRURGIE!

Die Monatsausgaben der Mitgliederzeitschrift können Sie als eMagazin online lesen.