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Ein „Klassiker“ unter den Arzthaftpflichtschäden: Dekubiti bei Patienten sind für Haftpflichtversicherer, die im Krankenhausbereich agieren, ein wohlbekanntes Thema. Im Folgenden stellen wir drei Schadenfälle aus der Datenbank der Ecclesia Versicherungsdienst GmbH vor, die auf einen Dekubitus bzw. seine Behandlung zurückzuführen waren.

Fall 1

Eine Patientin, 82, die an Multipler Sklerose und damit einhergehender Paraplegie und Paraparese leidet, befindet sich wegen der operativen Entfernung eines Vaginalulcus stationär im Krankenhaus. Bei Aufnahme war noch kein Dekubitus bei der Patientin vorhanden. Nach der Operation entwickelt sie jedoch Dekubiti im Steißbereich, an der rechten Ferse, an der Außenseite des linken Fußes und am Knöchel des linken Fußes.

Die Krankenkasse macht deswegen Ansprüche geltend. Die Vorwürfe: Aufgrund der Lähmung und der Multiplen Sklerose habe ein hohes Dekubitusrisiko bei der Patientin bestanden. Eine Risikoeinschätzung habe im Krankenhaus aber nicht stattgefunden. Die Ärzte hätten weder regelmäßige Lagerungsmaßnahmen angeordnet noch seien erfolgte Fersenfreilegungen ersichtlich. Zudem sei der Einsatz von Hilfsmitteln in der Dokumentation nur mangelhaft beschrieben.

Das betroffene Krankenhaus kann keinen Pflegefehler erkennen und hält dagegen, dass sehr wohl eine Risikobeurteilung nach Braden erfolgt sei. Drei Tage nach der Aufnahme habe man die Patientin auf eine Antidekubitusmatratze gebettet. Außerdem sei eine Bewegungstherapie angeordnet worden und erfolgt. Einen vollständigen Bewegungsplan kann das Krankenhaus allerdings nicht vorlegen, verweist aber auf die Pflegedokumentation, aus der das regelgerechte Vorgehen des Personals ebenfalls hervorgehe.

Die Krankenkasse gibt sich mit dieser Gegendarstellung nicht zufrieden und mandatiert eine Kanzlei. Die Anwälte untermauern die Vorwürfe mit detaillierten Nachweisen zur Schadenberechnung.

Erneut mit Vorwürfen konfrontiert, muss das Krankenhaus schließlich Dokumentationslücken einräumen, die eine adäquat erfolgte Dekubitusprophylaxe in der Tat nicht nachvollziehbar erscheinen ließen. Das Krankenhaus muss sich eingestehen, dass weder der vormals erklärte Einsatz der Antidekubitusmatratze noch die Realisation eines Bewegungsplans aus der Dokumentation hervorgingen. Ferner enthalte die Dokumentation widersprüchliche Angaben zur Wundbeschaffenheit, zur Anzahl der Wunden und zur Wundlokalisation.

Ergebnis

Vor dem Hintergrund dieser Unklarheiten einigte sich der Haftpflichtversicherer mit der Krankenkasse letztlich außergerichtlich auf einen Regulierungsbetrag von 85.000 €.

Risikobewertung

Wenn, wie im hier beschriebenen Fall, der Behandlerseite vorgeworfen wird, das Dekubitusrisiko falsch eingeschätzt und deswegen notwendige Gegenmaßnahmen verspätet oder gar nicht eingeleitet zu haben, ist der Haftpflichtversicherer zur Aufarbeitung des Sachverhalts auf eine vollständige Dokumentation angewiesen. Dokumentationsversäumnisse erschweren die Aufklärung und können die Abwehr unberechtigter Patientenansprüche verunmöglichen.

Des Weiteren macht der Fall deutlich, dass bei Patienten mit Dekubitusrisiko schnelles und vor allem strukturiertes Handeln geboten ist. Heißt: Zunächst ist das Dekubitusrisiko zu erfassen und dies ist zu dokumentieren. Im Anschluss sind unverzüglich Maßnahmen festzulegen und umzusetzen. Diese sind ebenfalls detailliert zu dokumentieren. Doch damit ist es nicht getan: Auch im laufenden Behandlungsprozess ist das Pflegepersonal angehalten, regelmäßig den Erfolg oder Misserfolg der getätigten Maßnahmen zu kontrollieren und bei Bedarf Anpassungen vorzunehmen. All diese Schritte sind ebenfalls zu dokumentieren.

Fall 2

Eine 77-Jährige kommt aus vollstationärer Pflege (Pflegestufe 2) zur Behandlung einer Enzephalitis ins Krankenhaus und im Anschluss in die Rehaklinik. Aus dem Verlegungsbericht des erstbehandelnden Hauses geht hervor, dass eine Mazeration am Steiß bei ihr vorliegt. Während der Rehabilitationsbehandlung kommt es zu einer erheblichen Verschlechterung des Dekubitus, sodass die Patientin als nicht mehr rehabilitationsfähig ins Altenpflegeheim (APH) entlassen wird. Bei einem später diagnostizierten Dekubitus 4. Grades bleibt unklar, ob die Patientin sich diesen noch während der Reha zugezogen hat oder schon im APH.

In der Annahme, der Dekubitus 4. Grades sei während der Reha entstanden, macht die Krankenkasse unter Einbeziehung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) Ansprüche gegen die Rehaklinik wegen fehlerhafter, nicht fachgerechter Dekubitusprophylaxe geltend.

Die Rehaklinik räumt Versäumnisse bei der Dokumentation ein, besteht aber darauf, die Patientin korrekt versorgt zu haben. Sowohl eine konsequente Lagerung als auch eine fachgerechte Versorgung seien, soweit möglich, erfolgt. Als Entlastungsversuch weist die Rehaklinik auf die zahlreichen Vorerkrankungen (z. B. multiple Hirninfarkte) hin, unter denen die Patientin bereits bei ihrer Einweisung ins vorbehandelnde Krankenhaus gelitten habe. So sei ihr während ihres Krankenhausaufenthalts u. a. ein Stent in die Arteria vertebralis links gelegt worden. Zudem sei sie wegen optischer Halluzinationen mit Antipsychotika behandelt worden.

Die Rehaklinik betont, dass die Patientin bereits bei Aufnahme multimorbid gewesen sei und einen Dekubitus 2. Grades aufgewiesen habe. Ihre kognitiven Leistungen seien schon zu diesem Zeitpunkt deutlich eingeschränkt gewesen. Zudem sei sie kollaptisch gewesen, was eine Mobilisation unmöglich gemacht habe. Die Patientin habe keinerlei Nahrung oder Flüssigkeit aufgenommen, weswegen sie über Infusionen versorgt worden sei. Mehrmals täglich sei es spontan zu breiigen Darmentleerungen und damit einhergehend zu Kontaminationen des Dekubitus mit Stuhl gekommen.

Die Patientin sei regelmäßig gelagert worden mit dem Ziel, das Gesäß zu entlasten. Doch die Lagerung habe sich als problematisch erwiesen, da die Patientin sich immer wieder selbst in Rückenlage gebracht habe, sodass eine ausreichende Druckentlastung unmöglich gewesen sei.

Für die Behandelnden habe sich das Bild eines fortgeschrittenen Multiinfarktsyndroms mit palliativer Ausrichtung ergeben. Die Ausbildung bzw. Verschlechterung des Dekubitus ließ sich nach Einschätzung der Rehaklinik nicht vermeiden. Als die Reha wegen der Verschlechterung des Allgemeinzustands konsequenterweise abgebrochen worden sei, habe allerdings erst ein Dekubitus 3. Grades vorgelegen. Grad 4 habe sich erst nach der Rückverlegung der Patientin ins APH entwickelt, wo man den Dekubitus ebenfalls nicht unter Kontrolle habe bringen können.

Wo auch immer der Dekubitus 4. Grades entstanden ist: Er wird schließlich in einem Akutkrankenhaus mit einer Vakuumverbandtherapie und durch Druckentlastung behandelt. Während dieses Aufenthaltes erleidet die Patientin eine Colitis und einen Harnwegsinfekt, die eine Behandlung mit Antibiose notwendig machen. Im Anschluss wird die Patientin wieder ins APH zurückverlegt, wo sie kurze Zeit darauf stirbt.

Ergebnis

Angesichts der Leidensgeschichte der Patientin erschienen die Ausführungen der Rehaklinik dem Haftpflichtversicherer zwar glaubwürdig, weil aber die Dokumentation sowohl zur Einschätzung des Dekubitusrisikos als auch zur Dekubitusprophylaxe mangelhaft war, einigte man sich auf einen Vergleich mit der Krankenkasse, anstatt die (vermeintlich) unberechtigten Ansprüche abzuwehren. So flossen am Ende 6.000 € an die Krankenkasse.

Risikobewertung

Wie bei Fall 1 traf der Dekubitus auch hier eine Seniorin. Tatsächlich erleiden hauptsächlich ältere Patienten – vielfach Bewohnerinnen und Bewohner von Altenpflegeheimen – Dekubiti, denn gerade bei Bettlägerigkeit tragen sie ein deutlich höheres Risiko als Jüngere bzw. nicht Bettlägerige.

Darüber hinaus haben die beiden Fälle gemeinsam, dass die mangelhafte Dokumentation letztlich über den Ausgang des Falles entschied. Beide Male konnten die Haftpflichtversicherer die Argumentation der von ihnen vertretenen Krankenhäuser zwar nachvollziehen, entschieden sich aber wegen der schwierigen Dokumentationssituation, die im Klagefall ein Restrisiko bedeutet hätte, für eine außergerichtliche Einigung.

Im Unterschied zu Fall 1 aber war bei Fall 2 nur die Dokumentation fehlerhaft, während die geeigneten und notwendigen Behandlungsschritte allem Anschein nach unternommen worden waren. Nichtsdestoweniger musste der Haftpflichtversicherer den Schaden regulieren, obwohl die Ansprüche der Krankenkasse bei vorhandenen, wohl dokumentierten Nachweisen sich voraussichtlich als unberechtigt herausgestellt hätten. Der Fall macht einmal mehr die wichtige Rolle der Dokumentation gerade auch bei der Dekubitusbehandlung deutlich.

Fall 3

Auch in diesem Fall ist der Protagonist ein älterer Patient. Der 80-jährige APH-Bewohner muss wegen Oberschenkelhalsfrakturen in die Behandlung eines Krankenhauses gegeben werden. Ein präsakraler Dekubitus liegt bereits bei Einweisung vor. Während des Krankenhausaufenthaltes entwickeln sich Dekubitalgeschwüre 3. Grades präsakral und 2. Grades an der rechten Ferse. Die Geschwüre heilen über Monate nicht ab, auch nach Entlassung und Rückverlegung des Patienten ins APH. Auch eine deswegen eingeleitete chirurgische Behandlung bringt keine Besserung, sondern führt stattdessen zu weiteren Komplikationen.

Eine von der Krankenkasse beauftragte Kanzlei erhebt daraufhin Schadenersatzansprüche gegen das Krankenhaus. Die Begründung: Die Entstehung und die Verschlimmerung der Dekubiti seien auf eine falsche Behandlung zurückzuführen.

Der MDK, der den Fall aufgrund der Anwürfe begutachtet, gibt der Kassenseite Recht. Die Dekubiti hätten entstehen können, weil neueste pflegewissenschaftliche Erkenntnisse nicht angewendet worden seien. Das Dekubitusrisiko sei gar nicht erst bestimmt worden. Auch eine qualifizierte Wunddokumentation sei ausgeblieben.

Nach Prüfung der Vorwürfe vonseiten der Kasse und des MDK sieht auch das Krankenhaus keine andere Möglichkeit, als sich der Einschätzung des MDK anzuschließen, weil sich der tatsächliche Behandlungsablauf in Anbetracht der insuffizienten und zum Teil gänzlich fehlenden Dokumentation nicht mehr objektiv nachvollziehen lässt. Darüber hinaus muss das Krankenhaus einräumen, dass die wenigen Pflegemaßnahmen, die dokumentiert wurden, obendrein nicht dem im Haus geltenden Pflegestandard entsprachen.

Regulierungsprognose

Die Regulierungsgespräche mit der Kasse zu diesem Fall laufen noch. Im Raum stehen zudem persönliche Ansprüche des Patienten. Insgesamt ist mit einem Schadenaufwand von mindestens 60.000 € zu rechnen.

Risikobewertung

Ähnlich wie in den anderen beiden Fällen spielt auch hier die mangelhafte Dokumentation eine entscheidende Rolle. Dem betroffenen Krankenhaus gelang es nicht, den im eigenen Hause stattgefundenen Behandlungsablauf nachzuvollziehen. Erschwerend kam hinzu, dass die bekanntermaßen eingeleiteten Maßnahmen nicht den Pflegestandards entsprachen, deren Einhaltung Krankenhäuser selbstverständlich sicherstellen müssen.

Fazit und Hinweise für die Praxis

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich gerade bei Schadenfällen durch Dekubitalgeschwüre eine unzureichende Dokumentation ungünstig auf die Regulierung auswirken kann. Lässt sich retrospektiv nicht nachvollziehen, dass wirkungsvolle Maßnahmen zur Bewältigung des Dekubitus ergriffen worden sind, geht dies in der Regel zulasten des Behandelnden und damit zulasten der Versicherung, wie Fall 2 beispielhaft zeigt.

Abschließend sei daher einmal mehr auf die Grundregeln der Dokumentation verwiesen (§ 630f BGB):

„Der Behandelnde ist verpflichtet, in der Patientenakte sämtliche aus fachlicher Sicht für die derzeitige und künftige Behandlung wesentlichen Maßnahmen und deren Ergebnisse aufzuzeichnen, insbesondere Anamnese, Diagnosen, Untersuchungen, Untersuchungsergebnisse, Befunde, Therapien und ihre Wirkungen, Eingriffe und ihre Wirkungen etc.“

Zu den wesentlichen und damit aufzeichnungspflichtigen Kriterien gehören – besonders bei gefährdeten Menschen (z. B. Ältere, Bettlägerige, Personen, die sich nicht aufrichten können, etc.) – zum einen die spezifischen Risikofaktoren der jeweiligen Person sowie zum anderen, als Reaktion auf diese Risiken, ein risikobasierter Präventionsplan, der alle Maßnahmen enthält, die nach Feststellung des Dekubitusrisikos im Laufe der Behandlung ergriffen werden, einschließlich der Wirkung dieser Maßnahmen.

Fotos als Bestandteil der Dokumentation können sinnvoll sein, auch wenn sie nicht zwingend vorgeschrieben sind. Für eine (gute) Fotodokumentation spricht, dass sie das Ausmaß, die Beschaffenheit, die Entwicklung und die Lage der Wunde(n) sozusagen „auf einen Blick“ sichtbar macht. Die Subjektivität rein (hand-)schriftlicher Aufzeichnungen und mögliche Unklarheiten können so vermieden werden. Aber Vorsicht: Kein Foto kann schriftliche Einträge in die Pflegedokumentation ersetzen. Eine Fotostrecke kann höchstens eine – mitunter sinnvolle – Ergänzung sein, indem sie den Behandlungsverlauf bildlich dokumentiert.

Dekubitusprophylaxe
Präventive Maßnahmen zur Dekubitusprophylaxe im Sinne des klinischen Risikomanagements

  • Jeder Patient wird bei der Aufnahme im Hinblick auf sein Dekubitusrisiko eingeschätzt und der Anamnesestatus wird dokumentiert.
  • Neu eingeschätzt wird das Risiko immer dann, wenn sich signifikante Änderungen am Zustand des Patienten ergeben. Besonders bei bereits gefährdeten Patienten wird der Hautzustand in angemessenen, individuell festgelegten Zeitintervallen überprüft.
  • Sind prophylaktische Maßnahmen erfolgt, werden diese im Behandlungsverlauf nachvollziehbar dokumentiert.
  • Die Wirkung der prophylaktischen Maßnahmen wird ebenfalls nachvollziehbar dokumentiert.
  • Bei einer Verlegung wird die nachbehandelnde Institution schriftlich darüber informiert, dass das Fortführen prophylaktischer Maßnahmen erforderlich ist. Eine Kopie dieser Verlegungsdokumentation verbleibt in der Patientenakte.

Schnelle C. / Rosen K. Safety Clip: Der klassische Schadenfall „Dekubitus“. Passion Chirurgie. 2017 Mai, 7(05): Artikel 04_05.

Autoren des Artikels

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Herr Christian Schnelle

Assessor jur.Unternehmensbereich Schaden/Abteilung KrankenhausEcclesia Versicherungsdienst GmbHEcclesiastraße 1-432758Detmold kontaktieren
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Kathrin Rosen

M.A., Risiko-BeraterinGRB Gesellschaft für Risiko-Beratung mbHKlingenbergstr. 432758Detmold

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