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Kein Maulkorb für den Arzt! Kommunikation und Verhalten nach einem Schadenfall

Die Verunsicherung in der Ärzteschaft ist groß. Hat die Behandlung nicht den gewünschten Erfolg gebracht, hat sich eine Komplikation verwirklicht oder ist es gar zu einem ernsten Zwischenfall mit einem Schaden für den Patienten gekommen, stellt sich für den Arzt die Frage: Was ist jetzt das richtige Verhalten, ohne für mich persönlich, die Praxis oder das Krankenhaus Nachteile zu schaffen? Was muss nun in jedem Fall erfolgen? Darf ich in das Gespräch mit dem Patienten bzw. den Angehörigen gehen und wenn ja, wie offen darf ich die Kommunikation führen?

Sehr fest verankert ist in der Ärzteschaft die Meinung, ein offenes Gespräch führe zu einem Anerkenntnis, was wiederum den Verlust des Versicherungsschutzes zur Folge habe. Dies führt nicht selten dazu, dass das Gespräch mit dem Patienten unterbleibt. Es mag Berufsträger geben, denen der Verweis auf den Versicherungsschutz zur Umgehung eines Gespräches willkommen sein mag. Vielen Ärzten ist es jedoch gerade in einer solchen Situation ein großes Bedürfnis, mit dem Patienten ein aufrichtiges Gespräch zu führen, um das Vertrauensverhältnis mit dem Patienten zu schützen und eine rasche Klärung und Aufarbeitung in die Wege leiten zu können.

Ein Szenario eines Schadenfalles könnte etwa wie folgt aussehen:

Der in einem künstlichen Tiefschlaf befindliche beatmete Patient muss einer MRT-Untersuchung unterzogen werden. Danach zeigen sich Verbrennungen am dritten und vierten Finger. In der Folge muss der dritte Finger amputiert und der vierte Finger mit einem Hauttransplantat versehen werden. Die Untersuchung der Ursachen des Falles ergibt, dass das zur Überwachung angelegte Pulsoximeter bei der Untersuchung am Finger belassen werden musste. Durch eine Lageveränderung kann es zu einem Kontakt des Kabels mit den Fingern gekommen sein, was wahrscheinlich die Verbrennung verursacht hat. In der Folge dieses Ereignisses wird ein Gespräch mit den Angehörigen nicht geführt. In der späteren ärztlichen Stellungnahme findet sich das Zitat des Arztes: „Bisher wurden uns gegenüber keine Fragen gestellt“. Im Ergebnis kommt es zu einer Anzeige der Angehörigen bei der Staatsanwaltschaft, die ein Ermittlungsverfahren einleitet mit der Folge, dass die Krankenunterlagen beschlagnahmt werden. Der unterdessen eingeschaltete Rechtsanwalt erhebt Klage auf Schmerzensgeld und Schadensersatz.

Die Frage ist, was sollen die Ärzte, die Pflegekräfte oder das Management in einer solchen Situation tun?

Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, sollte man die Ziele definieren, die mit einem richtigen Verhalten erreicht werden sollten:

  • Vermeidung einer streitigen oder konträren Auseinandersetzung. Es darf keineswegs als ein Automatismus angesehen werden, dass es bei dem Misslingen einer Behandlung stets zu einer streitigen Auseinandersetzung bis hin zu einem Gerichtsverfahren kommen muss. Selbst für den Fall, dass der Patient Schadensersatz begehrt, kann dies konstruktiv und für beide Seiten zufriedenstellend gelöst werden.
  • Vermeidung eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens. In einem solchen Verfahren wird stets die persönliche Schuld des Einzelnen geprüft mit der Gefahr, dass die Sanktionen auch den Einzelnen treffen. Allein die Durchführung eines solchen Verfahrens – unabhängig von dessen Ausgang – kann für den Arzt zu empfindlichen Konsequenzen führen.
  • Es sollte alles dafür getan werden, Medienaufmerksamkeit zu verhindern. Eine Berichterstattung zu diesem Thema zielt in der Regel nicht auf eine Sachaufklärung, sondern eine Schlagzeile ab. Die Gefahr eines Imageschadens mit entsprechenden wirtschaftlichen Folgen ist groß.
  • Es geht auch um die Frage, wann verliere ich meinen Versicherungsschutz und was kann ich gegen einen Verlust tun.
  • Vermeidung von Handlungen, die einem im weiteren Verlauf der Auseinandersetzung möglicherweise zum Nachteil gereichen würden.
  • Zu denken ist aber auch daran, das verlorene Vertrauen des Patienten wiederzugewinnen. Bei einem Schadenfall geht meist – in unterschiedlichem Ausmaß – das Vertrauen des Patienten in den Arzt verloren. Dies muss nicht als etwas Unumstößliches hingenommen werden. Es besteht die Chance, das Vertrauen wiederzugewinnen. Diese Chance sollte genutzt werden.

Um herauszubekommen, wie man diese Ziele erreichen kann, macht es Sinn, sich in die Perspektive des Patienten zu versetzen. Wie nimmt ein Patient einen Fehler oder das Auftreten einer Komplikation wahr? Untersuchungen [1] zeigen, dass der Patient insbesondere mit der Art und dem Ausmaß der Informationen unzufrieden ist, die er im Zusammenhang mit einem Zwischenfall erhält. Er ist frustriert darüber, keine überzeugende Erklärung für das Geschehene zu erhalten und – so die Ergebnisse – entsteht bei dem Patienten aus der Art und Weise der Informationsvermittlung der Eindruck, dass der Arzt letztlich kein wirklich großes Interesse oder Mitgefühl an die Situation des Patienten aufbringe. Andere Studien [2] sind der Frage nachgegangen, was das Ziel des Patienten von einer gerichtlichen Auseinandersetzung ist. So gibt etwa die Hälfte an, dass dies eine Möglichkeit sei, das genaue Geschehen detailliert ermitteln zu können. Zu in etwa gleichem Anteil steht der Wunsch des Patienten nach dem Ausdruck des Bedauerns für das Geschehene. Weiter wird als Zielrichtung eines Gerichtsverfahrens genannt, dass der Patient eine Erläuterung erhält, was genau bei der Behandlung geschehen ist. Bei nur etwa einem Drittel steht das Bedürfnis nach finanzieller Entschädigung im Vordergrund.

Initiale Reaktion [3]

Bei einem Schadenfall gilt die erste Aufmerksamkeit stets dem betroffenen Patienten. Es ist alles zu tun, um den aufgetretenen Schaden zu begrenzen und – wenn möglich – dessen Folgen zu reduzieren. Hat der Auslöser des Schadens das Potenzial, auch andere Patienten zu schädigen (z. B. möglicherweise im Falle einer Infektion), ist das Notwendige zu tun, um eine Ausweitung des Schadens auf andere abzuwehren.

Bereits danach geht es darum, die notwendige interne und externe Kommunikation in Gang zu setzen und deren Wege zu steuern. Der Chefarzt ist – sollte er nicht bereits involviert sein – zu informieren. Dieser wird die Rechtsabteilung in Kenntnis setzen, damit etwa die Frage der Einschaltung des Versicherers oder eines Rechtsanwaltes geklärt werden und auch eine Abstimmung zu rechtlichen Fragen erfolgen kann. Abhängig vom Ausmaß des Schadens und des Potenzials, dass der Schaden Auswirkung auf das Krankenhaus als Unternehmen hat, wird er auch die Geschäftsführung unterrichten. Zu guter Letzt sollten – zumindest die an der Behandlung des Patienten betroffenen – Mitarbeiter über den Vorfall und die bis dahin vorliegenden Erkenntnisse unterrichtet werden. Dies ist notwendig für die weitere Behandlung des und den Umgang mit dem Patienten, um möglichst Gerüchte im Haus zu vermeiden und um damit gleichzeitig die Mitarbeiter darauf hinzuweisen, nicht selber und eigenständig Informationen an Dritte herauszugeben.

Es ist sehr wichtig, dass eine Kommunikations­basis gefunden und gepflegt wird.

Hiermit korrespondiert die Entscheidung und Festlegung darüber, wer in der Folge die federführende Kommunikation übernimmt. Dies gilt für die Gespräche mit dem Patienten, mit den Angehörigen oder auch bei Anfragen von außen, beispielsweise durch die Presse. Nur so kann verhindert werden, dass unkon­trolliert Informationen weitergegeben werden, die nicht abgestimmt und damit gegebenenfalls nicht im Sinne des Arztes bzw. des Krankenhauses sind. Wichtig ist, dass das Krankenhaus in einer solchen Situation „aus einem Munde“ spricht.

Die unmittelbar an dem Geschehen beteiligten Mitarbeiter sollten bei schwerwiegenden Ereignissen ein Gedächtnisprotokoll fertigen. Der Prozess des Vergessens tritt sehr schnell ein, sodass das Gedächtnisprotokoll in erster Linie als Gedankenstütze dient. Mithilfe eines Gedächtnisprotokolls kann – auch zu einem späteren Zeitpunkt – sehr viel besser das tatsächliche Geschehen aufgeklärt werden. Es gilt nicht als Teil der Behandlungsunterlagen und ist deshalb gesondert aufzubewahren.

Bei dem nächsten Kontakt mit dem Patienten beziehungsweise seinen Angehörigen sollte unbedingt Gesprächsbereitschaft signalisiert werden. Es ist sehr wichtig, dass eine Kommunikationsbasis gefunden und gepflegt wird. Hierin liegt eine wesentliche Weichenstellung dafür, ob die weitere Aufarbeitung des Schadenfalles als Konflikt oder in einem konstruktiven Miteinander gelingt.

Die Dokumentation ist zu überprüfen. Wurde alles vollständig und richtig festgehalten? In einer solchen Situation ist die Dokumentation besonders wichtig, da die spätere medizinische und juristische Bewertung wahrscheinlich ist. Zudem besteht jetzt die Verpflichtung zu einer besonders sorgfältigen Dokumentation. Sollte sich bei der Überprüfung herausstellen, dass Ergänzungen zu erfolgen haben, sind diese gemäß den Vorgaben des Patientenrechtegesetzes vorzunehmen. Gem. § 630g Abs. 1 Satz 2 BGB sind Berichtigungen und Änderungen zulässig, wenn neben dem ursprünglichen Inhalt erkennbar bleibt, wann sie vorgenommen worden sind.

Sind die Erstmaßnahmen erfolgt, ist zu erwägen, sich auf mögliche Presseanfragen vorzubereiten. Bei schwerwiegenden Ereignissen muss damit durchaus gerechnet werden. In einer solchen Situation ist es wichtig, nicht der Getriebene zu sein, sondern Herr des Geschehens zu bleiben. Zu diesem frühen Zeitpunkt besteht diese Chance, die man nicht verstreichen lassen sollte. Vor diesem Hintergrund kann es hilfreich sein, bereits jetzt eine schriftliche Presseerklärung vorzubereiten, um diese bei entsprechenden Anfragen parat zu haben. Unabhängig von einer möglichen Presseanfrage ist es in jedem Fall wichtig, frühzeitig mit der Klärung zu beginnen, was genau und warum geschehen ist. Je eher man hierüber Klarheit hat, desto eher kann man klare Angaben machen.

Kommunikation mit der Patientenseite

Die Art und Weise, wie die weitere Kommunikation, entweder die Gespräche mit dem Patienten oder den Angehörigen geführt werden, ist für den weiteren Verlauf von großer Bedeutung.

Das Gespräch sollte aktiv gesucht werden. Anders als in dem geschilderten Beispiel ist das Gespräch des Arztes mit dem Patienten keine Holschuld des Patienten, sondern eine Bringschuld des Arztes. In Anbetracht dessen, dass gerade jetzt das Bedürfnis nach Informationen, aber auch nach Zuspruch und Einfühlungsvermögen sehr groß ist, sollte der Arzt die Initiative ergreifen. So eröffnet sich ihm die Chance, eine Eskalation zu unterbinden, indem die eingangs dargestellten Bedürfnisse des Patienten befriedigt werden. Kommt ein Gespräch nicht zustande, besteht die Gefahr, dass bei dem Patienten Unklarheit bestehen bleiben und sich verfestigen, was dem Vertrauensverhältnis weiter abträglich ist.

Das Gespräch ist grundsätzlich Chefsache, nicht nur, weil er immer dann besonders gefragt ist, wenn es schwierig wird. Es ist zudem für den betroffenen Patienten eine Frage der Anerkennung und der Wertschätzung. Er erhält damit das Signal, dass er mit seiner Situation und seinem Anliegen ernst genommen wird.

Es hört sich so simpel an, entpuppt sich in der Umsetzung jedoch immer wieder als schwierig: Der Inhalt eines Gespräches konzentriert sich zunächst darauf, was passiert ist. Das eingangs dargestellte Informationsbedürfnis des Patienten gilt es zu stillen. Können Fragen zu Befundverlauf, Diagnosen, dem Geschehensablauf oder Zusammenhängen schon als sicher und klar feststehend angesehen werden, sind das genau die Informationen, die der Patient jetzt benötigt. Sollten gewisse Fragen noch unklar sein, ist dies als solches deutlich zu machen. Nur wo schon Klarheit über das tatsächliche Geschehen besteht, kann dies auch als Fakt dargestellt werden. Es ist kontraproduktiv, Spekulationen vorzunehmen. Bei all dem geht es darum, von Fakten zu berichten und keine Bewertungen vorzunehmen. Fragen wie falsch oder richtig, Behandlungsfehler oder nicht und Schadensersatz oder nicht, sind Bewertungen, die spontan häufig noch gar nicht fundiert abgegeben werden können und deshalb im ersten Gespräch auch unterbleiben sollten. Wird von der Patientenseite die Frage einer Entschädigung angesprochen, so sollte man darauf verweisen, dass diese Frage durch den Versicherer geklärt wird, man die Klärung aber so gut es geht unterstützen wird.

Im weiteren Verlauf werden anfangs sicherlich noch offene Fragen geklärt werden. Für den Fall sollten verlässliche Informationen zeitnah weitergegeben werden. Das beinhaltet auch, dass man ein Folgegespräch am besten sofort vereinbart. In dem Gespräch sollte unbedingt das Bedauern zum Ausdruck gebracht werden. Die Erfahrung zeigt, dass die betroffenen Mitarbeiter emotional betroffen sind und mitleiden. Somit ist ein Mitgefühl tatsächlich vorhanden. Dieses kann und soll dem Patienten gegenüber zum Ausdruck gebracht werden. Es gibt keinen Grund, dieses Empfinden zu unterdrücken. Interessante Hilfestellungen finden sich auch in der Broschüre des Aktionsbündnisses Patientensicherheit „Reden ist Gold“ [4].

Rechtlicher Rahmen

Bei dem Plädoyer zu offener Gesprächsführung stellt sich die Frage, ob die Ärzte überhaupt berechtigt sind, eine solch offene Kommunikation zu führen. In diesem Zusammenhang wird immer wieder die Angst deutlich, durch diese Offenheit den Versicherungsschutz zu verlieren.

Die reine wahrheitsgemäße Mitteilung von Tatsachen stellt nie ein Anerkenntnis dar!

Gab es früher tatsächlich die gesetzliche Regelung, wonach der Versicherungsnehmer bei einem Anerkenntnis seinen Versicherungsschutz verliert, so hat der Gesetzgeber diese Norm mit Hilfe des § 105 Versicherungsvertragsgesetz mittlerweile gestrichen. Es sollte dennoch die Abgabe eines Anerkenntnisses vermieden werden, so ist zur Sicherheit der Ärzte zu sagen, dass ein rechtlich verbindliches Anerkenntnis nur sehr schwer abgegeben werden kann. Ein solches liegt etwa bei Formulierungen vor, wie „ich erkenne meine Schuld an und verpflichte mich, den Schaden zu ersetzen“ oder die Vornahme einer Zahlung selber.

Aussagen in einem Gespräch, die sich rein auf die Erläuterung des medizinischen Sachverhalts beziehen, stellen kein Anerkenntnis da. Auch Äußerungen des Mitgefühls und des Bedauerns, wie beispielsweise „Es tut uns sehr leid, dass bei der Gebärmutterentfernung der Harnleiter verletzt wurde“ oder „Wir haben sie mit einem anderen Patienten verwechselt, weshalb anstatt der Durchführung einer Gastroskopie das Einlegen einer Magensonde erfolgte“ stellen kein Anerkenntnis dar. Weder der Versicherer noch das Gesetz stehen einem derartigen offenen Gespräch entgegen. Es gilt deshalb: Fakten berichten, Empathie ausdrücken, aber Wertungen bzw. rechtliche Würdigung unterlassen.

Versicherer

Für den Arzt stellt sich auch die Frage, ob und wann der Versicherer von einem Schadenfall in Kenntnis zu setzen ist. Versicherungsschutz wird gerade für den Fall abgeschlossen, dass eine Verpflichtung zur Zahlung von Schadensersatz aufgrund eines fehlerhaft verursachten Gesundheitsschadens gegeben ist. Die Aufgabe des Versicherers besteht darin, die Frage einer Schadensersatzverpflichtung zu prüfen und – je nach Ergebnis der Einschätzung – zu regulieren bzw. den Anspruch abzuwehren. Um diese Aufgabe erfüllen zu können, muss der Versicherer rechtzeitig über einen Schadenfall in Kenntnis gesetzt werden (Schadenmeldung). Nach den Allgemeinen Versicherungsbedingungen ist jeder Versicherungsfall innerhalb einer Woche zu melden. Als Versicherungsfall wird das Schadenereignis angesehen.

Zur Frage, wann eine Meldung zu erfolgen hat, kann man sich an folgender Abgrenzung orientieren: Nicht jeder Eintritt einer Komplikation oder die bloße Anforderung von Behandlungsunterlagen etwa durch eine Krankenkasse lösen die Meldeobliegenheit aus. Auf jeden Fall immer dann, wenn in einem Schreiben des Patienten oder des Rechtsanwaltes Schadensersatz gefordert wird, besteht eine Verpflichtung zur Meldung. Auch förmliche Verfahren wie eine Klage, staatsanwaltliche Ermittlung oder vor einer Schlichtungsstelle bzw. Gutachterkommission sind dem Versicherer zu melden. Erst mit der Meldung wird der Versicherer in die Lage versetzt, die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruches zu prüfen und das Ergebnis dem Patienten mitzuteilen. Eine Entscheidung wird von der Patientenseite – unabhängig davon, wie sie lautet – eher akzeptiert, wenn sie zeitnah erfolgt. Vor diesem Hintergrund stellt die rasche Einbindung des Versicherers nicht lediglich eine Pflicht des Arztes dar, sondern sie ist auch sinnvoll.

Fazit

Schneller als man denkt, kann der Arzt in die Situation eines Schadenfalles kommen. Häufig bleibt dann nicht mehr die Zeit, sich vertiefte Gedanken über die nun notwendigen Maßnahmen zu machen. Es macht deshalb Sinn, sich bereits vorher mit diesen Fragen zu befassen und idealerweise hierzu für die Mitarbeiter eine Anweisung zu erstellen und Schulungen durchzuführen. Zentrales Thema wird dabei der Umgang und die Kommunikation mit dem Patienten/Angehörigen nach einem Schadenereignis sein. Hierbei steht dem offenen, empathischen Gespräch, das aktiv gesucht wird, nicht nur nichts im Wege. Es bietet vielmehr die Chance, dass verlorene Vertrauen wiederzugewinnen und eine konträre Auseinandersetzung zu vermeiden oder zumindest nicht unnötig eskalieren zu lassen. Der Versicherungsschutz wird durch ein offenes Gespräch, das die Darstellung der Tatsachen und nicht deren Bewertung zum Inhalt hat, nicht gefährdet. Ebenso wenig durch ein Ausdruck des Bedauerns über das Geschehene.

Literatur

[1] Vincent CA, Pincus T, Scurr JH. Patient´s Experience of surgical accidents. Quality in Healthcare 1993; 2: 77ff.

[2] Mulcahy L. Mediating Medical Negligence Claims. Amicus Curiae 2000; 30: 8.

[3] Stiftung Patientensicherheit, Schweiz. Kommunikation mit Patienten und Angehörigen nach einem Zwischenfall. 2. Aufl. 2007

[4] Aktionsbündnisses Patientensicherheit. „Reden ist Gold“ – Kommunikation nach einem Zwischenfall. 3. Aufl. Berlin: 2017

Jaklin J: Kein Maulkorb für den Arzt! Kommunikation und Verhalten nach einem Schadenfall. Passion Chirurgie. 2018 Juli, 8(07): Artikel 04_02.

Safety Clip: Das Patientenrechtegesetz – Elf Punkte für die Umsetzung im Klinikalltag

Das Patientenrechtegesetz wirft Fragen auf. Viele Chirurginnen und Chirurgen sind verunsichert. Was ändert sich? Was bleibt? Worauf ist angesichts der neuen Gesetzeslage zu achten? Johannes Jaklin, Fachanwalt für Medizinrecht und Leiter der Abteilung Schaden bei der Ecclesia Gruppe, gibt eine erste Einschätzung.

Am 26.02.2013 ist das Patientenrechtegesetz in Kraft getreten. Der Gesetzgeber verfolgt damit das Ziel, mehr Transparenz über bereits bestehende Patientenrechte zu schaffen und die Durchsetzung dieser Rechte zu erleichtern. Auch im Falle von Behandlungsfehlern soll der Patient von nun an die geeignete – gesetzlich verankerte – Unterstützung erhalten.

Wesentlicher Bestandteil der Neuregelungen sind die Besonderheiten der Arzthaftung, die durch eine Ergänzung des Bürgerlichen Gesetzbuchs geregelt wurden.

Es folgt ein Überblick über die neue Gesetzeslage. Wir zeigen zudem auf, welche Probleme aus den Regelungen entstehen können und geben erste Empfehlungen für die Umsetzung des Patientenrechtegesetzes im Klinikalltag.

Kodifizierung der Rechtsprechung

Die Berufshaftung von Ärzten war bisher nicht gesondert geregelt, sondern unterfiel allgemeinen Haftungsnormen. In der Vergangenheit hat die Rechtsprechung die Besonderheiten der Arzthaftung herausgearbeitet. Im Laufe der Zeit haben die Gerichte – die schwierige Position des Patienten im Prozess stets berücksichtigend – viele Rechte zugunsten der Patienten entwickelt, um eine „Waffengleichheit“ in der Auseinandersetzung mit dem ärztlichen Gegenpart sicherzustellen.

Folgerichtig musste der Gesetzgeber keine neuen Patientenrechte statuieren, sondern lediglich die bestehenden kodifizieren. Im Grundsatz ist das über Jahrzehnte entwickelte, sehr ausgewogene System der Arzthaftung in Gesetzesform gebracht worden. Grundlegende Neuregelungen oder Änderungen gibt es daher nicht.

Behandlungsvertrag

Gegenstand der ärztlichen Behandlung ist ein menschlicher Organismus, dessen Reaktionen selbst der idealtypische Arzt nicht stets voll beherrschen kann. Infolgedessen geht die ärztliche Pflicht gegenüber behandelten Personen auch nicht dahin, deren Gesundheit wiederherzustellen. Der Arzt ist „lediglich“ dazu verpflichtet, sich regelgerecht um die Herbeiführung der Genesung zu bemühen.

Diesem Umstand trägt der Gesetzgeber Rechnung, indem er den neu eingeführten Vertragstypus „Behandlungsvertrag“ den Regelungen des Dienstvertragsrechts unterwirft. Auf diese Weise wird klargestellt, dass – im Gegensatz zum Werkvertragsrecht – der Arzt nicht zur Herbeiführung des Erfolges verpflichtet ist.

Die Regelungen des neugeschaffenen Behandlungsvertrags gelten nicht nur für Ärzte, sondern unter anderem auch für Psychotherapeuten, Hebammen, Logopäden sowie Ergo- und Physiotherapeuten.

Aufklärung – aufklärende Person

Neben dem Behandelnden selbst kann die Aufklärung auch eine Person vornehmen, die über zur Durchführung der Maßnahme notwendige Ausbildung verfügt. Es muss also eine Person sein, die aufgrund ihrer abgeschlossenen fachlichen Ausbildung die notwendige theoretische Befähigung zur Durchführung der vorgesehenen Maßnahme erworben hat, auch wenn sie möglicherweise noch nicht das Maß an praktischer Erfahrung aufweist, das für die eigenständige Durchführung der Maßnahme selbst unverzichtbar ist.

Wir leiten daraus ab, dass der Gesetzgeber eine formelle Facharztanerkennung als Voraussetzung für ein Aufklärungsgespräch nicht prinzipiell fordert. Dies kann aber dann nötig werden, wenn die notwendigen theoretischen Kenntnisse fachärztliche Kompetenz voraussetzen.

Aufklärung – Aushändigung von Unterlagen

Die Aufklärung hat mündlich zu erfolgen. Der Gesetzgeber betont, dass auf die bewährten Aufklärungsbögen ergänzend Bezug genommen werden kann.

Neu ist die Verpflichtung, dem Patienten auf Verlangen Abschriften der Unterlagen auszuhändigen, die er im Zusammenhang mit der Aufklärung unterzeichnet hat. Dies kann beispielsweise in Form einer Durchschrift oder Kopie erfolgen.

Es dürfte unzureichend sein, lediglich ein Blanko-Formular des Aufklärungsbogens oder einen selektierten Teil der Unterlagen herauszugeben. Wenn kein vollständiger Durchschlag des Aufklärungsbogens existiert, empfehlen wir, dem Patienten eine Kopie auszuhändigen.

Vielfach werden Aufklärungsbögen ergänzt, etwa durch Unterstreichungen, handschriftliche Eintragungen oder Zeichnungen. Gerade diese Details dürften bei der Aushändigung der Unterlagen wichtig sein.

Unverzichtbar ist es, sich den Erhalt der Abschrift oder Kopie per Unterschrift bestätigen zu lassen. Das Original sollte in jedem Fall in den Krankenunterlagen verbleiben.

Auch wenn im Patientenrechtegesetz nicht ausdrücklich eine Sanktion für Pflichtverstöße enthalten ist, sehen wir die Gefahr, dass sich die Beweissituation für den Arzt verschlechtern könnte, wenn ihm ein Patient nachträgliche Veränderungen oder Ergänzungen der Akten vorwirft.

Aufklärung – wirtschaftliche Aufklärung

Es gibt therapeutische Maßnahmen, deren Kosten der Patient selbst tragen muss. Wer sich beispielsweise einer rein kosmetischen Operation unterzieht, wird in der Regel keine Kostenübernahme bekommen. Wenn der Behandelnde das weiß oder sich zumindest hinreichende Anhaltspunkte dafür ergeben, ist der Patient über die Selbstzahlungspflicht aufzuklären. Die Aufklärung muss eine Angabe über die voraussichtlich zu erwartenden Kosten enthalten.

Neu ist, dass diese Aufklärung in Textform erfolgen muss. Der Erhalt des Schriftstücks, das mit dem Briefkopf des Krankenhauses/des Arztes zu versehen ist, sollte nach Aushändigung schriftlich bestätigt werden.

Wir empfehlen zudem einen ergänzenden Hinweis auf die Rechtslage. § 52 Abs. 2 SGB V besagt, dass die gesetzliche Krankenkasse Versicherte an den Kosten einer Behandlung zu beteiligen hat, welche in der Folge einer rein ästhetischen Operation entstehen. Wird den gesetzlichen Vorgaben nicht Genüge getan, verliert der Arzt seinen Vergütungsanspruch.

Informationen über Behandlungsfehler

Das Gesetz erlegt Ärzten nun ausdrücklich die Pflicht auf, den Patienten über erkennbare Umstände zu informieren, welche die Annahme eines Behandlungsfehlers begründen, entweder, wenn dies zur Abwendung gesundheitlicher Gefahren notwendig ist, oder auch auf Nachfrage. Diese Pflicht gilt sowohl für selbst vorgenommene Behandlungen als auch für Behandlungen von Kollegen.

Diese Vorschrift verpflichtet nach unserem Verständnis lediglich dazu, den Patienten über Tatsachen zu informieren, aus denen sich ein Behandlungsfehler ergeben könnte. Eine Verpflichtung zur Abgabe einer Bewertung, ob tatsächlich ein Behandlungsfehler vorliegt, besteht aus unserer Sicht nicht.

Wir raten davon ab, den Begriff „Behandlungsfehler“ im Patientengespräch zu verwenden. Dies ist ein Terminus technicus, der nach juristischen Kriterien zu prüfen ist.

Ein Beispiel: Bei Entfernung der Gebärmutter im Rahmen einer offenen Operation wird der Harnleiter durchtrennt. Dies wird sofort bemerkt und die Patientin entsprechend versorgt. Postoperativ sollte die Patientin auf dieses Geschehen hingewiesen werden, ohne jedoch eine Wertung vorzunehmen, ob darin ein Behandlungsfehler zu sehen ist oder nicht.

Eine ausdrückliche Sanktion bei Verstößen gegen diese Informationspflicht sieht das Gesetz nicht vor. Was Informationen im Zusammenhang mit eigenen Behandlungsfehlern betrifft, enthält das Gesetz ein strafrechtliches Verwertungsverbot.

Dokumentation

Die Pflicht, zeitnah eine Dokumentation, deren Umfang und Inhalt aus fachlich-medizinischer Sicht zu beurteilen ist, in Papierform oder elektronisch zu erstellen, ist erstmals gesetzlich geregelt. Zudem gibt es gesetzliche Vorgaben für nachträgliche Berichtigungen und Änderungen, die grundsätzlich möglich sind. Gefordert wird, dass der ursprüngliche Inhalt erkennbar bleibt und das Datum der Änderung ersichtlich ist.

Für Papierakten bedeutet dies, dass kein Tipp-ex verwandt und nichts überklebt werden darf. Schwieriger ist die Umsetzung bei elektronischen Akten, für welche die Regelung genauso gilt. Wir halten es für erforderlich, mit dem Software-Anbieter eine Lösung zu finden, die diese Vorgaben berücksichtigt.

Dauer der Aufbewahrung der Patientenakte

Der Wortlaut der gesetzlichen Regelung erweckt zunächst den Eindruck, zur Aufbewahrungsdauer von Behandlungsunterlagen nun erfreuliche Klarheit geschaffen zu haben. Laut Gesetz müssen Patientenakten zehn Jahre lang aufbewahrt werden, sofern nicht andere Vorschriften eine davon abweichende Aufbewahrungsfrist vorsehen.

Der Blick auf die Gesetzesbegründung relativiert die – scheinbar klare – Vorgabe. Dort steht, dass die Aufbewahrungspflicht weit über zehn Jahre hinausgehen kann, etwa wenn der gesundheitliche Zustand des Patienten bzw. die Gegebenheiten im Einzelfall dies erfordern.

Die Frage der Aufbewahrungsdauer von Patientenakten sollte also mit der gleichen Vorsicht und nach den gleichen Kriterien wie bisher gehandhabt werden. Wenn im Einzelfall medizinische Gründe dafür vorliegen oder wenn bereits Ansprüche geltend gemacht wurden, sind die Unterlagen mitunter länger als zehn Jahre aufzubewahren.

Beweislast

Immer wieder wurde im Zusammenhang mit dem Patientenrechtegesetz von der Verlagerung der Beweislast gesprochen. Zum einen kommt die Frage nach der Beweislast in einem Gerichtsverfahren erst dann zum Tragen, wenn sich eine entscheidungserhebliche Tatsache nicht sicher feststellen lässt.

Zum andern ändert die neue gesetzliche Regelung nichts an der Verteilung der Beweislast. Es bleibt bei dem im gesamten Zivilrecht geltenden Grundsatz, dass beweisbelastet ist, wer Schadenersatz von einem anderen begehrt. Das bedeutet, dass grundsätzlich der Patient das Vorliegen aller Voraussetzungen für einen Arzthaftungsanspruch beweisen muss.

Zugunsten des Patienten hat die Rechtsprechung bereits in der Vergangenheit verschiedene Ausnahmen von diesem Grundsatz entwickelt (Beweislastumkehr), von denen nunmehr fünf Konstellationen gesetzlich geregelt sind.

Die Rolle der Krankenkasse

Stand es in der Vergangenheit noch im freien Ermessen der gesetzlichen Krankenkassen, ihre Versicherten bei der Verfolgung von Schadenersatzansprüchen wegen Behandlungsfehlern zu unterstützen, hat der Gesetzgeber dies nun zur Regel gemacht. Die Versicherungsträger werden also stärker in die Pflicht genommen.

Fakt ist, dass die gesetzlichen Krankenkassen schon in der Vergangenheit ein berechtigtes Interesse an der Unterstützung von Versicherten hatten, da sich ihnen so die Chance eröffnete, sämtliche infolge eines Behandlungsfehlers getragenen Behandlungskosten zu regressieren. Daher wurde von dieser Herangehensweise seit jeher reichlich Gebrauch gemacht. Es bleibt abzuwarten, inwieweit die Aktivitäten der Krankenkassen durch die gesetzliche Regelung gesteigert werden.

Versicherungspflicht für Ärzte

Durch eine Änderung der Bundesärzteordnung wird den Approbationsbehörden erstmals eine Sanktionsmöglichkeit für den Fall an die Hand gegeben, dass der Arzt keinen ausreichenden Haftpflichtversicherungsschutz aufweist. In dem Fall kann nun das Ruhen der Approbation ausgesprochen werden.

Eine Aussage darüber, ob und in welchem Umfang eine solche Versicherungspflicht besteht, trifft das Gesetz jedoch ausdrücklich nicht. Für diese Frage sind nach wie vor die jeweiligen Heilberufs- bzw. Kammergesetze der Länder und Berufsordnungen der Ärztekammern entscheidend. Sicherlich rückt die Frage ausreichenden Versicherungsschutzes stärker in den Fokus.

Wir hoffen, dass Ihnen diese Informationen helfen, die gesetzlichen Vorgaben im klinischen Alltag umzusetzen. Das Patientenrechtegesetz wirft eine Reihe neuer Fragen auf. Diese zu klären, wird letztlich Aufgabe der Gerichte sein.

Jaklin J. Safety Clip: Das Patientenrechtegesetz: Elf Punkte für die Umsetzung im Klinikalltag. Passion Chirurgie. 2013 September; 3(09): Artikel 03_04.

Safety Clip: Chirurgische Aufklärung: Teil 2 – Besonderheiten der chirurgischen Aufklärung

Nachdem sich der erste Teil der zweiteiligen Serie mit den Grundzügen befasst hat, sollen nun die Besonderheiten der chirurgischen Aufklärung dargestellt werden, die im beruflichen Alltag des Chirurgen eine Rolle spielen.

Aufklärung von Minderjährigen

Die Frage, ab welchem Alter eine Patientin oder ein Patient selbst die Einwilligung zu einem Eingriff abzugeben hat, hängt nicht vom Eintritt der Geschäftsfähigkeit ab. Es kommt vielmehr auf die tatsächliche Einsichts- und Entscheidungsfähigkeit an, die auch schon vor Erreichen der Volljährigkeit gegeben sein kann.

Bei Kindern unter 14 Jahren wird grundsätzlich davon ausgegangen, dass die Entscheidungsfähigkeit noch nicht gegeben ist, sodass die Einwilligung der Eltern in jedem Fall einzuholen ist. Bei Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren kommt es darauf an, wie die Ärztin oder der Arzt die Persönlichkeit beurteilt. Die Einschätzung, ob eine Patienten oder ein Patient einwilligungsfähig ist, richtet sich nach deren/dessen Reife und Fähigkeit, die Tragweite des ärztlichen Eingriffs für Körper, Beruf und Lebensglück ermessen zu können. Bei Zweifeln über die Einwilligungsfähigkeit sollte die/der Behandelnde sich in jedem Fall an die Eltern wenden.

Wird die elterliche Sorge von beiden Eltern ausgeübt, so ist grundsätzlich vor einer Operation des Kindes die Einwilligung beider einzuholen. Allerdings kann ein Elternteil den anderen ermächtigen, die erforderliche Einwilligung in den ärztlichen Eingriff für beide stellvertretend zu erteilen. Dabei hat sich eine Abstufung nach folgendem Schema etabliert:

Routineeingriffe/Alltagsfälle: Die Behandlungsseite darf ungefragt darauf vertrauen, dass der anwesende Elternteil ermächtigt ist, die Einwilligung alleine abzugeben, solange keine entgegenstehenden Umstände bekannt sind. Es genügt die Aufklärung des anwesenden Elternteils.

Eingriff in mittlerer Schwere: Die Ärztin/der Arzt muss nachfragen, ob der anwesende Elternteil vom anderen ermächtigt ist. Der daraufhin erhaltenden Auskunft darf er oder sie vertrauen. Auch hier ist die Aufklärung des anwesenden Elternteils ausreichend.

Schwerwiegende Eingriffe: In diesen Fällen ist die Einwilligung beider Elternteile einzuholen, sodass auch beide in die Aufklärung einzubeziehen sind.

Aufklärung fremdsprachiger Patienten

Die Aufklärungspflicht beschränkt sich nicht darauf, ein Aufklärungsgespräch zu führen. Vielmehr hat die/der Aufklärende sicherzustellen, dass das Gegenüber die erfolgte Aufklärung auch versteht. Dies führt zum einen dazu, dass sich Ärztinnen und Ärzte auf das Verständnisniveau ihrer Patientinnen und Patienten einstellen müssen. Gegebenenfalls muss eine leicht verständliche Umgangssprache gewählt werden. Auch bei fremdsprachigen Patientinnen und Patienten ist dafür Sorge zu tragen, dass sie die Aufklärung verstehen.

Eine dolmetschende Person ist hinzuziehen, wenn nicht sicher ist, dass die Patientin/der Patient die deutsche Sprache genügend beherrscht. Für die Übersetzung kommen professionelle Dolmetscher/innen ebenso in Betracht wie sprachkundige eigene Beschäftigte (z. B. Pfleger, Krankenschwester). Bei der Dokumentation sollte dann auch die dolmetschende Person vermerkt werden.

Allerdings sind auch Patientinnen und Patienten, die der deutschen Sprache mächtig sind, in der Pflicht, klar zu sagen, wenn die Aufklärung nicht verstanden wurde. Geschieht dies nicht, darf die Ärztin/der Arzt von einer wirksamen Aufklärung ausgehen.

Telefonische Aufklärung

Die Aufklärung hat mündlich zu erfolgen. Gefordert wird deshalb ein vertrauensvolles Gespräch, im Rahmen dessen der Patientin/dem Patienten die notwendigen Informationen gegeben werden. Lange Zeit war die Frage offen, ob diese Voraussetzungen auch im Rahmen eines Telefonates erfüllt werden können. Hierzu hat sich der Bundesgerichtshof nun geäußert:

„Grundsätzlich kann sich der Arzt in einfach gelagerten Fällen auch in einem telefonischen Aufklärungsgespräch davon überzeugen, dass der Patient die entsprechenden Hinweise und Informationen verstanden hat. Ein Telefongespräch gibt ihm ebenfalls die Möglichkeit, auf individuelle Belange des Patienten einzugehen und eventuelle Fragen zu beantworten. Dem Patienten bleibt es unbenommen, auf ein persönliches Gespräch zu bestehen. Handelt es sich um komplizierte Eingriffe mit erheblichen Risiken, wird eine telefonische Aufklärung regelmäßig unzureichend sein“.(BGH vom 15.Juni 2010, Az: VI ZR 265/02)

Eine telefonische Aufklärung sollte in jedem Fall auf einfach gelagerte Fälle beschränkt werden.

Aufklärung bei Ablehnung medizinisch gebotener Maßnahmen

Es kommt immer wieder vor, dass Patientinnen und Patienten eine Maßnahme ablehnen bzw. nicht vornehmen lassen, obwohl diese medizinisch – möglicherweise sogar dringend – geboten ist. Beispiele:

  • Ablehnung einer Katheteruntersuchung bei Herzbeschwerden,
  • Ablehnung einer stationären Aufnahme bei Verdacht auf Darmverschluss,
  • Ablehnung einer Biopsie bei Tumorverdacht.

Die Behandlungsseite ist jedoch von ihrer Verantwortung und damit von einer möglichen Haftung noch nicht allein deshalb befreit, weil die/der zu Behandelnde eine Maßnahme ablehnt. Da Ärztinnen und Ärzte medizinischen Laien gegenüber einen großen Wissensvorsprung haben, wird gefordert, dass sie sehr konkret und notfalls mit klaren Worten aufzeigen, welche Risiken bei Ablehnung der Maßnahme bestehen.

Beispiel:

Die Mutter stellt sich mit ihrem seit drei Tagen an Brechdurchfall leidenden Säugling bei einem niedergelassen Arzt vor. Sie lehnt jedoch die angeratene Krankenhauseinweisung ab. Die in der Folge zu spät behandelte hypertone Dehydration führt zu einer dauerhaften schweren Schädigung des Kindes. Der Arzt hatte darauf hingewiesen, dass bei Nichteinweisung in ein Krankenhaus „eine Verschiebung der Salze eintreten könne, die mit dem Leben nicht vereinbar sei“. Das Gericht hielt diese Formulierung für unzureichend. Die Mutter, so die Ansicht der Richter, hätte konkret auf das Risiko schwerwiegender, andauernder Gesundheitsschäden bis hin zur Gefahr des Todes hingewiesen werden müssen (OLG Köln vom 22.09.2012, Az: 5 U 211/08).

Nur wenn Ärztinnen und Ärzte neben dem Umstand der Ablehnung eine solche intensive Aufklärung nachweisen können, besteht die Chance, dass sie sich aus der Haftung lösen können.

Aufklärung bei Schönheitsoperationen

Die Anforderungen an die Genauigkeit und die Intensität der Aufklärung sind nicht stets gleich. Vielmehr sind die konkreten Umstände des Eingriffs zu berücksichtigen. Gemeinhin gilt: Je dringlicher die Operation, desto weniger streng sind die Anforderungen – und umgekehrt. Bei einer Operation, der jede medizinische Indikation fehlt und die aus rein ästhetischen Gründen vorgenommen wird, sind die Anforderungen an die Aufklärung entsprechend am strengsten.

Beispiel:

Zur Vergrößerung und gleichzeitigen Straffung der Brüste werden einer Patientin unter beide Brustmuskeln jeweils 300 Gramm schwere Implantate eingesetzt. In der Folge zeigen sich breite Narben und eine Asymmetrie der Brustwarzen, bei bestimmten Belastungen treten Schmerzen auf. Die erfolgte Aufklärung des behandelnden Arztes, es könne zu Schmerzen ähnlich einem Muskelfaserriss bei einer Sportverletzung kommen, sieht das Gericht als verharmlosend an. Eine schonungslose und drastische Aufklärung, auch über mögliche lebenslange Schmerzen, hätte erfolgen müssen (OLG Hamm, Urteil vom 29.03.2006, Az: 3 U 263/05, VerR 2006, Seite 1511).

Risikomanagement

Im Hinblick auf die Besonderheiten der chirurgischen Aufklärung ist insbesondere auf folgende Aspekte zu achten:

  • Minderjährige: Der Arzt nimmt eine Abwägung der Einwilligungsfähigkeit anhand objektiver Kriterien vor, was er dokumentiert.
  • Telefonische Aufklärung: Sie erfolgt nur bei einfachen Eingriffen. Zur Sicherstellung der Identität der Gesprächspartnerin bzw. des Gesprächspartners werden zunächst persönliche Daten abgefragt und festgehalten.
  • Bestehen Zweifel daran, dass eine Patientin oder ein Patient die deutsche Sprache versteht, wird eine dolmetschende Person hinzugezogen, was entsprechend dokumentiert wird.
  • Bei Ablehnung einer medizinisch gebotenen Maßnahme wird die Aufklärung – ggf. drastisch – über die mit der Ablehnung verbundenen Risiken vorgenommen und dies wird dokumentiert.
  • Bei Schönheitsoperationen erfolgt eine schonungslose Aufklärung auch und gerade über ästhetisch schlechte Ergebnisse sowie Begleiterscheinungen.

Jaklin J. Safety Clip: Chirurgische Aufklärung: Teil 2. Passion Chirurgie. 2012 November; 2(11): Artikel 03_02.

Safety Clip: Chirurgische Aufklärung: Teil 1 – Grundzüge der chirurgischen Aufklärung

Die Notwendigkeit einer präoperativen Aufklärung des Patienten durch den Chirurgen kann mittlerweile zum Basiswissen im Klinikalltag gezählt werden. In jahrzehntelanger Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof die Anforderungen an die ärztliche Aufklärungspflicht herausgearbeitet. Mag sie auch mitunter als Last betrachtet werden, so darf doch ihre haftungsrechtliche Bedeutung nicht unterschätzt werden.

Eine unzureichende Aufklärung kann alleiniger Anknüpfungspunkt für Schadenersatz- und Schmerzensgeldansprüche sein, selbst wenn die Behandlung unter medizinischen Gesichtspunkten bestens erfolgt ist. Aus haftungspräventiver Sicht ist es deshalb unumgänglich, dass der Chirurg die Anforderungen an die ärztliche Aufklärungspflicht kennt.

Die Aufklärungspflicht ist Thema einer zweiteiligen Serie. Der vorliegende erste Teil befasst sich mit den Grundzügen der chirurgischen Aufklärung. Im zweiten Teil wird es um ihre Besonderheiten gehen.

Aufklärung – warum?

Aus juristischer Sicht leitet sich die Aufklärungspflicht aus dem Charakter medizinischer Eingriffe her:

Jeder Schnitt mit dem Skalpell, jeder Stich mit einer Injektionsnadel, sogar jede Verabreichung eines Medikamentes werden von der Rechtsprechung als Körperverletzung angesehen, auch wenn die Handlungen letztlich der Heilung des Patienten dienen sollen.

Die notwendigerweise zum Klinikalltag gehörenden Körperverletzungen sind nur dann gerechtfertigt und damit sanktionslos, wenn eine wirksame Einwilligung der Patientin/des Patienten vorliegt. Eine freie und selbstbestimmte Entscheidung, dem vorgesehenen Eingriff zuzustimmen oder nicht, kann die Patientin/der Patient aber nur in Kenntnis darüber treffen, worein sie/er einwilligt. Diese Kenntnisse sollen – als Grundlage für eine wirksame Einwilligung – durch die Aufklärung vermittelt werden. Der Patient soll nicht Objekt, sondern Subjekt der Behandlung sein.

Das Aufklärungsgespräch sollte nicht als bloße Last angesehen werden. Vielmehr bietet es die Chance auf eine gute Kommunikation und trägt damit dazu bei, ein Vertrauensverhältnis zwischen Patient/in und Behandler/in aufzubauen. Ein solches wiederum reduziert die Gefahr, dass die Patientin/der Patient bei einem von ihren/seinen Vorstellungen abweichenden Behandlungsverlauf Ansprüche geltend macht.

Aufklärung – worüber?

Die Frage, worüber aufzuklären ist, lässt sich am besten beantworten, indem man sich vor Augen führt, dass der Patientin/dem Patienten vermittelt werden soll, in was sie/er einwilligt. Hieraus ergeben sich allgemein folgende notwendige Inhalte einer ärztlichen Aufklärung:

  • Ergebnis von Untersuchungen, Diagnose, Auswirkungen der Erkrankung
  • Geplante Behandlungsmaßnahme, Zustand nach Behandlung, Alternativen, Erfolgsaussicht
  • Art, Umfang, Dringlichkeit, Schwere, Risiken, Folgen, mögliche Nebenwirkungen des geplanten Eingriffs und Folgen der Nichtbehandlung

Die konkrete Frage, über welche mit dem geplanten Eingriff verbundenen Risiken aufzuklären ist, lässt sich mit den von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien klären.

Es ist über Risiken aufzuklären,

  • die mit dem Eingriff spezifisch verbunden sind und
  • die auch für den verständigen Laien überraschend sind und
  • deren Eintritt sich auf die beruflichen und privaten Lebensumstände der Patientin/des Patienten besonders belastend auswirken würde.

Sind diese drei Kriterien erfüllt, gilt die Aufklärungspflicht auch für, statistisch gesehen, äußerst unwahrscheinliche Risiken.

Beispiel:

„Die Notwendigkeit zur Aufklärung über die Gefahr, dass der Impfling aufgrund der Impfung mit lebenden Polio-Viren an einer spinalen Kinderlähmung erkrankt, entfällt nicht deshalb, weil es sich um eine äußerst seltene Folge der Impfung handelt (1 : 4,4 Mio.)“ (Bundesgerichtshof vom 15.02.2000, VI ZR 48/99, VersR 2000, 725).

Beispiele zu aufklärungspflichtigen Risiken:

  • Parese des Nervus recurrens bei einer Schilddrüsenoperation
  • Lähmung des Nervus accessorius mit Lähmung der Schultermuskulatur bei einer Lymphknotenexstirpation
  • Bleibende Inkontinenz bei einer Analfistelentfernung

Aufklärung – wie?

Die Patientin/der Patient soll ein allgemeines Bild von der Schwere und Beschaffenheit der konkreten Risiken erhalten. Ausreichend ist eine Aufklärung „im Großen und Ganzen“. Deshalb muss kein medizinisches Detailwissen vermittelt werden. Ausreichend ist eine allgemeine Vorstellung von dem Schweregrad des bevorstehenden Eingriffs, von den Belastungen und von den Risiken, denen sich die Patientin/der Patient bei der Behandlung ausgesetzt sieht. Auf der anderen Seite dürfen die Risiken durch unangemessene Formulierungen nicht verharmlost werden.

Beispiel: Vor einer offenen Biopsie des Brustwirbelkörpers war der Patient über die Risiken von „Nervschädigungen“, „Muskelfunktionsstörungen“ und „Gefühlsstörungen“ aufgeklärt worden. In der Folge des Eingriffs erlitt der Patient eine schlaffe Lähmung. Nach Ansicht des Gerichts war die ärztliche Aufklärung unzureichend, da sie verharmlosend und bagatellisierend formuliert gewesen sei. Die bei der Aufklärung konkret verwandten Begriffe hätten eine weit geringere Signalwirkung als der Begriff „Lähmung“, der den Patienten eher hätte aufhorchen lassen und der ihn eher veranlasst hätte nachzudenken und gegebenenfalls nachzufragen (OLG Naumburg vom 21.05.2007 – MDR 2008, 26).

Die Aufklärung hat in einem vertrauensvollen Gespräch, also mündlich, zu erfolgen. Eine ausschließlich schriftliche Aufklärung ist unzureichend. Die Anforderungen an die Aufklärung sind umso höher, je weniger dringlich ein Eingriff ist. Bei einem Eingriff aus ästhetischen Gründen ohne medizinische Indikation sind die Anforderungen demnach am höchsten. Die Aufklärung hat dann „schonungslos“ zu erfolgen.

Aufklärung – wann?

Der Zeitraum zwischen Aufklärung und Eingriff darf nicht so kurz sein, dass bei der Patientin/dem Patienten der Eindruck entstehen kann, sie/er könne sich aus dem in Gang gesetzten Geschehensablauf nicht mehr lösen. Die Patientin/der Patient muss den Entschluss zur Operation in Ruhe überdenken können und darf mit dem Problem nicht „überfallen“ werden. Sie/er muss noch Gelegenheit haben, zwischen Aufklärung und Eingriff das Für und Wider des ärztlichen Vorgehens zu erfassen.

Ambulante Eingriffe:

Bei „normalen ambulanten Eingriffen“ wird die Aufklärung am Tag des Eingriffs grundsätzlich als ausreichend erachtet (z.B. bei einer Myelographie oder einer Karpaltunnelsyndrom-Operation; nicht aber bei einer ambulanten Sterilisation). Auch hier muss die Patientin/der Patient noch ausreichend Gelegenheit zum Überlegen und zur Entscheidung haben.

Stationäre Eingriffe:

Wird die Entscheidung zur Operation mit entsprechender Terminvergabe bereits anlässlich eines Termins vor der stationären Aufnahme getroffen, hat die Aufklärung ebenfalls zu diesem Zeitpunkt zu erfolgen. Befindet sich die Patientin/der Patient bereits auf Station, darf die Aufklärung grundsätzlich nicht später als am Tage vor dem Eingriff erfolgen.

Aufklärung – Beweislast

Begehrt eine Patientin/ein Patient Schadenersatz aufgrund eines ärztlichen Behandlungsfehlers, hat sie/er alle Voraussetzungen für diesen Anspruch zu beweisen. Anders verhält es sich bei der Frage der ordnungsgemäßen Aufklärung. Ob die Patienteneinwilligung auf einer ausreichenden Aufklärung beruht, hat die Ärztin/der Arzt zu beweisen. Dies ist mit ein Grund dafür, warum Einwände wegen unzureichender Aufklärung insbesondere von anwaltlich vertretenen Patienten immer öfter erhoben werden.

Bewiesen werden muss stets, dass ein Aufklärungsgespräch stattgefunden hat und welchen Inhalt dieses hatte. Ein unterschriebener Aufklärungsbogen allein ist noch kein sicherer Beweis, dass auch ein Gespräch stattgefunden hat. Aus dem Aufklärungsbogen sollten sich deshalb noch weitere Indizien für eine Gesprächsführung ergeben.

Einige Tipps:

  • Formular nur als Checkliste für das Gespräch nutzen,
  • besondere Risiken handschriftlich ergänzen,
  • im Formular enthaltene Grafiken nutzen bzw. ergänzen,
  • gegebenenfalls selbst Zeichnungen anfertigen,
  • Uhrzeiten vom Anfang und vom Ende des Gesprächs notieren,
  • individuelle Besonderheiten des Patienten notieren.
  • Bei derart genutzten Aufklärungsbögen dürfte einer/einem beklagten Ärztin/Arzt der Beweis gelingen, wie das nachfolgende Urteil zeigt.

„Gerade die Tatsache, dass die allgemein gehaltenen vorgedruckten Hinweise des Aufklärungsbogens durch die von der Beklagten gefertigten handschriftlichen Zusätze ergänzt worden sind und der Operationsverlauf anhand von Zeichnungen erläutert wurde, spricht für eine Aufklärung des Patienten über die aufgeführten Risiken.

… für die Behauptung der Klägerin, ein Gespräch über etwaige Risiken oder die Gefährlichkeit der Operation habe nicht stattgefunden, gibt es keine Anhaltspunkte“ (OLG Nürnberg vom 29.05.2000, VersR 2000, 29).

Unterlassene Aufklärung – Folge?

Eine unzureichende Aufklärung allein führt noch nicht zur Haftung. Erst wenn der ohne wirksame Einwilligung erfolgte Eingriff zusätzliche Gesundheitsschäden hervorruft, kann ein Anspruch des Patienten auf Schadenersatz und Schmerzensgeld bestehen.

Risikomanagement

Es gehört zu den Organisationspflichten im Medizinbetrieb, für eine Struktur zu sorgen, die das Vornehmen einer ordnungsgemäßen Aufklärung sicherstellt. Dabei ist u.a. auf Folgendes zu achten:

  • Die Ärzte haben Kenntnis über die Grundzüge der ärztlichen Aufklärungspflicht.
  • Es ist sichergestellt, dass die Aufklärung in einem Gespräch erfolgt.
  • Die Verwendung von vorgefertigten Aufklärungsbögen ist sinnvoll. Liegen für alle Eingriffe aktuelle Versionen vor?
  • Werden selbsterstellte Bögen verwendet, müssen alle spezifisch mit dem Eingriff verbundenen Risiken darin aufgeführt werden.
  • Zwischen Aufklärung und Eingriff ist ein ausreichender zeitlicher Abstand zu gewährleisten. Die Uhrzeit der Aufklärung wird dokumentiert.
  • Vor einer Operation überprüft der Operateur immer, ob eine Aufklärung erfolgt ist.

Jaklin J. Safety Clip: Chirurgische Aufklärung: Teil 1. Passion Chirurgie. 2012 Oktober; 2(10): Artikel 03_04.

Safety Clip: Fehler und Risiken der Thromboseprophylaxe

In der täglichen Praxis der Bearbeitung von Schäden im Zusammenhang mit Behandlungsfehlervorwürfen begegnet man regelmäßig auch dem Thema der Thromboseprophylaxe. Typischerweise wird nach Auftreten einer Thrombose die Behauptung aufgestellt, dass trotz Notwendigkeit keine medikamentöse Prophylaxe eingeleitet oder diese zu früh beendet worden sei. Diese fehlerhafte Maßnahme sei Grund für die Ausbildung der Thrombose. Im Rahmen einer sich anschließenden Auseinandersetzung ist mit gutachterlicher Hilfe den Fragen nachzugehen, ob das Thromboserisiko richtig eingeschätzt wurde, hieraus die angemessenen Konsequenzen für eine hinreichende Prophylaxe gezogen wurden oder auch für eine ausreichende Dauer der Einnahme blutverdünnender Medikamente gesorgt wurde. Die gezielte Auswertung solcher Schadenfälle kann deshalb Erkenntnisse über typische Risiken und Fehler im Umgang mit der Thromboseprophylaxe bringen.

Wir haben als Versicherungsmakler, der sich intensiv mit der Bearbeitung solcher Schäden befasst, eine entsprechende Auswertung vorgenommen. Grundlage der Auswertung sind die Daten aus einem Pool von ca. 240 Krankenhäusern mit der Besonderheit, dass diese Häuser bereits seit 1996 kontinuierlich unverändert betreut werden und somit eine ununterbrochene Datenerhebung möglich ist. Aus diesem Datenbestand konnten 133 Schäden ermittelt werden, bei denen der eingetretene Schaden in dem Auftreten einer Thrombose lag.

Vergleicht man das Alter der Geschädigten der „Thrombose-Schäden“ mit den Schäden des Gesamtbestandes, so zeigt sich eine leichte Verschiebung zu jüngeren Patienten bei der untersuchten Thematik.

Ein entsprechender Vergleich zur Verteilung des Geschlechts zeigt eine größere Bedeutung der Problematik bei Frauen.

Ein Blick auf die Fachrichtungen zeigt, dass das Thema Thromboseprophylaxe in der Allgemeinchirurgie und Urologie unterpräsentiert und in der Gefäßchirurgie überrepräsentiert ist.

Neben den rein statistischen Aussagen ergeben sich Erkenntnisse vor allen Dingen aus der Analyse einzelner Schadenfälle. Drei typische Fallkonstellationen sind dabei besonders aufgefallen.

Einschätzung des Thromboserisikos

Beispiel 1

Eine 22jährige Patientin wird aufgrund einer Pneumonie sechs Tage stationär behandelt. Im Krankenhaus wird die Notwendigkeit einer medikamentösen Prophylaxe verneint. Aufgrund der Adipositas, der Einnahme von Kontrazeptiva, Teilimmobilisierung und Pneumonie war jedoch eine medikamentöse Prophylaxe erforderlich.

Beispiel 2

Nach einer Nierenbeckenplastik tritt bei der Patientin eine Thrombose auf. Die Ärzte hatten sich gegen eine medikamentöse Prophylaxe entschieden. Dass die Patientin vier Jahre zuvor bereits eine Thrombose erlitten hatte, war nicht abgefragt bzw. nicht in den Krankenunterlagen vermerkt worden.

Risiken und Fehlerquellen

  • Nicht alle Risikofaktoren sind bekannt.
  • Beachtung der einzelnen, bekannten Risikofaktoren und hinreichend strukturierte Zusammenfügung und Bewertung.

Fortsetzen der Prophylaxe nach Entlassung

Beispiel 3

Eine 34jährige Patientin entbindet mittels Kaiserschnitt. Zur Frage der Thromboseprophylaxe wird extra ein Konsil abgehalten. In den Krankenunterlagen wird vermerkt: „Thromboseprophylaxe post partum sechs Wochen“. Die Patientin erhält weder einen Hinweis noch ein Rezept. Im Entlassungsbericht findet sich ebenfalls kein Hinweis auf die Notwendigkeit der medikamentösen Prophylaxe.

Beispiel 4

Ein 33jähriger Patient wird nach einem Arbeitsunfall arthroskopiert und erhält während des stationären Aufenthaltes medikamentöse Prophylaxe. Die stationäre Reha schließt sich übergangslos an. Im Zwischenbericht wird auf die Notwendigkeit der Prophylaxe hingewiesen. Der Patient verstirbt in der Reha an Herzkreislaufversagen aufgrund einer Lungenembolie. Der Staatsanwalt stellt fest, dass der Zwischenbericht in der Reha nicht vorlag und deshalb die Prophylaxe unterblieb.

Risiken und Fehlerquellen

  • Die richtige Erkenntnis führt nicht zu den notwendigen Maßnahmen.
  • Informationsweg vom richtig erkennenden Arzt zum Patienten bzw. Weiterbehandler.

Selbstmedikation nach ambulantem Eingriff

Beispiel 5

Aufgrund eines Knieschadens erfolgt ambulant eine Arthroskopie. Ein Rezept für die medikamentöse Prophylaxe wird dem Patienten überreicht. Er erleidet eine Thrombose im linken Unterschenkel. Es stellt sich heraus, dass er die Selbstmedikation nicht vorgenommen hat.

Beispiel 6

Nach einer ambulanten Metallentfernung im Fuß wird der Patient mit Schiene und Gehstützen entlassen. Im OP-Protokoll ist vermerkt: „0,3 Fraxiparin 1 x tägl. s. c.“. Weder erhält er einen Hinweis darauf noch entsprechende Spritzen oder ein Rezept. 

Risiken und Fehlerquellen

  • Keine Kontrolle über die Compliance des Patienten.
  • Notwendigkeit einer Prophylaxe wird erkannt. Es wird jedoch nicht danach gehandelt. Die Information erreicht den Patienten nicht.

Aus den beispielhaft dargestellten Schadenfällen lassen sich – wie vorstehend erfolgt – Erkenntnisse über typische Risiken ableiten. Diese können sich im klinischen Alltag jederzeit verwirklichen. Es ist deshalb sinnvoll, sich mit der Frage zu befassen, wie die erkannten Risiken minimiert werden können, was wir nachfolgend getan haben.

Handlungsempfehlungen

  • strukturierte Risikoeinschätzung bei Aufnahme
  • Entwicklung und Einführung eines Risikoscores analog der Dekubitusprophylaxe
  • poststationäre Thromboseprophylaxe als Pflichtbestandteil im Entlassungsgespräch
  • direkte Information über poststationäre Prophylaxe des Weiterbehandlers
  • bei ambulanten Eingriffen intensive Anleitung des Patienten, erste Selbstapplikation unter Aufsicht, Mitgabe eines Merkblattes, Ausstellen eines Rezeptes, Mitgabe von Spritzen

Jaklin J.: Fehler und Risiken der Thromboseprophylaxe. Passion Chirurgie 01/2011, 03_01