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Safety Clip: Arzneimitteltherapiesicherheit im Kontext der Risikomanagementbemühungen

Wie können Medikationsfehler vermieden werden?

1. Definition: Was heißt Arzneimitteltherapiesicherheit

Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) ist die Gesamtheit der Maßnahmen zur Gewährleistung eines optimalen Medikationsprozesses mit dem Ziel, Medikationsfehler und damit vermeidbare Risiken für den Patienten bei der Arzneimitteltherapie zu verringern [1].

2. Ursachenanalyse: AMTS ist immer noch sehr fehleranfällig

Neben den Infektionsgefahren stellen die Medikationsfehler eine besonders häufige Gefahr für die Patientinnen und Patienten im Krankenhaus dar. Immer wieder kommt es zu typischen Medikamentenverwechslungen, falschen Dosierungen, Fehlern bei der Prüfung von Wechselwirkungen, beim Richten der Medikamente oder bei der Verabreichung.

Auf Basis langjähriger Analysen von CIRS-Fällen wird deutlich, dass die Meldungen im Kontext AMTS nach wie vor einen hohen Anteil einnehmen. Informationen dazu finden sich in den unterschiedlichen Veröffentlichungen, wie zum Beispiel in den Rote-Hand-Briefen der Apotheker, in Publikationen nach CIRS-Fällen, Leitlinien und Empfehlungen der Fachgesellschaften, aber auch in den Qualitätsdokumenten wie SOPs, VAs oder Standards.

Kein Informationsdefizit, aber ein Handlungsdefizit

Aus der Sicht des Risikomanagements ist zu konstatieren, dass in den Organisationen in der Regel kein Informationsdefizit vorliegt, sondern mehr oder weniger begründete Einschränkungen bei der Beachtung und Umsetzung bereits definierter Handlungsanweisungen. Die Gründe dafür liegen sicherlich in der besonderen Arbeitsteilung, in der Personalfluktuation und in zufälligen Ereignissen, die einen gerade begonnenen Medikationsprozess unterbrechen, weil sie sofort abgearbeitet werden müssen. Zum Beispiel schränken Unterbrechungen und Störungen oft das systematische Richten und Kontrollieren der Medikamente im Vieraugenprinzip ein. Damit erhöht sich die Fehlerrate. Doppelkontrollen oder die Beachtung des Vieraugenprinzips bleiben bei Medikationsprozessen durchaus auch durch Zeitmangel auf der Strecke.

Hohe Arbeitsauslastung sowie aktuell Anforderungen zur Bewältigung der COVID-19-Pandemie erschweren ebenso die regelhafte Kontrolle von Zwischenschritten innerhalb des Prozesses. Die Mitarbeitenden fallen teilweise wieder in alte Routineabläufe zurück. Damit besteht die Gefahr, dass bereits definierte und wirksame zusätzliche Kontrollmaßnamen unterbleiben. Stress und Hektik im Stationsalltag schwächen darüber hinaus die Konzentrationsfähigkeit der Mitarbeitenden.

Störungen im Informationsfluss

Hierarchiedenken erweist sich außerdem auch an dieser Stelle als eine mögliche Fehlerquelle, wenn es verhindert, dass notwendige Nachfragen rechtzeitig gestellt werden. Der möglichst sichere und schnelle Informationsfluss vor einer Medikation kann ferner gestört werden, wenn die oder der Verantwortliche dafür nicht oder nur verzögert erreicht werden kann.

Die zielgerichtete und effektive Kommunikation zwischen ärztlichem Personal und Pflegekräften ist also von besonderer Bedeutung. Gleichzeitig lassen sich viele Fehler verhindern, wenn das Medikationsverfahren mit tauglichen technischen Kontrollmöglichkeiten abgesichert wird, die mögliche Kommunikationsprobleme kompensieren.

Um Fehler im Medikationsprozess wirksam zu verhindern oder in ihrer Schwere zu mindern, rücken zwei Komponenten in den Vordergrund: Wirksame technische Lösungen durch Vorgabe verpflichtender Kontrollschritte auf Ebene der Apotheken (Rückrufaktionen von Arzneimitteln, Chargenüberprüfungen, Stationsbegehungen, Beratung in Arzneimittelfragen und anderes mehr) sowie systematische Doppelkontrollen durch die Pflegekräfte beim Richten der Medikamente.

Typische Schadenursachen:

  • Lookalike zu spät erkannt
  • Soundalike-Problem bei telefonischen Anordnungen
  • Fehlerhafte Dosierung mit Angaben zu mg pro ml bzw. pro Ampulle
  • Nicht kommunizierte Medikamentenumstellung
  • Übertragungsfehler in der Therapieplan-Verlaufskurve
  • Konzentration und Verabreichungsgeschwindigkeit der Perfusorspritzen nicht geprüft
  • Mangelnde Abstimmung bei der Anamneseerhebung zwischen ärztlichem und pflegendem Personal
  • Allergien nicht bekannt beziehungsweise nicht gelesen (Anamnese)
  • Unvollständige Kurveneinträge/„CAVE“-Einträge versäumt
  • Fehlerhafter Übergabeprozess in der Kette Rettungsdienst-Notaufnahme-Pflegestation
  • Nicht geprüfte Wechselwirkungen, Interaktionen, Kontraindikationen
  • Überschreitung von Tagesdosierungen/Maximaldosis bei der Bedarfsmedikation
  • Gerinnungstherapie unvollständig bewertet
  • Unvollständige Anamneseerhebung und Weiterverordnung
  • Lesefehler in der analogen Dokumentation
  • Fehler in der Einnahmekontrolle durch den Pflegedienst
  • mangelnde Aufklärung: zum Beispiel DOAK; kein Patientenpass bei Entlassung
  • fehlende Information/Compliance des Patienten
  • falscher Zeitpunkt der Arzneimittelgabe/Einnahme
  • Fehler in der rationalen Antiinfektiva-Verordnungspraxis, zum Beispiel Umstellung von intravenöser auf perorale Antibiotikagabe, Beachtung der Resistenzentwicklung [2]
  • Herstellerwechsel, zum Beispiel bei Spritzen, mit Folgefehlern bei der Beachtung der richtigen Skalierung (teilweise arzneimittelspezifische Skalierung, zum Beispiel Heparin-Einheiten)

Beispielfall Lookalike

„Verwechslung ähnlich klingender Arzneimittelnamen oder ähnlich aussehender Verpackungen/Verpackungsdesigns beziehungsweise Schriftbilder (sog. Lookalikes und Soundalikes, LASA) kann zu Medikationsfehlern aufgrund einer falschen Wirkstoff- bzw. Arzneimittelanwendung oder aufgrund von Dosierungsfehlern führen und somit ein ernstes, sogar potenziell lebensbedrohendes Risiko für Patienten darstellen “ [3].

Das Gefahrenpotential im LASA-Kontext ist trotz langjähriger Nutzung von Beinahefehler-Meldesystemen, wie CIRS, oder Werkzeugen, wie dem Beschwerdemanagement, und Expertenbegehungen (Audits) immer noch relativ hoch. Die Mitarbeitenden in den Kliniken sind inzwischen sensibilisiert und kennen in der Regel die besonderen Verwechslungspotenziale. Dennoch bedarf es ständiger Kontrollen und Wachsamkeit, um die Verwechslungsmöglichkeiten rechtzeitig zu erkennen und die Gefahrenpotenziale an die Teams zu vermitteln. Dabei zeigen sich die besonderen Effekte von Beinahefehler-Meldeverfahren, sofern sie konsequent genutzt werden. Im Idealfall können die Verantwortlichen die Hersteller zu Anpassungen bei der Beschriftung der Arzneimittel bewegen oder es werden Kaufentscheidungen überdacht. Häufig werden durch die Apotheke Warnhinweise aus den CIRS-Analysen abgeleitet, wie zum Beispiel „Nur verdünnt anzuwenden!“, oder es werden Rote-Hand-Briefe vorgegeben.

2. Die Absicherung des Medikationsprozesses im Vorfeld

Am Ende eines Safety Clips sollen praktikable Hinweise zur Bewältigung eines komplexen Themas stehen – in diesem Fall zur Reorganisation des Medikationsprozesses im klinischen Bereich. Zunächst verlangt das Thema aber eine umfassende strategische Herangehensweise durch einen interprofessionellen Ansatz, mit dessen Hilfe die Risiken in den unterschiedlichen klinischen Bereichen identifiziert und bewertet werden. Die Absicherung des Medikationsprozesses beginnt bereits bei der Festlegung von Therapieleitlinien und bei den strategischen Einkaufsentscheidungen unter Beachtung der Pharmakovigilanz in der Arzneimittelkommission des Krankenhauses. Sie besteht aus Chefärztinnen und -ärzten, ihren Vertreterinnen und Vertretern sowie der Apothekenleitung, dem Krankenhausdirektorium und anderen mehr [4].

Damit das Behandlungsverfahren insgesamt sicher ablaufen kann, müssen ausreichend Informationen zur Indikationsstellung, zur Absicherung einzelner Therapieentscheidungen sowie zu klinischen Prozessanforderungen von den unterschiedlichen Expertinnen und Experten im ambulanten Bereich und im Krankenhaus genutzt werden. Stehen den Akteurinnen und Akteuren dabei notwendige Informationen zur Arzneimitteltherapie nicht zur Verfügung, stellt auch das bereits ein Risiko innerhalb des AMTS-Prozesses dar. Aktuell ist in diesem Zusammenhang insbesondere die Problematik der Lieferengpässe bei bestimmten Arzneimitteln (zum Beispiel zur Analgosedierung) im Hinblick auf die COVID-19-Pandemie zu beachten [5].

Technische Unterstützungssysteme fehlen

Um breit abgesicherte Prozesse zu erhalten, muss die Zusammenarbeit zwischen den Handelnden aus Apotheke, ärztlichem Dienst und Pflege in den unterschiedlichen klinischen Bereichen intensiviert werden. Da derzeit in den meisten Einrichtungen die wichtigen pharmazeutischen Konsile beziehungsweise pharmazeutischen Visiten eher nur in geringem Umfang genutzt werden, müssen an ihre Stelle angemessene IT-Programme (Computerized Physician Order Entry, CPOE) treten, die Entscheidungen mit Auswirkungen auf die Verordnungssicherheit unterstützen. In der Praxis ist die technische Absicherung indes deutlich eingeschränkt, weil die elektronische Anbindung an Verordnungsprogramme fehlt.

Ein weiterer besonderer Nachteil im Gesamtprozess der AMTS erwächst daraus, dass die elektronische Patientenakte nur sporadisch im Einsatz ist. Die positiven Erfahrungen mit der Nutzung der elektronischen Patientenakte, zum Beispiel aus Österreich, zeigen deutlich das darin liegende Verbesserungspotenzial. Best-Practice-Erkenntnisse hierzu müssen systematisch aufbereitet und genutzt werden.

3. Maßnahmen und Kontrollschritte für einen sicheren Medikationsprozess im Klinikalltag

Der Medikationsprozess enthält alle Stufen der Arzneimitteltherapie und umfasst im Wesentlichen folgende Schritte:

  • Arzneimittelanamnese (Diagnose, Prüfung von Interaktionen, Kontraindikationen und Wechselwirkungen)
  • Verordnung/Verschreibung
  • Patienteninformation (Patienteneinbindung, Aufklärung, Entlassmanagement)
  • Selbstmedikation
  • Abgabe/Verteilung durch Apotheke und Pflegekraft (Prüfung Interaktionen, Kontraindikationen, Wechselwirkungen)
  • Anwendung (Applikation/Einnahme, Einnahmeprüfung)
  • Dokumentation und Kommunikation
  • Therapieüberwachung (Therapieprüfung und -anpassung)
  • Kommunikation/Abstimmung
  • Ergebnisbewertung

Diese Definition beschreibt die wichtigen Faktoren des Medikationsprozesses, der insoweit Gegenstand der AMTS ist. Durch die GRB Gesellschaft für Risiko-Beratung mbH sind aus der eigenen jahrelangen Praxiserfahrung heraus Erweiterungen vorgenommen worden [6].

Aus diesen Prozessschritten lassen sich bereits erste Maßnahmen beziehungsweise Kontrollschritte innerhalb der den Medikationsprozess insgesamt bildenden Teilprozesse Verordnung, Vorbereitung und Applikation beschreiben. In der nachfolgenden Tabelle sind sie stichwortartig aufgeführt.

4. Ausblick

Um die Arzneimitteltherapiesicherheit in den ambulanten- und stationären Bereichen weiter zu verbessern, bedarf es einer umfassenden Strategie und der gezielten Unterstützung der verantwortlichen Akteurinnen und Akteure. Im Fokus steht dabei die Absicherung der Prozesse beziehungsweise der Teilprozesse des Medikationsmanagements durch Ableitungen aus gezielten Ursachenanalysen sowie durch die dringend notwendige digitale Innovation. Diese ist erforderlich, um unmittelbar wirksame Kontrollverfahren in den klinischen Bereich einzuführen. Neben der Nutzung elektronischer Verordnungssysteme, zum Beispiel mit Warnfunktionen bei fehlerhafter Dosierung, ist die Schulung der Mitarbeitenden zur Verbesserung ihrer Handlungskompetenz, zum Beispiel bei der Anwendung von Kontrollverfahren, besonders wichtig. Nicht zuletzt sollte auch die gezielte Patienteneinbindung im Kontext der Arzneimitteltherapiesicherheit ausgebaut werden.

Tab. 1: Teilprozesse Verordnung, Vorbereitung und Applikation.

Teilprozess

Maßnahmen/Kontrollschritte

Verordnung

•Nur schriftliche, unverwechselbare und eindeutige Verordnungen akzeptieren.

•Ist die vollständige Anamnese durchgeführt?

•Sind die Anforderungen an die Personalisierte Medizin beachtet worden?

•Sind Interaktionen und Wechselwirkungen der Hausarztmedikation überprüft worden?

•Ist die Polypharmazie beachtet worden (überwiegend bei älteren Patienten)?

•Ist beachtet worden, ob Over-the-Counter(OTC)-Medikamente (nicht ver­schreibungspflichtige, freiverkäufliche Arzneimittel) genommen werden?

•Werden Arzneimitteldatenbanken/das AMTS-Prüfungstool/Fachinformationen genutzt (Verabreichungsform, Dosierung, maximale Tageshöchstdosis)?

•Sind Trägerlösung, Zytostatikaverdünnung, Laufzeit und Konzentration kontrolliert worden?

Vorbereitung

•Liegt eine eindeutige Beschriftung/Etikettierung (ISO 2685) vor?

•Stehen Zubereitungslisten der Apotheke (Rote-Hand-Briefe etc.) zur Verfügung?

•Gibt es eine Hotline zur Apotheke?

•Liegen Informationsschreiben des Herstellers vor?

•Werden Arzneimitteldatenbanken/AMTS- Prüfungstool/Fachinformationen vorgehalten?

•Ist die Prüfung der Kompatibilitätsanforderungen erfolgt?

•Erfolgt die Zubereitung nach Gebrauchsinformation/Fachinformation des Herstellers?

•Werden die Hygienevorschriften eingehalten?

•Ist Verwechslungssicherheit gegeben?

•Erfolgt eine Identifikationsprüfung?

•Werden Doppelkontrollen vorgenommen, gilt das Vieraugenprinzip?

Applikation

•Verfahrensanweisungen/SOPs berücksichtigen

•Kompatibilitätsinformationen nutzen

•Verpflichtende Schulung des Personals

Anmerkungen

[1]   https://www.akdae.de/AMTS/index.html, zuletzt abgerufen am 11. Juni 2021, 10:02 Uhr.

[2]   ABS, Anforderungen des IFSG, §23.

[3]   Medikationsfehler in der Praxis: Die Bedeutung von Look- und Soundalikes als Mitursache von Medikationsfehlern, in: BULLETIN ZUR ARZNEIMITTELSICHERHEIT Informationen aus BfArM und PEI, Ausgabe 2, Juni 2019.

[4]   Siehe hierzu die Maßnahmen und Handlungsempfehlungen zur Gewährleistung der Sicherheit im Arzneimitteltherapieprozess (s. Aktionsplan AMTS 2021–2024, Bundesministeriums für Gesundheit zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit.

[5]   BfArM: JOUR FIXE ZU LIEFER- UND VERSORGUNGSENGPÄSSEN.

[6]   Vergleiche https://www.akdae.de/Kommission/Presse/DAe/20141031.pdf, zuletzt abgerufen am 11. Juni 2021, 16:53 Uhr.

Krause A: Safety Clip: Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) im Kontext der Risikomanagementbemühungen. Passion Chirurgie. 2021 September; 11(09): Artikel 04_04.

Safety Clip: Wärmemanagement im OP

Spätestens seit der 2014 eingeführten S3-Leitlinie „Vermeidung von perioperativer Hypothermie“, die im Jahr 2019 eine Aktualisierung erfahren hat, können Maßnahmen zur Vermeidung eines Abfalls der Körperkerntemperatur unter 36 Grad Celsius nicht mehr negiert werden. Auch bei den Anwälten der Patienten und den Gutachtern ist das Thema Unterkühlung angekommen und wird in Anspruchsstellungen verwendet. Dass dieses haftungsrelevante Thema in der Praxis dennoch fatalerweise eher stiefmütterlich behandelt wird, zeigt der folgende Schadenfall.

Der Schadenfall

Eine ältere Dame litt seit längerer Zeit an Beschwerden im linken Knie. Sie begab sich daher in stationäre Behandlung. Nach einer diagnostischen Spiegelung sollte eine zementierte unikondyläre Schlittenprothese eingesetzt werden. Dem Anästhesieteam waren im Vorfeld folgende Umstände bekannt:

  1. Eine Operationszeit von mehr als zwei Stunden war eingeplant,
  2. Die Patientin war zum Zeitpunkt des Eingriffs über 60 Jahre alt,
  3. Die Einordnung in den ASA-Score war höher als Faktor 1,
  4. die Frau war untergewichtig.

Nach Durchführung der Operation wurde im Aufwachraum eine Körpertemperatur von 34,7 Grad Celsius gemessen.

Die Patientin litt sehr unter der Unterkühlung. Es stellte sich bei ihr ein permanentes Zittern der linken Hand ein, das sie auf die Hypothermie zurückführte. Aus diesem Grund wandte sie sich an eine Gutachter- und Schlichtungsstelle.

Bei der Recherche des Gutachters stellte sich heraus, dass die Maßnahmen zum Wärmemanagement nicht in der Krankenakte dokumentiert waren. Als Ergebnis der Temperaturmessung wurde in den Behandlungsunterlagen die im Aufwachraum gemessene Körpertemperatur von 34,7 Grad Celsius notiert. Andere Messergebnisse wurden nicht festgehalten.

Der Gutachter stellte entsprechend ausführlich dar, dass elementare Regeln des Wärmemanagements nicht dokumentiert worden waren. In aller Deutlichkeit wies er auf einen Verstoß gegen die S3-Leitlinie zur Vermeidung der perioperativen Hypothermie hin. Mit den oben aufgezählten Punkten a. bis c. bestanden bereits drei von fünf patientenbezogenen Risikofaktoren für eine perioperative Hypothermie. Trotz dieser Risikofaktoren sei entgegen der Leitlinie weder prä- noch interoperativ die Körpertemperatur gemessen worden, ebenso wurde keine aktive Erwärmung der Patientin im Anästhesieprotokoll eingetragen.

Alles in allem wurde also ein deutlicher Verstoß gegen medizinische Standards festgestellt. Nur weil die Patientin den Nachweis für einen Zusammenhang zwischen der Unterkühlung und dem chronischen Zittern der linken Hand nicht erbringen konnte, blieb dem Versicherer eine Regulierung des Schadens bislang erspart. Im Falle einer Blutung oder einer Infektion wäre eine Entschädigungszahlung wohl nicht zu vermeiden gewesen.

Anforderungen an die Praxis

Die systematische Nutzung des Wärmemanagements erfordert eine übergreifende Betrachtung und Bewertung der notwendigen Maßnahmen durch das gesamte Behandlungsteam. Insbesondere die Anästhesiologie und der Pflegedienst (Anästhesie und OP) sollen entsprechende Kontrollmaßnahmen vornehmen.

Das grundsätzliche Verständnis für die Notwendigkeit zur Durchführung des Wärmemanagements soll in Schulungen und Workshops vermittelt werden. Ziel ist es, im üblicherweise eng getakteten OP-Prozess die zeitlichen Ressourcen zu berücksichtigen und Akzeptanz für die Festlegung von Kontrollmechanismen und -maßnahmen zu implementieren. Teilweise wird das Wärmemanagement bislang ohne verbindliche Vorgaben angewendet. Eine Evaluation des Prozesses erfolgt daher auch nicht regelhaft auf Grundlage der S3-Leitlinie.

Mit Vorgabe der in diesem Fall sehr praxisorientierten AWMF-S3-Leitlinie zur Vermeidung von perioperativer Hypothermie in ihrer aktualisierten Fassung von 2019 ist nunmehr eine eindeutigere Betrachtung und Durchführung des Wärmemanagements möglich.

Die begünstigenden Faktoren für die Entstehung einer Hypothermie sind bereits durch Forschungsvorgaben und Untersuchungen bestätigt und in der Regel den Mitarbeitenden bekannt. Die Herausforderung besteht darin, systematisch Prozessrisiken zu kontrollieren und Handlungen zu bewerten. Die Risikobewertung setzt daher bereits bei

  • der OP-Planung,
  • den OP-Planungsgesprächen,
  • der Prämedikationsvisite der Anästhesie bzw.
  • bei der OP-Vorbereitung auf den Pflegestationen an.

Hierbei geht es um die klinische Beobachtung, Anamneseerhebung, Beurteilung vorhandener Risikoquellen beziehungsweise die Nutzung von Hinweisen aus vorausgegangenen Behandlungen (Anästhesie-Pass).

Die Bewertung der Faktoren Alter, Kachexie, die besondere Situation von Kindern und Neugeborenen sowie die OP-Dauer soll nach strukturierten Verfahren vorgenommen werden.

So ist es sinnvoll, auf bereits etablierte Sicherheitschecklisten zurückzugreifen und mit deren Hilfe die Durchführung von Kontrollmaßnahmen nachzuweisen. Die systematische Aufklärung und Information der Patienten durch das Pflegepersonal muss nachweislich dokumentiert sein.

In diesem Zusammenhang muss erwähnt werden, dass die Anforderungen an die Patienteneinbindung hochaktuell sind. Die frühzeitige Einbindung des Patienten sowie die Vermittlung von Risiken sollen ihn darin unterstützen, auch selbst eine Verantwortlichkeit wahrzunehmen und den Prozess im Blick zu behalten. Hierzu finden sich Hinweise und Empfehlungen in der Anlage F der S3-Leitlinie. Im Rahmen der Patienteninformation und Aufklärung zum Wärmemanagement sollen systematisch Risiken oder Vorerkrankungen anamnestisch erkannt und eingeschätzt werden (Hypothyreose, Diabetes Mellitus, Querschnittlähmung).

Die visuelle Analogskala (VAS)

Ziel ist, einen positiven Behandlungsverlauf und das persönliche Wohlgefühl des Patienten gleichermaßen zu berücksichtigen. So ist es sinnvoll, das individuelle Temperaturempfinden des Patienten zu bewerten. Hierzu bietet sich die bereits seit Jahren erprobte visuelle Analogskala (VAS) für die Einschätzung von Schmerzen an.

Nach entsprechender Anpassung kann so das persönliche Kälteempfinden des Patienten bewertet werden. Hierdurch ergibt sich auch mehr Sicherheit in Situationen bei denen beispielsweise das sogenannte „Prewarming“ noch nicht nach Standard angewendet werden müsste, aber aus dem persönlichem Empfinden des Patienten solche Maßnahmen begründet abgeleitet werden. Diese Methode ist zwar nicht validiert, aus Sicht des Patienten jedoch hilfreich, da er eine persönliche, numerische Bewertung seines Kälteempfindens darlegen kann. Auch hier ist der Aspekt der Einbindung des Patienten in die Vorbereitung des Wärmemanagements hilfreich.

Tab. 1: Visuelle Analogskala (VAS)1

-5

-4

-3

-2

-1

0

+1

+2

+3

+4

+5

maximal kalt

angenehm

maximal warm

Prozesssicherheit ergibt sich, wenn Zielsetzung und Kontrollmaßnahmen genau vorgegeben sind. Durch das Messen von Zwischenschritten im Gesamtprozess des Wärmemanagements kann eine effektive Steuerung der zu vermeidenden perioperativen Hypothermie erfolgen. Im Sinne des PDCA-Zyklus (Plan, Do, Check, Act) sollte eine regelmäßige Kontrolle und die Ableitung von Verbesserungsmaßnahmen unter dem Stichpunkt „Act“ erfolgen.

Besondere Situationen

Für Neugeborene müssen geeignete Maßnahmen zur Vermeidung der Auskühlung beim Transport festgelegt werden. Häufig werden Decken genutzt, die zuvor in einem temperaturgesteuerten Wärmeschrank gelagert worden sind. Dies sollte in die Regelung zum Wärmemanagement aufgenommen werden. Bezüglich der Anforderungen an die Mutter-Kind-Bindung sind mit den Hebammen geeignete Maßnahmen zur Vermeidung der Auskühlung (Sectio-Top) zu entwickeln.

Elementare Anforderungen für eine Regelung zum Wärmemanagement in den Standard Operating Procedures (SOP)

Grundlegende Fragen:

  • Wann und wie erfolgt die Bewertung der Vorerkrankungen/begünstigenden Faktoren des Patienten?
  • Wie erfolgt die systematische Bereitstellung und Nutzung aller relevanten Informationen?

Regelungen für die Kontrolle des Wärmemanagements und der entsprechenden Dokumentation müssen bestehen für:

  • Anamnese/Aufklärung/Information (Handout),
  • Kommunikation der Informationen im Team,
  • Bewertung der Indikation zur Durchführung des Wärmemanagements,
  • Festlegung des Temperaturmessverfahrens und deren Überwachung (Gerätecheck),
  • Rechtzeitige Durchführung des „Prewarmings“. Dies ist ein entscheidender Faktor zur Vermeidung einer Unterkühlung.

Fazit

Die Vermeidung der perioperativen Hypothermie stellt nicht erst nach Einführung der S3-Leitlinie zur Vermeidung von perioperativer Hypothermie ein besonderes Element im Risikomanagementprozess dar.

Durch die Vorgaben der Leitlinie ist zu erwarten, dass die Akzeptanz und systematische Nutzung des Wärmemanagements verbessert wird. Die sogenannten weichen Qualitätsfaktoren werden durch Verfahren wie Aufklärung und Information unter dem Label der Patienteneinbindung berücksichtigt.

Die stringente Implementierung des Prozesses zum Wärmemanagement stellt aber auch einen nicht zu unterschätzenden ökonomischen Effekt dar. Hierzu liegen in der S3-Leitlinie bereits deutliche Ergebnisse in Form einer Kosten-Nutzen-Analyse vor. Diese werden sicherlich die Verantwortlichen darin unterstützen, entsprechende Ressourcen und Prozessmaßnahmen zur erfolgreichen Vermeidung der perioperativen Hypothermie einzuführen. Eine erneute Sensibilisierung und Strukturierung der Arbeitsweise wird damit erforderlich. Die neue Leitlinie bietet verantwortlichen Ärzten und Pflegenden eine hilfreiche Unterstützung für die anfallende Reorganisation.

Literatur

[1] AMWF online, Das Portal der wissenschaftlichen Medizin. AMWF-Register Nr. 001/018 Klasse: S3. Online: https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/001-018l_S3_Vermeidung_perioperativer_Hypothermie_2019-08.pdf; Abruf 10.03.2020.

1 Siehe auch: S3 Leitlinie, S. 51 Abb. 2 Beispiel Visuelle Analogskala (VAS) Thermokomfort (nicht validiert), 2016.

Schulz D, Krause A: Safety Clip: Wärmemanagement im OP. Passion Chirurgie. 2020 Mai, 10(05): Artikel 04_02.

Safety Clip: SWOT-Analyse – ein Instrument des Qualitäts- und Risikomanagements

Wie gut eignet sich das Instrument der SWOT-Analyse zur Verbesserung der Patientensicherheit?

Betrachtet man neuere Qualitäts- und Risikomanagementvorgaben, so wird deutlich, dass sich die Einrichtungen nicht nur mit ihren Risiken und Schwächen, sondern auch mit ihren Chancen und Stärken auseinandersetzen sollen. Die DIN EN ISO 9001:2015 fordert zum Beispiel die gleichberechtigte Auseinandersetzung mit Risiken und Chancen und verweist auf die SWOT-Analyse als wichtiges Instrument zur Steuerung.

Abgeleitet aus der ISO 9001:2015 geht es darum, Risiken und Chancen im Vorfeld zu identifizieren, Maßnahmen zur Umsetzung in einen Plan aufzunehmen und die Wirksamkeit zu beurteilen. In Verbindung mit der neuen Anforderung des „risikobasierten Denkens“ müssen auch Ansprüche an das Patientensicherheitsmanagement berücksichtigt werden.

Im Kontext der Zertifizierung nach EN ISO 9001:2015 wird an verschiedenen Stellen explizit auf die Nutzung von Chancen und Risiken hingewiesen. So soll zum Beispiel unter Punkt 9 zur Bewertung der Leistung eine SWOT-Analyse durchgeführt werden. Außerdem soll die Methode innerhalb der Managementbewertung genutzt werden.

Tab. 1: Bei der SWOT-Analyse werden interne und externe Faktoren einbezogen.

Stärken =
Strengths

Bereiche, in denen wir gut sind, bzw. in denen wir besser sind als die Konkurrenz

Schwächen =
Weaknesses

Bereiche, die bei uns verbessert werden müssen, bzw. in denen wir schlechter sind als die Konkurrenz

Chancen =
Opportunities

Externe Faktoren, die sich auf alle Anbieter auswirken und unsere Stärken ausbauen können

Risiken =
Threats

Externe Probleme/Risiken, denen alle Anbieter ausgesetzt sind und die uns weiter schwächen können

Die SWOT-Analyse ist ferner fester Bestandteil im Rahmen des Peer-Review-Berichtes der Bundesärztekammer und wird im Zusammenhang mit den aktuellen Qualitätsindikatoren der DIVI (Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin) genutzt. So sollen Themen wie Personal, Reporting, SOPs/Standards, Team/Kommunikation etc. mit der SWOT-Analyse beleuchtet werden (Leitfaden Ärztliches Peer Review 2014).

Die SWOT-Analyse ist als Teil der Managementbewertung geeignet, die Chancen herauszuarbeiten und generell eine positivere, auf die Stärken und Chancen ausgerichtete Arbeitsweise in den Qualitätsmanagement-Teams zu unterstützen. Sie ist ein strategisches Instrument, das primär die „Ist-Situation“ der Organisation sieht und das Ziel hat, Prozesse und Strukturen in der Organisation zu verbessern. Wobei positive und negative Tendenzen gleichermaßen berücksichtigt werden. Eine klare Zielvorgabe mit Entwicklungszielen ist Voraussetzung für die erfolgreiche Nutzung dieses Analyse-Werkzeugs.

Identifizierte klinische Risiken und Prozessmängel können mit der SWOT-Analyse aus unterschiedlichen Blickwinkeln bewertet werden. Die Qualitätsverantwortlichen sind bemüht, im Vorfeld eine möglichst einfache Anwendung der Instrumente zu ermöglichen, um eine hohe Akzeptanz auf Seite der Mitarbeitenden für das Verfahren zu erzielen.

Folgende Schwerpunkte der Analyse betreffen die Gesamtorganisation und sollen herausgestellt werden.

  • Marktsituation, Wettbewerbsvorteile und Strategieentwicklung
  • Wachstum und Zukunftsperspektive für die Organisation und ihre Mitarbeitenden
  • Perspektiven
  • Handlungsoptionen für die Geschäftsführung
  • Optimierung klinischer Prozesse

Stärken und Schwächen

Stärken der SWOT-Analyse sind die gute Visualisierung und einfache Nutzung, wenn zuvor die Zielsetzung, mit der die Analyse eingesetzt wird, erläutert worden ist. Das Instrument fördert Transparenz und übergreifende Kommunikation. Der Einsatzbereich ist besonders groß, sollte aber bei der Nutzung eingegrenzt werden. Im Rahmen der Bearbeitung sollen die Teilnehmenden auch einen Perspektivwechsel (Außensicht) nutzen und somit die Sichtweise Externer auf die eigenen Strukturen reflektieren.

Schwächen der SWOT-Analyse sind der hohe Zeitaufwand durch Recherche und die Gefahr subjektiver Bewertungen, falls Mitarbeitende ohne erforderliche Expertise aus den klinischen Bereichen beauftragt werden. Die Methode muss den Mitarbeitenden gut erklärt werden. Entscheidend ist, dass vom Moderator die richtigen Fragen gestellt werden.

Ziel ist es, eine strategische Analyse durchzuführen und die internen Stärken zu fördern, Schwächen/Gefahren und Risiken zu reduzieren sowie Chancen herauszuarbeiten und zu nutzen. Im Risikomanagement-Prozess sollen auf den Ergebnissen der SWOT-Analyse aufbauend weitere Instrumente zur Risikobewertung genutzt werden. Besonderes Augenmerk liegt auf der Erkennung und Ausschaltung von Bedrohungen für die Organisation.

Tab. 2: Neues Behandlungsverfahren – Fragen für eine SWOT-Analyse

Wo liegen unsere Stärken?

Profitieren wir von der neuen Methode?

Ist unser Verfahren besser als das der Mitbewerber?

Sind unsere Alleinstellungsmerkmale bekannt?

Verfügen wir über ausreichend Ressourcen?

Was führt uns zum Erfolg?

Ist unsere Reputation sicher?

Wie sehen interessierte Parteien unsere Stärken?

Wo finden sich Schwächen?

Haben wir die Behandlungsprozesse ganzheitlich und umfassend geprüft?

Was müssen wir unbedingt beachten?

Wo sehen unsere eigenen Mitarbeitenden die Schwächen für die neue Methode?

Welche Situationen, Faktoren könnten zum Misserfolg führen?

Welche Chancen bestehen?

Können wir die Methode gut vermarkten?

Haben wir die Marktentwicklung im In- und Ausland bewertet?

Haben wir aktuelle und zukünftige gesetzliche Entwicklungen berücksichtigt?

Kennen wir die Kundenbedürfnisse?

Wie werden wir in der Region wahrgenommen?

Welche Risiken bestehen?

Haben wir die Prozessrisiken sicher bewertet?

Sind die erforderlichen Ressourcen gegeben?

Was steht uns im Weg?

Wie verhalten sich Mitbewerber?

Haben wir alle nationalen Anforderungen, internationalen Trends, Qualitätsvorgaben (G-BA, Leitlinien, Fachgesellschaften…), Normen, Gesetze beachtet?

Sind die Erlössituation und Erlöserwartung sicher kalkuliert?

Sind wir auf den Technologiewandel vorbereitet?

Eingrenzung des Themas auf den klinischen Bereich

Beispiel: „Einführung des neuen Behandlungsverfahrens: Minimalinvasive Behandlungsmethode“

Generelle Fragestellung: Haben wir die Stärke, Risiken zu vermeiden? Haben wir die Stärken, unsere Chancen zu nutzen? Welche Chancen verpassen wir aufgrund unserer Schwächen? Welchen Risiken sind wir aufgrund unserer Schwächen ausgesetzt?

Fazit

Die Nutzung der SWOT-Analyse führt zur differenzierten Darstellung und Gegenüberstellung der Risiken und Chancen. In Verbindung mit gezielten klinischen Risikoanalysen kann die SWOT-Analyse eine tiefgehende Risikobetrachtung vorbereiten. Die für das Patientensicherheitsmanagement zuständigen Mitarbeitenden profitieren bei Nutzung der SWOT-Analyse zusätzlich von der Betrachtung der Stärken und Chancen. Diese Herangehensweise hilft den Teams, da sie nicht nur die Risiken in den Blick nehmen. Regelmäßig über die Stärken und Chancen zu berichten, fällt erfahrungsgemäß nicht immer leicht, sollte aber genutzt werden.

Denn schließlich heißt es ja: „Tue Gutes und rede darüber!“.

Literatur

[1] Leitfaden Ärztliches Peer Review 2014. https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/Leitfaden_Aerztliches-Peer-Review_2014.pdf

[2] Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). https://www.divi.de/empfehlungen/qualitaetssicherung-intensivmedizin/peer-review/qualitaetsindikatoren

Krause A: Safety Clip: SWOT-Analyse – ein Instrument des Qualitäts- und Risikomanagements. Passion Chirurgie. 2019 Mai, 9(05): Artikel 04_03.

Safety Clip: Fehlerursachenanalyse am Beispiel einer Seitenverwechslung im OP

Ursache-Wirkungs-Diagramm nach Ishikawa

Das Thema Patientensicherheit ist heute immanenter Bestandteil der Krankenhausorganisation. Instrumente des Risikomanagements sind implementiert und in der Regel weit entwickelt. So regelt der Einsatz von OP-Sicherheitschecklisten nach WHO-Modell bereits seit circa 15 Jahren die Patientensicherheit bei der operativen Versorgung. Trotz dieser Sicherheitsmaßnahmen kommt es im Operationsbereich weiterhin zu Seitenverwechslungen. Es ist notwendig Prozesse permanent zu prüfen und Fehler zu analysieren. Nur wer seine Fehler kennt, kann diese auch beheben.

Ein geeignetes Instrument zur Fehleranalyse von operativen Prozessen ist das Ursache-Wirkungs-Diagramm nach Ishikawa. Mithilfe des Ishikwa-Diagramms sind mögliche Fehlerursachen zu identifizieren, zu bewerten und schließlich zu beheben. Ursprünglich als Fishbone-Diagramm bezeichnet, wird es heute in weiten Bereichen des Qualitätsmanagements in der Gesundheitsversorgung angewendet. So findet sich der Ansatz in unterschiedlichen Analyseverfahren wie der Rout Cause Analysis, dem Critical Reporting System oder dem Beschwerdemanagement.

Das Ursache-Wirkungs-Diagramm nach Ishikawa (Ishikawa-Diagramm)

Zunächst wird ein Analyseteam benannt. Dieses setzt sich aus Mitarbeitenden zusammen, die an dem fehlerhaften Prozess beteiligt gewesen sind; präventiv ist auch die Analyse von Prozessen möglich, die bislang fehlerfrei verlaufen sind bzw. zu keinem Schaden geführt haben. Die Prozessverantwortlichen sind die Experten für die Fehleranalyse und müssen entsprechend hinzugezogen werden. Steht das Team fest, wird ein Moderator benannt, der durch die Analyse führt. In einem nächsten Schritt ist der Fehler, hier beispielhaft die Seitenverwechslung, eindeutig zu definieren. Darüber hinaus sind Einflussgrößen festzulegen. Dazu zählen u. a. Mensch, Maschine, Milieu, Material, Methode, Messung etc. Die Einflussgrößen können je nach Fehler variieren. Anschließend startet ein Brainstorming. Der Moderator fordert das Analyseteam auf, mögliche Ursachen für den Fehler herauszuarbeiten und den Einflussgrößen zuzuordnen. Hierzu ist es erforderlich, dass Prozessverantwortliche sowie Qualitäts- und Risikomanager die bisherige Prozessdarlegung im Team reflektieren. Etablierte Instrumente zur Patientensicherheit wie Sicherheitschecklisten, Kennzeichnungsverfahren und das Team-Time-Out sind hinsichtlich ihrer Eignung/Akzeptanz kritisch zu prüfen.

Ziel dabei ist, potentielle Risiken im Behandlungsprozess zu identifizieren. Diese sind Grundlage zur Ableitung von Strategien zur Fehlervermeidung. Unter Berücksichtigung von Auswertungsergebnissen aus CIRS, Beschwerdemanagement, Schadenmanagement oder Fallanalysen wird die Ableitung einer differenzierten Strategie bzw. eines umfassenden Maßnahmenplans unterstützt.

Stärken des Ishikawa-Diagramms

Bedingt durch die leichte Handhabung und die positiven gruppendynamischen Effekte ist das Ursache-Wirkungs-Diagramm nach Ishikawa ein geeignetes Instrument zur effektiven Fehleranalyse. Die Methode ist für alle Beteiligten einfach nachzuvollziehen. Zudem sind Vorbereitungszeit und Dokumentationsaufwand gering. Folgt im Anschluss der Analyse eine Anpassung der Prozesse, sind Patienten zukünftig ein Stück weit sicherer.

Tab. 1: Prozesse, Verantwortung, Vorgaben Qualitäts- und Risikomanagement

Prozesse

Verantwortung

Vorgaben Qualitäts- und Risikomanagement

Patientenanamnese

Prämedikation

Aufklärung

Seitenkennzeichnung

Dokumentation

Arztdienst (Operateur, Anästhesist)

schriftlich hinterlegte Verfahrensanweisungen

OP-Vorbereitung Pflegestation

Hörgerät, Brille, Hygieneanforderungen, Antithrombosestrümpfe

Pflegedienst

Checklisten

Patiententransport

Pflegedienst

schriftlich hinterlegte Verfahrensanweisung

OP Vorbereitung/Übergabe/Einschleusung

Rasur

Pflegedienst (Station, OP-Pflege, ANÄ-Pflege.

schriftlich hinterlegte Standards

Lagerung des Patienten

Pflege, Arzt (Endkontrolle)

schriftlich hinterlegte Standards

Team-Time-Out

OP-Team (Operateur, Anästhesist, Springer)

Sicherheitscheckliste

Abb. 1: Ursache-Wirkungs-Diagramm nach Ishikawa am Beispiel einer Seitenverwechslung

Literatur

[1] Bundesministerium des Inneren Bundesverwaltungsamtes (Hrsg.) (2018): Handbuch für Organisationsuntersuchungen und Personalbedarfsermittlung. 6.3.2 Ursache-Wirkungs-Diagramm. Seite 282

Krause A: Safety Clip: Fehlerursachenanalyse am Beispiel einer Seitenverwechslung im OP. Passion Chirurgie. 2018 Mai, 8(05): Artikel 04_03

Safety Clip: Fehler erkennen bevor sie entstehen!

 Welchen Beitrag leistet die Fehlermöglichkeits- und Einflussanalyse (FMEA) zur Verbesserung der Patientensicherheit?

Seit einigen Jahren sehen sich die Krankenhäuser mit stetig wachsenden Ansprüchen an die Patientensicherheit konfrontiert. WHO, Patientenrechtegesetz, G-BA, Interessenverbände, Politik, Fachgesellschaften und nicht zuletzt die Versicherungswirtschaft fordern lautstark effektive Verfahren zur Verbesserung der Patientensicherheit in Krankenhäusern. Gleichzeitig stehen die Häuser im zunehmenden Wettbewerb. Fallzahlen steigen, die Verweildauer sinkt – und dies bei begrenzten personellen Ressourcen. Insofern stellt sich die Frage nach geeigneten Instrumenten des klinischen Risikomanagements. Wie sind Anforderungen an die Patientensicherheit angesichts knapper Ressourcen effektiv umzusetzen? Es gilt, risikogeneigte Schwachstellen zu identifizieren, zu bewerten und schließlich risikopräventive Maßnahmen für mehr Patientensicherheit einzuführen; wenn möglich, bevor ein Patientenschaden eintritt.

Ein durchaus effektives und zugleich äußerst umfassendes Instrument zur Risikominimierung ist die Fehlermöglichkeits- und Einflussanalyse, kurz FMEA, „… eine formalisierte, analytische und präventive Methode mit dem Ziel, mögliche Fehler in Konzeption oder Konstruktion schon vor ihrem Auftreten [oder nach Einführung des Ablaufs] zu erkennen und sie durch geeignete Maßnahmen zu verhindern“[1].

Die Fehlermöglichkeits- und Einflussanalyse (FMEA)

Mit der FMEA erhalten Krankenhäuser – vorausgesetzt, sie wird gezielt angewendet – ein Instrument an die Hand, mit dem die relevanten Risiken in klinischen Bereichen identifiziert und bewertet werden können. Das Besondere dabei ist, dass Fehler im Vorhinein identifiziert werden, das heißt, nicht erst bei deren Eintritt. Experten, Prozessverantwortliche und auch die Prozesseigner analysieren klinische Prozesse gezielt auf mögliche Schwachstellen in den Abläufen, in den Strukturen oder in der Kommunikation etc. Sie evaluieren in interprofessioneller Zusammenarbeit, welche Prozesse fehleranfällig sind und damit eine potenzielle Gefahr für den Patienten darstellen. Die unmittelbar für den Prozess Verantwortlichen sind es auch, die eine praxisbezogene, entsprechend den klinischen Bedingungen angepasste Bewertung und schließlich die Reorganisation dieser fehlergeneigten Prozesse vornehmen.

Bewertungsfaktoren eines Risikos

Die Bewertung eines Risikos erfolgt durch Experten. Sie bewerten den Grad der Auftrittswahrscheinlichkeit eines Risikos, die Bedeutung eines Risikos für die Patientensicherheit sowie die Wahrscheinlichkeit, dass das Risiko entdeckt wird. Um eine übersichtliche Bewertung zu garantieren, kommen Zahlen von 1 bis 10 zum Einsatz. Wird einem Risiko also beispielsweise die Zahl 4 zugeordnet, ist die Wahrscheinlichkeit, dass es tatsächlich eintritt, eher gering.

Nach durchgeführter Analyse ist eine nachhaltige Reorganisation der möglichen fehlerhaften Prozesse festzulegen. Das Ranking der Bearbeitungsnotwendigkeiten der einzelnen Prozesse ergibt sich dabei aus der Risikoprioritätszahl, kurz RPZ.

Risikoprioritätszahl (RZP)

Die Risikoprioritätszahl priorisiert die Dringlichkeit, nach der Reorganisationsmaßnahmen für fehleranfällige klinische Leistungsprozesse im Krankenhaus umzusetzen sind. Zur Berechnung der Risikoprioritätszahl werden folgende Faktoren herangezogen:

  • Auftrittswahrscheinlichkeit eines Fehlers
  • Bedeutung eines Fehlers für die Patientensicherheit
  • Entdeckbarkeit eines Fehlers
  • Mit der Multiplikation dieser drei Bewertungsfaktoren wird die Risikoprioritätszahl (RPZ) ermittelt.
  • RPZ = A x B x E

Beispiel einer FMEA

Prozess der Intraartikulären Injektion – „Infektion nach Gelenkpunktion“

Die Stärken der FMEA

Die FMEA zielt darauf ab, Fehler im Vorhinein zu identifizieren, anstatt sie erst bei deren Eintritt zu entdecken. So ist die Patientensicherheit gewährleistet und Kosten für Fehlleistungen/Prozessabweichungen treten gar nicht erst auf. Vorteile der FMEA sind darüber hinaus die zahlenmäßige Bewertung, die Darstellung eines Rankings mit Priorisierung der Maßnahmen und die Festlegung von Maßnahmen zur Reorganisation mit konkreter Benennung von Verantwortlichen. Die Kontrolle des Umsetzungsgrads von Reorganisationsmaßnahmen sowie identifizierter Fehlerpotenziale erhöht die Prozesssicherheit bzw. die Zuverlässigkeit sicherer klinischer Prozesse. Schließlich wird aufgrund der interprofessionellen Analysearbeit auch die Kommunikation im Team gestärkt.

Worauf ist zu achten?

Bedingt durch die offene Analyseform der FMEA besteht die Gefahr, die Analyse zu übertreiben und viele relativ unbedeutende Prozesse/Fehlerursachen zu analysieren. Wichtig ist daher die Eingrenzung auf festgelegte Prozessschritte. Wie bereits dargelegt, müssen die eingeschränkten personellen Ressourcen in den stationären und Funktionsbereichen ebenfalls berücksichtigt werden. Um die Ressourcen zu schonen und die Akzeptanz für das Instrument zu erhöhen, muss eine zielgerichtete und begrenzte Nutzung vorgeben werden.

Tab. 1: Bewertungsfaktoren eines Risikos

Wahrscheinlichkeit des Auftretens

Bedeutung des Fehlers

Wahrscheinlichkeit der Entdeckung

unwahrscheinlich

1

kaum wahrnehmbar

1

hoch

1

sehr gering

2-3

unbedeutend für den Patienten

2-4

mäßig

2-5

gering

4-6

mäßig schwerer Fehler

4-6

gering

6-8

mäßig

7-8

schwerer Fehler

7-8

sehr gering

9

hoch

9-10

äußerst schwerwiegender Fehler

9-10

unwahrscheinlich

10

Prioritäten: Hoch 1000

Prioritäten: Mittel 125

Prioritäten: keine 1

Tab. 2: FMEA Intraartikuläre Injektion

Prozessschritt

Fehlerart

Potenzielle Folge des Fehlers (Worst Case)

Fehlerursache

Auftreten

Bedeutung

Entdeckung

RPZ (AxBxE)

Interventionsmaß-
nahmen

Verantwortlichkeit

fehlendes Assistenzpersonal

unsteriles Arbeiten

Infektion

Missachtung gängiger Leitlinien

Personal-
organisation, (nicht genutztes Assistenz-personal)?

9

10

10

900

Schulung über Leitlinien, SOPs, Assistenzpersonal hinzuziehen

Ärztlicher Dienst, Hygieniker, Hygienefachkraft, PD

Hautdesinfektion vor Eingriff

Unkenntnis über Einwirkzeit und Art des Desinfek-
tionsmittels

Infektion

unsachgemäße Durchführung der Hautdesinfektion

8

10

10

800

VA erstellen „Intraartikuläre Infektion“, Zuständigkeiten regeln

Ärztlicher Dienst, Hygieniker, Hygienefachkraft, PD

sterile Abdeckung, sterile Handschuhe

unsteriles Arbeiten (alleine), Handschule nicht steril

Infektion, Infektion infolge unsteriler Durch-
führung

Missachtung gängiger Leitlinien, fehlende Qualifikation

4

10

10

400

Schulung über Leitlinien, SOPs, Assistenzpersonal hinzuziehen

Qualifikation-Schulung SOP/VA

Ärztlicher Dienst, Hygieniker, Hygienefachkraft, PD, Leitender Arzt

Aufklärung

Aufklärungs-
dokument liegt nicht vor

kein Einverständnis des Patienten

Unkenntnis des Arztes

10

9

1

90

Aufklärungsbögen vorhalten, Aufklärung durchführen, Kontrolle bzgl. Vorliegen der Aufklärung vor Intervention

Chefarzt, Arzt

Literatur

[1] Lümmer, Dorothee Rose: Risikomanagement im Gesundheitswesen – Eine ökonomische Nutzen-Analyse unter Einbezug der Haftpflichtversicherungsprämien. Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Wirtschaftswissenschaften (Dr. rer. pol.) durch die Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Universität Duisburg – Essen. Campus Essen. Disputation: 09. März 2011.

[2] Kurzunterlagen DGQ-Ausbildung Qualitätsmanager 2001 (Berlin/Mainz) modifiziert durch die GRB.

Krause A. Safety Clip: Fehler erkennen bevor sie entstehen! Passion Chirurgie. 2017 September, 7(09): Artikel 04_01.

Safety Clip: Hat die neue ISO 9001:2015 Auswirkungen auf das Patientensicherheitsmanagement?

Die ISO 9001:2015 definiert Risiko als die Auswirkung von Unsicherheit auf ein erwartetes Ereignis. Eine Auswirkung ist eine Abweichung vom Erwarteten – in positiver wie negativer Hinsicht. [1]

Die neue Version der DIN EN ISO 9001:2015, die am 15.09.2015 veröffentlicht wurde, rückt die Qualität und kontinuierliche Verbesserungsprozesse in Organisationen in den Vordergrund. Indem auf eine stärkere Mitwirkung des gesamten Führungsteams fokussiert wird, soll eine vollständige Strategieumsetzung durch das Management erreicht werden.

Besonderes Augenmerk legt die Norm auf die Themen Risiko- und Chancenmanagement. Im Rahmen des Risikomanagements werden relevante Risiken in den jeweiligen Bereichen systematisch identifiziert, bewertet, bearbeitet und im Qualitätsmanagementsystem überwacht. Der risikobasierte Ansatz beinhaltet auch den Einsatz eines integrierten Managementsystems als Führungsinstrument zur Ermittlung und Nutzung von Geschäftspotenzialen (Chancenmanagement).

Eine neue einheitliche Struktur – die sogenannte High Level Structure, die der Standardisierung von Managementnormen dient und ab sofort für alle ISO-Normen gilt – erleichtert die Implementierung integrierter Managementsysteme und stärkt den prozessorientierten Ansatz.

Um der zunehmenden Digitalisierung Rechnung zu tragen, wurde die Verpflichtung abgeschafft, ein dezidiertes Handbuch zu erstellen. Dieser längst überfällige Verzicht ist eine Erleichterung und gibt jeder Organisation die Möglichkeit, den Belangen und Erfordernissen der jeweiligen Situation entsprechend zu entscheiden.

Das Thema Kundenzufriedenheit steht erwartungsgemäß bei der DIN EN ISO 9001:2015 im Vordergrund. Die entscheidende Anforderung, die an Kliniken in diesem Zusammenhang gestellt wird, ist Patientensicherheit. Mit Hilfe des neuen risikobasierten Ansatzes setzt die Norm auf effektive Vorbeugungsmaßnahmen, deren Umfang von der Führung festgelegt werden muss.

Die DIN EN ISO 9001:2015 kann im Rahmen von Überwachungsaudits oder auch zur Erstzertifizierung herangezogen werden.

Risikobasiertes Denken: Ein neu formulierter Ansatz

Erstmals integriert die ISO 9001:2015 die Terminologie Risiko und formuliert die Anforderung eines risikobasierten Denkens. Risiken sind hierbei zunächst neutral zu betrachten, bezeichnen also gleichsam eine negative (Risiko im gebräuchlichen Sinne) wie eine positive (Chance) Abweichung vom erwarteten Ergebnis.

Damit Abweichungen überhaupt wahrgenommen werden können, müssen die Prozesse hinsichtlich Vorgaben, Merkmalen und Ergebnissen definiert werden. Das heißt: In Betracht zu ziehen sind hier die Soll-Vorgabe (der richtige Patient, die richtige Diagnose, die richtige Behandlung), der Prozess selbst (die adäquate Ausführung der Behandlung) und das Ergebnis (der komplikationslose Behandlungserfolg). Wechselwirkungen zwischen den Prozessen (z. B bei disziplin- und berufsgruppenübergreifenden Behandlungen) sind hierbei mit zu berücksichtigen.

Der risikobasierte Ansatz verfolgt also einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess. Erwünschte Auswirkungen sollen verstärkt und unerwünschte Auswirkungen verhindert oder zumindest verringert werden.

Die Stärken der DIN EN ISO 9001:2015 in Bezug auf das Patientensicherheitsmanagement

Die DIN EN ISO 9001:2015 richtet den Fokus auf das Prozessmanagement, angefangen bei der Zielvorgabe über den Prozess der Zielerreichung bis hin zur Kontrolle des Zielerreichungsgrads. Durch Festlegung messbarer Kriterien, die innerhalb eines Regelkreises (Abb. 1) überwacht werden, soll eine Verstärkung der positiven Ergebnisse bei gleichzeitiger Reduktion der unerwünschten Ergebnisse erreicht werden.

Die Grafik zeigt, dass die DIN EN ISO 9001.2015 der Führung eine relevante Schlüsselposition zuschreibt. Alle Maßnahmen sind nach dem Grundsatz Planen, Durchführen, Prüfen, Handeln vorzunehmen.

Abb. 1: Modifikation – Erweiterung des Prozessmodells ISO 9001:2015, Anhang A – Aktueller Entwurf (DIS) (H. Semmusch, proCum Cert GmbH) [2]

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Zur Erklärung der Ziffern in den Feldern der Grafik: Die Nummerierung entspricht den Normabschnitten 4 bis 10 der High Level Structure, in denen die Inhalte des QM-Systems beschrieben sind.

Führung bedeutet im Sinne der Norm, Verantwortung und Verpflichtungen zu übernehmen. Für die oberste Leitung sind dies Pflichten wie

   Rechenschaftspflicht über die Wirksamkeit des Qualitätsmanagementsystems (QMS),

   Festlegung einer Qualitätspolitik mit Qualitätszielen im Sinne der strategischen Ausrichtung,

   Sicherstellen der Integration der QMS-Anforderungen in die Geschäftsprozesse,

   Anwendung des prozessorientierten Ansatzes und Förderung des risikobasierten Denkens,

   Bereitstellung der erforderlichen Ressourcen,

   Kommunikation der Bedeutung eines wirksamen QMS,

   Sicherstellen der Umsetzung definierter Ziele,

   Einsatz, Anleitung und Unterstützung der geeigneten Personen,

   Unterstützung der jeweiligen fachverantwortlichen Führungskräfte,

   Förderung von Verbesserungen.

In den Verantwortungsbereich der fachverantwortlichen Führungskräfte (leitende Ärzte, leitende Pflegepersonen etc.) fallen insbesondere

   Sicherstellen der Anforderungen des QMS,

   Sicherstellen der adäquaten Prozessergebnisse,

   Identifizierung, Umsetzung und Kommunikation (Berichtswesen) der Verbesserungsmöglichkeiten,

   Förderung der Kundenorientierung und Patientensicherheit.

Verstehen der Organisation in ihrem Kontext

Bei der Bewertung der Organisation sollen die Einrichtungen auch externe Erfordernisse in den Blick nehmen – z. B gesetzliche, technische, wettbewerbliche, marktbezogene, kulturelle, soziale oder wirtschaftliche Erfordernisse – und diese in den Aufbau des Qualitätsmanagementsystems einbinden. Die Bewertung muss im Kontext des Risikomanagements bzw. im Kontext der Anforderungen des Patientensicherheitsmanagements erfolgen. Um Letzteren gerecht zu werden, müssen die Verantwortlichen zwingend die gesetzlichen Vorgaben beachten, z. B. das Patientenrechtegesetz und die Empfehlungen des Gemeinsamen Bundesausschusses. Darüber hinaus sind hinsichtlich der Patientensicherheit zunehmend auch internationale Empfehlungen (z. B. die Handreichungen der WHO) zu berücksichtigen.

Verstehen der Erfordernisse und Erwartungen der relevanten Parteien

Die Organisation muss relevante – bestenfalls am Qualitäts- und Risikomanagement interessierte – Parteien finden und als Verantwortliche bestimmen. Das setzt voraus, dass auch die Erwartungen dieser interessierten Parteien bekannt sind. Die Bestimmung der verantwortlichen Parteien erfolgt unter der Prämisse der Kundenzufriedenheit, um – bezogen auf den Leistungsempfänger – den Anforderungen an die Patientensicherheit Genüge zu tun. Entsprechend der Normvorgabe muss die Organisation selbstständig entscheiden und festlegen, welche Parteien als relevant einzustufen sind, und die erforderlichen Maßnahmen festlegen.

„Die Organisation muss die Informationen über diese interessierten Parteien und deren relevanten Anforderungen überwachen und überprüfen“.

Interessierte Parteien in der Gesundheitsversorgung sind in Tabelle 1 dargestellt.

Tab. 1: Beispiele interessierter Parteien der Gesundheitsversorgung

Intern

Umfeld des Unternehmens

Mitarbeiter

Betriebsrat

Mitarbeitervertretung

Gesellschafter

Geschäftsführer

(…)

Lieferanten

Banken

Versicherer

Behörden, Ämter, Gemeinden

Gesetzgeber (G-BA)

Institute (DKG, LQS, IQTIG)

Tochterunternehmen

Kooperationspartner

Krankenkassen

Medizinischer Dienst

Selbsthilfeorganisationen

(…)

Welche Bedeutung hat der risikobasierte Ansatz für die Leistungserbringung selbst?

Für alle Prozesse der Leistungserbringung verpflichtet die Norm Organisationen, die notwendigen Ressourcen primär in Führungsverantwortung bereitzustellen (Normenkapitel 7.1). Dabei soll das Augenmerk nicht nur auf den beteiligten Personen und dem erforderlichen Fachwissen liegen (Quantität und Qualifikation), sondern auch auf der Infrastruktur (Gebäude, Ausstattung, Technik, IT etc.) und der Prozessumgebung (soziale, psychologische und physikalische Faktoren). Für die Prozessüberwachung sind geeignete Methoden, Instrumente und Messmittel zur Verfügung zu stellen.

Für die Durchführung der Dienstleistung selbst ist es wesentlich, dass die Kommunikation mit den Kunden insofern geregelt ist, als dass diese über die Leistungen, die Vertragsgestaltung, Gefahren und Komplikationen (Aufklärung!), den Umgang mit Kundeneigentum usw. angemessen zu informieren sind. Dabei muss gewährleistet sein, dass die Organisation faktisch in der Lage ist, die Leistung in der gebotenen Qualität und unter „beherrschten Bedingungen“ zu erfüllen. Dies bedeutet vor allem:

   Festlegung und Dokumentation sowohl der Merkmale für die Durchführung (Ressourcen, Personen, Qualifikation etc.) als auch der zu erzielenden Ergebnisse nach entsprechender Risikoanalyse.

   Festlegung von Kriterien und Methoden zur Leistungsbeurteilung (Indikatoren, interne Audits etc.).

   Angemessenes Prozess- und Ergebnismonitoring, Lernen aus Fehlern,

   Etablierung von Maßnahmen zur Reduktion menschlicher Fehler,

   Anpassung der Prozesse nach Risiko und Bedarf

Gleiches gilt auch für neu zu entwickelnde oder sich in der Entwicklung befindliche Prozesse. Diese sind zudem einer umfassenden Entwicklungsplanung zu unterziehen. Zu beachten: Auch wenn Prozesse ausgelagert werden (z. B Reinigungsdienste, Transportdienste etc.), bleiben sie in der Verantwortlichkeit der Organisation, d. h. das Krankenhaus bürgt für die ordnungsgemäße Erfüllung.

Subsummiert beinhaltet der risikobasierte Ansatz, dass alle Maßnahmen in Medizin und Pflege bestmöglich evidenzbasiert und unter kritischer Reflexion erbracht werden müssen. Nachweise darüber sind erforderlich, die systematisch für Prozessverbesserungen zu nutzen sind.

Wie erfolgt die Leistungsbewertung?

Im neunten Kapitel der Norm ist ausgeführt, welche Kriterien der Leistungsbewertung zwingend zugrunde gelegt werden müssen. Hierbei ist primär festzulegen, was, wann, womit und von wem überwacht und gemessen werden soll und wann die Ergebnisse zu analysieren und zu bewerten sind. Unbedingt gegeben sein müssen:

   Konformität der Dienstleistungen mit den eigenen Anforderungen,

   Analyse der Kundenzufriedenheit,

   Bewertung der Leistung und Wirksamkeit des QMS,

   Wirksamkeit der Maßnahmen in Bezug auf die identifizierten Risiken und Chancen sowie

   Ableitung von Verbesserungspotenzialen.

Für Krankenhäuser bedeutet dies, das Prinzip „Lernen aus Fehlern“ in allen Versorgungsbereichen umzusetzen. Für eine erste Risikoidentifikation und Bewertung bietet es sich oftmals an, externe Experten zur Risikoanalyse heranzuziehen und deren Ergebnis nachfolgend zu evaluieren. Gleiches wird für Prozess-Reorganisationsmaßnahmen empfohlen.

Die DIN EN ISO 9001:2015 gibt des Weiteren verpflichtend vor, über ein strukturiertes Auditprogramm geplant interne Audits durchzuführen. Für alle Nichtkonformitäten, also Abweichungen des Ist-Zustands gegenüber dem vorgegebenen Soll-Zustand, sind Korrekturmaßnahmen vorzunehmen. Hierbei ist eine umfassende Ursachenanalyse obligat. Für Schadenfälle in Medizin und Pflege eignet sich beispielsweise das London-Protokoll nach C. Vincent / S. Adams. [3]

Zentrales und verpflichtendes Steuerungsinstrument der DIN EN ISO 9001 ist und bleibt auch nach der Normenrevision die jährliche Management Review (Bewertung des Managements und Bewertung durch das Management), in der strukturiert und systematisch das Qualitätsmanagementsystem einschließlich aller Prozesse und ihrer Ergebnisse reflektiert wird und (Qualitäts-)Ziele für das Folgejahr adjustiert oder neu formuliert werden.

Schlussbetrachtung

Die Verantwortlichen in den Kliniken erhalten mit der neuen ISO 9001:2015 ein Verfahren, das im Hinblick auf das Risikomanagement deutlich aufgewertet wurde. Bei stringenter Anwendung des risikobasierten Ansatzes ist es geeignet, die heute erforderliche Einführung einer Sicherheitskultur zu unterstützen und somit direkt Einfluss auf das Patientensicherheitsmanagement zu nehmen.

Im Mittelpunkt der Optimierung steht die Prozessorganisation, die durch gezielte Nutzung von Risikomanagementinstrumenten optimiert wird, etwa der Failure Mode and Effects Analysis (FMEA) oder der Portfolioanalyse. Dadurch erhalten die jeweiligen Prozessverantwortlichen zielführende Unterstützung, Risiken in Prozessschritten zu identifizieren und Prozesse – wenn erforderlich – nachhaltig zu reorganisieren. Durch den qualifizierten Einsatz solcher Risikomanagementinstrumente lässt sich die Effizienz des Systems steigern. Sind die internen Ressourcen begrenzt, können externe schadenfallbasierte Ansätze bei der Durchführung von Risikoanalysen hilfreich sein.

Legen die Kliniker bei der Prozessoptimierung den Fokus auf die wesentlichen, also risikorelevanten Prozesse und Prozessschritte, lässt sich der Dokumentationsaufwand in Grenzen halten. Die Systemanforderungen und Grundsätze der ISO 9001:2015 geben die Erfolgsfaktoren für die nachhaltige Implementierung des Risikomanagements vor. Dazu gehören z. B Kriterien wie Kundenorientierung, Einbeziehung von Personen, prozessorientiertes Vorgehen, faktengestützte Entscheidungsfindung und Beziehungsmanagement.

Die Fokussierung auf die Prozessqualität und Zielerreichung, gepaart mit dem Prinzip der Verantwortlichkeit auf Führungsebene sorgen für Effizienz bei der Umsetzung des Patientensicherheitsmanagements und damit für eine nachhaltige Steigerung der Patientensicherheit.

Der Ansatz des risikobasierten Denkens sowie die hierzu erforderliche Befähigung und Qualifikation der Mitarbeiter muss im Sinne der Norm durch die Führung sichergestellt und gefördert werden.

Die DIN EN ISO 9001:2015 bietet
die grundständigen Rahmenbedingungen für die Einführung des Risikomanagements und somit für die Verbesserung der Patientensicherheit. Risikobewusstes Handeln stärkt die Organisation auf allen Ebenen. Weniger Fehler und unerwünschte Ereignisse wie Patientenschäden sichern den Fortbestand der Organisation und erhöhen die Reputation.

Literatur

[1]  Qualitätsmanagementsysteme – Anforderungen (ISO 9001:2015); deutsche und englische Fassung EN ISO 9001:2015, November 2015. Ersatz für DIN EN ISO 9001:2008-12 und DIN EN ISO 9001, Berichtigung 1:2009-12.

[2]  Semmusch, H.: Modifikation – Erweiterung des Prozessmodells ISO 9001:2015, Anhang A – Aktueller Entwurf (DIS), proCum Cert GmbH, Frankfurt.

[3]  Vincent C., Taylor-Adams, S.: Systems Analysis of Clinical Incidents: The London Protocol https://www1.imperial.ac.uk/resources/C85B6574-7E28-4BE6-BE61-E94C3F6243CE/londonprotocol_e.pdf.

Krause A. Safety Clip: Hat die neue ISO 9001:2015 Auswirkungen auf das Patientensicherheitsmanagement? 2016 Juli-August; 6(07-08): Artikel 03_04.

Safety Clip: Hygienemanagement und Infektionsprävention

Hygienefehler am Beispiel Arthroskopie

Viele chirurgische Interventionen am Patienten können heutzutage minimalinvasiv erfolgen. Spezielle Instrumente und Techniken machen es Behandelnden möglich, die OPs ohne größeren Schnitt unter Bildkontrolle am Monitor auszuführen. Zu den minimalinvasiven Operationen gehören laparoskopische Eingriffe (endoskopische Betrachtung des Bauchraums), arthroskopische Eingriffe (Untersuchung eines Gelenks mit Hilfe eines speziellen Endoskops) sowie Punktionen mit oder ohne Injektion (Einstechen in einen Hohlraum des Körpers). Die Patienten profitieren in der Regel von einer kürzeren Rekonvaleszenzphase und von einem besseren kosmetischen Ergebnis.

Dennoch gibt es auch Komplikationsrisiken, etwa Perforationen, Blutungen oder Infektionen. Das Infektionsrisiko ist besonders hoch, wenn Hygieneanforderungen nicht hinreichend beachtet werden. Das Risiko einer Infektion variiert, je nach Art und Ort des Eingriffs. Betroffen sind vor allem Arthroskopien, Punktionen und Injektionen.

Das Robert Koch Institut (RKI) teilt die unterschiedlichen Arten minimalinvasiver Eingriffe in einer Hygienerichtlinie in vier Risikogruppen ein, denen jeweils die entsprechenden Hygieneanforderungen zugeordnet sind. [1].

Bei einer Kortisoninjektion am Kniegelenk beispielsweise – ein Eingriff, der gemäß RKI-Richtlinie zur Risikogruppe drei gehört – ist sowohl bei der Vorbereitung als auch bei der Durchführung äußerste Sorgfalt geboten. Um Infektionsrisiken zu vermeiden, ist die Einhaltung der Asepsis bei der Vorbereitung der Medikamente und Materialien oberstes Gebot. Entscheidend ist hier auch die persönliche Hygiene, d. h. die Händedesinfektion oder das Tragen von Handschuhen, die laut RKI-Empfehlung steril sein sollen.

Fallbeispiel

Welche juristischen Konsequenzen es nach sich ziehen kann, wenn diese Anforderungen keine Beachtung finden, erläutern wir im Folgenden an einem Fallbeispiel aus der Schadendatenbank des Ecclesia Versicherungsdienstes:

„Einem Patienten wird eine Kortisoninjektion in das Kniegelenk injiziert. Im weiteren Verlauf kam es zu einer Infektion, die operativ versorgt werden muss. Der Patient erhebt den Vorwurf, dass die Injektion nicht unter aseptischen Kautelen erfolgt sei und es daher zu der Infektion gekommen sei. Tatsächlich war durch den Arzt kein Handschuhwechsel vor der Injektion vorgenommen worden.“ (aus der Schadenbeschreibung)

Das Unterlassen eines Handschuhwechsels sowie die fehlende Händedesinfektion werden in der juristischen Bewertung als „grob fehlerhaft“ angesehen. Steht wegen einer Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit eines Patienten ein Behandlungsfehlervorwurf im Raum, wertet die Rechtsprechung nach § 630 h V BGB den vorgeworfenen Behandlungsfehler per se als verletzungsursächlich, sofern dieser grundsätzlich geeignet ist, eine Verletzung wie die vorliegende herbeizuführen. Werden also z. B. geltende Hygienestandards, wie etwa die Händedesinfektion, missachtet, gilt dies als „grober Behandlungsfehler“ mit der im BGB geregelten Folge: Es wird gesetzlich vermutet, dass die fehlende Händedesinfektion für den beim Patienten eingetretenen Schaden (Infektion) die Ursache ist. Ein Gegenbeweis ist kaum möglich.

Eine besondere Bedeutung kommt im Hygienemanagement und in der Infektionsprävention auch Behandlungssituationen zu, die in den Bereich des so genannten voll beherrschbaren Risikos fallen, das in § 630 h I BGB gesetzlich definiert ist. Kommt es in einer voll beherrschbaren Situation zu einer Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit eines Patienten, wertet der Gesetzgeber dies als Fehler, der schlichtweg nicht passieren darf und lastet der Behandlungsseite einen groben Behandlungsfehler an.

In Bezug auf das Risiko von Infektionen nach Injektionen ist diese Rechtsfigur insofern bedeutsam, als die Person, welche die Injektion verabreicht, selbst Träger einer Infektion sein und diese durch unzureichende Hygienemaßnahmen auf den Patienten übertragen könnte. Die Verabreichung von Injektionen gilt als „voll beherrschbar“. Eine Konstellation wie oben beschrieben zöge also die richterliche Vermutung nach sich, dass die später eingetretene Infektion beim Patienten auf die bestehende Infektion des Behandlers zurückzuführen ist. Ein Gegenbeweis ist auch hier kaum möglich.

Das Fallbeispiel verdeutlicht, wie wichtig das Einhalten von Hygieneregeln zur Verminderung des Infektionsrisikos ist. Ärzte, Pflegende und sonstige Spezialisten, z. B. aus den Bereichen Technik und Hygiene, sind angehalten, Kontrollmaßnahmen in Bezug auf Themen wie Aufklärung und Diagnostik, Beschreibung des Arbeitsprozesses, Technische Anforderungen oder Infektionskontrolle zu ergreifen. In Tabelle 1 sind die Maßnahmen zur Hygienekontrolle aufgeführt.

Tab. 1: Hygienische Kontrollmaßnahmen aus Sicht des Qualitäts- und Risikomanagements [2]

Themenbereiche
Kontrollmaßnahmen

Aufklärung und Diagnostik

Infektionsscreening

ggf. Isolation

Information und Aufklärung über potenzielle Infektionsgefahr (Risikoaufklärung)

Prüfung und Begründung der Indikation

Untersuchung des Punktats

Beschreibung des Arbeitsprozesses (Verfahrensanweisung und Durchführung der Arthroskopie)

Beachtung der erforderlichen räumlichen Voraussetzungen (vgl. Technik)

Einhaltung der geforderten Hygienekautelen, aseptisches Arbeiten (Einwirkzeit des Desinfektionsmittels, Handschuhe, Kittel, Kopfschutz)

Informationsweitergabe bei Personalwechsel, Übergabe, Visite etc.

Compliance der Mitarbeitenden bezüglich der Beachtung von Standards und Anforderungen

Einhaltung des Zeitrahmens zur Gabe von Antibiotika vor dem Eingriff

Technische Anforderungen

Einhaltung der technischen Anforderungen, wie Raumklassenordnung DIN 1946-4, Filterwechsel etc.

Durchführung und Dokumentation regelmäßiger technischer Überwachungsmaßnahmen/Wartungen (Abstimmung zwischen Hersteller, Nutzer, Krankenhaushygieniker und zuständiger Behörde)

Infektionskontrolle
(Kontrolle des Hygienestandards)

frühzeitiges Erkennen von Entzündungszeichen (Durchführung von Temperaturkontrollen, Hautbeobachtungen etc.) und Dokumentation

regelmäßige Durchführung gezielter Laborkontrollen

Antibiogramm und „rechtzeitige“ antibiotische Therapie

ggf. Hinzuziehung von Wundexperten

Angst vor Keimen – Hygienedruck

Krankenhaushygiene und Infektionsprävention sind sensible Themen, die zunehmend an Bedeutung gewinnen. Laut aktuellen Umfragen haben viele Patienten Angst davor, sich während eines Krankenhausaufenthalts mit einem Keim (MRSA o. ä.) anzustecken oder eine postoperative Wundinfektion zu erleiden [3]. Postoperative Wundinfektionen gehören zu den häufigsten nosokomialen Infektionen, die mitunter fatale Folgen für Patienten haben können. Befördert werden die Ängste durch die Medien. Kommt es zu einem Behandlungsfehler oder bekundet ein Patient lautstark seine Unzufriedenheit mit einer Behandlung, sorgt dies immer häufiger für Schlagzeilen. Das mitunter gewaltige öffentliche Interesse setzt Behandelnde – besonders Ärzte, Pflegekräfte, Therapeuten, das Funktionspersonal in Intensiveinheiten oder Aufnahmestationen sowie OP-Mitarbeitende – regelrecht unter „Hygienedruck“.

Neben der Prüfung technischer Voraussetzungen und der Einhaltung von Standards steht, wie oben bereits erwähnt, die persönliche Hygiene, d. h. die Compliance der Mitarbeiter, im Fokus des Hygienemanagements. Wie im beschriebenen Fallbeispiel können Hygienefehler zu Infektionen führen und so die Verweildauer des Patienten verlängern und die Behandlungskosten in die Höhe treiben. Solche zusätzlichen Kosten belasten die Krankenhäuser. Deshalb wird auch immer wieder diskutiert, wer diese übernehmen soll (Prinzip Pay vor Performance).

Sowohl die Kontrollmaßnahmen als auch die Identifikation und Steuerung kritischer Arbeitsprozesse stellen die Mitarbeitenden im Bereich der Krankenhaushygiene vor besondere Herausforderungen – nicht zuletzt deswegen, weil eine im Krankenhaus erworbene Infektion unweigerlich mit der Qualität der Krankenhausversorgung in Verbindung gebracht wird. Letztendlich steht – vor allem bei medienrelevanten Hygienefehlern – die Reputation der betroffenen Klinik auf dem Spiel.

Tab. 2: Auszüge zu Hygieneanforderungen in Zertifizierungsverfahren für Krankenhäuser

KTQ, Version 6/2009:
Hygienemanagement-Plan
KTQ, Version 6/2009:
Infektionsmanagement-Plan
Joint Commission International: Akkreditierungsstandards für
Krankenhäuser, 5. Ausgabe

Regelung der Verantwortlichkeiten für die Belange der Hygiene in allen Bereichen des Krankenhauses

festgelegte Informationswege und die Form der Informationsübermittlung, wenn hygienische Mängel auftreten bzw. hygienisches Fehlverhalten erkennbar wird

Dienst- und Verfahrensanweisungen (z. B. Hygienepläne) sowie deren regelmäßige Aktualisierung, Dokumentation und Hinterlegung

Regelung zur Einhaltung der Richtlinien und Empfehlungen bezüglich der Krankenhaushygiene; Bekanntmachung an die Mitarbeitenden

Planung hygienesichernder Maßnahmen (z. B. Infektionsschutzgesetz, nosokomiale Infektionen)

Vorgaben zum Umgang mit Patienten, die mit speziellen Infektionserregern (MRSA, VRE, HIV, Hepatitis, TBC) infiziert sind

Sicherstellung, dass das Regelwerk zum Umgang mit derart infizierten Patienten die Organisations- und Funktionsabläufe differenziert und umfassend beschreibt

Konzept für den Einsatz von Schutzausrüstungen für die Mitarbeiter

Planung des Infektionsmanagements bei akuten viralen Infektionen (z. B. Norovirus)

Planung von Maßnahmen zur Verbesserung der Händedesinfektion (z. B. Ausstattung mit Desinfektionsmittelspendern, Compliance der Mitarbeiter, Aktion „Saubere Hände“)

Planung von Screeningverfahren
(z. B. MRSA)

Konzeption zur Vermeidung von Infektionen durch die Wasserversorgung (z. B. Legionellen)

Schulungen über Infektionsprävention und -kontrolle für alle Krankenhausmitarbeitenden sowie andere Fachkräfte

Aufklärungsschulungen über Infektionsprävention und -kontrolle für Patienten und Angehörige

Schulung aller Mitarbeitenden zu Leit- und Richtlinien, Verfahren und Methoden des Programms sowie zur Infektionsprävention und -kontrolle

regelmäßige Schulungen als Reaktion auf signifikante Trends bei Infektionsdaten

Veröffentlichung der Ergebnisse und Trends der Messaktivitäten im gesamten Krankenhaus; auch als Bestandteil regelmäßiger Schulungen

Nicht von ungefähr kommen die Forderungen des Gesetzgebers an die Akteure im Gesundheitswesen, Mindestanforderungen an das Risikomanagement umzusetzen, Qualitätsindikatoren zu prüfen und Nachweise über die zur Verbesserung der Patientensicherheit ergriffenen Maßnahmen darzulegen. Zur Vermeidung von Infektionen sind Präventionsmaßnahmen zu etablieren, die kontinuierlich von den Verantwortlichen und Prozesseignern in den klinischen Bereichen evaluiert und angepasst werden müssen. Es empfiehlt sich, interne Mängellisten zu hygienerelevanten Abläufen zu erstellen und diese kontinuierlich zu aktualisieren bzw. zu bearbeiten.

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Organisationen, in denen Behandlungsverfahren regelmäßig auch hinsichtlich der Einhaltung der Hygieneanforderungen geprüft werden, erkennen Abweichungen früh und können schnell entsprechend reagieren. Im Sinne eines Hygienecontrollings ist neben Abweichungen von der guten Praxis das Augenmerk beispielsweise auch auf Beinaheereignisse (CIRS) zu richten. Zudem sei dringend angeraten, die Mitarbeiter in regelmäßigen Abständen in Bezug auf die Hygieneanforderungen zu schulen.

Zahlreiche Reglementierungen und Verordnungen zur Krankenhaushygiene auf Bundes- und Landesebene sind im Infektionsschutzgesetz verankert, das u. a. den Empfehlungen der KRINKO und der Kommission ART verbindlichen Charakter gibt. Auch internationale und nationale Vorgaben, wie sie etwa die Qualitätsmanagementverfahren der Joint Commission (JCI) und die Kooperation für Qualität und Transparenz im Gesundheitswesen (KTQ) vorgeben, geben Praktikern wertvolle Hilfestellungen bei der Umsetzung und Überprüfung der Qualitäts- und Risikomanagementanforderungen für die Infektionsprävention. In die Kataloge der JCI und der KTQ wurden spezifische Anforderungen an die Hygiene, an technische Aspekte sowie Schulungsmaßnahmen aufgenommen. Grundlagen sind der PDCA-Zyklus (Demingkreis: Plan – Do – Check – Act) und definierte Prozessvorgaben/Standards, deren Einhaltung regelmäßig evaluiert werden muss.

Einige der spezifischen Hygienevorgaben aus den Katalogen der einzelnen Zertifizierungsgesellschaften sind beispielhaft in Tab. 2 aufgeführt [4,5].

Aus Sicht des Risikomanagements lässt sich durch eine stringente Informationsvermittlung, durch die Vorgabe von Hygieneplänen und Hygieneordnungen sowie durch die Überprüfung der Mitarbeiter-Compliance ein erfolgreiches und nachhaltiges Hygienemanagement erreichen. Zur Steuerung genutzt werden sollten Hygienekriterien bzw. Indikatoren, mit denen Abweichungen in der Prozessqualität frühzeitig erkannt werden können. Wichtig ist, dass die Prozessbeschreibungen/Verfahrensanweisungen von Hygieneexperten justiert und verabschiedet werden. Generell sollten die Prozesse mit Hilfe des PDCA-Zyklus nachhaltig gesteuert werden. In der Schrittfolge Plan – Do – Check – Act sollten auch Zwischenschritte prüfbar sein. Ebenfalls empfehlenswert ist es, das System regelmäßigen Effektivitätschecks zu unterziehen.

Um Hygienerisiken in der Praxis zu identifizieren und die Compliance der Akteure zu überprüfen, sind Hygieneaudits sinnvoll. Die Ergebnisse der Audits können zur weiteren Optimierung der Hygieneprozesse herangezogen werden. Zudem sollte kontrolliert werden, ob die an den Prozessen Beteiligten regelmäßig an den Pflichtfortbildungsveranstaltungen zu hygienischen Themen teilnehmen. Auch Lernzielkontrollen sind empfehlenswert. Bei Unregelmäßigkeiten sollte die Leitungsebene entsprechend reagieren.

Literatur

[1] Robert Koch Institut, Anforderungen der Hygiene bei Operationen und anderen invasiven Eingriffen, 2010, im Web abrufbar über: www.rki.de/DE/Content/Infekt/Krankenhaushygiene/Kommission/Downloads/Op_Rili.pdf?__blob=publicationFile.

[2] Raumlufttechnik – Teil 4: Raumlufttechnische Anlagen in Gebäuden des Gesundheitswesens; DIN 1946-4:2008:12.

[3] ASKLEPIOS-KLINIKEN: Umfrage: Klinik-Patienten fürchten vor allem multiresistente Keime, 2015, im Web abrufbar über: www.shz.de/hamburg/umfrage-klinik-patienten-fuerchten-vor-allem-multiresistente-keime-id10720341.html.

[4] KTQ. Kooperation für Transparenz und Qualität in der Gesundheitsversorgung. KTQ Manual, Version 6.0, 2009 (www.ktq.de).

[5] Joint Commission International. Akkreditierungsstandards für Krankenhäuser, German, 104.2014. 5. Ausgabe.

Krause A. / Bruelheide N. Safety Clip: Hygienemanagement und Infektionsprävention – Hygienefehler am Beispiel Arthroskopie. Passion Chirurgie. 2015 Dezember; 5(12): Artikel 03_04.

Safety Clip: Risikokennzahlen in der Chirurgie

Seit Implementierung der ersten Qualitätsmanagementverfahren sind Gesundheitseinrichtungen bestrebt, systematisch Kennzahlen zur Qualitätsmessung in Versorgungsprozessen einzuführen. Qualitätskriterien im Gesundheitswesen orientieren sich an spezifischen Vorgaben wie der kürzlich erschienenen Norm ISO 15224 sowie an den Zertifizierungsverfahren der Joint Commission International (JCI) und der Kooperation für Transparenz und Qualität in der Gesundheitsversorgung (KTQ) oder, für konfessionelle Einrichtungen, der proCum Cert (pCC).

Ausgerichtet auf die Erhöhung der Patientensicherheit im Gesundheitswesen werden Empfehlungen von Institutionen wie z. B. dem Aktionsbündnis Patientensicherheit (APS) oder der World Health Organization (WHO) ausgesprochen. Internationale Evaluationen haben gezeigt, dass die Nutzung von Patientensicherheitschecks in der jüngeren Vergangenheit nachweislich zur Senkung der Mortalität in den Einrichtungen geführt hat. Dies sollte als Begründung für ihre Nutzung ausreichen.

Ein wichtiges Sicherheitstool, mit dem die Empfehlungen des APS und der WHO umgesetzt wurden, ist die OP-Sicherheitscheckliste, die seit 2008 in vielen deutschen Operationssälen Einzug gehalten hat. Die OP-Sicherheitscheckliste kann als Kennzahl für die Patientensicherheit dienen, indem ihre systematische Nutzung ausgewertet wird. Dabei werden Durchdringung und Akzeptanz der Checkliste bewertet. Dadurch kann die Sicherheit des operativen Prozesses verbessert werden.

Bei der Anwendung von Kennzahlen ist es wichtig, entsprechende Zielvorgaben festzulegen, um die Prozesse kontrollieren zu können. Mit der Einführung eines Risikomanagements stehen Krankenhäuser nicht nur vor der Herausforderung, eine Sicherheitskultur zu implementieren, sondern sie müssen auch die erforderliche Akzeptanz und Durchdringung in der Anwendung erreichen.

Laut Online-Verwaltungslexikon „olev.de“ sind Kennzahlen wie folgt definiert:

„Zahlenwerte, die Eigenschaften abbilden, im Zusammenhang mit Management: quantitative Informationen mit besonderer Aussagekraft, insbesondere über Ziele und die Zielerreichung („Mit Kennzahlen sollte gemessen werden, wovon man mehr oder weniger haben möchte“). Die Eigenschaften werden nach einer Messvorschrift ermittelt und als Zahlenwert dargestellt.

Kennzahlen können Zustände, Eigenschaften, Leistungen des Systems oder (…) seine Wirkungen abbilden (Ist-Werte), sie können diese Werte als Zielgrößen (Soll-Werte, operationale Ziele, …) festlegen und ermöglichen damit den Vergleich mit Ist-Werten und das Ausmaß der Zielerreichung. Sie lassen Entwicklungen im Zeitverlauf erkennen und ermöglichen den Vergleich mit anderen (Benchmarking). Sie sind ein wichtiges Instrument des Controlling.“ [1]

Prozess- und Ergebnisqualität

Wichtige Grundlage für eine strukturierte und nachhaltige Steuerung von Risikoprozessen bei der Behandlung von Patienten ist deren systematische Kontrolle. So lassen sich Arbeitsprozesse absichern und die Risiken bei der Versorgung der Patienten reduzieren. Um Prozessqualität zu erlangen, muss ein Ziel festgelegt und erreicht werden. Dabei sind die einzelnen Prozessschritte und Verantwortlichkeiten zu dokumentieren und die Zwischenergebnisse zu messen.

Zur Steuerung der Arbeitsprozesse wird in allen Qualitäts- und Risikomanagementverfahren zur Verbesserung der Prozessqualität der PDCA-Zyklus verwendet (Plan-Do-Check-Act).

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PDCA

Erläuterung

Entspricht im Krankenhaus der Ausprägung

PLAN

Ist-Situation,
Ziel- und Prozessplanung, Regelungen bzgl. der Verantwortlichkeit

– Das Vorgehen ist fundiert

– Es gibt explizit nachweisbare kriteriumsabhängige Planungen

DO

Umsetzung in die Praxis

– Das Vorgehen ist strukturiert umgesetzt

CHECK

Überprüfung

 

– Die Effektivität des Vorgehens und der Umsetzung werden regelmäßig gemessen

ACT

Ableitung von Verbesserungsmaßnahmen

– Lernorientierte Aktivitäten werden genutzt, um beste Praktiken und Verbesserungsmöglichkeiten zu identifizieren und mit anderen zu teilen

– Die Ergebnisse der Messungen und lernorientierten Aktivitäten werden analysiert und genutzt, um Verbesserungen zu identifizieren, zu priorisieren, zu planen und einzuführen

Mit dem PDCA-Regelkreis können die Prozessverantwortlichen Arbeitsabläufe beschreiben und diese mit Hilfe der Prüfschritte regelmäßig weiterentwickeln.

Gefahrgeneigte Abläufe wie die operative Versorgung können somit genau geplant, durchgeführt und kontrolliert werden. Werden bei der Prüfung der Abläufe (Check) Mängel in der Umsetzung festgestellt, lässt sich aus diesen lernen. Die neu gewonnenen Erkenntnisse dienen dazu, Aktivitäten abzuleiten und so die Versorgung des Patienten sicherer zu gestalten (Act).

Dieser kontinuierliche Verbesserungsprozess ist das Ziel des PDCA-Zyklus. Die beim Check identifizierten Verbesserungen werden umgesetzt und fließen in die neue Planung ein. In der Praxis bedeutet dies, dass eine Prozessregelung erfolgt, indem Standards, Leitlinien, Verfahrensanweisungen usw. dem Gelernten angepasst werden. Hierbei handelt es sich um ein in der Medizin seit jeher praktiziertes Qualitätsverfahren, das auf die unterschiedlichsten Bereiche angewendet werden kann.

Prozesssteuerung

Aufgabe eines Risikomanagements ist es, die Qualitätsprozesse zu justieren, um unerwünschte Ereignisse und Patientenschädigungen zu minimieren. Um Prozesse gezielt zu sichern, sollten z. B. Erkenntnisse aus Schadenursachenanalysen und aus CIRS-Meldungen berücksichtigt werden. Die monetäre Bedeutung von unerwünschten Ereignissen oder Schäden, ihre Eintrittswahrscheinlichkeit und ihre Auswirkungen auf Patienten, Mitarbeiter und die Organisation (Reputation) sowie die Erkennbarkeit von Risiken stehen im Fokus der Risikobetrachtung.

Aus Fehlern lernen bedeutet, dass sich jeder Prozessverantwortliche des Fehlerspektrums in seinem Verantwortungsbereich bewusst ist und eine Bewertung der Risiken vorgenommen hat. Sind die typischen Fehler eines Bereichs identifiziert und priorisiert, geht es darum, mit geeigneten Kennzahlen eine effiziente Kontrolle und Steuerung der Prozesse zu erreichen.

Mit dem krankenhausspezifischen Kriterienkatalog der KTQ erhalten die Krankenhäuser bereits konkrete Vorgaben zur Steuerung der qualitäts- und risikorelevanten Prozessschritte [2]. Im KTQ-Verfahren, Version 6.0 (s. u. Auszug Qualitätskriterium 1.4.3 Operative Verfahren) heißt es beispielsweise:

„Beschreiben Sie mit welchen Kennzahlen, Messgrößen und Methoden die regelmäßige, nachvollziehbare Überprüfung und Bewertung der im Plan und Do dargestellten Vorgaben, Maßnahmen und Prozesse erfolgt:

Die OP-Organisation, -Auslastung, -Wechselzeiten, die Erhebung von betriebswirtschaftlichen Kennzahlen (z. B. Schnitt/Naht-Zeit, Rüstzeiten, Auslastung)

Die Erfassung und Analyse von abgesetzten Eingriffen

Die Befragungsergebnisse von Patienten und Angehörigen (z. B. zur Aufklärung und Einbeziehung des Patienten, der Angehörigen, zur Verständlichkeit des Informationsmaterials)

Die Befragungsergebnisse einweisender Ärzte

Die Überprüfung der Anwendung von Leitlinien und hausinternen Vorgaben (z. B. Patientenpfade, Standards)

Die Auswertung von Komplikationen (Verwechslungen, Berücksichtigung von Risiken, sentinel events)

Den Abgleich der Ergebnisse mit anderen Abteilungen bzw. Einrichtungen

Typische Risikothemen sind grau hinterlegt.

Festlegung geeigneter Kennzahlen (Kennzahlenquellen)

Die Prozessverantwortlichen stehen derzeit vor der Herausforderung, eine Vielzahl unterschiedlicher Kennzahlenquellen zu sichten und diese mit den Prozessmängeln im eigenen Bereich abzugleichen bzw. für den eigenen Bereich geeignete Kennzahlen zu identifizieren.

Um die Akzeptanz bei der späteren Anwendung zu erhöhen, sollte bei der Priorisierung der Kennzahlen möglichst interprofessionell vorgegangen werden. Die Anzahl der Kennzahlen sollte begrenzt sein, um den administrativen Aufwand möglichst gering zu halten und die Akzeptanz im Mitarbeiterkreis zu erhalten. Nicht die Summe der identifizierten Kennzahlen ist entscheidend, sondern deren Qualität entsprechend den vorgegebenen Erwartungen und Zielvorgaben.

Die Prozessverantwortlichen in den operativen Bereichen müssen sich beim Umgang mit Kennzahlen des Aufwands und der erwarteten Effekte bewusst sein. Nach einer strukturierten Einführung des Kennzahlenverfahrens besteht die reelle Chance, eine effiziente Kontrolle über klinische Risikoprozesse und so eine bessere Patientensicherheit zu erzielen. Zudem wird der Aufwand umfassender Auditierungen durch die gezielte Anwendung von Kennzahlen reduziert.

Die Kliniker sollten alle technischen Möglichkeiten nutzen, um die systematische Kontrolle der Kennzahlen mit möglichst geringem Aufwand zu gewährleisten – vor allem bei engen personellen Ressourcen. Sowohl Prozesseigner als auch Prozessverantwortliche sind in hohem Maße gefordert, das Verfahren zu unterstützen. Erfolgreich sind diejenigen Organisationen, die es schaffen, Rahmenbedingungen einer Sicherheitskultur vorzugeben, die einen offenen Umgang mit kritischen Prozessen/Risikokennzahlen ermöglichen.

Typische Kennzahlenquellen

Zur Identifikation und Festlegung von Kennzahlen zu nutzen sind hausintern zunächst die Ergebnisse aus Befragungen, Auditierungen und Gefährdungsanalysen, ebenso wie aus Beschwerde- und CIRS-Meldungen, aus Protokollen von M&M-Konferenzen und Fallbesprechungen sowie aus dem Schadenmanagement und Pharmakologischen Visiten.

Über die genannten Tools hinaus kann eine Fülle internationaler Verfahren herangezogen werden, mit denen sich Risiken im Bereich der Patientensicherheit erkennen und eindämmen lassen. Werden diese Vorgaben kritisch reflektiert mit der eigenen Prozessqualität abgeglichen, können geeignete klinische Kennzahlen zum Thema Patientensicherheit leichter identifiziert werden. Wichtig ist die Abstimmung mit den jeweils verantwortlichen Prozesseignern.

Weitere Kennzahlenquellen (Beispiele)

  • Ergebnisse aus der Anwendung des Global Trigger Tools (GTT)
  • Patientensicherheitsindikatoren (AHRQ)
  • Never Events (Nationales Qualitätsforum Health Care „Never Events“)
  • Qualitätsindikatoren für kirchliche Krankenhäuser (QKK)
  • High 5’s Action on Patient Safety (WHO)

Kernprozess OP (Beispiele)

Tab. 1: Später in Rente

Zielvorgabe

Kennzahl

Instrument

< 3 x pro Monat

Anzahl unvollständig vorbereiteter Patienten

OP-Checkliste

keine Abweichung

Kennzeichnung des OP-Feldes

OP-Checkliste

keine Abweichung

Durchführung Team-Time-out

OP-Checkliste

< 3 x pro Monat

Abgesetzte OPs (Koordinationsmangel)

OP-Checkliste

Strategisches Ziel ist die optimale Koordination der Behandlungsabläufe zur Gewährleistung der Patientensicherheit.

Resümee

Unter Heranziehung der Kennzahlen werden Prozessabweichungen gemessen. Mit fortschreitender Risikominimierung müssen die Prozessverantwortlichen Grenzwerte bzw. Zielvorgaben mit Hilfe des PDCA-Zyklus an den jeweils erreichten Sicherheitsgrad anpassen. Damit ist der Nachweis eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses erbracht.

Für die Mitarbeiter ist es wichtig, die Zielvorgaben mit möglichst geringem Erhebungsaufwand zu realisieren. Verantwortlich für die qualitative Überprüfung und Bewertung der Prozesse sind und bleiben die Prozessverantwortlichen in den verschiedenen Arbeitsbereichen.

Mit Einführung eines schlanken und effektiven Kennzahlenverfahrens kann man die Qualität von Risikoaudits steigern und den zeitlichen Aufwand reduzieren. Letzteres ist vor dem Hintergrund geringer personeller Ressourcen von besonderer Bedeutung. Daher sollten die Verantwortlichen die Einführung von Kennzahlen unterstützen.

Wenn es um das klinische Risikomanagement geht, steht die Patientensicherheit international und national zunehmend im Fokus. Die effektive Nutzung von Kennzahlen in der Chirurgie trägt dazu bei, die Sicherheit für Patienten zu erhöhen. Externe Institutionen wie z. B. die Versicherungswirtschaft können die Effizienz des Risikomanagements erkennen und bewerten. Ebenfalls nicht zu vergessen ist der positive Effekt zur Verbesserung der Reputation der Einrichtung und seiner Mitarbeiter.

Literatur

[1] http://www.olev.de/k/kennz.htm

[2] KTQ Kriterienkatalog Version 6.0 (2012)

Safety Clip: Was bringt die Norm DIN EN 15224?

Zertifizierung von Gesundheitseinrichtungen – Neue europäische ISO-Norm

Die DIN EN 15224 ist eine für das Gesundheitswesen spezifische Zertifizierungsnorm. Sie bildet Qualitäts- und Risikomanagementanforderungen ab, die an die klinischen Bereiche von Krankenhäusern bzw. Einrichtungen der Gesundheitsversorgung adaptiert sind. Nach annähernd zehnjähriger Entwicklungszeit steht mit der DIN EN 15224 neben der ISO 9001:2008 ein eigenständiges Zertifizierungsverfahren für den Gesundheitssektor zur Verfügung.

Das Besondere daran sind die Vorgaben neuer Qualitätsmerkmale und die stärkere Berücksichtigung des Risikomanagements mit Schwerpunkt auf den klinischen Bereichen der Krankenhäuser bzw. der Einrichtungen in der Gesundheitsversorgung. Die Norm stellt hohe Anforderungen an die Patientensicherheit, was an verschiedenen Stellen der Vorgaben deutlich wird.

Basierend auf der ISO 9001:2008, versteht sich die DIN EN 15224 als erste eigenständige europäische Nachweisnorm für Qualitätsmanagementsysteme aller Einrichtungen des Gesundheitswesens.

In der DIN EN 15224 werden die spezifischen Anforderungen des Gesundheitssektors in Form eines Leitfadens interpretiert und ausformuliert. Nach der Akkreditierung durch die Deutsche Akkreditierungsstelle (DAkkS) können anerkannte Zertifizierungsstellen diese eigenständige Norm bei der Zertifizierung von Gesundheitseinrichtungen nun anwenden.

Gliederung der Norm

Die neue Norm ist in Hauptkapitel gegliedert, die identisch mit denen der ISO 9001:2008 sind:

  • Allgemeines
  • Normative Verweise
  • Begriffe
  • Qualitätsmanagementsystem
  • Verantwortung der Leitung
  • Management von Ressourcen
  • Realisierung der Dienstleistung in der Gesundheitsversorgung
  • Messung, Analyse und Verbesserung

Die Grundsätze einer „lernenden Organisation“ wurden ebenfalls in die Norm aufgenommen:

  • Kundenorientierung
  • Führung
  • Einbeziehung des Personals
  • Prozessorientierter Ansatz
  • Systemorientierter Managementansatz
  • Ständige Verbesserung
  • Sachbezogene Herangehensweise an das Treffen von Entscheidungen
  • Lieferantenbeziehungen von gegenseitigem Vorteil

Die Gliederung macht deutlich, dass die DIN EN 15224 den prozessorientierten Ansatz der ISO 9001:2008 übernommen hat.

Folgende Prozesstypen für die Organisationen der Gesundheitsversorgung werden in der neuen Norm benannt:

  • a.  klinische Prozesse
  • b.  Forschung
  • c.  Ausbildung

Der Hauptfokus der Norm liegt auf den klinischen Prozessen, also den Kernleistungen der Patientenversorgung. Einbezogen sind alle Aktivitäten und Berufsgruppen in den Einrichtungen der Gesundheitsversorgung. Auf diese Weise wird der gesamte Prozess berücksichtigt, beginnend bei der (stationären) Aufnahme einschließlich typischen Patientenfragen über die Behandlung bis hin zur Entlassung oder Überleitung der Patientinnen und Patienten.

Basierend auf der ISO 9001:2008 gelten die Anforderungen an ein dokumentiertes Qualitätsmanagementsystem, dessen Effektivität ständig verbessert werden soll. Dies schließt die Dokumentenverwaltung (Aktualität, Verfügbarkeit, Auffindbarkeit) ebenso mit ein wie die Organisation und Durchführung interner Audits und, damit einhergehend, natürlich auch den Umgang mit Komplikationen und Fehlern.

Qualitätsmerkmale in der Gesundheitsversorgung

Die DIN EN 15224 basiert auf insgesamt elf übergeordneten Qualitätsmerkmalen in der Gesundheitsversorgung. Neben den klinischen Prozessen berücksichtigt die Norm auch Bildungs- und Forschungsprozesse. Alle Entwicklungen müssen einer strukturierten Risikobewertung unterzogen werden. Darunter fällt nicht nur der Forschungsbereich, sondern beispielsweise auch die Einführung neuer Operationsmethoden oder die Anschaffung neuer Gerätschaften.

Ein besonderer Schwerpunkt der DIN EN 15224 liegt auf der Einbindung von Elementen des klinischen Risikomanagements, also auch der Kontrolle klinischer Risiken. Es ist demnach Aufgabe des Managements, kontinuierlich Risikobewertungen vorzunehmen sowie unerwünschte Ereignisse, Zwischenfälle und Beinahe-Zwischenfälle zu beobachten und entsprechende Maßnahmen der Risikominimierung einzuleiten.

Tab. 1: Qualitätsmerkmale in der Risikobewertung

Qualitätsmerkmale Erläuterung
a. angemessene Versorgung Einschätzung des gesundheitlichen Zustands durch den Therapeuten/die Therapeutin sowie Untersuchung und Behandlung des Patienten/der Patientin ohne bzw. mit nur geringfügigen Komplikationen oder Nebenwirkungen
b. Verfügbarkeit Erreichbarkeit von Dienstleistungen der Gesundheitsversorgung für den Patienten/die Patientin, der/die diese erhält
c. Kontinuität der Versorgung nahtlose Dienstleistungskette der Gesundheitsversorgung für den Patienten/die Patientin (Überweisung – Versorgung – Behandlung – Rehabilitation – Nachsorge)
d. Wirksamkeit positive Ergebnisse für den Patienten/die Patientin aufgrund der Tätigkeiten der Gesundheitsversorgung in möglichst kurzer Zeit
e. Effizienz minimaler Ressourceneinsatz zur Erzielung des für den Patienten/die Patientin erwarteten Ergebnisses
f. Gleichheit einheitliche Versorgung für Patienten/Patientinnen mit gleichartigen Erfordernissen
g. evidenzbasiert/wissensbasiert Untersuchungen und Behandlungen in der Gesundheitsversorgung auf Basis wissenschaftlich fundierter Tatsachen und/oder auf Basis von Erfahrungen und Wissen bzw. bester Praxis
h. an körperlicher und geistiger Unversehrtheit orientierte Versorgung Konzentration der Gesundheitsversorgung auf die Sichtweise des Patienten/der Patientin unter der Voraussetzung seines/ihres Einverständnisses und mit Blick auf seine/ihre körperliche und psychologische Unversehrtheit
i. Mitwirkung des Patienten/der Patientin nach Möglichkeit aktive Einbeziehung (In-Kenntnis-Setzung bzw. Befragung) des Patienten/der Patientin in alle an ihm/ihr geplanten oder vorgenommenen Behandlungen
j. Patientensicherheit Anerkenntnis der mit den Vorgängen der Gesundheitsversorgung verbundenen Risiken, Vorbeugung gegen vermeidbare Schäden am Patienten/an der Patientin
k. Rechtzeitigkeit/Zugänglichkeit keine unzumutbaren Wartezeiten bis zum Erhalt der Dienstleistungen in der Gesundheitsversorgung

Vorteile für die Mitarbeitenden

Risikomanagement/Patientensicherheit: Die Umsetzung eines klinischen Risikomanagements, wie es in der Norm verpflichtend vorgesehen ist, trägt entscheidend dazu bei, die Arbeit der Ärzteschaft und der Pflegenden sowie den Fortbestand der Einrichtung zu sichern. Risikomanagement (RM) hat einen besonderen Wert für Gesundheitseinrichtungen und verbessert deren Reputation.

Mit Integration eines RM werden sie zudem den Anforderungen von Versicherern gerecht. Für ein umfassendes RM-System ist die Integration der Normen ISO 31000 oder ONR 49001 möglich. Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf Patientenorientierung und Patientensicherheit.

Branchenstandard: Die DIN EN 15224 wurde – basierend auf der bewährten ISO 9001:2008 – als neuer Branchenstandard in der EU erstellt (Europäische Gesamtstrategie). Sie ist eine unabhängige Norm und ausschließlich für die Zertifizierung von Einrichtungen des Gesundheitswesens vorgesehen – wobei eine gute Verbindung mit Normen anderer Bereiche (z. B. Arbeitsschutz, Umweltmanagement, Technische Verfahren, IT) gewährleistet ist, um die Gesamtzertifizierung von Organisationen im Sinne eines integrierten Managementsystems zu erleichtern. Dass die Norm Qualitäts- und Risikomanagementaspekte integriert, ist hilfreich für die Akteurinnen und Akteure in den Gesundheitseinrichtungen.

Akzeptanz: Die gute Lesbarkeit der Normvorgaben und ihre gegenüber der ISO 9001:2008 bessere Verständlichkeit wird die Akzeptanz bei den Mitarbeitenden in Gesundheitseinrichtungen erhöhen. Die DIN EN 15224 berücksichtigt neben der wissenschaftlichen Arbeit und der Forschung auch ethische Aspekte, evidenzbasiertes Arbeiten (EBM, EBN) sowie die Ausbildung und die Patientenrechte (Würde und Unversehrtheit).

Klinische Prozesse: Mit der DIN EN 15224 erhalten Klinikmitarbeitende eine für das Gesundheitswesen eigenständige Zertifizierungsnorm, in der Risikomanagement verpflichtend aufgenommen ist. Die systematische Organisation, Prüfung und Justierung der Behandlungsprozesse bezüglich Richtigkeit, Angemessenheit und Effizienz wird die Sicherheit der Patienten verbessern. Die Methoden des RM (z. B. CIRS, Beschwerdemanagement, Risikobewertung, Review) sowie das kennzahlengestützte Controlling der Prozesse haben positive Auswirkungen auf sämtliche Patientenversorgungsprozesse.

Das Ziel: Ärztinnen und Ärzte, Pflegende, Therapeutinnen und Therapeuten sowie die anderen Berufsgruppen sollen die Versorgung der Patientinnen und Patienten unter „beherrschten Bedingungen“ sicherstellen. An die Kompetenz des internen und externen Personals werden besondere Anforderungen gestellt.

Medizinische Fachkräfte und Pflegende sind angehalten, ihr Handeln an den definierten Qualitätsmerkmalen auszurichten. Diagnostik, Untersuchung, Behandlung und Therapie sollen auf wissenschaftlich fundierten Tatsachen begründet und nach den Standards der „Best Practice“ ausgestaltet sein.

Diskussion und Ausblick

Die DIN EN 15244 beinhaltet Vorgaben für Organisationen der Gesundheitsversorgung, welche die europäischen Anforderungen an ein einrichtungsinternes Qualitätsmanagementsystem widerspiegeln. Es bleibt abzuwarten, ob die neue europäische Norm zu einer Harmonisierung der unterschiedlichen Qualitätsauffassungen in den Gesundheitseinrichtungen führen wird.

Die besondere Stärke der Norm ist zweifelsohne ihre Orientierung an der erfolgreichen internationalen DIN EN ISO 9001:2008, einschließlich Definition und Überwachung von klinischen Prozessen. Mit der Integration eines klinischen Risikomanagements nach DIN EN 15244 werden bereits festgelegte und in Ausformulierung befindliche behördliche Anforderungen berücksichtigt, was die Norm auch für Häuser, die sich zum ersten Mal zertifizieren lassen, besonders attraktiv macht.

Für Organisationen, die bereits erfolgreich eine Zertifizierung nach DIN EN ISO 9001:2008 absolviert haben, kann die Erweiterung um die DIN EN 15244 für die nächste Rezertifizierung mit eingeplant werden, wenn die Integration des klinischen Risikomanagementansatzes systematisch erfolgen soll.

Maßnahmen des klinischen Risikomanagements sind nicht nur gesetzlich vorgeschrieben (vgl. „Patientenrechtegesetz“ im BGB sowie § 137 SGB V), auch die wenigen Haftpflichtversicherer, die heute noch Heilwesen-Haftpflichtschäden zeichnen, fordern vor Vertragsabschluss die Einführung eines funktionierenden klinischen Risikomanagementsystems.

Normen wie die DIN EN 15224 oder Risikomanagement-Normvorgaben wie ISO 31000 bzw. die ONR 49001 sind sehr hilfreich für den Aufbau eines solchen Systems, das der Sicherheit der Patientinnen und Patienten dient – und somit auch die Mitarbeitenden und die Organisation selbst schützt.

Quellen

  • DIN EN 15224, Dienstleistungen in der Gesundheitsversorgung – Qualitätsmanagementsysteme – Anforderungen nach EN ISO 9001:2008; deutsche Fassung EN 15224:2012, Deutsches Institut für Normung, 2012
  • DIN EN ISO 9001 (2008), Qualitätsmanagementsysteme – Anforderungen (ISO 9001:2008), dreisprachige Fassung EN ISO 9001:2008, Ausgabedatum: 2008-12, Deutsches Institut für Normung, 2008
  • Paschen U., Die DIN EN 15224:2012 – der neue Standard für QM-Systeme in Organisationen der Gesundheitsversorgung und die Konformitätsbewertung, in: Interdisziplinäre Beiträge zum Krankenhaus-Management – Medizin – Patientensicherheit – Ökonomie, publiziert am 27.06.2013 / Artikel-Id #012

Krause A. Safety Clip: Was bringt die Norm DIN EN 15224? Passion Chirurgie. 2013 Oktober; 3(10): Artikel 03_02a.

Safety Clip: Klinisches Risikomanagement in medizinischen Zentren – welchen Nutzen bringt die Norm ISO°31000?

Immer mehr Haftpflichtversicherer knüpfen die Übernahme von Haftungsrisiken an das Vorhandensein eines systematischen Risikomanagements (RM) im Krankenhaus bzw. in medizinischen Zentren. Die Versicherungswirtschaft wird zukünftig nicht nur verstärkt Bedingungen formulieren, wie ein Risikomanagementsystem (RMS) wirken soll, sondern auch die dafür relevanten Kriterien systematisch prüfen. Auch gewinnt das professionelle Managen von Maßnahmen zur „Patientensicherheit“ zunehmend an Bedeutung. Um die Prozessrisiken in einer Organisation mit System in den Griff zu bekommen, wird die Nutzung eines RMS immer wichtiger – nicht nur, um Haftungsrisiken zu minimieren, sondern auch, um der Verantwortung den Patienten gegenüber gerecht zu werden.

Die Norm ISO 31000 gibt einen weltweit gültigen Standard zum Thema Risikomanagement vor. Die Anwendung ist für ein gesamtes Krankenhaus ebenso wie für ein medizinisches Zentrum möglich (z.B. Darmzentrum, Brustzentrum).

Wir beleuchten mit diesem Beitrag den Nutzen eines klinischen Risikomanagementsystems (kRM) nach ISO 31000 sowie die Anforderungen, die bei der Einführung eines solchen Systems an die Organisation gestellt werden. Der Fokus liegt dabei auf medizinischen Zentren, da die multiprofessionelle Patientenversorgung hier besonders ausgeprägt und somit die Organisation vieler interner und externer Prozessschritte aus Sicht des Risikomanagements erforderlich ist.

Anforderungen und Nutzen

Die Einführung eines RMS in einem medizinischen Zentrum erfordert zunächst, dass die Leitung sich intensiv mit den risikorelevanten Prozessen auseinandersetzt. Der Risikomanager, der für den Aufbau des Verfahrens verantwortlich ist, muss von der Leitung und den Prozesseignern effektiv unterstützt werden. Konkrete Hinweise zu personellen Erfordernissen an RM-Verantwortliche finden sich in der Norm ONR 49003.

Entscheidend für den Erfolg eines kRM ist dessen systematische Integration ins Qualitätsmanagement sowie die gezielte Beschreibung und Justierung der identifizierten risikorelevanten Prozesse. In den von der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) herausgegebenen Qualitätsstrukturdaten plus Kennzahlen zur Zertifizierung von Zentren sind wesentliche Risikoprozesse bereits definiert. Darüber hinaus sind die spezifischen Risiken des medizinischen Zentrums zu organisieren, ebenso strategische und ökonomische Risiken.

Mit Hilfe eines RMS nach ISO 31000 lassen sich risikoreiche Prozesse in medizinischen Zentren gezielt und frühzeitig identifizieren. Dabei sind Risikoindikatoren zu ermitteln, auszuwerten und zu berichten. Um den ermittelten Risiken zu begegnen, muss die Führung des medizinischen Zentrums in der Lage sein, schnell und effektiv risikomindernde Maßnahmen einzuleiten. So können Risiken nachhaltig reduziert oder, wenn sie sich verwirklicht haben, gezielt behandelt werden.

Ein funktionierendes RMS hilft der Organisation und schafft letztlich Vertrauen durch mehr Sicherheit. Die ISO 31000 gibt den systematischen Aufbau von RM-Verfahren vor (siehe Abbildung 1). Um die identifizierten Risiken systematisch zu steuern – dazu gehört auch der professionelle Umgang mit Krisensituationen –, sind Experten gefragt.

Abb. 1: ISO 31000 RM-Prozessmodell

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Risikobeurteilung

Anhand einer Risikoinventur, die unter Koordination des Risikomanagers von den verschiedenen Prozessverantwortlichen vorgenommen wird, erhält man eine Übersicht zur Risikoausprägung im medizinischen Zentrum. Die identifizierten Risiken werden auf ihre Ursachen hin überprüft und bewertet. Im Konsensverfahren erfolgt anschließend eine Priorisierung der Risiken, um die erforderlichen Maßnahmen der Reorganisation und/oder der Prävention festzulegen.

Mit einer „Risikolandkarte“ lassen sich die für das medizinische Zentrum relevanten Risiken visualisieren und gewichten. Mit dem Risikoportfolio der Gesellschaft für Risiko-Beratung (GRB) z.B. werden die Dimensionen Schadenausmaß und Eintrittswahrscheinlichkeit nach ihrem Ausmaß bewertet (siehe Abbildung 2).

Abb. 2: Portfolio-Beispiel (GRB: Gesellschaft für Risiko-Beratung)

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Neben der Identifikation von spezifischen Risiken im medizinischen Zentrum – ob rechtlicher, organisatorischer, kultureller, politischer, wirtschaftlicher oder strategischer Natur – fordert die ISO 31000 zusätzlich die Ermittlung anderer Einflüsse. So sollen z.B. auch Risiken beschrieben werden, die sich aus der Zusammenarbeit mit Kostenträgern und externen Dienstleistern ergeben (z.B. Labore, radiologische Praxen). Die Norm fordert auch eine Darlegung der Systeme, anhand derer über die Risiken informiert und kommuniziert wird (z.B. Berichtswesen zwischen Risikoeignern und Krankenhausleitung). Transparent gemacht werden müssen zudem die Effizienz der RM-Instrumente (Zwischenfallerfassung, Gefährdungsanalysen, Risiko-Audits, Befragungen etc.) sowie ihre Eignung zur Risikoüberwachung.

Klinische Prozessrisiken in medizinischen Zentren (Auszüge)

Prozess Anforderung/Bewertung Nutzen
Kommunikation im Krisenfall Die Kommunikationskompetenz in Krisensituationen ist ausgeprägt.
Der Umgang mit Medien erfolgt professionell.
Die Mitarbeiter sind auf den Umgang mit Krisenereignissen vorbereitet.
Steuerung der Kommunikation im Krisenfall
Pharmakovigilanz (Onkologie) Das Verfahren Off-Label-Use ist gesichert.
Das Paravasat-Management ist erprobt und kontrolliert.
Das Verfahren Verwechslungssicherheit ist im klinischen Bereich kontrolliert (WHO H5s).
Vermeidung von Applikationsfehlern, Arzneimittelsicherheit
Med. Diagnostik (Onkologie) Die Abklärungsverfahren Dignität (Begründung von Abweichungen) sind etabliert und sicher.
Das Verfahren Ausbreitungsdiagnostik ist gesichert.
Die Verfahren Screening und Kontrastmittelgabe sind standardisiert und sicher.
Zielgerichtete Diagnostik
Aufklärung/therapeutische Beratung Die genetische Beratung ist abgesichert.
Die Aufklärungsverfahren bei malignem Befund, Polydiagnostik sind abgesichert.
Die Edukation der Patienten erfolgt nach Vorgabe und ist effektiv.
Einbeziehung des Patienten
Medizintechnik/IT Die Konzeption Teleradiologie ist etabliert und funktioniert.
Die Datenschutzanforderungen bei der Nutzung von Patientendaten werden eingehalten.
Das Verfahren Datenaustausch mit externen Bereichen ist kontrolliert und sicher.
Sichere Datenübermittlung
Mitarbeiter Die erforderliche Qualifikation der Diagnostiker ist gegeben.
Die Einarbeitung neuer Mitarbeiter ist strukturiert.
Die Delegation erfolgt nach abgestimmtem Verfahren.
Geringe Fehlerquote bei der Diagnostik
Operative Versorgung Die Verfahren zur Patientenidentifikation und Verwechslungssicherheit sind sicher.
Die Prozesse Zählkontrolle, Umgang mit Gewebeproben, Schnellschnittdiagnostik, Überwachung und Hygienemanagement sind sicher organisiert.
Ausschluss von Verwechslungen, sichere Befundübermittlung, Vermeidung von nosokomialen Infektionen
Therapieplanung und Evaluierung Effizienz der Verfahren Tumorboard, Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen, Fallbesprechungen. Koordinierung der Behandlung, Festlegung der Behandlungsschritte
Frühwarnsysteme Effizienz der Verfahren Critical Incident Reporting, Schadenmanagement, Krisenmanagement. Erkennen von latenten Risiken, Ursachenidentifikation, multiprofessionelle Aufarbeitung von Schadenfällen, Lernen aus Fehlern

Zusammenfassung

In einem medizinischen Zentrum ist die Patientenversorgung in hohem Maße durch Multiprofessionalität und Interdisziplinarität geprägt. Die Risiken, die sich aus dem Zusammenspiel in der Behandlungsorganisation ergeben, sind vielfältig. Die Vorgaben der ISO 31000, die den Aufbau der RM-Verfahren definieren, ermöglichen eine systematische Steuerung von internen und externen Risiken sowie den professionellen Umgang mit Krisensituationen.

Krause A. Safety Clip: Klinisches Risikomanagement in medizinischen Zentren – welchen Nutzen bringt die Norm ISO 31000? Passion Chirurgie. 2012 Juli/August; 2(07/08): Artikel 03_02.