01.06.2014 Rezensionen
Rezension: Komplexe Gefäßchirurgie – Probleme und Lösungen
Die Idee, komplexe gefäßchirurgische Fragestellungen anhand von Einzelfallbeispielen darzustellen und konkrete Lösungsvorschläge zu geben, kann einen hohen didaktischen Wert für den interessierten Leser haben. Der praktisch tätige Gefäßchirurg ist nahezu täglich mit Situationen konfrontiert, die in kein Schema passen und die individuelle Lösungen erfordern. Die Komplexität gefäßchirurgischer Erkrankungen mit der Varianz ihrer Ausprägungen, die topographische Vielfalt anatomischer Zugangswege, die Heterogenität invasiver Therapiemöglichkeiten und nicht zuletzt die Multimorbidität des Gefäßpatienten stellen den Therapeuten regelmäßig vor eine Situation, in der er das Für und Wider seiner Entscheidungen sorgfältig und unter Beachtung aller möglicher Konsequenzen abwägen muß: Gerade für den vorgealterten und kardiovaskulär belasteten Gefäßpatienten kann eine invasive Maßnahme schnell einen deletären Ausgang haben, sodass die Maxime „mit minimaler Invasivität den größtmöglichen Therapieerfolg unter bestmöglicher Wahrung der langfristigen Lebensqualität erreichen“ oberste Priorität haben sollte.
Komplexe Gefäßchirurgie – Probleme und Lösungen
Masoud Mirzaie
2013, 216 S. , 330 Abb.
Thieme Verlag
ISBN: 9783131729910, € 149,99
Den Autoren ist somit zu dieser Idee zu gratulieren! Das 216 Seiten starke Büchlein ist übersichtlich in fünf Kapitel gegliedert, die thematisch die wichtigsten Erkrankungen und Eingriffslokalisationen abhandeln – es kann dabei selbstverständlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Der Autor gibt vor jedem Kapitel eine kurze Zusammenfassung der Thematik, die einen guten Überblick über den Inhalt der dann zu besprechenden Erkrankungen gibt und einen sorgfältig recherchierten Literaturanhang beinhaltet. Es folgen in allen Kapiteln in vergleichbarem Muster Einzelfallvorstellungen mit Darstellung der Patientenanamnese, aktueller Problemstellung und – fast ausschließlich – operativer Therapie.
Hier allerdings vermisst der Leser Wesentliches. Die in der Regel reich bebilderten Patientendarstellungen stellen in den radiologischen Bildgebungen das Problem didaktisch nicht immer ausreichend dar, Pfeilmarkierungen und Vergrößerungen wären in vielen Fällen hilfreich. Einige Darstellungen müssen vollständig ohne Bebilderung auskommen, sodass der Leser ausschließlich auf einen beschreibenden Text angewiesen ist (z. B. S. 102). Leider lässt der Autor in allen Fällen alternative Behandlungsmöglichkeiten vermissen; das Abwägen für oder gegen eine Maßnahme und die letztendliche Entscheidungsgrundlage, auf der der Autor sich für die Durchführung einer bestimmten Therapie entscheidet, wäre didaktisch wertvoll und – für dieses Buch – absolut notwendig. Stattdessen wird regelhaft ausschließlich die gewählte Therapie dargestellt, und abschließend erwähnt, dass sie erfolgreich war. Dass beispielsweise auch ein 82-jähriger Patient (S. 107) noch einer großen operativen Maßnahme unterzogen werden muss, bedarf einer Erklärung, um von dem Leser nachvollzogen werden zu können. Warum wird – gerade in komplexen Situationen – nicht ein einziges Mal auf die Möglichkeit einer konservativen Therapieoptimierung mit Einleitung einer Tertiärprophylaxe eingegangen? In keinem Fall lässt der Autor den Leser an seiner Entscheidungsfindung für die von ihm gewählte Operationsstrategie teilhaben, was dem Inhalt dieses Buches jedoch sehr gut getan hätte. Bei der Wahl der operativen Lösungen fällt hingegen der herzchirurgische Hintergrund des Autors auf: Mehrfach werden im ersten Kapitel Operationsverfahren unter Eröffnung des Herzbeutels dargestellt (u. a. S. 28) oder Sternotomien durchgeführt, die auch weniger invasiv hätten zum Erfolg führen können. Gerade dieses Kapitel lässt eine interdisziplinäre Abstimmung zur Indikationsstellung vermissen (Schwindel als Symptom für Carotisstenose?), und auch die Duplexsonographie wird als wichtiges diagnostisches Instrument zur funktionellen Stenosegradbestimmung kaum erwähnt.
Ein großes Manko dieses Büchleins ist das fast vollständige außer Acht lassen endovaskulärer Therapiemöglichkeiten, die abgesehen von zwei bis drei Ausnahmen überhaupt nicht vorkommen. Für eine große Zahl der dargestellten Therapien wäre aber eine endovaskuläre Therapie definitiv eine Option gewesen! Mit der praktisch ausschließlich operativen Lösung komplexer gefäßchirurgischer Probleme wird das Armamentarium der gefäßchirurgischen Optionen in diesem Büchlein bei weitem nicht ausgeschöpft. Leider fehlen auch intra- bzw. postoperative Funktionsuntersuchungen als Qualitätskontrolle, so dass der Leser ausschließlich auf die Angabe angewiesen ist, der Eingriff habe gut geklappt. Die hier dargestellten Patientendarstellungen können für den Leser von Interesse sein – jedoch muß ihm klar sein, dass hier ein sehr individueller und rein chirurgisch – operativer Ansatz verfolgt wird.
Zusammengefaßt verfolgt dieses Büchlein eine an sich wichtige und interessante Idee. Die Umsetzung bleibt jedoch leider weit hinter den Optionen, die man sich vom Titel des Büchleins verspricht, zurück.
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