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Sozialversicherungspflicht für Honorarärzte

Ende des beliebten Modells oder bessere rechtliche Position?

In zunehmendem Maße übernehmen externe Ärzte Aufgaben in Krankenhäusern, meist in der Konstruktion des Honorararztes, der für eine konkrete Leistung, im Falle der Chirurgie meist definierte Operationen, vom Krankenhaus unmittelbar aus dem DRG-Erlös bezahlt wird. Das ist sowohl für die Häuser von Vorteil, die in der Regel lukrative Fälle zugewiesen bekommen und auch das Problem der Mindestmengen auf diese Weise lösen können, wie auch für die Operateure, die eine deutlich höhere Vergütung als im EBM-System erhalten.

Angesichts einer solchen Win-win-Situation bleibt es nicht aus, dass Schwierigkeiten auftreten. So ist beispielsweise eine Operation bei Privatpatienten durch Honorarärzte nicht möglich, weil dies zwingend durch Krankenhausangestellte zu erfolgen hat. Der BDC hat daher schon lange dazu geraten, dass Honorarärzte sich in welchem Umfang auch immer, am Krankenhaus in Teilzeit anstellen lassen. Das zweite Problem kam im Zuge des Antikorruptionsgesetzes hinzu, das eine unangemessene (zu hohe) Vergütung des Honorararztes unter Strafandrohung stellt. Wie hoch die Angemessenheit der Vergütung ausfallen darf, ist nach wie vor ungeklärt. Der BDC rät derzeit, sich an den in den DRG ausgewiesenen Vergütungsanteilen für die jeweiligen Leistungen zu orientieren.

Soweit die bisherige Ausgangslage, die trotz gewisser Unsicherheiten das Honorararztsystem zu einer relevanten zusätzlichen Versorgungsform hat aufblühen lassen, die auch den Charme einer tatsächlich gelebten sektorenüberwindenden Versorgung besitzt. Jetzt aber droht diesem Modell das Aus, nachdem das Bundessozialgericht entschieden hat, dass Honorarärzte im Prinzip keine Selbständigen sind und insofern der Sozialversicherungspflicht wie alle anderen Angestellten auch unterliegen.

Aktuelle BSG-Urteile zu Honorararzt und Scheinselbstständigkeit – eine erste Einschätzung

Der 12. Senat des Bundessozialgerichts hatte am 03.06.19 und 07.06.19 über insgesamt siebzehn Verfahren zu entscheiden, in denen es im Rahmen von Anfrageverfahren nach § 7a SGB IV und Betriebsprüfungsverfahren nach § 28p SGB IV über die Abgrenzung zwischen selbstständiger Tätigkeit und abhängiger Beschäftigung und in der Folge Versicherungspflicht bei verschiedenen Gesundheitsberufen ging. Das Thema Honorararzt wurde hierbei am 03.06.19 verhandelt und durchweg entschieden, dass die Honorarärzte derart in die Arbeitsorganisation des Krankenhauses eingegliedert und weisungsgebunden sind, dass diese Tätigkeit als sozialversicherungspflichtige, abhängige Beschäftigung einzuordnen ist.

 

Aus den bisher vorliegenden Terminberichten lässt sich entnehmen, dass es sich hierbei primär um solche Ärzte handelte, die über Agenturen oder eigenständig an verschieden Krankenhäusern tätig waren, ohne dass aber eine gleichzeitige Niederlassung in eigener Praxis im Vordergrund stand. Häufig betrafen die Entscheidungen Fachärzte für Anästhesie.

Dementsprechend lässt sich den knappen Urteilsbegründungen aus den Terminberichten entnehmen, dass die gleichzeitige Tätigkeit in freier Praxis für die Entscheidungen keine wesentliche Rolle spielte. So heißt es in Bezug auf einen Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie, der in der kardiologischen Abteilung eines Städtischen Klinikums auf Grundlage eines „Honorararztvertrages“ tätig war:

 

„Die Revision des klagenden Arztes hat keinen Erfolg gehabt. Er war nicht frei in der Wahl der Patienten und hatte fachliche und organisatorische Vorgaben des Krankenhauses zu berücksichtigen. An den Einsatztagen hatte er so lange zu arbeiten, bis sämtliche ihm zugeteilten Patienten behandelt oder betreut waren. Das Letztentscheidungsrecht in medizinischen Fragen lag beim Chefarzt, so dass er selbst auch Weisungen unterworfen war.“ (Az. B 12 R 20/18 R).

 

Diese Beurteilung kann bei mit einem Krankenhaus kooperierenden niedergelassenen Vertragsärzten oder bei Gemeinschaftspraxen, die teils eigene Ressourcen benutzen, teils eigene Patienten einweisen und keiner chefärztlichen Weisungsbefugnis unterworfen sind, sicherlich ganz anders ausfallen. Insofern haben die jetzigen Entscheidungen für eine Vielzahl von Honorarärzten offensichtlich keine Klarheit geschaffen.

 

Dennoch sind die Urteile ein deutlicher Hinweis darauf, dass unsere Empfehlung der Umstellung vorhandener Honorararztverträge in (Teilzeit-)Anstellungsverhältnisse wegen der Wahlleistungsthematik und im Hinblick auf größtmögliche Transparenz zur Vermeidung korruptionsrechtlicher Vorwürfe auch wegen der Gefahr der Scheinselbstständigkeit Gültigkeit hat und von den Betroffenen zeitnah umgesetzt werden sollte.

 

Eine weitergehende und detailliertere Bewertung der aktuellen BSG-Entscheidung werden wir nach dem Vorliegen der vollständigen Urteilsgründe vornehmen können.

 

Dr. jur. Jörg Heberer
Oliver Butzmann

Wie immer, bezieht sich das Urteil des BSG auf konkrete Einzelfälle, die, liest man die Texte genauer, tatsächlich ziemlich eindeutig eine abhängige Beschäftigung der betroffenen Ärzte nachweist. Das trifft für den klassischen chirurgischen Operateur so nicht immer zu, wenngleich es sich kaum abstreiten lässt, dass auch der Honorararzt sich an die Ablaufstrukturen des Krankenhauses anpassen muss und insofern in seinem Handeln nicht völlig frei ist. Wie oben schon erwähnt, ist es wegen der Problematik von Privatpatienten sowieso sinnvoll, als Honorararzt eine partielle Anstellung am Krankenhaus anzustreben. In diesem Fall ist die Sozialversicherungspflicht sowieso fällig. Es bleibt dann immer noch die Frage nach dem angemessenen Gehalt (kein Honorar mehr). Dazu wird es leider wegen des Antikorruptionsgesetzes keine verbindliche Aussage geben können. Vorstellbar ist eine projektive Kalkulation der zu erwartenden Honorare, die dann als Gehaltszahlung vereinbart werden müssen, auch in Form eines Sockels mit ggf. erfolgsabhängigen Bonuszahlungen. Leider darf man davon ausgehen, dass die Kliniken diese ihnen zusätzlich entstehenden Lohnnebenkosten auf den Honorararzt werden abwälzen wollen.

Jedenfalls sehen wir mit diesem Urteil kein Menetekel mit einer sofortigen Abschaffung des Honorararztsystems, sondern eine zwar lästige, aber zu bewältigende administrative Hürde, die am Ende auch eher zu rechtssicheren Vertragsverhältnissen führen wird.

Rüggeberg JA, Heberer J, Butzmann O: Sozialversicherungspflicht für Honorarärzte. Juli; 9(07): Artikel 04_06_01.

Abrechnung der Stoßwellentherapie beim Fersensporn (EBM-Ziffer 30440)

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

nachdem uns viele Anfragen zur Abrechnungsberechtigung der neu in den EBM aufgenommenen GOP 30440 erreicht haben, möchten wir diesbezüglich versuchen, Klarheit in das Geschehen zu bringen und auch unser weiteres Vorgehen in dieser Frage zu erläutern.

Die Neuaufnahme der Ziffer 30440 ist bedauerlicherweise ohne Rücksprache mit dem BDC erfolgt, sodass wir keine Gelegenheit hatten, bereits im Vorfeld auf die Fehler hinzuweisen, die nun zu Verwirrung führen. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat in seiner Sitzung am 19. April 2018 die Einführung der Stoßwellentherapie als Kassenleistung beschlossen, aber mit zwei wesentlichen Einschränkungen:

§ 4 Anforderung an die fachliche Qualifikation:

„Zur Durchführung der ESWT beim Fersenschmerz bei Fasciitis plantaris im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung berechtigt sind Fachärztinnen und Fachärzte für Orthopädie und Unfallchirurgie sowie Fachärztinnen und Fachärzte für Physikalische und Rehabilitative Medizin. Die Facharztbezeichnung richtet sich nach der (Muster-) Weiterbildungsordnung der Bundesärztekammer und schließt auch diejenigen Ärztinnen und Ärzte ein, welche eine entsprechende Bezeichnung nach altem Recht führen.“

Und weiter die Forderung eines Nachweises der chronischen Erkrankung:

„…..bei denen der Fersenschmerz die gewohnte körperliche Aktivität über mindestens sechs Monate eingeschränkt hat und während dieser Zeit unterschiedliche konservative Therapieansätze (pharmakologische und nicht-pharmakologische) einschließlich patientenzentrierter Maßnahmen (darunter mindestens Schonung, Dehnübungen und Einlagen) über einen ausreichenden Zeitraum ohne relevante Beschwerdebesserung angewandt wurden.“

Der Bewertungsausschuss KBV-Krankenkassen hat zum einen die Fachgebietseinschränkung übernommen und zum anderen noch den Nachweis einer chronischen Erkrankung präzisiert mit einer ICD-Codierung (M72.2), die zwar die Plantarfasziitis einschließt, nicht jedoch den teilweise kodierten Fersensporn unter M77.3 oder die Enthesopathie des Fußes unter M 77.5.

„Die Einschränkung der körperlichen Aktivität über mindestens sechs Monate liegt vor, wenn im Zeitraum der letzten zwei Quartale unter Ausschluss des aktuellen Quartals wegen der Fasciitis plantaris (ICD-10-GM: M72.2) jeweils mindestens ein Arzt-Patienten-Kontakt gemäß 4.3.1 der Allgemeinen Bestimmungen pro Quartal stattgefunden hat.“

Außerdem fehlt im EBM die Formulierung des letzten Satzes des G-BA-Beschlusses

„…. schließt auch diejenigen Ärztinnen und Ärzte ein, welche eine entsprechende Bezeichnung nach altem Recht führen.“

Das aktuell geltende Abrechnungsrecht des EBM bedeutet demnach den Ausschluss aller Chirurgen nach alter Weiterbildung einschließlich derjenigen mit Schwerpunkt Unfallchirurgie. Außerdem besteht die Verpflichtung, mindestens ein halbes Jahr im Vorfeld unter der Diagnose M72.2 die Patienten behandelt zu haben. Also können Sie, sofern Sie nicht im neuen Fach Orthopädie/Unfallchirurgie unterwegs sind, die ESWL nicht als Kassenleistung erbringen.

Angesichts der ausgelobten Vergütung ist das aber möglicherweise gar nicht so schlecht, denn selbstverständlich dürfen Sie die Leistung erbringen, dann allerdings wie bisher auch, als Selbstzahlerleistung auf Wunsch der Patienten.

Unabhängig davon dürfen Sie versichert sein, dass wir uns sowohl beim G-BA als auch bei der KBV dafür einsetzen, zumindest die Chirurginnen und Chirurgen mit Schwerpunkt Unfallchirurgie mit in die abrechnungsberechtigten Gruppen zu bringen und ggf. die Liste der ICD-Codes zu erweitern.

Im Moment bleibt Ihnen nur der Weg, bei Ihrer KV unter Hinweis auf den Originaltext des G-BA (entsprechende Bezeichnung nach altem Recht) eine Einzelfallgenehmigung zu beantragen.

Falls diese verweigert wird, rechnen Sie eben außerhalb der Zwänge des EBM und des Budgets die ESWL als IGeL ab.

Sicherheitshalber sollten Sie die Plantarfasziitis ab sofort mit dem ICD Code M 72.2 kodieren.

Rüggeberg JA, Kalbe P: Abrechnung der Stoßwellentherapie beim Fersensporn (EBM-Ziffer 30440). Passion Chirurgie. 2019 Mai, 9(05): Artikel 04_05.

Abrechnung EBM-Ziffer 30440 (Stoßwellentherapie beim Fersensporn)

Nachdem uns viele Anfragen zur Abrechnungsberechtigung der neu in den EBM aufgenommenen GOP 30440 erreicht haben, möchten wir diesbezüglich versuchen, Klarheit in das Geschehen zu bringen und auch unser weiteres Vorgehen in dieser Frage zu erläutern.

Die Neuaufnahme der Ziffer 30440 ist bedauerlicherweise ohne Rücksprache mit dem BDC erfolgt, sodass wir keine Gelegenheit hatten, bereits im Vorfeld auf die Fehler hinzuweisen, die nun zu Verwirrung führen. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat in seiner Sitzung am 19. April 2018 die Einführung der Stoßwellentherapie als Kassenleistung beschlossen, aber mit zwei wesentlichen Einschränkungen:

§ 4 Anforderung an die fachliche Qualifikation

„Zur Durchführung der ESWT beim Fersenschmerz bei Fasciitis plantaris im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung berechtigt sind Fachärztinnen und Fachärzte für Orthopädie und Unfallchirurgie sowie Fachärztinnen und Fachärzte für Physikalische und Rehabilitative Medizin. Die Facharztbezeichnung richtet sich nach der (Muster-) Weiterbildungsordnung der Bundesärztekammer und schließt auch diejenigen Ärztinnen und Ärzte ein, welche eine entsprechende Bezeichnung nach altem Recht führen.“

Und weiter die Forderung eines Nachweises der chronischen Erkrankung:

„…..bei denen der Fersenschmerz die gewohnte körperliche Aktivität über mindestens sechs Monate eingeschränkt hat und während dieser Zeit unterschiedliche konservative Therapieansätze (pharmakologische und nicht-pharmakologische) einschließlich patientenzentrierter Maßnahmen (darunter mindestens Schonung, Dehnübungen und Einlagen) über einen ausreichenden Zeitraum ohne relevante Beschwerdebesserung angewandt wurden.“

Der Bewertungsausschuss KBV-Krankenkassen hat zum einen die Fachgebietseinschränkung übernommen und zum anderen noch den Nachweis einer chronischen Erkrankung präzisiert mit einer ICD-Codierung (M72.2), die zwar die Plantarfasziitis einschließt, nicht jedoch den teilweise kodierten Fersensporn unter M77.3 oder die Enthesopathie des Fußes unter M 77.5.

„Die Einschränkung der körperlichen Aktivität über mindestens sechs Monate liegt vor, wenn im Zeitraum der letzten zwei Quartale unter Ausschluss des aktuellen Quartals wegen der Fasciitis plantaris (ICD-10-GM: M72.2) jeweils mindestens ein Arzt-Patienten-Kontakt gemäß 4.3.1 der Allgemeinen Bestimmungen pro Quartal stattgefunden hat.“

Außerdem fehlt im EBM die Formulierung des letzten Satzes des G-BA-Beschlusses´„….schließt auch diejenigen Ärztinnen und Ärzte ein, welche eine entsprechende Bezeichnung nach altem Recht führen.“

Das aktuell geltende Abrechnungsrecht des EBM bedeutet demnach den Ausschluss aller Chirurgen nach alter Weiterbildung einschließlich derjenigen mit Schwerpunkt Unfallchirurgie. Außerdem besteht die Verpflichtung, mindestens ein halbes Jahr im Vorfeld unter der Diagnose M72.2 die Patienten behandelt zu haben. Also können Sie, sofern Sie nicht im neuen Fach Orthopädie/Unfallchirurgie unterwegs sind, die ESWL nicht als Kassenleistung erbringen.

Angesichts der ausgelobten Vergütung ist das aber möglicherweise gar nicht so schlecht, denn selbstverständlich dürfen Sie die Leistung erbringen, dann allerdings wie bisher auch, als Selbstzahlerleistung auf Wunsch der Patienten.

Unabhängig davon dürfen Sie versichert sein, dass wir uns sowohl beim G-BA als auch bei der KBV dafür einsetzen, zumindest die Chirurginnen und Chirurgen mit Schwerpunkt Unfallchirurgie mit in die abrechnungsberechtigten Gruppen zu bringen und ggf. die Liste der ICD-Codes zu erweitern.

Im Moment bleibt Ihnen nur der Weg, bei Ihrer KV unter Hinweis auf den Originaltext des G-BA (entsprechende Bezeichnung nach altem Recht) eine Einzelfallgenehmigung zu beantragen. Falls diese verweigert wird, rechnen Sie eben außerhalb der Zwänge des EBM und des Budgets die ESWL als IGeL ab. Sicherheitshalber sollten Sie die Plantarfasziitis ab sofort mit dem ICD Code M 72.2 kodieren.

Gespräche am OP-Tisch – wer sagt was?

Während ein Blinddarm womöglich unkompliziert in 20 Minuten raus ist, gibt es Operationen, die sich über den ganzen Tag hinziehen können. Was geschieht, während der Patient schlafend auf dem Operationstisch liegt? Worüber unterhalten sich Operateure und OP-Team? Dr. Jörg-Andreas Rüggeberg, Vizepräsident des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgen e.V., erzählt.

Was passiert eigentlich bei einer Standard-Operation: Wie viele Menschen sind in der Regel im Operationssaal? Wie sieht das übliche OP-Team aus? Und wer übernimmt welche Aufgabe?

Das ist in Abhängigkeit des Eingriffs durchaus unterschiedlich. Klar braucht es immer den Operateur und in der Regel auch eine Assistenz am Tisch sowie einen Anästhesisten bei Narkoseeingriffen. Beide Teams brauchen jeder mindestens eine OP-Pflegekraft zum Instrumentieren und ganz wichtig einen sogenannten Springer, der von außen anreicht. Je größer der Eingriff und vor allem je technisch höher gerüstet, braucht es weitere Assistenzen am Tisch, Techniker für Herz-Lungen-Maschinen, zur Bedienung von Robotern, von intraoperativen Bildgebungen wie Röntgen oder MRT. Also von einer Skatrunde bis zu einer Fußballmannschaft inklusive Bank ist die Bandbreite ziemlich groß.

Bei einer Operation ist doch jeder Schritt genau festgelegt. Muss man da so konzentriert sein, dass man – wenn überhaupt – nur über die OP und das, was mit ihr im Zusammenhang steht, spricht? Oder gibt es die berühmten Ein-Wort-Anweisungen „Tupfer! Skalpell! Schere!“ nur im Film?

Weil die Menschen verschieden sind, sind auch Operationen individuell unterschiedlich. Deshalb ist volle Konzentration extrem wichtig, um auf Abweichungen vom geplanten Vorgehen adäquat und vorausschauend reagieren zu können. Bei uns ist es wie im Cockpit eines Flugzeugs: Meist ist es undramatisch, aber es muss immer die Bereitschaft da sein, auf einen plötzlichen Notfall sofort zu reagieren. Es bleibt schon Raum für private Gespräche.

Ein Wort noch zu dem Image des Chirurgen im Film: Ein gutes Team braucht keine Anweisungen, da alle Beteiligten wissen, was gebraucht wird. Wie kann man sich die Atmosphäre im OP vorstellen? Wovon hängt sie ab?

Am besten lässt sich das mit dem Begriff steril verbinden. Soll ja auch so sein, denn das Wichtigste ist die Vermeidung von Infektionen. Das bedingt dann die entsprechende „Verkleidung“ der Handelnden, aber auch bestimmte Bewegungsmuster und nicht zuletzt auch eine gewisse Schweigsamkeit. Ansonsten ist es ein technikdominierter Arbeitsplatz, der zunächst etwas abweisend wirkt, aber in dem Moment, da der Patient in die Mitte des Raums gebracht wird, urplötzlich einen Fokus bekommt, auf den sich alles konzentriert.

Wenn sich eine Operation über Stunden hinzieht, der Gesundheitszustand des Patienten stabil ist und die Situation es zulässt, redet man dann auch schon mal über Wetter, Weltpolitik und Wochenende? Darf gelacht und über Privates geredet werden?

Eins vorweg: Unter dem Gesichtspunkt der Minderung des Infektionsrisikos sollte möglichst wenig gesprochen werden, jedenfalls nicht direkt in die offene Operationswunde hinein. Aber ein Schweigegebot gibt es deswegen nicht. Je nachdem wird also schon über Dinge außerhalb der eigentlichen Operation gesprochen. Das hat gar nicht mal was mit der Dauer einer Operation zu tun. Es gibt immer Phasen, in denen eher Routinetätigkeiten ohne großes Risiko anfallen. Da kann dann schon auch das letzte Bundesligaspiel Thema sein. Wie schon gesagt, wir sind durchaus vergleichbar mit Piloten, die auch nicht permanent den Steuerknüppel umklammern, aber jederzeit für Notfallsituationen gerüstet sind. Aus eigenem Erleben kann ich sagen, dass meine Narkoseärztin viel geredet hat. Sobald sie still wurde, wusste ich, dass es ein Problem gab, und konnte selber reagieren.

Stichwort „Patient hört mit“: Eine besondere Situation ist es doch bestimmt, wenn Patienten nicht unter Vollnarkose operiert werden und mehr oder weniger alles mitbekommen, was um sie herum passiert. Gibt es „Verhaltensregeln“ für solche Fälle?

Grundsätzlich sollte man sich so verhalten, als würde der Patient bei vollem Bewusstsein alles mitbekommen. Das ist wie im sonstigen Leben eine Grundprämisse, bei der es keine besonderen Verhaltensregeln geben muss. Wenn ich allerdings höre, was im öffentlichen Raum, zum Beispiel in Großraumwagen der Bahn, so alles ohne jede Diskretion am Handy besprochen wird, frage ich mich, ob das nicht ein allgemeines Problem der privaten Zurückhaltung ist.

Zum Schmunzeln: Wollte schon mal ein Patient mitreden? Gibt es eine Anekdote?

Anekdoten gibt es sicher. Bei mir persönlich ist es eher so, dass ich bei Eingriffen in örtlicher Betäubung mit den Patienten ganz gerne über Privates spreche, um sie ein wenig von ihren Ängsten abzulenken.

An vielen Arbeitsplätzen, an denen mehrere Menschen gemeinsam in einem Raum arbeiten, gehören diese derselben Hierarchie-Ebene an. Im OP ist das anders. Wirkt sich das auch auf die Kommunikation aus?

Ist so gar nicht zutreffend. Jedem im OP ist klar, dass ein gutes Ergebnis nur im Team möglich ist. Natürlich gibt es einen Endverantwortlichen, der andererseits gut beraten ist, die Anwesenheit weiterer Personen als das zu werten, was sie ist, nämlich eine unverzichtbare Hilfe. Es gelten also wie im wirklichen Leben auch die Grundsätze der Höflichkeit, auch wenn die gegenseitige freundschaftliche Verunglimpfung zwischen OP-Team und Anästhesie nach außen grenz-wertig erscheint. Beide Partner nehmen das aber nicht ernst und nutzen so etwas auch zum Stressabbau. Nicht vergessen darf man im Übrigen, dass im OP auch Ausbildung stattfindet, die naturgemäß ein Mindestmaß an Kommunikation erfordert.

In den USA haben Psychologen untersucht, ob und wie Konflikte in Operationssälen ausgetragen werden. Sie fanden heraus, dass Konflikte nur einen Bruchteil der Kommunikation ausmachen. Wenn, dann seien es eher die Männer, die zu Zank neigen, und häufig gingen die Streitigkeiten von der Person mit dem höheren Status aus. Lassen sich diese Ergebnisse Ihrer Erfahrung nach auf deutsche Operationssäle übertragen?

Wir haben meist gar keine Zeit im OP, um uns großartig zu zanken. Immer steht der Patient im Mittelpunkt, und wie schon gesagt, immer hat auch der Operateur die Endverantwortung. Wenn es mal unterschiedliche Meinungen geben sollte, so werden diese hinterher diskutiert. Im Extremfall, und das dann auch im Interesse des Patienten, übernimmt der Erfahrenere den Eingriff, wenn der Operateur nicht weiterkommt. Das geschieht ohne laute Worte, weil alle wissen, dass es immer und ausschließlich um das Wohl des Patienten geht.

Das Interview ist erschienen in „MDK forum 4-2018“. Die Fragen stellte Dorothee Buschhaus.

Rüggeberg JA: Gespräche am OP-Tisch – wer sagt was? Passion Chirurgie. 2019 Februar, 9(02): Artikel 09.

Offener Brief zu EBM und OPS

Offener Brief an den Vorsitzenden des Vorstands der Kassenärztlichen Bundesvereinigung

Sehr geehrter Herr Vorsitzender,
lieber Herr Gassen,

mit Unverständnis und Verärgerung haben die unterzeichnenden Verbände die Beschlüsse des Bewertungsausschusses aus der 430. Sitzung vom 12.12.2018 zur Anpassung des Anhangs 2 zum Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) gemäß § 87 Abs. 1 Satz 1 SGB V an den Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS) Version 2019 sowie aus der gleichen Sitzung zur Aufnahme einer achten und neunten Bestimmung zum Abschnitt 30.4 EBM zur Kenntnis genommen.

Die Verbände haben – wie in der Vergangenheit – stets die inhaltliche Zuarbeit zu den Zuordnungen neuer OPS-Codes in das EBM-System geleistet und die jeweiligen Positionen auch eingehend begründet. Letzteres geschah auch in einem direkten Telefonat mit Herrn Dr. Reuhl. Es bleibt völlig unverständlich und letztlich inakzeptabel, dass ein Revisionseingriff nach Osteosynthese inklusive der damit verbundenen Metallentfernung und einer neuen Osteosynthese genauso bewertet werden soll wie ein Primäreingriff. Das widerspricht sämtlichem medizinischen Sachverstand, im Besonderen auch der Zusatz in der neuen Präambel, dass auch ein Wechsel des Verfahrens vorgenommen werden muss.

Es ist uns bewusst, dass Entscheidungen im Bewertungsausschuss gemeinsam von den Parteien zu beschließen sind, wir dürfen aber erwarten, dass die ärztliche Seite in der Lage sein dürfte, eindeutige medizinische Sachverhalte auch der Kassenseite verständlich zu machen. In dieser Version wird (da es sich in der Regel um stationäre Eingriffe handelt) das eigentlich favorisierte Belegarztsystem ins Abseits gedrängt und derartige Fälle werden der vollstationären Versorgung anheimfallen.

Ganz abgesehen davon dürfte es schwierig werden, unsere Experten, die sich dieser Aufgabe bekanntlich ehrenamtlich und kostenfrei widmen, in Zukunft weiter zu motivieren, wenn offenbar auf deren Expertise kein Wert gelegt wird.

Der zweite Punkt betrifft die Zuordnung der Abrechnungsfähigkeit der GOP 30440 (Stoßwellentherapie) zur Fachgruppe der Orthopäden resp. Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie. In Anbetracht der Umstellung in der neuen Weiterbildungsordnung und der an vielen anderen Stellen geregelten Gleichstellung der Fachärzte für Chirurgie mit Schwerpunkt Unfallchirurgie zur Gruppe der Orthopäden/Unfallchirurgen bleibt es unverständlich, warum Fachärzte für Chirurgie mit Schwerpunkt Unfallchirurgie von der Leistungserbringung ausgeschlossen werden, obwohl in der Präambel des Kapitel 7 diese Leistung als abrechnungsfähig genannt wird. Wir gehen davon aus, dass hier lediglich ein redaktioneller Irrtum vorliegt, der sicher rasch beseitigt werden kann.  Bedauerlicherweise hat es zumindest mit dem Berufsverband der Deutschen Chirurgen hierzu im Vorfeld keine Meinungsbildung gegeben.

Wir dürfen mit Nachdruck darum bitten, die genannten Punkte baldmöglichst zu korrigieren und verbleiben in Erwartung Ihrer Antwort.

Editorial: Zum Jahreswechsel …

Turbulente Zeiten liegen hinter uns, das kommende Jahr dürfte auch nicht wesentlich “entspahnter” werden. Lassen Sie uns zurückblicken auf die wesentlichen Ereignisse 2018.

BDC-intern haben wir vor allem den krankheitsbedingten Ausfall unseres Geschäftsführers Dr. Dittmar bewältigen müssen. Wir wünschen ihm von dieser Stelle aus die Kraft, seine persönliche Situation zu meistern und danken herzlich für seinen unermüdlichen Einsatz und die vielen Anregungen, die den BDC entschieden voran gebracht haben. Zwischenzeitlich hat der Vizepräsident Dr. Rüggeberg kommissarisch das Amt übernommen. Ohne die loyale und vertrauensvolle Mitarbeit des Teams der Geschäftsstelle wäre dies nicht gelungen. Im neuen Jahr werden wir mit Frau Dr. Friederike Burgdorf eine neue Geschäftsführerin begrüßen, die aus ihrer bisherigen Tätigkeit bei der KBV bestens mit Gremienarbeit und der gesundheitspolitischen Szene vertraut ist.

In 2018 sind mit Inkrafttreten unserer neuen Satzung Präsidium und Vorstand des BDC neu gewählt resp. in ihren Ämtern bestätigt worden. Die viel diskutierte Personalunion unseres Präsidenten mit dem Amt des Generalsekretärs der DGCH hat sich zum Vorteil beider Vereine bestens bewährt und ist durch entsprechende Wahlergebnisse eindrucksvoll bestätigt worden. Die neu gewählten Referatsleiter haben ihre Arbeit intensiviert und treffen sich regelmäßig zum gemeinsamen „Brainstorming“. Auch bei der Besetzung der Positionen in den Referaten haben wir darauf geachtet, dass ähnliche Aufgabengebiete in der DGCH und im BDC möglichst personengleich besetzt werden. Wir haben unverändert das Ziel, BDC und DGCH immer weiter anzunähern. Wir haben trotz aller äußeren Widrigkeiten das Schiff des BDC sicher auf Kurs gehalten und steuern derzeit die Marke von 18.000 Mitgliedern an. Die wären nicht im BDC, wenn es nicht auch einen erkennbaren Mehrwert gäbe. So sind zahlreiche neue Projekte auf den Weg gebracht und zusätzliche Dienstleistungen eingeführt worden. Unser Leuchtturm der Seminarangebote ist unter dem neuen Namen Deutsche Akademie für chirurgische Fort- und Weiterbildung grundlegend überarbeitet worden. Wir werden verstärkt auf interaktive Webinare und E-Learning-Plattformen setzen sowie die Kursangebote modular aufbauen. Das völlig neu gestaltete Programm für 2019 liegt inzwischen aus. Unsere gemeinsame Zeitschrift, die Sie gerade in Händen halten, ist durch einen ebenfalls gemeinsam gestalteten Newsletter von BDC und DGCH ergänzt worden. Ein Beweis für die gut funktionierende Kooperation.

Für alle Ärzte, besonders aber für uns Chirurginnen und Chirurgen ist die Verabschiedung der neuen Muster-Weiterbildungsordnung durch den Deutschen Ärztetag und mittlerweile auch durch den Vorstand der Bundesärztekammer von Bedeutung. Aus Sicht der Chirurgie haben unsere Positionen, die von allen chirurgischen Gruppierungen einstimmig vorgetragen worden sind, kein Gehör gefunden. Insbesondere die Frage der Weiterführung eines Facharztes für Allgemeinchirurgie ist von allen chirurgischen Fachgesellschaften und Berufsverbänden einstimmig abgelehnt worden, jedoch haben sich Einzelmeinungen aus dem Kreis der Delegierten des Ärztetages mehrheitsfähig erwiesen, die diese Facharztsäule erhalten wollten. Das beweist einmal mehr, dass konzertierte Aktionen der Gesellschaften und Berufsverbände, die doch eigentlich die Meinung der Chirurgie repräsentativ vertreten sollten, nichts zählen, sondern dem Votum von Einzelnen zum Opfer fallen. Nun kann man sicher unterschiedlicher Meinung zu dieser Frage sein, trotzdem bleibt ein bitterer Nachgeschmack. Bleibt abzuwarten, wie die einzelnen Landesärztekammern in ihrer völligen Autonomie die Muster-Weiterbildungsordnung in die jeweils verbindliche regionale Weiterbildungsordnung umsetzen.

Ein Hauptthema ist naturgemäß stets die politische Großwetterlage. Nach bekanntlich überaus zähen Verhandlungen hat sich eine Regierung gebildet, die uns mit Herrn Spahn einen neuen Gesundheitsminister beschert hat, der durchaus höhere Ziele im Blick hat. Daher hat er gleich mit großem Tatendrang etliche Gesetze auf den Weg gebracht, die wie z. B. das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz Beifall bei der Bevölkerung findet. Gleiches gilt auch für das Gesetz zur Verbesserung der Terminservicestellen. Beide Gesetze sind populär, aber nicht zur Freude der Betroffenen. Es ist löblich, die Pflege zu stärken und deren Arbeitsbedingungen zu verbessern. Leider übernimmt der Gesetzgeber die hierfür erforderlichen Kosten nur zu einem geringen Teil, der Rest bleibt bei den Krankenhäusern hängen, die sehen müssen, wie sie ihren Etat entsprechend umändern. Das dürfte sicher auch dazu führen, dass einige kleinere Kliniken insolvent werden und geschlossen werden müssen. Absicht der Politik?

Zur Rettung dieser kleinen Krankenhäuser der Grund- und Regelversorgung wird stattdessen darüber nachgedacht, diese im Rahmen einer Reform der Bedarfsplanung für die ambulante fachärztliche Versorgung zu öffnen. Ein Plan, der unsere niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen zu Recht beunruhigen muss und im Übrigen auch bei den Krankenhausärzten auf wenig Gegenliebe stößt.

Die Niedergelassenen werden zusätzlich belastet durch ein Gesetzgebungsvorhaben, dass einerseits anstelle der bisherigen 20 Stunden nunmehr 25 Stunden Wochenpräsenz verlangt sowie andererseits eine definierte Öffnung der Praxen für unangemeldete Zusatzpatienten. Das ist für Chirurginnen und Chirurgen nicht sonderlich relevant, arbeiten wir doch sowieso mehr als 40 Stunden pro Woche und ist es jedenfalls in der Allgemein- und Unfallchirurgie selbstverständlich, jederzeit Notfallpatienten zu versorgen. Dennoch protestieren wir mit Nachdruck, weil es sich um einen schwerwiegenden Eingriff in die Selbstbestimmungsrechte von Freiberuflern handelt, zu denen die freie Gestaltung der Arbeitszeiten und des Arbeitsumfangs gehören. Ganz abgesehen davon werden die Ursachen von vermuteten Wartezeiten in keiner Weise thematisiert, geschweige denn abgestellt. Die seit den Zeiten des Gesundheitsministers Seehofer (damals schon als „unguided missile“ unterwegs) existierende Budgetierung macht bekanntlich jede noch so gewünschte Zusatzarbeit am Patienten unmöglich. Solange am Budget nichts geändert wird, gehen alle Ansätze zur Verbesserung der Versorgung ins Leere und werden am passiven Widerstand der Betroffenen scheitern. Übrigens gibt es kein Land auf der Welt mit derart vielen Arzt-Patienten-Kontakten wie in Deutschland und um unsere vergleichsweise kurzen Wartezeiten werden wir global beneidet. Das Ganze lässt sich umschreiben mit dem Bonmot: „Hier habe ich eine Lösung, gib mir das Problem dazu!“

Wir wollen jetzt nicht weiter ausholen und auf die verschiedenen neuen oder zu erwartenden Regelungen unseres Arbeitsumfelds abheben. Sie dürfen sicher sein, dass der BDC sich all dieser Themen in Zukunft genauso annehmen wird wie bisher. Vertrauen Sie der Stärke eines großen Verbandes und dem Engagement aller ehrenamtlichen und hauptberuflichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Nutzen Sie den Jahreswechsel, um Ihre persönliche Situation zu reflektieren, neue Kraft zu tanken und mit Freude auf das Neue Jahr zu blicken.

Mit den besten Wünschen

Der Vorstand des BDC

Meyer HJ, Seifert J, Rüggeberg JA: Editorial Zum Jahreswechsel. Passion Chirurgie. 2018 Dezember; 8(12): Artikel 01.

Editorial: Wer die Zeche prellt …

Gelegentlich ist eine Recherche bei Wikipedia nicht nur lehrreich, sondern nachgerade amüsant. Unter dem Begriff „Zechprellerei“ findet man unter „Zeche“ den Herkunftsnachweis „Beitrag zum gemeinsamen Gelage einer Gesellschaft“ und „bei dem Begriff des „Prellens“ einen Jagdbrauch des 17. und 18. Jahrhunderts, bei dem ein Fuchs zur „Belustigung von Jagdgesellschaften“ auf einem straff gespannten Tuch wiederholt hochgeschleudert und so um seine Freiheit geprellt wurde. Dieses wiederum leite sich aus dem Prellen von Menschen (zur Strafe oder zum Scherz) ab, die man „auf einem straff gespannten Tuch in die Höhe“ warf. Vermutlich ließ man dann das Tuch locker, sodass er dann auf den Boden aufschlug. Dies konnte man sogar bis zum Tode des Delinquenten durchführen.“

Interessanterweise ist die Zechprellerei in Deutschland im Gegensatz zu europäischen Nachbarländern zunächst nicht strafbar, jedenfalls dann nicht, wenn der Zechpreller davon ausgegangen ist, dass er zahlungsfähig sei, aber dummerweise dann doch kein Geld hatte. Es bedarf eines Vorsatzes, bzw. der Absicht von vornherein nicht zahlen zu wollen.

Offenbar haben die Akteure im Gesundheitswesen das auch gelesen. Jedenfalls verhalten sie sich genauso. Die Kassen sitzen auf einem Milliardenberg von Beitragseinnahmen und verweigern dennoch die Vergütung erbrachter ärztlicher Leistungen. Jeder Versuch, die stringenten Budgetierungen in der ambulanten Versorgung und die rigiden Kürzungen stationärer Leistungen einzudämmen, scheitert an einem unnachgiebigen „Njet“. Dabei wäre das sogar als vorsätzliche Zechprellerei strafbar, denn das Geld für die Rechnung wäre ja vorhanden. Die Kassen können sich nicht damit herausreden, dass sie ja hätten zahlen wollen, aber leider dann noch nicht die bestellte Leistung hätten vergüten können.

Dummerweise können wir Ärzte das Ganze nicht wirklich als „Belustigung einer Jagdgesellschaft“ sehen. Für uns führt das im Einzelfall zum „Tode des Delinquenten“. Da mag man sich auch nicht mehr mit großer Begeisterung als Partner beim „gemeinsamen Gelage einer Gesellschaft“ sehen.

Nicht viel besser verhält sich der Gesetzgeber, von dem wir ja sowieso nichts Gutes mehr erwarten. Mit dem Entwurf des Pflegegesetzes und des Gesetzes zur Terminvergabe wird wieder einmal bestellt ohne zu zahlen. Es soll (durchaus lobenswert und auch notwendig) ein verbindlicher Personalschlüssel für die Pflege gesetzlich fixiert werden. Allerdings ist nicht klar, woher die zusätzlichen Pflegekräfte kommen sollen. Vielleicht so wie in den Sechzigern des vorigen Jahrhunderts aus Korea? Polen ist ja schon hinreichend ausgeplündert worden. Vor allem wird so gut wie keine zusätzliche Finanzierung garantiert. Die Kliniken müssen das aus den DRG-Erlösen bezahlen und die Kassen (s. o.) lehnen sich zurück.

Noch dreister geht es zu in der ambulanten Versorgung. Hier werden die Vertragsärzte genötigt, zusätzlich fünf weitere Sprechstunden anzubieten ohne finanziellen Ausgleich. Außerdem sollen Zeiten für Neu-Patienten freigehalten werden, ohne die Fallzahlbegrenzung zu lockern, die das zentrale Hindernis für die Annahme zusätzlicher Fälle darstellt.

Nun kann man sagen, dass eine Erhöhung von 20 auf 25 Stunden Präsenzpflicht angesichts einer durchschnittlichen Arbeitszeit von mehr als 50 Stunden nicht wirklich eine Bedrohung darstellt, aber es geht hier um einen gravierenden Eingriff in die Hoheitsrechte der Selbstverwaltung, die bislang diese vertragsärztlichen Pflichten geregelt hat, und vor allem in die Freiheitsrechte eines Unternehmers. Angesichts dieser groben Eingriffe in Richtung staatlicher Regulation spielt es fast schon keine Rolle mehr, dass 25 Prozent geforderte Mehrarbeit mit 0 Prozent Vergütung einhergeht.

Auch die Verpflichtung zur Annahme neuer Patienten im Rahmen einer „offenen Sprechstunde“ geht in die gleiche Richtung. Für uns Chirurgen ist die Annahme von Notfällen sowieso tägliche Praxis, aber es macht einen Unterschied, ob wir das aus medizinischer Verantwortung freiwillig machen oder in Erfüllung gesetzlicher Vorgaben zwangsweise.

Der Gesetzgeber hat übrigens eine marginale Zusatzvergütung in Aussicht gestellt, die Kassen haben das aber, wie zu erwarten, postwendend abgelehnt. Wohlmeinende könnten jetzt argumentieren, dass der Gesetzgeber ja habe zahlen wollen, aber feststellen musste, dass er es nicht kann, also im eigentlichen Sinne keine strafbare vorsätzliche Zechprellerei begangen habe. Wer aber etwas bestellt und die Rechnung dafür einem Dritten aufbürdet, darf sich nicht wundern, wenn dieser Dritte (hier die Kassen) sich weigert zu zahlen.

Offenbar ist Zechprellerei inzwischen im Gesundheitswesen salonfähig geworden und findet den Beifall der Gesellschaft. Vielleicht sollten wir einmal anfangen, die Suppe zu versalzen, wenn sie schon nicht bezahlt wird. Es reicht einfach nicht, wenn Widerstand immer nur von den üblichen Verdächtigen geleistet wird.

Rüggeberg JA: Wer die Zeche prellt. Passion Chirurgie. 2018 Oktober; 8(10): Artikel 01.

Was geschieht mit EBM und GOÄ?

Seit Jahren wird über eine Reform der ärztlichen Gebührenordnungen GOÄ und EBM diskutiert, gerungen, gekämpft und verzweifelt. Ebenfalls seit Jahren werden mehr oder weniger regelmäßig Wasserstandsmeldungen über tatsächliche oder vermeintliche Fortschritte publiziert. Das ist hier nicht anders, vielleicht mit dem Unterschied, dass zur üblichen Wasserstandsmeldung eine Sturmwarnung hinzukommt.

Im Gegensatz zu den bisherigen Reformbemühungen und deren mehr oder weniger selbst verschuldeten Verzögerungen müssen wir uns jetzt zusätzlich noch mit einem Gesetzgeber auseinandersetzen, der in seinen Koalitionsvertrag eine Passage aufgenommen hat, die Anlass zu großer Sorge bietet. Dort heißt es:

„Sowohl die ambulante Honorarordnung in der Gesetzlichen Krankenversicherung (EBM), als auch die Gebührenordnung der Privaten Krankenversicherung (GOÄ) müssen reformiert werden. Deshalb wollen wir ein modernes Vergütungssystem schaffen, das den Versorgungsbedarf der Bevölkerung und den Stand des medizinischen Fortschritts abbildet. Dies bedarf einer sorgfältigen Vorbereitung. Die Bundesregierung wird dazu auf Vorschlag des Bundesgesundheitsministeriums eine wissenschaftliche Kommission einsetzen, die bis Ende 2019 unter Berücksichtigung aller hiermit zusammenhängenden medizinischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Fragen Vorschläge vorlegt. Ob diese Vorschläge umgesetzt werden, wird danach entschieden.“

Niemand geht im Ernst davon aus, dass vor einem Ergebnis der Kommissionsberatungen eine neue Gebührenordnung beschlossen werden wird, ganz unabhängig von der Frage, ob die Kommission am Ende feststellt, dass wegen der grundsätzlichen Unterschiede zwischen privater und gesetzlicher Versicherung eine sogenannte „EGO“ (einheitliche Gebührenordnung) überhaupt rechtlich möglich sein kann.

An dieser Stelle muss immer wieder klargestellt werden, dass die GOÄ für die Privatliquidation tatsächlich eine echte Gebührenordnung im Sinne einer Preisliste ist und als solche vom Gesetzgeber per Verordnung erlassen werden muss. Das gilt nicht für den EBM als Abrechnungsgrundlage ambulanter und belegärztlicher Leistungen gegenüber gesetzlich versicherten Patienten. Der EBM ist insofern auch keine Gebührenordnung, sondern eine Relativbewertungen unterschiedlicher Leistungen zueinander. Die Verbindung zum Geld erfolgt auf dem Wege der regionalen Honorarverteilungsmaßstäbe (HVM) und ist alleinige Aufgabe der Selbstverwaltung zwischen Kassenärztlicher Vereinigung und Krankenkassen. Diese Selbstverwaltung ist auch unabhängig von staatlicher Einflussnahme für eine Reform des EBM zuständig. Es liegt aber auf der Hand, dass angesichts der erklärten Absicht des Gesetzgebers, auch hier eigenen Handlungsspielraum zu entwickeln, die weiteren Verhandlungen nicht gerade befördert werden.

Im Ergebnis wird es eine neue GOÄ in dieser Legislaturperiode voraussichtlich nicht geben und eine grundlegende Reform des EBM auch nicht, abgesehen von einzelnen Korrekturen, die möglicherweise mit Wirkung zum 1. Januar 2019 eingeführt werden.

Trotzdem lohnt sich ein Blick auf den derzeitigen Verhandlungsstand:

Nach intensiven Beratungen und lobenswerter Einbeziehung der Verbände ist für die GOÄ ein stabiles Legendierungsgerüst fertig. Es wird erheblich mehr Ziffern als bisher geben und insbesondere in der Chirurgie sind jetzt alle relevanten Verfahren abgebildet. Das Ausweichen auf rechtsunsichere Analogziffern hätte damit ein Ende. Es würde zu weit führen, hier jetzt in die Details einzusteigen. Wir werden alles ausführlich darstellen und kommentieren, wenn es denn wirklich eine neue GOÄ geben sollte.

Derzeit läuft ebenfalls unter Beteiligung der Verbände der weitaus schwierigere Teil der Bewertung der Leistungen in Euro. Prinzipiell folgt die Bewertung einer klaren Matrix mit Ermittlung der betriebswirtschaftlichen Kosten und der leistungsbezogenen Zeiten. Allerdings lässt sich leicht vorstellen, dass diese beiden Parameter durchaus unterschiedlich gesehen werden. Am Ende wird ein Plausibilisierungsprozess erforderlich werden, der mit Sicherheit zu harten Auseinandersetzungen führen wird. Da bereits jetzt schon eine Ausgabensteigerung für die Kostenträger von maximal 5,8 % plus/minus 0,6 % fixiert ist, muss noch eine Transcodierung alter in neue Leistungen erfolgen, um den Gesamtkostenrahmen abschätzen zu können. Spätestens dann wird es noch einmal eine „Anpassung“ der Preise geben. Das hat dann leider nichts mehr mit einer sauberen betriebswirtschaftlichen Kalkulation zu tun, sondern ist eine ergebnisorientierte Preisfindung.

Zum Thema EBM gibt es einen Beschluss, dass (derzeit) zum 1. Januar 2019 eine Reform vereinbart werden soll, allerdings ebenfalls unter dem immer noch bindenden Beschluss der „Ausgabenneutralität“. Mit anderen Worten: es darf nicht teurer werden! Die Verbände haben hier eine Reihe von Vorschlägen eingebracht, die im Grunde eher systematischen Charakter haben, da ja bekanntlich eine Preisgestaltung innerhalb der morbiditätsbezogenen Gesamtvergütung überhaupt nicht Ziel des EBM sein kann. Insofern sind Einzelleistungen wie in der GOÄ unter den Bedingungen eines Budgets und in der Höhe fixierter Regelleistungsvolumina nicht zielführend. BDC und BVOU haben von Beginn an ihre Vorschläge untereinander abgestimmt, da beide Verbände angesichts einer veränderten Weiterbildungsordnung die bisherigen Kapitel 7 (Chirurgie) und 18 (Orthopädie) zusammenlegen wollen. Innerhalb eines dann gemeinsamen Kapitels wird es Leistungen für alle geben sowie Unterkapitel, die den Bedürfnissen der acht Säulen im Gesamtgebiet der Chirurgie Rechnung tragen. Letzten Gerüchten zufolge, will die KBV diese Neustrukturierung aber noch nicht weiter verfolgen. Sollte das zutreffen, wäre eine Reform des EBM für uns wertlos.

Im Rahmen des EBM gibt es aber eine wichtige Ausnahme von der Systematik EBM-HVM-RLV. Das bezieht sich auf die sogenannten extrabudgetären Leistungen, zu denen bekanntlich der gesamte Block ambulanter und belegärztlicher Operationen gehört, aus dem unsere Fachgruppe etwa ein Drittel ihres Umsatzes generiert. In diesem Sektor ist eine realistische Kostenkalkulation eminent wichtig, da es sich hier tatsächlich um eine Art Preisliste handelt. Alle beteiligten Verbände investieren viel Arbeit und Zeiteinsatz in die Erhebung der Kosten und Zeitaufwände für operative Eingriffe. Dabei geht es vor allem um die Bezifferung des perioperativen Aufwands, der in den bisherigen Berechnungen eher stiefmütterlich und sehr pauschal erfasst wurde. Natürlich sind auch die hinterlegten Schnitt-Naht-Zeiten wichtig, zumal die Kassen diese anzweifeln und absenken wollen. Nach unseren bisherigen Daten sind die Zeiten in der Vergangenheit durchaus realistisch angesetzt worden, wenn auch mit einzelnem Korrekturbedarf in beide Richtungen. In der Gesamtkalkulation sind aber eher die perioperativen Rüstzeiten inklusive des Aufwands für gesetzlich vorgeschriebene Hygienemaßnahmen bedeutsam. Wir werden zusammen mit dem Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (ZI) eine Befragung bei operativen Einheiten durchführen, deren Struktur aktuell zwischen ZI und Verbänden ausgearbeitet wird. An dieser Stelle möchten wir schon einmal dringend darum bitten, an dieser Befragung im eigenen Interesse teilzunehmen und realistische (!) Werte anzugeben. Ein Ergebnis wird allerdings erst in 2019 vorliegen und dann Grundlage der Verhandlungen zwischen KBV und Spitzenverband der Krankenkassen sein. Was am Ende einer solchen Verhandlung herauskommt, ist mit Spekulation nur unzureichend beschrieben.

Fazit

Eine neue GOÄ wird in dieser Legislaturperiode (der Bundesregierung) nicht kommen. Was bei einer wann auch immer neu gewählten Regierungskonstellation passiert, bleibt ebenfalls sehr spekulativ. Eine EBM-Reform könnte als „Reförmchen“ mit kleinen Änderungen zum 1. Januar 2019 kommen, die für uns relevanten Teile insbesondere eine Neubewertung operativer Leistungen dürfte vor 2020 nicht zu erwarten sein.

Rüggeberg JA: Was geschieht mit EBM und GOÄ? Passion Chirurgie. 2018 September, 8(09): Artikel 05_01.

Sektorübergreifende Versorgung – Mehr als nur ein Schlagwort?

Der Begriff „Sektorübergreifende Versorgung“ beherrscht in zunehmendem Maße die öffentliche Diskussion, unter anderem auch im aktuellen Koalitionsvertrag. In der Regel ist die Formulierung positiv besetzt als erstrebenswertes und heilbringendes Ziel, allerdings sind Hinweise zur Umsetzung eher vage, wenn überhaupt zu erkennen.

Der BDC hat seit Jahren die sektorübergreifende Versorgung auf der Agenda und bietet jedes Jahr anlässlich des Chirurgenkongresses Sitzungen mit verschiedenen Aspekten dazu an. Dennoch, trotz aller Willensbekundungen, ist es bisher keinen Schritt voran gegangen. Woran liegt das?

Ein wichtiger, vielleicht entscheidender Punkt ist bereits die Namensgebung. Es geht nämlich nur vordergründig um eine sektorübergreifende oder -verbindende Versorgung, sondern um die Überwindung fest zementierter Sektorengrenzen. Die kollegiale gemeinsame Betreuung einzelner Patienten durch Kliniker und Niedergelassene ist längst gelebte Praxis, allerdings nur in Form gegenseitiger Information und Beratung. Eine organisierte und generelle Kooperation scheitert an den Betonmauern des Systems.

Auf der einen Seite stehen die Krankenhäuser, planungstechnisch in Länderhoheit und finanziert über Fallpauschalen (DRG). Die Ärzte sind Angestellte und weisungsabhängig von Vorgaben der Verwaltungen. Auf der anderen Seite die niedergelassenen Ärzte, zwangsorganisiert über die Körperschaft der Kassenärztlichen Vereinigung (KV), ebenfalls länderspezifisch. Die Finanzierung ist hochkomplex in einem gedeckelten Budget, nicht unmittelbar leistungsbezogen und im Prinzip über Fallzahlen gesteuert. Eine Niederlassungsfreiheit gibt es nicht, Arztsitze werden über eine bundesweite Bedarfsplanung aus dem vorigen Jahrhundert vergeben. Aus der Zeit Konrad Adenauers stammt auch das Monopol der KVen auf die ambulante Versorgung gekoppelt mit dem Verzicht auf ein Streikrecht. Dieses Monopol wird inzwischen mit Billigung der Politik ausgehöhlt, indem ambulante Notfallversorgungen in großem Umfang an Kliniken erbracht werden und dafür neue Strukturen wie etwa Portalpraxen installiert werden.

Die genannten unterschiedlichen Regelungen wären nicht unüberwindbar, wenn es nicht auch eine stringente Trennung der Finanzmittel für Kliniken und Praxen bei den Krankenkassen gäbe. Einsparungen in einem Sektor führen nicht zu einem notwendigen Transfer dieser Mittel in den jeweils anderen Bereich. Das führt naturgemäß zu einem vertiefenden Grabenkampf zwischen Kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenhausträgerorganisationen, denn verständlicherweise wird keiner freiwillig Honoraranteile abgeben wollen.

Ohne eine grundlegende Reform der Finanztrennung wird jeder systematische Ansatz einer sektorübergreifenden Versorgung scheitern. Allenfalls könnte man das Belegarztsystem als einen Ansatz betrachten, bei dem sowohl ambulant wie stationär derselbe Arzt tätig wird. Aber auch dieses System wird bestraft mit Erlösabschlägen, die nicht wirklich nachvollziehbar sind.

Bereits heute gibt es zahlreiche Individuallösungen, die aber immer nur auf Basis von Einzelverträgen abgeschlossen werden können. Die Bereitschaft der Ärzteschaft, im Sinne ihrer Patienten eine echte kooperative Behandlung gemeinsam über alle Bereiche zu gestalten, ist vorhanden. Allein, es fehlt der politische Wille zu einer grundlegenden Reform.

Rüggeberg JA. Sektorübergreifende Versorgung – Mehr als nur ein Schlagwort? Passion Chirurgie. 2018 Juni, 8(06): Artikel 05_02.

Editorial: Der Wandel kommt…

… auf leisen Sohlen. Wo finden wir uns am Ende als Ärzte wieder? Denn egal, wie auch immer sich eine Regierung findet, die Bestrebungen, das Gesundheitssystem tiefgreifend zu verändern, sind allgegenwärtig.

Allen voran versuchen die Kostenträger immer wieder mit teilweise ziemlich plakativen Aussagen, vermeintliche Missstände an den Pranger zu stellen. Stellt sich nur die Frage, ob dies nur dazu dient, die Patientenversorgung zu verbessern oder doch eher einen strukturellen Kahlschlag vorzubereiten. Jüngstes Beispiel dafür ist die Aussage, dass jährlich hunderte Tote zu beklagen seien, weil diese am falschen Ort operiert worden seien. Das Thema ist bekannt: Mindestmengen! Grundsätzlich befürworten natürlich auch wir Chirurgen ohne jede Einschränkung eine optimierte Versorgung an solchen Häusern, die dafür die erforderliche Expertise aufweisen. Entsprechend haben wir uns dazu in der Vergangenheit und aus aktuellem Anlass auch jetzt wieder eindeutig positioniert. Es muss allerdings die Frage beantwortet werden, für welche Eingriffsarten welche Mindestmengen gelten sollen. Da genügt es nicht, einfach platt zu fordern „viel hilft viel“, sondern es müssen ausreichend begründete Daten evaluiert werden, auf deren Grundlage entsprechende Empfehlungen herausgegeben werden können.

Die Mindestmengendiskussion ist eben nur vordergründig wohlmeinend im Sinne der Patienten gedacht. Im Kern geht es um die Reduktion kleinerer Abteilungen respektive kleinerer Kliniken. Letztere sind aber vorwiegend in der Fläche angesiedelt und halten dort die wohnortnahe Versorgung aufrecht, die ja schließlich auch immer lautstark gefordert wird. Wenn derartige Häuser nicht zuletzt wegen Wegfalls bestimmter Leistungen nicht mehr wirtschaftlich zu betreiben sind und geschlossen werden, ahnen wir schon den Aufschrei der Politik, dass die Ärzte wieder einmal um des eigenen Profits willen die Versorgung der Patienten mit Füßen treten. Wohl gemerkt: Qualität für Patienten ist die eine Seite, die von niemandem bestritten wird, die Konsequenzen wollen wir dann aber auch dort ansiedeln, wo sie hingehören. Wir müssen uns vehement gegen die Doppelzüngigkeit Dritter wehren, die bei Einschränkungen gleich welcher Art stets jede Schuld von sich weisen.In die ähnliche Richtung geht eine bundesweit in die Medien gestreute Attacke gegen die Schulterchirurgie.

Auch hier wird ohne mit der Wimper zu zucken den Chirurgen vorgeworfen, überflüssige Operationen vorzunehmen. Dies ist die Kernaussage der jeweiligen Artikel, die dann mit einer in England erschienenen „wissenschaftlichen“ Studie untermauert wird. Es zeigt sich bei genauerer Betrachtung aber, dass diese sogenannte Studie erstens keinerlei wissenschaftlichen Kriterien genügt und im Übrigen die o. g. Aussage auch gar nicht wirklich bestätigt. Alle mit der Thematik vertrauten Verbände, darunter auch der BDC, haben eine sehr fundierte und ausgewogene Gegendarstellung ausgearbeitet, die wie zu erwarten leider keine gleiche Öffentlichkeit erfahren hat wie die reißerische Erstmeldung. Es gilt: „Patient stirbt nach Arztbesuch“ ist eine Meldung; „Patient wird nach Arztbesuch von einem Auto erfasst“ interessiert niemanden.Was aber ist der Hintergrund für die ärgerliche Publikumsverunsicherung? Auch hier geht es natürlich wieder nur um die Frage, ob teure Operationen verhindert werden können.

Wir haben das bereits mit dem Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Herausnahme der arthroskopischen Eingriffe bei Gonarthrosen aus dem Leistungskatalog der Krankenkassen erlebt. Die zitierte Meldung zur Schulterchirurgie zielt in die gleiche Richtung. Für uns Chirurgen steht außer Frage, dass wir Indikationen zu operativen versus konservativen Maßnahmen zum Wohle der Patienten sorgfältig abwägen. Die Indikationsstellung ist die zentrale Aufgabe und eigentliche Kunst unseres Faches, verankert in der Weiterbildungsordnung und durch Erfahrung vertieft. Wir müssen aufpassen, dass nicht irgendwelche Organisationen – aus welchen Gründen auch immer – in diese unsere Kompetenz eingreifen. Allerdings setzt das auch von unserer Seite voraus, dass wir verantwortungsbewusst handeln und uns freihalten von ökonomischen Zwängen. Verlieren wir die Hoheit über die Indikationsstellung, werden wir in kürzester Zeit zu auftragnehmenden Handlangern für Operationen, die am Ende dann auch von speziell geschulten nicht-ärztlichen Physician Assistants erbracht werden könnten.

Vor diesem Hintergrund ist das Menetekel einer möglichen Bürgerversicherung eher nur eine wohlklingende Worthülse im Rahmen der Gerechtigkeitsdebatte. Ob eine solche grundsätzliche Veränderung unserer Sozialversicherung sinnvoll ist oder nicht, darum wird erbittert gestritten. Still und heimlich wird aber schon längst an verschiedenen Stellschrauben gedreht, deren Ziel es ist, die Versorgung, die in Deutschland weltweit mit am höchsten ist, langsam zurückzudrehen. Wir wären gut beraten, wenn wir dies – insbesondere auch die Hintergründe – so verstehen und dann selber vernünftige Vorschläge einbrächten, statt immer nur klagend hinterherzurennen. Wer sich nicht bewegt, der wird bewegt – und wenn es aufs Abstellgleis geht.

Rüggeberg JA, Meyer HJ: Der Wandel kommt… Passion Chirurgie. 2017 Januar; 7(01): Artikel 01.