01.12.2015 Safety Clip
Safety Clip: Hygienemanagement und Infektionsprävention
Hygienefehler am Beispiel Arthroskopie
Viele chirurgische Interventionen am Patienten können heutzutage minimalinvasiv erfolgen. Spezielle Instrumente und Techniken machen es Behandelnden möglich, die OPs ohne größeren Schnitt unter Bildkontrolle am Monitor auszuführen. Zu den minimalinvasiven Operationen gehören laparoskopische Eingriffe (endoskopische Betrachtung des Bauchraums), arthroskopische Eingriffe (Untersuchung eines Gelenks mit Hilfe eines speziellen Endoskops) sowie Punktionen mit oder ohne Injektion (Einstechen in einen Hohlraum des Körpers). Die Patienten profitieren in der Regel von einer kürzeren Rekonvaleszenzphase und von einem besseren kosmetischen Ergebnis.
Dennoch gibt es auch Komplikationsrisiken, etwa Perforationen, Blutungen oder Infektionen. Das Infektionsrisiko ist besonders hoch, wenn Hygieneanforderungen nicht hinreichend beachtet werden. Das Risiko einer Infektion variiert, je nach Art und Ort des Eingriffs. Betroffen sind vor allem Arthroskopien, Punktionen und Injektionen.
Das Robert Koch Institut (RKI) teilt die unterschiedlichen Arten minimalinvasiver Eingriffe in einer Hygienerichtlinie in vier Risikogruppen ein, denen jeweils die entsprechenden Hygieneanforderungen zugeordnet sind. [1].
Bei einer Kortisoninjektion am Kniegelenk beispielsweise – ein Eingriff, der gemäß RKI-Richtlinie zur Risikogruppe drei gehört – ist sowohl bei der Vorbereitung als auch bei der Durchführung äußerste Sorgfalt geboten. Um Infektionsrisiken zu vermeiden, ist die Einhaltung der Asepsis bei der Vorbereitung der Medikamente und Materialien oberstes Gebot. Entscheidend ist hier auch die persönliche Hygiene, d. h. die Händedesinfektion oder das Tragen von Handschuhen, die laut RKI-Empfehlung steril sein sollen.
Fallbeispiel
Welche juristischen Konsequenzen es nach sich ziehen kann, wenn diese Anforderungen keine Beachtung finden, erläutern wir im Folgenden an einem Fallbeispiel aus der Schadendatenbank des Ecclesia Versicherungsdienstes:
„Einem Patienten wird eine Kortisoninjektion in das Kniegelenk injiziert. Im weiteren Verlauf kam es zu einer Infektion, die operativ versorgt werden muss. Der Patient erhebt den Vorwurf, dass die Injektion nicht unter aseptischen Kautelen erfolgt sei und es daher zu der Infektion gekommen sei. Tatsächlich war durch den Arzt kein Handschuhwechsel vor der Injektion vorgenommen worden.“ (aus der Schadenbeschreibung)
Das Unterlassen eines Handschuhwechsels sowie die fehlende Händedesinfektion werden in der juristischen Bewertung als „grob fehlerhaft“ angesehen. Steht wegen einer Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit eines Patienten ein Behandlungsfehlervorwurf im Raum, wertet die Rechtsprechung nach § 630 h V BGB den vorgeworfenen Behandlungsfehler per se als verletzungsursächlich, sofern dieser grundsätzlich geeignet ist, eine Verletzung wie die vorliegende herbeizuführen. Werden also z. B. geltende Hygienestandards, wie etwa die Händedesinfektion, missachtet, gilt dies als „grober Behandlungsfehler“ mit der im BGB geregelten Folge: Es wird gesetzlich vermutet, dass die fehlende Händedesinfektion für den beim Patienten eingetretenen Schaden (Infektion) die Ursache ist. Ein Gegenbeweis ist kaum möglich.
Eine besondere Bedeutung kommt im Hygienemanagement und in der Infektionsprävention auch Behandlungssituationen zu, die in den Bereich des so genannten voll beherrschbaren Risikos fallen, das in § 630 h I BGB gesetzlich definiert ist. Kommt es in einer voll beherrschbaren Situation zu einer Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit eines Patienten, wertet der Gesetzgeber dies als Fehler, der schlichtweg nicht passieren darf und lastet der Behandlungsseite einen groben Behandlungsfehler an.
In Bezug auf das Risiko von Infektionen nach Injektionen ist diese Rechtsfigur insofern bedeutsam, als die Person, welche die Injektion verabreicht, selbst Träger einer Infektion sein und diese durch unzureichende Hygienemaßnahmen auf den Patienten übertragen könnte. Die Verabreichung von Injektionen gilt als „voll beherrschbar“. Eine Konstellation wie oben beschrieben zöge also die richterliche Vermutung nach sich, dass die später eingetretene Infektion beim Patienten auf die bestehende Infektion des Behandlers zurückzuführen ist. Ein Gegenbeweis ist auch hier kaum möglich.
Das Fallbeispiel verdeutlicht, wie wichtig das Einhalten von Hygieneregeln zur Verminderung des Infektionsrisikos ist. Ärzte, Pflegende und sonstige Spezialisten, z. B. aus den Bereichen Technik und Hygiene, sind angehalten, Kontrollmaßnahmen in Bezug auf Themen wie Aufklärung und Diagnostik, Beschreibung des Arbeitsprozesses, Technische Anforderungen oder Infektionskontrolle zu ergreifen. In Tabelle 1 sind die Maßnahmen zur Hygienekontrolle aufgeführt.
Angst vor Keimen – Hygienedruck
Krankenhaushygiene und Infektionsprävention sind sensible Themen, die zunehmend an Bedeutung gewinnen. Laut aktuellen Umfragen haben viele Patienten Angst davor, sich während eines Krankenhausaufenthalts mit einem Keim (MRSA o. ä.) anzustecken oder eine postoperative Wundinfektion zu erleiden [3]. Postoperative Wundinfektionen gehören zu den häufigsten nosokomialen Infektionen, die mitunter fatale Folgen für Patienten haben können. Befördert werden die Ängste durch die Medien. Kommt es zu einem Behandlungsfehler oder bekundet ein Patient lautstark seine Unzufriedenheit mit einer Behandlung, sorgt dies immer häufiger für Schlagzeilen. Das mitunter gewaltige öffentliche Interesse setzt Behandelnde – besonders Ärzte, Pflegekräfte, Therapeuten, das Funktionspersonal in Intensiveinheiten oder Aufnahmestationen sowie OP-Mitarbeitende – regelrecht unter „Hygienedruck“.
Neben der Prüfung technischer Voraussetzungen und der Einhaltung von Standards steht, wie oben bereits erwähnt, die persönliche Hygiene, d. h. die Compliance der Mitarbeiter, im Fokus des Hygienemanagements. Wie im beschriebenen Fallbeispiel können Hygienefehler zu Infektionen führen und so die Verweildauer des Patienten verlängern und die Behandlungskosten in die Höhe treiben. Solche zusätzlichen Kosten belasten die Krankenhäuser. Deshalb wird auch immer wieder diskutiert, wer diese übernehmen soll (Prinzip Pay vor Performance).
Sowohl die Kontrollmaßnahmen als auch die Identifikation und Steuerung kritischer Arbeitsprozesse stellen die Mitarbeitenden im Bereich der Krankenhaushygiene vor besondere Herausforderungen – nicht zuletzt deswegen, weil eine im Krankenhaus erworbene Infektion unweigerlich mit der Qualität der Krankenhausversorgung in Verbindung gebracht wird. Letztendlich steht – vor allem bei medienrelevanten Hygienefehlern – die Reputation der betroffenen Klinik auf dem Spiel.
Nicht von ungefähr kommen die Forderungen des Gesetzgebers an die Akteure im Gesundheitswesen, Mindestanforderungen an das Risikomanagement umzusetzen, Qualitätsindikatoren zu prüfen und Nachweise über die zur Verbesserung der Patientensicherheit ergriffenen Maßnahmen darzulegen. Zur Vermeidung von Infektionen sind Präventionsmaßnahmen zu etablieren, die kontinuierlich von den Verantwortlichen und Prozesseignern in den klinischen Bereichen evaluiert und angepasst werden müssen. Es empfiehlt sich, interne Mängellisten zu hygienerelevanten Abläufen zu erstellen und diese kontinuierlich zu aktualisieren bzw. zu bearbeiten.
Organisationen, in denen Behandlungsverfahren regelmäßig auch hinsichtlich der Einhaltung der Hygieneanforderungen geprüft werden, erkennen Abweichungen früh und können schnell entsprechend reagieren. Im Sinne eines Hygienecontrollings ist neben Abweichungen von der guten Praxis das Augenmerk beispielsweise auch auf Beinaheereignisse (CIRS) zu richten. Zudem sei dringend angeraten, die Mitarbeiter in regelmäßigen Abständen in Bezug auf die Hygieneanforderungen zu schulen.
Zahlreiche Reglementierungen und Verordnungen zur Krankenhaushygiene auf Bundes- und Landesebene sind im Infektionsschutzgesetz verankert, das u. a. den Empfehlungen der KRINKO und der Kommission ART verbindlichen Charakter gibt. Auch internationale und nationale Vorgaben, wie sie etwa die Qualitätsmanagementverfahren der Joint Commission (JCI) und die Kooperation für Qualität und Transparenz im Gesundheitswesen (KTQ) vorgeben, geben Praktikern wertvolle Hilfestellungen bei der Umsetzung und Überprüfung der Qualitäts- und Risikomanagementanforderungen für die Infektionsprävention. In die Kataloge der JCI und der KTQ wurden spezifische Anforderungen an die Hygiene, an technische Aspekte sowie Schulungsmaßnahmen aufgenommen. Grundlagen sind der PDCA-Zyklus (Demingkreis: Plan – Do – Check – Act) und definierte Prozessvorgaben/Standards, deren Einhaltung regelmäßig evaluiert werden muss.
Einige der spezifischen Hygienevorgaben aus den Katalogen der einzelnen Zertifizierungsgesellschaften sind beispielhaft in Tab. 2 aufgeführt [4,5].
Aus Sicht des Risikomanagements lässt sich durch eine stringente Informationsvermittlung, durch die Vorgabe von Hygieneplänen und Hygieneordnungen sowie durch die Überprüfung der Mitarbeiter-Compliance ein erfolgreiches und nachhaltiges Hygienemanagement erreichen. Zur Steuerung genutzt werden sollten Hygienekriterien bzw. Indikatoren, mit denen Abweichungen in der Prozessqualität frühzeitig erkannt werden können. Wichtig ist, dass die Prozessbeschreibungen/Verfahrensanweisungen von Hygieneexperten justiert und verabschiedet werden. Generell sollten die Prozesse mit Hilfe des PDCA-Zyklus nachhaltig gesteuert werden. In der Schrittfolge Plan – Do – Check – Act sollten auch Zwischenschritte prüfbar sein. Ebenfalls empfehlenswert ist es, das System regelmäßigen Effektivitätschecks zu unterziehen.
Um Hygienerisiken in der Praxis zu identifizieren und die Compliance der Akteure zu überprüfen, sind Hygieneaudits sinnvoll. Die Ergebnisse der Audits können zur weiteren Optimierung der Hygieneprozesse herangezogen werden. Zudem sollte kontrolliert werden, ob die an den Prozessen Beteiligten regelmäßig an den Pflichtfortbildungsveranstaltungen zu hygienischen Themen teilnehmen. Auch Lernzielkontrollen sind empfehlenswert. Bei Unregelmäßigkeiten sollte die Leitungsebene entsprechend reagieren.
Literatur
[1] Robert Koch Institut, Anforderungen der Hygiene bei Operationen und anderen invasiven Eingriffen, 2010, im Web abrufbar über: www.rki.de/DE/Content/Infekt/Krankenhaushygiene/Kommission/Downloads/Op_Rili.pdf?__blob=publicationFile.
[2] Raumlufttechnik – Teil 4: Raumlufttechnische Anlagen in Gebäuden des Gesundheitswesens; DIN 1946-4:2008:12.
[3] ASKLEPIOS-KLINIKEN: Umfrage: Klinik-Patienten fürchten vor allem multiresistente Keime, 2015, im Web abrufbar über: www.shz.de/hamburg/umfrage-klinik-patienten-fuerchten-vor-allem-multiresistente-keime-id10720341.html.
[4] KTQ. Kooperation für Transparenz und Qualität in der Gesundheitsversorgung. KTQ Manual, Version 6.0, 2009 (www.ktq.de).
[5] Joint Commission International. Akkreditierungsstandards für Krankenhäuser, German, 104.2014. 5. Ausgabe.
Krause A. / Bruelheide N. Safety Clip: Hygienemanagement und Infektionsprävention – Hygienefehler am Beispiel Arthroskopie. Passion Chirurgie. 2015 Dezember; 5(12): Artikel 03_04.
Autor des Artikels
Axel Krause
GRB Gesellschaft für Risiko-Beratung mbHKlingenbergstr. 432758DetmoldWeitere Artikel zum Thema
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