Alle Artikel von Dr. sc. med. Ulrich Klaus Fetzner

Rezension: Atlas of Robotic Upper Gastrointestinal Surgery

Professor Peter Philipp Grimminger (Mainz) und Professor Omar Yusef Kudsi (Boston) legen unter Springer-Nature einen Bildatlas zur robotischen Chirurgie des oberen Gas­tro­intestinaltrakts vor.

Auf Nachfrage, in welchen Bereichen sich die Medizin in den letzten zehn Jahren am meisten entwickelt hat, könnte man mit sehr guten Argumenten antworten: Die Vakzination, die Antikörper und die robotisch-assistierte Chirurgie. Was selbst vor fünf Jahren noch als aufwändige und teure „Spielerei“ abgetan wurde, hält auch in Deutschland mehr und mehr Einzug in die Routine der Allgemein-, Viszeral- und Thoraxchirurgie. Und dies zunehmend auch an mittelgroßen und kleineren Kliniken. Eingriffe, die man robotisch nie für möglich gehalten hätte, gelingen heute in unbeschreiblicher – am besten aber in Bild und Film ausdrückbarer – Eleganz. Mit steigender Routine relativiert sich der Aufwand, die Kosten für die Anschaffung des Robotersystems und der Einmalmaterialien sinken und werden durch die Minimierung von Komplikationen möglicherweise sogar aufgehoben. Zwischen den Kliniken und den Leistungsträgern laufen Verhandlungen bzgl. der Mehrkosten. Kliniken können auch über diverse Förderungsmaßnahmen der Krankenhausdigitalisierung und -modernisierung Anschaffungskosten senken.

Intuitive Surgical (Kalifornien, USA) – als Pionier der robotischen Systeme – hat mittlerweile in fast 70 Ländern Da-Vinci-Systeme – mittlerweile in der vierten Generation – installiert. Über 10 Millionen Eingriffe wurden weltweit damit durchgeführt. Seit Firmengründung im Jahr 1995 ist das Unternehmen auf über 8.000 Mitarbeiter weltweit und einen Jahresumsatz von fast sechs Milliarden US-Dollar angewachsen. Mittlerweile bestehen neben dem Da-Vinci-System weitere Mitbewerber auf dem Markt. Nur um einige Beispiele zu nennen: Avatera (avateramedical), Versius (CMR Surgical), Ottava (Johnson & Johnson), Hugo RAS (Medtronic), Dexter (Distalmotion), hinotori (Medicaroid) und viele weitere.

Und was aber am entscheidendsten ist: Die medizinisch-wissenschaftliche Evidenz nimmt zu, dass robotisch-assistierte Eingriffe im Vergleich mit dem laparoskopischen oder thorakoskopischen Goldstandard (je nach Prozedur) ebenbürtig oder ihm gar überlegen sind.

Chirurgisch-robotischer Bildatlas von Weltklassechirurgen

Mit dem Herausgeberduo Omar Kudsi und Peter Grimminger konnte Springer Nature sowohl exzellente klinische Praktiker am Roboter – Exzellenzoperateure – als auch exzellente international renommierte Wissenschaftler gewinnen. Sie legen ein bildlastiges Werk zur robotischen Chirurgie des oberen Gastrointestinaltrakts vor. Beide Persönlichkeiten sind Nestoren der robotischen Chirurgie von internationalem Ruf und internationaler Vernetzung. Beide bilden in der robotischen Chirurgie aus, sowohl an ihrer Heimatuniversitätsklinik als auch als Proctoren an nationalen und internationalen Gastkliniken. Professor Grimminger ist – gemeinsam mit Professor Richard van Hillegersberg, einem Pionier der robotisch-assistierten Chirurgie in Europa – Gründungsmitglied der Upper GI international Robotic Association (UGIRA). Um sie herum gruppieren sich im vorliegenden Werk 50 Beitragsautoren von ebenso exzellentem Ruf. Es seien hier stellvertretend nur Professor Mönig (Genf), Professor Pratschke (Berlin), Professor Stein (Nürnberg) und Professor Yang (Seoul) genannt.

Das Werk ist ein solide ausgestattetes, fadengebundenes Hardcover-Buch, durchweg vierfarbig bebildert auf hochwertigem und entspiegeltem Papier. Die 24 Kapitel – von oral nach aboral – geben die häufigsten Prozeduren des OGIT wieder, einschließlich der bariatrischen Chirurgie. Sie beginnen mit einem knappen einführenden Text und zeigen dann die jeweilige Operation gemäß der Schule der Autoren vom Setting (Lagerung, Trokarposition) bis zum Ende der Operation. Die Anzahl der Abbildungen ist dabei wohldosiert und didaktisch ausgefeilt. Die Abbildungen geben jeweils die Schlüsselpunkte oder auch „Milestones“ der Operation wieder. So kann der mit dem laparoskopischen, thorakoskopischen oder auch noch konventionell offenen Verfahren bereits erfahrene Operateur die einzelnen Schritte hervorragend nachvollziehen.

Das Buch ist sowohl dazu geeignet, direkt vor einem robotischen Eingriff die Schritte noch einmal zu rekapitulieren, als auch für Interessierte, die sich einfach über den Stand der robotischen Technik im oberen Gastrointestinaltrakt informieren möchten. Die Kapitel schließen mit wenigen relevanten Zitaten zur aktuellen Studienlage. Der Index fällt mit gerade 5 Seiten etwas knapp aus und hätte verlagsseitig umfangreicher ausgestaltet werden können. Eine Anregung an den Verlag Springer könnte ebenso darstellen, die jeweiligen Milestones mit einem QR-Code zu versehen, mit dem der Leser dann mittels Smartphone eine kurze repräsentative Sequenz des Videos ansehen kann.

Der Preis ist mit ca. 160 Euro für das Hardcover-Buch angemessen für die Zielgruppe Fach-, Ober- und Chefärzte. Der Preis für das E-Book beträgt ca. 120 Euro.

Atlas of Robotic Upper Gastrointestinal Surgery
Kudsi, Grimminger (Editors)
Springer Nature Switzerland 2022
ISBN: 978-3-030-86577-1
eBook: 117,69 €
Hardcover: 160,49€

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Fetzner U: Rezension: Atlas of Robotic Upper Gastrointestinal Surgery. Passion Chirurgie. 2022 April; 12(04): Artikel 04_07.

Anpassung der Mindestmenge Ösophagus: Jetzt Handeln der Zentren, Träger und Länder erforderlich

Am 01.01.2021 trat die novellierte Mindestmengenregelung (Mm-R) für resezierende komplexe Eingriffe am Organsystem Ösophagus für Erwachsene des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) in Kraft (§136b Abs. 1 Nr. 2 SGB V für nach §108 zugelassene Krankenhäuser nach Anlage Nr. 3). 26 statt bisher zehn Eingriffe je Standort und Jahr sind nun – nach einer Übergangsphase – ab 2023 erforderlich. Das weitere Vorantreiben der Zentralisierung von Speiseröhrenoperationen birgt die Chance einer weiteren Steigerung der Versorgungsqualität. Allerdings wird die Auswirkung auf die Kliniklandschaft und die Versorgungsrealität gravierend sein. Viele Fragen sind noch ungeklärt. Die Krankenhäuser, Krankenhaus-Träger und Versorgungsstrukturen sind aktuell noch weitestgehend unvorbereitet auf die Anpassung des G-BA. Zur Zeit des Gesetzesentwurfs waren die Parallelentwicklungen einer Covid-19 Pandemie und die gravierenden Personallücken v.a. im Intensivpflege- und Operationsfachkräftebereich nicht im derzeitigen Ausmaß vorhersehbar.

Operationen an der Speiseröhre sind hochspezialisierte, seltene und v.a. – da es sich zu über 80% um Karzinome als Eingriffsdiagnose handelt ¬– planbare Eingriffe. Deshalb sind sie mindestmengenfähig. 3.697 solcher Eingriffe wurden 2015 bundesweit durchgeführt.

An „High Volume Zentren“ werden Tumoroperationen nicht nur mit niedrigerer Mortalität durchgeführt. Auch Behandlungskosten und Krankenhausverweildauer sinken bei hohen Fallzahlen signifikant. Ein erfahrener Ösophagus-Chirurg mit signifikanter Überschreitung der „Lernkurve“, erzielt im Vergleich zu einem Operateur mit geringerer Erfahrung, eine um bis zu 50 % reduzierte Klinikmortalität. Betrachtet man die Anzahl der Operationen pro Abteilung, konnte man bei gleicher Morbidität eine signifikante Abnahme der Mortalität von 16 % bei weniger als sechs Ösophagektomien pro Klinik, auf 4,8 % bei mehr als sechs Ösophagektomien pro Jahr nachweisen. Dies liegt v.a. in der strukturellen Abrufbarkeit von interdisziplinärem Komplikationsmanagement an Zentren begründet.

Nimptsch und Mitarbeiter analysierten anhand von Abrechnungsdaten 22.700 Behandlungsfälle von 2010 – 2015 in Deutschland anhand der Abrechnungsdaten. Es fand sich eine signifikant geringere Mortalität (6,8 %) in Kliniken mit median 62 Fällen pro Jahr als in Kliniken mit nur zwei Fällen pro Jahr (12,2 %). Die Autoren ermittelten einen erforderlichen Schwellenwert von 26 Operationen pro Jahr bei dem die im Beobachtungszeitraum bundesweit durchschnittliche Mortalität von 9,5 % bei Ösophagektomien unterschritten wird.

Das Fahrzeitenproblem

Mit Modellberechnungen und Umverteilungsalgorithmen wurde vom IQTIG (Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen) ermittelt, dass Patientinnen bislang zum Ort Ihrer Ösophagus operierenden Klinik 20 Minuten Fahrzeit und 17 km Wegstrecke zurückzulegen hatten. Bei der zu erwartenden Zentralisierung durch Anhebung der Mindestmenge auf 26 pro Klinik und Jahr würde sich die mittlere Fahrzeit pro Patient auf 31 Minuten und die Wegstrecke auf 36 km verlängern.

Aktuell noch weitgehend fehlende Kooperationsverbünde

Erstdiagnostik des Ösophagus-Karzinoms, Staging, Risikoevaluation, Tumorboardvorstellung, interventionelle Resektion von Frühkarzinomen oder die multimodale Behandlung und Prähabilitation vor der kurativen Resektion: All dies kann in der Fläche und Gesamtheit nur durch leistungsfähige und in der Zusammenarbeit erprobte Kooperationspartner erfolgen. Ansonsten entstünde ein immenser Mehraufwand für die Zentren. Die Notwendigkeit eines Kooperationsnetzwerkes ergibt sich aber auch bezüglich des Komplikationsmanagements und der Tumornachsorge. Dass bis dato in der Fläche kaum Kooperationsverbünde vorliegen, liegt an der bisherigen Wettbewerbssituation der Kliniken, welche der Ausbildung solcher Kooperationen eher abträglich war.

Ressourcensteigerungsproblem der bestehenden Zentren

Verteilte man 4.000 Ösophagus-Eingriffe auf 69 Kliniken in Deutschland – dies entspricht der Prognose des IQTIG bei Anhebung der Mindestmenge auf 26 pro Klinik und Jahr – so bedeutete dies etwa 60 Eingriffe pro Jahr und Klinik. Dies ist kapazitiv und personell anspruchsvoll unter den gegebenen Rahmenbedingungen. Über 50 Ösophagektomien pro Jahr bedeutet bereits einen hohen personellen und strukturellen Aufwand, der nicht „on top“ zu leisten ist, sondern eine signifikante Leistungsausdehnung der jeweiligen Klinik bedeutet.

Keine angepassten Weiterbildungscurricula

Auf der einen Seite kann an High Volume Zentren Weiterbildung und Forschung effektiv gestaltet werden. Aktuell sind aber die meisten Weiterbildungscurricula z.B. der speziellen Viszeralchirurgie der Landesärztekammern mit der geplanten Zentralisierung in der Ösophaguschirurgie keineswegs abgestimmt.

Engagement der Kliniken aber auch der Länder gefragt

Nun ist insbesondere das Engagement derjenigen Kliniken gefragt, welche bereits jetzt Ösophagus-Chirurgie in signifikantem Volumen betreiben. Sie müssen neue Netzwerke bilden und bestehende ausbauen, welche eine leitliniengerechte Versorgung bis in die Peripherie gewährleisten. Allentscheidend für den Erfolg der Umsetzung des G-BA Beschlusses wird jedoch die Investition von Mitteln durch Länder und Träger sein, um die Leistungsausdehnung zu finanzieren. Denn die künftigen Zentren müssen sich personell und strukturell darauf vorbereiten, die Anzahl der Ösophagus-Eingriffe um den Faktor zwei bis vier zu erhöhen.

Literatur

[1] Hölscher AH. Ösophaguskarzinom – Operative Therapie in Zentren. Dt. Ärztebl 2001; 98: A 1890 – 1894 (Heft 28 – 29)
[2] Patti MG, Corvera CU, Glasgow RE, Way LW: A hospital’s annual rate of esophagectomy influences the operative mortality rate. J Gastrointest Surg 1998; 2: 186–192.
[3] Nimptsch U., Haist T, Krautz C et al. Fallzahl, Krankenhaussterblichkeit und Komplikationsmanagement in der Ösophaguschirurgie. Analyse deutschlandweiter Krankenhausabrechnungsdaten. Dtsch Ärztebl Int 2018; 115: 793 – 800. DOI: 10.3238/arztebl.2018.0793
[4] Metzger R, Bollschweiler E, Hölscher AH et al. High volume centers for esophagectomy: what is the number needed to achieve low postoperative mortality? Dis Esophagus. 2004; 17: 310–4.
[5] Hölscher AH, Fetzner UK. Paraconduit hiatal hernia after esophagectomy. Prevention-indication for surgery-surgical technique. Dis Esophagus. 2021. PMID: 33912913

Fetzner UK, Gerdes B: Anpassung der Mindestmenge Ösophagus: Jetzt Handeln der Zentren, Träger und Länder erforderlich. 2021 Dezember; 11(12): Artikel 04_07.

Rezension: Expertise Oberer Gastrointestinaltrakt

„Oberer Gastrointestinaltrakt“ lautet der Titel der Reihe „Expertise Allgemein- und Viszeralchirurgie“ aus dem Stuttgarter Verlagshaus Georg Thieme. Das Werk bündelt thematisch den klinischen und wissenschaftlichen Schwerpunkt des Herausgebertrios Arnulf Hölscher, Stefan Mönig und Hans-Joachim Meyer. Bei diesem Fachbuch für den fortgeschrittenen Leserkreis (Fach-, Ober-, Chefärzte) kommen nach Ansicht des Rezensenten der hohe Anspruch des Verlagshauses an die Buchreihe und die tatsächliche Umsetzung durch die international renommierten Herausgeber und die ausgesuchte Autorenschaft vollkommen zur Deckung.

Formal handelt es sich um ein hervorragend ausgestattetes, über 400 Seiten starkes, großformatiges, aber dennoch handliches Hardcoverbuch mit robuster Fadenbindung. Das Papier ist entspiegelt, textmarkergeeignet und der Druck ist durchgehend 4-farbig.

Die Brücke zur digitalen Welt schlägt das Buch zum einen durch einen persönlichen Zugangscode, mit dem das Buch auf Smartphone, Tablet oder PC dauerhaft für einen Endnutzer konsumiert werden kann. Absolutes Novum sind zahlreiche Abbildungen im Buch, welche mit QR-Code versehen sind und – mit dem Smartphone oder Tablet betrachtet – die Ansicht eines Videos ermöglichen. Damit verschwimmen die Grenzen zwischen Printmedium und digitalem Medium. Gerade bei der Vermittlung von Operationswissen ist das eine didaktische Revolution, die sicher eine Zäsur darstellt und taktgebend für künftige Publikationen im Fachbereich sein wird.

Das Werk ist klar in Ösophagus, Kardia und Magen gegliedert. Die Subkapitel sind didaktisch wohl überlegt und vom Textvolumen her wohl dosiert, ausgewogen und insbesondere auch orientiert an der praktischen Relevanz. Das Sachverzeichnis ist ausführlich, enthält die relevanten Begriffe und eignet sich daher gut zum Nachschlagen bei der täglichen Arbeit.

Es gelingt den Autoren wissenschaftlich orientiert und fundiert einerseits, aber auch klinisch praktisch orientiert andererseits, den aktuellen Stand der Diagnostik und der Behandlung der gut- und bösartigen Erkrankungen von Speiseröhre, Kardia und Magen wiederzugeben. Dabei erfolgt die inhaltliche Orientierung durchgängig und klar an der chirurgischen Schule der Kölner Universitätsklinik von Arnulf Hölscher, welche auch als erste Klinik zum Exzellenzzentrum für die Chirurgie des Magens und des Ösophagus zertifiziert wurde.

Merke-Kästen und Zusatzinfos lockern den Textfluss auf, die Zitation von Primärliteratur und detaillierterer Sekundärliteratur führt den weitergehend interessierten Leser rasch in die Tiefe. Somit kann das Buch auch ideal als Einstieg in die wissenschaftliche Tätigkeit empfohlen werden.

Die zahlreichen aussagestarken Abbildungen entstammen ganz überwiegend der eigenen, üppigen Behandlungsdokumentation der klinisch aktiven Autoren. Wo immer sinnvoll, werden sie durch klare Schemata und anatomische Zeichnungen ergänzt.

Zusammenfassend handelt es sich um ein wissenschaftlich fundiertes und gleichzeitig praktisch-klinisch orientiertes Fachbuch zur Chirurgie der Speiseröhre und des Magens. Demzufolge vermittelt es gleichermaßen theoretisches Fachwissen und eine sehr anschauliche, didaktisch hervorragend aufgearbeitete, praktische Handlungskompetenz.

Dem Werk ist weite Verbreitung zu wünschen, der Preis ist mit 250 Euro und angesichts des digitalen Mehrwertes für die Zielgruppe angemessen.

Das Buch sollte aber auch ubiquitär in chirurgischen Teilbibliotheken, PJ-Bibliotheken und auch allgemeinchirurgischen Kliniksekretariaten für die Weiterbildungsassistentinnen und -assistenten kostenlos zur Einsicht zur Verfügung gestellt werden.

Expertise Oberer Gastrointestinaltrakt
Hölscher / Mönig / Meyer
Auflage 2021 ISBN: 978-3-13-177141-4
Verlag: Thieme, Stuttgart

Fetzner U. Rezension: Expertise Oberer Gastrointestinaltrakt. Passion Chirurgie. 2021 September; 11(09): Artikel 04_06.