Alle Artikel von Prof. Dr. Michael-J. Polonius

2007: Ein Jahr reich an Ereignissen und Arbeit geht zu Ende

Der BDC hat sich im Jahr 2007 für die chirurgische Weiterbildung in Deutschland stark gemacht. Neben der erneuten Assistentenumfrage zur Qualität der chirurgischen Weiterbildung wurden die Ergebnisse der ersten Umfrage aus dem Jahr 2005 in konkrete Projekte umgesetzt. Die vom BDC entwickelten Logbücher sind bereits über 2.500- mal in Deutschland im Einsatz. Zum Jahresende konnte endlich auch eine elektronische Version zur Dokumentation der operativen Eingriffe fertig gestellt und angeboten werden. Der BDC hat weiterhin das Mentoringprojekt zu Patenschaften in der Chirurgie ins Leben gerufen und hofft auf rege Teilnahme erfahrener Kollegen und junger Chirurgen. (Das Angebot ist über BDC|Online jederzeit nutzbar.)

Für das Jahr 2008 haben wir uns vorgenommen, intensiv mit der Erstellung von Weiterbildungscurricula fortzufahren und interessierten Weiterbildern Empfehlungen an die Hand geben zu können. Hierbei denken wir auch an die Neuauflage und Weiterentwicklung der „Train the Trainer“-Seminare. Weiterhin wird sich der BDC nachhaltig um die Nachwuchsförderung kümmern. Eine Kampagne und Informationsveranstaltungen in deutschen Universitäten sollen das Interesse für den Beruf des Chirurgen wecken. Hierfür bitten wir um Unterstützung unserer Mitglieder an den Universitäten und Lehrkrankenhäusern. Auch 2007 fand ein gemeinsames Symposium mit Vertretern der Politik, der Bundesärztekammer (BÄK), der Deutschen Krankenhausgesellschaft) DKG und Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) sowie allen operativen Fachgesellschaften und Berufsverbänden zum Thema „Chirurgische Weiterbildung und Arbeitszeitgesetz – Lösbares Problem oder unlösbarer Konflikt“ statt?

Ein wichtiger Schritt zum besseren Verständnis der Problematik mit der Möglichkeit zum Lösungsansatz. Das Seminarangebot der Akademie für Chirurgische Weiterbildung und praktische Fortbildung des BDC wurde im Jahre 2007 nochmals deutlich erweitert. Insbesondere wurden weitere Standorte für Basischirurgieseminare und für Seminare zum neuen Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie gewonnen. Ich möchte an dieser Stelle allen Seminarleitern und Referenten, die ehrenamtlich und zusätzlich zu ihren vielfältigen Aufgaben in der Klinik, diese Seminare organisieren und mit Leben füllen, sehr herzlich danken. Dank gebührt auch dem Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie 2006/2007, Herrn Prof. Steinau. Auf seine Initiative hin konnten auf dem diesjährigen Chirurgenkongress 13 gemeinsame Sitzungen von BDC und DGCH organisiert werden.

Damit wurde den mehr als 5000 Teilnehmern eindrucksvoll das gemeinsame Wirken von Berufsverband und Fachgesellschaft vorgestellt. Die neue Gemeinsamkeit von BDC und DGCH zeigt sich auch in den Anstrengungen des vergangenen Jahres, eine gemeinsame Akademie ins Leben zu rufen. In einem ersten Schritt werden in den kommenden beiden Jahren die Basischirurgieseminare des BDC gemeinsam mit der DGCH und den chirurgischen Fachgesellschaften angeboten und weiterentwickelt. Auch der 21. Chirurgentag im Oktober, zum zweiten Mal im schönen Langenbeck-Virchow-Haus in Berlin, war ein großer Erfolg. Mehr als 500 Gäste fanden den Weg in das Langenbeck-Virchow-Haus und erlebten einen angenehmen und intensiven Fortbildungskongress. Unserem Akademieleiter, Herrn Prof. Jähne, danke ich für das ausgezeichnete Programm sowie den Mitarbeitern der BDC-Geschäftsstelle für die perfekte Organisation des Kongresses. Die „Special Lecture“ von Wolf Lotter auf dem Chirurgentag finden Sie in dieser Ausgabe. Die Aktivitäten der BDC-Akademie sind nicht auf junge Chirurgen oder Kollegen im Krankenhaus beschränkt. Insbesondere für niedergelassene Kollegen wurden im vergangenen Jahr neue Seminarangebote entwickelt. So finden noch im Dezember Seminare zum EBM 2008 statt, ab Januar 2008 bieten wir neu entwickelte Seminare zur Praxisgründung, Praxisoptimierung und Praxisverkauf an.

Auch die bereits im Jahre 2005 erfolgreich veranstalteten QEP-Seminare werden ab 2008 in neuem Format angeboten. Die Position der niedergelassenen Chirurgen wurde sowohl in den BDC-Landesverbänden als auch im BDC-Präsidium deutlich gestärkt. In fast allen Landesverbänden ist ein Regionalleiter für niedergelassene Chirurgen gewählt worden. Aus deren Reihen wurde im Juli 2007 Herr Kollege Kalbe als neuer kommissarischer Referatsleiter für niedergelassene Chirurgen in das Präsidium des BDC gewählt. Wir freuen uns auf die intensive Zusammenarbeit mit unseren niedergelassenen Kollegen und Herrn Kalbe und hoffen, dass die starke Position im BDC zu positiven Ergebnissen beitragen wird. 2007 wurden auch entscheidende Schritte zum gemeinsamen Handeln aller chirurgischen Fächer getan. So konnten wir erstmals die Vertreter der Berufsverbände der Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen und der Neurochirurgen als Referatsleiter gewinnen und damit als Vertreter in unserem Präsidium begrüßen.

Damit findet die Diskussion um die Umsetzung und Weiterentwicklung der Weiterbildung auf noch breiterer Basis statt. Nach den nicht geringen Irritationen im Jahr 2007 mit dem damaligen BVO, jetzigem BVOU hat sich 2007 eine deutliche Verbesserung der Zusammenarbeit ergeben. In mehreren Gremien bemühen wir uns, die Belange aller Chirurgen gemeinsam mit konsentierten Argumenten durchzusetzen. Natürlich hat auch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz die Arbeit des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgen 2007 bestimmt, obwohl die endgültige Umsetzung erst Mitte nächsten Jahres erfolgt. Wichtigste Argumente der kommenden Jahre wird es sein, eine strukturierte Weiter- und Fortbildung schrittweise gemeinsam mit den Fachgesellschaften und Berufsverbänden zu entwickeln und umzusetzen. Eben so wichtig ist es, das Berufsbild des Chirurgen als Arzt zu bewahren und nicht zum Gesundheitsingenieur zu werden. Dafür brauchen wir die Unterstützung jedes Mitglieds des BDC. Ich wünsche allen Mitgliedern und ihren Familien ein gesegnetes Weihnachtsfest und ein gesundes Neues Jahr. Auf ein Neues in 2008

Koexistenzvereinbarung BVO/BVOU – BDC

BVO/BVOU und BDC vereinbaren die Regelung ihrer berufsständischen Vertretung dahingehend, dass sie nach Einführung des neuen Facharztes für Orthopädie und Unfallchirurgie auch weiterhin ihre bisherigen Aufgaben­bereiche wahrnehmen. Der BVO/BVOU nimmt insbesondere die berufspolitische Interessensvertretung der Orthopäden sowie des neuen Facharztes für Orthopädie und Unfallchirurgie wahr. Der BDC vertritt die Interessen im Gesamtgebiet Chirurgie.

Die koexistenzielle Interessensvertretung respektiert Tradition, Leistungsumfang und die spezifischen Aufgaben beider Verbände. Sie ist Grundlage einer wirksamen Vertretung der berufspolitischen Interessen im Gebiet Chirurgie. Der Koexistenz wird dadurch Rechnung getragen, dass die Präsidenten als Mitglieder des jeweils anderen Gesamtvorstands in den Satzungen benannt werden.

Parität und enge Kooperation finden weiterhin ihren Ausdruck darin, dass zwischen beiden Verbänden gemeinsame Gremien, z.B. zur Gebühren­ordnung, zur Weiter- und Fortbildung und zu den beiden angeschlossenen Akademien, gebildet werden. In Gespräche des Bereiches Orthopädie/Unfallchirurgie werden neben den wissenschaftlichen Fachgesellschaften die beiden Berufsverbände entsprechend ihrer Aufgabenbereiche als gleichberechtigte Partner einbezogen. Beide Verbände ermöglichen ihren neuen Mitgliedern, die sich im Common Trunk oder in der Weiterbildung zum Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie befinden, eine freiwillige Doppelmitgliedschaft zu besonderen Konditionen. Eine entsprechende Beitragsordnung und Anmeldeformulare werden erarbeitet.

Ein besonderes Jahr liegt hinter uns – 2006

In der Gesundheitspolitik und damit in der Wahrnehmung seiner berufspolitischen Aufgaben und Verantwortung geht für den Berufsverband der Deutschen Chirurgen ein turbulentes und schwieriges Jahr zu Ende. Es war geprägt durch die Diskussionen um die Gesundheitsreform, die Ärztedemonstrationen, vom Tarifstreit der Krankenhausärzte, die immer mehr zunehmenden Angriffe auf das Berufsbild des Arztes, besonders des operativ tätigen, des Chirurgen. Das Gesundheitswettbewerbsstärkungsgesetz – welch ein Wort für das wichtigste Reformvorhaben der sog. großen Koalition – stößt bei allen Beteiligten im Gesundheitswesen, den gesetzlich und privaten Kostenträgern, den Leistungserbringern und den Patienten auf strikte Ablehnung, so dass der Präsident der Bundesärztekammer, Prof. Hoppe, auf dem außerordentlichen Ärztetag am 24. Oktober 2006 in Berlin der Bundesregierung den Rat gab: „Drücken Sie den Resetknopf, oder stampfen Sie die Reform ein“:

Die Diskussion über eine neue Finanzierung des Gesundheitssystems mit Einführung eines Fonds und Zuzahlungen einer Prämie, wenn eine gesetzliche Krankenkasse mit ihrem Geld nicht mehr auskommt, hat lange Zeit die eigentlich strukturellen Veränderungen verdeckt. Liest man diese neuen Paragraphen genau, wird jedem klar, dass dieser Gesetzesentwurf ein großer Schritt in Richtung Staatsmedizin ist. Dadurch, dass die Regierung in Zukunft den Betrag festsetzt, den jede Kasse pro Mitglied erhält, bestimmt sie automatisch den immer noch an den Arbeitslohn gekoppelten Beitragsatz. Die sog. Professionalisierung des Gemeinsamen Bundesausschusses kommt einer Abschaffung der Selbstverwaltung gleich. Ärzte und ihr Fachwissen sind nicht mehr gefragt.

Das Motto der Regierungsparteien „Augen zu und durch“ hat eine sachgerechte Diskussion mit allen Betroffenen praktisch verhindert. Auch wenn viele Abgeordnete und Amtsträger für unsere Bedenken durchaus Verständnis zeigen, ist mit einer Verbesserung der Gesetzesvorlage auch im Gesetzgebungsverfahren nicht mehr zu rechnen. In Begleitung der Reform demonstrierten mehrfach mehrere 10.000 niedergelassene Kolleginnen und Kollegen für bessere Bezahlung ihrer Tätigkeit. Auffallend war – sieht man von Einzelfällen ab – die Solidarität der Krankenhausärzte, hier insbesondere der Chefärzte und ihren ambulant tätigen Kollegen während ihrer Praxisschließung. Ein erster positiver Effekt konnte durch den monatelangen Streik der Krankenhausärztinnen und -ärzte an Universitätskliniken und kommunalen Häusern erreicht werden. Es gibt seit August einen eigenen Arzttarif. Dies ist ein deutlicher Schritt vorwärts, auch wenn nicht alle Punkte zur Zufriedenheit gelöst werden konnten. So sind besonders die niedrigeren Gehälter in den neuen Bundesländern ein Ärgernis und 16 Jahre nach der Wiedervereinigung nicht tolerabel. Wo bleibt das Versprechen der Politik: „Gleiche Bezahlung für gleiches Leistung?“ Gegen die Umgehung der Tarifvereinbarung durch die Krankenhausträger, die Oberärzte auf einfachen Facharztstatus zurückstufen, werden wir unsere Kollegen und den Marburger Bund in allen Belangen unterstützen.

Besondere Sorge bereitet uns die schleichende Änderung des Berufsbildes des Chirurgen durch die Krankenhausträger, aber auch durch nicht akzeptable Ansprüche anderer Fachgebiete. Unter dem ökonomischen Druck wird besonders durch private Krankenhauskonzerne nicht nur versucht, die Ärzte von nichtärztlichen Aufgaben zu entlasten – was sinnvoll ist und von uns begrüßt wird – sondern auch ärztliche Aufgaben an nichtärztlichen Berufsgruppen zu delegieren. Unter dem Vorwand, der Chirurg solle sich auf seine Hauptkompetenz, das Operieren, beschränken, wird versucht, ihm die Gesamtbehandlung des Patienten aus der Hand zu nehmen. Dies ist mit dem ärztlichen Selbstverständnis der Chirurgen nicht vereinbar. Deshalb ist der alleinige Anspruch der Anästhesiologen, z. B. auf die perioperative Medizin, nicht akzeptabel. Hierzu werden gemeinsam mit der DGC Gespräche mit dem BDA und der DGAI geführt.

Umso wichtiger ist die Erarbeitung eines gemeinsamen Standpunktes der DGC mit allen wissenschaftlich chirurgischen Fachgesellschaften und des BDC zu dem neuen Berufsbild des Chirurgisch-Technischen Assistenten. Auch hier wird versucht, die Chirurgie auf das reine Handwerk zu reduzieren. Schon heute werden von Fachschulen Studiengänge für dieses neue Berufsbild angeboten. Wir müssen verhindern, dass der Chirurgisch Technische Assistent im OP zur Konkurrenz des chirurgischen Weiterbildungsassistenten wird. Seit Sommer 2006 haben nun alle Landesärztekammern die (Muster-) Weiterbildungsordnung in ihren Kammerbereichen umgesetzt. Die DGCH mit den wissenschaftlich-chirurgischen Fachgesellschaften und der BDC arbeiten an der Umsetzung strukturierter Weiterbildungskonzepte einschließlich eines Prüfungsverfahrens. Hierzu haben wir am 27. April 2006 gemeinsam mit der Bundesärztekammer, den Österreichischen und Schweizer Kollegen in einem Symposium unsere Erfahrungen ausgetauscht.

Der Weiterbildung folgt die Fortbildung. Das Angebot des BDC wurde erheblich erweitert, insbesondere durch die Einführung des Chirurgischen Qualitätssiegels (CQS), einem neuen Evaluationsverfahren zur kontinuierlichen, professionellen Entwicklung (CPD) von Chirurgen. Der erstmals im Langenbeck-Virchow-Haus durchgeführte 20. Chirurgentag war ein großer Erfolg. Der BDC wird sich auch in 2007 intensiv um die berufspolitischen Belange unserer Kolleginnen und Kollegen im ambulanten und stationären Bereich kümmern.

Zukunft der Allgemeinen Chirurgie – aus der Sicht des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgen

Wenn hier zum Thema Stellung genommen wird, dann im Sinne des Facharztes für Allgemeine Chirurgie nach der neuen WBO und nicht im Sinne des Begriffes Allgemeine Chirurgie. Die derzeitigen Standpunkte zum Facharzt für Allgemeine Chirurgie und die Entwicklung dieser Facharztsäule sind durch einige Besonderheiten charakterisiert:

  • nahezu alle, die sich dazu geäußert haben, sind selbst noch Fachärzte für Chirurgie, haben also eine breite schwerpunktübergreifende chirurgische Weiterbildung erfahren. Sie haben sich erst nach Erhalt des Facharztstatus eine oder mehrere Schwerpunktbezeichnungen erworben und mehr oder weniger stringent einer Spezialrichtung (Schwerpunkt) zugewandt.
  • der Facharzt für Allgemeine Chirurgie wird vorwiegend von Spezialisten als nicht notwendig angesehen.
  • der Anteil der Schwerpunktinhaber bzw. -fachärzte nimmt zwar deutlich zu, nach wie vor überwiegt aber der Anteil der Fachärzte für Chirurgie alter Art ohne und mit Spezialisierung den Anteil der reinen Spezialisten.
  • im europäischen Umfeld ebenso wie in den USA und anderen Ländern ist nach wie vor eine breite chirurgische schwerpunktübergreifende Weiterbildung der Qualifizierung als Spezialist vorgeschaltet.
  • in der Bundesrepublik Deutschland gibt es chirurgische Tätigkeiten, die den Status eines Facharztes für Allgemeine Chirurgie erfordern.
  • beim Lesen von Annoncen für die Besetzung bestimmter Chefarztpositionen entsteht immer häufiger der Eindruck, dass von den Bewerbern zunehmend schwerpunktübergreifende Kenntnisse und Erfahrungen gefordert werden. Inhaber mehrerer Schwerpunktbezeichnungen haben offenbar bessere Chancen.

Es besteht kein Zweifel daran, dass die Spezialisierung notwendig ist und weiter voranschreiten wird. Stelzner (1997) hat aber aus amerikanischer Sicht auf den Kostenaspekt der Spezialisierung hingewiesen. Seiner Meinung nach würden die Kostenüberlegungen in Deutschland in der Diskussion über die chirurgische Spezialisierung eine zunehmende Rolle spielen. Zuvor hatte schon Stremmel (1995) formuliert: “Wenn auch die Schwerpunktdisziplinen in der Chirurgie diesen Zustand bedauern mögen, so wird in der Zukunft die Kostenfrage den Trend bestimmen.“

Mit dem Voranschreiten der Spezialisierung nahm die Skepsis gegenüber dem Facharzt für Allgemeine Chirurgie zu. Noch 1995 nach Neuformulierung des Facharztes für Chirurgie wurde die Notwendigkeit der Allgemeinchirurgie für das Krankenhaus der Grund- und Regelversorgung überwiegend bejaht (Arbogast, Eser, Rückert, Siewert, Stremmel). Rückert formulierte damals, dass die Allgemeinchirurgie am Regelkrankenhaus das integrative Konzept der Chirurgie verkörpere.

1999 beschäftigte sich das 9. Eichstätter Symposium mit dem Thema: „Allgemeinchirurgie – ein Auslaufmodell?“. Sänger stellt in der Einleitung des von ihm redigierten Kongressbandes die Frage: „Steht die Allgemeinchirurgie, stehen die Allgemeinchirurgen also vor dem Aus?“ Er wies daraufhin, dass die Allgemeinchirurgie europaweit Grundlage und wesentlicher Bestandteil der Weiterbildung auch in den Gebieten sein soll.

Bauer kommt am Ende seines Vortrages „Allgemeinchirurgie – (k)ein Auslaufmodell“ noch zu dem Schluss: “Die ungeteilte Krankenhausabteilung ist somit kein Auslaufmodell. Derzeit noch unverzichtbar, wird sie sich auch in Zukunft behaupten, wenn es ihr gelingt, die aktuellen Trends in der Medizin und damit auch in der Chirurgie aufzunehmen und umzusetzen“. 2002 fand aus Anlass des zehnjährigen Jubiläums des Konventes der Leitenden Krankenhauschirurgen ein Disput zur neuen Facharztsäule Allgemeine Chirurgie statt, an der Vertreter der DGCH, der Lehrstuhlinhaber, der Viszeralchirurgie, der Unfallchirurgie und des BDC beteiligt waren. Hier begründete Hartel lt. Sänger als einziger Referent das für ihn selbstverständliche Fortbestehen des Allgemeinchirurgen. Vom Berichterstatter wird dann aber mitgeteilt, dass man sich in der abschließenden Diskussion rasch einig darüber war, dass die „Allgemeine Chirurgie“ von Anfang an ein Fach zur „Nekrobiose“ sein werde. Der Markt werde darüber entscheiden. Dennoch wurde letztlich von Siewert seitens der DGCH im Konsens mit den Anwesenden ein Bekenntnis zur chirurgischen Grundversorgung abgegeben (Sänger 2002).

Es gibt also noch keine wirkliche Klarheit und Einigkeit über den Facharzt für Allgemeinchirurgie in Deutschland! In allen Mitgliedstaaten der EU ist laut Richtlinie 93/16 EEG der UEMS die Arztbezeichnung für Chirurgie vorgegeben. In den USA gibt es den Allgemeinchirurgen mit einer fünfjährigen breiten chirurgischen Ausbildung, wobei aber dann etwa 60 bis 70 % der Allgemeinchirurgen Zusatzbezeichnungen in einem Fellowship erwerben, sich also spezialisieren (Stelzner 1997). Aber auch in den USA wird über den „General Surgeon“ und den Spezialisten in der Chirurgie diskutiert (Polk 2002).

Witte hat auf dem Disput über die Säule „Allgemeine Chirurgie“ erklärt, dass der Auftrag aus Europa und von der BÄK ausgegangen sei, die Allgemeinchirurgie strukturell und inhaltlich zu gestalten. Dieser Auftrag sei dann von der gemeinsamen Weiterbildungskommission der DGCH und des BDC erfüllt worden. Danach begann eine bis heute nicht abgeschlossene Diskussion. Sie kann auch noch gar nicht abgeschlossen sein, da die strukturellen und organisatorischen Entwicklungen der medizinischen Versorgung und die sich daraus ergebenden Erfordernisse in der chirurgischen Betreuung in der Bundesrepublik Deutschland in den nächsten Jahren noch nicht absehbar sind. Ursache ist der stetige Wandel aufgrund des sich ständig erhöhenden ökonomischen Druckes auf das Gesundheitswesen. Auch wenn die Zahl ungeteilter Abteilungen à conto selbständiger viszeralchirurgischer und traumatologischer Abteilungen abnimmt, ist es sicher nicht zuletzt auch aus traditionellem Verständnis heraus schwer vorstellbar, dass die chirurgische Grund- und Notfallversorgung nur von Spezialisten durchgeführt werden könnte. Das Problem steht ja zur Zeit noch nicht, da die derzeitigen Schwerpunktinhaber Viszeralchirurgie und Traumatologie noch überwiegend Fachärzte für Chirurgie und damit breit einsetzbar sind. Die begrenzt einsetzbaren „Säulenfachärzte“ sind noch in absoluter Minderzahl. Die Situation könnte dann problematisch werden, wenn in den Kliniken nur noch Spezialisten ohne breite chirurgische Weiterbildung vorhanden sind.

Die Aufgabe der Chirurgen, ihrer wissenschaftlichen Gesellschaften und des Berufsverbandes sollte es sein, diese Diskussion um den Facharzt für Allgemeine Chirurgie aktiv und offensiv zu führen. Spezialisierung ist weltweit notwendig und schreitet voran, andererseits muss allein schon die Tatsache, dass in allen EU-Ländern und auch in den USA und vielen anderen Ländern am Arzt für Chirurgie (Allgemeinchirurg, General Surgeon) festgehalten wird, als Indiz für die Notwendigkeit seiner Existenz gewertet werden. In diesen Ländern werden ihm offenbar wichtige Aufgaben zugeschrieben. Hierbei sollte auch beachtet werden, dass Spezialisierung und Integration in einem Wechselverhältnis stehen müssen, d.h. dass bezogen auf die Relation Spezialisierung in der Chirurgie zur Allgemeinchirurgie auch die Inhalte der Allgemeinchirurgie immer wieder angepasst und qualifiziert werden sollten. Offenbar wurde und wird dem Prozess der Integration des Facharztes für Allgemeinchirurgie seitens der Spezialisten zu wenig oder keine Bedeutung beigemessen. Es geht nicht darum, den Allgemeinchirurgen zu einem chirurgischen Alleskönner hoch zu stilisieren, sondern ihn mit soliden Kenntnissen und Erfahrungen auszustatten, die er für seinen Einsatz braucht.

Welche Möglichkeiten des Einsatzes eines Facharztes für Allgemeine Chirurgie können unter den heutigen Bedingungen gesehen werden?

Der Autor bezieht hier Überlegungen ein, die in einem Vortrag anlässlich der Teupitzer Gespräche 2005 angestellt wurden(Rupprecht 2006).

  • Nach wie vor ist der Facharzt für Allgemeine Chirurgie Voraussetzung für die Niederlassung als Chirurg, wenn dies auch derzeit nur Sinn macht mit dem Erwerb der zweiten Facharztbezeichnung Unfallchirurgie.
  • Der Allgemeinchirurg ist ein Chirurg für die häufigen chirurgischen Erkrankungen und den chirurgischen Notfall (Hartel 2002), sicher auch für das, was unter die sogenannte „Kleine Chirurgie“ eingeordnet wird. Insofern ist er für Häuser der Grund- und Regelversorgung prädestiniert. Es sollte ihm auch möglich sein, in dieser Position eine enger begrenzte spezialisierte Versorgung nach entsprechender Qualifikation anbieten zu können. Hier wird die Zukunft zeigen, ob Häuser der Grund- und Regelversorgung oder adäquate Einrichtungen weiter gebraucht werden.
  • Zum Betrieb einer chirurgischen Ambulanz an einem Krankenhaus bietet sich der Allgemeinchirurg als Bindeglied zu den Spezialisten an. Auch die jetzt entstehenden Medizinischen Versorgungszentren und andere angedachte Einrichtungen werden Allgemeinchirurgen benötigen. Besonders in einer chirurgischen Notfallambulanz kann die Einbindung von Allgemeinchirurgen bei Bereitschaft von Spezialisten von Vorteil sein.
  • Bereitschaftsdienste in Häusern mit mehreren chirurgischen Disziplinen (Abteilungen/Kliniken) können häufig nur durch einen teilgebietsübergreifenden Bereitschaftsdienst aufrechterhalten werden. Das kann ein Allgemeinchirurg mit dem entsprechenden Hintergrund realisieren.
  • Der Facharzt für Allgemeine Chirurgie bietet sich durchaus auch als kompetenter Mitarbeiter jeder chirurgischen Spezialklinik an, zumal er bei Eignung dann auch den Teilgebietsfacharzt im verkürzten Verfahren erwerben kann.
  • Letztlich sollte nicht vergessen werden, dass in den Entwicklungsländern und in Krisensituationen breit ausgebildete Chirurgen gefragt sind. Loefler vom Nairobi Hospital in Kenia hat auf dem vorletzten Kongress der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie 2005 betont, dass sich in Kenia, wie in den meisten Gegenden der Welt, der Schwerpunkt der chirurgischen Versorgung in den Kreiskrankenhäusern befindet und in den meisten Kreiskrankenhäusern der Welt der Auftrag der Chirurgen darin besteht, mit allen häufig vorkommenden Notfällen fertig zu werden, von Kopf bis Fuß sozusagen (Loefler 2005). Er plädiert für den Spezialisten und den Allgemeinchirurgen. Beide müssten aber entsprechend ausgebildet sein. Aus seiner Sicht bestehe kein Zweifel daran, dass der Allgemeinchirurg heute mit den Kenntnissen der Mitte des 20. Jahrhunderts hoffnungslos überfordert wäre.

Ist das nicht ein Plädoyer für mehr Integration des Allgemeinchirurgen in die Entwicklung der Chirurgie?

Sicher wird es in der Zukunft noch mehr Einsatzbereiche für den Facharzt für Allgemeine Chirurgie geben. Die Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeine Chirurgie wird u.a. aus der Sicht diskutiert, dass die jetzt konfigurierte Säule sich nicht aus sich selbst komplett reproduzieren könne. Sie habe auch keinen Forschungsbackground(sieh e bei Sänger 2002). Dazu muss man feststellen, dass die bisherige Weiterbildung zum Facharzt für Chirurgie in aller Regel auch durch Rotation in den Teilgebieten Viszeralchirurgie, Unfallchirurgie, Gefäßchirurgie, evtl. auch Thoraxchirurgie sowie der chirurgischen Intensivtherapie/Anästhesie realisiert wurde. Wenn die entsprechenden Voraussetzungen im eigenen Hause nicht gegeben waren, mussten entsprechende Hospitationen bzw. Weiterbildungsabschnitte organisiert werden. Warum sollte die Rotation nicht auch zukünftig möglich sein?

Der Facharzt für Allgemeine Chirurgie soll und kann kein chirurgischer Alleskönner sein. Aber er ist notwendig, sicher nicht zuletzt auch zur Wahrung der Chancengleichheit unseres Nachwuchses in Europa und der Welt.

Es ist sicher an der Zeit, den Facharzt für Allgemeine Chirurgie zu akzeptieren. Die neue WBO bietet hierzu durchaus den Rahmen und Raum einer qualifizierten breiten Weiterbildung im Sinne schwerpunktübergreifender Chirurgie. Dazu ist es aber notwendig, die Inhalte der WBO neu zu wichten, eine detailiertere Strukturierung vorzunehmen und Einsatzbereiche klarer zu definieren. Hier sollten sich Spezialisten und die „noch vorhandenen“ Generalisten wieder treffen. Die Befürchtung von Post sollte beherzigt werden, dass Defizite in der Weiterbildung für die Bevölkerung und die Politiker erst langfristig sichtbar werden (Post 2005). Lassen wir es nicht erst zu einem Defizit kommen!