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Der im März 2017 beschlossene Masterplan Medizinstudium 2020 [1] stellt eine grundlegende akademische Reform des Humanmedizinstudiums dar. Neben der Neuordnung des Humanmedizinstudiums soll mit dem Masterplan gleichzeitig die Zulassung zum Medizinstudium neu geregelt und eine flächendeckende hausärztliche Versorgung unterstützt werden. So sollen die Zulassungskriterien stärker auf die Anforderung an ärztliche Tätigkeiten ausgerichtet werden, neben der Abiturnote sollen mindestens zwei weitere, bislang nicht näher definierte Kriterien angewandt werden (<30> – <32>*). Um mehr ärztlichen Nachwuchs für eine flächendeckende, hausärztliche Versorgung zu erreichen, wurden die Maßnahmen zur Stärkung der Allgemeinmedizin (<33> – <37>*) konzipiert.

Durch die Ausbildungsreform soll erreicht werden, dass künftige Medizinergenerationen, den neuen Herausforderungen bedingt durch demographischen Wandel und sich ändernde Versorgungspraxis gerecht werden. Da sich die ärztliche Versorgung zunehmend in den ambulanten Bereich verlagern wird, sollen Studierende neben den für Universitätsklinika typischen, eher komplexeren Erkrankungsfällen auch „alltägliche“ Erkrankungen aus der ambulanten Versorgung im Studium kennenlernen.

Diese Reform der Ausbildung soll sich auch in den neuzugestaltenden Staatsexamensprüfungen und in der Weiterentwicklung der Gegenstandskataloge widerspiegeln. Auf die Maßnahmen, die sich mit der Neustrukturierung von Lehre (<1> – <22>*) und Prüfungen (<23> – <29>*) im Medizinstudium befassen, möchten wir im Folgenden näher eingehen.

Die 22 zur Lehre formulierten Maßnahmen lassen sich unter fünf übergeordneten Zielen zusammenfassen:

  1. Stärkung der Vermittlung arztbezogener Kompetenzen, d. h. neben reinem Faktenwissen sollen auch Fähigkeiten, Fertigkeiten und Haltungen vermittelt werden (<1> – <13>*).
  2. Durchführung einer praxisnahen Ausbildung durch enge Verknüpfung von klinischen und theoretischen Inhalten von Beginn des Studiums bis zum Ende (<14> – <15>*).
  3. Systematische, strukturierte Vermittlung von Wissenschaftskompetenz mit nicht näher spezifiziertem Leistungsnachweis (<10>*).
  4. Stärkung sowohl der Arzt-Patient-Kommunikation als auch der interprofessionellen Kommunikation (Zusammenarbeit) (<7> und <8>*).
  5. Stärkung der Allgemeinmedizin in Studium und Forschung (<16> – <22>*).

Neugestaltung des Studiums der Humanmedizin – Fokus auf Kompetenzorientierung und weitere Arztrollen neben der klassischen ärztlichen Expertenrolle

Neben reinem Faktenwissen sollen Studierende bereits mit Beginn des Studiums arztrelevante Kompetenzen erwerben, früher klinische Praxis erfahren und stärker mit Patienten und Patientinnen in Berührung kommen. Im vorklinischen Studienabschnitt sollen theoretische Inhalte mit klinisch-praktischen Aspekten verknüpft werden. Diese enge Verknüpfung zwischen Theorie und Praxis soll sich auch im klinischen Studienabschnitt fortsetzen. Ein neuer Schwerpunkt liegt auf der interprofessionellen Kommunikation, so sollen künftige Ärzte und Ärztinnen effektiv mit Angehörigen anderer Berufe des Gesundheitswesens zusammenarbeiten können (Arztrolle: Mitglied eines Teams).

Die Stärkung der Wissenschaftskompetenz wird in der Präambel und in einer eigenen Maßnahme zum Ausdruck gebracht. Neben der Nutzung von Forschungsergebnissen für die evidenzbasierte Behandlung eines individuellen Patienten soll ebenfalls ein stärkeres Engagement in der klinischen Forschung gefördert werden (Arztrolle: Gelehrter).

Um Prüfungsinhalte zu fokussieren und eine sinnvolle Neuverteilung des Lernstoffes zu erreichen, ist es notwendig, bereits definierten Lernstoff zu reduzieren. Eine Reduzierung des vorhandenen Prüfungsstoffes um 20 bis 25 %, wie sie im Gutachten des Wissenschaftsrates zur Weiterentwicklung des Medizinstudiums formuliert ist [2], könnte das Ziel sein.

Für die fächerübergreifende Vermittlung von arztbezogenen Kompetenzen soll der nationale kompetenzbasierte Lernzielkatalog (NKLM) [3], der auf dem 76. ordentlichen medizinischen Fakultätentag im Juni 2015 als Empfehlung verabschiedet wurde, als Wegweiser dienen. Hierzu soll der NKLM weiterentwickelt werden (<1>*), der weiterentwickelte NKLM soll als Bestandteil der ärztlichen Approbationsordnung Verbindlichkeit erlangen (<4>*). Studien und Prüfungsinhalte sollen künftig stärker auf wesentliche Lernziele fokussiert sein, Studieninhalte universitärer Curricula besser aufeinander abgestimmt sein und Redundanzen vermieden werden (<5>*). Im Sinne eines „constructive alignment“ soll das IMPP bei der Überarbeitung der Gegenstandskataloge die bisherigen Prüfungsinhalte reduzieren, diese den neuen Lernzielen anpassen, einen größeren Praxisbezug herbeiführen und allgemeinmedizinische Inhalte stärker in den Fokus nehmen (<6>*).

Stärkung von Wissenschaftskompetenz

Die Befähigung zum wissenschaftlichen Arbeiten soll weiter gestärkt werden, daher muss der routinierte Umgang mit wissenschaftlichen Konzepten, Methoden und Befunden bereits während der Ausbildung strukturiert vermittelt werden. Eine im Masterplan nicht näher spezifizierte Leistungskontrolle soll verpflichtend werden.

Stärkung von Kommunikation

Interprofessionelle Zusammenarbeit soll stärker in gemeinsame Lehrveranstaltungen mit Auszubildenden bzw. Studierenden anderer Gesundheitsfachberufe in Curricula integriert werden. Das Mustercurriculum nationales longitudinales Kommunikationscurriculum in der Medizin soll in die Curricula der Hochschulen umgesetzt werden und spezielle Prüfungsformate sind hierfür zu ermitteln.

Stärkung der Allgemeinmedizin

Die Allgemeinmedizin soll in der Ausbildung den Stellenwert erhalten, der ihr in der Versorgung zukommt. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) wird einen Impuls zur weiteren Stärkung der Allgemeinmedizin in der Forschung durch die Förderung einer nachhaltigen Netzwerkstruktur von Forschungspraxen geben. Damit soll eine stabile Infrastruktur für allgemeinmedizinische Forschung in Deutschland geschafft werden, durch die auch klinische Studien patientenorientiert, effizient und den methodischen Standards entsprechend durchgeführt werden können.

Was können wir vonseiten des IMPP zur Umsetzung des Masterplans schon mit im Rahmen der derzeit gültigen Ärzte-Approbationsordnung (ÄApprO) beitragen?

Im Sinne des Grundsatzes „Assessment Drives Learning“ kann das IMPP durch Umgestaltung und Neuausrichtung der bundeseinheitlichen schriftlichen MC-Prüfungen zu einer Änderung des Lernverhaltens der Studierenden und damit indirekt zur Neuausrichtung mit stärkerer Kompetenzorientierung beitragen. Im Rahmen der derzeit gültigen ÄApprO ist es bereits möglich, stärker als bisher Handlungs- und Begründungswissen zu prüfen, und somit auf der Miller-Pyramide ein höheres Kompetenzniveau zu erreichen. Daher wurde im Zweiten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung auf Fallstudien im Key-Feature-Format umgestellt, um die Kompetenz zur klinischen Entscheidungsfindung oder die Anwendung von Wissen auf den klinischen Fall zu prüfen. Für ein Key-Feature, welches als ein „Schlüsselschritt beim Lösen eines klinischen Problems“ gekennzeichnet ist, reicht das Erinnern von reinem Faktenwissen zur erfolgreichen Lösung von Aufgaben in diesem Format nicht aus [4]. Da mittelfristig eine Umstellung der schriftlichen IMPP-Prüfungen auf elektronische Prüfungen erfolgen soll (<24.2>*), ist dieses neue Aufgabenformat eine vorbereitende Maßnahme. Hinzukommt, dass für dieses Format bereits gezeigt werden konnte, dass Prüfungsergebnisse sehr gut die spätere Performanz als Arzt vorhersagen können und mit dem Behandlungsergebnis korrelieren [5]. Zugleich besteht ein weiterer Vorteil darin, dass nicht erst longitudinal über verschiedene IMPP-Examina eine Repräsentativität der Prüfungen zu erreichen ist, sondern schon innerhalb eines Examens eine höhere Diversität und Inhaltsvalidität erreicht wird.

Im ersten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung versuchen wir stärker als bisher den präklinischen Prüfungsstoff mit klinischen Fallvignetten zu versehen. So werden zusätzlich klinische Sachverständige in Fragenrevisionssitzungen für den Ersten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung eingebunden.

Eine Auswertung für die Examina des Zweiten Abschnitts der Ärztlichen Prüfung 2016 zeigte, dass die Arztrolle „der Arzt als Gelehrter“ nur zu einem Prozent vertreten war und nur sieben Prüfungsaufgaben, also insgesamt ein Prozent der 640 IMPP-Prüfungsaufgaben, die Thematik Wissenschaftskompetenz adressierten.

Um Wissenschaftskompetenz zu stärken, wurden IMPP-Sachverständige gebeten, MC-Fragen zur Wissenschaftskompetenz (WK) mit klinischem Bezug einzureichen. In der ersten Expertensitzung wurden 40 Fragen zur WK diskutiert, die Hälfte verabschiedet, sodass der Anteil von bisher einem Prozent in zukünftigen Examina erhöht werden kann. Gleichzeitig wurde deutlich, dass sich Fragen zur WK gut in klinische Problemstellungen integrieren lassen.

Durch ein am IMPP neuimplementiertes, multidimensionales Prüfungsfragen-Klassifikationssystem, welches eine Klassifizierung nach NKLM-Kriterien, GK-Ziffer, Fächerzuordnungen, Taxonomie, Patientenvignette (Alter, Geschlecht, Versorgungs-setting etc.) erlaubt, wird der Prozess der Neuausrichtung der Staatsexamina effizient unterstützt. So lässt sich schnell feststellen und ggf. nachadjustieren, ob beispielsweise allgemeinmedizinisch relevante Inhalte neben den jeweiligen, spezielleren fachspezifischen Inhalten in jeder klinischen Fachdisziplin ausreichend berücksichtigt wurden. Ebenso werden zu jeder Aufgabe Prüfziele festgehalten, diese dienen neben anderen Kriterien als weiteres Merkmal zur Qualitätssicherung und Relevanzbeurteilung.

Konkrete Vorstellungen zu den neu zu strukturierenden mündlich-praktischen Prüfungen nach drei, fünf und sechs Jahren wurden von Jünger [6] publiziert, sodass wir an dieser Stelle nicht näher darauf eingehen werden.

Mit externen Experten und in enger Zusammenarbeit mit dem Medizinischen Fakultätentag (MFT) und der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), gleichzeitiger Kooperation bei der Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalog (NKLM)-Weiterentwicklung, werden wir unsere IMPP-Gegenstandskataloge überarbeiten, synergistische Effekte aus beiden Weiterentwicklungsprozessen nutzen, um dabei die Gegenstandskataloge zu kompetenzorientierten Gegenstandskatalogen weiterentwickeln.

Was bedeutet der Masterplan für das Fach Chirurgie

Die angesprochenen Modifikationen im Studium und langfristig in der Qualität der ärztlichen Versorgung sind in hohem Maße begrüßens- und unterstützungswert. Hierbei steht die Chirurgie vor den gleichen Herausforderungen wie alle anderen klinischen Fächer. Die geplante Reform wird die klinischen Disziplinen stärken, ihre Umsetzung wurde in der Chirurgie schon begonnen, z. B. durch die Erstellung eines kompetenzorientierten Lernzielkataloges Chirurgie, der das Absolventenprofil für das Fach Chirurgie nach Ende des Praktischen Jahres festlegt [8], die Einrichtung von Skills Labs und vielerorts auch durch die Implementierung von OSCE-Prüfungen. Die Lösung der derzeit bestehenden ungleichen Verteilung zwischen Klinikärzten und Landärzten ist aber nicht durch alleinige Steuerung möglich, sondern muss durch weitere Maßnahmen begleitet werden. Hier illustrieren Umfrageergebnisse der Universitäten Bochum und Münster einen wichtigen Aspekt der allgemeinen Stimmungslage: Noch während des Studiums gibt ein hoher Anteil der Studierenden großes Interesse zu erkennen, in die Praxis des Landarztwesens zu wechseln, aber in der Weiterbildungszeit sinkt dieser Anteil. Ursachenforschung tut hier bitter Not, denn es sollte vermieden werden, dass die anderen klinischen Fächer durch Umverteilung der Absolventen ebenfalls in Nachwuchsschwierigkeiten geraten. Zusätzlich muss die Landarztpraxis daher an Attraktivität aus sich heraus gewinnen.

Bedenklich – bei allen unstrittig auch guten und zukunftsweisenden Ideen – stimmt aber auch, dass der Bedarf an benötigten Geldern und vor allem an hochmotivierten Aus- und Weiterbildern nur zu einem kleinen Teil bisher kalkuliert wurde. Die Belastung der derzeit Tätigen in tragenden Teilen der Medizin ist nicht ohne weiteres zu steigern. Die erfolgreiche Umsetzung des Masterplans verlangt eine enge Abstimmung unter allen Mitwirkenden. Inhalte und Ausrichtung des Medizinstudiums sollten sich in den schriftlichen Staatsprüfungen des IMPP wiederspiegeln, hier ist eine sehr enge Abstimmung zwischen Fakultäten und IMPP erforderlich. Die Formulierung von Zielen, Inhalten und Ideen muss ganz besonders auch aus den Fakultäten kommen. Das IMPP unternahm und unternimmt hier immense Anstrengungen, genau diese Ressource zu erschließen. Da hier keine Impact-Punkte verliehen werden, ist das Engagement bisher – neutral formuliert – ein zu verbesserndes.

Fazit

Auch die aktuelle politische Entwicklung zeigt, dass der Masterplan 2020 für die neue Bundesregierung ein wesentliches Anliegen ist. Im kürzlich zwischen CDU, CSU und SPD geschlossenen Koalitionsvertrag [7] findet sich zum Masterplan Medizinstudium 2020 folgendes Bekenntnis: „Den Masterplan Medizinstudium 2020 wollen wir insbesondere im Hinblick auf die Neuregelung des Studienzugangs, die Stärkung der Allgemeinmedizin sowie die Landarztquote zügig umsetzen. […]“

* bezieht sich auf die Maßnahmennummern des Masterplans Medizinstudium 2020

Literatur

[1] „Masterplan Medizinstudium 2020“ -BMBF. https://www.bmbf.de/de/masterplan-­medizinstudium-2020-4024.html

[2] Gutachten des Sachverständigenrates (2014): Empfehlungen zur Weiter-entwicklung des Medizinstudiums in Deutschland auf Grundlage einer Bestandsaufnahme der humanmedizinischen Modellstudiengänge https://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/4017-14.pdf

[3] Nationaler Kompetenzbasierter Lernzielkatalog Medizin. www.nklm.de/

[4] Kopp V, Möltner A, Fischer MR. Key-Feature-Probleme zum Prüfen von prozeduralem Wissen: Ein Praxisleitfaden. GMS Z Med Ausbild. 2006; 23(3):Doc50.

[5] Hrynchak P, Glover Takahashi S, Nayer M: Key-feature questions for assessment of clinical reasoning: a literature review. Medical Education 2014; 48: 870–883

[6] Jünger J: Kompetenzorientiert prüfen im Staatsexamen Medizin. Bundesgesundheitsbl 2018, 61: 171-177

[7] Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vom 14.03.2018. https://www.bundesregierung.de/Content/DE/StatischeSeiten/Breg/koalitionsvertrag-­inhaltsverzeichnis.html

[8] Kadmon M, Bender M, Adili F, Höfer S, Hofmann H.-S., König S., Ruesseler M, Walcher F: Nationaler Kompetenzbasierter Lernzielkatalog Chirurgie (NKLC) – Eine Chance zur Verbesserung der studentischen Ausbildung. ZBL CHIR 2016, 141(04):355-357

„Masterplan Medizinstudium 2020“, Beschlusstext zum Nachlesen

Kütting B, Jünger J, Senninger N: Masterplan Medizinstudium 2020 – Was bedeutet er für Lehre und Prüfungen? Passion Chirurgie. 2018 Juni, 8(06): Artikel 04_01.

Autoren des Artikels

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Prof. Dr. med. Birgitta Kütting

Leiterin des Fachbereichs MedizinStändige Vertreterin der DirektorinInstitut für Medizinische und Pharmazeutische Prüfungsfragen (IMPP)Große Langgasse 855116Mainz kontaktieren
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PD Dr. med. Jana Jünger

DirektorinInstitut für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen (IMPP), MainzGroße Langgasse 855116Mainz
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Prof. Dr. med. Dr. h.c. Norbert Senninger

em. DirektorKlinik für Allgemein- und ViszeralchirurgieUniversitätsklinikumWaldeyerstrasse 148149Münster kontaktieren

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