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Editorial: Onkologische Chirurgie: Status quo

In dieser Ausgabe Passion Chirurgie mit dem onkologischem Schwerpunkt werden als onkochirurgische Themen der aktuelle Stand zur chirurgischen Behandlung von Lebermetastasen beim kolorektalen Karzinom dargestellt sowie die TAMIS – Technik (transanal minimal invasive surgery) diskutiert. Diese versteht sich als eine Optimierung des Zugangsweges bei endoskopischen Eingriffen (z. B. Polypktomie, ESD) oder bei Resektionen im Bereich des unteren Rektumdrittels.

Die Weiterentwicklung von chirurgischen Verfahren für diese Erkrankungsgruppe hat einen wesentlichen Anteil bei der Verbesserung der Behandlungsergebnisse mit Erhöhung der 5-Jahres-Überlebensrate.

Das kolorektale Karzinom stellt sowohl für Männer als auch für Frauen die zweithäufigste Krebserkrankung und auch Krebstodesursache dar. Insgesamt beträgt in Deutschland die jährliche Neuerkrankungsrate zwischen 60.000 und 70.000 Fällen. Die relative 5-Jahres-Überlebensrate beträgt zurzeit ca. 65 %.

Schwerpunkte im Kampf gegen diese Erkrankung stellen die Krebsfrüherkennungsprogramme mit der Vorsorgekoloskopie unter Berücksichtigung der Familienanamnese dar, die darauf abzielen, möglichst viele Frühstadien zu erkennen und Risikogruppen für diese Tumorentität zu erfassen. Der Anteil kurativer Eingriffe kann durch diese Maßnahme erheblich gesteigert werden.

Die Grundsätze bei der Versorgung des Primärtumors sind seit vielen Jahren definiert und tragen den Kenntnissen zur Tumorausbreitung und der speziellen Anatomie Rechnung (TME). Die minimal invasive Umsetzung der Operationstechnik zur Senkung des Operationstraumas mit seinen Auswirkungen sowie des Komplikationspotentials befindet dabei in einem bemerkenswerten Progress.

Eine Besonderheit in der chirurgischen Behandlung des kolorektalen Karzinoms stellt die Chirurgie der Lebermetastasen unter kurativer Intention dar. Hier haben sich in den letzten Jahren Grenzen verschoben. Indikation zur chirurgischen Intervention und der Zeitpunkt zu den Eingriffen unterliegen einer aktuellen Diskussion.

Wissenschaftliche gut konzipierte klinische Studien sind allgemein, aber auch für spezielle chirurgische Fragestellungen eine wichtige Grundlage für den Fortschritt in der Medizin. Hierfür bestehen für die Zukunft Herausforderungen und Zielsetzungen insbesondere zur Implementierung von chirurgisch-onkologischen Studien, die entsprechender Aktivitäten und strukturierter Umsetzung bedürfen.

Ein Fortschritt in der Diagnostik und Behandlung von onkologischen Erkrankungen ergibt sich aus den vielen neuen Erkenntnissen der onkologischen Grundlagenforschung und deren Transfer in die entsprechend mit der Erkrankung befassten Fachgebiete. Die molekulare Diagnostik und genetisch stratifizierte Darmkrebstherapien nehmen Einzug in den klinischen Alltag.

Bei all diesen Entwicklungen haben die interdisziplinären Kommunikationsprozesse, die die Risiko-Nutzen-Bewertung und besonders die Arzt-Patienten-Kommunikation einbeziehen müssen, einen hohen Stellenwert.

Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Lesen dieser Ausgabe Passion Chirurgie.

Ihr Prof. Dr. K. Dommisch

Chirurgisch-onkologische Studien

Die Notwendigkeit einer Interdisziplinarität bei der Diagnostik und Therapie onkologischer Erkrankungen steht seit langer Zeit außer Frage.

Neue Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung, neue diagnostische und therapeutische Möglichkeiten sowie die Ergebnisse aus den klinischen Studien unterhalten eine lebhafte Dynamik bei der Indikationsstellung zu Prozeduren und bei den dabei begleitenden Behandlungsabläufen. Multimodale Therapiekonzepte müssen kontinuierlich hinterfragt werden und Leitlinien dementsprechend aktualisiert werden.

Lässt man die sehr wichtigen und notwendigen Studien aus der Grundlagenforschung, der Molekularbiologie, der Genforschung, der Immunologie zunächst außer Acht und betrachtet nur die klinischen Studien, so fällt eine übermächtige Dominanz der Medikamentenstudien und der strahlentherapeutischen Studien auf, chirurgisch induzierte onkologische Studien treten weit in den Hintergrund.

Damit entsteht die Frage, ob die onkologische Chirurgie ausreichend bei der Erarbeitung von multimodalen Konzepten berücksichtigt wird. Welchen Stellenwert besitzt überhaupt ein perfekt ausgeführter chirurgischer Eingriff in der Onkologie? Wie groß ist sein Einflussfaktor für den Krankheitsverlauf einer onkologischen Erkrankung?

Neben der Feststellung, dass mehr chirurgisch-induzierte Studien benötigt werden, damit der chirurgische Part auch adäquat bei den multimodalen Therapiekonzepten berücksichtigt werden kann, steht die Frage nach dem Studiendesign chirurgisch-onkologischer Studien. Wer sollte die Studien durchführen und auf welche chirurgische Qualifikationsebene sollten diese gestellt werden? Die Studienergebnisse werden dadurch zweifelsfrei ganz entscheidend beeinflusst. So ist es naheliegend, dass Schlussfolgerungen und die damit verbundenen Festlegungen erhebliche Auswirkungen auf die multimodalen Konzepte haben. Komplexe Eingriffe bedürfen chirurgischer Erfahrung sowie Training, zusammengefasst mit dem Begriff „Lernkurve“. Eine abgeschlossene Lernkurve sollte eigentlich Bedingung für die Teilnahme an einer Studie sein, die für die Erarbeitung einer Leitlinie oder bei der Erarbeitung multimodaler Konzepte zugrunde gelegt wird, andernfalls können Fehlinterpretationen und Verzerrungen der Ergebnisse resultieren.

Eine weitere Anforderung an eine künftige medizinische Forschung und damit auch insbesondere an klinische Studien besteht darin, dass nicht nur stärker der Aspekt Lebensqualität Beachtung finden muss, sondern dass Erfahrungen und Bedürfnisse von Patienten stärker in das Design und in die Interpretation der Studienergebnisse einfließen müssen. Das wird insbesondere dann erforderlich, wenn zwei oder mehrere Behandlungsmöglichkeiten miteinander verglichen werden sollen („Comparative Effectiveness Research“).

Das Stakeholder Involvement beinhaltet, dass die Betroffenen also die Patienten in die Fragestellungen bei klinischen Studien einbezogen werden. Es muss festgestellt werden, dass Fragestellungen und damit auch die Ergebnisse von klinischen Studien nicht immer mit den Bedürfnissen der Patienten korrelieren. Erhobene Ergebnisse von Studien haben mitunter nur einen erkenntnistheoretischen Wert, besitzen für die Patienten aber keinerlei Relevanz.

Durch die Anwendung des Prinzips „Stakeholder Involvement“ wird nicht nur die Mitbestimmung und die Transparenz für Patienten ermöglicht, sondern der Wert von klinischen Studien steigt durch eine verbesserte Umsetzbarkeit der Studienergebnisse. So könnte sich auch die Relevanz und die Qualität von klinischen Studien wesentlich verbessern.

Die subjektive Erfahrung mit einer Erkrankung und die den verbundenen Behandlungsverfahren erlebt nur der Patient selbst. So ist es wichtig, zukünftig mehr diesen subjektiven Faktor bei klinischen Studien zu berücksichtigen.

In Deutschland hat das „Stakeholder Involvement“ noch keinen breiten Eingang in die klinische Forschung und bei der Gestaltung von klinischen Studien gefunden.

Das Institut für komplementäre und integrative Medizin des Universitätsspitals Zürich befasst sich mittels des Stakeholder Involvement Prozesses mit der tumorassoziierten Fatigue, die für die Durchführbarkeit und den Erfolg von Tumorbehandlungen einen erheblichen Einfluss hat. In den USA existiert seit ca. 15 Jahren das „PCORI“ (Patient Centered Outcomes Research Institut). Dem Institut werden erhebliche Forschungsmittel zur Verfügung gestellt, damit das Stakeholder Involvement Eingang in die klinische Forschung findet und dort zukünftig fest mit verankert wird.

Das zentrale Instrument bei der Umsetzung der Interdisziplinarität bei der Behandlung von onkologischen Erkrankungen sind die sehr verbreiteten Tumorboards. Neben der hohen Bedeutung und den vielen Vorteilen für den onkologischen Patienten sind diese Tumorboards auch mit Nachteilen behaftet: Der Patient wird nur anhand seiner Befunde bewertet und damit Entscheidungen getroffen, der Patient selbst wird weder gesehen noch in die Entscheidung einbezogen. Es fehlt also der direkte Patientenkontakt, die individuelle Situation des Patienten kann nicht berücksichtigt werden und seine Position zu den Therapieempfehlungen ist zunächst nicht bekannt. Eine Einbeziehung des Stakeholder Involvements in die etablierten Entscheidungsprozesse würde die Nachteile dieser Boards reduzieren, zur Qualitätssteigerung und Erhöhung der Effektivität führen, ist aber aus heutiger Sicht eine logistische Herausforderung, schwierig umzusetzen und mit hohem Aufwand verbunden.

Dommisch K. Chirurgisch-onkologische Studien. Passion Chirurgie. 2015 November, 5(11): Artikel 02_04.

Neue Möglichkeiten für die Durchführung von klinisch-onkologischen Studien und für die Versorgungsforschung unter der neuen Gesetzgebung zur Arbeit der Klinischen Krebsregister in Deutschland

Am 09. April 2013 ist das Gesetz zur Weiterentwicklung der Krebsfrüherkennung und zur Qualitätssicherung durch Klinische Krebsregister (Krebsfrüherkennungs- und Registergesetz-KFRG) in Kraft getreten.

Der damals amtierende Bundesgesundheitsminister, Daniel Bahr, erklärte, dass mit dem Gesetz Voraussetzungen geschaffen wurden, dass die Krebsfrüherkennung mehr Menschen erreicht und eine Krebsbehandlung so erfolgreich wie möglich gestaltet werden kann.

Damit folgt das KFRG den Umsetzungsempfehlungen des Nationalen Krebsplanes. Eng verbunden wurde damit die bundesweite Errichtung von regionalen Klinischen Krebsregistern, die als fachlich unabhängige Einrichtungen alle wichtigen im Verlaufe einer Krebserkrankung und ihrer Behandlung anfallenden Daten erfassen.

Die offizielle Auftaktveranstaltung zur Umsetzung des KFRG fand am 18. Juli 2013 in Regensburg statt.

Im Weiteren oblag es dem GKV-Spitzenverband bis zum 31. Dezember 2013 die Entwicklung der Förderkriterien für Klinische Krebsregister unter Beteiligung der im KFRG aufgeführten Organisationen und Personen (§65 c Absatz 3 SGB V) festzulegen.

Bereits am 23. Dezember 2013 wurde im Rahmen einer Pressemitteilung des GKV-Spitzenverbandes der Kriterienkatalog vorgestellt.

Die Umsetzung des KFRG erfolgt auf der Länderebene, die die Maßnahmen für die Errichtung und im Betrieb notwendigen Bestimmungen einschließlich der datenschutzrechtlichen Regelungen trifft.

In den Förderkriterien, die bis zum 31. Dezember 2017 ihre bundesweite Umsetzung erfahren sollen, werden drei Themenblöcke unterschieden:

Datenmanagement und Datenqualität

Rückmeldeverfahren und Meldequalität

Abrechnungsmodalitäten

Unter dem Gesichtspunkt der Durchführung von klinisch-onkologischen Studien, die zur Beantwortung wissenschaftlicher Fragestellungen sowie für die Verbesserung und Weiterentwicklung von Behandlungsverfahren dienen, sind die im Anforderungskatalog unter Punkt 2 (Mindestanforderungen an den Grad der Erfassung und an die Vollständigkeit der verschiedenen Datenkategorien sowie an die notwendigen Verfahren zur Datenvalidierung) von besonderem Interesse. Auch für die Versorgungsforschung, die die Kranken- und Gesundheitsversorgung zum Gegenstand hat, sind diese Daten von hoher Relevanz. Betrachtet man die unter dem Punkt 2 der Förderkriterien genannten 15 Subkriterien im Einzelnen, so erkennt man leicht das Potential für den Erkenntniszuwachs und für die Unterstützung bei der Beantwortung von wissenschaftlichen Fragestellungen.

Tab. 1: Mindestanforderungen an den Grad der Erfassung und die Vollständigkeit der verschiedenen Datenkategorien sowie an die notwendigen Verfahren zur Datenvalidisierung (Zusammenfassung Pkt.2 – Förderkriterien)

2.1

Vollzähligkeit der Daten von Personen gemäß § 65 c Abs. 1 SGB V
>= 90% , Grundlage M/I-Index (Verhältnis Inzidenz zur Mortalität)
Definierter Zielwert >= 90 %

2.2

Vollzähligkeitsprüfungen – regelmäßige Kontrollen
(Routineprozedur=SOP oder Softwarelösung)

2.3

DCN-Rate (death cerficate notified)
DCN-Rate von >= 5 % , über alle Krebsarten <= 20 %

2.4

DCO-Rate (Death certicate only)
DCO-Rate wohnortbezogen <= 10 %

2.5

Vollständigkeit:
Name, Geschlecht, Geburtsdatum, Adresse, Versicherungsnummer, meldende Institution, Tumordiagnose (ICD 10), Hauptlokalisation, Diagnosedatum, Tumorhistologie, Residualklassifikation jeweils >= 95 %
TMN-Klassifikation und Grading > 80 %

2.6

Vollständigkeitsprüfungen
Gemäß SOP oder mittels geeigneter Software

2.7

PSU-Anteil ((Primary Site Unknown)
< = 5 %

2.8

HV-Anteil (Histological Verified)
➢ 85 % (für jede Entität)

2.9

Erhebung des Vitalstatus
Abgleich mit Melderegister 1 x pro Jahr, ggf. Erfassung Todesdatum, Todesursache

2.10

Regelmäßiger Datenaustausch vom behandlungsbezogenen zum wohnortbezogenen Klinischen Krebsregister (jeweils am 31.3. und 30.09.)

2.11

Wohnortbezogene Register fassen alle Verlaufsinformationen zusammen: Meldungen aus anderen Registern, Informationen aus Todesbescheinigungen und Einwohnermeldeamtabfragen

2.12

Datenaustausch vom wohnortbezogenen zum behandlungsortbezogenen Register (jeweils am 31.03. und am 30.09.)

2.13

Inhaltliche-Klinische Grundprüfung (Abgleich gemäß § 65 c, Absatz 4) entspricht Personenstamm, Tumorentität, Lokalisation

2.14

Formale Datenplausibilisierung (mittels entsprechender Software)

2.15

Erfassung der Daten innerhalb von 6 Wochen, einschließlich Prüfungen von Konsistenz

Fazit

  • Der Nationale Krebsplan mit dem KFRG und den Förderkriterien für Klinische Krebsregister bietet eine effektive Grundlage für die bundesweite Erfassung der Datenlage zu onkologischen Erkrankungen.
  • Diese Daten können sowohl für die Grundlagenforschung, für klinische Studien, zur Beantwortung von wissenschaftlichen Fragestellungen als auch für die Versorgungsforschung genutzt werden.
  • Qualität, Vollständigkeit und Belastbarkeit der Daten ist stark abhängig vom Meldeverhalten der onkologisch tätigen Ärzte (der Gesetzgeber sieht bei Nichtnachkommen der gesetzlich verankerten Meldepflicht finanzielle Sanktionen vor).
  • Für eine effektive wissenschaftliche Nutzung der Daten ist eine Weiterentwicklung der Forschungs- und Studienstruktur in Deutschland erforderlich. Die onkologische Grundlagenforschung konzentriert sich traditionsgemäß auf die medizinischen Universitäten (CCC) und spezielle Forschungsinstitute. Die klinische Forschung zu seltenen onkologischen Erkrankungen bedarf einer weiteren Konzentration auf wenige zertifizierte Kompetenzzentren. Die stärkere Einbeziehung zertifizierter Onkologischer Zentren (CC) und Organkrebszentren (C), insbesondere bei Phase 3- und Phase 4-Studien nach AMG und MPG sowie Registerstudien wird das Studiengeschehen in Deutschland weiterbringen.
  • Sehr wichtig für eine erfolgreiche Forschungs- und Studienarbeit in Deutschland wird eine gut vernetzte Struktur zwischen allen forschenden Einrichtungen einerseits, andererseits aber auch mit den Partnern aus den zertifizierten Onkologischen Zentren sein. Die Onkologischen Zentren müssen allerdings für die Bearbeitung von wissenschaftlichen Fragestellungen und für die Durchführung von Studien ein effektives Studienmanagement mit einer qualifizierten Personalstruktur vorhalten.
  • Eine weitere sehr wichtige Voraussetzung für die regelhafte Durchführung von klinischen Studien und für Erbringung von wissenschaftlichen Leistungen besteht darin bzw. muss noch geschaffen werden, dass diese Leistungen sich adäquat in den Abrechnungssystemen abbilden lassen.
Dommisch K. Neue Möglichkeiten für die Durchführung von klinisch-onkologischen Studien und für die Versorgungsforschung unter der neuen Gesetzgebung zur Arbeit der Klinischen Krebsregister in Deutschland. Passion Chirurgie. 2014 September, 4(09): Artikel 02_01.

Editorial: Kriterien für eine moderne zukunftsorientierte chirurgische Onkologie

Der Deutsche Krebskongress im Februar dieses Jahres war überschrieben mit der Forderung nach der Entwicklung intelligenter Konzepte in der Onkologie als eine gemeinschaftliche Aufgabe.

Dazu wurden durch den Präsidenten der Deutschen Krebsgesellschaft, Prof. Wolff Schmiegel, alle Fachdisziplinen aufgerufen, die sich mit onkologischen Fragestellungen und der Versorgung von onkologischen Patienten befassen.

Welche Aufgaben hat die chirurgische Onkologie innerhalb dieses interdisziplinären Konzeptes zu lösen?

Selbstverständlich hat weiterhin die Feststellung Bestand – und das gilt für nahezu alle soliden malignen Tumoren -, dass in einer radikalen chirurgischen Resektion mit Erreichen einer R-0-Resektion die einzige kurative Therapieoption besteht.

Allerdings steht über allen Maßnahmen, die an einem Krebspatienten vorgenommen werden, die Frage nach dem Nutzen für den Patienten. Das Erreichen eines möglichst großen Patientennutzens ist eng mit dem Konzept einer individualisierten/personalisierten Antitumortherapie verbunden. Dazu sind verlässliche Daten erforderlich, die eine realitätsnahe Prädiktion hinsichtlich des Behandlungserfolges erlauben. Dieser Grundsatz gilt für die Therapie in jedem Stadium der Tumorerkrankung. In der Zusammenführung der verfügbaren Daten, verbunden mit einer interdisziplinärer Wertung derselben, wird für die in Frage kommenden Therapieoptionen ein Nutzen-Risiko-Profil erarbeitet und der therapeutische Weg mit dem Patienten abgestimmt.

Die Umsetzung des Konzeptes erfordert eine organisatorische, personelle, aber auch räumliche Struktur, so wie diese im Zertifizierungskonzept der Deutschen Krebsgesellschaft verankert wurde.

Die personalisierte Antikrebsstrategie bedeutet für den Onkochirurgen, den Erkenntniszuwachs der sich mit der Onkologie befassten Disziplinen sorgfältig wahrzunehmen, den Stellenwert im Hinblick auf chirurgische Interventionen zu hinterfragen, sich immer wieder zu positionieren, sich neu anzupassen und als starker, kompetenter Partner bei den Festlegungen von Therapieempfehlungen zu agieren.

Die Dynamik in der Weiterentwicklung der chirurgischen Operationstechniken, die verbesserten Möglichkeiten zur Risikominimierung von operativen Maßnahmen verbunden mit einem effektiven Qualitätssicherungsmanagement müssen den kooperierenden Disziplinen vergegenständlicht werden und im dynamischen Prozess der Antitumortherapie verankert werden.

Insgesamt besitzt und wird auch zukünftig die onkologische Chirurgie einen sehr bedeutenden Stellenwert in der Krebsbehandlung einnehmen. Sie leistet damit einen wichtigen Beitrag auf dem Weg zur Realisierung der Vision „Imagin A World Without Cancer“.

Mit freundlichen Grüßen
Ihr

Prof. Dr. K. Dommisch

Aspekte zur präoperativen Ernährung in der Tumorchirurgie

Krebsprävention durch Ernährung ist ein Thema, das weltweit intensiv beforscht wird. Zielgerichtete Ernährung, verbunden mit einem gesunden Lebensstil, kann zahlreich verbreitete Krebserkrankungen verhüten bzw. reduzieren.

Die international gewonnenen Erkenntnisse zur Krebsprävention durch Ernährung, die diese Feststellung wissenschaftlich stützen, finden sich zusammengefasst in einem über 600-seitigen Report eines Wissenschaftsgremiums (World Cancer Research Fund International (WCRF) und American Institut for Cancer Research (AICR)) unter dem Titel „Food, Nutrition and the Prevention of Cancer: a global perspective“. Ständig wird dieser Wissensfundus durch Ergebnisse aus laufenden Studien und Forschungsprojekten erweitert.

Problemstellung und Situationsbeschreibung

Die klinisch-chirurgische Onkologie befindet sich in einer Situation der Konfrontation mit bereits an Krebs erkrankten Patienten, sodass traditionell im Fokus der Aktivitäten der betreffenden Fachgebiete sich die Umsetzung der Prinzipien der Onkologischen Chirurgie befindet. So steht am Anfang der Therapieplanung die zielgerichtete Diagnostik, wobei die Frage nach der lokalen Tumorausdehnung, nach Fernmetastasen und Zweittumoren geklärt werden muss. Im Zusammenhang mit der Erstellung eines Stadien-adaptierten Behandlungskonzepts ist eine erweiterte Diagnostik zur Erfassung des Risikoprofils (Begleiterkrankungen, laufende Therapien, Leistungs- und Funktionseinschränkungen) und die Beachtung altersphysiologischer Gegebenheiten erforderlich.

Mit dem primären Therapieziel der Durchführung des adäquaten onkologischen Eingriffs ist die Anforderung verbunden, dieses mit der geringstmöglichen Morbidität und Mortalität zu erreichen. Weitere Zielkriterien sind der Erhalt der Lebensqualität der Patienten, dauerhafte Tumorfreiheit herzustellen, d. h. Rezidive zu vermeiden oder zumindest den Tumorprogress abzumildern und die Überlebenszeit zu verlängern.

Der Zusammenhang zwischen Mangelernährung, Morbidität und Mortalität ist seit Langem bekannt und vielfach durch Studien mit signifikanten Daten belegt [10]. Die Prävalenz der Malnutrition beträgt nach der DGEM-Multicenterstudie von 2006 in der Onkologie bei stationären Patienten 38 % [11]. In derselben Studie wird weiter ein signifikanter Zusammenhang zwischen Mangelernährung und Behandlungsdauer aufgezeigt. Bereits 1977 hat sich G. Hill et al. im Lancet sehr eingehend mit der Malnutrition bei chirurgischen Patienten auseinandergesetzt. Inzwischen gibt es eine große Reihe von Studien, die den Zusammenhang zwischen mangelernährten chirurgischen Patienten und Komplikationen nach dem operativen Eingriff, der Mortalität, der Intensivbehandlungsdauer u. a. signifikant demonstrieren [13]. Weitere Studien betrachten die Auswirkungen von Malnutrition auf die Behandlungskosten [4]. Das chirurgisch-onkologische Patientengut wurde dabei häufig zur Grundlage genommen.

Im Juni 2009 wurde in Prag zur Ernährungsmedizin eine EU-Deklaration (The European Nutrition for Health Aliance) verabschiedet.

Darin finden sich u. a. folgende Aktionspunkte:

  1. Verstärkung des öffentlichen Bewusstseins und der Aufklärung
  2. Entwicklung und Implementierung von Leitlinien
  3. Verbindliches Screening in Krankenhäusern
  4. Forschung über Mangelernährung
  5. Nationale Pläne für die ernährungsmedizinische Versorgung

Betrachtet man den in der Öffentlichkeit viel diskutierten Nationalen Krebsplan, der sich durch mehrseitige Beförderung in der Umsetzung befindet, so finden sich keine Handlungsfelder oder Ziele, die spezielle ernährungsmedizinische Inhalte haben. Unter dem Aspekt der Novellierung und Weiterentwicklung der Inhalte könnte im Handlungsfeld 3: „Sicherstellung einer effizienten onkologischen Behandlung“ die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Mangelernährung bei Krebspatienten Eingang finden.

Seit ca. zehn Jahren gibt es die Leitlinie für die enterale Ernährung der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) und seit acht Jahren die Leitlinien der European Society of Parenteral und Enteral Nutrition (ESPEN) [1, 2, 3]. Die Leitlinie „Parenterale Ernährung“ der DGEM und die Leitlinie dafür der ESPEN ist seit 2010 verfügbar. [8, 9]

Aktuelle, in den Leitlinien enthaltene Empfehlungen für Tumorpatienten, für die eine operative Therapie indiziert ist:

  1. Bei Vorliegen einer schweren Mangelernährung, die gleichbedeutend mit einem hohen ernährungsmedizinischen Risiko gleichzusetzen ist, sollte vor der Operation eine zielgerichtete Ernährungstherapie über 10 bis 14 Tage erfolgen (Grad A of recommendation).
  2. Ein hohes ernährungsmedizinisches Risiko ist anzunehmen, wenn mindestens eins der folgenden Kriterien vorliegt:
    A. Gewichtsabnahme > 10 bis 15 % innerhalb der letzten sechs Monate
    B. BMI (Body-Mass-Index) < 18,5 kg/m2
    C. schlechte Screening-Ergebnisse (SGA Grad C oder NRS = oder > 3)
    D. Serumalbumin < 30 g/l (bei fehlenden Anzeichen einer hepatischen oder renalen Dysfunktion)
    E. Unter dem Aspekt der Vermeidung einer nosokomialen Infektion sollte die präoperative Ernährung möglichst ambulant vorgenommen werden (C)
    F. Für die meisten Patienten kann hochmolekulare Standardernährung verwendet werden (C)
    G. Bei ausgedehnten Tumoroperationen (z. B. Ösophagus-, Magen-, Pankreasresektionen) wird unabhängig vom Ernährungsstatus die präoperative Ernährung unter Verwendung von immunmodulierenden Substraten (Arginin, Omega-3-Fettsäuren, Nukleotide) empfohlen (A).
  3. Bei der praktischen Umsetzung, die im Rahmen eines kompetent strukturierten Ernährungsmanagements unter Beachtung relevanter ernährungsdiagnostischer Daten erfolgen sollte, gilt der grundsätzliche Stufenplan der Ernährungstherapie. Dieser beinhaltet, dass vordergründig die natürliche orale Ernährung mittels individualisierter bilanzierter Diäten und Nährstoffanreicherung im Vordergrund steht. Eine Supplementierung mit künstlicher enteraler oder parenteraler Ernährung erfolgt erst dann, wenn erstere defizitär ist oder nicht möglich erscheint.

Zusammenfassung des Erkenntnisstandes zur Mangelernährung bei Tumorpatienten aus chirurgischer Sicht

Inzidenz

Ernährungsstörungen und Gewichtsverlust zählen zu den Leitsymptomen einer Tumorerkrankung. Etwa 30 % aller Tumorpatienten weisen bereits zum Zeitpunkt der Diagnosestellung einen relevanten Gewichtsverlust aus [4]. Tumorentitäten, die mit einem besonders ausgeprägten Gewichtsverlust assoziiert sind, finden sich in der Tabelle aufgelistet.

Tab. 1: Gewichtsverlust vor Tumordiagnose

Tumorentität

Anzahl der Patienten

Anteil der Patienten
mit Gewichtsverlust

Ösophagus

179

69 %

Magen

433

67 %

Pankreas

162

72 %

Kolorektum

781

34 %

 

 

Andreyev et al. 1998

NSCLC

418

58 %

SCLC

290

59 %

Mesotheliom

72

76 %

 

 

Ross et al. 2004

Klinik

Der Gewichtsverlust geht bei den Tumorpatienten häufig mit einem Leistungsknick und einem verminderten Appetit einher. Die sonst üblicherweise aufgenommene Nahrungsmenge erfährt dadurch eine quantitative Reduktion und mitunter auch eine qualitative Reduktion infolge einer Abneigung gegenüber bestimmten Nahrungsmitteln.

Die durch den Tumorstoffwechsel ausgelösten systemischen Entzündungsreaktionen führen zu Stoffwechselveränderungen, gefolgt von Veränderungen der Körperzusammensetzung und dem Verlust von Zell- und Muskelmasse.

Klinisch kann sich dieses im Verlust von Fett- und Muskelmasse zeigen (Sarkopenie). Die gestörte Immunabwehr zeigt sich klinisch in Form einer Infektanfälligkeit.

Prognostische Bedeutung des Gewichtsverlustes bei Tumorpatienten für das Überleben

Ein Gewichtsverlust bei Tumorpatienten ist signifikant mit einer Verkürzung der medianen Überlebenszeit verbunden [4]. Diese Feststellung kann unabhängig davon getroffen werden, gleichwohl ob der betroffene Patient primär normal oder übergewichtig war. Die Erklärung dafür ist einfach, führt doch der ablaufende Tumorstoffwechsel in vergleichbarer Weise zum Verlust von Zell- und Muskelmasse, zur Reduzierung der Funktionseiweiße und zur Senkung des Abwehrpotentials. Daraus ergibt sich, dass auf Grund des vergleichbaren Risikos durch den Gewichtsverlust bei den Tumorpatienten sowohl bei den Normalgewichtigen als auch bei den Übergewichtigen eine ebenso vergleichbare Indikation zur ernährungsmedizinischen Therapie besteht.

Ursachen der Mangelernährung

Die Mangelernährung ist ursächlich durch ein multifaktorielles, sich gegenseitig verstärkendes Geschehen zu beschreiben [12]. Im Mittelpunkt stehen dabei die Störung der Nahrungszufuhr, der Leistungsknick mit Verminderung der körperlichen Aktivität, die reduzierte Infektionsabwehr sowie das systemische, tumorbedingte Inflammationsgeschehen.

Symptome und Faktoren, die zu einer gestörten Nahrungsaufnahme führen

  • Schmerzen
  • Angstreaktionen, psychische Reaktionen
  • Gastrointestinale Störungen (z. B. Übelkeit, Erbrechen, Tenesmen u.a.)
  • Geruchs- und Geschmackstörungen
  • Nebenwirkungen der Antitumortherapie (z. B. Diarrhoe)

Der mit dem Begriff Fatique zusammengefasste Symptomenkomplex mit Leistungsminderung, Ermüdbarkeit, Antriebsschwäche und Lethargie kennzeichnen sehr häufig die fortgeschrittene Tumorerkrankung und lösen einen Circulus vitiosus aus, der zu einer verstärkten defizitären Entwicklung mit Verlust von Zell- und Funktionsvolumen führt.

Bei der Indikationsstellung für eine neoadjuvante Therapie, die unter dem Gesichtspunkt einer Optimierung des anzustrebenden Therapieergebnisses durchgeführt wird, bedarf eine vorliegende Mangelernährung einer besonderen Beachtung und ggf. einer Ernährungstherapie.

Neoadjuvante Konzepte im Sinne einer präoperativen Radiochemotherapie können zu ausgesprochen negativen Auswirkungen durch die Verstärkung der Mangelernährung mit ihren Folgen und damit zur Erhöhung des Operationsrisikos führen. Zu bedenken ist immer, dass Bestrahlung und Chemotherapie eine Fatique auslösen oder verstärken können. Die mentale Leistungsfähigkeit des Patienten erfährt in der neoadjuvanten Behandlunsphase eine Einschränkung, die Vigilanz und die Konzentrationsfähigkeit nimmt ab.

Pathophysiologie der Tumorerkrankung

Die Mangelernährung bei Tumorpatienten ist nicht allein durch gestörte Nahrungsaufnahme zu erklären und auch nicht durch einen erhöhten Energiebedarf durch das Tumorgeschehen [5]. Der Energiebedarf von Tumorpatienten entspricht in etwa denen von gesunden Menschen (körperlich aktive Tumorpatienten: 30 kcal/kg KG/d, bettlägerige Patienten: 25 kcal/kg KG/d). Vielmehr lassen sich die Stoffwechselveränderungen im Sinne einer chronischen Aktivierung eines systemischen Inflammationsprozesses deuten.

Es kommt zu Imbalancen im Stoffwechselgeschehen des Tumorpatienten durch eine Akutphasenreaktion und durch die Freisetzung proinflammatorischer Mediatoren. Die metabolische Reaktion auf den Tumorprozess im Organismus ist auf Ruhigstellung und Mobilisierung der Eiweißreserven ausgerichtet. Gleichzeitig werden Reaktionen ausgelöst, die als Abwehr gegen Tumorwachstum interpretiert werden können. Im Ergebnis sind Verluste der Muskel- und Fettmasse, Reduktion an Körperzellmasse, Funktionsproteinen mit den damit verbundenen Funktionseinschränkungen festzustellen.

Tab. 2: Unterschiede in den Veränderungen des Stoffwechsels beim Hungerstoffwechsel im Vergleich zum Stoffwechsel bei der Tumorerkrankung

Stoffwechselsituation

Hungerstoffwechsel

Tumorstoffwechsel

Nahrungsaufnahme

vermindert

vermindert

Appetit

erhalten

vermindert

Mobilität

erhalten

vermindert

Metabolisches Muster

Ketose

Systemische Inflammation

Nüchterninsulin

vermindert

erhöht

Blutglukose

vermindert

erhöht

Eiweißverlust

minimal

erhöht

Körperzellmasse

erhalten

vermindert

Die lange bekannte Bedeutung der verminderten Immunabwehr drückt sich in der Feststellung aus, dass septische Komplikationen mit ca. 40 % ursächlich an der Letalität von Tumorpatienten beteiligt sind [6]. Die Schlussfolgerung für die Praxis der Behandlung von Tumorpatienten ist somit naheliegend:

  1. Gezielte und effektive Infektionsprophylaxe
  2. Kompetente ernährungsmedizinische Versorgung zur Abmilderung der Immunschwäche
  3. Frühzeitige und zielgerichtete Therapie bei Auftreten von Infektzeichen

Ernährungsdiagnostik

Eine Ernährungsdiagnostik sollte zum möglichst frühen Zeitpunkt als essentieller Bestandteil im diagnostischen Procedere bei Tumorpatienten integriert werden. Diese beginnt mit der Erhebung der Anamnese, bei der der Appetit, die Veränderungen bei der Nahrungsaufnahme und der Leistungsfähigkeit, die Gewichtsabnahme und die Vigilanz des Patienten erfasst werden.

Zur Unterstützung und Objektivierung sollten dafür Screening-Instrumente genutzt werden, wie z. B.:

  • SGA – Subjective Global Assessment
  • NRS – Nutrition Risk Screening
  • MUST – Minimal Universal Screening Tool

Die Abschätzung des Essverhaltens und der Art/Menge der täglichen Nahrungsaufnahme kann mittels Essprotokolle erfasst werden, die der Patient unter Anleitung selbst erstellt.

Für die Beurteilung der körperlichen Aktivität stehen Scoring-Möglichkeiten zur Verfügung:

  • ECOG- Score (ECOG: Eastern Cooperative Oncology Group)
  • WHO – Score

Bei den Laboruntersuchungen gibt z. B. das Albumin für den Proteinstoffwechsel und das CRP für die Entzündungsreaktion weitere Informationen für das Ausmaß der Malnutrition. Für wissenschaftliche Untersuchungen können eine Reihe weiterer Laborparameter genutzt werden.

Folgende Untersuchungsverfahren haben in die klinische Ernährungsdiagnostik Eingang gefunden, wobei die drei zuletzt genannten vornehmlich für die Klärung wissenschaftlichen Fragestellungen zum Einsatz kommen:

  • Anthropometrie
  • Bioimpedanzanalysen
  • 24-Stunden-Kreatininexkretionsbestimmung
  • MRT- und CT-Verfahren zur Bestimmung der Muskelmasse

Für die Interpretation und die Ableitung therapeutischer Konsequenzen ist ernährungsmedizinische Kompetenz erforderlich, die mittels eines Ernährungsteams mit Ernährungssprechstunden oder im Rahmen einer interdisziplinären Vernetzung in das Gesamtkonzept der onkologischen Therapie implementiert werden muss. Hierbei sind Kenntnisse zur Altersphysiologie (das durchschnittliche Alter bei onkologischen Erkrankungen ist 69 Jahre), die Beachtung der Begleiterkrankungen mit ihren funktionellen Einschränkungen, die Auswirkungen von onkologischen Therapien usw. erforderlich [7]. In dieser Struktur müssen ebenfalls die Verlaufskontrollen abgebildet werden.

Ernährungsmedizinische Handlungsfelder

  • Ernährungsdiagnostik und Ernährungsberatung
  • Durchführung von Verlaufskontrollen
  • Qualitative und quantitative Sicherung der Nahrungszufuhr

Mitwirkung bei der Therapie gastrointestinaler Störungen

Beiträge zum Erreichen von allgemeinen onkologischen Behandlungszielen, wie Erhöhung der Lebensqualität, Erhalt der Leistungsfähigkeit mit antikatabolen Maßnahmen, Unterstützung antiinflammatorischer Therapieansätze

Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

Es steht zweifelsfrei fest, dass die mit onkologischen Erkrankungen verbundene Malnutrition die Ergebnisse der chirurgischen Therapie von Tumorerkrankungen vielfältig und in sehr bedeutsamer Weise beeinflussen.

Im Nationalen Krebsplan wurde im Handlungsfeld 2.: „Weiterentwicklung der onkologischen Versorgungsstrukturen und der Qualitätssicherung“ eine Reihe wichtiger Festlegungen für die zukünftige onkologische Versorgung getroffen. In den unter 2.1 bis 2.7 abgelegten Zielen finden sich u. a. die Begriffe Qualitätssicherung und Qualitätsförderung, Zertifizierung onkologischer Behandlungseinrichtungen, Umsetzung evidenzbasierter Leitlinien, sektorenübergreifende, integrierte onkologische Versorgung. In den Zertifizierungsbedingungen der DKG (OnkoZert) ist der Grundsatz enthalten, dass sich die onkologische Versorgung im Rahmen von interdisziplinären vernetzten Strukturen vollziehen soll.

Zum Zeitpunkt findet sich der Kenntnisstand der Ernährungsmedizin in den meisten Kliniken nur sehr unvollständig abgebildet und die für die Implementierung erforderlichen Strukturen (Ernährungssprechstunde, strukturierte Ernährungsdiagnostik, Ernährungsteam) sind nur teilweise oder nicht vorhanden.

Für die Ernährungsmedizin und auch bezüglich onkologischer Erkrankungen existieren Leitlinien, die stärker beachtet und umgesetzt werden sollten.

Bezogen auf die klinische, chirurgische Onkologie wäre es mehr als wünschenswert, wenn zum Zeitpunkt einer prätherapeutischen interdisziplinären Tumorkonferenz bereits aussagefähige ernährungsdiagnostische Ergebnisse vorliegen würden und diese durch in der Ernährungsmedizin kompetente Mitarbeiter in das individualisierte Therapiekonzept für den jeweiligen Patienten eingebracht werden.

Das Wissen um die pathophysiologischen Abläufe bei Tumorerkrankungen, um die Beeinflussbarkeit von Störungen hat den letzten Jahren einen erheblichen Zuwachs erfahren. Ein effektiver ernährungsmedizinischer Wissenstransfer mit entsprechender Umsetzung im klinischen Alltag kann nicht nur die chirurgischen Behandlungsergebnisse bedeutsam verbessern, sondern auch bei der Bewältigung der großen gesundheitspolitischen Herausforderungen durch die steigende Anzahl von onkologischen Erkrankungen beginnend bei der Prävention über die Diagnostik und die Therapie bis zur palliativen Versorgung dieser Patienten in entscheidender Weise beitragen.

Literatur

[1] Aktuelle Ernährungsmedizin 2003; 28 (Suppl.1): 1-120

[2] Aktuelle Ernährungsmedizin 2004; 29: 187-232

[3] Aktuelle Ernährungsmedizin 2006; 31: 196-210

[4] Arends J, Frauenheilkunde update 5 (2013): 331-246

[5] Cahill GF, Fuel metabolism in starvation. Annu Rev Nutr 2006; 26: 1-22

[6] Good RA et al. Effects of undernutrition of host cell and organ function. Cancer Res 1982; 42 (Suppl 2): 737-746

[7] Krebs in Deutschland 2009/2010 9. Ausgabe. Robert Koch-Institut (Hrsg) und die Gesellschaft der epidemiologischen Krebsregister in Deutschland e.V. (Hrsg), 2013

[8] Leitlinie Parenterale Ernährung der DGEM; Aktuelle Ernährungsmedizin 2007; 32 (Suppl.1)

[9] Leitlinie Parenterale Ernährung der ESPEN: deutsche Version. Aktuelle Ernährungsmedizin 2010

[10] Pichard C et al. Clin Nutr 2009; 4 (Suppl.1): 3-7

[11] Pirlich M et al. Clin Nutr 2006; 25: 563-574

[12] Skipwoth RJF et al. Pathophysiology of cancer cachexia; must more than host tomour interaction. Clin nutr 2007; 26: 667-676

[13] Weimann A, Rittler P, Perioperative Ernährung. Aktuelle Ernährungsmedizin 2011; 36: 303-316

Weitere Literatur beim Verfasser.

Dommisch K. Aspekte zur präoperativen Ernährung in der Tumorchirurgie. Passion Chirurgie. 2014 Juni, 4(06): Artikel 02_07.

Editorial: Netzwerk Onkologie

Es steht außer Frage, dass die chirurgische Tumortherapie im Behandlungskonzept maligner Tumore im Rahmen der dabei unverzichtbaren Interdisziplinarität einen besonders wichtigen und zentralen Platz einnimmt.

In den letzten Jahren gab es bei der Diagnostik und Therapie der soliden Tumoren einen erheblichen Wissenszuwachs, chirurgische Techniken wurden weiterentwickelt, neue kamen hinzu und es wurden neue Maßstäbe gesetzt.

Auf dem Hintergrund der Ökonomisierung im Gesundheitswesen und der demografischen Entwicklung in Deutschland gab es mit dem Nationalen Krebsplan und dem Krebsfrüherkennungs- und Register-Gesetz gesundheitspolitische Entscheidungen für die onkologische Versorgung, die sich heute bereits in der Umsetzung befinden.

Durch das Bekanntwerden konkreter epidemiologischer Daten entstand für die Gesundheitspolitik ein Entscheidungsdruck und es wurden strukturelle Entwicklungen ausgelöst, die sich in Form von Zertifizierungsaktivitäten in ganz Deutschland zeigten und die sich zum Zeitpunkt noch weiter ausbreiten.

So wird bis 2020 eine Zunahme von chirurgisch-onkologischer Patienten um 14 Prozent erwartet. Der Anteil der hochbetagten Menschen über 80 Jahre wird bei den Männern um 83 Prozent und bei den Frauen um 31 Prozent steigen. Damit erhöht sich auch der Anteil der onkologischen Patienten mit Diabetes um 22 Prozent, mit Arteriosklerose um 42 Prozent (Infarkte) sowie auch derer mit degenerativen Erkrankungen.

Krebs im höheren und hohen Lebensalter ist mit einer Multimorbidität verbunden. Im Vordergrund stehen dabei die Herz- und Kreislauferkrankungen, Diabetes, Adipositas, chronisch-obstruktive Lungenerkrankungen sowie neurodegenerative Erkrankungen.

So geht es nicht nur um die Bewältigung der steigenden Fallzahlen, sondern besonders um die Fragen der perioperativen Morbidität und abgeleitet davon, die Forderung nach der individuellen Operationsindikation mit Abwägung von Nutzen und Risiken unter Berücksichtigung von Alternativen, die Forderung nach Reduktion des operativen Traumas, nach hoch qualifizierter postoperativer Pflege und multimodaler Rehabilitation.

Im Zertifizierungsgeschehen erfolgt u. a. die Überprüfung der Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität bei der onkologischen Versorgung. Einen sehr wichtigen Beitrag für die Erarbeitung und der Umsetzung von innovativen Versorgungskonzepten werden zukünftig die flächendeckend vorhandenen Klinischen Krebsregister mittels Generieren von vollständigen, validen Datensätzen zu den Krebspatienten sein. Diese Datensätze werden an die Leistungserbringer zurückgespiegelt, für die Versorgungsforschung verwendet, dienen der Qualitätssicherung und werden zukünftig für Entscheidungsprozesse im Zusammenhang mit der onkologischen Versorgung genutzt.

Der zahlenmäßige Umfang an zertifizierten onkologischen Einrichtungen (OnkoZert) hat bereits heute ein erhebliches Ausmaß erreicht. So gibt es inzwischen zwölf onkologische Spitzenzentren (CCC) und 56 Onkologische Zentren (CC). An Organkrebszentren wurde bis zum Zeitpunkt u. a. 271 Darmkrebszentren, 46 Pankreaszentren, 41 Lungenkrebszentren, 13 Kopf-/Hals-Zentren und sieben Neuroonkologische Zentren von der DKG zertifiziert.

Mit den Beiträgen zu den Themen der zukünftigen onkologischen Versorgungskonzepte, Vernetzungen, Zertifizierung von Zentren aus verschiedenen Blickwinkeln hoffen wir einen Spannungsbogen erzeugt zu haben, der zur Diskussion aufruft und eine weitere, tiefe Auseinandersetzung mit diesen Fragen auslöst.

Dommisch K. Netzwerk Onkologie. Passion Chirurgie. 2013 Oktober; 3(10): Artikel 01

Vernetzungen in der Onkologie – eine Conditio sine qua non

Der Gedanke, dass bei der Diagnostik und Therapie von onkologischen Erkrankungen das interdisziplinäre Zusammenwirken erforderlich ist, um den zur Zeit vorhandenen Wissensstand für den betroffenen Patienten zum tragen zu bringen, ist nicht neu.

Die Gründung des Deutschen Krebsforschungszentrums im Jahre 1964 durch den verdienstvollen Chirurgen Karl Heinz Bauer, der die Erkenntnis, dass die Erforschung und Behandlung von Krebserkrankungen interdisziplinär erfolgen müsse, ist als konsequente Folgerung dieser Grundfeststellung zu sehen.

Inzwischen sind viele Jahre vergangen, der Erkenntnisprozess in der Onkologie ist enorm vorangekommen, alle Säulen der onkologischen Therapie haben für sich bedeutsame Fortschritte aufzuweisen. Es gibt zahlreiche mehr oder weniger spezialisierte Institutionen, die sich wissenschaftlich, diagnostisch und therapeutisch mit onkologischen Fragestellungen auseinandersetzen, es gibt politische Gremien, die den gesellschaftspolitischen Aspekt onkologischer Erkrankungen beleuchten und versuchen, adäquate gesundheitspolitischen Entscheidungen abzuleiten und es gibt die sozialen Einrichtungen für die Betroffenen. Die Selbsthilfegruppen und Patientenverbände sind inzwischen zu einer Institution geworden und greifen mit zunehmendem Selbstbewusstsein und mit Kompetenz in das Geschehen ein.

Unter diesen Gesichtspunkten stellt sich die Frage nach der Versorgungsrealität in der Onkologie (Tab. 1, 2).

Tab. 1: Versorgungsrealität bezogen auf die Bevölkerung in Deutschland

•   Deutschland hat 82 Millionen Einwohner.

•   Es gibt 5 Millionen onkologische Patienten.

•   Ein onkologischer Patient verbringt in Deutschland vier bis fünf Monate in einer Klinik.

•   2010 waren 450.000 Neuerkrankungen zu verzeichnen.

•   Die Zahl der Beitragszahler sinkt.

•   Die Beschäftigungsquote sinkt.

•   Die Lebensarbeitszeit wird kürzer.

Tab. 2: Versorgungsrealität unter dem Aspekt der onkologischen Erkrankung

•   Der Krebs wird immer mehr zu einer chronischen Erkrankung, nur wenige Fälle verlaufen schnell letal

•   Die Inzidenz von onkologischen Erkrankungen steigt mit der Veränderung der Alterspyramide

•   Die Mortalität von Prozeduren sinkt

•   Es wird immer schwieriger die medizinischen und qualitativen Anforderungen mit den ökonomischen Möglichkeiten in Übereinstimmung zu bringen

Es ist weitestgehend bekannt, dass der Gesundheitsmarkt den größten und am stärksten wachsenden Wirtschaftsbereich darstellt. So ist dringender denn je die Forderung nach einer zukunftsorientierten, gestalterischen Gesundheitspolitik zu stellen. Besonders wichtig ist die Frage nach der Regelung des Innovationszuganges für die Patienten für kostenintensive therapeutische Maßnahmen. Ein sorgfältig erarbeitetes und präzisiertes Versorgungsstrukturgesetz, das im Entwurf vorliegt, kann zur Problemlösung beitragen.

Wenn die Versorgungsrealität in Deutschland diskutiert wird, so kommt der zunehmende Ärztemangel zur Sprache.

Die genaue Analyse dieses Problems zeigt aber, dass in Deutschland kein eigentlicher Ärztemangel besteht, sondern ein Mangel an tatsächlicher ärztlicher Arbeitszeit. So bildet Deutschland im Vergleich zu den USA, bezogen auf die Bevölkerungszahl, doppelt so viele Ärzte aus. Es ergibt sich die Frage, warum so wenig ausgebildete Ärzte in die Patientenversorgung gehen.

Es besteht in Deutschland in der ärztlichen Versorgung auch kein Stadt/Land- Problem, sondern ein Verteilungs- und Strukturproblem. So gibt es zum Beispiel in Berlin über- und unterversorgte Bezirke und auf dem Lande ebenfalls über- und unterversorgte Regionen. Lösungskonzepte sind allerdings nur ansatzweise erkennbar.

Beide zuvor genannten Problemfelder betreffen zwar insgesamt die medizinische Versorgung der Bevölkerung, diese behindern aber – und deshalb müssen sie an dieser Stelle genannt werden – die Umsetzung onkologischer Versorgungskonzepte in erheblichem Umfang.

Wichtig ist es auch, sich mit der Sichtweise der betroffenen Patienten auseinanderzusetzen. Die Patientenverbände und die Selbsthilfegruppen haben sich in Deutschland in den letzten Jahren zu mitgliedsstarken Institutionen entwickelt, die mit klar formulierten Meinungen und Positionen berechtigterweise in die öffentliche gesundheitspolitische Debatte eingreifen.

Der betroffene onkologische Patient äußert in der Regel folgende zentrale Forderungen:

  1. Er erwartet eine kompetente onkologische Versorgung bei der alle modernen Möglichkeiten mit dem Ziel der Heilung für ihn genutzt werden.
  2. Wenn diese Möglichkeit nicht mehr besteht, so erwartet er, dass er mit seiner Erkrankung möglichst lange bei guter Lebensqualität überlebt.

Bei der Versorgung onkologischer Patienten trifft man zunehmend auf informierte Patienten, die sich sehr kritisch und realitätsnah mit Unterstützung der Medien und/oder Patientenvertretungen mit ihrer Situation auseinander gesetzt haben (Tab.3).

Tab. 3: Über welchen Wissensstand verfügt heute der onkologische Patient?

1.  Die Krebserkrankung kann heute mitunter geheilt werden oder zumindest über lange Zeit beherrscht werden

2.  Sein Überleben hängt vom Expertenwissen und -können ab

3.  Er spürt, dass sich medizinischer Fortschritt und Ökonomie auf Dauer nicht miteinander vereinbaren lassen

4.  Er erfährt die Grenzen des Leistungsversprechens und die Instrumente der Rationalisierung (Rationierung, Konfektionierung, Standardisierung, Arzneimittelbegrenzung, verkürzte Verweildauer, Stellen der Kosten-Nutzen-Frage u

Ein onkologischer Patient will nicht als statistische Größe, sondern als Individuum gesehen und behandelt werden.

Abgeleitet von den oben genannten Feststellungen ist zu erkennen, dass es sich bei der Onkologie um einen ausgesprochen komplexen Sachverhalt handelt.

So muss die Frage gestellt werden, wie sich komplexe Sachverhalte entdecken und erschließen lassen. Es geht um die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Phänomenen und deren Zuordnung zueinander. Sie zu erkennen, ist wiederum Voraussetzung für die Möglichkeit, komplexe Zusammenhänge nicht nur zu verstehen, sondern ihr Verhalten auch zielorientiert zu beeinflussen.

Der Nationale Krebsplan

Die Antwort dazu gibt der Nationale Krebsplan. Dieser ermöglicht einen ganzheitlichen Zugang zu dem Sachverhalt und bietet somit die Möglichkeit eines konstruktiven Managements von Komplexitäten.

Es handelt sich bei dem Nationen Krebsplan um einen zielorientierten Plan zur Krebsbekämpfung.

Initiiert wurde der Nationale Krebsplan bereits am 16. August 2008 durch das Bundesministerium für Gesundheit (BMG), durch die Deutsche Krebsgesellschaft (DKG), die Deutsche Krebshilfe (DKH) und durch die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT). Kooperationspartner waren die Länder, Krankenkassen, Rentenversicherungen, Leistungserbringer, wissenschaftliche Institutionen, Patientenverbände u. a.

Der Nationale Krebsplan setzt damit auch die Empfehlungen der WHO und der EU um. Er besitzt 4 Handlungsfelder (Tab. 4)

Tab. 4: Handlungsfelder des Nationalen Krebsplanes

•  Handlungsfeld 1: Weiterentwicklung der Krebsfrüherkennung

•  Handlungsfeld 2: Weiterentwicklung der onkologischen Versorgungsstrukturen

•  Handlungsfeld 3: Sicherstellung einer effizienten onkologischen Behandlung (Schwerpunkt zunächst auf die onkologische Arzneimitteltherapie)

•  Handlungsfeld 4: Stärkung der Patientenorientierung/Patienteninformation

Koordiniert wurden die Partner und Gremien des Nationalen Krebsplanes durch das BMG. Der Projektträger für den NKP ist das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Die Steuergruppe als politisches Instrument existiert seit Juli 2008. Zahlreiche Kooperationen wurden mit Institutionen und Organisationen des Gesundheitswesens geschlossen. Für die einzelnen Handlungsfelder existieren zahlreiche Arbeitsgruppen.

Die Handlungsempfehlungen zu den einzelnen Zielen ist weitestgehend abgeschlossen. Einige Ziele befinden sich noch in der fachlichen und politischen Abstimmung. Aktuell wurde eine neue Arbeitsgruppe aus Mitgliedern der DKG und der ADT zum Thema „Sparsame, einheitliche Tumordokumentation“ gegründet. Die Verabschiedung der konkreten Umsetzungsempfehlung wurde für Juni 2012 geplant.

Erklärtes Ziel ist, dass ab 2020 Krebspatienten nur noch in zertifizierten Einrichtungen behandelt werden.

Zusammengefasst ist der Nationale Krebsplan ein Konzept und eine Umsetzungsstrategie für die onkologische Versorgung in Deutschland, erarbeitet von einem Netzwerk, bestehend aus Vertretern der Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Versorgungseinrichtungen, Kostenträgern und Patientenvertretungen.

Spezialisierung

Ein weiterer Umstand, der innerhalb der Patientenversorgung in der Onkologie eine Netzwerkbildung erforderlich macht, ist die Spezialisierung, die inzwischen sehr weit fortgeschritten ist.

Spezialisten konzentrieren sich auf ständig kleiner werdende Ausschnitte aus einer Ganzheitlichkeit. Ihr Zugang zur Lösung eines spezifischen Problems ist deshalb der Natur der Sache nach eher interventionistisch als ganzheitlich angelegt. Sie fokussieren ihre Maßnahmen bei der Diagnostik und Therapie auf ein evidentes Phänomen. Über die Auswirkungen auf die Ganzheitlichkeit des Körpers, der Ordnung oder des Theoriengebäudes können sie in der Regel nur wenig Auskunft geben. Risiken und Nebenwirkungen der Interventionen werden eher als Folge gesammelter Erfahrung denn als Ergebnis ganzheitlich orientierten wissenschaftlichen Bemühungen erkannt.

Meldet sich als Folge der Interventionen an unvermuteter Stelle ein neues Phänomen, so führt dies regelmäßig zu neuen Interventionen. Diese sind wiederum geeignet, die Kompliziertheit weiter zu steigern, die das betroffene System zu verkraften hat.

Interventionen, die ohne Kenntnis der Zusammenhänge erfolgen, führen regelmäßig zu Widersprüchen.

Somit können komplexe Systeme erkranken im Sinne der abnehmenden Fähigkeit, die wachsende Zahl der Widersprüche zu integrieren, die durch Interventionen ohne ganzheitlichen Bezug ausgelöst werden.

Dieses Phänomen wird als „Spezialisierungsfalle“ bezeichnet.

Ein tieferes Verständnis für diesen Vorgang kann man erhalten, wenn man die Begriffe Komplexität und Kompliziertheit definiert und den Unterschied herausarbeitet. Mit komplexen Sachverhalten haben wir es zu tun, wenn sich eine unendliche Vielfalt der konkreten Erscheinungen auf eine ebenso unendliche, jeweils einer bestimmten Ordnung folgende Komposition von Bausteinen zurückführen lässt. Komplizierten Sachverhalten fehlt diese Eigenschaft. Sie entstehen nicht als Ausdruck einer Ordnungsvorstellung, sondern als Folge zahlreicher, auf den Einzelfall bezogener Interventionen in einem gegebenen Ordnungszusammenhang. Es handelt sich um eine Vorgehensweise, die sich beschränkt, die Ursachen eines bestimmten Phänomens zu erkennen oder zu diagnostizieren und sie durch Interventionen zu verändern.

Zertifizierung

Im Rahmen einer Zertifizierung zum Onkologischen Zentrum werden die Struktur-, Prozess- und in zunehmenden Maße die Ergebnisqualität von onkologischen Behandlungseinrichtungen überprüft und bewertet. Die klar strukturierten interdisziplinären Tumorkonferenzen stehen hier im Mittelpunkt des Geschehens. Funktionierende Vernetzungen mit allen Partnern, die an der Versorgung von onkologischen Patienten beteiligt sind, verbunden durch entsprechende Kooperationsverträge, geben einen Schutz vor der Spezialisierungsfalle und führen zu einer zeitgemäßen onkologischen Versorgung der Patienten.

Der Effekt der interdisziplinären Erarbeitung eines Therapiekonzeptes für onkologische Patienten lässt sich sehr einfach zeigen, indem man die Quote bezogen auf den primären Therapievorschlag der vorstellenden Fachrichtung an veränderten oder ergänzten Therapieplänen ermittelt, die sich aus den Tumorkonferenzen ergeben. Diese beläuft sich zwischen 10 und 20 %.

Schlussfolgerung

Die Schlussfolgerung ist zweifelsfrei: Interdisziplinäre Vernetzungen sind für eine moderne Onkologie eine Conditio sine qua non.

Unter dem Gesichtspunkt, dass bis zum Jahre 2030 die Krebsfälle um 30 % in Deutschland zunehmen werden, stellt sich die Frage, welche Maßnahmen erforderlich sind, um den künftigen Anforderungen an eine moderne onkologische Versorgung gerecht zu werden (Tab, 5, 6, 7).

Tab. 5: Anforderungen an eine zeitgemäße onkologische Versorgung

1.  Zentrenbildung mit multidimensionaler Vernetzung aller an der Versorgung beteiligten Strukturen

2.  keine onkologische Therapie ohne interdisziplinäre Tumorkonferenz

3.  evidenzbasierte Patientenaufklärung

4.  Herstellung und Überprüfung von funktionierenden Strukturen (Zertifizierung, Kooperationsverträge, Qualitätsmanagement usw.)

5.  Deutschlandweiter Aufbau klinischer Krebsregister mit vollständiger Erfassung vergleichbarer, vollständiger Datensätze

Tab. 6: Anforderungen für einen Fortschritt in der Onkologie

•  mehr Investition in die Krebsforschung (z. Zt. 4 €/Einwohner und Monat)

•  mehr Studien in hoher Qualität (Voraussetzung: Studienärzte, Study nurse, wissenschaftliche Mitarbeiter, Studienzentralen)

•  Recht für Patienten in Studien eingeschlossen zu werden

•  mehr Investition in die Prävention (z. Zt. GKV 1,6 Mill. €/a = 0,6 %, Industrie 2,5 %)

•  mehr Versorgungsforschung, es fehlen wichtige Daten

Tab. 7: Förderung moderner onkologischer Konzepte

•  Förderung ganzheitlicher Therapieansätze

•  Förderung der Palliativmedizin und des Hospizwesens

•  Verbesserung der psychoonkologischen Versorgung

•  Förderung der personalisierten Medizin

•  Förderung der individualisierten Medizin

•  Einführung einheitlicher Qualitätskriterien in der Onkologie

Zusammenfassung.

Die multidimensionale, interdisziplinäre Vernetzung in der Onkologie in Form von Onkologischen Zentren stellt eine Verfahrensweise bei der Versorgung onkologischer Patienten dar, bei der die kollektive Intelligenz von vielen Fachexperten zum Wohle des Patienten genutzt wird.

Die Effekte, die sich durch die Nutzung einer kollektiven Intelligenz ergeben, sind durch viele Arbeiten aus dem Bereich der Pädagogik und der Organisationspsychologie ausreichend belegt.

Diese wird bezeichnet als „Weisheit der Vielen“, die größer ist als die Leistung des besten Einzelnen in deren Mitte.

Um den Effekt aus der Nutzung der „Weisheit der Vielen“ zu erhalten, bedarf es einer Struktur, einer guten Organisation und Leitung und der richtigen Methodik.

Für interdisziplinäre Tumorkonferenzen bedeutet dieses zum Beispiel zunächst die rechtzeitige Meldung der zu beratenden Tumorfälle und die individuelle Vorbereitung zu den Patienten als Brainstorming in einer stillen Phase. Auch das Brainwriting stellt eine Methodik im Wissensmanagement dar. Verantwortungsvoller Umgang mit den Möglichkeiten und gute Vorbereitung im Management der Schnittstellen stellen das Erfolgsrezept dar.

Damit kann für unsere onkologischen Patienten ein Paradoxon Beweiskraft erhalten:

„Wissen ist die einzige Sache, die sich vermehrt, wenn man sie teilt !“

Dommisch K. Vernetzungen in der Onkologie – eine Conditio sine qua non. Passion Chirurgie. 2013 Oktober, 3(10): Artikel 02_01.