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BGH-Urteil: Aufklärung muss individuell erfolgen und darf Risiken nicht verharmlosen

50 Prozent ist mehr als „selten“

Ein Aufklärungsbogen ersetzt das mündliche Aufklärungsgespräch nicht, denn die Aufklärung muss sich am individuellen Risikoprofil der Patientin oder des Patienten orientieren. Verharmlost das Formular beispielsweise spezifische, in der Person des Patienten liegende Risiken und ruft damit eine Fehlvorstellung über die mit dem Eingriff verbundene Komplikationsgefahr hervor, trifft die Ärztin oder den Arzt ein Aufklärungsversäumnis, sofern er beziehungsweise sie nicht im Gespräch über das tatsächliche Risiko für die Person aufgeklärt hat. So hat der Bundesgerichtshof am 16. August 2022 entschieden (Az.: VI ZR 342/21). Sandra Miller, Fachjuristin für Medizinrecht in unserer Unternehmensgruppe, berichtet.

Der Fall

Bei der Klägerin im vorliegenden Fall ist ein großer Tumor des im Schädel befindlichen rechtsseitigen Keilbeinflügels festgestellt worden. Der Tumor soll entfernt werden. Im Aufklärungsgespräch erhält die Klägerin einen Aufklärungsbogen, der wie nebenstehend abgebildet lautet:

Vorgesehene Maßnahme große Tumoroperation! 

Ein Tumor kann je nach Lokalisation folgende Symptome verursachen:

  • Kopfschmerzen (durch zunehmendes Tumorwachstum, durch Oedembildung oder durch Störung des Hirnwasserabflusses und – dadurch bedingt -Erhöhung des Hirndruckes)
  • motorische Lähmungen (Muskellähmungen, z. B. Arme, Beine, Blase)
  • epileptische Anfälle
  • sensible Lähmungen (Taubheitsgefühl)
  • Sprachstörungen
  • Persönlichkeitsveränderungen
  • Apathie, Demenz, Hirnleistungsstörungen, Verwirrtheit, Gedächtnisstörungen
  • Sehstörungen, Gesichtsfeldausfälle…

Die oben als Folge des Tumorwachstums angeführten Symptome können auch nach jeder Operation als Komplikationen auftreten (entweder erstmals oder verstärkt, entweder vorübergehend oder selten auch auf Dauer bestehend). Grundsätzlich können wie bei jeder Schädeloperation noch folgende Komplikationen auftreten:

  • Wundheilungsstörungen
  • Infektionen, auch Hirn- und Hirnhautentzündung
  • Hirnwasserfistel, evtl. für einige Tage lumbale Dauerdrainage
  • Nervenwasserzirkulationsstörung
  • Nachblutungen, Hirnschwellung sowie Verletzung von Gefäßen (Arterien, Venen, große venöse Blutleiter) können zu Lähmungserscheinungen führen (z. B. Arme, Beine, Hirnnerven, Sprache, ähnlich einem Schlaganfall), unter Umständen schwere und dauerhafte Ausfälle
  • Änderungen von Gedächtnis, Antrieb, Wesen usw.
  • Krampfanfälle (epileptische Anfälle). Diese können einmalig, aber auch gehäuft und manchmal auf Dauer auftreten (evtl. Medikamenteneinnahme auf Lebenszeit)
  • lebensbedrohliche Komplikation
  • Gabe von Fremdblut mit Gefahr übertragbarer Infektion (Leberentzündung, HIV)
  • Thrombose/Lungenembolie, Gabe von Heparinpräparaten zur Vorbeugung (mögliche Nebenwirkungen: Blutplättchenarmut, Blutung, Osteoporose)

Durch Komplikationen kann die Notwendigkeit von Folgeeingriffen entstehen.

Seien Sie durch die Aufzählung der Komplikationsmöglichkeiten bitte nicht beunruhigt, diese treten keinesfalls regelhaft auf. Im Gegenteil, sie bilden die Ausnahme. Treten dennoch Komplikationen auf, können sich Störungen und Ausfälle im Laufe der Zeit wieder zurückbilden. Nur selten kommt es zu schweren bleibenden Störungen.

Der aufklärende Arzt geht mit der Patientin den Aufklärungsbogen durch und unterstreicht die von ihm für relevant eingeschätzten Risiken. Einige Tage später erfolgt die Operation. Intraoperativ wird ein Mediagefäß durchtrennt. Die Frau erleidet – wohl nach einem Mediateilinfarkt – eine dauerhafte linksseitige Hemiparese (Halbseitenlähmung).

Daraufhin erhebt die Betroffene Klage auf Schadenersatz. Die Klägerin macht geltend, sie sei nicht in dem erforderlichen Umfang über die Schwierigkeit der Operation und die einhergehenden Risiken aufgeklärt worden. Konkret beanstandet sie die Passage, wonach es nur selten zu schweren bleibenden Störungen komme. Tatsächlich erleiden bei derartigen Eingriffen 20 Prozent der operierten Patientinnen und Patienten schwere und 30 Prozent moderate neurologische Defizite. Vaskuläre Komplikationen treten bei 50 Prozent der Operationen auf. Im Fall der Klägerin war das Risiko aufgrund einer starken Durchblutung des Tumors und dessen Verzahnung mit dem Hirngewebe sogar noch deutlich höher.

Verfahrensgang

Das Landgericht Trier (Urteil vom 28.4.2021, Az. 4 0 389/17) weist die Klage ab. Das Oberlandesgericht Koblenz (Urteil vom 6.10.2021. Az. 5 U 790121) weist die Berufung der Klägerin zurück und lässt die Revision nicht zu. Allerdings hat die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin Erfolg. Der Bundesgerichtshof (BGH) hebt das Berufungsurteil auf und verweist den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung an das Oberlandesgericht (OLG) zurück.

Die Entscheidung

Landgericht (LG) und Oberlandesgericht stellen kein Aufklärungsversäumnis fest. Der aufklärende Arzt habe gegenüber der Klägerin keine Risiken verharmlost. Es entspreche der einhelligen Meinung, dass über die der Operation „im Großen und Ganzen“ anhaftenden Risiken aufgeklärt werden müsse. Die Angabe einer genauen oder annähernd genauen Prozentzahl, zu der sich ein Behandlungsrisiko verwirklichen könnte, sei nicht notwendig. Zu Beginn des Aufklärungsbogens findet sich der Hinweis auf eine große Tumoroperation. Der Aufklärungsbogen benennt als mögliche Folgen Gefäßverletzungen, Lähmungserscheinungen – ähnlich einem Schlaganfall – und lebensbedrohliche Komplikationen. Der Hinweis auf die Lebensgefahr als die schwerwiegendste mit dem Eingriff verbundene Gefahr vermittelt nach Annahme der Richterinnen und Richter in den ersten beiden Instanzen eine allgemeine Vorstellung von dem Ausmaß der mit der Operation verbundenen Risiken.

Der BGH folgt den gerichtlichen Bewertungen des LG und OLG nicht. Der Senat stellt vielmehr fest: Erweckt der aufklärende Arzt beim Patienten durch eine unzutreffende Darstellung der Risikohöhe eine falsche Vorstellung über das Ausmaß der mit der Behandlung verbundenen Gefahr und verharmlost dadurch ein verhältnismäßig häufig aufgetretenes Operationsrisiko, kommt er seiner Aufklärungspflicht nicht in ausreichendem Maße nach.

In diesem Punkt haben das LG und OLG nach Ansicht der Bundesrichter den Vortrag der Klägerin nicht ausreichend gewürdigt. Die Klägerin habe die Verharmlosung des Risikos ja nicht nur mit dem Argument begründet, dass der Passus „schwere und dauerhafte Ausfälle“ nicht unterstrichen worden sei, obwohl sonstige relevante Risiken unterstrichen wurden. Sie verweise vielmehr auf den Satz, dass es nur selten zu schweren bleibenden Störungen komme.

Nach Ansicht des BGH wird dieser Hinweis den individuellen Risiken der Klägerin nicht gerecht. Im Falle der Klägerin habe das Risiko dauerhafter Schäden aufgrund der Durchblutung des Tumors und der Verzahnung mit dem Hirngewebe deutlich über 50 Prozent gelegen. Das Wort „selten“ verharmlose daher das Risiko. Zur Frage wie sich die Klägerin im Falle einer Aufklärung über die Schwierigkeit der Operation und das damit einhergehende Risiko, ein Pflegefall zu werden, verhalten hätte, erklärte die Klägerin, sie hätte sich zumindest eine Zweitmeinung eingeholt.

Fazit

Die Entscheidung zeigt, dass die Verwendung eines Aufklärungsbogens das mündliche Aufklärungsgespräch nicht ersetzt. Die Prüfung, ob der Bogen zutreffend formuliert und vollständig ist, obliegt der Ärztin oder dem Arzt. Denn im Einzelfall können Aufklärungsbögen starke Verallgemeinerungen oder gar Verharmlosungen enthalten, die dem individuellen Patienten nicht gerecht werden und ihm ein daher unzutreffendes Bild des eigenen Risikoprofils vermitteln. Die Aufklärung muss individuell erfolgen. Ärztin oder Arzt müssen sich am konkreten Risikoprofil des Patienten orientieren. Keinesfalls kann sich die Ärztin oder der Arzt darauf verlassen, den vorformulierten Bogen zu verlesen. Inhalte müssen kritisch hinterfragt werden. Die Ärztin oder der Arzt haftet für eine von dem Formular hervorgerufene Fehlvorstellung, sofern sie beziehungsweise er diese falsche Annahme nicht aufklärt.

Miller S: BGH-Urteil: Aufklärung muss individuell erfolgen und darf Risiken nicht verharmlosen. Passion Chirurgie. 2024 Januar/Februar; 14(01/02): Artikel 04_10.

Wenn Patienten Schadenersatz fordern

Verhaltensempfehlungen für Leistungserbringer in der ambulanten Versorgung

Behandlungsfehler  in der ambulanten Versorgung passieren leider und haben oft empfindliche Folgen für alle Betroffenen. Nicht nur, dass Patienten dem behandelnden Arzt oder den Pflegekräften massive Vorwürfe machen. Oft stellen sie in so einem Fall auch Schadenersatz- oder Schmerzensgeldansprüche über ihren Anwalt und die Staatsanwaltschaft leitet ein Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung ein. Den behandelnden Arzt und die Verantwortlichen in medizinischen Einrichtungen trifft dieses Problem oftmals unvorbereitet. Deshalb stellt sich die Frage, wie sie mit derartigen Vorwürfen umgehen sollten, um ein optimales Ergebnis für alle Beteiligten zu erzielen.

Wenn Patienten Ansprüche erheben, gilt es für Behandelnde vor allem, besonnen und koordiniert zu handeln. Denn nur bei optimaler Zusammenarbeit ist es dem Haftpflichtversicherer möglich, den Sachverhalt transparent zu klären, die Haftungsfrage bzw. die Haftungswahrscheinlichkeit einzuschätzen, berechtigte Ansprüche zeitnah und angemessen zu regulieren oder ungerechtfertigte Ansprüche schnell abzuwehren. Dabei erleichtern einige Grundregeln allen Beteiligten die sachgerechte Bearbeitung der Angelegenheit. Da die Behandelnden in der Regel keine Erfahrung mit derartigen Situationen haben und zudem emotional involviert sind, unterstützt sie die Ecclesia Gruppe mit entsprechenden Verhaltensempfehlungen und einer Beratung zum weiteren Vorgehen – inklusive der Beachtung aller datenschutzrechtlichen Vorschriften.

Bekanntwerden eines (möglichen) Versicherungsfalls

Sobald ein möglicher Versicherungsfall bekannt wird, ist für den Behandelnden das richtige Vorgehen ganz entscheidend. Dabei können die Ansprüche von Patienten oder Dritten (z. B. Angehörige, Sozial-/Rentenversicherungsträger) auf ganz verschiedene Wege an ihn herangetragen werden. Meist wenden sich betroffene Patienten – gegebenenfalls mit ihrem Rechtsanwalt – zunächst direkt an die Praxis oder den Behandler und fordern dort die Krankenunterlagen an. Dabei machen sie entweder sofort konkrete Ansprüche geltend oder äußern pauschal den Verdacht eines Behandlungsfehlers. Um die Frage eines vorliegenden Behandlungsfehlers klären zu lassen, können die Patienten ein freiwilliges Gutachterverfahren bei der zuständigen Ärztekammer beantragen, die den Behandelnden dann um seine Zustimmung bittet.

Manchmal werden die Behandlungsunterlagen auch von den Sozialversicherungsträgern angefordert. Sie unterstützen die Patienten bei der Klärung der Frage, ob tatsächlich ein Behandlungsfehler vorliegt, und schalten den Medizinischen Dienst (MD) ein, damit er den Fall begutachtet. Es gibt aber auch Fälle, bei denen ein Patient direkt einen Zivilprozess in Form einer Klageschrift, eines Antrags auf Prozesskostenhilfe oder eines Mahn- und Vollstreckungsbescheids anstrebt. Im schlimmsten Fall wird sogar ein Ermittlungs- oder Strafverfahren gegen den Behandelnden eingeleitet. Dabei ist es unabdingbar, dass er sofort Kontakt mit der Schadenabteilung der Ecclesia Gruppe aufnimmt, die bei Bedarf den zuständigen Haftpflichtversicherer einschaltet. Alle weiteren Maßnahmen erfolgen dann in enger Absprache mit den Involvierten.

Datenweitergabe von Patientenunterlagen

Eine Patientenakte unterliegt in Deutschland dem Datenschutz, während Ärzte sich zugleich an ihre Verschwiegenheitspflicht halten müssen. Deshalb müssen die Behandelnden unbedingt darauf achten, dass eine Entbindung von der Schweigepflicht und eine Erklärung zum Datenschutz vorliegen, bevor sie Unterlagen an die Ecclesia Gruppe weiterleiten, aus denen sich die Identität des Patienten ableiten lässt. Die dafür benötigten Formulare können bei der Ecclesia Gruppe im Bedarfsfall angefordert werden. Sollten sie nicht vorliegen, ist die Ecclesia Gruppe dazu gezwungen, alle Unterlagen mit personenbezogenen Daten sofort zu löschen und wird den Behandelnden darüber telefonisch informieren. Eine Ausnahme sind Klageverfahren. Denn in diesem Fall kann der Versicherer unter dem Aspekt der Wahrnehmung berechtigter Interessen auch dann tätig werden, wenn weder eine Entbindungserklärung von der Schweigepflicht noch zum Datenschutz vorliegen.

Vorsorgliche Meldung

Es gibt natürlich auch Situationen, in denen es zu einem Vorfall gekommen ist oder der Behandelnde ein schlechtes Gefühl hat, ohne dass ein Patient konkrete Vorwürfe erhoben hat. In diesem Fall empfiehlt die Ecclesia Gruppe den Betroffenen, eine Einschätzung durch sie vornehmen zu lassen und das weitere Vorgehen schon im Vorfeld mit ihr abzustimmen. Dabei handelt es sich dann um eine vorsorgliche Meldung, die nicht an den Versicherer weitergeleitet wird und somit auch keinen Versicherungsfall begründet. Dadurch wirkt sie sich auch nicht auf den Vertrag des Behandelnden aus.

Die Ecclesia Gruppe handelt im Schadenfall ausschließlich im Interesse ihres Mandanten und stellt dabei sicher, dass der Haftpflichtversicherer eine mögliche Haftung zügig dem Grunde und der Höhe nach prüft und unberechtigte Ansprüche zurückgewiesen werden. Sollten eine Haftung vorliegen und die Ansprüche Dritter berechtigt sein, setzt sich die Ecclesia Gruppe dafür ein, dass der Haftpflichtversicherer seiner Leistungsverpflichtung zügig und vertragsgerecht nachkommt. Dafür benötigt sie die volle Unterstützung und Mithilfe der Behandelnden und steht ihnen jederzeit mit Rat und Tat zur Seite.

Miller S: Wenn Patienten Schadenersatz fordern. Passion Chirurgie. 2023 Oktober; 13(10): Artikel 04_07.

Safety Clip: Aufarbeitung ärztlicher Berufshaftpflichtschäden

Mitwirkung des Arztes ist bedeutend

Immer häufiger müssen sich Ärzte damit auseinandersetzen, dass Behandlungen im Nachgang noch einmal überprüft werden, sei es auf Initiative des Patienten – ggf. mit rechtsanwaltlichem Beistand – oder auf Initiative der Sozialversicherungsträger, in letzterem Fall überwiegend in Form von Gutachten des medizinischen Dienstes der Krankenkassen.

Gründe für die Entwicklung

Diese für Ärztinnen und Ärzte negative Entwicklung hat verschiedene Gründe. Zum einen nimmt die Anspruchshaltung der Patienten zu, mitunter sensibilisiert durch die Berichterstattung in den Medien. Doch nicht nur die Patienten, sondern auch die Kostenträger sind heute eher als noch vor einigen Jahren bereit, Entschädigungsansprüche geltend zu machen.

Zum anderen sind die Sozialversicherungsträger im Zuge der via Patientenrechtegesetz erweiterten Patientenrechte gehalten, ihre Mitglieder im Falle vermuteter Behandlungsversäumnisse zu unterstützen. Hinzu kommen eigene wirtschaftliche Interessen der Kostenträger. Ein weiterer Grund für die Zunahme von Patientenansprüchen liegt im medizinischen Fortschritt, der immer differenziertere – und damit risikoreichere – Behandlungsverfahren ermöglicht, wodurch sich zwangsläufig auch die Behandlungsfehlergefahr für Ärzte erhöht.

Motiv für die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen

Beweggründe für einen Patienten, Schadenersatzansprüche zu erheben, gibt es viele. Häufig aber ist gerade eine unzureichende Kommunikation zwischen Arzt und Patient der Auslöser für diese Entscheidung. Untersuchungen zeigen, dass Patienten häufig mit dem Umfang der erhaltenen Information unzufrieden sind. Als besonders negativ wird das Fehlen klarer und überzeugender Informationen empfunden, wenn der Patient mit dem Verlauf oder dem Ergebnis der Behandlung generell unzufrieden ist.

Die Erhebungen ergaben im Wesentlichen zwei Hauptgründe, die Patienten zu Schadenersatzforderungen motivieren:

  1. Unzufriedenheit mit dem Umfang der Information und damit mangelhafte Verständlichkeit und Genauigkeit
  2. Frustration über das Nichterhalten einer überzeugenden Erklärung für das Geschehen

Folgende Motivationen für eine gerichtliche Auseinandersetzung wurden im Rahmen der Erhebungen ermittelt (Mehrfachnennungen waren möglich):

  • 50 % – Ermittlung der genauen Umstände des Geschehens
  • 46 % – Wunsch nach Ausdruck des Bedauerns
  • 38 % – Wunsch nach dezidierter Erklärung des Geschehens
  • 33 % – Erzwingung einer Erhöhung der Qualitätsstandards
  • 33 % – finanzielle Entschädigung

Die Daten verdeutlichen, dass bei betroffenen Patienten ein großes Bedürfnis besteht, nachvollziehen zu können, wie es zu der Komplikation bzw. zu dem Ausbleiben des gewünschten Erfolges kommen konnte.

Bekanntwerden des Schadenfalls

Bei Bekanntwerden eines Schadenfalls wendet sich der Patient – ggf. anwaltlich vertreten – oder die Krankenkasse in der Regel zunächst an den Arzt, fordert die Krankenunterlagen an und/oder bittet um Mitteilung der Daten des Berufshaftpflichtversicherers. Im Zuge dessen werden entweder sofort konkrete Ansprüche und Behandlungsfehlervorwürfe erhoben oder es wird pauschal der Verdacht eines Behandlungsfehlers ausgesprochen.

Was ist in solch einem Fall zu tun? Wird der betroffene Arzt von einem Versicherungsmakler vertreten, ist dieser unverzüglich zu informieren, damit er die weiteren Maßnahmen mit dem Haftpflichtversicherer absprechen kann. Besteht kein Maklerverhältnis, ist der zuständige Haftpflichtversicherer direkt zu kontaktieren. Keinesfalls ist es empfehlenswert, in einer solchen Situation selbstständig Kontakt zu der Patientenseite oder der Krankenkasse aufzunehmen.

Reaktion der Versicherer auf die negative Entwicklung

Der beschriebene Negativtrend macht es der Ärzteschaft zunehmend schwer, in den Sparten Berufs- und Betriebshaftpflicht einen geeigneten Versicherer zu finden. Prämienerhöhungen sind schon lange keine Seltenheit mehr, sondern die Regel.

Um stetig steigenden Prämien Einhalt zu gebieten, ist es u. a. wichtig, unnötige Kosten bei der Schadenbearbeitung zu vermeiden. Dies ist natürlich zum einen über eine effektive und zeitnahe Bearbeitung aufseiten des Versicherers zu erreichen, aber auch der betroffene Arzt selbst kann etwas dafür tun, indem er den Sachverhalt sorgfältig aufarbeitet.

Aber was bedeutet sorgfältige Aufarbeitung des Sachverhaltes? Gemeint sind zum einen eine ärztliche Stellungnahme, mit der sich der betroffene Arzt mit den unterbreiteten Vorwürfen auseinandersetzt, sowie zum anderen die Aufarbeitung der Behandlungsdokumentation.

Erarbeitung einer ärztlichen Stellungnahme

Für eine brauchbare Stellungnahme sollte der Arzt das Schreiben der Anspruchstellerseite sehr sorgfältig gelesen haben. Die Vorwürfe sollte er herausfiltern und sie unter Einbeziehung der Behandlungsdokumentation und seines Erinnerungsvermögens prüfen. Erst wenn der Arzt ein klares Bild vor Augen hat, sollte er seine Einschätzung schließlich in seiner Stellungnahme niederlegen.

Anforderung an die Stellungnahme

Die Stellungnahme sollte realistisch und umfassend sein. Wichtig ist, dass sie explizit auf alle Vorwürfe eingeht, aber die für den Sachverhalt irrelevanten Bestandteile des Behandlungsverlaufes außer Betracht lässt. Da der Versicherer für die Prüfung der ärztlichen Stellungnahme üblicherweise Juristen, also medizinische Laien, heranzieht, sollte die Stellungnahme laienverständlich verfasst werden. Auf medizinische Fachtermini ist also weitgehend zu verzichten. Lassen sie sich nicht vermeiden, sind dem Nichtmediziner die medizinischen Hintergründe verständlich zu erklären.

Zudem ist ein zeitnahes Erstellen des Dokuments dringend empfehlenswert, denn in den Anspruchsschreiben werden Fristen für die Rückmeldung des Versicherers gesetzt. In jüngerer Zeit ist zu beobachten, dass – wohl angestoßen durch die negative Berichterstattung – immer mehr Patientenanwälte dazu übergehen, in ihren Aufforderungsschreiben kurze Fristen zu setzen und obendrein einen verschärften Tonfall anzuschlagen. Die kurzen Fristen gelten sowohl für die Mitteilung der Versichererdaten als auch für die Mitteilung der Entscheidung des Versicherers. Verzögerungen verschärfen den anwaltlichen Tonfall in der Regel noch mehr. Dem kann mit dem Einhalten der gesetzten Fristen entgegengewirkt werden.

Das FALLBEISPIEL 1 zeigt, dass sich eine zeitnahe Reaktion kostensparend auswirken kann.

Die ärztliche Stellungnahme sollte darüber hinaus eine objektive Bewertung des Sachverhalts beinhalten. Bei Beteiligung verschiedener Fachbereiche oder bei Inanspruchnahme von Vor- oder Nachbehandlern sollten Schuldvorwürfe vermieden werden.

Bestehen hinsichtlich der Behandlung Bedenken, sollten diese offen und ehrlich kommuniziert werden. Dies gilt nicht nur in Bezug auf die konkreten Vorwürfe, sondern auch, wenn sonstige Schwachstellen gesehen werden.

Fallbeispiel 1

Während der Operation wird einer Patientin der Tubus mit Pflastern im Gesicht fixiert, obwohl sie im Vorfeld gegenüber dem Arzt angegeben hat, unter einer Pflasterallergie zu leiden. Die Folge sind deutlich sichtbare, große Hautläsionen auf beiden Wangen der Patientin. Vertreten durch eine Rechtsanwältin, fordert sie daraufhin 3.000 Euro Schmerzensgeld zum Ausgleich für die Beeinträchtigung. Zwar räumt der behandelnde Arzt die Vorwürfe im Rahmen der Stellungnahme eindeutig ein, dennoch kommt es durch eine Verkettung unglücklicher Umstände zu einer deutlichen Verzögerung bei der Bearbeitung. Als der Haftpflichtversicherer der Gegenseite sich schließlich mit 3.000 Euro als Schadenausgleich einverstanden erklärt, hat die Gegenseite bereits Klage eingereicht. Die Klägerin ist nur dann bereit, diese zurückzunehmen, wenn der Haftpflichtversicherer die zusätzlich angefallenen Kosten mit übernimmt. So kostet der Schadenfall den Versicherer am Ende 3.500 Euro statt 3.000 Euro.

Sonderfall: Stellungnahmen im Rahmen eines Gutachter-/Schlichtungsverfahrens vor den Gutachterkommissionen/Schlichtungsstellen

Die Landesärztekammern unterhalten Gutachterkommissionen/Schlichtungsstellen, bei denen Patienten Gutachterverfahren in Auftrag geben können. Da die Verfahrenskosten vom Versicherer getragen werden, haben Patienten auf diesem Wege die Möglichkeit, ein kostenneutrales und unabhängiges Gutachten zu erhalten. Die Verfahren können dazu beitragen, den Streitfall zu deeskalieren. Die Teilnahme ist freiwillig. Eingehende Begutachtungsanträge sind dem Makler/Versicherer weiterzuleiten. Dieser prüft, ob das Verfahren durchgeführt werden soll.

Im laufenden Verfahren ersuchen die Gutachter-/Schlichtungsstellen den betroffenen Arzt um eine Stellungnahme, die dem Patienten und dem zu beauftragenden Gutachter zur Kenntnis gegeben wird. Um die Unvoreingenommenheit des Gutachters nicht zu gefährden, empfehlen wir dringend, in der Stellungnahme zum Behandlungsverlauf von Wertungen Abstand zu nehmen.

Das FALLBEISPIEL 2 verdeutlicht, dass eine nicht wertfreie Stellungnahme Komplikationen und unnötige Verzögerungen zur Folge haben kann.

Fallbeispiel 2

Bei der ambulanten Operation einer fixierten Nabelhernie mit Reposition des Bruchsacks und Einlage eines Patches kommt es bei einem männlichen Patienten zu einer Darmläsion, die sich intraoperativ nicht gezeigt hat. Über das Risiko dieser Komplikation ist der Patient im Vorfeld aufgeklärt worden. Als entsprechende Symptome beim Patienten auftreten, unterzieht er sich elf Tage nach dem Ersteingriff einer Revisionsoperation, die ein folgenloses Ausheilen der Darmläsion sehr wahrscheinlich macht. Der Patient erhebt, vertreten durch einen Rechtsanwalt, Ansprüche gegenüber dem behandelnden Arzt.

Dieser stellt den Sachverhalt in einer Stellungnahme dar. Diese beinhaltet u. a. einen Passus, in dem der Arzt erklärt, es sei das erste Mal in seiner 25-jährigen Tätigkeit, dass es bei einer von ihm vorgenommenen Bruchoperation zu einer Dünndarmverletzung beim Patienten gekommen sei. Er halte in diesem Fall eine gütliche Einigung für angezeigt.

Der Berufshaftpflichtversicherer des Arztes, der den Fall anhand der ärztlichen Stellungnahme beurteilt, lehnt eine Haftung ab. Der Patient akzeptiert dies nicht und wendet sich an die Gutachterkommission. Auf deren Geheiß muss der Arzt nun noch eine weitere Stellungnahme verfassen. Im Vorfeld weist ihn der Makler/Versicherer ausdrücklich darauf hin, seine persönliche Einschätzung außenvorzulassen, damit der Sachverständige im Gutachterverfahren nicht beeinflusst wird.

Behandlungsdokumentation

Zu einer ordnungsgemäßen Aufarbeitung gehört auch die Prüfung der Behandlungsdokumentation und, sofern vorhanden, der bildgebenden Befunde. Die in der Stellungnahme genannten Aspekte müssen für den Versicherer nachvollziehbar sein und mit der Behandlungsdokumentation konform gehen. Es versteht sich von selbst, dass die Stellungnahme nichts enthalten darf, das mit den Behandlungsunterlagen nicht im Einklang oder sogar im Widerspruch zu ihnen steht. Durch die medizinische Aufarbeitung sollte der Versicherer in die Lage versetzt werden, die Vorwürfe realistisch einschätzen zu können.

Handlungsoptionen des Versicherers

Nach Sichtung der vom Arzt eingereichten Unterlagen (Stellungnahme und Behandlungsunterlagen) entscheidet der Versicherer über das weitere Vorgehen. Dabei bieten sich ihm verschiedene Optionen.

Hält der Versicherer nach eingehender Prüfung die Vorwürfe für unbegründet, lehnt er die Haftung ab. Dies geschieht in schriftlicher Form und bestenfalls unter Berücksichtigung sämtlicher vom Anspruchsteller geäußerten Vorwürfe, um diesen nach Möglichkeit zu überzeugen. Kommt der Versicherer zu dem Schluss, dass eine Fehlbehandlung stattgefunden hat, wird er eine außergerichtliche Vergleichslösung anstreben und über die Höhe der Forderung verhandeln. Die Praxis zeigt immer wieder, dass besonders in Fällen, bei denen die Haftung eindeutig ist, eine zeitnahe Reaktion das Regulierungsklima begünstigt. Sind die Forderungen überschaubar, hat der Versicherer – auch wenn die Haftungsfrage noch nicht abschließend geklärt ist – die Möglichkeit, im Sinne einer zeitnahen und wirtschaftlichen Schadenbearbeitung einen Risikovergleich abzuschließen.

In Fällen mit komplexen Behandlungsabläufen empfiehlt es sich häufig, einen neutralen Gutachter einzuschalten. Möglich ist auch das Einholen eines internen Gutachtens. Alternativ kann dem Patienten eine gutachterliche Überprüfung durch die örtlich zuständigen Gutachter-/Schlichtungsstellen angeboten werden.

Fazit

Es ist wichtig, den Versicherer durch vollständige und objektiv aufbereitete Unterlagen in die Lage zu versetzen zu entscheiden, welche weitere Vorgehensweise gegenüber dem Anspruchsteller optimal ist. Das sorgfältige Aufarbeiten des Behandlungsverlaufes gibt dem betroffenen Arzt die Möglichkeit, selbst einen erheblichen Einfluss auf den Verlauf zu nehmen. Unnötige Kosten für Prozesse und Gutachten lassen sich so in vielen Fällen vermeiden.

Miller S. / Betke N. Safety Clip: Aufarbeitung ärztlicher Berufshaftpflichtschäden: Mitwirkung des Arztes bedeutend. Passion Chirurgie. 2017 Februar, 7(02): Artikel 04_03.

Safety Clip: Aufklärung älterer gesetzlich betreuter Patienten – Herausforderung im Klinikalltag

In der Krankenhauspraxis zeigt sich immer wieder, dass die präoperative ärztliche Aufklärung älterer und/oder behinderter Patienten, die im Bereich Gesundheitsfürsorge gesetzlich betreut werden, bei Mitarbeitenden des Arzt- und Pflegedienstes Fragen offen lässt und von Unsicherheiten geprägt ist.

Als besonders problematisch wird die Aufklärung vor dringlichen Eingriffen wahrgenommen, die innerhalb von sechs bis 24 Stunden erfolgen müssen. In vielen Fällen sind die Mitarbeiter nicht informiert, dass eine gesetzliche Betreuung beim betreffenden Patienten besteht, oder es ist unklar, wie der gesetzliche Betreuer zu erreichen ist. Zeitliche Verzögerungen können die Folge sein, etwa weil die rechtskräftige Einwilligung in den operativen und/oder diagnostischen Eingriff nicht zeitgerecht vorliegt.

In den folgenden Ausführungen werden Rechtsgrundlagen dargestellt und Empfehlungen für das Vorgehen in der Praxis gegeben.

Rechtliche Aspekte

Die ärztliche Aufklärungsverpflichtung ergibt sich aus dem Behandlungsvertrag. Hintergrund ist das Selbstbestimmungsrecht des Patienten. Im Wesentlichen muss die zu behandelnde Person rechtzeitig wissen, was medizinisch mit ihr geschehen soll, welche Mittel angewandt werden und mit welchen Risiken und Folgen unter Umständen zu rechnen ist.

Gesetzlich geregelt ist die Aufklärungsverpflichtung seit Inkrafttreten des Patientenrechtegesetzes im Bürgerlichen Gesetzbuch (§§ 630e und 630c BGB). Nach § 630e Abs. 2 Nr. 1 BGB hat die Aufklärung mündlich zu erfolgen. Von besonderer Bedeutung ist dabei, ob der betreute Patient in Bezug auf die ärztliche Maßnahme einwilligungsfähig ist. Ist dies in der konkreten Situation (noch) der Fall, ist das Aufklärungsgespräch mit dem Patienten zu führen und nicht mit dem Betreuer. Ist der Patient indes nicht einwilligungsfähig, finden sich gesetzliche Regelungen in den §§ 630e und 630d BGB. Diese besagen, dass auch Einwilligungsunfähige nach Maßgabe ihrer Verständnismöglichkeiten – also entsprechend ihrer Fähigkeit, Informationen aufzunehmen – über die wesentlichen Umstände des Eingriffs zu informieren sind.

Aufklärung von älteren und/oder behinderten Patienten, die im Rahmen der Gesundheitsfürsorge gesetzlich betreut werden

Wie oben erwähnt, muss der Arzt jedes Mal entscheiden, ob er ein anstehendes Aufklärungsgespräch mit dem Betreuer oder dem Patienten zu führen hat. Letzteres ist nur möglich, wenn der Patient die Einsichtsfähigkeit in die bevorstehende Maßnahme besitzt. Ob dies zutrifft, ist bei Patienten, die unter Betreuung stehen, nicht immer einfach zu beurteilen. Bei zwei Konstellationen ist das Vorgehen aber zumeist unproblematisch.

  • Notfälle
    Bei Notfällen sind jene Maßnahmen durchzuführen, die das Leben erhalten und schwerwiegende Gefahren vom Patienten abwenden. Der Notfallpatient muss nicht aufgeklärt werden. Denn nach § 630e Abs. 3 BGB kann die Aufklärung ausnahmsweise entfallen, wenn sie aufgrund besonderer Umstände (z. B. aufgrund eines Notfalls) entbehrlich ist. Das gilt umso mehr, wenn die Maßnahme unaufschiebbar ist, weil anderenfalls erhebliche Gefahren für die Gesundheit des Patienten drohen.
  • Elektive Eingriffe
    Bei elektiven Eingriffen gibt es in der Regel auch keine Probleme, da in diesen Fällen ausreichend Zeit vorhanden ist, um den Betreuer ausfindig zu machen und zu kontaktieren. Ist der Betreuer beispielsweise urlaubsbedingt nicht greifbar, hat das Gericht die Möglichkeit, als Vertretung einen so genannten Verhinderungsbetreuer zu bestellen.

Problematisch indes ist in der Praxis das Vorgehen bei nicht notfallmäßigen, aber dringlichen Eingriffen. Hier sind drei Konstellationen denkbar.

  • Ein Betreuer ist bekannt.
    In diesem Fall ist wie oben beschrieben vorzugehen. Hält der Arzt den Patienten für einwilligungsfähig, ist der Patient ohne Hinzuziehung des Betreuers aufzuklären. Bei Zweifeln oder bei einem eindeutig einwilligungsunfähigen Patienten ist das Aufklärungsgespräch mit dem Betreuer zu führen. Der Patient ist aber entsprechend seiner Verständnisfähigkeiten mit einzubeziehen.
  • Es ist fraglich, ob bereits ein Betreuer bestellt ist.
    Hält der Arzt den Patienten nicht für einwilligungsfähig, muss er sich – unter Hinweis auf die Dringlichkeit – an das Betreuungsgericht wenden, damit dieses die Bestellung eines Betreuers veranlasst. Bei Dringlichkeit hat das Gericht die Möglichkeit, unverzüglich einzuschreiten.
    Ist unklar, ob bereits eine Betreuung eingerichtet ist, gibt das zuständige Betreuungsgericht Auskunft. Ist noch keine Betreuung vorhanden, kann die Einrichtung einer solchen beantragt werden.
    Zu beachten ist zudem, dass bei gefährlichen Eingriffen, riskanten Behandlungen und bei Eingriffen von besonderer Tragweite eine Genehmigung des Betreuungsgerichts einzuholen ist. Dies ist allerdings nur erforderlich, wenn sich Arzt und Betreuer nicht einig darüber sind, ob die Behandlung dem ausdrücklich erklärten Willen des Patienten entspricht.
  • Der Betreuer ist bekannt, hat aber nicht die Möglichkeit, zum Aufklärungsgespräch in die Klinik/Praxis zu kommen.
    Ist der Betreuer verhindert, persönlich vorzusprechen, besteht die Möglichkeit, ihn telefonisch aufzuklären – allerdings nur in einfach gelagerten Fällen, sodass grundsätzlich Zurückhaltung empfohlen wird.
    Ein Beispiel: Im Fall einer Leistenhernienoperation bei einem Kind – hierbei kam es nach einem Narkosezwischenfall zu schwersten Schädigungen des Patienten – hatte der Bundesgerichtshof seinerzeit die telefonische Anästhesieaufklärung für zulässig erklärt.
    Voraussetzung für eine telefonische Aufklärung ist immer, dass der Betreuer damit einverstanden ist und dass eine sorgsame Dokumentation des Aufklärungsgesprächs gewährleistet ist (Datum, Uhrzeit, Dauer, Inhalt). Der Aufklärungsbogen ist vom aufklärenden Arzt auszufüllen und – z. B. per Fax – zur Unterschrift an den Betreuer zu schicken. Der ausgefüllte und unterschriebene Aufklärungsbogen muss vor dem Eingriff vorliegen. Der Betreuer muss die Möglichkeit haben, Fragen zum geplanten Procedere zu stellen, und die Aufklärung sollte – trotz der Dringlichkeit – in einem zeitlich angemessenen Abstand zum Eingriff erfolgen.

Risiken bei einer nicht ausreichenden oder unvollständigen Aufklärung

Bei Aufklärungsversäumnissen kann der Patient Schadenersatzansprüche geltend machen – aber nur, wenn er tatsächlich einen Gesundheitsschaden erlitten hat. Zudem hat jeder ärztliche Eingriff auch eine strafrechtliche Relevanz, da ohne Einwilligung des Patienten im juristischen Sinne eine Körperverletzung vorliegt.

Aufklärung von Patienten, die im Bereich Gesundheitsfürsorge gesetzlich betreut werden – Grundsätze und Präventionsmaßnahmen

    • Bei einwilligungsunfähigen Patienten wird der in einer Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht oder Betreuungsverfügung hinterlegte Wille beachtet.
    • Ist bei einwilligungsunfähigen Patienten ein gesetzlicher Betreuer oder Gesundheitsbevollmächtigter benannt, wird dieser zum Aufklärungsgespräch hinzugezogen. Er unterschreibt die Einwilligung.
    • Bei lebensgefährdenden Interventionen wird ggf. zusätzlich zur Einwilligung des Betreuers die Genehmigung des Betreuungsgerichts eingeholt (gilt nur, wenn im Hinblick auf den Eingriff ein Dissens zwischen dem Patienten und dem gesetzlichen Betreuer besteht).
    • Bei der Aufnahme von älteren und/oder behinderten Patienten wird im Rahmen der pflegerischen und ärztlichen Anamnese erfragt, ob und für welchen Lebensbereich eine gesetzliche Betreuung besteht.
    • Steht ein Patient unter gesetzlicher Betreuung im Bereich Gesundheitsfürsorge, wird vom gesetzlichen Betreuer eine Kopie des Betreuerausweises angefordert, die dann an einer zentralen und einheitlich definierten Stelle in der patientenbezogenen Dokumentation hinterlegt wird.
    • Besteht eine gesetzliche Betreuung im Bereich Gesundheitsfürsorge oder sind eine Patientenverfügung und/oder Vorsorgevollmacht vorhanden, wird in der Kurve des Patienten in deutlicher Form ein entsprechender Hinweis aufgeführt, damit die an der Behandlung beteiligten Personen diese Informationen wahrnehmen und einsehen können.
    • Das Aufklärungsgespräch wird in den standardisierten Einwilligungsbögen mit den relevanten Angaben (z. B. Datum des Aufklärungsgesprächs) und Unterschriften dokumentiert und in die Patientenakte aufgenommen.
    • Das Vorliegen einer gesetzlichen Betreuung im Bereich Gesundheitsfürsorge wird auch in die OP-Vorbereitungscheckliste aufgenommen, die in den stationären Bereichen zum Einsatz kommt, um via Mehrfach-Abfrage/-Prüfung sicherzustellen, dass die Betreuung berücksichtigt und nicht vergessen wird.
    • Das erforderliche Vorgehen bei der Aufklärung von Patienten mit einer gesetzlichen Betreuung im Bereich Gesundheitsfürsorge ist in einem fachabteilungsübergreifenden Leitfaden zur Aufklärung verbindlich festgelegt.

Literatur

BGH, Urteil vom 15. Juni 2010 – VI ZR 204/09

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Diesen Artikel finden Sie auf BDC|Online unter der Rubrik Themen/Qualität/Patientensicherheit.

Miller S. / Hempel S. / Kuschniriuk S. / Hinke K. Safety Clip: Aufklärung älterer gesetzlich betreuter Patienten – Herausforderung im Klinikalltag. Passion Chirurgie. 2014 November; 4(11): Artikel 03_01.


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