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Das mit dem Paris-Abkommen konforme Restbudget Deutschlands für die Emission von Kohlendioxid-Äquivalenten (CO2e) ist im bisher weitgehend praktizierten Business-as-usual-Szenario in etwa sieben Jahren aufgebraucht [52]. Aufgrund dieser Brisanz hat auch das Autorenteam dieses Artikels unlängst bereits andernorts einige Übersichtsartikel zum Thema publiziert [19, 28, 53], wobei sich die Faktenlage und der Stand der Erkenntnisse zuletzt nur unwesentlich verändert haben. Allerdings zeigen die Durchdringung der Ärzteschaft mit dem Wissen um die klima- und somit auch gesundheitsschädlichen Effekte moderner Spitzenmedizin sowie die Umsetzung von wirksamen Maßnahmen zur Reduktion von Emissionen im Gesundheitssystem mitunter noch Optimierungsbedarf.

Die Folgen des anthropogenen Klimawandels beeinflussen auch in Deutschland längst die Gesundheit und das Leben der Einzelnen [1, 2]. Auf die Akutmedizin – insbesondere die Intensiv- und Notfallmedizin – werden in diesem Zusammenhang zahlreiche Herausforderungen wie die hitzebedingte Zunahme von Myokardinfarkten und Schlaganfällen, Dehydratationen und Nierenschädigung sowie neue oder ungewöhnliche respiratorische und intestinale Infektionserkrankungen und wetterbedingte Großschadensereignisse mit potenziellen MANV-Lagen zukommen [3, 4].

Auch die medizinische Infrastruktur kann hiervon betroffen sein [2]. Erforderliche Anpassungsmaßnahmen der Krankenhausgebäude betreffen vor allem den Hitzeschutz, aber auch die Resilienz gegenüber Überschwemmungen, Maßnahmen zur Reduktion des Energieverbrauchs inklusive Isolation der Gebäudehülle und Erzeugung sowie Nutzung erneuerbarer Energien [5]. Das globale Gesundheitssystem verursacht 4 bis 5 Prozent der Treibhausgas(THG)-Emissionen und übertrifft damit die Summe aus Flug- und Schiffsverkehr [5]. Dieser Einfluss ist in hoch technisierten Gesellschaften derzeit noch höher: In Deutschland addieren sich die Emissionen aus dem Gesundheitswesen auf 0,71 t CO2e pro Kopf und Jahr, was aktuell etwa 7 Prozent der Gesamtemission entspricht [6, 7, 8, 50]. Die energie- und ressourcenintensiven OP-Bereiche und die Intensivmedizin tragen dazu in wesentlichem Umfang bei.

Einige Life-Cycle-Assessments (LCA) wurden im Bereich der operativen Medizin bereits durchgeführt und bilden solide ökologische und ökonomische Entscheidungsgrundlagen [41, 54]. Je nach Wahl des Narkoseverfahrens sind direkte Emissionen durch Inhalationsanästhetika sehr relevant [9, 10]. Es liegt also nahe, zur Erfüllung nationaler Reduktionsziele insbesondere auch im operativen Bereich Einsparmaßnahmen umzusetzen. Der Vergleich verschiedener Gesundheitssysteme zeigt ein immenses Einsparpotenzial: So verursacht eine Katarakt-OP in Indien 6 kg an CO2e-Emissionen, in Großbritannien dagegen 180 kg – bei vergleichbaren Komplikationsraten und Ergebnissen [11]. Aber auch innerhalb eines Landes der „ersten Welt“ sind die unterschiedlichen Klima-Effekte verschiedener Therapien bemerkenswert: Durch dringliche Kaiserschnitte werden je emittierter Tonne CO2e rund 200 gesunde Lebensjahre (disability adjusted life years (DALYs)) gewonnen. Demgegenüber gewinnt man mit derselben CO2-Emission bei Roboter-unterstützten Prostatektomien im Schnitt deutlich weniger als ein gesundes Lebensjahr. Zwischen diesen beiden aus unterschiedlichen Datenquellen berechneten lebensphasenabhängigen und bewusst plakativ ausgewählten Extrembeispielen befindet sich ein Kontinuum, das je nach OP-Methode, Anästhesieverfahren und Standortfaktoren unterschiedlich hohe Emissionen zur Folge hat [11]. So verursacht eine laparoskopische Hysterektomie (HE) beispielsweise 30 Prozent weniger CO2e als eine HE bei Roboter-unterstütztem Vorgehen [54]. Ziel muss letztlich sein, neben einem patienten- und indikationsgerechten Vorgehen auch die Emissionen pro Fall zu reduzieren [9].

Das aktuelle Konsensuspapier des Weltverbands der Anästhesiegesellschaften fordert von Anästhesisten nicht nur den nachhaltigen Umbau von klinischer Versorgung, Forschung und Lehre, sondern auch, dass sie innerhalb ihres nationalen Gesundheitswesens dabei eine Führungsrolle übernehmen sollen [12]. Im deutschsprachigen Raum können Anästhesist:innen durch Umsetzung der Empfehlungen des Forums Nachhaltigkeit in der Anästhesiologie wesentlich dazu beitragen [10, 13] und ihren beruflich bedingten Klimaeinfluss um bis zu 70 Prozent vermindern [14].

Letztlich wird der Weg zur angestrebten Netto-Nullemission aber nur mithilfe von interdisziplinärer und interprofessioneller Zusammenarbeit in Teams gelingen, die durch die jeweilige Führungsebene mandatiert werden: Politische und institutionelle Rahmenbedingungen und Strukturen müssen geschaffen werden, um die Reduktionsziele der Bundesregierung erreichen zu können [35].

So beträgt beispielsweise der Anteil der Narkosegase am gesamten CO2-Fußabdruck der Universitätsklinika Heidelberg und Freiburg lediglich etwa 1 Prozent, wohingegen 75 Prozent auf die Lieferkette entfallen [31, 32]. Ein entscheidender Schritt in diese Richtung wird die Umsetzung der neuen EU-Richtlinie „Corporate Sustainability Reporting Directive“ (CSRD) sein, die von Unternehmen fordert, einen jährlichen Nachhaltigkeitsbericht zu erstellen [33, 34]. Neben anderen Aspekten muss hierfür zunächst eine CO2-Bilanz berechnet werden. Forschungsgruppen aus Heidelberg und Freiburg haben zu diesem Zweck Footprint-Rechner für Krankenhäuser entwickelt, die aktuell harmonisiert wurden und online zur Verfügung stehen [31, 32, 55]. Die Gesamtemissionen werden dabei in drei Bereiche eingeteilt: Direkte Emissionen (Scope 1) entstehen vor Ort durch Kraftstoffverbrennung oder flüchtige Substanzen (z. B. volatile Anästhetika). Indirekte Emissionen (Scope 2) resultieren aus dem Energiebezug von externen Anbietern (z. B. Strom und Wärme). Scope-3-Emissionen entstehen in der Lieferkette (inkl. Patienten- und Mitarbeitermobilität) und sind in Deutschland derzeit schwierig zu beziffern, da hier noch ein erheblicher Regulierungsbedarf besteht.

Professor Dr. Martin Schuster, Vorsitzender des gemeinsamen Forums Nachhaltigkeit von DGAI und BDA, formuliert es im Deutschen Ärzteblatt so: „England macht es vor: Im letzten Jahr hat der National Health Service 1,3 Megatonnen CO2 eingespart und seine Zulieferer auf die Einhaltung von Nachhaltigkeitskriterien verpflichtet“ [15]. Zwar bieten erste Dienstleister auch deutschen Krankenhäusern bereits Hilfestellung auf dem extrem komplexen Gebiet von Ver- und Entsorgung an [16], aber die Dekarbonisierung der Lieferkette erfordert politische Leitplanken, die den Produktherstellern Planungssicherheit bei der Erstellung kostenintensiver Life-Cycle-Assessments (LCA) bieten. Die vorgestellte Systematik der CO2-Emissionen wurde auch in der Studie von McNeill et al. verwendet, die drei universitäre Operationseinheiten international bezüglich ihres Carbon Footprints verglichen hat [9].

Bei den Scope-1-Emissionen sind vor allem Anästhesit:innen gefragt: So konnte die Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin des Universitätsklinikums Augsburg (UKA) durch den Verzicht auf das Narkosegas Desfluran mit Demontage aller Vaporen ab Mitte 2021 [19] eine Einsparung von 261 t CO2e/a (78  Prozent der Scope-1 Emissionen in der OP-Bilanz und 11  Prozent in der Gesamtbilanz) gegenüber dem Vorjahr erwirken und wurde damit als Use-Case in der Abschlusspressekonferenz des KliKGreen-Projekts [17] vorgestellt. Flankierend geht mit dieser Maßnahme eine relevante finanzielle Einsparung durch Minderkosten bei der Verwendung von Sevo­fluran einher. Da der Vapor das Desfluran im gekühlten OP-Saal ununterbrochen auf über 39 °C aufheizen muss, um im Notfall jederzeit einsatzbereit zu sein, kommt zur Ersparnis bei den direkten Emissionen pro Arbeitsplatz außerdem noch die Reduktion des elektrischen Energieverbrauchs in der Größenordnung eines Kühlschranks je Vapor hinzu [20]. Somit können die Scope-2-Emissionen bei fortgesetzter Vorhaltung und weitgehendem Verzicht auf Desfluran die direkten Emissionen sogar übersteigen. Vereinfachend gehen daher aktuelle Berechnungen vom bis zu 50-fachen Treibhauseffekt gegenüber dem Gebrauch von Sevofluran aus [21, 22, 23, 24, 25].

Relevante pharmakokinetische Nachteile konnten wir nach Verzicht auf Desfluran am UKA auch bei adipösen Patienten mit einem BMI über 40 nicht beobachten: Sowohl die Aufwachzeiten als auch die Aufenthaltsdauer im Aufwachraum haben sich seither bei diesen Patienten durch die Verwendung von Sevofluran nicht verlängert [18]. Angesichts der nahezu deckungsgleichen exspiratorischen Eliminationskurven von Sevofluran und Desfluran nach Beendigung der Gaszufuhr bei üblichen Eingriffsdauern ist das allerdings auch nicht zu erwarten [45, 46, 47].

Klimaschonende Alternativen zu Inhalationsanästhesien sind zum einen die total intravenöse Anästhesie (TIVA) und zum anderen die Regionalanästhesie als Monoverfahren [26]. Sherman et al haben Live Cycle Assesments (LCA) für die gängigsten Inhalationsanästhesien sowie für eine Propofolnarkose berechnet und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass der Klimaeffekt einer TIVA gegenüber Inhalationsanästhesien praktisch vernachlässigbar ist [27]. Um die Zeit von der Anästhesieeinleitung bis zur Einfahrt in den OP-Saal zu überbrücken, ist es daher sinnvoll, zumindest in dieser Phase Narkosegase durch Propofol zu ersetzen. Das Systemvolumen der Narkosegeräte muss auch für eine kurze Überbrückung komplett mit Gas gefüllt werden, das nach dem Verlassen des Einleitungsplatzes nutzlos in die Atmosphäre entweicht.

Anästhesist:innen der technischen Universität München entwickelten Aufkleber mit QR-Code-Links zu Informationen über das Treibhausgas-Potenzial bei verschiedenen Frischgasflussraten, die über das Forum Nachhaltigkeit von DGAI und BDA zu beziehen sind und an Sevofluran-Vaporen angebracht werden können (s. Abb. 1). Sie sollen bei fehlenden Kontraindikationen die ärztliche Compliance für die Bevorzugung der Minimalfluss-Narkose, der total intravenösen Anästhesie (TIVA) sowie der Regionalanästhesie erhöhen. Selbstverständlich sollten diese Inhalte zusätzlich in klinikinternen Fortbildungsveranstaltungen wiederholt vermittelt werden. Auch speziell für die inhalationsaffine Kinderanästhesie wurden vom Autor dieses Artikels zusammen mit Kolleg:innen aus dem Wissenschaftlichen Arbeitskreis Kinderanästhesie Empfehlungen entwickelt [28], die sich als Ergänzung zu den wertvollen Handlungsanweisungen aus dem Positionspapier des Forums Nachhaltigkeit von DGAI und BDA verstehen [10].

Abb. 1: Sevofluran-Vapor mit Hinweis zur Nachhaltigkeit im UKA; Entwicklung des Aufklebers in der TUM (Desfluran-Vapor deinstalliert)

Durch die Summe dieser Maßnahmen ist ein weiterer Rückgang des Verbrauchs an volatilen Anästhetika und zugehörigen THG-Emissionen am UKA zu erwarten. Der Effekt soll erneut zum Jahresende 2023 bilanziert werden. Bei der Verwendung von Desfluran mit Lachgas (wie in Nordamerika vielerorts noch üblich) anstelle von Sevofluran ohne Lachgas ergibt sich ein sehr hoher Unterschied bei den THG-Emissionen (Scope 1-3) aus dem OP [9]. In klinischen Dosierungen ist das in der Atmosphäre sehr langlebige Lachgas bezüglich seines Klimaeffekts dem Desfluran vergleichbar schädlich [29]. Anlagen für N2O wurden zuletzt in Deutschland bei der Modernisierung von Operationssälen aber meist nicht mehr verbaut – so auch am UKA. Allerdings wird ein Lachgas-Sauerstoff-Gemisch (z. B. Livopan®) in der Geburtshilfe, bei Kindern und von Zahnärzten noch relativ häufig verwendet, wenn kein Anästhesist zur Verfügung steht.

Problematisch ist bei der Verwendung in halboffenen Systemen der hohe Frischgasfluss bei gleichzeitig hoher erforderlicher Konzentration. In einem Kommentar zum Lachgas-Cracking in der Geburtshilfe [37] kommen die Autoren zum Schluss, dass trotz dieses neuen Verfahrens die Applikation von Lachgas die „klimaschädlichste Option ist, um Geburtsschmerzen zu behandeln“ [36]. Eine interdisziplinäre Stellungnahme in der deutschsprachigen Fachzeitschrift „Hebamme“ wird in Kürze folgen. In der Geburtshilfe am UKA wird N2O seit vielen Jahren auch wegen seiner begrenzten analgetischen Potenz nicht mehr verwendet [38]. Alternativ zu Lachgas-Gemischen ist für die Notfallmedizin (aber nicht für die Geburtshilfe) Methoxyfluran zugelassen [43, 44]. Auch hierfür gibt es zum einen besser wirksame Alternativen und zum anderen einen Absorber im Applikationssystem – allerdings ohne die Möglichkeit der (thermischen) Neutralisierung [48, 49].

Ein ähnlich hohes Global-Warming-Potenzial wie Desfluran haben die Fluorkohlenwasserstoffe Norfluran und Apafluran, die als Treibgase in Aerosol-Inhalatoren verwendet werden. Zwar sind die pro Sprühstoß freigesetzten Mengen gering, jedoch hat ein Wechsel auf Pulverinhalatoren bei täglicher Applikation von zwei Sprühstößen den gleichen Effekt wie eine Ernährungsumstellung auf vegetarische Kost [30] und sollte somit zumindest im stationären Setting erwogen werden.

Indirekte positive Effekte auf die Scope-2-Emissionen durch den nachhaltigeren Umgang mit Inhalationsanästhetika betreffen den Verzicht auf Desfluran-Vaporen (s. o.) und das Abschalten der Atemgasfortleitungssysteme (AGFS). Zwar hat sich die Hoffnung auf hohe Recovery-Raten der gängigen Inhalationsnarkotika mittels Aktivkohlefiltern von ZeoSys® in ersten klinischen Studien nicht erfüllt [39], aber der Benefit könnte an anderer Stelle auftreten: im 24/7-Betrieb verursachen die AGFS bis zu 5 t CO2e/Arbeitsplatz im Jahr. Wo ein konsequentes Ausstecken der AGFS-Anschlüsse aufgrund zahlreicher Notfall-Arbeitsplätze nicht praktikabel erscheint, bieten die Narkosegasabsorber die Möglichkeit, auf die AGFS zukünftig ganz zu verzichten [42] und das desorbierte Narkosegas wieder der Verwendung am Patienten zuzuführen [40] – allerdings gibt es hier noch mehrere normative Hürden.

Zwei wirkungsvolle Projekte zur Energieeinsparung sind am UKA derzeit in der Umsetzungsphase: Der Wechsel von Leuchtstoffröhren auf LED-Beleuchtung in den fensterlosen Bereichen des Zentralgebäudes, der sich auch ökonomisch rasch amortisiert, und der Ruhebetrieb der Raumlufttechnik aller nicht benötigten OP-Säle außerhalb der Regelarbeitszeit. Eines der drei OP-Zentren in der CO2-Footprint-Studie von McNeill et al. [9] erreichte durch eine vergleichbare Maßnahme eine Reduktion der THG-Emissionen um 50  Prozent. Jeden einzelnen OP-Saal durchströmen pro Stunde bei aktuellen Lüftungsanlagen, die Keimarmut durch „Laminar Air Flow“ ermöglichen, bis zu 9000 m³ Luft, die gefiltert und klimatisiert (d. h. geheizt oder gekühlt und ggf. befeuchtet) werden muss. Dies ist ein extrem energieaufwendiger Prozess, und so verbrauchen OP-Bereiche pro m² Fläche 3- bis 6-mal so viel Energie wie der Rest eines Krankenhauses.

Für die Beheizung der untersuchten universitären OP-Einheiten war bauartabhängig mit ca. 2.000 bis über 6.000 MWh/a die größte Energiemenge erforderlich, für Lüftung und Kühlung je nach Energieeffizienz der jeweiligen Anlage etwa 500 bis 2.000 MWh/a. Der Energieverbrauch aller weiteren elektrischen Verbraucher im OP (PCs, Beleuchtung, Pumpen, Kauter, Monitoring, Narkosegeräte, Infusions- und Konvektionswärmegeräte etc.) zusammengenommen war demgegenüber praktisch vernachlässigbar [9]. Der Stromverbrauch der Raumlufttechnik der 24 OP-Säle im Zentralbereich des UKA beträgt mit 3.350 MWh/a etwa 10  Prozent des Gesamtverbrauchs des Hauptstandorts und könnte durch einen Ruhebetrieb der außerhalb der Regelarbeitszeit nicht benötigten OP-Säle um gut 1.000 MWh/a bzw. rund ein Drittel reduziert werden, wodurch die Maßnahme nicht nur ökologisch, sondern infolge steigender Energiepreise auch ökonomisch sinnvoll ist. Einspareffekte im Bereich der Fernwärme, die durch reduzierte Raumheizung aufgrund des technisch erforderlichen Temperaturgradienten zwischen OP-Saal und einströmender Luft zustande kommen, sind hierbei noch nicht eingerechnet.

Die Scope 3-Emissionen für Ver- und Entsorgung von Verbrauchsmaterialien lagen in den von McNeill et al. untersuchten Einrichtungen zwischen 536 und 650 t CO2e/a und entsprachen damit einem Anteil von 12 bis 20  Prozent des Gesamt-Footprints der OP-Einheiten [9]. Zweifellos gibt es auf diesem Gebiet ebenfalls ein erhebliches Optimierungspotenzial [13], wofür auch konkrete Handlungsempfehlungen im Positionspapier von DGAI und BDA ausgesprochen werden [10]. Allerdings erfordern wirkungsvolle Umstellungen im Gegensatz zu den vorgenannten Maßnahmen bei der Vielzahl von eingesetzten Produkten regelhaft zahlreiche kleinschrittige, detailtiefe und aufwendige Einzelentscheidungen, die außerdem interprofessionell und interdisziplinär abgestimmt werden müssen. Da LCA für die meisten Produkte nicht verfügbar sind, werden Kaufentscheidungen bisher im Wesentlichen wirtschaftlich begründet.

Das Universitätsklinikum Heidelberg hat mittels der Top-down-Methode (wobei von den Produktkosten auf die THG-Emissionen geschlossen wird) seine Scope-3-Emissionen überschlagen und kommt zu dem Ergebnis, dass sie mit 172.500 t CO2e/a 3-mal so hoch sind wie die Scope-1- und Scope-2-Emissionen zusammen [31]. In Europa und in den USA ist durch einen relativ hohen Anteil erneuerbarer Energien im Gegensatz zu Australien der Fußabdruck wiederverwertbarer Materialien gegenüber Einwegmaterialien günstiger. Dies gilt insbesondere für OP-Kittel und Abdecktücher sowie für Laryngoskope, Bronchoskope, Larynxmasken und Tabletts für Anästhesiemedikamente [41]. Durch die sinnvolle Packung von Abwaschsets für Katheter-Anlagen sowie die Nutzung von Fertigspritzen, die dem tatsächlichen Bedarf entsprechen, lassen sich die Scope-3-Emissionen im OP weiter verringern [10]. Aber auch hygienische Vorgaben müssen immer wieder bezüglich ihrer tatsächlichen Effekte auf die Patientensicherheit, die Mitarbeitergesundheit und ihren Umwelteinfluss untersucht und optimiert werden [51].

Projekte zur Dekarbonisierung relevanter Scope-3-Posten wie der Patienten- und Mitarbeitermobilität sowie der Speiseversorgung müssen interprofessionell angegangen werden und betreffen das gesamte Krankenhaus. Der Footprint pro Klinikbett oder pro Operation profitiert allerdings von solchen Bemühungen ebenfalls in sehr hohem Maße – wie beispielsweise in der CO2-Klimabilanz des UK Freiburg bereits vorbildlich berechnet (Abb. 2).

Fazit für die Praxis

Abb. 2: CO2-Klimabilanz des Universitätsklinikums Freiburg 2019, modifiziert nach [32]

Folgende Fragen sollten in jeder operativ tätigen Einheit zum Erreichen einer erhöhten ökologischen Nachhaltigkeit geklärt werden:

1.Welche Inhalationsanästhetika werden am Standort verwendet und sind Alternativen oder gar ein weitgehender Verzicht denkbar?

2.Wird das Atemgasfortleitungssystem am Ende des OP-Tages ausgesteckt und könnte evtl. ganz darauf verzichtet werden zugunsten von Narkosegasabsorbern mit nachgeschaltetem Recycling?

3.Wird die Raumlufttechnik am Ende des OP-Tags in den Ruhebetrieb versetzt oder abgeschaltet?

4.Ist der Bezug oder die Produktion von grüner Energie (Strom, Wärme) möglich?

5.Ist eine Reduktion von oder ein Verzicht auf Einweg-Materialien (Abdecktücher, OP-Kittel bzw. -Hauben etc) möglich? Gibt es bei den Verbrauchsmaterialien bereits CO2-neutrale Produkte?

6.Wie viel CO2 kann im Bereich der Mitarbeiter-Mobilität durch moderne Konzepte wie Jobrad, Jobticket, Ladeinfrastruktur für E-Mobilität, Mitfahrportale, bessere Anbindung und Taktung des ÖPNV, Home-Office und Verzicht auf (internationale) Kongressreisen eingespart werden?

7.Gibt es Möglichkeiten, Patienten prästationär bzw. präoperativ ohne körperliche Anwesenheit oder zumindest innerhalb eines Termins komplett aufzuklären (Digitalisierung, Telemedizin)?

8.Lassen sich durch die Optimierung von Abläufen vor allem bei ambulanten Kurzeingriffen Material und OP-Zeit einsparen?

9.Ist eine regionale, ökologische und fleischreduzierte Speiseversorgung („planetary health diet“) für Patienten und Mitarbeiter umsetzbar?

10.Wie ökologisch/gerecht ist die bestehende Ressourcenallokation individualmedizinisch und in Bezug auf die Gesundheit der Gesamtbevölkerung und wo wollen wir hin?

11.Verfügt die medizinische Einrichtung über einen Hitzeschutzplan mit medizinischem Schulungskonzept und technischen Schutzmaßnahmen? Wird dieser Aspekt bei der Planung von Neubauten sowie bei Umbau- und Renovierungsmaßnahmen berücksichtigt?

Die Literaturliste erhalten Sie auf Anfrage via [email protected].

Korrespondierende Autorin:

Dr. med. Daniel Bolkenius

Stellvertretender Bereichsleiter Kinderanästhesie

Stellvertretender Sprecher UMAGG
(University Medicine Augsburg goes
green), Klimamanager (KlikGreen)

Klinik für Anästhesiologie und
Operative Intensivmedizin

Universitätsklinikum Augsburg

[email protected]

Prof. Dr. Axel R. Heller MBA DEAA

Direktor der Klinik für Anästhesiologie
und Operative Intensivmedizin

Universitätsklinikum Augsburg

Prodekan der Medizinischen Fakultät
an der Universität Augsburg

Universitätsklinikum Augsburg

[email protected]

Dr. Renate Linné

Stv. Kaufmännische Direktorin
Leitung Stst. Medizin und Gesellschaft
Sprecherin, UMAGG (University Medicine Augsburg goes green)
Universitätsklinikum Augsburg

[email protected]

Chirurgie

Bolkenius D, Heller AR, Linné R: Nachhaltigkeit in der operativen Medizin. Passion Chirurgie. 2023 Juli/August; 13(07/08): Artikel 03_01.

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