Alle Artikel von Prof. Dr. med. Tilman Mischkowsky

Libysche Küste, Seenotrettung

Mitglieder im Einsatz: Seenotrettung vor der Küste Libyens

Unser ehemaliger Vizepräsident (2003-2012) Prof. Dr. med. Tilman Mischkowsky berichtet über sein Engagement in der Flüchtlingsrettung vor der Küste Libyens.

Die Zahl der Flüchtlinge, die den lebensgefährlichen Weg von Libyen über das Mittelmeer nach Europa suchen hat in den letzten zwei Jahren dramatisch zugenommen. Damit ist auch die Zahl der Ertrunkenen noch einmal deutlich angestiegen. Das UN-Flüchtlingshochkommissariat schätzt die Zahl der Toten im Jahr 2015 auf 4000 Menschen, in 2016 ist die Zahl deutlich höher – genauere Zahlen fehlen jedoch noch. Es ist, so viel ist sicher, ein Riesendrama ohne erkennbares Ende.

Ein Freundeskreis von Seglern um den Regensburger Micheal Buschheuer hat sich im Spätsommer 2015 entschlossen, dem Sterben im Mittelmeer nicht weiter tatenlos zuzusehen, sondern sich aktiv an der Seenotrettung vor der libyschen Küste zu beteiligen. Sie gründeten den Verein Sea-Eye e.V. und kauften ein Schiff, einen ehemaligen, bereits ausgemusterten Hochseefischkutter. Sie bauten ihn mit großem Aufwand und sehr viel Eigenleistung zu einem seetauglichen Seenotrettungsschiff um. Es wurde auf den Namen Sea-Eye getauft. Nach Fertigstellung wurde das Schiff in einer vier Wochen währenden Reise von wechselnden Crews durch den Ärmelkanal, durch die Biskaya, Gibraltar bis nach Sizilien gebracht. Ich selbst war bei der Überführung von Brest bis Málaga an Bord und erlebte in der Biskaya einen der berüchtigten Frühjahrsstürme mit bis zu zehn Windstärken. Das war auch für einen erfahrenen Segler ein erstmaliges, sehr, sehr eindrucksvolles Erlebnis. Von Licata auf Sizilien unternahmen wir dann erste Trainingsfahrten, um Rettungseinsätze und den Umgang mit unseren Rettungsmitteln zu üben. Das Schiff verfügt über zahlreiche Rettungsinseln, über 700 Rettungswesten, über 1000 Liter Mineralwasser in kleinen Einheiten, ausreichend Sonnenschutz und eine gute medizinische Ausrüstung. Es gibt einen kleinen Notfallraum, in dem das gesamte Spektrum notfallmedizinischer Versorgung angeboten wird. Nach erfolgreicher Einsatzerprobung begannen dann im Mai die ersten echten Rettungseinsätze.

Die Crews bestehen aus jeweils acht ehrenamtlichen Helfern, unter Leitung eines hochseeerfahrenen Skippers. Ein Großteil der gemischten Besatzung sind erfahrene Segler, es ist nahezu immer ein Arzt oder ein medizinisch qualifizierter Helfer an Bord. Die Kosten für die Anreise und deren übrige Kosten werden von den Mitgliedern selbst getragen, sie opfern dafür neben Geld ihren Urlaub und ihre Freizeit. Die wesentlichen Kosten für den Verein entstehen durch Rettungsmittel und Treibstoff unseres Schiffes, aber auch dessen Reparaturen. Die Sea-Eye ist seit Beginn der Einsätze in Malta stationiert, dort erfolgt auch der 14-tägige Wechsel der Crews. Im eigentlichen SAR-Gebiet (Search and Rescue) agieren noch mehrere ähnliche Schiffe von anderen Nichtregierungsorganisation (NGO) wie Ärzte ohne Grenzen (MSF), Sea-Watch, Jugend rettet, MOAS u.a., diese kooperieren inzwischen hervorragend. Der gesamte SAR-Rettungseinsatz wird von dem zentralen Maritim Rescue Coordination Center (MRCC) in Rom koordiniert und unterstützt. Dazu gehört auch die in hohem Maße aktive und nützliche italienische Küstenwache.

OEBPS/images/09_01_A_10_2016_Mischkowsky_image_01.jpgAbb. 1: Leckes Flüchtlingsboot mit bereits ausgeteilten Rettungswesten vor Übernahme in Rettungsinseln

Die Aufgabe unseres Schiffes ist nicht primär die Aufnahme von Flüchtlingen. Die Sea-Eye ist nur 26 Meter lang und für die Aufnahme von Flüchtlingen damit, von Ausnahmen abgesehen, ungeeignet. Es werden nur Flüchtlinge aufgenommen, die sich in einer primär lebensbedrohlichen Situation befinden und daher unmittelbarer, nicht aufschiebbarer Hilfe bedürfen. Die Hauptaufgabe der Sea-Eye besteht darin, nach bedrohten oder sinkenden Schiffen Ausschau zu halten und sie zu finden, oder diese anzulaufen, wenn sie dafür die Koordinaten von MRCC bekommt. Diese können von der Luftaufklärung oder von anderen im Zielgebiet operierenden Schiffen stammen. Wenn ein solches Flüchtlingsboot angelaufen ist, wird Erstkontakt über ein schnelles Schlauchboot hergestellt, um die Lage zuverlässig einschätzen zu können. Diese Flüchtlingsboote sind fast immer hoffnungslos überfüllt, seeuntüchtig, sehr häufig bereits leck, sie haben oft keinen Treibstoff mehr und sind akut in Seenot. Die Überlebenschancen ohne externe Hilfe sind äußerst gering. Es werden an die Flüchtlinge Rettungswesten verteilt, gegebenenfalls Trinkwasser und Sonnenschutz zur Verfügung gestellt. Zuvor wurde ein SOS-Ruf mit den aktuellen Koordinaten abgesetzt. Befindet sich das Flüchtlingsboot in akuter Sinkgefahr, werden die Flüchtlinge auf bereitgestellte Rettungsinseln übernommen. Dort wird die Überlebenssicherung fortgesetzt bis ein größeres Schiff, zum Beispiel der Italienischen Küstenwache oder anderer NGOs (es kann durchaus aber auch ein Kriegsschiff sein), diese Flüchtlinge übernimmt und dann definitiv weiter versorgt.

Wir, aber auch andere NGOs, waren – bedingt durch das riesige Zielgebiet (etwa so groß wie die Nordsee) und die geringe Geschwindigkeit unserer Schiffe – sind wiederholt nicht rechtzeitig bei einem sinkenden Flüchtlingsboot eingetroffen, sodass wir keine Lebenden retten konnten. Der Verein Sea-Eye hat sich daher entschlossen, ein zweites Schiff zu erwerben, das eine ideale Ergänzung zu unserer Sea-Eye sein soll. Es ist ein kleines, sehr schnelles – Speedy getauftes – Schnellboot, das bei Bedarf mit einer Höchstgeschwindigkeit von bis zu 80 km/h noch Flüchtlingsboote erreichen kann, die von den anderen Schiffen nicht mehr rechtzeitig erreicht werden können. Das Schiff wurde in England erworben und teils über Wasser, teils über Land nach Sizilien gebracht. Dann haben wir das Schiff zu zweit quer übers Mittelmeer in einer ziemlich abenteuerlichen Überfahrt nach Tunesien überführt. Es hat, bedingt durch seine geringe Größe, nur sehr viel weniger Rettungsmittel als die Sea-Eye an Bord (etwa 300 Rettungswesten) und verfügt auch über keine ernstzunehmende medizinische Ausstattung. Das Leben an Bord ist extrem spartanisch – von auch nur minimalem Komfort kann keine Rede sein.

OEBPS/images/09_01_A_10_2016_Mischkowsky_image_02.jpgAbb. 2: Erstes Rendezvous der Sea-Eye mit Speedy auf hoher See zur Übernahme neuer Rettungsmittel

Bei schlechtem Wetter, wenn also keine Flüchtlinge zu erwarten sind, bleibt das Schiff im Hafen. Wenn Flüchtlingsboote erwartet oder gemeldet werden, sprintet Speedy in das Zentrum des Einsatzgebietes, um sich mit seiner Schnelligkeit an der Rettung von Flüchtlingen zu beteiligen. Ich war dort selbst kürzlich für drei Wochen im Einsatz.

Unsere Organisation hat seit Beginn im Mai über 4000 Flüchtlinge gerettet. Das geschieht häufig allein, oft aber auch im Verband und in Kooperation mit anderen Helfergruppen. Die Kooperation zwischen den NGOs ist makellos und erhöht die Effektivität der Seenotrettung ganz erheblich.

Die Kosten für unsere Rettungseinsätze sind erheblich, wir rechnen mit etwa 1000 € pro Tag, im Wesentlichen für Rettungsmittel und Dieselkraftstoff. Diese Summen kann der Verein, trotz enormen – auch wirtschaftlichen – Engagements von mehreren Mitgliedern, nicht allein stemmen. Öffentliche Gelder stehen nicht zur Verfügung, sodass wir dringend auf Spenden angewiesen sind.

Wenn Spendenbereitschaft besteht, kann man das über die Internetseite www.Sea-Eye.org veranlassen oder sich direkt an den Autor dieses Berichtes unter [email protected] wenden.

Mischkowsky T. Mitglieder im Einsatz: Seenotrettung vor der Küste Libyens. Passion Chirurgie. 2016 Oktober, 6(10): Artikel 09_01.

Patientenrechte – Arztpflichten (Teil II)

Eine Analyse des Patientenrechtegesetzes durch Mediziner für Mediziner

Der erste Teil dieses Artikels ist in der Dezember-Ausgabe der PASSION CHIRURGIE erschienen.

Die Autoren sind Mitglieder des Ethik Komitee der AOTRAUMA German Chapter e.V.

Sprecher: PD Dr. Michael Roesgen

*Lothar. Jaeger, Vorsitzender Richter am OLG Köln a.D., Mitglied der Gutachterkommission bei der Ärztekammer Nordrhein

§ 630e BGB Aufklärungspflichten

Es handelt sich um Aufklärungspflichten. „Wesentliche Umstände“ der durchzuführenden Maßnahme sind kodifiziert:

  • Art
  • Notwendigkeit
  • Umfang
  • Dringlichkeit
  • Durchführung
  • Eignung
  • zu erwartende Folgen
  • Erfolgsaussicht
  • Risiken

jeweils im Hinblick auf die Diagnose und die Therapie. Dies ist im Großen und Ganzen nicht neu [2, 22].

Falls sie existieren, so ist auf Alternativen zur vorgesehenen Maßnahme hinzuweisen. Voraussetzung dafür ist, dass Methoden verfügbar sind, die

  • medizinisch gleichermaßen indiziert und
  • üblich sind,
  • die zu wesentlich unterschiedlichen

Belastungen, Risiken und/oder Heilungschancen führen.

Sinnvollerweise sind alle oben aufgeführten Punkte in der Dokumentation einzeln zu erwähnen. Insbesondere muss erwähnt werden, welche Alternativmethoden zu den Standard-Methoden besprochen wurden. Und warum die Standard Methoden, die gleichermaßen indiziert sind, im Vergleich zu Alternativmethoden zu wesentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken und Heilungschancen führen können [5, 10, 22].

Praktische Konsequenzen

  • Aufklärung: mündlich ist Pflicht – alle wesentlichen Umstände
  • schriftlicher Vorbereitungsbogen sinnvoll: sog. „Stufenaufklärung“
  • Alternativen aufklären:
  • gleiche Indikation, aber:
  • unterschiedliche Belastungen, Risiken, Heilungschancen
  • z. B. Konservativ versus operativ
  • unterschiedlich invasive OP Methode
  • Neulandmethode
  • keine Beschränkung auf Patientengruppen

Abs. 2 Satz 1: Die Aufklärung muss mündlich erfolgen. Die oben genannten Punkte werden dokumentiert, ohne dass deren genaue Wortinhalte aufgezeichnet werden. Schriftlich abgefasste, standardisierte Aufklärungsbögen, wie sie auch bisher zahlreich im Rahmen der Stufenaufklärung benutzt werden, ersetzen nach wie vor nicht das Gespräch, d. h. die mündliche Aufklärung. [4] Sie dienen lediglich der – unbestritten wertvollen – Vorinformation des Patienten. Alle vom Patienten unterzeichneten Dokumente, und sinnvoller Weise in diesem Zusammenhang auch lediglich zur Information überlassenen Dokumente, müssen dem Patienten als Abschrift (Kopie) gegen Quittung ausgehändigt werden.

Die Aufklärung, sofern sie nicht durch den Behandelnden selbst erfolgt, muss durch einen Arzt/Ärztin erfolgen, der/die über die notwendige Ausbildung zur Durchführung dieser Maßnahme verfügt. Die Ausbildung zum Arzt ist mit Erlangung der Approbation abgeschlossen. Somit ist jeder approbierte Arzt berechtigt, die Aufklärung durchzuführen, sofern er über ausreichende Kenntnisse für die notwendige Maßnahme im Sinne einer speziellen Ausbildung verfügt [17]. Diese beinhaltet ausdrücklich nicht den Facharztstandard, jedoch eine genügende Erfahrung, zumindest theoretisch, in Bezug auf die Durchführung dieser Maßnahme und ihre Folgen [2].

Die Kenntnisse, die zur Aufklärung berechtigen, müssen zuvor diesem Arzt vermittelt worden sein. Dies geschieht im ärztlichen Bereich durch den Abteilungsleiter oder den Behandler. Auch die Überprüfung des tatsächlichen Kenntnisstandes dieses Arztes obliegt ihm. [4, 21] Es steht zu erwarten, dass die Krankenhausträger per Dienstanweisung die Abteilungsleiter dazu verpflichten, den Kenntnisstand der zur Aufklärung grundsätzlich vorgesehenen Ärzte kontinuierlich zu überprüfen. Wieweit dieser das gegenüber einem nicht weisungsgebundenen Honorararzt durchsetzen kann, bleibt dahingestellt. Die diesbezügliche Verantwortung des Honorararztes ist unbedingt im Honorararztvertrag zu regeln. Die Kontrollpflicht bei einer Fremdaufklärung ist nicht geregelt.

Der Behandler hat sich zu überzeugen, dass die Aufklärung sachgerecht war und die Einwilligung erfolgt ist. Ggf. muss er sie durch ein zusätzliches persönliches Gespräch mit dem Patienten ergänzen.

Über eine spezielle Maßnahme, die nur durch den Behandler selbst durchgeführt werden kann und für die sonst niemand anderer über Kenntnisse und Erfahrung verfügt, muss selbstverständlich von diesem selbst aufgeklärt werden. Dies gilt insbesondere für mögliche komplexe Komplikationen, die ein sehr spezielles Behandlungsregime nach sich ziehen. Gerade sog. Neulandmethoden bedürfen der ausführlichen Aufklärung mit dem dezidierten Hinweis auf die Neuartigkeit der Maßnahme.

Praktische Konsequenzen

Aufklärung ist nur durch den Behandler selbst oder einen befähigten Arzt durchzuführen.

Delegation ist möglich, jedoch nur an einen Arzt, der die Methode zumindest theoretisch beherrscht und die denkbaren Komplikationen kennt.

Kontrollpflicht über die Kenntnisse dieses Arztes obliegt dem Behandler.

Aufklärung über spezielle Methoden und Neulandmethoden sind persönlich durch den Behandler durchzuführen, denn nur er kennt die speziellen Anforderungen.

Alle Dokumente sind an den Patienten auszuhändigen und der Empfang quittieren zu lassen.

Abs. 2 Satz 2: Rechtzeitigkeit. Der Patient soll seine Entscheidung zum Eingriff wohlüberlegt treffen können. Was rechtzeitig ist, ist nicht näher definiert. Rechtzeitig dürfte weiterhin jedenfalls die Aufklärung am Vortag der Behandlung sein. Dies entspricht auch den Organisationsabläufen in den Krankenhäusern, nach denen die Prämedikation am Vortag stattfindet, nicht jedoch erst in dessen Abendstunden. Der Patient soll bei verbleibenden Zweifeln genügend Bedenkzeit und in den darauffolgenden Stunden Gelegenheit haben, die Einwilligung jederzeit zu widerrufen (§ 630d Abs. 3 BGB).

Im Gegensatz zur „spätestmöglichen“ Aufklärung und Einwilligung bestehen für den „frühesten“ Zeitpunkt der Aufklärung keine Vorgaben. Eine Aufklärung für einen komplexen, ja schwerwiegenden Eingriff sollte allerdings so rechtzeitig geschehen – und nicht erst am Vortag –, dass der Patient sich noch mit anderen (Angehörige, Zweitmeinung etc.) besprechen kann. Andererseits soll das Aufklärungsgespräch zeitlich nicht derart von der Maßnahme entkoppelt sein, dass wesentliche Inhalte des Aufklärungsgespräches bereits in Vergessenheit geraten sind, wenn die Maßnahme durchgeführt wird.

Abs. 2 Satz 3: Verständlichkeit setzt eine für Laien verständliche Sprache voraus. „Mediziner-Latein“ und Wortsalven sind zu vermeiden. Bei fremdsprachigen Patienten ist ein Dolmetscher (auf Kosten des Patienten) hinzuzuziehen. Die Übersetzung durch einen Betriebsangehörigen des Behandlers ist bisher allgemein akzeptiert. Zusätzlich zum Datum ist es empfehlenswert, das Aufklärungsgespräch mit Zeitpunkt zu dokumentieren. Da es mündlich erfolgen muss, ist eine Protokollierung nur in Stichworten ausreichend. (s§ 630e Abs. 2 Nr. 1 BGB).

Abs. 3: Ohne Aufklärung kann gehandelt werden, wenn diese ausnahmsweise aufgrund besonderer Umstände entbehrlich ist. Dies zu beurteilen, liegt in der Hand des Behandlers, z.B. wenn die Maßnahme unaufschiebbar ist, im Notfall, bei Bewusstlosigkeit u. ä. Auch der Verzicht des Patienten macht die Aufklärung entbehrlich. Aber auch hier gilt: dieser Verzicht muss dokumentiert und zu Beweiszwecken nach Möglichkeit vom Patienten gegengezeichnet werden.

Praktische Konsequenzen

Aufklärung

  • Rechtzeitigkeit: spätestens am Vortag, jedoch nicht erst in den Abendstunden
  • je risikoreicher die Maßnahme, desto frühzeitiger und ausführlicher
  • Patienten Zeit einräumen für Überlegung und Beratung (Familie, Zweitmeinung)

Nicht zu früh, sodass wesentliche Inhalte in Vergessenheit geraten könnten

Eine Aufklärung kann ausnahmsweise entfallen: z. B. im Notfall oder bei Verzicht durch den Patienten (ist zu dokumentieren!)

Fremdsprachigkeit: Übersetzer anfordern, Dolmetscher muss vom Patienten bezahlt werden

Abs. 4: Ein „Berechtigter“ = bevollmächtigter Betreuer ist ebenso aufzuklären wie oben dargestellt.

Abs. 5: Einem Patienten ist die Maßnahme jeweils nach seinem Verständnis zu erklären. Ist dieses eingeschränkt, so ist darauf Rücksicht zu nehmen. Diese Einschränkung entbindet nicht von der Notwendigkeit, die Aufklärung durchzuführen. Dies spielt beim Jugendlichen eine Rolle, der noch nicht mündig ist, aber für die ihn direkt betreffenden Maßnahmen verständig sein kann. Wenn es zwei sind, erfolgt die Aufklärung möglichst gegenüber beiden Sorgeberechtigten, bei schwerwiegenden Eingriffen immer gegenüber beiden Sorgeberechtigten. Im Notfall genügt die Einwilligung des anwesenden Sorgeberechtigten. Die Einwilligung nur eines Sorgeberechtigten genügt auch, wenn davon auszugehen ist, dass er von dem Anderen bevollmächtigt ist, die Willenserklärung abzugeben.

§ 630f BGB Dokumentation der Behandlung

Abs. 1: Zur Dokumentation ist vom Behandelnden in Papierform oder elektronisch eine Patientenakte zu führen. [21] Die Dokumentation hat im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem zu dokumentierenden Sachverhalt zu erfolgen. Unverzüglich heißt: ohne schuldhaftes Zögern und rechtzeitig zur Durchführung der Folgemaßnahmen. Berichtigungen und Änderungen dürfen vorgenommen werden, jedoch muss der ursprüngliche Eintrag erhalten und lesbar bleiben. Der Zeitpunkt der Änderung ist einzutragen. Radieren, ausweißen, schwärzen, überkleben u. ä. ist nicht erlaubt. Auch in einer elektronischen Akte sind die Änderungen – fälschungssicher – zu kennzeichnen.

Abs. 2: Sämtliche für die derzeitige und künftige Behandlung wesentlichen Maßnahmen und Ergebnisse sind aufzuzeichnen. Nicht nur jeder Verbandwechsel, jede Visite, jede Lagerung, jede Wundauffälligkeit, sondern auch der Erfolg oder Misserfolg des unmittelbaren Tuns sind zu dokumentieren. [17,18] Das Gesetz listet als verpflichtend für die Dokumentation auf:

  • Anamnese
  • Therapien und ihre Wirkungen
  • Diagnose
  • Eingriffe und ihre Wirkungen
  • Untersuchungen
  • Aufklärungen
  • Untersuchungsergebnisse
  • Einwilligungen
  • Befunde
  • Arztbriefe

Diese gesetzliche Vorschrift impliziert, dass die Krankenakte nicht nur wie bisher der Behandlungsdokumentation dient und damit eine medizinische Dokumentation beinhaltet, sondern sie bekommt gleichzeitig die Aufgabe eines beweissichernden Dokumentes. Dies ist eine substantielle Erweiterung der Aufgabenstellung. Zugleich liegt darin die Brisanz der Deutung, dass alles, was nicht dokumentiert wurde, auch nicht stattgefunden hat und damit der Beweiswert relativiert ist, es sei denn, dass es auf andere Weise bewiesen werden kann.

Die Abgrenzung zu Routineabläufen, z. B. Desinfektion, Rufbeantwortung, Lagerung, Essensausgabe u. v. m., bleibt unklar. Diese Maßnahmen bedürfen einer innerbetrieblichen Regelung (z. B. Dienstanweisung) für das medizinische und pflegerische Personal. Beispiele hierfür sind: OP-Saal-Ordnung, Hygieneplan, Dienstübergabe- Protokolle u. a. Im Rahmen von Zertifizierungsverfahren werden diese Dokumentationen standardisiert vorgehalten. Schon aus diesem Grunde ist eine Zertifizierung empfehlenswert.

Praktische Konsequenzen

Stets eine Patientenakte anlegen

Korrekturen als solche kennzeichnen und signieren

Ursprungstext muss lesbar bleiben

Verpflichtende Einträge:

  • Anamnese
  • Aufklärungen
  • Untersuchungen
  • Einwilligungen
  • Befunde
  • Eingriffe und ihre Wirkungen
  • Ergebnisse
  • Therapien und ihre Wirkungen
  • Diagnose
  • Arztbriefe

Aufbewahrungsfrist: mindestens 10 Jahre, Empfehlung: 30 Jahre

Abs. 3: schreibt eine Aufbewahrungsfrist von im Regelfall 10 Jahren vor. Es kann im Einzelfall und je nach Erkrankung jedoch sinnvoll sein, Behandlungsdokumente länger aufzubewahren. [19] Gerade im Hinblick auf Regressansprüche oder Spätfolgen einer Behandlung wie auch für Rückgriffe der Versicherungen und der Berufsgenossenschaften ist eine Aufbewahrungsfrist von 30 Jahren empfehlenswert. Sie hat sich in der Vergangenheit bewährt.

§ 630g BGB Einsichtnahme in die Patientenakte

Abs. 1: Dem Patienten ist die Einsichtnahme in die vollständige Akte unverzüglich nach dessen Verlangen zu ermöglichen. „Unverzüglich“ bedeutet ohne schuldhaftes Zögern. Ohne „schuldhaftes Zögern“ bedeutet bei nächster Gelegenheit, nicht jedoch sofort. Daher empfiehlt sich eine einvernehmliche und keinesfalls verschleppende Terminvereinbarung. Einsichtnahme bedeutet nicht Überlassung. Die Umstände der Einsichtnahme bestimmt der Eigentümer. Dieser benennt eine Aufsichtsperson, die während der Einsichtnahme anwesend ist. Zu achten ist darauf, dass die Akte bei der Einsichtnahme vollständig ist, jedenfalls bezüglich der bis zu diesem Zeitpunkt zu leistenden Dokumentation [13]. Noch ausstehende Laborbefunde, sonstige Befunde oder Berichte von anderen Instituten oder Kliniken können nachgereicht werden. Der Operations-Bericht bedarf des Diktates, des Schreibens, der Korrektur und der Einordnung. Hierfür ist ein angemessener Zeitrahmen zuzulassen. Ein Operations-Bericht, der erst Wochen nach dem Eingriff erstellt wird, wirkt nicht mehr glaubwürdig. Die Rechtsprechung kann großzügig sein, ist aber kleinlich, wenn andere Ungereimtheiten hinzukommen.

Abs. 2: Der Patient kann gegen Kostenerstattung Abschriften – auch elektronisch erstellter Dokumente – verlangen. Dies ist keine neue Rechtslage, jedoch wurde von manchem Behandler nicht in diesem Sinne gehandelt, was regelmäßig zu Unmut und Hinzuziehung eines Rechtsbeistandes durch den Patienten führt. [25]

Der Patient kann eine solche Abschrift auch zur Verwendung bei der Krankenkasse fordern. Denn die Krankenkassen sollen = müssen den Patienten bei der Klärung eines Behandlungsfehlers unterstützen (§ 66 SGBV). Damit ist aber auch das Interesse der Krankenversicherung geweckt, Einblick in die Patientenakte zu nehmen. Denn bei dem gelungenen Nachweis eines Behandlungsfehlers kann die betreffende Krankenkasse auf eine finanzielle Entlastung hoffen.

Nur wenn der Patient zustimmt, liegt kein Verstoß gegen die ärztliche Schweigepflicht vor. Faktisch wird die ärztliche Schweigepflicht allen anderen Interessen untergeordnet. Die ärztliche Schweigepflicht und der Datenschutz werden ausgehöhlt. Die ärztliche Schweigepflicht wird damit als ein Pfeiler für ein vertrauensvolles Zusammenwirken von Patient und Behandler, wie dies in § 630c Abs1 BGB vom Gesetzgeber gefordert wird, untergraben. [26]

Abs. 3: Die Rechte auf Einsichtnahme und Aushändigung von Abschriften gehen nach dem Tod auf die Erben über. Die Berechtigung hierzu muss zunächst vom Nachlassgericht festgestellt werden. Der mutmaßliche Wille des Verstorbenen = Erblassers kann dem entgegenstehen, so dass die Einsichtnahme nicht stattfindet. (BGB) Im Übrigen gilt die ärztliche Schweigepflicht über den Tod hinaus. Im Übrigen haben die Krankenkassen und die Rentenkassen dieselben Zugriffsrechte, wie Angehörige.

Praktische Konsequenzen

Einsichtnahme:

  • „unverzüglich“ heißt nicht „sofort“, sondern „ohne schuldhaftes Zögern“
  • bedeutet nicht Überlassung der Akte
  • nur unter Aufsicht des Dienstherren
  • Abschrift/Kopie der Akte auf Verlangen des Patienten gegen Kostenerstattung aushändigen (auch technische Untersuchungen: Bildgebung: Sono, Rö, CT, MRT, intraoperative Fotos)
  • Cave: ärztliche Schweigepflicht und Datenschutz dürfen nicht ausgehebelt werden

§ 630h BGB Beweislast bei Haftung für Behandlungs- und Aufklärungsfehler

Abs. 1: Ein allgemeines Behandlungsrisiko wird durch die Behandlung in jeder dazu geeigneten Institution (Klinik, Praxis, MVZ) angenommen. Es ist von dem speziellen Behandlungsrisiko, welches einer medizinischen Maßnahme innewohnt, zu trennen. Allgemeine Behandlungsrisiken können im Hygienemangel, in der Organisation der Klinik bei Personalmangel als Organisationsverschulden, [26] bei Beanspruchung zusätzlicher Institutionen z. B. im Labor zur Blutgruppenbestimmung, in der Pathologie z.B. Präparate Verwechslung, Missachtung von Untersuchungsergebnissen (Röntgen, Labor, EKG etc.), begründet sein.

Als sogenannte voll beherrschbare Risiken sind Apparatedefekte, kontaminierte oder abgelaufene Arzneimittel und Infusionen, Sturz von der Trage, Lagerungsfehler, im Körper verbliebene Operationsutensilien, Implantatfehler, Hygienedefekte, Sterilisationshindernis, Missachtung von Sicherheitsbestimmungen u.a. zu verstehen. Bei Schadenseintritt hat sich jenes Risiko verwirklicht, das einen Fehler vermuten lässt [7, 19, 26].

Praktische Konsequenzen

Unbedingt vermeiden:

  • allgemeine Risiken
  • vollbeherrschbares Risiko
    deshalb: Dienstanweisungen erstellen

Abs. 2: Aufklärung und Einwilligung müssen im Streitfall durch eine Dokumentation nachgewiesen werden. Der Behandelnde kann, wenn eine solche Dokumentation fehlt, sich darauf berufen, dass der Patient auch im Falle einer ordnungsgemäßen Aufklärung in die Maßnahme eingewilligt hätte (sog. Hypothetische Einwilligung). Dies entspricht bisheriger juristischer Praxis. Es hebelt allerdings nicht die Notwendigkeit der ordnungsgemäßen Dokumentation aus. Denn die Maßnahme muss so bedeutend sein, dass dem Patienten de facto keine Wahl blieb; weder, was die Notwendigkeit der Maßnahme betrifft, noch die Art und Weise ihrer Durchführung. Erst unter diesen Voraussetzungen wäre eine hypothetische Einwilligung anzunehmen. Es sei denn, der Patient kann sich mit Erfolg auf einen sogenannten Entscheidungskonflikt berufen. Dieser liegt z. B. dann vor, wenn gleichwertige Behandlungsmethoden mit unterschiedlichem Risiko – konservativ versus operativ u. a.- zur Verfügung ständen.

Abs. 3: Eine fehlende Dokumentation in der Patientenakte lässt vermuten, dass die Maßnahme nicht durchgeführt wurde. Auch in diesem Punkt bleibt das Gesetz unscharf, wie weit Routinemaßnahmen, die sich stetig wiederholen, jeweils der redundanten Dokumentation bedürfen. Gehören nicht der tägliche Verbandwechsel und dessen Ergebnis zur Routine oder ist er eine besondere Maßnahme? Nicht dokumentiert bedeutet im Sinne dieses Gesetzes: nicht stattgefunden. Im Streitfall können selbstverständlich andere Beweismittel beigebracht werden, z. B. Zeugen, Indizien, Spuren, Tatsachen, Bilder, Dienstanordnungen u. a. Die Beurteilung bleibt dem Gericht überlassen.

Praktische Konsequenzen

Dokumentation:

  • Es ist alles, auch die Routine wie z. B. Verbandswechsel, Visiten u.a., in die Patientenakte aufzunehmen.
  • Es sind Dienstanweisungen, Behandlungspfade, Hygieneplan etc. zu erstellen.

Abs. 4: Die mangelnde Befähigung zur Durchführung einer Maßnahme bedeutet ein Übernahmeverschulden. Ein eingetretener Schaden wird darauf zurückgeführt. Durch die Organisation und die Vermittlung der Qualifikation sowie deren Überprüfung ist die Befähigung nachzuweisen. Insbesondere gilt dies für sehr spezielle Maßnahmen, die den Facharztstandard überschreiten. Der Nachweis muss ebenso erbracht werden für die sog. Anfängeroperation, die mit der Kenntnis des Facharztstandards auszuführen ist, auch ohne dass der Behandler bereits den Facharztstatus besitzt. Diese Befähigung beinhaltet das Wissen um das Risiko, um eine drohende Gefahr, um Komplikationen und um deren Behebung als Korrektur.

Ein grober Behandlungsfehler lässt immer vermuten, dass der Gesundheitsschaden durch diesen herbeigeführt wurde. Was ein grober Behandlungsfehler ist, wird allein durch das erkennende Gericht bewertet. Allerdings stützt sich dieses auf die medizinisch-gutachterliche Beurteilung, dass ein medizinischer Fehler „nicht mehr verständlich und verantwortbar erscheint, weil ein solcher Fehler dem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf“. Der Arzt gegen gesicherte und bewährte medizinische Erkenntnisse und Erfahrungen verstoßen hat“ Dies gilt auch, wenn auf Befunde nicht reagiert oder Standardmethoden ohne Begründung nicht angewandt werden oder aber eine Verletzung der Sorgfalt im Verkehr vorliegt. [6, 18] Auch mehrere sog. einfache Behandlungsfehler können in der Summe und in ihrer Auswirkung einen groben Behandlungsfehler darstellen.

Praktische Konsequenzen

Übernahmeverschulden ist anzunehmen bei:

  • mangelnde Befähigung
  • kein Facharztstandard
  • Organisationsmangel (z. B. OP Saal besetzt)

Es sind spezielle Fähigkeiten sind nachzuweisen.

Abs. 5 nimmt den Befunderhebungsfehler auf. Ein Befunderhebungsfehler ist dann ein Behandlungsfehler, wenn trotz medizinischer Notwendigkeit ein Befund nicht erhoben wurde (z. B. klinische Untersuchung, Sonographie, Röntgenkontrolle, CT, MRT, EKG, Laborwerte). Schon dieser Befunderhebungsfehler kann grob sein, wenn der Befund hätte zwingend erhoben werden müssen. [14, 16] Sonst ist der Befunderhebungsfehler ein einfacher Fehler. [21] Bleibt infolge dieses einfachen Befunderhebungsfehlers eine gebotene medizinische Maßnahme aus, deren Unterlassung einen Schaden verursacht hat und wäre das Unterlassenen dieser Maßnahme als grob fehlerhaft = nicht mehr verständlich einzuschätzen, so ist der Befunderhebungsfehler selbst zwar nicht als grob zu bewerten, er führt aber infolge der unterstellten Nichtreaktion und einer unterbliebenen Behandlung zur Beweislastumkehr.

Praktische Konsequenzen

Ein grober Behandlungsfehler liegt vor,

  • wenn eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder
  • gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen wurde (BGH).

Ein grober Behandlungsfehler bedeutet:

  • Umkehr der Beweislast,
  • die Entlastung von dem Vorwurf gelingt dem Behandler nie,
  • Schadenseintritt, unabhängig von der Maßnahme oder der Handlung, ist nicht zu belegen.

Ein Befunderhebungsfehler ist ein einfacher Behandlungsfehler.

Ein Befunderhebungsfehler ist grob, wenn der Befund hätte zwingend erhoben werden müssen.

Ein Befunderhebungsfehler führt zur Beweislastumkehr bei Nichtreaktion oder unterbliebener Behandlung.

Fazit

Das Patientenrechtegesetz fußt auf der Grundlage des BGB und des bisher geübten sog. Richterrechtes. Es fordert unbedingte Beachtung in der täglichen Arbeit. Es kann nur empfohlen werden – und dies ist das Anliegen dieser Ausarbeitung von Medizinern für Mediziner, jedoch mit fachkundiger Unterstützung eines Juristen, – mit gespannter Aufmerksamkeit den Gesetzestext zu beachten, die Kommentare dazu zu verfolgen und Stellungnahmen der wissenschaftlichen Gesellschaften einzufordern. Schließlich steht zu erwarten, dass sich auf der Grundlage dieses Gesetzes das Richterrecht weiterentwickeln wird. Diese Entwicklung gilt es, in der Zukunft kritisch zu verfolgen.

Vor einer Nichtbeachtung des Gesetzes wird ausdrücklich gewarnt.

(Literatur bei den Verfassern)

Dieser Artikel ist erschienen in Versicherungsmedizin, 67. Jahrgang, Heft 2, 01. Juni 2015.

Roesgen M. / Jaeger L. / Bertram E. / Grafe S. / Mischkowsky T. / Paul D. / Probst J. / Scola E. / Wöllenweber H. D. Patientenrechte – Arztpflichten 
(Teil II). Passion Chirurgie. 2016 Januar; 6(01): 
Artikel 06_01.

Patientenrechte – Arztpflichten (Teil I)

Eine Analyse des Patientenrechtegesetzes durch Mediziner für Mediziner

Die Autoren sind Mitglieder des Ethik Komitee der AOTRAUMA German Chapter e.V.
Sprecher: PD Dr. Michael Roesgen
*Lothar Jaeger: Vorsitzender Richter am OLG Köln a.D. Mitglied der Gutachterkommission bei der Ärztekammer Nordrhein

Zusammenfassung

Seit dem 26. Februar 2013 ist das neue Patientenrechtegesetz in Kraft. Neben einer Stärkung der Patientenrechte gegenüber den Krankenkassen regelt das Patientenrechtegesetz das Verhältnis von Patient und Arzt. Hieraus ergeben sich insbesondere Konsequenzen in Bezug auf das Arzthaftungsrecht.

Unverändert bleibt die ärztliche Leistung eine Dienstleistung ohne Erfolgs- oder Garantieversprechen. Dennoch liest sich das Gesetz vorrangig als ein „Ärztepflichtengesetz“. Um diesen Pflichten gerecht zu werden und um Fehler aufgrund einer fehlenden oder fehlerhaften Beachtung des Gesetzes zu vermeiden, hat die Projektgruppe „Ethik“ der Arbeitsgemeinschaft Osteosynthese Trauma – Deutschland AOT-D Erläuterungen zum Gesetzestext erarbeitet. Die Ergebnisse sind in praktischen Hinweisen jeweils zum Ende eines jeden Themas unter der Überschrift „Praktische Konsequenzen“ zusammengefasst.

Besonderen Einfluss auf den Gesetzesinhalt hatte das kontinuierlich entwickelte Richterrecht, das durch zahlreiche Entscheidungen des Bundesgerichtshofes (BGH) geprägt ist. Die Umsetzung des Patientenrechtegesetzes für das Verhältnis von Patient und Arzt erfolgte durch die neu geschaffenen Paragraphen 630a bis 630h des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), die im Folgenden beleuchtet werden [1, 9, 11]. Die folgenden Ausführungen richten sich an die Berufsgruppe der Ärzte und beziehen die anderen im Gesetz aufgeführten Berufsgruppen, wie z. B. Physiotherapeuten oder Hebammen, nicht mit ein.

Besondere Aufmerksamkeit verdienen die Ausführungen zu der nun kodifizierten Informationspflicht, die jeder diagnostischen- oder Behandlungsmaßnahme vorgeschaltet sein muss (§ 630c Abs. 2 Satz 1 BGB). Auch über Umstände, die die Annahme eines Behandlungsfehlers begründen, muss der Arzt den Patienten unter gewissen Umständen, nämlich unter Offenlegung eines unerwünschten Ereignisses oder eines unerwünschten Ergebnisses, informieren (§ 630c Abs. 2 Satz 2 BGB).

Die Einwilligung zu einer Maßnahme (§ 630d BGB) ist, wie bisher, an eine umfassende, rechtzeitige und erst damit wirksame Aufklärung gebunden(§ 630e BGB).

Die umfassenden Dokumentationspflichten aller Maßnahmen sind in § 630f BGB geregelt. Die Beweislast für das Vorliegen eines Behandlungsfehlers liegt unverändert beim Patienten, es sei denn, ein grober Behandlungsfehler wurde festgestellt (§ 630h BGB). Die Definition des groben Behandlungsfehlers orientiert sich unverändert an der bisherigen Rechtsprechung des BGH.

Die Pflichten des Patienten zur Aufrechterhaltung der eigenen Gesundheit, zur Mitverantwortung bei der Gesundung und zur Sicherung eines Behandlungsergebnisses sind in diesem Gesetz nicht näher ausgeführt. Dennoch soll der Patient mit dem Arzt zur Durchführung der Behandlung zusammenwirken [19]. Erbringt der Patient seine dafür notwendigen Beiträge nicht, sollte der behandelnde Arzt eine Beendigung des Behandlungsverhältnisses erwägen.

Summary

Patients’ Rights – Doctors’ Duties

Analysis of the Law of the Patients Rights, done by Physicians for Physicians

On 26 February 2013 the new “Law of the Patients’ Rights” (hereafter also the “Law”) became effective. This Law strengthens the patients’ rights towards the insurance company and also regulates the patients’ rights regarding their relationship to the doctor. This leads to specific consequences regarding the laws on medical liability all doctors must consider.

The doctor’s performance is and remains a service and such service does not contain a guarantee for success. Nevertheless, this Law primarily reads as a “law on the duties of physicians”. To duly take into account these duties and to avoid mistakes and misinterpretation of the Law, the Ethic Committee of the Consortium of Osteosynthesis Trauma Germany (AOTRAUMA-D) has developed comments on the Law. Brief summaries to the results are to be found at the end of the respective comment under the title “Consequences for the Practice”.

The text of the Law was particularly influenced by the case law, as continuously developed by the German Federal Court of Justice (“BGH”). The implementation of the Law of the Patients’ Rights was effected by the newly inserted sections 630a to 630h of the German Civil Code (the “BGB”) which are analysed below. The following comments are addressed to physicians only and do not deal with the specific requirements and particularities of the other medical professions like physiotherapist, midwives and others.

Special attention should be given to the comments regarding the newly inserted Duty to inform, which has to be fullfilled prior to any diagnostic or therapeutic procedure (sec. 630c para. 2 sentence 1 BGB). Under certain conditions the doctor also has to inform the patient about the circumstances leading to the assumption of an occurred therapeutic or diagnostic malpractice (sec. 630c para. 2 sentence 2 BGB), based on the manifestation of an unwished event or an unwished outcome.

As before, the patient’s valid consent to any procedure (sec. 630d BGB) is directly linked to a comprehensive and timely enlightenment (sec. 630e BGB). Comprehensive documentation obligations regarding all procedures are stipulated in sec. 630f BGB. As before, the patient still has the burden of prove, unless a severe malpractices has been determined (sec. 630h BGB). The definition of “severe malpractice” remains unchanged and is based on the case law of the Federal Court of Justice (BGH).

The patient’s obligations to preserve his or hers health and to actively support the process of recovering and securing a positive outcome of the treatment are not explicitly mentioned in the Law. Nevertheless, the patient and the physician need to work closely together to achieve a successful result of the treatment. In case the patient does not provide his or hers contributions in this cooperation, the physician should consider a cancellation of the treatment relationship.

Einleitung

Im medizinischen Alltag ist der Arzt auf die Mitarbeit und das Vertrauen seiner Patienten sowie seine persönlichen Fertigkeiten für die vorgesehenen Maßnahmen angewiesen. Die bewährten Regeln in der Ausübung dieses Berufes sind im Patientenrechtegesetz erstmals kodifiziert. Gesetzesrang bedeutet, dass Verstöße nicht nur als Regelverstöße geahndet werden. Etwaige Fehler, mit denen sich das Gesetz ausführlich beschäftigt, lassen Defizite bei der Anwendung von anerkannten Standards erkennen. Verstöße lassen sich aus allen Paragraphen des Patientenrechtegesetzes ableiten. Auf diese Gefahren, die im Alltag vielleicht zu spät oder unvollständig wahrgenommen werden, sollen die folgenden Erläuterungen zu den neuen §§ 630 a bis § 630 h BGB hinweisen.

§ 630a BGB Vertragstypische Pflichten beim Behandlungsvertrag

Abs. 1: Das Gesetz definiert den „Behandelnden“ als denjenigen, der eine medizinische Behandlung zusagt. Dies umfasst nicht nur Ärzte, sondern auch Angehörige der medizinischen Assistenzberufe, nachgeordnete Berufe und andere freie Berufe. [19] Wenn der „Behandler“ eine medizinische Behandlung zusagt, ist er zur Leistung dieser versprochenen Behandlung verpflichtet. Also ist vor Beginn der Behandlung genau zu überlegen, welche Behandlung versprochen wird und ob diese überhaupt geleistet werden kann. Es ist darauf zu achten, dass nicht nur eine Methode angeboten wird. Andernfalls erscheint eine spätere Abweichung nicht möglich. Vielmehr sollen im Aufklärungsgespräch – soweit dies absehbar ist – unterschiedliche Verfahren dargestellt werden, die dem gleichen Zweck und Ziel dienen.

Wer im Einzelnen Behandler ist, grenzt § 630a Abs. 1 BGB nicht ein. Ein hinzugezogener Konsiliarius ist regelmäßig ebenfalls Behandler, wenn er auf seinem Fachgebiet die Behandlung übernimmt oder ergänzt. Bei einer Simultanbehandlung gibt es mehrere, gleichzeitig tätige und verantwortliche Behandler. Der die Behandlung Verantwortende ist ein Behandler, dem das fachliche Weisungsrecht zusteht.

Abs.2: Die Behandlung nach den „allgemein anerkannten fachlichen Standards“ richtet sich nach der „medizinischen“ und/oder „ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung“, von der Abweichungen möglich sind (z. B. bei Anwendung von Neulandmethoden). [6, 7, 21] Diese müssen aber vor Beginn der Behandlung mit dem Patienten vereinbart, begründet und schriftlich dokumentiert werden. Sofern Leitlinien ausformuliert sind, empfiehlt es sich, diesen zu entsprechen und auf deren Grundlage zu behandeln. Abweichungen hiervon müssen ebenfalls zeitnah begründet werden. [10] Alles ist zu dokumentieren (siehe § 630f BGB).

Praktische Konsequenzen

Behandlung ist eine Dienstleistung, kein Werkvertrag (= keine Erfolgsgarantie)

Bei Übernahme der versprochenen Behandlung ist der „Behandler“ zu Erfüllung dieser Leistung verpflichtet.

Konsiliarius: ist Berater; Er kann ggf. für sein Fachgebiet eigenverantwortlicher Behandler werden.

Fachlicher Standard ist zu gewährleisten.

Die Behandlung schließt zugelassene Alternativmethoden und Weiterungen ein, jedoch nur nach entsprechender Aufklärung und Dokumentation derselben.

Neulandmethoden müssen zuvor vereinbart werden. Vereinbarung und Aufklärung müssen inhaltlich dokumentiert werden.

§ 630b BGB Anwendbare Vorschriften

Dieser Paragraph stellt klar, dass ergänzend zu den Spezialvorschriften der §§ 630a bis 630h BGB die allgemeinen Vorschriften des Dienstvertragsrechts anwendbar sind, soweit die §§ 630a ff. BGB keine abweichenden Regelungen vorsehen. Der Behandlungsvertrag ist ein Dienstvertrag höherer Art und kann deshalb von beiden Seiten jederzeit gekündigt werden, auch ohne dass ein wichtiger Grund vorliegt. Z. B. mangelnde Compliance, Vertrauensverlust u. a.

§ 630c BGB Mitwirkung der Vertragsparteien; Informationspflichten

Abs.1: Behandler und Patient sollen zusammenwirken. Eine fehlende Kooperation („Compliance“) des Patienten muss unbedingt dokumentiert werden, genauso wie vom Patienten selbständig (d. h. ohne Abstimmung mit dem Behandler) vorgenommene Abweichungen vom Behandlungsplan. [21]

Abs. 2 Satz 1: Die neu eingeführte „Informationspflicht“ ist umfassend

Diese Regelung umfasst die bisher geübte Sicherungsaufklärung. Eine Verletzung der Sicherungsaufklärung stellt einen Behandlungsfehler dar, nicht jedoch einen Aufklärungsmangel. Es ist über alle Umstände zu informieren, die bekannt sind und die Behandlung beeinflussen können, [21] z. B. über mögliche Komplikationen, über lebensverändernde Folgen, wobei der Behandler die näheren Lebensumstände des Patienten gar nicht kennen, geschweige denn im Sinne einer Veränderung bewerten kann. Es empfiehlt sich also, alles zu erwähnen, was relevant sein könnte und diese Punkte zu dokumentieren (§ 630f BGB), auch wenn die Sicherungsaufklärung inhaltlich nicht in der Patientenakte dokumentiert werden muss. [1]

Hierzu gehören auch mögliche weitere Maßnahmen, die den Heilerfolg sichern sollen. Gemeint sind sowohl künftige Einschränkungen durch die Krankheit selbst als auch durch die Therapiemaßnahmen (z. B. Entlastung von Extremitäten, Medikamenteneinfluss und Nebenwirkungen, Fahruntüchtigkeit, Anus-praeter-Pflege, Verzicht auf Genussmittel, Einschränkungen beim Sport, dauernde Pflegebedürftigkeit u. v. m.). Auch das soziale Umfeld ist zu beachten. Im Gesetz nicht festgelegt wurde, wie qualitativ und quantitativ umfassend diese Informationen sein sollen. Der Patient soll jedoch in die Lage versetzt werden, über Therapie, Behandlungsalternativen, Verzicht auf eine Behandlung, die Organisation seines persönlichen Umfeldes mündig und eigenverantwortlich zu entscheiden.

Diese Informationspflicht obliegt dem Behandler Die Informationspflicht ist nicht gleich Aufklärung. Bei Aufklärungsfehlern könnte sich der Arzt auf eine hypothetische Einwilligung berufen. Das geht nicht, wenn die Informationspflicht (= Sicherungsaufklärung) verletzt wurde. Eine solche Verletzung entspricht vielmehr einem Behandlungsfehler.

Sämtliche im Verlauf der Behandlung auftretende „wesentlichen Umstände“ sind zu erläutern. Hierzu gehören:

Diagnose,

Gesundheitliche Entwicklung,

Therapie,

zu ergreifende Maßnahmen, welche mit ihr im Zusammenhang stehen.

Wieweit ein ärztlicher Gehilfe dabei unterstützen, z. B. eine Anamnese erheben darf, somit diese Aufgabe delegiert werden kann, ist im Gesetz nicht geklärt. Erhebt ein Arzt, der nicht Behandler ist, sondern nur im Auftrag des verantwortlichen Behandlers handelt, die Anamnese, so muss sich der Behandler selbst dabei auftretende Fehler (Unvollständigkeiten) zurechnen lassen.

In Analogie zum später geführten Aufklärungsgespräch, das der Einwilligung zu einer invasiven Maßnahme vorauszugehen hat (§ 630e Abs. 2 BGB), wäre auch für die Information eine Delegation nur an einen Arzt, der über die notwendige Ausbildung zur Durchführung dieser Maßnahme verfügt, möglich. Bislang hat jedoch noch keine Rechtsprechung eine solche Analogiefähigkeit bestätigt.

Die technische Durchführung dieser Informationen ist nicht festgelegt. Die Information und ihre Dokumentation müssen jedoch zusätzlich und unabhängig von derjenigen zum Aufklärungsgespräch erfolgen. Denkbar wäre es, sie schriftlich und spezifisch für jedes Krankheitsbild, für dessen Therapie und den Erwartungshorizont, ähnlich dem Waschzettel eines Pharmapräparates, auszuformulieren. Hierzu sollten Formulierungsvorschläge für die wichtigsten und häufigsten Krankheitsbilder der jeweiligen Fächer, z. B. von den wissenschaftlichen Fachgesellschaften, baldmöglichst erarbeitet werden. Die erfolgte und vom Patienten bestätigte Informationserteilung ist unverzüglich schriftlich zu der Krankenakte zu bringen. Wird bei der Erfüllung der Informationspflicht auf Unterlagen Bezug genommen, so muss der Patient auch diese in Textform erhalten (vgl. § 630e Abs. 2 Ziff. 1 BGB). Die Aushändigung der Unterlagen muss vom Patienten quittiert werden.

Praktische Konsequenzen

Sicherungsaufklärung über Lebensverändernde Umstände wie z. B.:

Gehunfähigkeit,

Sport-Beschränkung,

Pflegebedürftigkeit,

Diät,

Autofahren u.a.,

Medikamenteneinfluss.

Informationspflicht im Vorgespräch über:

Diagnose,

Gesundheitliche Entwicklung,

Therapie,

zu ergreifende Maßnahmen

Die Informationspflicht obliegt dem Behandler. Inwieweit eine Delegation an ärztliche Gehilfen zulässig ist, ist im Gesetz nicht geregelt.

Abs. 2 Satz 2: Hier ist der Behandlungsfehler explizit angesprochen. Die Kodifizierung ist neu. Für den Behandelnden müssen Umstände erkennbar sein, die die Annahme eines Behandlungsfehlers begründen. Ein unerwünschtes Ereignis ist nur dann ein Behandlungsfehler, wenn es auf einer Abweichung vom geforderten Standard beruht und diese Abweichung vom Arzt nicht begründet werden kann.

Nicht jedes unerwünschte Ergebnis hat seine Ursache in einem Behandlungsfehler. [23] Wie schwierig es ist, ein unerwünschtes Ergebnis einer Maßnahme oder Behandlung zu beurteilen, zeigen die zahllosen Gutachten, die genau zur Klärung dieser Frage von den Gerichten, Schlichtungsstellen und Versicherungsträgern angefordert werden. [14, 15] Die Anerkennungsquote für das Vorliegen eines Behandlungsfehlers liegt in den Schlichtungsstellen der Ärztekammern bei ca. 30 %. Eine Komplikation ist nicht ein Behandlungsfehler. [11] Ebenso begründet eine Verzögerung der Behandlung nicht per se einen Behandlungsfehler. Es hängt stets von den Umständen des Einzelfalles ab, wieweit eine Komplikation von einem Behandlungsfehler abgegrenzt werden kann.

Bei Eintritt eines unerwünschten Ergebnisses muss dem Patienten eine sachliche Darstellung der Fakten gegeben werden. Ebenso muss ihm mitgeteilt werden, auf welchem unerwünschten Ereignis das unerwünschte Ergebnis beruht. Zusätzlich sollte der Behandler Lösungen zur Behebung eines unerwünschten Ergebnisses aufzeigen. Die Fakten müssen sachgerecht, objektiv und für den Laien verständlich geschildert werden. Die Befunde müssen dem Patienten mitgeteilt werden. Die Konsequenzen sind aufzuzeigen und Lösungsansätze sind vorzustellen. Auf Gefahren muss hingewiesen werden, sowohl auf die der aktuellen Situation als auch auf solche, die aus einer vom Patienten nicht gewünschten oder gar abgelehnten Sanierung entstehen können.

Über Umstände, die die Annahme eines Behandlungsfehlers begründen, muss der Patient laut Gesetzestext auf dessen Nachfrage oder zur Abwendung gesundheitlicher Gefahren informiert werden. Dies entspricht den ethischen Grundsätzen, die über den Hippokratischen Eid hinaus in der Medizin Bestand haben. Selbstbezichtigung in Form einer Wertung als Behandlungsfehler ist nicht geschuldet. Eine Bewertung ist den neutralen Institutionen – den Gerichten oder Schlichtungsstellen – vorbehalten.

Der Eintritt eines unerwünschten Ergebnisses ist spontan mitteilungspflichtig, um erforderliche Konsequenzen einleiten zu können. Erst recht, sobald Umstände erkennbar sind, die die Annahme eines Behandlungsfehlers begründen. [19]

Das ist auch bisher so gewesen. Nur wenn die Dinge glasklar liegen, z. B. ein Gegenstand im Körper zurückgeblieben ist, sollte der Arzt sagen, dass ihm ein Fehler unterlaufen ist.

Die „Nachfrage“ des Patienten kann nämlich zur Folge haben, dass dieser bei jeder Abweichung – sei sie schicksalhaft oder nicht – die Frage nach einem Behandlungsfehler stellt. [20] Das Vertrauen in die Fähigkeiten des Behandlers wird damit untergraben. [3, 10] Absehbar ist hier ein erhebliches Konfliktpotential, das nicht zuletzt vor den Gerichten ausgetragen werden wird. [7] Auch hier gilt: Die Dokumentation ist die Grundlage für eine objektive Bewertung.

Hat der Patient schriftlich oder über einen Anwalt nach einem Behandlungsfehler gefragt, ist in jedem Fall zu dokumentieren, welche Antwort der Arzt gegeben hat.

Gestützt wird die Nachfrage zum evtl. Behandlungsfehler durch den Passus im Gesetzestext (§ 66 SGB V), dass die Krankenkassen den Patienten bei der Frage nach einem Behandlungsfehler unterstützen sollen. Dies bedeutet nichts anderes als die Verpflichtung der Krankenkasse, die Interessen des Patienten zu vertreten. [1, 18] Daneben werden die Krankenkassen ihr eigenes Interesse verfolgen, sich zugunsten der Haftpflichtversicherung des Behandlers von den eigenen Aufwendungen zu entlasten. Über diesen Hebel wird den Krankenkassen Einblick in die Krankenakte verschafft und in der Konsequenz die ärztliche Schweigepflicht und u. U. der Datenschutz ausgehebelt.

Abs. 2 Satz 3 regelt, dass die Information über einen Behandlungsfehler in einem evtl. anhängigen Straf- oder Bußgeldverfahren nur mit Zustimmung des Behandlers verwendet werden darf. Diese Einschränkung gilt jedoch nicht in zivilrechtlichen (Haftungs-) Verfahren, in beamtenrechtlicher Hinsicht wie in Disziplinar- und in arbeitsrechtlichen oder berufsrechtlichen Verfahren. [1]

Praktische Konsequenzen

Den Begriff „Behandlungsfehler“ bei der Darstellung des Sachverhaltes ist unbedingt zu vermeiden. Mitteilungspflicht besteht nur für:

unerwünschtes Ereignis

unerwünschtes Ergebnis,

sofern Umstände erkennbar sind, die die Annahme eines Behandlungsfehlers begründen.

Die eigene Bewertung eines unerwünschten Ereignisses/unerwünschten Ergebnisses als „Behandlungsfehler“ ist unbedingt zu vermeiden!

eine unabhängige, objektive Beurteilung (Gutachten) ist erforderlich

Behebung = Korrektur des unerwünschten Ergebnisses vorschlagen und anbieten

Konsequenzen für die Weiterbehandlung, auch bei deren Unterlassung bzw. deren Ablehnung, unmissverständlich aufzeigen

Dokumentation prüfen

Aufzeichnungen zur Verfügung stellen

keine Selbstbezichtigung

keine Schuldzuweisung

Abs. 3: Wie weit die Behandlungskosten von einem Dritten übernommen werden, weiß der Behandelnde in der Regel nicht. Also wird der Patient dahingehend beraten werden müssen, dass er eine Kostenzusage seines Versicherers einholt. [10] Über nicht gedeckte Leistungen soll in Textform informiert werden. Deren Aushändigung ist vom Patienten zu quittieren. Generell gilt dies für sog. „Luxusbehandlungen“, bei Kassenpatienten zudem für sog. IGEL-Leistungen. [218] Dies kann entsprechend einem Kostenvoranschlag ausgeführt werden. Vorausgesetzt wird, dass der Behandler den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen kennt.

Behandlungen, die der „wunscherfüllenden Medizin“ zuzurechnen sind, werden von den Versicherungsträgern nur im Ausnahmefall erstattet. Deren Kosten müssen kalkuliert, ausgewiesen und dem Patienten schriftlich bekannt gegeben werden. Die Übernahme dieser Kosten durch ihn selbst muss von ihm schriftlich bestätigt werden. Bei einem wunscherfüllenden Eingriff ohne vorherige schriftliche Information an den Patienten besteht zudem die Gefahr, dass nicht nur die Kosten der Operation, sondern bei Eintritt von Komplikationen, die auf einem Behandlungsfehler beruhen, auch Schadensersatzansprüche auf den Arzt zukommen können.

Regelmäßig unklar bleibt vor Beginn der Behandlung, wieweit bei den Beihilfestellen und bei den privaten Versicherungsträgern eine Kostenerstattung geleistet wird. Denn die Liquidation wird erst nach Abschluss der Behandlung, d. h. nach der Erfüllung der Dienstleistung erstellt und zur Begleichung eingereicht. Hier kann nur ein Hinweis und – entgegen der bisherigen mündlichen Praxis – in Zukunft nur noch schriftlich, nämlich in Textform, d. h. ohne nachfolgende eigenhändige Unterschrift [1], vor Regressansprüchen schützen.

§ 630d BGB Einwilligung

Abs 1: Der Behandelnde ist verpflichtet, die Einwilligung des Patienten vor der Behandlungsmaßnahme einzuholen.

Praktische Konsequenzen

Kostenzusage des Versicherers vom Patienten vorlegen lassen

bei außertariflichem Leistungsangebot z. B. IGEL, wunscherfüllende Medizin: Kostenvoranschlag erstellen (Textform ohne Unterschrift genügt)

cave: Kostenkalkulation bei wunscherfüllender Medizin,

Schadenersatzforderung bei Komplikationen möglich, die auf einem Behandlungsfehler des Arztes beruhen

Wie diese Einwilligung einzuholen ist, ist im Gesetzestext nicht erwähnt. Allerdings empfiehlt es sich, die Einwilligung schriftlich mit Datum und Unterschrift beider Beteiligten, des Patienten wie des Aufklärenden, zu versehen. Dies kann im Anhang zum Aufklärungsbogen geschehen, so dass auch der inhaltliche Zusammenhang hergestellt ist.

Bei einwilligungsunfähigem Patienten ist die Einwilligung durch einen hierzu Berechtigten einzuholen. Wer ein Solcher sein kann, ist im Gesetz nicht ausgeführt. Das ist vielmehr aus dem Zivilrecht abzuleiten (z. B. Betreuer, Vormund, Personensorgeberechtigte für Kinder). [2] Eine vorliegende Patientenverfügung hat Vorrang vor dieser Fremdeinwilligung. [21] Eine unaufschiebbare Maßnahme (z. B. Notfall) soll dem mutmaßlichen Willen des Patienten entsprechend durchgeführt werden. Hierzu ist der Betreuer zu konsultieren. [1]

Abs. 2: Die Einwilligung ist nur wirksam, wenn zuvor über die Maßnahme aufgeklärt wurde. Dies entspricht der selbstverständlichen Praxis aus der Vergangenheit.

Abs. 3: Der Widerruf der Einwilligung kann formlos und ohne Angabe von Gründen erfolgen, muss aber vom Behandler auf jeden Fall dokumentiert werden. Der so protokollierte Widerruf sollte für Beweiszwecke vom Patienten unbedingt gegengezeichnet werden. [3] Gegebenenfalls ist ein Zeuge hinzuzuziehen, was ebenfalls (durch dessen Unterschrift) zu dokumentieren ist. Die Folgen der Verweigerung zur vorgesehenen Maßnahme sind aufzuklären. Diese Aufklärung muss ebenfalls dokumentiert werden.

Auch an diesem Detail zur Kodifizierung der bisher geübten Praxis zeigt sich, wie die Verrechtlichung der Medizin fortschreitet und nach der Dokumentation eines jeden Details verlangt, um sich als Behandler vor unberechtigten Regressansprüchen oder anderen Vorwürfen zu schützen.

Praktische Konsequenzen

Einwilligung:

nur schriftlich mit Datum und Uhrzeit, spätestens am Vortag

Ausnahme: „Bagatelleingriff“ – cave: Begriff ist nicht definiert!

Dokumentation der Einwilligung im Zusammenhang mit dem Aufklärungsbogen

handschriftliche Ergänzungen, Skizze empfehlenswert

Aushändigung von Unterlagen und Kopie der Einwilligung quittieren lassen

mutmaßlichen Willen des Patienten beachten

Patientenverfügung ist rang-stärker als die Meinung des Betreuers

Widerruf jederzeit möglich

Widerruf formlos, unbedingt schriftlich quittieren lassen

Aufklärung über evtl. Folgen der Verweigerung einer Behandlung ist erforderlich

(Literatur bei den Verfassern)

Die Fortsetzung des Artikels folgt in der Januar-Ausgabe der PASSION CHIRURGIE.

Dieser Artikel ist erschienen in Versicherungsmedizin, 67. Jahrgang, Heft 2,
01. Juni 2015.

Roesgen M. / Jaeger L. / Bertram E. / Grafe S. / Mischkowsky T. / Paul D. / Probst J. / Scola E. / Wöllenweber H. D. Patientenrechte – Arztpflichten (Teil I). Passion Chirurgie. 2015 Dezember; 5(12): Artikel 06_01.

Editorial: Chirurgie beim älteren Menschen

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

die demographische Entwicklung stellt unsere Gesellschaft, stellt alle Sozialsysteme in unserem Land vor enorme Herausforderungen. Das gilt in ganz besonderem Maße für die medizinische Versorgung, insbesondere für die Patientenversorgung in der Chirurgie.

Der BDC hat diese für das gesamte Gebiet der Chirurgie bedeutsame Entwicklung als Leitthema für dieses Heft aufgenommen. Wir wollen beleuchten, wie die chirurgische Behandlung von immer älter werdenden Patienten unter anderem das Erkrankungs-/Verletzungsspektrum und die Indikationsstellungen verändert. Außerdem wollen wir darstellen, wie dadurch die klassischen Indikationen überdacht werden müssen und dem Alter der oft greisen, multimorbiden Patienten angepasste Techniken zur Anwendung kommen. Wir wollen das aus den verschiedenen Blickwinkeln der chirurgischen Fächer diskutieren, um darzustellen, welche Veränderungen fachspezifisch sind, welche anderseits für das ganze Gebiet gelten.

Daher haben wir die Referatsleiter aus dem Erweiterten Präsidium gebeten, ihre Sicht der Dinge zu schildern. Bedauerlicherweise sind – aus uns nachvollziehbaren Gründen – die Stellungnahmen der Orthopäden und Viszeralchirurgen nicht rechtzeitig bis zum Redaktionsschluss eingetroffen. Diese besonders großen und wichtigen Fächer in der Chirurgie werden in einem der nächsten Hefte Gelegenheit haben, die Besonderheiten ihrer Fächer in dieser Thematik darzustellen.

Neben dem bereits erkennbaren und für die Zukunft ganz sicher dramatisch weiter zunehmenden Mangel an ärztlichem Nachwuchs, besonders in den arbeitsintensiven chirurgischen Fächern, wird die Veränderung der Erkrankungen und der Erkrankungshäufigkeit, der Verletzungen und der Verletzungshäufigkeit durch die demographische Entwicklung die Versorgungsrealität in der gesamten Gesundheitsversorgung beeinflussen. Das gilt ganz besonders für die Chirurgie. In unseren Praxen und unseren Kliniken ist die Limitierung der Versorgungsqualität für die Betreuung der Patienten bei immer größer werdenden diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten durch immer knapper werdende Ressourcen, bereits deutlich zu spüren.

Wir sind auf die kommenden Veränderungen nur schlecht vorbereitet. Die Politik ist ganz offensichtlich zu „kurzatmig“ und aus wahlstrategischen Überlegungen wohl auch unwillig, langfristige Konzepte zu entwickeln. Es ist eben dringend notwendig, alte Konzepte infrage zu stellen und nach neuen Wegen zu suchen. Es wird sich dabei nicht vermeiden lassen, weiter und intensiver über Leistungseinschränkungen, Priorisierung und andere höchst unpopuläre Strukturmaßnahmen auch öffentlich zu diskutieren. Wir wollen mit diesem Heft zumindest die interne Diskussion anregen, dies aber in der Hoffnung, dass ein Konsens aus dem gesamten großen Gebiet der Chirurgie durchaus Außenwirkung entfalten kann.

Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen bei der Lektüre.

Mit kollegialen Grüßen

Ihr

Prof. Dr. T. Mischkowsky

Mischkowsky T. Chirurgie beim älteren Menschen. Passion Chirurgie. 2012 Dezember; 2(12): Artikel 01.

Spannungsverhältnis Chefarzt – Geschäftsleitung

Es gibt große Anwaltskanzleien, die Chefärzte unter anderem auch bei strittiger Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses beraten. Fragt man diese Anwälte nach Umfang und Umständen von Kündigungen, so ist die Antwort einheitlich, fast unisono. Die Zahl der strittigen Beendigung eines Arbeitsverhältnisses aus einem Chefarztdienstvertrag nimmt erheblich, aber nicht dramatisch zu; der Stil aber, in dem diese Trennungen betrieben werden, habe sich dramatisch verschlechtert. Der Umgang mit dem Chefarzt, von dem man sich trennen möchte, sei zum Teil entwürdigend, gelegentlich juristisch fragwürdig und würde immer häufiger zu einer schwer ertragbaren Belastung für den betroffenen Chefarzt führen.

Die Kündigung eines Chefarztdienstvertrages durch den Träger hat naturgemäß regelhaft eine längere Vorgeschichte, wie immer auch die Begründung für eine Kündigung formuliert sein mag. Wir haben es uns daher zur Aufgabe gemacht, zu erfragen, wie Chefärzte die Zusammenarbeit mit ihrer Verwaltung bei noch bestehendem Arbeitsverhältnis empfinden, wie sie die Zukunft dieses Arbeitsverhältnisses sehen und wie sie die Auswirkungen auf ihre berufliche Tätigkeit für die Zukunft einschätzen. Wir wissen durch zahlreiche Mitteilungen von Chefärzten, dass es gelegentlich groteske Verhaltensweisen von Trägern Chefärzten gegenüber gibt. So gibt es die zuverlässig überlieferte Aussage des Geschäftsführers eines Klinikums seinem chirurgischen Chefarzt gegenüber: „Wenn ich möchte, dass meine Chefärzte grün aussehen, werde ich sie grün anmalen. Und übrigens: in einem Jahr sind Sie hier weg“. Tatsächlich war das Arbeitsverhältnis dann sehr bald beendet.

Wir haben daher im Herbst 2011 eine EDV-basierte Umfrage zu diesem Thema durchgeführt, bei der wir uns, um eine möglichst homogene Chefarztgruppe zu erfassen, auf Chefärzte der Facharztqualifikation Orthopädie/Unfallchirurgie konzentriert haben. Diese Umfrage wurde gemeinsam mit dem Verband der leitenden Orthopäden und Unfallchirurgen e.V. (VLOU) durchgeführt. Es wurden 608 zum Zeitpunkt der Umfrage noch aktive Chefärzte angeschrieben, der Rücklauf von 166 Antworten entspricht einem Prozentsatz von 27 %, einer bei solchen Umfragen üblichen Rücklaufquote. Neben der Antwort auf vorformulierte Fragen bestand jeweils die Möglichkeit, Ergänzungen in Freitextfeldern vorzunehmen.

Gefragt wurde zunächst nach der generellen beruflichen Zufriedenheit, noch nicht bezogen auf die Zufriedenheit über die Zusammenarbeit mit der Geschäftsleitung (Abb. 1). Die generelle berufliche Zufriedenheit war überwiegend groß, lediglich 12 % der Befragten beurteilten das Maß ihrer Zufriedenheit mit ausreichend, schlecht oder sehr schlecht.

Die Antwort auf die Frage “Was belastet Ihre originäre ärztliche Tätigkeit am meisten?” (Abb. 2) ergab eine für uns doch überraschende Gewichtung.

Neben der bürokratischen Belastung, der Personalknappheit und den Folgen des Arbeitszeitgesetzes wurde bereits an vierter Stelle die Respektlosigkeit der Geschäftsleitung im Umgang mit dem Chefarzt angeführt. Andere, uns wichtig scheinende Belastungen, wie verminderte Patienten- oder Mitarbeiterkontakte waren dem bereits nachgeordnet. Das dokumentiert eindrucksvoll die Bedeutung der Respektlosigkeit der Geschäftsleitung für die Beeinträchtigung ärztlichen Handelns. Auf die Frage nach dem Verhältnis des Chefarztes zu seiner Geschäftsleitung (Abb. 3) ergab sich ein bedenkliches Ergebnis: Lediglich 73 % halten das Verhältnis zu ihrer Geschäftsleitung für sehr gut, gut oder befriedigend, 27 % waren durchaus anderer Meinung, 13 % beurteilten ihr Verhältnis zu ihrer Leitung als schlecht oder sehr schlecht.

91 % der Befragten war noch in der ersten Chefarztposition angestellt, 9 % hatten bereits einen Chefarztwechsel erlebt (Abb. 4), jeder zehnte Chefarzt fühlt sich von seiner Geschäftsleitung gemobbt.

Ebenfalls fast jeder Zehnte ist der Meinung, dass der Träger nur auf eine Gelegenheit wartet, um sich kostengünstig von ihm zu trennen (Abb. 5).

Im Zusammenhang mit der Frage, was denn die originäre ärztliche Tätigkeit am meisten belastet, stellten wir die Frage: „Begegnet man Ihnen mit der nötigen Wertschätzung?“.

Über ein Drittel der Befragten (Abb. 6) beklagte sich über einen erkennbaren Mangel an persönlicher Wertschätzung und die Antwort auf die Frage: „Würden Sie sich von diesen Träger noch einmal zum Chefarzt wählen lassen?“ fiel ebenfalls mit einer Verneinung von 22 % äußerst negativ aus (Abb. 7). Bezogen auf die Chefärzte nur bei privaten Krankenhausketten war die Quote mit 18 % Negativaussagen etwas, aber nicht sehr viel besser.

Von großer Bedeutung erscheint uns die Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Geschäftsleitung durch den Chefarzt. Unsere Frage war daher: “Ist die Qualität Ihrer Verwaltungsorgane geeignet, Ihre Klinik dauerhaft erfolgreich im Wettbewerb zu positionieren?” Die Auswertung der Antworten ergibt ein verheerendes Bild. Fast die Hälfte der Befragten hält ihre Verwaltung für ungeeignet, ihrer originären Aufgabe nachzukommen (Abb. 8). Wertet man die Antworten bei den privaten Klinikketten separat aus, so kommt man mit „nur“ 26 % auf einen deutlich besseren Wert bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Verwaltung.

Immer wieder wird berichtet, dass die Folgen offensichtlicher Fehler, insbesondere Managementfehler der Verwaltung, dem Chefarzt angelastet werden. Wir fragten daher: “Werden Folgen offensichtlicher Verwaltungsmanagementfehler Ihnen vorgeworfen?” Das „Schwarzer-Peter-Spiel“ ist offensichtlich sehr weit verbreitet: nahezu ein Drittel der Befragten (Abb. 9) berichtet, dass sie für Fehlentwicklungen in Anspruch genommen werden, für Entwicklungen, die sie selber gar nicht verursacht hatten oder verursachen konnten.

In eine ähnliche Richtung weisen die Antworten auf die Frage: “Werden nur wirtschaftlich schlechte Ergebnisse mitgeteilt?” Etwa ein Drittel der Befragten sind der Meinung, dass positive Ergebnisse zurückgehalten werden und sie lediglich mit negativen Ergebnissen konfrontiert werden.

Es ist inzwischen unübersehbar, dass die Schere zwischen den zur Verfügung gestellten personellen und sachlichen Ressourcen einerseits und Leistungsanforderungen durch die Geschäftsleitung andererseits immer weiter auseinander klafft, die geforderten Leistungszahlen mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen nicht mehr zu erbringen sind. Dieser Eindruck wird durch die Antworten auf die folgende Frage durchaus bestätigt: “Trifft es für Sie zu, dass bei eingeschränkter Personaldecke die Leistungsanforderungen durch die Geschäftsleitung erhöht werden?” Zwei Drittel der Befragten (Abb. 10) beklagten diese Tatsache, bei privaten Klinikträgern ist dieser Anteil mit 74 % sogar noch einmal deutlich höher.

Es ist naheliegend, dass wir in Anbetracht dieser bedrückend negativen Antworten gefragt haben: „Würden Sie, wenn es wirtschaftlich möglich und sinnvoll wäre, am liebsten Ihre Position als Chefarzt aufgeben?“ Die Antwort ist von großer Brisanz und hat möglicherweise Auswirkung auf zukünftige Bewerbungen um eine Chefarztposition, 36 % der Befragten (Abb. 11) bleiben nur noch oder überwiegend aus wirtschaftlichen Zwängen in ihrer Stellung.

Daraus ergibt sich folgerichtig die nächste Frage: „Was würden Sie nach einer strittigen Trennung machen?“ Die Antworten müssen uns nachdenklich stimmen.

Nur 42 % der Befragten (Abb. 12) würden noch einmal und neu die ursprünglich angestrebten Position eines chirurgischen Chefarztes annehmen, die übrigen würden eine Beschäftigung zum Beispiel als Honorararzt anstreben, sich in die Niederlassung begeben oder versuchen, andere Zukunftsperspektiven zu realisieren. Das Spektrum der Betätigungen, die 15 % der Befragten als Zukunft nach einer Trennung von ihrem derzeitigen Arbeitgeber nennen, ist breit und dokumentiert Enttäuschung und Resignation, aber auch Phantasie und Gestaltungswillen (Abb. 13).

Fazit

Aus den Antworten auf unsere Fragen ist eine hohe Unzufriedenheit mit der Tätigkeit der ärztlichen Leitung einer chirurgischen Abteilung/Klinik zu erkennen, das macht partiell den Eindruck einer bereits eingetretenen Resignation. Die Enttäuschung über das schwierige Verhältnis zur Geschäftsleitung ist offensichtlich riesengroß. Die Beeinträchtigung ärztlichen Handelns durch eine unwillige und/oder unfähige Geschäftsleitung ist örtlich verschieden stark ausgeprägt, aber insgesamt offensichtlich. Sie erschwert dem Chefarzt in beträchtlichem Maße verantwortungsvolles ärztliches Handeln, sie macht es ihm in zunehmendem Umfang immer schwieriger, seine eigentliche ärztlichen Aufgabe wahr zu nehmen, nämlich dem Wohle des Patienten zu dienen. Er empfindet sich immer mehr als ärztlicher Erfüllungsgehilfe in der Wertschöpfungskette des Trägers.

Es ist allerhöchste Zeit, dass von allen Beteiligten erkannt wird, dass das oberste Ziel ärztlichen Handelns das Wohl des Patienten ist. Wirtschaftlicher Erfolg einer Klinik kann immer nur das Mittel für eine finanzierbare ärztliche und pflegerische Versorgung sein. Wirtschaftlicher Erfolg der Klinik ist nicht das Ziel sondern ein – zweifelsfrei notwendiges – Mittel.

Wir arbeiten nicht in Instituten zur Mehrwertschöpfung, sondern in Einrichtungen der Daseinsvorsorge. Es ist ganz offensichtlich aus dem Fokus vieler Krankenhausverwaltungen verschwunden, dass Patienten dasjenige Krankenhaus aufsuchen, von dessen ärztlicher und pflegerischer Zuwendung und Leistung sie überzeugt sind. Noch nie hat ein Patient für seine Behandlung ein Krankenhaus ausgewählt, weil dort die Geschäftsleitung gut sei. Er hat allenfalls realisiert, dass die Geschäftsleitung kompetent genug ist, um eine angemessene ärztliche und pflegerische Versorgung sicherzustellen.

Dem Ziel „prima lex salus aegroti“ sind alle an der Gesundheitsversorgung beteiligten Partner verpflichtet; mancher Ökonom hat ganz offensichtlich andere, für uns Ärzte nicht erträgliche Zielvorstellungen. Dem müssen wir wegen des „salus aegroti“ widerstehen und diesen Widerstand auch offen und öffentlich vortragen. Die Kranken und Verletzten, die Hilfsbedürftigen also, werden auf unserer Seite sein.

Und deren Zahl wird – schon aus Gründen der Demographie – dramatisch zunehmen!

Mischkowsky T. Spannungsverhältnis Chefarzt – Geschäftsleitung. Passion Chirurgie. 2012 März; 2(03): Artikel 02_02.

Status der honorarärztlichen Tätigkeit in Deutschlands chirurgischen Abteilungen

Einführung

Die ärztliche Betätigung als Honorararzt ist – jedenfalls in Deutschland – relativ neu, in anderen europäischen Ländern ist diese oder eine ähnliche Form der ärztlichen Tätigkeit durchaus üblich. Wir erleben hierzulande zur Zeit aber eine fast dramatische Zunahme honorarärztlicher Tätigkeit, die zum Teil außerordentlich negativ bewertet wird. Diese kritischen Beurteilungen stützen sich häufig auf Einzelbeobachtungen, Vermutungen und tendenzielle Berichte, jedoch selten auf eigene Erfahrungen. Es werden Befürchtungen über den negativen Einfluss des „Systems Honorararzt“ auf die Weiterbildung junger Ärzte, auf die Qualität der Versorgung, auf die Motivation der Oberärzte, die wirtschaftliche Situation der eigenen Abteilung und der Klinik formuliert. Tatsächlich aber fehlt es an belastbaren Daten und einer differenzierten Betrachtungsweise, die die verschiedenartigen Gesichtspunkte der aller beteiligten Gruppen berücksichtigt. Der BDC hat sich deshalb bemüht, in einer breit angelegten internetbasierten Studie Daten zusammenzutragen, die eine differenzierte Bewertung honorarärztlicher Tätigkeit gestatten und die Erfahrungen deutscher Chef- und Oberärzte reflektieren.

Um eine möglichst große Datenbasis zu generieren, wurde diese Umfrage zusammen mit dem Verband der leitenden Orthopäden und Unfallchirurgen e. V. (VLOU) durchgeführt. Diesem Verband gehören über 90 % der unfallchirurgischen Chefärzte und etwa 75 % der orthopädischen Chefärzte Deutschlands an. Diese Facharztgruppe scheint in besonderer Weise vom Thema Honorararzt betroffen. Den Teilnehmern wurde per E-Mail ein Link zur Online-Umfrage zugesandt. Wir haben uns bei der Formulierung der Fragen auf die uns am wichtigsten erscheinenden beschränkt, um den Zeitaufwand für die Beantwortung möglichst gering zu halten und eine hohe Rückkaufquote zu sichern.

Rücklauf und Status der Umfrageteilnehmer

Es wurden insgesamt über den BDC 5.549 chirurgische Chef- und Oberärzte per Email angeschrieben, über den VLOU 644 Chefärzte und 11 Leitende Oberärzte. Wir erhielten insgesamt 1.477 auswertbare Antworten, das entspricht einem Rücklauf von 24 %. Damit ist eine breite Datenbasis erreicht, die zuverlässige und belastbare Aussagen ermöglicht. Der größte Teil der Antworten stammt aus Häusern der Grund- und Regelversorgung (47 %) gut ein Viertel (27 %) aus denen der Schwerpunktversorgung, 18 % aus Kliniken der Maximalversorgung und 8 % aus Universitätskliniken. Diese Verteilung repräsentiert damit in etwa die Verteilung der chirurgischen Klinik auf diese Versorgungsstufen in Deutschland. Auch die Verteilung der Antworten nach der Trägerschaft der Kliniken repräsentiert die tatsächlichen Verhältnisse im Lande. 51 % der Antworten erhielten wir von Chefärzten, 49 % von Oberärzten und anderen Fachärzten.

57 % der Antworten stammten aus Abteilungen für orthopädische und Unfallchirurgie, 31 % aus dem Bereich Allgemein- und Viszeralchirurgie, 15 % aus der Gefäßchirurgie, von den übrigen chirurgischen Fächern ergaben sich Antworten zwischen 3 und 5 %. Die Gesamtzahl der fachbezogenen Angaben ist größer als 100 %, da Doppelangaben erlaubt und erwünscht waren (z. B. Allgemeinchirurgie und Gefäßchirurgie).

Im Folgenden verwenden wir für die chirurgischen Disziplinen diese Abkürzungen:

ACH – Allgemeinchirurgie
GCH – Gefäßchirurgie
HCH – Herzchirurgie
KCH – Kinderchirurgie
PCH – Plastische und Ästhetische Chirurgie
O/U – Orthopädie und/oder Unfallchirurgie
TCH – Thoraxchiurgie
VCH – Viszeralchirurgie

Ergebnisse

Da wir einen engen Zusammenhang zwischen Beschäftigung von Honorarärzten und unbesetzten Planstellen vermuteten, haben wir zunächst nach freien Planstellen gefragt. Dabei fanden sich in ca. 37 % der herzchirurgischen, kinderchirurgischen und gefäßchirurgischen Abteilungen freie Facharztstellen, in der plastischen Chirurgie lediglich 17 %, in den übrigen chirurgischen Disziplinen zwischen 24 und 28 % nicht besetzbare Facharztstellen (»Abb. 1). Bei den nicht besetzbaren Assistenzarztstellen ist die Situation bei knapp der Hälfte der chirurgischen Abteilungen noch kritischer (»Abb. 2): Kinderchirurgie 47 %, Allgemein- und Gefäßchirurgie je 44 %, Thoraxchirurgie und Viszeralchirurgie jeweils 42 %, Herzchirurgie und Orthopädie/Unfallchirurgie je 37 %.

Abb1
Anteil chirurgischer Abteilungen mit unbesetzten
Facharztstellen
Abb2
Anteil chirurgischer Abteilungen mit unbesetzten
Assistenzarztstellen

Auch hier ist die plastische Chirurgie mit 16 % am wenigsten betroffen, allerdings sind die absoluten Zahlen dort naturgemäß eher gering. An 65 % der Kliniken arbeiten Honorarärzte, in 33 % der chirurgischen Abteilung sind Honorarärzte tätig (»Abb. 3). Die meisten Honorarärzte mit chirurgischem Tätigkeitsspektrum sind mit 42 % in Abteilungen der Orthopädie/Unfallchirurgie beschäftigt, gefolgt von 30 % in der Allgemein- und Viszeralchirurgie tätigen, 19 % in der Plastischen Chirurgie sowie 17 % in der Gefäßchirurgie. Die anderen chirurgischen Disziplinen sind wegen geringer Fallzahl nur bedingt auswertbar, aber durchweg relativ gering.

Bei einer differenzierten Datenauswertung fällt die Korrelation zwischen Personalmangel (e. g. freien Stellen) und dem Einsatz von Honorarärzten auf:

  • Von allen antwortenden Kliniken, die Honorarärzte im chirurgischen Fachgebiet beschäftigen, haben 43,5 % auch Assistenzarztstellen frei.
  • Von allen antwortenden Kliniken, die Honorarärzte im chirurgischen Fachgebiet beschäftigen, haben 61,6 % auch Facharztstellen frei.
  • Von allen Kliniken, in denen Facharztstellen frei sind, beschäftigt die Hälfte (51 %) Honorarärzte, die andere Hälfte nicht.

Es zeigt sich, dass eher der Facharztmangel zur Anstellung von Honorarärzten führt und weniger der Assistentenmangel. Dies lässt indirekt darauf schließen, dass freie Assistentenstellen auf anderen Wegen kompensiert werden (z. B. durch Mehrarbeit der Stamm-Mannschaft oder durch chirurgisches Assistenzpersonal). Dies funktioniert beim Ersatz von Fachärzten nicht, weshalb man hier häufiger als bei freien Assistentenstellen auf Honorarärzte zurückgreifen muss. Honorarärzte ersetzen in der Not den Mittelbau, also zum Beispiel selbstständige Operateure.

Eine wirkliche Zusammenarbeit mit Honorarärzten im eigenen Fachgebiet lag bei 35 % der antwortenden chirurgischen Abteilungen (358 Antworten) vor. Nur diese Abteilungen mit praktischen Erfahrungen durften weitergehende Fragen zu den individuellen Erfahrungen und Auswirkungen des Systems Honorararzt beantworten. Die Zusammenarbeit mit Honorarärzten geschah in 35 % Prozent auf Wunsch der Chefärzte, wurde in 24 % von diesen geduldet und erfolgte bei 7,7 % gegen deren Willen. 33 % von ihnen gaben an, dass im Interesse der Krankenversorgung keine Alternative der Beschäftigung von Konsiliarärzten gab. Bei der Auswahl der Honorarärzte hatten 63 % bis 75 % der Chefärzte ein Mitspracherecht. Es gibt in dieser Frage keine wesentlichen Unterschiede zwischen den chirurgischen Fachgebieten.

Abb3
Erfahrungen mit Honorarärzten in der eigenen
Klinik sowie im eigenen Fachgebiet

Abb4 Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit
Honorarärzten

Abb5
Beurteilung der Qualifikation von Honorarärzten

Abb6
Beteiligung der Honorarärzte am Abteilungsbetrieb

Die Zusammenarbeit mit den Honorarärzten wird von 50 % der Antwortenden als sehr gut oder gut bezeichnet, 35 % äußern sich neutral und lediglich 14 % beurteilen diese als schlecht oder sehr schlecht. In dieser Hinsicht äußern sich die Gefäßchirurgen überdurchschnittlich positiv sowie Unfallchirurgen und Orthopäden überdurchschnittlich negativ (»Abb. 4). Ganz ähnlich verhält es sich mit der der Beurteilung der Qualifikation von Honorarärzten: 60 % beurteilen die Qualifikation als gut oder sehr gut, 12,3 % als schlecht oder sehr schlecht. Auch hier fällt das Urteil der Gefäßchirurgen eher positiver als der Durchschnitt aus, dass der Orthopäden und Unfallchirurgenetwas schlechter (»Abb. 5). Honorarärzte sind in die wesentlichen Tätigkeiten einer chirurgischen Abteilung unterschiedlich stark eingebunden. Sie werden zu 39 % in der Notaufnahme beschäftigt, zu 75 % im Routine-OP-Betrieb, zu 28 % im Notfallprogramm.

Nur in geringem Umfang werden Honorarärzte an der Weiterbildung der Assistenten (13,7 %) beteiligt, nehmen an Indikationsbesprechung teil (16,5 %) oder sind in Komplikations- bzw. M&M-Konferenzen sowie Qualitätssicherungsmaßnahmen eingebunden (9-10 %) (»Abb. 6). Die Frage nach der Beteiligung der Honorarärzte an den verschiedenen Dienstplanabschnitten fällt zunächst überraschend aus. Über die Hälfte (55 %) der Honorarärzte beteiligt sich am normalen Dienstbetrieb, zwischen 40 % und 70 % beteiligen sich auch am Bereitschaftsdienst. Dieser hohe Anteil am Bereitschaftsdienst ist vermutlich der Forderung nach Facharztstandard geschuldet, der durch den Facharztmangel nicht gewährleistet werden kann. Es fällt auf, dass sowohl bei der Beherrschung von Komplikationen (»Abb. 7), als auch bei der Beurteilung der Wirkung auf die Weiterbildung der Assistenzärzte (»Abb. 8) und die Motivation der Oberärzte (»Abb. 9) der Einfluss des Honorararztsystems von den Oberärzten deutlich kritischer gesehen wird als von den beteiligten Chefärzten. Da die Oberärzte ihre eigene Motivation vermutlich am besten beurteilen können, sie in der Regel wesentlich an der Weiterbildung der Assistenten sowie an der Komplikationsbeherrschung beteiligt sind, muss ihren Angaben vermutlich ein höheres Gewicht zugestanden werden. 19 % der antwortenden Chefärzte gab an, das Honorarärzte für sie als Chefarzt Konkurrenz seien, 17 % erlitten durch Honorararzteinsatz wirtschaftliche Nachteile, bei 22 % wurde der eigene Abteilungsetat durch die Beschäftigung von Honorarärzten reduziert.

Abb7
Wer behandelt Komplikationen, die von
Honorarärzten verursacht wurden und in welchen
Dienstabschnitten?
Abb8
Wie schätzen Sie die Wirkung der Honorarärzte
auf die Weiterbildung Ihrer Assistenten ein?
Abb9 Wie schätzen Sie die Beteiligung von Honorarärzten
auf die Motivation Ihrer Oberärzte ein?

Für 13 % der Chefärzte hat die Beschäftigung von Honorarärzten negativen Einfluss auf den eigenen Stellenplan. 18 % der antwortenden Chefärzte gab an, dass bei der Beschäftigung von Honorarärzten durch die Verwaltung der Verdacht auf eine rechtlich bedenkliche Verknüpfung zwischen stationärer und ambulanter Versorgung bestünde.

Diskussion und Ausblick

Das „System Honorararzt“ ist in Deutschland Realität. Zwei Drittel der antwortenden Kolleginnen und Kollegen gibt an, daß in ihren Kliniken Honorarärzte tätig sind. In einem Drittel aller chirurgischen Abteilungen arbeiten Chirurgen und Orthopäden als Honorarärzte. Zusammenfassend ergibt sich aus den Umfragergebnissen ein differenziertes Bild für die Beurteilung von Honorarärzten in chirurgischen Abteilungen. Das wird auch deutlich, wenn man die zusätzlichen Bemerkungen, die als Freitext erfassbar waren, auswertet. Wie auch in den elektronisch auswertbaren Antworten gibt es hier eine breite Streuung von Beurteilungen wie z. B.: „ohne Honorarärzte könnten wir unseren Versorgungsauftrag schon lange nicht mehr erfüllen“ bis hin zu der Bemerkung: „der Honorararzt wurde gegen meinen Willen eingestellt, er kümmert sich nicht um die Patienten, die Qualifikation und die Zusammenarbeit sind miserabel“. Die Beschäftigung von Honorarärzten an chirurgischen Abteilungen wird insgesamt besser beurteilt, als man es bei Diskussionen auf Kongressfluren und anderen Gelegenheiten erwarten würde..

In den Abteilungen, die praktische Erfahrung mit Honorarärzten haben, überwiegt der positive Eindruck. Natürlich gibt es auch negative Stimmen, diese sind jedoch in der Minderheit. Entscheidend für eine positive Beurteilung ist, dass die Beschäftigung eines Honorararztes das Leistungsspektrum einer Abteilung ergänzt oder bestehende Personallücken schließt. Sie wird nur dann negativ gesehen, wenn durch Tätigkeit von Honorarärzten im originären Leistungsspektrum einer Abteilung eine Konkurrenzsituation entsteht. Der Erfolg des Honorararzt-Einsatzes ist im Wesentlichen abhängig von der Kooperationsbereitschaft beider Seiten und – ebenso wichtig – von der Qualifikation des Honorararztes. Die Ergebnisse dieser Umfrage zeigen, dass der überwiegende Teil der in chirurgischen Abteilungen tätigen Honorarärzte gut bis sehr gut qualifiziert ist. Zu achten ist beim Einsatz von Honorarärzten vor allem darauf, dass die Motivation des Stammpersonals nicht leidet. Hier können durch Information und Kommunikation viele Vorurteile abgebaut werden und sich durch erfolgreiche Zusammenarbeit gegenseitiger Respekt und Vertrauen entwickeln.

50 Jahre BDC und der Fachbereich Unfallchirurgie

Das Verhältnis der Unfallchirurgen zum BDC, und ich spreche hier im Wesentlichen für die in der Klinik tätigen Kollegen, ist geprägt von starken positiven Veränderungen in den letzten Jahren. Bis 1992 war die Unfallchirurgie ein Teilgebiet der Chirurgie, Unfallchirurgen empfanden, ob zu Recht oder zu Unrecht, den BDC als Berufsverband im Wesentlichen der Allgemeinchirurgen mit relativ geringem Interesse für die Unfallchirurgie und für die Unfallchirurgen. Diese befanden sich in einem – gelegentlich auch schwierigen – Emanzipationsprozess, der von den anderen chirurgischen Disziplinen nicht immer ausschließlich mit Wohlwollen gesehen wurde. Die Vertretung der Unfallchirurgie im BDC durch Junghanns, Havemann Jungbluth und später Wolters war institutionalisiert, aber die Kooperationen waren doch sehr begrenzt.

So weit mir bekannt ist, fällt die erste wirklich gewichtige Unterstützung, die die Unfallchirurgen als Gruppe durch den BDC erfahren haben in die Phase der Diskussion der neuen Weiterbildungsordnung im Jahre 1992. In außerordentlich schwierigen Gesprächen der Unfallchirurgen mit der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie schien es fast unmöglich, für die anstehende Musterweiterbildung, die im Jahr 1993 beschlossen wurde, die Unfallchirurgie zum Schwerpunkt der Chirurgie zu machen. Die Teilgebiete Herzchirurgie, die Kinderchirurgie und die Plastische Chirurgie hatten beschlossen, aus der Chirurgie auszuscheren und eigene Gebiete zu beantragen, was dann ja auch auf dem Ärztetag 1993 geschah. Auch in der Unfallchirurgie gab es durchaus Überlegungen, den gleichen Weg zu gehen und das Gebiet Chirurgie zu verlassen. In dieser Phase hat der BDC die Unfallchirurgen mit Macht unterstützt und mit diesen zusammen durchgesetzt, dass aus dem Teilgebiet, wie von den Unfallchirurgen gewünscht, ein Schwerpunkt Unfallchirurgie in der Chirurgie entstand. Es ist ganz zweifelsfrei das Verdienst unseres damaligen Präsidenten Hempel, die Unfallchirurgie gegen Tendenzen der DGCH unterstützt zu haben und sie dadurch für die Folgezeit näher an den BDC zu binden.

Von 1990 an war Rehm Vertreter der Unfallchirurgen im Berufsverband. In dieser Zeit entwickelte sich bei den Unfallchirurgen zunehmend die Erkenntnis über die Wichtigkeit berufspolitischer Aktivitäten, sodass sowohl in der DGU als auch im Verband leitender Unfallchirurgen (VLU) Überlegungen angestellt wurden, einen eigenen Berufsverband zu gründen. In diese Überlegungen und Gespräche wurden von Seiten des BDC Karl Hempel für die DGU und Jens Witte für den VLU eingebunden. Nach vielen offenen und intensiven Gesprächen wurde verabredet, die Zusammenarbeit der Unfallchirurgen mit dem Berufsverband zu intensivieren und damit die Gründung eines eigenen unfallchirurgischen Berufsverbandes entbehrlich zu machen. Das Referat Unfallchirurgie im BDC wurde nach dem Umzug von Hamburg nach Berlin und der Übernahme des Präsidentenamtes durch Witte durch mich besetzt.

Ich war damals langjähriges Mitglied im Präsidium und im berufsständischen Ausschuss der DGU und erster Vorsitzender des VLU. Man erwartete von mir sowohl von Seiten des BDC als auch von der DGU eine Intensivierung der Zusammenarbeit mit dem BDC, aber auch eine deutlich erkennbare Interessenvertretung speziell der in der Klinik tätigen Unfallchirurgen im BDC. Das Referat Unfallchirurgie entwickelte sich rasch, wie J. Witte wiederholt berichtete, zum am stärksten in Anspruch genommene Referat, in dem zahllose fachspezifische Anfragen beantwortet werden konnten. Große Aufmerksamkeit und Anerkennung fand unter den Unfallchirurgen ein Aufsatz, den ich gemeinsam mit J. Witte schrieb und der im Chirurg BDC und im Unfallchirurgen publiziert wurde: Aufgabenverteilung beim Polytrauma und bei Höhlenverletzungen. Die Zusammenarbeit mit dem Präsidium, ganz besonders aber mit dem Präsidenten Witte war gekennzeichnet durch gegenseitigen Respekt, völlige Offenheit und absolute Zuverlässigkeit. Es entwickelte sich ein geradezu freundschaftliches Verhältnis. Die Arbeit mit J. Witte hat einfach Freude gemacht.

Nach dem viel zu frühen Tod von J. Witte wurde ich 2004 mit Unterstützung der DGU als Vizepräsident unter dem neuen Präsidenten Polonius vorgeschlagen und dann auch von der Mitgliederversammlung gewählt. Ich habe das als große Ehre, aber auch als Herausforderung empfunden, die mit J. Witte begonnene enge Kooperation der Unfallchirurgen mit dem BDC fortzusetzen und möglichst noch zu intensivieren. Neben der Vertretung der Unfallchirurgen, die durch den neuen Leiter des Referats Unfallchirurgie Pennig unterstützt wurde, habe ich meine Aufgabe im wesentlichen darin gesehen, den Präsidenten bei der Erfüllung seiner Pflichten zu unterstützen, ihn soweit zu entlasten, wie dies möglich war und besonders den Kontakt zu den Unfallchirurgen, die inzwischen das zahlenmäßig größte Fach im Gebiet der Chirurgie darstellen, sicherzustellen und zu pflegen. Dieses gilt im Besonderen für die Arbeit in der gemeinsamen Weiterbildungskommission des Berufsverbandes und der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, in der ich seit 1999 ununterbrochen mitgearbeitet habe. Seit 2004 im Ruhestand war es mir möglich, eine höhere zeitliche Präsenz in Berlin sicherzustellen und den Präsidenten bei seiner enormen Terminbelastung auch außerhalb Berlins häufig zu vertreten.

Gemeinsam mit der DGU wurden die seit langem bestehenden Seminare zur Vorbereitung auf die Facharztprüfung und auf die Prüfung für den Schwerpunkt Unfallchirurgie gestaltet, sie waren und sind ein unverzichtbarer Teil der unfallchirurgischen Weiterbildung. Inhaltlich sind diese immer durch die wissenschaftliche Gesellschaft und ihre Mitglieder strukturiert, der Berufsverband beschränkt sich verabredungsgemäß auf die Organisation dieser immer sehr gut angenommenen Seminare. Neue Seminare mit unfallchirurgischen Inhalt, wie die kurrikulären Seminare zur Handchirurgie und zur Fußchirurgie, aber auch das regelmäßig veranstaltete Seminar zur Gutachtenerstellung stießen bei den Unfallchirurgen auf großes Interesse und werden mit großem Engagement der beteiligten Unfallchirurgen fortgesetzt. Es ist eine meiner Hauptaufgaben, die Kooperation des Berufsverbandes mit den Unfallchirurgen zu stärken, – zum Nutzen beider und der durch sie vertretenen Kollegen.

Die Entwicklung der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie zu einer Dachgesellschaft der chirurgischen Fachgesellschaften, die eine logische Folge der neuen Weiterbildungsordnung ist, macht es für die Zukunft notwendig, das Verhältnis des BDC zur wissenschaftlichen Dachgesellschaft DGCH neu zu überdenken und den veränderten Bedingungen anzupassen. Diese gewiss nicht immer einfache Herausforderung, die die Kernkompetenzen beider Partner berücksichtigen muss, wird für die kommende Zeit die Gremien des Berufsverbandes erheblich beschäftigen und seine gesamte Kompetenz und Geschlossenheit erfordern. Eine sachgerechte Verteilung von Aufgaben und Verantwortlichkeiten zwischen DGCH und BDC ist für die Zukunft der gesamten deutschen Chirurgie von entscheidender Bedeutung.

Prof. Polonius ist 70 Jahre alt

Unser Präsident, Prof. Dr. Michael-Jürgen Polonius, wurde im Dezember letzten Jahres 70 Jahre alt. Wir alle, der gesamte Berufsverband, besonders aber die Menschen, die intensiv und täglich mit ihm zusammenarbeiten, beglückwünschen ihn zu diesem Geburtstag und wünschen ihm für die Zukunft alles erdenklich Gute.

Michael Polonius, wie ihn seine Freunde nennen, wurde vor 70 Jahren in Braunschweig geboren. Er verbrachte seine Jugend in Breslau, Berlin, Tirol und im Allgäu. Nach der Schulausbildung und Abitur in Braunschweig sowie der Ableistung des Wehrdienstes, schrieb er sich in der Universität ein. Bezeichnend für ihn, begann er mit einem Studium Generale, um dann ab 1960 Humanmedizin in Freiburg, Wien und Hamburg zu studieren. Parallel dazu belegte er im Zweitstudium Sport, war er doch bereits in der Schule ein begeisterter Turner.

Im Studium engagierte er sich in der studentischen Selbstverwaltung, war Fachschaftssprecher in der Vorklinik an der Universität Freiburg und im klinischen Teil des Studiums an der Universität in Hamburg. Nach Staatsexamen und Ableistung der Medizinalassistentenzeit begann er die eigentliche Weiterbildung als Resident in Boston und Detroit. Diese Zeit hat ihn in bemerkenswerter Weise geprägt. Seine intensiven Beziehungen zur angloamerikanischen Medizin, sowohl auf wissenschaftlichem Gebiet, als auch in der klinischen Praxis, sind wertvoll und wegweisend für sein weiteres Berufsleben.

Die Weiterbildung in der Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie begann für Michael Polonius 1970 in der Universitätsklinik Hamburg Eppendorf unter dem von ihm hochverehrten chirurgischen und akademischen Lehrer Prof. Rodewald. Die strenge chirurgische Schule an dieser Klinik hat ihn für seinen weiteren chirurgischen Werdegang entscheidend geprägt. Zum Ende seine Tätigkeit in Hamburg arbeitete er von 1982 bis 1984 gleichzeitig als Consultant in der Herzchirurgie am St. Antony Hospital in London. Sein klinisches und akademisches Interesse hatte immer eine internationale Seite. So war es für ihn selbstverständlich, später die Herzchirurgie in Murmansk / Russland mit aufzubauen.

Im Jahr 1985 übernahm Michael Polonius die Leitung der Klinik für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie am Klinikum Dortmund und baute sie zu einer der bedeutendsten kommunalen Abteilungen der Herz- und Thoraxchirurgie in Deutschland aus. Von 1972 an war Michael Polonius bis vor wenigen Jahren Mitglied des Vorstandes der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG) und deren Präsident in der Zeit von 1997-1998.

2001 bis 2004 hatte er den Vorsitz im Unterausschuss des Ausschusses Krankenhaus im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), seit Beginn 2004 ist er unparteiisches Mitglied im G-BA und Vorsitzender des Krankenhausausschusses. Seine Fähigkeit zu Integration und Moderation wird dort ebenso geschätzt wie in unserem Berufsverband. Trotz seines außerordentlichen Engagements für die eigene Klinik und seine wissenschaftliche Gesellschaft hat sich Michael Polonius schon früh berufspolitisch engagiert. Seit 1974 ist er Mitglied des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgen und war bis 2001 Vertreter der DGTHG sowie Referatsleiter Herzchirurgie im Präsidium des BDC. Wolfgang Müller-Osten, damaliger Präsident des BDC, erkannte sehr bald die offene, international stimulierte und allem Neuen zugewandte Art des jungen Kollegen Polonius. Dabei war dieser junge Kollege, wie man hört, durchaus konfliktfähig, gelegentlich wohl fast provokativ, aber immer konsensfähig und bereit, gemeinsam erarbeitete Konzepte zielorientiert weiter zu entwickeln.

Müller-Ostens Nachfolger, Herr Hempel, beauftragte ihn später, die seit 1973 bestehenden Kontakte zur UEMS und den gesundheitspolitischen Gremien in Brüssel zu intensivieren, wozu er nicht nur wegen seiner exzellenten Englischkenntnisse besonders geeignet war. Unter der Präsidentschaft von Jens Witte wurde Michael Polonius 2001 Vizepräsident des BDC und hatte nach Wittes Tod die außerordentlich schwierige Nachfolge anzutreten. Er hat sich in dieser für uns alle schwierigen Phase mit großer Umsicht, Geduld und seiner Integrationsfähigkeit den Respekt des Präsidiums und der Mitglieder des BDC, sowie seiner Gesprächspartner in Politik und Fachgesellschaften erworben.

Michael Polonius ist kein Freund hastiger, tagespolitisch motivierter Entscheidungen und plakativer Auftritte. Seine Stärken sind Souveränität, Integration und politische Weitsicht. Beste Voraussetzungen, die in einem großen Facharztverband wie dem BDC bestehenden Partikularinteressen zu kanalisieren und diesen im Interesse aller Mitglieder zu führen. Das Präsidium des Berufsverbandes dankt Michael Polonius für sein Jahrzehnte währendes Engagement und wünscht ihm für die Zukunft Energie und Schaffenskraft sowie persönliches Glück und beste Gesundheit.

Ad multos annos!