Nachdem sich der erste Teil der zweiteiligen Serie mit den Grundzügen befasst hat, sollen nun die Besonderheiten der chirurgischen Aufklärung dargestellt werden, die im beruflichen Alltag des Chirurgen eine Rolle spielen.
Aufklärung von Minderjährigen
Die Frage, ab welchem Alter eine Patientin oder ein Patient selbst die Einwilligung zu einem Eingriff abzugeben hat, hängt nicht vom Eintritt der Geschäftsfähigkeit ab. Es kommt vielmehr auf die tatsächliche Einsichts- und Entscheidungsfähigkeit an, die auch schon vor Erreichen der Volljährigkeit gegeben sein kann.
Bei Kindern unter 14 Jahren wird grundsätzlich davon ausgegangen, dass die Entscheidungsfähigkeit noch nicht gegeben ist, sodass die Einwilligung der Eltern in jedem Fall einzuholen ist. Bei Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren kommt es darauf an, wie die Ärztin oder der Arzt die Persönlichkeit beurteilt. Die Einschätzung, ob eine Patienten oder ein Patient einwilligungsfähig ist, richtet sich nach deren/dessen Reife und Fähigkeit, die Tragweite des ärztlichen Eingriffs für Körper, Beruf und Lebensglück ermessen zu können. Bei Zweifeln über die Einwilligungsfähigkeit sollte die/der Behandelnde sich in jedem Fall an die Eltern wenden.
Wird die elterliche Sorge von beiden Eltern ausgeübt, so ist grundsätzlich vor einer Operation des Kindes die Einwilligung beider einzuholen. Allerdings kann ein Elternteil den anderen ermächtigen, die erforderliche Einwilligung in den ärztlichen Eingriff für beide stellvertretend zu erteilen. Dabei hat sich eine Abstufung nach folgendem Schema etabliert:
Routineeingriffe/Alltagsfälle: Die Behandlungsseite darf ungefragt darauf vertrauen, dass der anwesende Elternteil ermächtigt ist, die Einwilligung alleine abzugeben, solange keine entgegenstehenden Umstände bekannt sind. Es genügt die Aufklärung des anwesenden Elternteils.
Eingriff in mittlerer Schwere: Die Ärztin/der Arzt muss nachfragen, ob der anwesende Elternteil vom anderen ermächtigt ist. Der daraufhin erhaltenden Auskunft darf er oder sie vertrauen. Auch hier ist die Aufklärung des anwesenden Elternteils ausreichend.
Schwerwiegende Eingriffe: In diesen Fällen ist die Einwilligung beider Elternteile einzuholen, sodass auch beide in die Aufklärung einzubeziehen sind.
Aufklärung fremdsprachiger Patienten
Die Aufklärungspflicht beschränkt sich nicht darauf, ein Aufklärungsgespräch zu führen. Vielmehr hat die/der Aufklärende sicherzustellen, dass das Gegenüber die erfolgte Aufklärung auch versteht. Dies führt zum einen dazu, dass sich Ärztinnen und Ärzte auf das Verständnisniveau ihrer Patientinnen und Patienten einstellen müssen. Gegebenenfalls muss eine leicht verständliche Umgangssprache gewählt werden. Auch bei fremdsprachigen Patientinnen und Patienten ist dafür Sorge zu tragen, dass sie die Aufklärung verstehen.
Eine dolmetschende Person ist hinzuziehen, wenn nicht sicher ist, dass die Patientin/der Patient die deutsche Sprache genügend beherrscht. Für die Übersetzung kommen professionelle Dolmetscher/innen ebenso in Betracht wie sprachkundige eigene Beschäftigte (z. B. Pfleger, Krankenschwester). Bei der Dokumentation sollte dann auch die dolmetschende Person vermerkt werden.
Allerdings sind auch Patientinnen und Patienten, die der deutschen Sprache mächtig sind, in der Pflicht, klar zu sagen, wenn die Aufklärung nicht verstanden wurde. Geschieht dies nicht, darf die Ärztin/der Arzt von einer wirksamen Aufklärung ausgehen.
Telefonische Aufklärung
Die Aufklärung hat mündlich zu erfolgen. Gefordert wird deshalb ein vertrauensvolles Gespräch, im Rahmen dessen der Patientin/dem Patienten die notwendigen Informationen gegeben werden. Lange Zeit war die Frage offen, ob diese Voraussetzungen auch im Rahmen eines Telefonates erfüllt werden können. Hierzu hat sich der Bundesgerichtshof nun geäußert:
„Grundsätzlich kann sich der Arzt in einfach gelagerten Fällen auch in einem telefonischen Aufklärungsgespräch davon überzeugen, dass der Patient die entsprechenden Hinweise und Informationen verstanden hat. Ein Telefongespräch gibt ihm ebenfalls die Möglichkeit, auf individuelle Belange des Patienten einzugehen und eventuelle Fragen zu beantworten. Dem Patienten bleibt es unbenommen, auf ein persönliches Gespräch zu bestehen. Handelt es sich um komplizierte Eingriffe mit erheblichen Risiken, wird eine telefonische Aufklärung regelmäßig unzureichend sein“.(BGH vom 15.Juni 2010, Az: VI ZR 265/02)
Eine telefonische Aufklärung sollte in jedem Fall auf einfach gelagerte Fälle beschränkt werden.
Aufklärung bei Ablehnung medizinisch gebotener Maßnahmen
Es kommt immer wieder vor, dass Patientinnen und Patienten eine Maßnahme ablehnen bzw. nicht vornehmen lassen, obwohl diese medizinisch – möglicherweise sogar dringend – geboten ist. Beispiele:
- Ablehnung einer Katheteruntersuchung bei Herzbeschwerden,
- Ablehnung einer stationären Aufnahme bei Verdacht auf Darmverschluss,
- Ablehnung einer Biopsie bei Tumorverdacht.
Die Behandlungsseite ist jedoch von ihrer Verantwortung und damit von einer möglichen Haftung noch nicht allein deshalb befreit, weil die/der zu Behandelnde eine Maßnahme ablehnt. Da Ärztinnen und Ärzte medizinischen Laien gegenüber einen großen Wissensvorsprung haben, wird gefordert, dass sie sehr konkret und notfalls mit klaren Worten aufzeigen, welche Risiken bei Ablehnung der Maßnahme bestehen.
Beispiel:
Die Mutter stellt sich mit ihrem seit drei Tagen an Brechdurchfall leidenden Säugling bei einem niedergelassen Arzt vor. Sie lehnt jedoch die angeratene Krankenhauseinweisung ab. Die in der Folge zu spät behandelte hypertone Dehydration führt zu einer dauerhaften schweren Schädigung des Kindes. Der Arzt hatte darauf hingewiesen, dass bei Nichteinweisung in ein Krankenhaus „eine Verschiebung der Salze eintreten könne, die mit dem Leben nicht vereinbar sei“. Das Gericht hielt diese Formulierung für unzureichend. Die Mutter, so die Ansicht der Richter, hätte konkret auf das Risiko schwerwiegender, andauernder Gesundheitsschäden bis hin zur Gefahr des Todes hingewiesen werden müssen (OLG Köln vom 22.09.2012, Az: 5 U 211/08).
Nur wenn Ärztinnen und Ärzte neben dem Umstand der Ablehnung eine solche intensive Aufklärung nachweisen können, besteht die Chance, dass sie sich aus der Haftung lösen können.
Aufklärung bei Schönheitsoperationen
Die Anforderungen an die Genauigkeit und die Intensität der Aufklärung sind nicht stets gleich. Vielmehr sind die konkreten Umstände des Eingriffs zu berücksichtigen. Gemeinhin gilt: Je dringlicher die Operation, desto weniger streng sind die Anforderungen – und umgekehrt. Bei einer Operation, der jede medizinische Indikation fehlt und die aus rein ästhetischen Gründen vorgenommen wird, sind die Anforderungen an die Aufklärung entsprechend am strengsten.
Beispiel:
Zur Vergrößerung und gleichzeitigen Straffung der Brüste werden einer Patientin unter beide Brustmuskeln jeweils 300 Gramm schwere Implantate eingesetzt. In der Folge zeigen sich breite Narben und eine Asymmetrie der Brustwarzen, bei bestimmten Belastungen treten Schmerzen auf. Die erfolgte Aufklärung des behandelnden Arztes, es könne zu Schmerzen ähnlich einem Muskelfaserriss bei einer Sportverletzung kommen, sieht das Gericht als verharmlosend an. Eine schonungslose und drastische Aufklärung, auch über mögliche lebenslange Schmerzen, hätte erfolgen müssen (OLG Hamm, Urteil vom 29.03.2006, Az: 3 U 263/05, VerR 2006, Seite 1511).
Risikomanagement
Im Hinblick auf die Besonderheiten der chirurgischen Aufklärung ist insbesondere auf folgende Aspekte zu achten:
- Minderjährige: Der Arzt nimmt eine Abwägung der Einwilligungsfähigkeit anhand objektiver Kriterien vor, was er dokumentiert.
- Telefonische Aufklärung: Sie erfolgt nur bei einfachen Eingriffen. Zur Sicherstellung der Identität der Gesprächspartnerin bzw. des Gesprächspartners werden zunächst persönliche Daten abgefragt und festgehalten.
- Bestehen Zweifel daran, dass eine Patientin oder ein Patient die deutsche Sprache versteht, wird eine dolmetschende Person hinzugezogen, was entsprechend dokumentiert wird.
- Bei Ablehnung einer medizinisch gebotenen Maßnahme wird die Aufklärung – ggf. drastisch – über die mit der Ablehnung verbundenen Risiken vorgenommen und dies wird dokumentiert.
- Bei Schönheitsoperationen erfolgt eine schonungslose Aufklärung auch und gerade über ästhetisch schlechte Ergebnisse sowie Begleiterscheinungen.