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Safety Clip: Compliance beim Einsatz von Risikomanagement-Instrumenten

CHIRURGIE+
Compliance beim Einsatz von Risikomanagement-Instrumenten

In Kliniken existiert inzwischen eine Vielzahl von Risikomanagement-Instrumenten (RM-Instrumenten). Beispielhaft werden hier nur einige genannt wie Checklisten (zum Beispiel OP-Sicherheits-Checkliste), Identifikationsarmband, Fallbesprechungen (zum Beispiel Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen) und das Fehlermeldesystem/CIRS (Critical Incident System).

Im Rahmen von Analysen und/oder in Gesprächen mit Mitarbeitenden wird deutlich, dass Art und Umfang der Nutzung von RM-Instrumenten unterschiedlich erfolgen, obwohl häufig klinikintern schriftlich fixierte Vorgaben zur Nutzung bestehen. Integraler Bestandteil beim sogenannten Compliance-Management ist unter anderem die Regeltreue im Hinblick auf die Einhaltung von Vorgaben (Gesetze, Verfahrens-, Arbeits-, Dienstanweisungen usw.). Wird diese Regeltreue beim Einsatz von RM-Instrumenten nicht erzielt, können daraus bei der Behandlung von Patientinnen und Patienten fehlerhafte Abläufe resultieren, die zu einer Schädigung der Erkrankten führen. Zu nennen sind unter anderem fehlerhafte Medikamentenapplikationen, da Patienten verwechselt wurden (… weil kein Identifikationsarmband angelegt war oder das Band nicht wie vorgesehen als Prüfinstrument bei der Medikamentenapplikation genutzt wurde).

Durch die nur teilweise erfolgende oder gänzlich fehlende Nutzung der OP-Sicherheits-Checkliste und die dadurch letztendlich fehlende Mehrfachkontrolle relevanter Sicherheits-Checks treten in der Praxis zum Teil Ablaufstörungen auf (zum Beispiel fehlende Unterschriften auf OP- und Anästhesieeinwilligungen, verzögerte Applikation von Antibiosen, Blutprodukten). In seltenen Fällen ist eine Schädigung eines Patienten nicht auszuschließen. Ein Beispiel dafür ist die Verwechslung der OP-Seite, weil der mehrfache Abgleich unterschiedlicher Angaben in den Dokumentationsunterlagen, wie er laut Prüfung anhand der OP-Sicherheits-Checkliste vorgegeben ist, gefehlt hat.

Der folgende Artikel greift daher das Thema „Compliance“ auf und benennt Potenziale, wie Mitarbeitende konsequent und eigenaktiv in die Nutzung von RM-Instrumenten einbezogen werden können.

Begriffsdefinitionen

Compliance

Der Deutsche Corporate Governance Kodex (DCGK) definiert Compliance als die in der Verantwortung des Vorstands liegende Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und unternehmensinternen Richtlinien [1]. „Der Begriff Compliance steht für die Einhaltung von gesetzlichen Bestimmungen, regulatorischer Standards und Erfüllung weiterer, wesentlicher und in der Regel vom Unternehmen selbst gesetzter ethischer Standards und Anforderungen [2].“

Compliancekultur

„Als Compliancekultur werden die Grundeinstellungen und Verhaltensweisen, die von der Unternehmensleitung vermittelt werden, bezeichnet. Die Compliancekultur soll allen Unternehmensbeteiligten sowie auch Kunden und Lieferanten des Unternehmens die Bedeutung vermitteln, die das Unternehmen der Beachtung von Regeln beimisst, und damit bei allen Beteiligten die Bereitschaft zu regelkonformem Verhalten fördern. Compliancekultur wird häufig als Basis des CMS bezeichnet. Vielfach wird die Compliancekultur in besonderen Richtlinien oder Verhaltenskodizes (zum Beispiel in einem „Mission Statement“ oder einem „Code of Conduct“) festgehalten und auch im Intranet oder Internet-Auftritt des Unternehmens veröffentlicht.

Eine wirksame Compliancekultur erfordert aber neben solchen „offiziellen“ Kommunikationen vor allem eine Spiegelung der Grundsätze im tatsächlichen Handeln und Auftreten aller Unternehmensverantwortlichen auf allen Managementebenen. Werte können nur glaubhaft vermittelt werden, wenn diese auch erkennbar von den Vermittelnden selbst gelebt werden.“ [3]

Compliancemanagementsystem (CMS)

„Damit die Anforderungen des Standards erfüllt werden können, muss ein Unternehmen eine systematische Complianceorganisation, das heißt ein Compliancemanagementsystem einführen, dokumentieren, verwirklichen und aufrechterhalten. Dazu sind folgende Maßnahmen notwendig:

  • Die einzuhaltenden Prozesse sind festzulegen.
  • Die Verfügbarkeit der erforderlichen Ressourcen und Informationen ist sicherzustellen und
  • die Prozesse sind zu überwachen, zu messen und zu analysieren.

Es gilt, das Compliancemanagementsystem selbst und seine Bestandteile, wie zum Beispiel Audit-Ergebnisse, Korrekturmaßnahmen etc., zu dokumentieren, um eine personenunabhängige Aufrechterhaltung und Funktionsfähigkeit des Systems sicherzustellen. Auch der Umgang mit dieser Dokumentation, beispielweise Freigaben, Aktualisierungen, Verteilung, Aufbewahrungspflichten, muss festgelegt werden.“ [4]

Konsequenz aus den Ausführungen zu Compliance

Die vorhergehenden Ausführungen zu den Compliancebegriffen verdeutlichen, dass Vorgaben und die einmalige Einführung in die Nutzung eines RM-Instrumentes keine Garantie für die verlässliche Umsetzung in der Praxis sind. Wie unter dem Begriff Compliancekultur beschrieben, ist die Vorbildfunktion (insbesondere von Vorgesetzten) von Bedeutung für das Gelingen der Umsetzung.

Nach der geglückten Einführung heißt es, „dran bleiben“ – und das nicht nur bei der nächsten Prüfung, Zertifizierung, dem nächsten Audit und so weiter. Um eine dauerhafte Nutzung von RM-Instrumenten zu initiieren, sind Prozesse, in denen die RM-Instrumente eingesetzt werden, fortlaufend zu überwachen, zu messen und zu analysieren.

Abb. 1: Netzdiagramm

Als grobe Faustregel kann angenommen werden, dass maximal 50 Prozent des positiven Einflusses bei der Verringerung/Vermeidung eines oder mehrerer Risiken, dem jeweiligen RM-Instrument zuzuschreiben sind und mindestens 50 Prozent (wenn nicht 60 bis 70 Prozent!) durch kontinuierliches Coaching der Mitarbeitenden zu begründen sind.

Das bedeutet, hier ist eine Änderung des Blickwinkels leitender Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und des Bewusstseins der Praktikerinnen und Praktiker einzuleiten. Kontrollen in der Einführungsphase (sofern diese überhaupt erfolgen) und danach die Durchführung stichprobenartiger Kontrollen in größeren Zeitabständen, zum Beispiel durch zuständige Mitarbeitende im Bereich QM/RM der Klinik, sind nur bedingt beziehungsweise nicht ausreichend, um einen kontinuierlichen Einsatz von RM-Instrumenten zu gewährleisten.

Einerseits ist zu vermitteln, dass Kontrollen/Prüfungen noch mehr als bisher fixer Bestandteil der täglichen Arbeit sind. Andererseits ist nicht die Menge an eingesetzten RM-Instrumenten entscheidend für den Erfolg beziehungsweise die Wirksamkeit im Hinblick auf Risiken, sondern die Vermittlung der positiven Effekte und die Einbindung der Praktikerinnen und Praktiker von Beginn an.

Weiterhin sollten leitende Mitarbeitende sehr gründlich vor dem Einsatz eines RM-Instruments das Für und Wider abwägen. Ebenfalls entscheidend für die Akzeptanz der Mitarbeitenden ist die bewusste inhaltliche Begrenzung, zum Beispiel die Anzahl der Abfragepunkte in Checklisten. Werden erfolgreiche Effekte im Zusammenhang mit der Nutzung von RM-Instrumenten erzielt, sind die Praktikerinnen und Praktiker im Sinne der positiven Verstärkung direkt einzubeziehen.

Gründe für die eingeschränkte Nutzung von RM-Instrumenten in Kliniken

Die Gründe warum RM-Instrumente nur zum Teil oder gar nicht genutzt werden, sind vielschichtig. Dazu gehören unter anderem:

  • Es fehlt die verlässliche Systematik bei der Einführung/Aufrechterhaltung der Nutzung.
  • Die Begründungen der Vorgesetzten für den Einsatz von RM-Instrumenten zeigen, dass sie selbst nicht von der Sinnhaftigkeit überzeugt sind. („Das müssen wir jetzt umsetzen, weil es das Patientenrechtgesetz vorschreibt.“) Hier fehlt die Darlegung, dass durch Eigeninitiative steuernd eingegriffen werden kann.
  • Zuständigkeiten/Verantwortlichkeiten für die Umsetzung sind nur unpräzise oder gar nicht festgelegt. (Frage: Gehört das zu meinen Aufgaben?)
  • Ergebnisse, die sich aus der Nutzung eines RM-Instruments ergeben, lösen keine Ableitung von Präventionen aus beziehungsweise die Einleitung von Präventionsmaßnahmen stockt. (Das kann bei CIRS ein Thema sein, und es stellt sich die Frage: „Warum soll ich eine CIRS-Meldung schicken, es passiert ja doch nichts?“)

Effekte/Potenziale durch aktive Einbeziehung der Mitarbeitenden bei der Nutzung der OP-Sicherheits-Checkliste

Nach Durchführung einer Sicherheits- und Risikoanalyse der GRB Gesellschaft für Risiko-Beratung mbH im Hochrisikobereich der OP-Abteilung eines Krankenhauses zeigen sich die Ergebnisse wie folgt in dem abgebildeten Netzdiagramm (Abb. 1).

Deutlich sichtbar im Netzdiagramm (mit einer Skalierung von 0–100 Prozent) ist, dass die Bewertung der Nutzung von Instrumenten des klinischen RM (kRM) nur bei etwas über 50 Prozent und bei Compliance knapp über 70 Prozent liegt.

Beispielhaft wird im Weiteren die Nutzung der OP-Sicherheits-Checkliste als RM-Instrument aufgegriffen. Einige Details aus dem Bericht zu diesem Punkt:

  • Unvollständig ausgefüllte OP-Sicherheits-Checkliste und fehlende Unterschriften am Ende der einzelnen Prüfabschnitte (z. B. beim Team-Time-Out).
  • Nicht alle im OP-Saal anwesenden Personen sind in das Team-Time-Out einbezogen.

Präventionsmaßnahmen zum Einsatz der OP-Sicherheits-Checkliste in Anlehnung an die Veröffentlichung der Stiftung Patientensicherheit

Die Schweizer Stiftung Patientensicherheit hat im Zusammenhang mit den Erkenntnissen aus einer publizierten Studie (aus den Niederlanden, siehe die Details in der genannten Schriftenreihe 5) zur Vermeidung von Fehlern und Komplikationen in der Chirurgie ein neues Konzept zur sicheren Erbringung chirurgischer Leistungen erarbeitet [5].

In der Ergänzung und Weiterführung der Schriftenreihe 5, COM-Check – Sichere Chirurgie, wird zunächst ein Checklistenvergleich (2020) und im Anschluss das Programm COM-Check Datenerhebung (Beobachtung und Feedback 2021) vorgestellt.

Folgende Präventionsmaßnahmen lassen sich daraus ableiten:

  • Die Nutzungsfrequenz der OP-Sicherheits-Checkliste und die Abweichungen werden gemessen (vorab ist eine Kennzahl zur Umsetzung festzulegen; 100 Prozent sind hier anzusetzen).
  • OP-intern erfolgt die Kontrolle/Beobachtung durch verantwortliche Mitarbeitende der OP-Abteilung, in welcher Form die in der OP-Sicherheits-Checkliste hinterlegten Punkte analog zum Prozess (OP-Schleuse/vor Einleitung Anästhesieverfahren, Team-Time-Out, Sign-Out) bearbeitet werden. Dafür sollte eine spezifische Checkliste erstellt werden.
  • Neben der Kontrolle/Beobachtung der Abfrage der Checkpunkte wird die Qualität der einzelnen Prozessschritte anhand einer spezifisch zu erstellenden Checkliste bewertet.
  • Nach der Beobachtung ist ein direktes, kurzes Feedback (1 bis 2 Minuten) in geeigneter Form an die beteiligten Mitarbeitenden zu geben. Es beginnt mit: „Richtig gut ist …“; lediglich eine beobachtete Situation, zum Beispiel aus dem Team-Time-Out, wird angesprochen.
  • Ein weiteres Feedback wird nach Auswertung der Gesamtdaten an die beteiligten Mitarbeitenden gegeben.
  • Verbesserungspotenziale werden aufgezeigt, und die Umsetzung von konkreten Maßnahmen wird gemeinsam mit den beteiligten Mitarbeitenden festgelegt. Gegebenenfalls erfolgt nach der Pilotphase erneute Bewertung.
  • Der vorgenannte Prozess wird in definierten Zeitintervallen wiederholt.

Weiterführende Details sind aus den veröffentlichten Unterlagen der Stiftung Patientensicherheit zu entnehmen.

Fazit

Die Festlegung/Entscheidung über die im Krankenhaus gezielt und begleitend umzusetzenden RM-Instrumente steht am Beginn des Prozesses. Danach ist das Vorgehen im Detail zu planen. Eine entscheidende Rolle spielt dabei die Initiierung und Erhaltung der Mitarbeitermotivation bei den Praktikerinnen und Praktikern vor Ort. Dabei ist die Möglichkeit der Einflussnahme und Steuerung des Prozesses als Vision vorzustellen. Beispielsweise können und sollten an den Einsatz des jeweiligen RM-Instrumentes weitere positive Aspekte geknüpft werden, die den Nutzen für Mitarbeitende erhöhen und sie damit motivieren. Beim Einsatz der OP-Sicherheits-Checkliste kann das beispielsweise die IT-gestützte Abarbeitung der Prozessschritte sein (mit der entsprechenden Ausrüstung von Hard- und Software). Darüber hinaus ist das fortlaufende und persönliche Coaching der Mitarbeitenden unerlässlich.

Die Literaturliste erhalten Sie auf Anfrage via pas[email protected].

Hinke K: Safety Clip: Compliance beim Einsatz von Risikomanagement-Instrumenten. Passion Chirurgie. 2022 November; 12(11): Artikel 04_02.

Safety Clip: Im Alltäglichen liegt das Risiko

Mit einem Großschaden, zum Beispiel in der Geburtshilfe, ist nur etwa alle zehn Jahre zu rechnen. Das zeigen die Statistiken zu Schadenereignissen im Krankenhaus. In der alltäglichen Praxis ereignen sich aber immer wieder Patientenschäden bei pflegerischen und therapeutischen Behandlungen. Wie kommt es dazu? Karin Hinke nähert sich der Antwort mit drei Thesen, die sie aufgrund ihrer Erfahrungen als Risiko-Beraterin in Krankenhäusern entwickelt hat. Zur Veranschaulichung stellt sie als Fallbeispiel einen Schaden vor, greift relevante Aspekte des Risikomanagements inklusive Bewertungssystemen auf und erläutert die Wirksamkeit von Präventionsmaßnahmen.

Warum aus alltäglichen Risiken ein Schaden entstehen kann – drei Thesen

These 1: Vorgaben und Instrumente im Bereich des Risikomanagements existieren zwar in ausreichendem Maße, ihre Umsetzung erfolgt aber nur teilweise oder gar nicht.

These 2: Es gibt zu viele Präventionsmaßnahmen, deren Wirksamkeit im Hinblick auf die Zielerreichung nicht ausreichend geprüft wird.

These 3: Der Kommunikation mit Patienten und zwischen beteiligten Mitarbeitenden an Schnittstellen innerhalb und außerhalb der Einrichtung/Klinik wird zu wenig Bedeutung beigemessen – das Ziel eines vollständigen Austauschs wird nicht erreicht.

Der folgende Fall ist ein Paradebeispiel dafür, wie aus einem alltäglichen Risiko ein tragischer Schaden entsteht.

Der Fall: Gebärmutter erfolgreich entfernt – gegen ausdrücklichen Wunsch der Patientin

Eine Patientin mit einer Gebärmutterzyste kommt zur ambulanten Vorstellung und Aufklärung in die Klinik. Es steht die Entscheidung an, die Zyste entfernen oder eine Hysterektomie vornehmen zu lassen. Die Patientin entscheidet sich zunächst für eine Hysterektomie. Sie hatte sich bereits vorher sterilisieren lassen. Nach Rücksprache mit ihrem Hausarzt revidiert sie ihre Entscheidung, um die hormonellen Auswirkungen nach einer Hysterektomie zu vermeiden. Die Zyste soll nun einzeln entfernt und die Gebärmutter erhalten werden. Der Widerruf der Einwilligung, den die medizinische Fachangestellte (MFA) in der gynäkologischen Ambulanz am Tag vor der geplanten OP entgegennimmt, wird nicht an den Operateur weitergegeben, sondern lediglich im OP-Plan eingetragen. Eine erneute Aufklärung der Patientin erfolgt nicht. Der OP-Plan wird vor der OP nicht geprüft.

Folgen: Am nächsten Tag wird die Hysterektomie vorgenommen, die Operation wird damit fehlerhaft durchgeführt, denn die Patientin verliert ihre Gebärmutter, obwohl sie sich ausdrücklich gegen die Entfernung entschieden hat. Es kommt zum Vertrauensverlust, und die Patientin meldet einen Schadenersatzanspruch an.

Schadenursachen im Prozess

Die beteiligten Mitarbeitenden sind wahrscheinlich nach bestem Wissen und Gewissen vorgegangen, trotzdem kam es zur Schädigung der Patientin. Warum? Es ist nicht der eine große Fehler passiert, sondern mehrere kleinere Unklarheiten und fehlende Regelungen im alltäglichen Prozess führen zur falschen Operation. Es geht um drei Bereiche – die in der Praxis nie so trennscharf voneinander abgegrenzt sind, aber für die Analyse ist die Unterteilung hilfreich:

1. Arbeitsprozesse und Prozessbeschreibungen

  • Der Arbeitsprozess findet arbeitsteilig statt (MFA bei der Aufnahme, Arzt im OP-Saal) ohne dass alle Beteiligten ausreichende Kenntnis von den Teilprozessen haben.
  • Abweichungen wie in diesem Fall (Wunsch: andere OP) kommen nur selten vor, darum gibt es kein festgelegtes Vorgehen für den Fall, dass eine Patientin einen Eingriff nicht so wie ursprünglich besprochen durchführen lassen möchte.
  • Die Änderung im OP-Plan wird nur digital festgehalten. Zwischen MFA in der Ambulanz und zuständigem Arzt in der Abteilung besteht keine direkte Kommunikation. Hier stellt sich die Frage: Wie sind die mitarbeiterbezogenen Rechte zur Eingabe von Daten beziehungsweise zu Änderungen im digitalen OP-Plan definiert?
  • Der Operateur gleicht den OP-Plan nicht mit dem OP-Einwilligungsbogen der Patientin ab, so werden die Widersprüche nicht entdeckt.
  • Eine Struktur für die OP-Plan-Besprechung von Behandlungs- und Ärzteteam fehlt (Einsicht in die aktuelle Version des OP-Plans, Sichtung der OP-Einwilligungen). Hier stellt sich die Frage: Wie wird die OP-Indikation geprüft?
  • Die verschiedenen (Risikomanagement-) Instrumente (OP-Plan, OP-Einwilligungsbogen, OP-Planbesprechung u. a.) und deren Bedeutung werden von den Mitarbeitenden der beteiligten Berufsgruppen offensichtlich in unterschiedlicher Art und Weise gewertet. Sowohl innerhalb der Berufsgruppen als auch übergreifend werden die Instrumente nicht klar strukturiert und in einheitlicher Form genutzt.

2. Dokumentation

  • Der Änderungswunsch der Patientin wird nicht ausreichend dokumentiert. Die Änderung wird nicht im Aufklärungsbogen notiert und es findet keine erneute mündliche und schriftliche Aufklärung mit einem geeigneten standardisierten Einwilligungsbogen statt.

3. Kommunikation

  • Die direkte Kommunikation bei Abweichungen von der Norm fehlt zwischen den beteiligten Mitarbeitenden.
  • Am Tag der OP erfolgt zwischen Arzt und Patientin keine zielgerichtete Kommunikation in systematischer Form. Der unterschriebene Aufklärungsbogen wird nicht besprochen.

Das Fallbeispiel und die Analyse der Schadenursachen zeigen deutlich, wie wichtig klare Prozessbeschreibungen, Aufklärung und Kommunikation sind.

Präventionsmaßnahmen

Es ergeben sich verschiedene Möglichkeiten, die erkannten Fehler im Prozess zu vermeiden:

  • Es werden Vorgehen und Kommunikationswege für den Fall festgelegt, dass Patienten (nach ambulanter Vorstellung mit einem Aufklärungsgespräch) einen anderen Eingriff als ursprünglich vereinbart wünschen.
  • Der nachträgliche Wunsch einer Patientin, eine OP nicht so durchführen zu lassen wie im ersten Aufklärungsgespräch vereinbart, ist in Schriftform erneut festzulegen. Eine erneute mündliche und schriftliche Aufklärung der Patientin auf der Basis eines geeigneten standardisierten Einwilligungsbogens ist dabei zu favorisieren.
  • Die Rechte zur Eingabe von Daten beziehungsweise für Änderungen im digitalen OP-Plan werden mitarbeiterbezogen vergeben. Gegebenenfalls wird festgelegt, dass Änderungen lediglich an einer bestimmten Stelle im digitalen OP-Plan positioniert werden (können) und diese nur von einer übergeordneten Funktion/Rolle im IT-System aktiviert werden können (zum Beispiel von Chefärztin/Oberärztin der operativen Abteilung). Die letztgenannte technische Variante hat den Vorteil, dass Änderungen auffallen und bewusst bearbeitet werden müssen.
  • Am Tag des Eingriffs ist es sinnvoll, dass anhand des bereits unterschriebenen Aufklärungsbogens ein kurzes und gezieltes Gespräch zwischen dem Operateur und der Patientin erfolgt (Tenor: Gibt es noch Fragen oder Hinweise?).
  • OP-Planbesprechungen werden in operativen Abteilungen in einer definierten Struktur im Behandlungs- und Ärzteteam durchgeführt (Einsicht in die aktuelle Version des OP-Plans, Sichtung der OP-Einwilligungen usw.). Das beinhaltet unter anderem die nachweisbare Prüfung der OP-Indikation.
  • Im eigenen Interesse sollte der Operateur einen Abgleich zwischen den patientenbezogenen Angaben im OP-Plan und in der OP-Einwilligung vornehmen.

Risikopolitik setzt die Leitplanken für klinisches Risikomanagement

Durch klinisches Risikomanagement soll die Patientensicherheit gesteigert werden. Dafür müssen klare Prozesse und Verantwortlichkeiten festgelegt sein. Einrichtungen im Gesundheitswesen sollten in einer übergreifenden Risikopolitik die Inhalte des Risikomanagements verbindlich vorgeben. Relevante Inhalte sind: Grundsätze, Leistungsauftrag, Auftrag der obersten Leitung, Verantwortung und Zusammenarbeit, Umsetzung des Risikomanagements, strategisches Risikomanagement zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit, klinisches Risikomanagement zur Patientensicherheit, CIRS, Risikomanagement bei operationellen Tätigkeiten. Auf diese Weise wird unter anderem das im Fallbeispiel beschriebene parallele Arbeiten von Mitarbeitenden umgewandelt in eine abgestimmte Zusammenarbeit. Ohne die Verabschiedung der Risikopolitik ist die Umsetzung der Aktivitäten im klinischen Risikomanagement oftmals in der Praxis nicht ausreichend sichergestellt, weil die Verantwortlichkeiten nicht eindeutig nachvollziehbar sind.

Bewährte Methoden des Risikomanagements sind folgende:

Gefährdungs- und Prozessanalyse

Zur sicheren Gestaltung operationeller Tätigkeiten ist die Gefährdungs- beziehungsweise Prozessanalyse ein anerkanntes Instrument. Dabei werden Prozesse in Teilprozesse zerlegt:

  • Funktionen und Aktivitäten der Beteiligten werden festgelegt.
  • Mögliche Fehlfunktionen/Patientengefährdungen werden bestimmt.
  • Die Ursache jeder einzelnen Fehlfunktion/Patientengefährdung wird gesucht und bewertet.
  • Wirksame Präventionsmaßnahmen zur Reduktion der Fehlfunktionen/Patientengefährdung werden ausgewählt und festgelegt.
  • Die Maßnahmen zur Reduktion der Fehlfunktionen/Patientengefährdung werden umgesetzt.
  • Die Maßnahmen werden im Hinblick auf die tatsächliche Reduktion der Fehlfunktionen/Patientengefährdung kontrolliert.

Vorteile dieser Zerlegung:

  • Definition der Prozessschritte
  • Kenntnis von Teilprozessen
  • Aufbau einer Sicherheitskultur
  • Lern-/Schulungseffekt im Team
  • Schnittstellenoptimierung
  • Dokumentation der Prozessschritte als Hilfe für den Krankenhausträger beim Nachweis eines Risikomanagements
  • Sicheres Arbeiten, höhere Patientensicherheit

Risikobewertung

Die Risikomatrix ist eine Methode einer Risikoanalyse und existiert in verschiedenen Varianten. Auch sie zählt zum Standardinstrumentarium des Risikomanagements. Bei einer Risikomatrix wird die Wahrscheinlichkeit eines unerwünschten Ereignisses (= Risiko) ins Verhältnis zu dessen Auswirkung gesetzt. So lassen sich Risiken systematisch abschätzen und bewerten.

Abb. 1: Je höher die Eintrittswahrscheinlichkeit und je schlimmer die Auswirkungen, umso weniger vertretbar ist es, das Risiko einzugehen [1].

Maßnahmenwirksamkeit

Kennzeichen

Beispiel: Sicherstellung der korrekten Befüllung eines Schmerzperfusors und Handling eines Schmerzkatheters

Abhängig vom Verhalten

Stark

–Beseitigung eines Risikos

–Maßnahmen basieren auf „hard stops“ und „forcing functions“ (physische Maßnahmen), minimieren die Abhängigkeit vom menschlichen Verhalten.

–Maßnahmen müssen nur einmalig umgesetzt oder kaum wiederholt werden, um den gewünschten Effekt zu erreichen.

–Einsatz von „Smart Pumps“

–Konnektoren lassen keine Fehlverbindung zu

Schwach

Mittelstark

–Abhängig vom menschlichen Verhalten, dieses Verhalten wird jedoch unterstützt und gesteuert.

–Befüllungsanleitung ist sichtbar am Medikamentenarbeitsplatz ausgehängt

–Jede Befüllung wird im 4-Augenprinzip kontrolliert

–Richten des Perfusors in ungestörter Umgebung, keine Ablenkung

–Tgl. Kontrolle des Schmerzperfusors durch Pain Nurse / Anästhesist

–Eindeutige Kennzeichnung des Katheters

Mittel

Schwach

–Korrekte Durchführung von Maßnahme / Prozess ist vollständig abhängig von menschlichem Verhalten.

–Prozess wird sehr unterschiedlich von Mitarbeitern umgesetzt.

–Maßnahmen müssen wiederholt werden, um den gewünschten Effekt zu erzielen (Personalwechsel, fehlende Durchdringung, Erinnerung lässt nach ..).

–DA zur Einhaltung der Befüllungsstandards u. zum Umgang mit Schmerzkathetern

–Standard für alle MA zugänglich (z. B. im Intranet)

–Korrekte Bezeichnung und Angabe zum Gültigkeitsbereich des Standards, zur Erkennung der Aktualität

–Schulung neuer MA zum Umgang mit Schmerzperfusoren und -kathetern

Stark

Abb. 2: Maßnahmen und ihre unterschiedliche Wirkstärke [2].

Wirksamkeit von Präventionsmaßnahmen

Das Hauptziel beim Festlegen von Präventionsmaßnahmen ist, wenige, aber wirksame Maßnahmen zu identifizieren und diese umzusetzen.

Wirksame Maßnahmen können

  • Risiken komplett vermeiden oder entfernen;
  • dazu beitragen, dass ein fehlerhafter Ablauf oder Schaden frühzeitig entdeckt wird und/oder
  • bei einer Schädigung des Patienten das Schadenausmaß durch diagnostische und therapeutische Maßnahmen reduzieren.

Die Human-Factors-Forschung geht davon aus, dass sich Maßnahmen hinsichtlich ihrer Wirkstärke unterscheiden in starke, mittlere und schwache Maßnahmen. Dabei wird die Maßnahmenwirksamkeit zu dem Verhalten des Mitarbeitenden in Beziehung gesetzt, wie in Abbildung 3 dargestellt.

Die Mitarbeitenden müssen ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass es schwach und stark wirksame Maßnahmen gibt. Stark wirksame Maßnahmen sind unabhängig vom Wissen und Leistungsvermögen der Mitarbeitenden.

Eine weitere Orientierung bei der Entscheidung für bestimmte Maßnahmen gibt der jeweilige Bereich der Patientenversorgung. Vincent und Amalberti unterscheiden dabei drei Bereiche [3]:

  • sicherer Bereich – risikovermeidend (ultrasafe – avoiding risk): Dies sind Bereiche in einer Gesundheitseinrichtung, in denen der Alltag durch hochstandardisierte Prozesse organisiert ist (zum Beispiel Labor, Apotheke, Blutbank). In diesen sind Maßnahmen, die auf Fehlererkennung und -korrektur abzielen, passend und erzielen eine hohe Wirkung.
  • hochzuverlässiger Bereich – risikobewältigend (high-reliability – managing risk): In diesen Bereichen ist die Vorhersagbarkeit des Alltagsverlaufes etwas geringer, die meisten Verläufe sind jedoch vorhersagbar. Dies betrifft den Bereich der Stationen oder Arztpraxen. Die Tagesabläufe funktionieren nach gewohntem Gang, aber es gibt auch Situationen, in denen Entscheidungen getroffen werden müssen und abgewogen werden muss. Maßnahmen zur Unterstützung der Teamkommunikation und -interaktion werden benötigt (zum Beispiel strukturierte Übergaben, Klärung der Führungsrolle bei unvorhergesehenen Änderungen im Ablauf). Ebenso ist das Vorhalten von beschriebenen Prozessabläufen vor allem bei Abweichungen vom gewohnten Verlauf sinnvoll.
  • anpassungsfähiger Bereich – risikofreudig (ultraadaptive – embracing risk): In diesen Bereichen, zum Beispiel im OP, auf der Intensivstation, in der Notaufnahme, ändert sich der Alltag von Stunde zu Stunde. Diese Änderungen müssen bewältigt werden. Hier ist der Einsatz von Algorithmen nötig, die die Mitarbeitenden intensiv trainieren müssen (zum Beispiel das ABCDE-Schema in der Traumaversorgung), hinzu kommt die klinische Erfahrung und die Reflexion von Entscheidungsprozessen, zum Beispiel in Debriefings, diese sind von besonderer Bedeutung für sichere Abläufe.

Zusätzlich muss der Aktionsradius einer Maßnahme berücksichtigt werden. Es ist festzulegen, ob eine Maßnahme nur in einer oder in mehreren Abteilungen wirksam sein muss, ob sie die gesamte Einrichtung betrifft, oder ob sie auch Kooperation mit Externen (zum Beispiel mit Lieferanten und Herstellern) erfordert.

Das bedeutet, im Hinblick auf die Wirksamkeit von Präventionsmaßnahmen ist die Kombination aus Wirkstärke von Maßnahmen, Bereich der Patientenversorgung und Aktionsradius der Maßnahme zu beachten.

Abb. 3: Wirksamkeit von Maßnahmen in Abhängigkeit vom Verhalten [2].

Bereich Patientenversorgung

Art der Maßnahmen

Wirksamkeit der Maßnahmen (lt. Human Faktors)

Klärung: Aktionsradius Maßnahme

sicher/risikovermeidend (hoch standardisiert): Labor, Apotheke, Blutbank, …

Maßnahmen der Fehler­erkennung und -korrektur

stark: Prozessvereinfachung, technische Kontrollen und Sperren

mittel: Softwaremodifikationen

Kooperation mit externen Einrichtungen?

Betrifft die gesamte Einrichtung?

hoch zuverlässig/risikobewältigend (Verläufe vorher-sagbar): Stationen, Praxen, …

Unterstützung Teamkommunikation und -interaktion (strukturierte Übergaben, Führungsrolle, Beschreibung Prozessabläufe)

stark: Involvierung der Führungsebene, Standardisierung

mittel: Elimination von Ablenkung und „look alike-sound alike“, Vieraugenprinzip

Betrifft eine oder mehrere Fachabteilungen?

Betrifft die gesamte Einrichtung?

anpassungsfähig/risikofreudig (Alltag ändert sich stetig): OP, Intensivstat., Notaufnahme

Einsatz Algorithmen, klinische Erfahrung und Refle­xion von Entscheidungsprozessen (z. B. Debrifings)

stark: Prozessvereinfachung, technische Kontrollen und Sperren

mittel: Checklisten, kognitive Hilfen

schwach: Training

Betrifft die gesamte Einrichtung?

Kooperation mit externen Einrichtungen?

Abb. 4: Drei Bereiche der Patientenversorgung und die passenden Maßnahmen [2].

Fazit

Der Erfolg des Risikomanagements hängt nicht von einer Vielzahl von Maßnahmen und Vorgaben ab. Stattdessen ist die Prozess- und Ursachenanalyse Grundlage für die Ableitung von wenigen, aber gezielten Präventionsmaßnahmen. Die am Prozess beteiligten Mitarbeitenden sollten die grundlegenden Aufgaben gemeinsam erledigen: geeignete und wirksame Präventionsmaßnahmen auswählen, die Mitarbeitenden von der Notwendigkeit der Präventionsmaßnahmen überzeugen, die Verantwortlichkeiten festlegen.

Literatur

[1] ONR 49001:2014 Risikomanagement für Organisationen und Systeme – Umsetzung des internationalen Standads ISO 31000 in die Praxis.
[2] Michael St. Pierre, Gesine Hofinger, „Human Factors und Patientensicherheit in der Akutmedizin“ (3. Auflage), Berlin, Springer-Verlag, 2014.
[3] Charles Vincent, René Amalberti: „Safer Healthcare – Strategies for the Real World“, Springer Open, 2016: https://link.springer.com/content/pdf/10.1007%2F978-3-319-25559-0.pdf; abgerufen am 11.01.2021.

Hinke K: Safety Clip: Im Alltäglichen liegt das Risiko. Passion Chirurgie. 2021 März; 11(03): Artikel 04_03.

Safety Clip: Nutzung von Mediation oder mediativen Gesprächstechniken im Krankenhausalltag

Im Krankenhausalltag gibt es etliche Situationen, in denen Grundsätze der Mediation oder mediative Gesprächstechniken unterstützend genutzt werden können. Die folgenden Ausführungen enthalten Beispiele, in denen die Ist-Situation in der Kommunikation einem möglichen konstruktiven Einsatz der vorgenannten Techniken gegenübergestellt wird. Grundlage ist, durch Sensibilität beziehungsweise Empathie gegenüber PatientInnen, Angehörigen (beispielsweise bei Aufklärungsgesprächen) und Mitarbeitenden (zum Beispiel in der Konfliktbearbeitung), deren Bedürfnisse hervorzubringen, um (langfristig) tragfähige Lösungsoptionen zu finden, die den Forderungen aller beteiligten Personen bestmöglich gerecht werden. Ziel ist, diese Win-Win-Lösung zu erreichen und geeignete Maßnahmen zu ihrer Umsetzung zu vereinbaren.

Um Missverständnissen gleich vorzubeugen, sei hier erwähnt, dass es nicht um Meditation, Esoterik und/oder den Einsatz von Klangschalen geht. Bis vor einigen Jahren wurde das Instrument der Mediation damit noch gleichgesetzt.

Aspekte der Mediation

Mediation ist ein möglicher Weg zur einvernehmlichen Lösung von Konflikten innerhalb einer oder zwischen mehreren Parteien. Die Mediation kann als „Querschnittswissenschaft“ bezeichnet werden, da unter anderem Formen der Kommunikation und Gesprächstechniken in das Thema einbezogen werden.

Für Konflikte gibt es vielfältige Auslöser. Dazu gehören unterschiedliche Positionen, Werte und Sichtweisen. Diese füllen Begriffe wie Gerechtigkeit und Fairness mit unterschiedlichen Inhalten [1]. Auch der Faktor „Zeit“ wird unterschiedlich, mitunter auch verzerrt wahrgenommen, sodass eine zügige Lösung notwendig erscheint, um der Erwartungshaltung der Parteien nachzukommen.

Anfragen zur zügigen Konfliktlösung zeigen limitierende Faktoren auf [2], wie zum Beispiel

  • begrenzte Konflikte,
  • Finanzmöglichkeiten des Auftraggebers und/oder der Konfliktparteien,
  • Erfordernis kurzfristiger Lösungen aufgrund des Konfliktfeldes,
  • große Entfernungen zwischen den Konfliktparteien,
  • begrenzte Zeit für Mediation.

Das bedeutet für die Konfliktbehandlung:

  1. Verzerrungen, die aufgetreten sind, aufzeigen und wenn möglich korrigieren;
  2. Psychosoziale Mechanismen erkennen und wenn möglich verändern.

Dadurch wird eine Grundlage für eine dauerhafte Entspannung geschaffen. Andernfalls ist zu erwarten, dass über kurz oder lang erneut Wahrnehmungen konfliktbeladen verzerrt werden [3].

Rolle des Mediators

Die Rolle der Mediatorin/des Mediators wird durch drei wesentliche Punkte charakterisiert. Sie/Er tritt als neutrale, allparteiliche dritte Person auf, die das Gespräch zwischen den Parteien leitet und strukturiert. Er/Sie gibt den Konfliktparteien eine Anleitung, um eine eigene und langfristig tragfähige Lösung zu finden. Besonders wichtig ist, dass die MediatorIn ohne eigene Entscheidungskompetenz auftritt.

Grundsätze des Mediationsverfahrens

Ein Mediationsverfahren sollte klaren Grundsätzen folgen, damit es erfolgversprechend ist. Diese Grundsätze lauten:

  • Vertraulichkeit (Mediationsgesetz: Verpflichtung zur Verschwiegenheit)
  • Freiwilligkeit (Parteien nehmen aus eigenem Entschluss an den Gesprächen teil)
  • Selbstbestimmung (eigenverantwortlich eigene und individuelle Lösungen vereinbaren)
  • Informiertheit (ausreichende, umfassende Information aller Konfliktparteien)
  • Ergebnisoffenheit (Raum für alternative und kreative Lösungen schaffen)

Ablauf der Kurzzeit-Mediation (KZM) und die Möglichkeit der Nutzung im Krankenhausalltag

Unter der Kurzzeit-Mediation wird in der Regel eine Mediation mit einer Dauer von zwei bis maximal acht Stunden an ein bis zwei Tagen verstanden. Voraussetzung dafür ist ein begrenzter Konflikt, der die Lösung an einem Tag zulässt. Ein Mediator muss daher zwingend über ein gutes Zeitmanagement bei seiner Vorbereitung, Ablaufplanung der KZM und der Nachbearbeitung verfügen. Jedoch darf es sich auch unter Zeitdruck nicht um die „Light-Version“ einer Mediation handeln – beispielsweise müssen Veränderungen jederzeit möglich sein [4]. Die Kurzzeit-Mediation läuft im Grunde genauso ab wie eine klassische Mediation.

Hier ein Auszug aus dem Phasenmodell nach Rabe/Wode [5]:

  • Phase 0: Auftrag oder Vorlaufphase
  • Phase 1: Wie wollen wir miteinander reden? (Spielregeln, Erwartungen…)
  • Phase 2: Was soll erörtert werden? (Themensammlung)
  • Phase 3: Was steckt dahinter? (Positionen, Interessen, Bedürfnisse) – dies ist der Kern der Mediation
  • Phase 4: Optionen verhandeln und entscheiden (Lösungsoptionen sammeln – Bewertung anhand bearbeiteter Bedürfnisse und Kriterien)
  • Phase 5: Verbindliche Vereinbarung (Lösungsoption, die allen Kriterien der Parteien bestmöglich entspricht)

Praxisbeispiel 1

Konflikt zwischen dem Chefarzt der Zentralen Notaufnahme und dem Chefarzt der Anästhesiologie im Hinblick auf die Zuständigkeiten innerhalb der Zentralen Notaufnahme eines Krankenhauses

Der Chefarzt der Abteilung für Anästhesiologie ist bereits seit vielen Jahren im Krankenhaus tätig. Vor kurzer Zeit wurde die Position des Chefarztes für die Zentrale Notaufnahme von der Geschäftsführung erstmalig mit einem neuen ärztlichen Kollegen besetzt. Der Chefarzt der Zentralen Notaufnahme soll die bauliche und organisatorische Neugestaltung dieses Arbeitsbereiches maßgeblich beeinflussen. Davon sind unter anderem bestehende Zuständigkeiten, zum Beispiel der Abteilung für Anästhesiologie, betroffen. Die Situation ist konfliktbehaftet, eine Mediation soll zur Klärung der Positionen, Neuorientierung und Vereinbarung von beiderseitig akzeptierten Lösungen beitragen.

Nach der Abstimmung des konkreten Auftrages sowie Festlegung von Dauer, Kosten und Regeln der Mediation (mit einem externen Mediator) werden beide Konfliktparteien zum Gespräch eingeladen. Grundvoraussetzung ist, dass beide Konfliktparteien bereit sind, gemeinsam an dem Termin teilzunehmen und einen Kompromiss auszuhandeln. Die Themen sind bereits aus der Vorlaufphase bekannt, sodass die Phase 2 „Themensammlung“ abgekürzt werden kann (Themen auf Zuruf, Einrichtung eines „Parkplatzes“ für weniger wichtige Themen). Der Schwerpunkt der Mediation liegt auf der Phase 3 „Interessen und Bedürfnisse“ und der Phase 4 „Lösungsfindung“. Hierzu werden beide Konfliktparteien gezielt befragt, um Positionen und Gefühle der Beteiligten zu sammeln, aus diesen dann die Bedürfnisse abzuleiten und daraus Kriterien zu definieren. Ziel ist es, die bestmögliche Übereinstimmung der Konfliktparteien zu Lösungsoptionen für eine zielführende Patientenversorgung in der Zentralen Notaufnahme herauszuarbeiten und schriftlich zu fixieren. Um den Prozess zu beschleunigen, ist es wichtig, die Phase 4 den Parteien inhaltlich gut zu erklären. Dazu gehört die Gewichtung der Lösungsoptionen. Wichtig ist ferner, vorläufige Zwischenergebnisse zu fixieren.

Für die Übergänge von einer in die nächste Phase wird der sogenannte Viererschritt (nach Krabbe) [6] genutzt:

  1. Wertschätzung des gerade abgearbeiteten Schrittes
  2. Erklärung des nächsten Schrittes
  3. Überprüfung des Verstandenen
  4. Erlaubnis bzw. Zustimmung der Beteiligten für den nächsten Schritt einholen.

In der fünften Phase erfolgt die Abschlussvereinbarung. Darin sind auch Überprüfungs- und Veränderungsoptionen einzubringen. Offene Punkte (zum Beispiel vom „Parkplatz“) und der Umgang hiermit können an dieser Stelle ebenfalls festgelegt werden.

Ansätze mediativer Gesprächstechniken und der Bezug auf den Krankenhausalltag

Welche Aspekte bei der Kommunikation in der Regel sichtbar sind und welche weiteren Aspekte oft im Verborgenen liegen und daher auf den ersten Blick unsichtbar sind, zeigt die folgende Abbildung des Eisbergmodells (Ursprung Sigmund Freud) [7]:

Die Abbildung 1 [8] zeigt deutlich, dass bei der Kommunikation nur ein geringer Anteil über die Fakten- und Sachebene (ca. 20 Prozent) bewusst vermittelt wird – der weitaus größere Anteil liegt unbewusst im Bereich der Beziehungsebene.

Abb. 1: Eisbergmodell (Ursprung Sigmund Freud) [7]

Dies ist unter anderem der Grund dafür, dass relativ schnell Missverständnisse entstehen, weil die Aufnahme von Botschaften und Informationen stark von Gefühlen, Stimmungen, Wertvorstellungen und Interpretationen beeinflusst wird. Zusätzlich ist das Verhältnis der betroffenen Personen zueinander von Bedeutung. Die Wirkung des Tonfalls sowie der Gestik und Mimik ist bei der Übermittlung von Informationen nicht zu unterschätzen. Im Extremfall kann eine fehlende oder unzureichende Berücksichtigung der Beziehungsebene bei der Kommunikation zur Folge haben, dass Aussagen komplett unterschiedlich aufgenommen werden – mit entsprechend negativen Auswirkungen in der Zukunft.

Eine der mediativen Techniken ist die Gewaltfreie Kommunikation (GFK). Die Gewaltfreie Kommunikation ist ein Handlungskonzept, das von Marshall B. Rosenberg [8] entwickelt wurde. Grundlage dabei ist, dass die Beobachtung von der Bewertung getrennt wird. Die Bewertung der Beobachtung wird von der betroffenen Person als Kritik bzw. Vorwurf gewertet und hat daher negative Auswirkungen auf die weitere Kommunikation. Dieses Vorgehen steht im Widerspruch mit einer friedlichen Konfliktlösung. Die Beobachtung löst ein Gefühl aus, das mit einem oder mehreren Bedürfnissen in Verbindung steht. Daraus geht die Bitte einer konkreten Handlung hervor. Ziel ist der wertschätzende Umgang miteinander und die friedliche Konfliktlösung.

Praxisbeispiel 2

Ein Aufklärungsgespräch

Nicht selten wird von ÄrztInnen im Krankenhaus beschrieben, dass PatientInnen nach einem Aufklärungsgespräch entweder

  • immer wieder gleiche oder ähnlich lautende Fragen zum Eingriff oder der Therapie stellen oder
  • sich schwertun, eine Entscheidung zur Durchführung zum Beispiel eines großen, schwerwiegenden operativen Eingriffs oder einer Therapie mit zum Teil massiven und langfristigen Auswirkungen auf die weitere Lebensführung zu treffen.

Die Situation in Krankenhäusern sieht oft so aus, dass ÄrztInnen relativ wenig Zeit für die Durchführung von Aufklärungsgesprächen zur Verfügung haben. Je nach Berufserfahrung beeinflusst dies das Verhalten im Aufklärungsgespräch. Zeitlich eingeschränkte Ressourcen werden zumindest von einem Teil der PatientInnen wahrgenommen. Eine Konsequenz ist, dass weniger Fragen von PatientInnen gestellt werden. Dem gegenüber steht die Erwartungshaltung der PatientInnen, aussagefähige Informationen über den operativen Eingriff oder die geplante Therapie zu erhalten, inklusive möglicher Auswirkungen für die Zukunft.

Nicht selten besteht eine Diskrepanz zwischen der zur Verfügung stehenden Zeit für das Aufklärungsgespräch und dem Umfang der dabei zu vermittelnden Informationen über den operativen Eingriff oder die Therapie. Die Darlegung der Auswirkungen und Konsequenzen des operativen Eingriffs oder der Therapie auf die persönliche Patientensituation ist eine zusätzliche Herausforderung. Das vorgestellte Szenario ist noch um die überwiegend mündlichen Aussagen in Aufklärungsgesprächen zu ergänzen. Ob und inwieweit die PatientInnen die Ausführungen des Aufklärungsgespräches verstanden hat, wird direkt im Gespräch nicht immer deutlich.

Besonders relevant ist das Verständnis der Aufklärungsinhalte bei den oben genannten großen, schwerwiegenden operativen Eingriffen oder einer Therapie mit zum Teil massiven und langfristigen Auswirkungen auf die weitere Lebensführung. Je nach bisherigem Informations- oder Kenntnisstand der PatientInnen können nach der Diagnose Gefühle wie Angst (Wie geht es mit der Versorgung der Kinder zuhause weiter? Wie ist es um meine Existenz bestellt? Kann ich meinen Beruf weiter ausüben?) die Aufnahme weiterer Inhalte des Aufklärungsgesprächs abrupt verhindern. Die konkreten Aufklärungsinhalte zum operativen Eingriff/zur Therapie werden von den PatientInnen nicht wahrgenommen, weil sie/er gedanklich in Ängsten verhaftet ist. Zum Teil erzeugt die Gestik der PatientInnen, zum Beispiel durch Kopfnicken, aber den falschen Eindruck beim aufklärenden Arzt, das Gesagte verstanden zu haben.

Präventionsmaßnahmen bei der Vermittlung von OP- und Therapie-Inhalten in Aufklärungsgesprächen:

  • Neben der Struktur von Aufklärungsbögen sollten Mitarbeitende im Arztdienst eine Struktur/ein Raster für sich festlegen, in welcher Form Aufklärungsinhalte an die PatientInnen weitergegeben werden (ruhige Gesprächsatmosphäre, aktives Zuhören, Nutzung verständlicher Formulierungen, Zeit für Nachfragen der PatientInnen einplanen).
  • Nach jedem relevanten Aufklärungsaspekt sollte die Frage an die PatientInnen gestellt werden, ob sie dies verstanden haben und mit dem Vorgehen einverstanden sind. Dieses Vorgehen kann in einem klinikübergreifenden Aufklärungsleitfaden verbindlich festgelegt werden und gegebenenfalls die Nachweisführung des Krankenhauses erleichtern.
  • Das Stellen „offener Fragen“ im Hinblick auf die Bedürfnisse und die persönliche Situation der PatientInnen gibt Hinweise auf Erwartungen. Diese sollten soweit möglich vorab beantwortet werden.
  • Stellen von W-Fragen (wer, wie, was, warum?) trägt zum grundlegenden Verständnis für die Situation der PatientInnen bei; Nachfragen unterstützen den Gesprächsprozess.
  • Die Aufklärung von PatientInnen sollte vor großen, schwerwiegenden operativen Eingriffen oder Therapien in abgestufter Form und an verschiedenen Tagen erfolgen. Hilfreich ist bei diesen Aufklärungsgesprächen, eine Vertrauensperson der PatientInnen einzubeziehen. Der/die PatientIn sollte gebeten werden, wichtige Fragen vor dem Aufklärungsgespräch aufzuschreiben. Von diesem Vorgehen sind Notfalleingriffe ausgenommen. Das genannte Vorgehen wird in Kliniken bereits häufig umgesetzt.
  • Die Nutzung verschiedener kommunikativer Eingangskanäle erhöht bei PatientInnen die Aufnahmequote im Hinblick auf die Aufklärungsinhalte. Neben dem eigentlichen Gespräch ist die Ansicht von Zeichnungen und Modellen zu empfehlen, damit der/die PatientIn einen optischen Eindruck vom Aufbau des Organs und dem Vorgehen bei der geplanten Operation erhält. In einigen Kliniken können sich PatientInnen vor der Aufklärung kurze Filmsequenzen ansehen, in denen der Ablauf der OP dargestellt wird.

Fazit

Die Nutzung der Mediation und der Einsatz mediativer Gesprächstechniken sollte im Krankenhausalltag weiter ausgebaut werden, um negative Auswirkungen auf Arbeitsabläufe aufgrund schwelender Konflikte zu vermeiden. Der Einsatz gezielter Fragetechniken führt dazu, dass Gefühle ausgesprochen werden. Hieraus können in der weiteren Bearbeitung Bedürfnisse und schlussendlich passende Kriterien für tragfähige Lösungsoptionen (Win-win-Lösungen) abgeleitet werden. Mediative Gesprächstechniken können darüber hinaus generell in der Kommunikation genutzt werden, da sie dem Abbau von Barrieren dienen und zur konkreten Klärung von Sachverhalten beitragen.

Literatur

[1] Rabe, Christine Susanne und Wode, Martin (2016): Mediation, 2. überarbeitete Auflage, Verlag im Ludwig-Harms-Haus GmbH Hermannsburg, Südheide, S. 2ff.

[2] Krabbe, Heiner, Kurzzeit-Mediation, in: Heiner Krabbe und Roland Fritz (2009): Die Kurzzeit-Mediation und ihre Verwendung in der gerichtsinternen Praxis Teil 1, Zeitschrift für Konfliktmanagement. Heft 2009, S. 136–139.

[3] Glasl, Friedrich (2004): Konfliktmanagement. Ein Handbuch für Führungskräfte, Beraterinnen und Berater, 8. aktualisierte und ergänzte Auflage, Paul Haupt, Bern, Stuttgart, Wien; Freies Geistesleben Stuttgart, S. 42.

[4] Krabbe, Heiner und Fritz, Roland (2011): Gerichtsinterne Mediation – Der Faktor „Zeit“ Teil 1 und Teil 2, in NVwZ 7/2011, S. 396–400.

[5] Rabe/Wode, Mediation, S. 2ff.

[6] Krabbe, Gerichtsinterne Mediation, S. 396–400.

[7] Windolph, Andrea und Blumenau, Alexander: Das Eisbergmodell, („Projekte leicht gemacht“ – virtual education for professionals), im Internet unter: https://projekte-leicht-gemacht.de/blog/pm-methoden-erklaert/das-eisbergmodell/; letzter Abruf: Mittwoch, 26.08.2020, 09:21.

[8] Windolph/Blumenau, a.a.O.

[9] Gewaltfreie Kommunikation – eine Sprache des Lebens, im Internet unter: https://www.fachverband-gfk.org/ueber-uns/ueber-gewaltfreie-kommunikation, letzter Abruf: Mittwoch, 26.08.2020, 09:26 Uhr.

Bücher zum Thema

  • Gewaltfreie Kommunikation – eine Sprache des Lebens, im Internet unter: https://www.fachverband-gfk.org/ueber-uns/ueber-gewaltfreie-kommunikation; letzter Abruf: Mittwoch, 26.08.2020, 09:26 Uhr.
  • Glasl, Friedrich (2004): Konfliktmanagement. Ein Handbuch für Führungskräfte, Beraterinnen und Berater, 8. aktualisierte und ergänzte Auflage, Paul Haupt, Bern, Stuttgart, Wien und Freies Geistesleben, Stuttgart.
  • Krabbe, Heiner, Kurzzeit-Mediation, in: Heiner Krabbe und Roland Fritz (2009): Die Kurzzeit-Mediation und ihre Verwendung in der gerichtsinternen Praxis Teil 1, Zeitschrift für Konfliktmanagement. Heft 2009, S. 136–139.
  • Krabbe, Heiner und Fritz, Roland (2011): Gerichtsinterne Mediation – Der Faktor „Zeit“, in: NVwZ 7/2011, S. 396–400.
  • Rabe, Christine Susanne und Wode, Martin (2016): Mediation, 2. überarbeitete Auflage, Verlag im Ludwig-Harms-Haus GmbH Hermannsburg, Südheide.
  • Windolph, Andrea und Blumenau, Alexander: Das Eisbergmodell, („Projekte leicht gemacht“ – virtual education for professionals), im Internet unter: https://projekte-leicht-gemacht.de/blog/pm-methoden-erklaert/das-eisbergmodell/; letzter Abruf: Mittwoch, 26.08.2020, 09:21.

Hinke K: Safety Clip: Nutzung von Mediation oder mediativen Gesprächstechniken im Krankenhausalltag.Passion Chirurgie. 2020 November; 10(11): Artikel 04_04.

Safety Clip: Unangekündigte Sicherheits- und Risikoanalysen

Praxisbegleitungen in Krankenhäusern

Nicht erst seit dem Brustimplantate-Skandal steht das System der Konformitätsbewertung von Medizinprodukten in der Öffentlichkeit (neben dem Pflichtverstoß des Herstellers) in der Kritik. Die Medizinprodukterichtlinien (Erstveröffentlichung 1993) sind bereits im Jahr 2007 überarbeitet worden. 2013 hat die EU-Kommission eine Empfehlung zu Audits und Bewertungen von Medizinprodukten durch „benannte Stellen“ veröffentlicht (2013/437/EU, 24.09.2013). Ein „Joint Action Plan“ der EU räumt eben diesen Stellen u. a. das Recht ein, Audits in Krankenhäusern auch unangekündigt vorzunehmen. Von diesem Recht, heißt es hier, sei umfassend Gebrauch zu machen. Damit greift die EU-Kommission einen Passus der Medizinproduktelinien auf, der ebenfalls bereits seit Veröffentlichung unangekündigte Audits in einem Abstand von mindestens fünf Jahren vorsieht.

Die – unangekündigte – stichprobenartige Prüfung von Qualitätsmanagementsystemen (QM-Systemen) durch benannte Stellen hat folgende Ziele:

  • Analyse, ob bzw. inwieweit Medizinproduktehersteller konform zu ihrem QM-System arbeiten (gemäß ISO 13485)
  • schnelle Identifikation von Abweichungen und Einleitung von Reorganisationsmaßnahmen
  • zuverlässiges Aufdecken von Betrugsversuchen

Die Idee, unangekündigte Sicherheits- und Risikoanalysen/Praxisbegleitungen zur Bewertung der Patientensicherheit im Krankenhaus durchzuführen, hatte vor ca. drei Jahren auch ein Kunde der GRB Gesellschaft für Risiko-Beratung mbH. Die GRB-Beraterinnen und -Berater griffen diese auf und machten sich daran, die Voraussetzungen dafür inhaltlich zu definieren. Festgelegt wurde u. a., dass den unangekündigten Sicherheits- und Risikoanalysen in den zu prüfenden Arbeitsbereichen (OP, Abteilung oder Klinik, z. B. in der Geburtshilfe) eine angekündigte Erstanalyse zur Erfassung der Ist-Situation im Hinblick auf die Patientensicherheit vorauszugehen hat. Damit wird das Ziel verfolgt, die beteiligten Mitarbeitenden mit dem Thema „Patientensicherheit“ und allen Aspekten, die in diesem Zusammenhang von Bedeutung sind, vertraut zu machen.

In einem nachfolgend erstellten Bericht werden die bestehenden Risiken und Verbesserungspotenziale sowie die bereits erfolgten Präventionsmaßnahmen aufgeführt. Der Bericht enthält zudem die Empfehlungen der GRB zur Bewältigung der Risiken und zur Umsetzung von Verbesserungen. Neun bis 15 Monate nach der Erstanalyse wird dann, ebenfalls vorab angekündigt, eine sogenannte Evaluation zur Erstanalyse durchgeführt. Dabei wird der Umsetzungsgrad der in der Erstanalyse definierten Empfehlungen der GRB bewertet und in einem erneuten Bericht beschrieben.

Erst etwa ein Jahr danach kann dann eine unangekündigte Sicherheits- und Risikoanalyse erfolgen. Es liegt in der Natur der Sache, dass diese unangekündigten Audits zu verschiedenen Zeiten durchgeführt werden, tags, nachts oder auch am Wochenende. Diese Begehungen sollen alle zwei bis maximal drei Jahre stattfinden.

Folgende Ziele werden dabei u. a. verfolgt:

  • Prüfung der Praxistauglichkeit bestehender Vorgaben/Standards zur Patientensicherheit
  • Prüfung, ob die Vorgaben/Standards zur Patientensicherheit eingehalten werden, sowie Ursachenrecherche bei Nichtbefolgung
  • Prüfung, ob und inwieweit die zur Patientensicherheit eingesetzten Instrumente (z. B. OP-Sicherheitscheckliste in der OP-Abteilung) nachhaltig sind, sowie Prüfung der Mitarbeitermotivation, diese einzusetzen
  • zeitnahes Erkennen von Abweichungen und Einleitung von Reorganisationsmaßnahmen

Ursprung unangekündigter Sicherheits- und Risikoanalysen/Audits im Krankenhaus

Pate für das Modell der GRB stand die US-amerikanische Non-Profit-Organisation JCAHO (Joint Commission on Accreditation of Healthcare Organizations), die Krankenhäusern und anderen Gesundheitsdienstleistern in den USA Akkreditierungen anbietet, anhand derer – im Rahmen von angekündigten und unangekündigten Audits – die Ausstattung sowie die verwendeten Verfahren untersucht und bewertet werden. Für die fortlaufende Vorbereitung der Organisation auf diese im Dreijahresabstand stattfindenden Überprüfungen sind in den amerikanischen Kliniken beschäftigte Qualitäts- und Akkreditierungsbeauftragten zuständig. Besonders die unangekündigten Audits dienen der JCAHO als Instrument, um zu eruieren, ob die implementierten Prozesse bei der Behandlung und Versorgung der Patienten dauerhaft zuverlässig funktionieren. Die Gesundheitsdienstleister müssen also nach einer angekündigten Sicherheits- und Risikoanalyse und nach Abschluss der Evaluation (ca. ein Jahr später) jederzeit mit einer solchen unangekündigten Praxisbegehung rechnen.

Rahmenbedingungen

Wie beim amerikanischen Vorbild gilt auch hierzulande: Die Leitungsebene (Chefärzte/-ärztinnen, Pflegedienstleitung, Abteilungsleitungen usw.) wird in einer zentralen Veranstaltung krankenhausintern darüber in Kenntnis gesetzt, dass es grundsätzlich zu solchen unangekündigten Audits kommen kann. Über konkrete Zeitpunkte, betroffene Arbeitsbereiche oder Inhalte der Analyse wird freilich keine Information weitergegeben.

Die unangekündigten Sicherheits- und Risikoanalysen/Praxisbegleitungen sollten auf Wunsch des o. g. GRB-Kunden von einem externen Beratungsunternehmen vorgenommen werden. Die Organisation (Auswahl der Themen und Arbeitsbereiche, Zeitfenster usw.) und Durchführung (Startzeitpunkt, Aufgabenverteilung usw.) werden allerdings vorab mit einem/einer Mitarbeitenden der Gesundheitseinrichtung aus dem Bereich Qualitäts-/Risikomanagement abgestimmt bzw. festgelegt. Dieser/diese begleitet dann auch den gesamten Prozess des unangekündigten Analyseverfahrens. Dies ist empfehlenswert, um beispielsweise den Eintritt in Arbeitsbereiche mit begrenzter Zugangsmöglichkeit (z. B. OP-Abteilung) zu gewährleisten, oder auch aus Datenschutzgründen (Sicherheit für die Mitarbeitenden, dass sich keine unberechtigte Person im Arbeitsbereich aufhält).

Denkbar ist auch, dass der Bereich Qualitäts- und Risikomanagement im Krankenhaus selbst unangekündigte Sicherheits- und Risikoanalysen/Praxisbegleitungen vornimmt (z. B. um sich einen Überblick zur Umsetzung von bekannten Kennzahlen zu verschaffen). Sich jedoch bewusst zu entscheiden, ein externes Beratungsunternehmen für angekündigte und unangekündigte Begutachtungen hinzuzuziehen, hat u. a. den Vorteil, dass eine unabhängige (nicht „betriebsblinde“) Prüfung erfolgt. Zudem sind spezialisierte Beratungsdienstleister in der Regel auf dem neuesten Stand, was aktuelle Standards und/oder Gesetze betrifft, sodass die Mitarbeitenden von einem Informationsgewinn profitieren können.

Im Laufe einer unangekündigten Sicherheits- und Risikoanalyse/Praxisbegleitung kann Kontakt zu den leitenden Mitarbeitenden des jeweiligen Arbeitsbereiches aufgenommen werden, um ihnen ein kurzes Feedback anzubieten. In der Praxis hat es sich immer wieder gezeigt, dass dieses Angebot gerne wahrgenommen wird, weil so zeitnah und auf direktem Weg ein Informationsfluss erfolgt. Ein Kurzbericht wird im Anschluss an die Analyse erstellt.

Gründe für die Durchführung unangekündigter Sicherheits- und Risikoanalysen

Einige Gründe, die für unangekündigte Sicherheits- und Risikoanalysen sprechen, sind bereits unter „Einleitung und Zielsetzung“ aufgeführt. Dennoch soll an dieser Stelle auf zwei weitere wichtige Aspekte eingegangen werden, die entscheidend zur Akzeptanz der notwendigen Maßnahmen in der Belegschaft beitragen:

  1. der Austausch auf Augenhöhe und
  2. die Umsetzung praxisorientierter Handlungsweisen.

Ein sehr bedeutsamer Aspekt ist der Austausch auf Augenhöhe zwischen den Praktikern und den Personen, die eine unangekündigte Sicherheits- und Risikoanalyse durchführen. Werden z. B. unter Umständen bestehende Störungen bzw. widrige Umstände im Tagesgeschäft zur Kenntnis genommen und besprochen, wird den Mitarbeitenden im jeweiligen Arbeitsbereich auch eine Wertschätzung gegenüber ihrer Tätigkeit entgegengebracht. So kann der Einsatz des Instrumentes dazu beitragen, die oft beklagte Entfernung zwischen Theorie und Praxis zu verringern.

Positiv ist zudem, dass diese Art der Analyse und Bewertung ihren Ursprung nicht etwa in Negativerfahrungen – wie dem eingangs aufgeführten Brustimplantate-Skandal – hat, sondern dass es hier, über die Prüfung hinaus, auch und vor allem um das Aufgreifen innovativer Gedanken und die Umsetzung praxisorientierter Handlungsweisen geht. Dieser proaktive Gedanke sorgt bei den Mitarbeitenden für eine Akzeptanz der zu ergreifenden Maßnahmen, was die Durchdringung im Arbeitsalltag erfahrungsgemäß deutlich verbessert.

Nicht unerwähnt bleiben sollte an dieser Stelle, dass eine Vernetzung der Auditierungsmaßnahmen mit anderen RM-Instrumenten wie beispielsweise dem CIRS (Critical Incident Reporting System) möglich ist und durchaus auch sinnvoll sein kann. Konkret könnte das so aussehen, dass aus anonymen CIRS-Meldungen abgeleitete Präventionsmaßnahmen (z. B. Vorgaben zur Kontrolle ärztlicher Anordnungen von Medikamenten auf einem neuen Kurvenblatt) im Hinblick auf ihre Praxistauglichkeit analysiert werden.

Ein Beispiel aus der Praxis

Das Kurvenblatt in unserem Beispiel-Krankenhaus enthält eine extra Spalte für die zuständigen Stationsärzte/-ärztinnen, in der diese per Handzeichen bestätigen sollen, dass die auf dieses neue Kurvenblatt übertragenen Medikamentenangaben korrekt sind. Bei späterer Durchsicht der Patientenkurven wird jedoch festgestellt, dass das ärztliche Handzeichen in der Spalte fast immer fehlt. Eine direkte Nachfrage bei den Ärztinnen und Ärzten ergibt, dass sie die Richtigkeit der auf das neue Kurvenblatt übertragenen Medikamentenangaben üblicherweise nicht in der dafür vorgesehenen Extra-Spalte, sondern in einer Spalte direkt neben dem einzelnen Medikamenteneintrag per Handzeichen bestätigen. Nachdem die Analyse die Unstimmigkeit offengelegt hatte, wurde dieser Prozessschritt praxisorientiert angepasst (inkl. Erläuterung des Vorgehens an zentraler Stelle) und die zusätzliche Spalte wurde aus dem Kurvenblatt entfernt.

Anders als die üblichen Analysen und Audits, bei denen in der Regel der Gesamtprozess betrachtet wird, bieten unangekündigte Risiko- und Sicherheitsanalysen/Praxisbegleitungen gezielter die Möglichkeit, den Blick auch auf kleinere Prozesse oder (bedeutsame) Teilprozesse zu richten (z. B. Ablauf Team-Time-out im OP, Ersteinschätzung von gehfähigen Notfallpatienten/-patientinnen in der Notaufnahme). Dieses Vorgehen beinhaltet damit die Chance, aus der Analyse Ableitungen für den Gesamtprozess zu erarbeiten und die Organisationsentwicklung im jeweiligen Tätigkeitsbereich voranzutreiben. Stellt sich bei der unangekündigten Sicherheits- und Risikoanalyse/Praxisbegleitung umfangreicher Handlungsbedarf heraus, kann dies der Ausgangspunkt sein, eine Neubewertung und -bearbeitung aller Facetten des Gesamtprozesses vorzunehmen.

Mögliche Themen/Aspekte für unangekündigte Sicherheits- und Risikoanalysen

Die Auswahl der Themen/Aspekte für unangekündigte Sicherheits- und Risikoanalysen richtet sich hauptsächlich nach den Gegebenheiten/Spezialisierungen in den jeweiligen Arbeitsbereichen, Abteilungen und/oder Kliniken. Auch Neuerungen bzw. Änderungen in den Abläufen können Auslöser für eine solche Analyse sein.

Folgende Themen/Aspekte könnten für eine unangekündigte Analyse geeignet sein:

  • Medikationsmanagement: Analyse von Prozessteilen (ärztliche Anordnung, Dokumentation der Anordnung, Ausgabe der Medikamente etc.) oder, je nach Zeitressourcen, des Gesamtprozesses
  • Notaufnahme: Ablauf bei der Ersteinschätzung gehfähiger Notfallpatienten/-patientinnen spezieller Fachabteilungen (z. B. HNO, Augenheilkunde, Psychiatrie)
  • Onkologische Ambulanz: Vorgehen bei ausgelaufener Zytostatika-Flüssigkeit (z. B. sinnvolle Aufbewahrung von Paravasat-Set und Spill-Kit; Vermeidung von Kontaminationen bei vielen zeitgleichen Behandlungen auf engem Raum)
  • Patientenbezogene Dokumentation: Umgang mit Patientenverfügungen, Vorsorgevollmachten usw. (Abfrage, Verfügbarkeit, ärztliche Prüfung, Ableitung von Konsequenzen aus Verfügungen, Transparenz und Einhaltung der abgeleiteten Konsequenzen)

Vorgehen bei der Analyse und Effekte auf die praktische Arbeit

Die Analyse startet mit einer kurzen Vorstellung bei den schichtführenden Mitarbeitenden (Ärzteschaft, Pflegende, Therapeutinnen und Therapeuten). Danach werden, je nachdem, welche Themen/Aspekte ausgewählt wurden, zunächst die entsprechenden Unterlagen gesichtet. Mitarbeitende der zu begutachtenden Arbeitsbereiche werden, sofern gewünscht und zeitlich möglich, in die Analyse einbezogen.

Ein ganz wesentlicher Bestandteil der Analyse ist die Praxisbegleitung, bei der Abläufe im Detail angesehen werden. Ein Beispiel aus der Praxis der GRB: In einer onkologischen Ambulanz wurden, wie oben bereits kurz angeführt, Paravasat-Set und Spill-Kit an unterschiedlichen Orten aufbewahrt. Daraus resultierten unnötige Wege für die Mitarbeitenden. Zudem bestand bei ausgelaufener Zytostatika-Flüssigkeit aufgrund der räumlichen Enge im Arbeitsbereich das Risiko, dass Mitpatienten/-patientinnen kontaminiert werden.

Der Bericht zur unangekündigten Sicherheits- und Risikoanalyse in o. g. Fall enthielt neben einer Übersicht über die potenziellen Risiken bei auslaufender Zytostatika-Flüssigkeit auch eine Beschreibung der im konkreten Fall bereits vorhandenen Präventionsmaßnahmen im Zusammenhang mit der Zytostatika-Therapie. Empfohlen wurden Maßnahmen, um die Aufbewahrung von Paravasat-Set und Spill-Kit zu optimieren. Zusätzlich wurde eine Simulationsübung zum Vorgehen bei auslaufender Zytostatika-Flüssigkeit angeregt, um den Umfang der erforderlichen Präventionsmaßnahmen zu erkennen und deren Umsetzung in der Praxis zu veranlassen.

Gesagt, getan: Nach Vorlage des Berichtes führten die in der onkologischen Ambulanz tätigen Mitarbeitenden eine Simulationsübung durch (begleitet vom Qualitäts- und Risikomanagement). Anschließend wurden die Abläufe bei der Gabe von Zytostatika-Infusionen neu koordiniert (inklusive Änderung des Aufbewahrungsortes für Paravasat-Set und Spill-Kit).

Zusammenfassung

Bei der Durchführung von unangekündigten Sicherheits- und Risikoanalysen ist ein besonderes Augenmerk auf die Praxisbegleitung zu legen, soweit dies möglich ist. Die Praxisbegleitung kann und sollte dazu genutzt werden, den Blickwinkel der/des Mitarbeitenden im Hinblick auf die Patientensicherheit zu beeinflussen. Klarzustellen ist, dass mit dieser Art von Analysen lediglich stichprobenartig Themen/Aspekte bearbeitet werden, und sie daher als Ergänzung zu anderen Verfahren anzusehen sind. Weitere Vorteile solcher Analysen sind, dass Praktikern prospektiv Instrumente zur Bearbeitung relevanter Themen an die Hand gegeben werden, die von ihnen selbst aktiv genutzt werden können. Über die reine Prüfung von Sachverhalten hinaus liegt hier ein Schlüssel zur Mitarbeitermotivation. Außerdem wird auf diese Weise das kontinuierliche Hinterfragen der eigenen Tätigkeit etwas „ganz Normales“ bei der täglichen Arbeit.

Literatur

[1] TÜV SÜD, „Was Sie über unangekündigte Audits wissen sollten“ (Fragen und Antworten FAQ)

Hinke K. Safety Clip: Unangekündigte Sicherheits- und Risikoanalysen. Passion Chirurgie. 2018 November, 8(11): Artikel 04_01.

Safety Clip: OP-Sicherheitscheckliste und präoperative Checkliste – Nützlich oder lästig?

Umsetzung und Nutzen in der täglichen Krankenhauspraxis

Die OP-Sicherheitscheckliste ist ein Instrument, das der Erhöhung der Patientensicherheit dient. Der Nutzen ist belegt. Im Rahmen von Studien [1, 2] hat sich gezeigt, dass die Nutzung einer OP-Sicherheitscheckliste die perioperative Morbidität und Mortalität nachweislich reduziert. Trotz heute vorliegender, gut nachvollziehbarer und einsichtiger Argumente, die für einen standardisierten Einsatz von Checklisten sprechen, werden OP-Sicherheitschecklisten in den Krankenhäusern nach wie vor in unterschiedlicher Form und in unterschiedlichem Umfang genutzt.

Einer der Gründe dafür könnte sein, dass viele Krankenhäuser bei der Einführung von OP-Sicherheitschecklisten den Schwerpunkt eher darauf legten, eine zusätzliche, die üblichen Abläufe ergänzende Maßnahme zu implementieren, als darauf, die Prozesse kontrolliert neu zu organisieren. Zudem wurde den beteiligten Mitarbeitenden nicht immer hinreichend deutlich vermittelt, welche Grundgedanken die Checkliste verfolgt, nämlich u. a. die Intensivierung der interprofessionellen Zusammenarbeit, unabhängig von der Stellung im hierarchischen Gefüge der OP-Abteilung bzw. des Krankenhauses.

Die Umsetzung der Checklistenvorgaben hängt stark davon ab, welche Leitungs- bzw. Kommunikationsstrukturen im Krankenhaus herrschen. Entsprechend unterschiedlich ist die Umsetzung der Checklistenvorgaben in den einzelnen Krankenhäusern ausgeprägt. Wie erwähnt, liegen die Gründe für eine unzureichende Nutzung der Checkliste häufig in bereits vor ihrer Einführung existierenden Vorgehensweisen bei Arbeitsschritten, die in der Liste aufgeführt sind. Während die geforderte interprofessionelle Zusammenarbeit beispielsweise beim Part „Team-Time-Out“ in der Regel gut funktioniert, da sie für diesen Arbeitsschritt Voraussetzung ist, hapert es beim Part „Einschleusung des Patienten“ vielfach. Oft ist es auch nach Einführung der Checkliste üblich, dass nur ein einziger Mitarbeiter allein die Abfrage der definierten Kriterien vornimmt.

Die Praxis zeigt also, dass allein die Vorgabe an die Mitarbeitenden, die OP-Sicherheitscheckliste zu nutzen und auszufüllen, nicht zwingend dazu führt, eine erfolgreiche Umsetzung und damit die Optimierung der Patientensicherheit in der OP-Abteilung zu erreichen.

Wichtig ist es daher, allen Beteiligten bei Einführung der OP-Sicherheitscheckliste sowohl den mit dem Instrument verbundenen Grundgedanken der interprofessionellen Zusammenarbeit zu vermitteln als auch dessen Inhalte und das Handling. Berufsgruppenübergreifende Schulungssequenzen für die Mitarbeitenden sind hierfür empfehlenswert.

Im Zuge der GRB-Sicherheits- und Risikoanalysen fiel wiederholt auf, dass die Inhalte der – vielfach noch handschriftlich auszufüllenden – OP-Sicherheitschecklisten oft nicht vollständig und nachweisbar bearbeitet werden. Werden vorgegebene Standards nicht eingehalten, besteht jedoch das Risiko, dass im Falle einer späteren Anspruchsstellung eines Patienten der patientenbezogene Nachweis via Checkliste, wie beispielsweise vom Aktionsbündnis Patientensicherheit empfohlen und zwischenzeitlich auch gefordert, nur bedingt oder gar nicht möglich ist. So wird mit Einführung der Checkliste unter Umständen das Gegenteil des ursprünglich angestrebten Ziels erreicht. Damit die OP-Sicherheitscheckliste ihrem präventiven Zweck gerecht werden kann, gilt es, entsprechende Reorganisationsmaßnahmen einzuleiten, wie in diesem Artikel beschrieben.

Pro Patientensicherheit:
Argumente für den systematischen Einsatz von OP-Sicherheitschecklisten und präoperativen Checklisten bzw. für die Förderung der interprofessionellen Zusammenarbeit auf den Stationen und in der OP-Abteilung

Neben den genannten Gründen, die für den Einsatz von OP-Sicherheitschecklisten sprechen, wird an dieser Stelle u. a. auch ausgeführt, dass es sinnvoll ist, zusätzlich eine einheitliche präoperative Checkliste in den stationären Bereichen einzuführen. Ziel sollte es aus Sicht der Autorin sein, die beiden Listen in einem Dokument zusammenzuführen (Vorderseite präoperative Checkliste, Rückseite OP-Sicherheitscheckliste). Auf diese Weise lässt sich, ähnlich wie bei einem Staffellauf, die abgestimmte Zusammenarbeit zwischen den unterschiedlichen Arbeitsbereichen nachvollziehbar darstellen.

Ein weiterer Vorteil von Checklisten ist es, dass die einzelnen Inhalte der stark arbeitsteiligen Prozesse (Stationen und OP-Abteilung) bei konsequenter Abfrage der Checklisteninhalte arbeitsbereichsübergreifend hinterfragt und so Verbesserungspotenziale in der Praxis angestoßen werden können. Zudem gehen aus den Unterschriften der Mitarbeitenden zu den jeweiligen Abfragepunkten sowie aus den Vorgaben in Arbeits- oder Verfahrensanweisungen die Aufgabenteilung und die Verantwortlichkeiten klar hervor.

In den Checklisten ist die Anzahl der Abfragen so gering wie möglich zu halten. Außerdem ist es wichtig, die Inhalte der Checklisten an die Gegebenheiten im jeweiligen Krankenhaus anzupassen. So kann beispielsweise in einer neurochirurgischen Abteilung, in der die Operationen in der Regel sehr lange dauern, die Prüfung der korrekten Lagerung des Patienten nach einem definierten Zeitraum als Bestandteil des Team-Time-Outs in die Checkliste aufgenommen werden. An die Praxis angepasste Checklisteninhalte haben zudem den Vorteil, dass die Nutzung der Liste nicht zur reinen Routine wird, sondern für die beteiligten Mitarbeitenden die Möglichkeit der aktiven Gestaltung besteht, was bei ihnen wiederum die Sensibilität für Aspekte erhöht, die – z. B. beim Team-Time-Out – für die Patientensicherheit relevant sind.

Ein entscheidender Punkt für einen erfolgreichen Einsatz ist, die Vertreter des Arzt- und Pflegedienstes in den stationären Bereichen und in der OP-Abteilung sowohl bei der Gestaltung als auch bei der praktischen Nutzung der Checklisten von Beginn an aktiv einzubeziehen. Der Arzt- und Pflegedienst ist außerdem dafür zu gewinnen, die Kolleginnen und Kollegen über die Nutzung in der Praxis zu informieren (z. B. via Schulungen).

Sowohl bei der Einführung als auch bei der Reaktivierung einer Checkliste sind alle Ideen und Innovationen unterstützend mit zu berücksichtigen. Neben den Basisinhalten der Checklisten ist das für deren Nutzung erforderliche Prozedere in einer Legende oder separaten Arbeitsanleitung verbindlich festzulegen. Das gilt vor allem für den Fall, dass Fehler bzw. Abweichungen in den Prozessen auftreten (Beispiel: Patient trifft ohne Kennzeichnung der OP-Seite an der OP-Schleuse ein – Was ist zu tun?). Umgekehrt sind in Verfahrensanweisungen zur Identitätssicherung und Vermeidung von Verwechslungen Hinweise auf die OP-Sicherheitscheckliste und die präoperative Checkliste als „zusätzlich relevante Unterlagen“ aufzunehmen.

Widerstände der Mitarbeitenden gegen die OP-Sicherheitscheckliste, die präoperative Checkliste und Möglichkeiten der Bearbeitung für eine erfolgreiche Umsetzung

Wenn Mitarbeitende des Arzt- und Pflegedienstes auf den Stationen und in der OP-Abteilung der Einführung zusätzlicher Checklisten und dem damit verbundenen Dokumentationsaufwand ablehnend gegenüberstehen, kann das verschiedene Gründe haben, etwa das Gewohnt sein an Prozesse, die viele Jahre lang gleich abgelaufen sind, oder der Wunsch nach ungestörter Eigenständigkeit, die keine Rücksicht auf Mitarbeitende anderer Berufsgruppen und Hierarchieebenen nehmen muss. Mitunter wird die Einführung der Checklisten und ihrer Inhalte auch als Ausdruck fehlender Wertschätzung gegenüber den bisherigen beruflichen und praktischen Erfahrungen der Mitarbeitenden empfunden. Aus diesem Grund ist es besonders wichtig, gerade auch langjährig erfahrene Mitarbeitende aktiv in die Einführung und Nutzung der Checklisten einzubeziehen (z. B. in die Gestaltung und die inhaltliche Anpassung der Checklisten, in die Organisation und Durchführung von Schulungen für Mitarbeitende). Gelingt es nicht, Mitarbeitende mit ablehnender Haltung zu überzeugen, besteht das Risiko, dass sie die standardisierten Abfragen monoton abarbeiten oder dass sie sich abweichend verhalten – mit der möglichen Folge, bei Patienten präoperativ bedeutsame Aspekte zu übersehen, weil die Sensibilität und Aufmerksamkeit für tatsächliche Risikopotenziale fehlt.

Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die fortlaufende Unterstützung und Motivation der beteiligten Akteurinnen und Akteure vonseiten der Leitungsebene. Nur das konsequente Einfordern bei den Mitarbeitenden, die OP-Sicherheitscheckliste und die präoperative Checkliste zu nutzen (inklusive Kontrolle und Vereinbarung von Maßnahmen für den Fall des Nichteinhaltens bestehender Vorgaben) ist letztlich der Schlüssel zum Erfolg. Dauerhaft ist zu empfehlen, zur Beurteilung des Umsetzungsgrades stichprobenartig ausgefüllte OP-Sicherheitschecklisten und präoperative Checklisten zentral auszuwerten, die Mitarbeitenden über die Ergebnisse zu informieren und bei Auffälligkeiten die Verantwortlichen in den jeweiligen Abteilungen aufzufordern, Optimierungsprozesse einzuleiten.

Ein oft von Mitarbeitenden angeführtes Argument gegen die Nutzung der Checklisten lautet dahingehend, dass ja bereits im Vorfeld der OP, z. B. in den Ärztebesprechungen, sicherheitsrelevante Aspekte wie die Festlegung der OP-Indikation abgeprüft würden, weitere Prüfschritte daher nicht notwendig seien.

Die Mitarbeitenden müssen überzeugt werden, dass es sinnvoll ist, patientenbezogene risikorelevante Aspekte nicht nur einmal, sondern mehrfach und in einem abgestuften Verfahren von Personen unterschiedlicher Berufsgruppen und Hierarchiestufen prüfen zu lassen. Denn: Wird das beschriebene Verfahren ernsthaft und nachhaltig in der Praxis verfolgt, verringert sich das Risiko, etwas zu übersehen, und das automatisierte sich aufeinander Verlassen der Mitarbeitenden wird durchbrochen.

Treten in der Praxis Situationen auf, die positive Effekte der Checklistennutzung wie die Aufdeckung eines Risikopotenzials zeigen, ist zu empfehlen, die Mitarbeitenden über den Erfolg der Prävention zu informieren.

Struktur, Inhalte und Erfassung der Abfragen aus OP-Sicherheitscheckliste und präoperativer Checkliste

Wie oben erwähnt, ist es zielführend, OP-Sicherheitscheckliste und präoperative Checkliste auf der Vorder- und Rückseite eines einzigen Formulars anzuordnen. Grundsätzlich sind die Inhalte der Checklisten auf das notwendige Maß zu begrenzen. Detaillierte und operationsspezifische präoperative Vorbereitungen sind in gesonderten Standards schriftlich zu fixieren, auf die in den Listen ggf. Bezug genommen wird.

Es ist zu empfehlen, die Checklistenabfragen so präzise wie möglich zu formulieren (z. B. „OP-Einwilligung liegt mit den Unterschriften des Patienten und des Arztes vor“). Alternativ kann das zu den jeweiligen Abfragepunkten erforderliche Procedere in einer separaten Arbeits- oder Verfahrensanweisung detailliert beschrieben werden. In der Checkliste stünde dann z. B. die Formulierung „OP-Einwilligung gemäß Arbeits-/Verfahrensanweisung vorhanden/durchgeführt.“

Das Layout der Checklisten ist so zu gestalten, dass die Inhalte übersichtlich dargestellt sind. Die Ankreuz- bzw. Antwortmöglichkeiten sind beispielsweise durchgehend auf einer Seite und nicht auf wechselnden Seiten anzulegen. So wird u. a. sichergestellt, dass alle Fragen gesehen und schriftlich beantwortet werden.

Es ist darauf zu achten, dass die Antwortmöglichkeiten in den Checklisten selbsterklärend sind. Das bedeutet, dass bei den Abfragen – z. B. „Markierung der OP-Seite“ – neben den Antwortfeldern „ja“ und „nein“ zusätzlich ein Feld „nicht erforderlich“ oder „nicht notwendig“ in der Checkliste vorgesehen wird.

Im Falle der Anspruchsstellung eines Patienten kann es für die Nachweisführung vonseiten des Krankenhauses von Bedeutung sein, welches Vorgehen ein „Nein“ in der Checkliste in der Praxis nach sich zieht (z. B. bei fehlender Markierung der OP-Seite). Daher ist es sinnvoll, in einer Legende/Anweisung das jeweilige Vorgehen sowie die Verantwortlichkeiten bei der Bearbeitung der einzelnen Abfragen verbindlich zu beschreiben (beim genannten Beispiel einer fehlenden Markierung: „Mitarbeiter an der OP-Schleuse stoppt den Prozess ‚Einschleusen‘; der zuständige Operateur wird persönlich hinzugezogen und führt die Markierung der OP-Seite durch“).

Je nach Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich sind für die Abfragen in den Arbeitsabschnitten der Checklisten Unterschriftenrubriken einzufügen, damit die handelnden Mitarbeitenden berufsgruppenspezifisch per Unterzeichnung die korrekte Durchführung der Abfrage bestätigen können.

In vielen Kliniken werden in der OP-Sicherheitscheckliste unter der Rubrik „Team-Time-Out“ zunächst die Personen, die sich im OP-Saal befinden, namentlich vorgestellt. Dieser Abfragepunkt stammt aus der ursprünglichen WHO-Vorlage für die OP-Sicherheitsliste. In den USA ist es von jeher üblich, dass die OP-Teams aus häufig wechselnden und auch aus externen Personen (z. B. Gastärzten) zusammengesetzt sind. Da dies bei der Einführung der OP-Sicherheitscheckliste vor Jahren für Deutschland eher untypisch war, wurde der Punkt damals vielfach kritisiert und belächelt, vor allem von Ärzten (häufiges Argument für die Ablehnung der Liste). Inzwischen hat sich durch den Einsatz von Honorarärzten und Leiharbeitskräften die Situation in den Krankenhäusern (und in den OP-Abteilungen) auch hierzulande geändert. Die Formulierung ist so zu wählen, dass zwei Antworten möglich sind (z. B. „Mitglieder der OP-Teams kennen sich“ oder „Mitglieder der OP-Teams haben sich mit Namen vorgestellt“).

In einigen Krankenhäusern werden die Abfragen der OP-Sicherheitscheckliste und der präoperativen Checkliste inzwischen auf den jeweiligen Patienten bezogen elektronisch erfasst. Die Erfahrungen der Mitarbeitenden mit einer solchen EDV-gestützten Erfassung sind durchaus positiv. Die gezielte Vorbereitung ist ebenso zu gewährleisten wie die an die Arbeitsprozesse angepasste EDV-gestützte Erfassung der Abfragen (vom Startzeitpunkt der präoperativen Vorbereitung bis zum Zeitpunkt der Ausschleusung des Patienten aus der OP-Abteilung). Dafür ist krankenhausintern ein Projekt aufzulegen (falls erforderlich, mit Pilotphase zur inhaltlichen Anpassung des EDV-Programmes). U. a. ist die Installierung von Pflichtfeldern in der OP-Sicherheitscheckliste und der präoperativen Checkliste zu beachten. Außerdem ist dafür zu sorgen, dass eine ausreichende Anzahl von PCs/Notebooks auf den Stationen (zur Bearbeitung der präoperativen Checkliste) und an den verschiedenen Arbeitsplätzen in der OP-Abteilung (an der OP-Schleuse, in den OP-Vorbereitungsräumen usw.) vorhanden ist, damit die elektronischen Eingaben zu den einzelnen Abfragen direkt und auf kurzem Wege vorgenommen werden können.

Die Verantwortlichkeiten für einzelne in den jeweiligen Checklisten fixierte Arbeitsschritte sind in einer Arbeits- oder Verfahrensanweisung verbindlich zu beschreiben (Beispiel: „Der Operateur ist für die Durchführung des Team-Time-Out verantwortlich und der OP-Springer übernimmt die Dokumentation zu den Abfragepunkten im elektronischen System“).

Zusammenfassend lässt sich sagen: Es ist sehr empfehlenswert, die OP-Sicherheitscheckliste und die präoperative Checkliste als Instrumente für die Patientensicherheit konsequent in der praktischen Arbeit im Krankenhaus zu nutzen.

Patientensicherheitsziele können Krankenhäuser mit Hilfe von Kennzahlen festlegen und abprüfen lassen. D. h. der Umsetzungsgrad der Maßnahmen – z. B. der Einsatz von Checklisten – ist durch Kennzahlen verbindlich definiert und kann so in festgelegten Zeitintervallen geprüft und transparent gemacht werden. Die Ergebnisse der Auswertungen und daraus abzuleitende Konsequenzen sind gemeinsam mit den beteiligten Mitarbeitenden zu reflektieren. Bei der Nutzung von Instrumenten zur Erhöhung der Patientensicherheit ist es generell wichtig, den Mitarbeitenden zu vermitteln, dass dahinter immer die Philosophie der arbeitsbereichs- und berufsgruppenübergreifenden sowie hierarchiedurchdringenden Zusammenarbeit steht. Einzelne positive Praxisbeispiele für Situationen, in denen die Abfrage von Inhalten der OP-Sicherheitscheckliste die Schädigung eines Patienten verringert bzw. vermieden hat, sind zentral gesteuert an die Krankenhausmitarbeitenden weiterzugeben, um ihnen den Nutzen des Vorgehens immer wieder vor Augen zu führen.

Der Erfolg der OP-Sicherheitscheckliste und der präoperativen Checkliste hat in vielen Krankenhäusern inzwischen Initiativen ausgelöst, auch für weitere Arbeitsbereiche, etwa die Endoskopie oder das Herzkatheter-Labor, spezifische Checklisten zu entwickeln und nutzbar zu machen.

CHECKLISTE

Risikomanagement Grundsätze der Präventionsmaßnahme
„OP-Sicherheitscheckliste“

  • Eine bedarfsgerecht entwickelte OP-Sicherheitscheckliste kommt zum Einsatz. Diese orientiert sich an anerkannten wissenschaftlich-medizinischen Empfehlungen.
  • Bei Unstimmigkeiten/Unsicherheiten, die während des Sicherheitschecks via OP-Checkliste auffallen, wird immer das gesamte OP-Team verständigt und dann werden gemeinsam etwaige Änderungen/Recherchen veranlasst und dokumentiert. Falls erforderlich, wird der OP-Stopp ausgesprochen.
  • Die anerkannten medizinischen Handlungsempfehlungen zur Vermeidung von Eingriffsverwechslungen in der Chirurgie sind bekannt und werden umgesetzt:
  1. Aufklärung und Identifikation des Patienten
  2. Markierung des Eingriffsortes
  3. Zuordnung des Patienten zum richtigen Saal
  4. Etablierung eines routinemäßigen Team-Time-Outs mit standardmäßigen Abfragepunkten unmittelbar vor Schnitt.
  • Innerhalb des OP-Teams bestehen klare bzw. sichere Kommunikationsregeln, um Missverständnisse vor, während und nach der OP zu vermeiden. Elemente guter Kommunikation sind z. B: Briefing/Team-Time-Out, aktives Nachfragen bei undeutlichen, missverständlichen Anweisungen, Call-Recall-Methode (lautes Wiederholen von Anweisungen und Bestätigung bei Durchführung dieser), Reduzierung von „Seitengesprächen“
  • Wird im OP-Saal eine Umlagerung des Patienten erforderlich, wird in diesem Augenblick der zu operierenden Seite nochmals besondere Aufmerksamkeit gewidmet und die Richtigkeit der OP-Seite im Rahmen des Team-Time-Outs von allen Beteiligten bestätigt.

Literatur

[1] Treadwell JR, Lucas S, Tsou AY. Surgical checklists: a systematic review of impacts and implementation. BMJ Qual Saf 2013; 0:1-20

[2] Borchard A, Schwappach DLB, Barbir A, Bezzola P. A Systematic Review of the Effectiveness, Compliance and Critical Factors for Implementation of Safety Checklists in Surgery. Annals of Surgery 2012; 256(6):925-33

[3] „High 5s-SOP Vermeidung von Eingriffsverwechslungen“, Action on Patient Safety: High 5s = Internationales WHO-Projekt (High 5s, Aktionsbündnis Patientensicherheit, ÄZQ, gefördert durch das Bundesministerium für Gesundheit aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages)

Hinke K. Safety Clip: OP-Sicherheitscheckliste und präoperative Checkliste – Nützlich oder lästig? Passion Chirurgie. 2017 Januar, 7(01): Artikel 04_01.

Safety Clip: Einsatz freiheitsbeschränkender und freiheitsentziehender Maßnahmen

Der Entfesselungskünstler Harry Houdini hatte ein Motto: „My brain is the key that sets me free” – „Mein Verstand ist der Schlüssel, der mich befreit“. Während freiheitsentziehende Maßnahmen für Houdini künstlerisch-spielerischer Natur waren, sind sie für zahlreiche Menschen unfreiwillige Realität. Bei Patientinnen und Patienten mit bestimmten Grunderkrankungen, z. B. Durchgangssyndrom, Delirium oder Demenz, müssen fixierende Maßnahmen mitunter zu ihrer eigenen Sicherheit oder zum Schutz Dritter angewandt werden. Hinzu kommt, dass die Betroffenen meist nicht (mehr) in der Lage sind, ihren „Verstand als Schlüssel“ einzusetzen. Der Grad ihrer Abhängigkeit von anderen Menschen steigt mit der Schwere ihrer Erkrankung.

Dieser Artikel behandelt neben den Rechtsgrundlagen eine Darstellung von Haftungssituationen sowie rechtfertigende Gründe für das Anbringen von Fixierungen. Auch alternative Maßnahmen werden beschrieben. Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegende sollen für das Thema sensibilisiert werden, um die möglichen Vorgehensweisen bei Fixierungen berufsgruppenübergreifend besser abstimmen zu können.

Im Sinne der Patientenorientierung werden Handlungsspielräume aufgezeigt, um sowohl die Anzahl der Fixierungen als auch die Fixierungszeiträume zu reduzieren. Ist eine Fixierung nicht zu umgehen, ist immer die geringste freiheitsbeschränkende Maßnahme auszuwählen. Dabei sind die Einhaltung der rechtlichen Rahmenbedingungen, das ordnungsgemäße und sichere Handling des eingesetzten Fixiersystems und die umfassende pflegerische Betreuung zu gewährleisten.

Rechtliche Aspekte

Der Einsatz freiheitsbeschränkender Maßnahmen bewegt sich immer im Spannungsfeld zwischen der Freiheit des/der Einzelnen und dem haftungsrelevanten Sicherheitsaspekt. Die haftungsrechtliche Rechtsprechung hebt als oberstes Gebot die Patientensicherheit hervor, während die betreuungsrechtliche stärker auf den Freiheitsaspekt abzielt.

Den menschlichen Grundrechten – z. B. Artikel 1 Abs.1 Grundgesetz: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – steht im Krankenhaus die Fürsorgepflicht der Behandelnden zum Schutz von Patientinnen und Patienten sowie Dritter gegenüber – Artikel 2 Abs.1 Grundgesetz: „Recht auf körperliche Unversehrtheit“. Im gültigen Rechtssystem wird die Bewegungsfreiheit als hohes und durch die Grundrechte geschütztes Gut angesehen.

In dieses Recht kann nur mit einem förmlichen Gesetz eingegriffen werden. Unabdingbar ist eine richterliche Entscheidung über Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung. Ein allzu argloser oder nicht korrekter Umgang mit fixierenden Maßnahmen kann, auch wenn er dem Wohlergehen der Patientin/des Patienten dienen soll, zu straf- und zivilrechtlichen Konsequenzen führen.

Artikel 104 des Grundgesetzes unterscheidet zwischen den Begriffen „Freiheitsbeschränkung“ und „Freiheitsentzug“. Die Freiheitsbeschränkung ist ein Eingriff in die Bewegungsfreiheit von geringer Intensität und Dauer. Für diese Maßnahme ist keine richterliche Entscheidung notwendig.

Ein Freiheitsentzug dagegen, der die Bewegungsfreiheit ausschließt, erfordert zwingend eine richterliche Entscheidung. Die Schwierigkeit liegt in der klaren Abgrenzung zwischen einer Freiheitsbeschränkung und einem Freiheitsentzug.

Zivilrechtliche Freiheitsentziehung

Freiheitbeschränkende Maßnahmen:

  • Eingriff in die Bewegungsfreiheit von geringer Intensität oder Dauer
  • Tatbestand der Freiheitsberaubung nach § 239 Strafgesetzbuch (StGB)
  • Rechtfertigungsgrund „rechtfertigender Notstand“, § 34 StGB
  • Einverständnis der Betreuerin/des Betreuers oder der/des Bevollmächtigten muss unverzüglich eingeholt werden

Freiheitsentziehende Maßnahmen:

  • Ausschluss der körperlichen Bewegungsfreiheit
  • Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
  • unterbringungsähnliche Maßnahmen, § 1906 Abs. 4 BGB

Strafrechtlich erfüllt die Patientenfixierung den Tatbestand einer Freiheitsberaubung. Laut § 238 StGB heißt das:

„Wer einen Menschen einsperrt oder auf andere Weise der Freiheit beraubt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“

Kann der oder die Betroffene seinen oder ihren Willen auf Bewegungsfreiheit nicht durchsetzen und ist die fixierende Maßnahme auf Dauer angelegt, liegt ein Freiheitsentzug bzw. eine Freiheitsberaubung vor.

Bei der Beurteilung, ob es sich um einen Freiheitsentzug oder eine Freiheitsberaubung handelt, ist ein wichtiger Aspekt zu berücksichtigen: In den vorherigen Ausführungen ist die potenzielle Bewegungsfreiheit gemeint, also die theoretische Möglichkeit der/des Betroffenen, sich bei nicht beeinträchtigter Bewegungsfreiheit fortbewegen zu können. Es kommt also nicht auf den aktuellen Willen bzw. das Bewusstsein des/der Betroffenen an. Auch Bewusstlose können von Rechts wegen ihrer Freiheit beraubt werden.

Zivilrechtlich können Geschädigte bei Einschränkungen der körperlichen Bewegungsfreiheit auch Schadenersatz- und Schmerzensgeldansprüche geltend machen. Im § 823 Abs. 1 BGB steht folgender Wortlaut:

„Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit und die Freiheit eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstandenen Schadens verpflichtet.“

Die vorgenannten rechtlichen Konsequenzen sind in den Fällen anzuwenden, wenn kein Rechtfertigungsgrund für die Freiheitsberaubung oder den Freiheitsentzug besteht.

Rechtfertigungsgründe

Folgende Rechtfertigungsgründe für freiheitsentziehende Maßnahmen an Patientinnen und Patienten kommen in Betracht:

  • Einwilligung der/des einsichtsfähigen Betroffenen oder der gesetzlichen Vertreterin/des gesetzlichen Vertreters
  • Notwehr
  • mutmaßliche Einwilligung der/des Betroffenen (z. B. bei Bewusstlosen)
  • Selbstgefährdung der Patientin/des Patienten, wenn eine gesetzliche Betreuung mit Einwilligung der betreuenden Person und eine Genehmigung des Vormundschafts-/Betreuungsgerichts vorliegt
  • rechtfertigender Notstand, § 34 StGB, d.h. eine kurzfristige Fixierung ist zulässig

   bei stark aggressivem Verhalten

   bei unkontrollierter motorischer Unruhe

   bei erheblichen Gefahren für sich und andere Personen

   wenn die Gefahr sich nur durch Fixierung abwenden lässt und nicht anders (persönliche Betreuung, therapeutische Intervention)

Achtung: Eine Rechtfertigung über § 34 StGB ist nicht möglich, wenn wegen einer personellen Unterbesetzung der Station freiheitsentziehende Maßnahmen getroffen werden, um Verletzungsrisiken bei Patientinnen und Patienten zu vermeiden.

In Akutkrankenhäusern stellt sich immer wieder die Frage, ob temporär desorientierte oder nicht einsichtsfähige Menschen – z. B. im Rahmen eines Durchgangssyndroms oder Deliriums – fixiert werden dürfen. Existiert bei der/dem Betroffenen keine formale Betreuung und ist absehbar, dass längerfristige oder regelmäßige Fixierungen erforderlich sind, ist, nach Absprache mit dem zuständigen Vormundschafts-/Betreuungsgericht, eine Betreuung im Eilverfahren zu beantragen. Dies ist der Fall bei einer über 24 Stunden dauernden oder regelmäßig wiederkehrenden Fixierung (hinsichtlich der Zeitspanne sind die Regelungen in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich). Bei Patienten, die bereits betreut werden, ist die Genehmigung des Vormundschafts-/Betreuungsgerichts erforderlich. Die alleinige Einwilligung der betreuenden Person genügt nicht.

Bei einer bestehenden gesetzlichen Betreuung ist zu beachten, dass freiheitsentziehende Maßnahmen nur bei einer Selbstgefährdung zulässig sind. Bei einer Fremdgefährdung sind andere der genannten Rechtfertigungsgründe anzuführen. Bei Gefahr im Verzug darf das Pflegepersonal die Fixierung auch ohne entsprechende Anordnung vornehmen, muss diese aber umgehend, d.h. ohne schuldhaftes Verzögern, herbeiführen.

Die Rechtslage ist bei unter Betreuung Stehenden im Hinblick auf freiheitsentziehende Maßnahmen unterschiedlich und abhängig von der Einsichtsfähigkeit der Betroffenen.

  • Einsichtsfähige Betreute = mit Einwilligung der/des Betroffenen ist die freiheitseinschränkende Maßnahme zulässig. Ausnahme: Ist ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet, müssen die Betreuungspersonen die Maßnahme (schriftlich) genehmigen.
  • Nicht einsichtsfähige Betreute = entscheidend ist die Dauer der Fixierung; bei einmaliger oder kurzfristiger Fixierung reicht die (schriftliche) Einwilligung der Betreuungspersonen (Voraussetzung ist, dass deren Aufgabenkreis die Unterbringung und unterbringungsähnliche Maßnahmen umfasst).

Für verantwortliche Ärztinnen und Ärzte und das Pflegepersonal gilt: Im Umgang mit Krisensituationen kommt es auf die richtige Verhaltensweise an, da in der Regel kurzfristige Entscheidungen zu treffen sind. Abgesehen von den gewünschten Therapieerfolgen geht es auch darum, Haftpflichtansprüche oder Strafverfolgungsmaßnahmen zu vermeiden.

Zu beachten sind Besonderheiten, die sich aus der Anwendung der Rechtsgrundlage für die freiheitseinschränkende Maßnahme ergeben. Den örtlich zuständigen Gerichten kommt dabei ein Beurteilungs- und Handlungsspielraum zu.

Gründe für eine Fixierung in der Praxis

Nachfolgend sind Gründe für Fixierungen aufgeführt, die als kritisch anzusehen sind, wenn sie in der Indikationsstellung nicht näher spezifiziert werden (nach Hantikainen usw.).

Gründe für Fixierungen Ereignisse
patientenorientiert Stürze und Verhalten
behandlungsorientiert medizinisch-pflegerische Maßnahmen (z. B. Sonden)
sozialorientiert Konfliktvermeidung
personal- und organisationsorientiert Personalschlüssel und Recht (Einstellungen und Haltungen)

Wenn die Anwendung fixierender Maßnahmen erwogen wird, ist es daher wichtig, eine eindeutige und detailliert formulierte Indikationsstellung zugrundezulegen.

Beispiele für Indikationen:

  • erhebliche Sturzgefahr durch psychomotorische Unruhe und Desorientiertheit
  • Verweigerung von notwendigen medizinischen Maßnahmen wie Infusions- oder Ernährungstherapie
  • Gefährdung des Behandlungserfolges durch Entfernen lebensnotwendiger Zugänge wie Katheter, Trachealtubus, Sonde
  • erwartete Verschlechterung des Gesundheitszustands durch übermäßige Unruhe und psychische Belastung
  • Gefährdung von Mitpatientinnen und -patienten sowie Mitarbeitenden wegen akuter oder wiederkehrender krankheitsbedingter psychomotorischer Enthemmung oder aggressiver Ausbrüche

   konkrete erkennbare Suizidgefahr

Deshalb dürfen Fixierungen nur

  • nach strenger Indikationsstellung,
  • nach persönlicher ärztlicher Anordnung (unter physischer Anwesenheit des Arztes),
  • zur Sicherheit der Patientin/des Patienten oder anderer Personen,
  • nach Ausschöpfung von alternativen Maßnahmen

als letzte mögliche Intervention angewandt werden.

Als freiheitseinschränkende Maßnahmen werden im Zivilrecht folgende erachtet:

  • mechanische Vorrichtungen

   Gurte, Fixierungen an Bett oder Stuhl, Bettgitter, Fixierdecken, Zwangsjacken, Therapietische an Stuhl oder Rollstuhl

   Schließmechanismen an Türen, Verhindern des Türöffnens

  • Sedierungen

   Gabe von Medikamenten, Schlafmitteln und Psychopharmaka (Achtung: Eine Psychopharmakabehandlung ohne therapeutische Begründung und ohne oder gegen den Willen der Patientin/des Patienten wird wie eine Fixierung angesehen!)

  • sonstige

   Ausüben von psychischem oder physischem Druck

   Verbote, Zwang, List, Drohung, Wegnahme von Kleidung im Winter

Vor diesem Hintergrund sind die Haftungslagen wissenswert, die sich ergeben, wenn es im Rahmen einer Fixierung, insbesondere einer nicht angeordneten, zu einem Unfall gekommen ist:

  • Schadenersatzverpflichtung nach § 280 Abs. 1 BGB und § 823 Abs. 2 BGB:

   Verletzung der Sorgfaltspflicht bei Nichterfolgen einer angeordneten Schutzmaßnahme (z. B. Bettgitter)

   Anordnung einer freiheitseinschränkenden Maßnahme, die nicht geboten war

  • Schadensersatzverpflichtung nach § 323c StGB:

   unterlassene Hilfeleistung mit Verletzungsfolge für die Patientin/den Patienten

   Unterlassung der Ärztin/des Arztes, eine gebotene Fixierung anzuordnen

   Unterlassung des Pflegepersonals, eine angeordnete Fixierung auszuführen

  • Freiheitsberaubung nach § 239 StGB:

   Einsperren von Menschen oder Freiheitsberaubung auf andere Art und Weise

   Versuch der Freiheitsberaubung

  • Fahrlässige Tötung nach § 222 StGB oder Körperverletzung nach § 223

Vorgehen bei Einsatz freiheitsbeschränkender/-entziehender Maßnahmen

Die Entscheidung, ob und, wenn ja, in welchem Umfang eine Fixierung notwendig ist, sowie die Betreuung/Überwachung fixierter Personen wird in den Einrichtungen des Gesundheitswesens unterschiedlich gehandhabt. Auf den Allgemeinpflegestationen in Krankenhäusern z. B. muss häufig kurzfristig über die Einleitung fixierender Maßnahmen entschieden werden, wobei die personellen Ressourcen oft stark begrenzt sind. Meist sind in solchen Fällen nur kurzzeitige Fixierungen von Patientinnen oder Patienten notwendig.

In den akutklinischen Bereichen fällt es den Mitarbeitenden des Arzt- und Pflegedienstes erfahrungsgemäß sehr schwer, sich gedanklich mit Handlungsalternativen zur Fixierung auseinanderzusetzen. Die Beschäftigten sehen sich vor die Situation gestellt, darüber entscheiden zu müssen, welcher Freiraum dem Patienten/der Patientin einzuräumen und welches Maß an Absicherung erforderlich ist.

Häufig wird die Entscheidung über Art/Umfang von Fixierungen und über Überwachungsmaßnahmen nur von wenigen Mitarbeitenden getroffen und durch den richterlichen Beschluss legitimiert. Die Kriterien, die der Entscheidung zugrunde gelegt werden, sind im restlichen Team mitunter weder einheitlich abgestimmt noch transparent. Das kann u.a. zur Folge haben, dass Vereinbarungen nicht konsequent umgesetzt werden. Aus diesem Grund ist zu empfehlen, Art/Umfang einer Fixierung und Überwachungsmaßnahmen im interprofessionellen Team vorab abzustimmen. Dabei können und sollen auch Angehörige der zu betreffenden Person einbezogen werden.

Es empfiehlt sich des Weiteren, dass sich Verantwortliche in akutklinischen Bereichen berufsgruppenübergreifend und systematisch mit der möglichen Vermeidung und Reduzierung von freiheitseinschränkenden Maßnahmen auseinandersetzen – ohne den Anspruch, die Ergebnisse der Überlegungen umgehend in vollem Umfang umzusetzen. Vielmehr ist zunächst anzustreben, dass besonders geschulte „Experten/Mentoren“ die Beschäftigten auf den Allgemeinpflegestationen in dieser Themenstellung unterstützen, analog Wundmanagern oder Stomatherapeuten, wie es sie bereits in Krankenhäusern gibt. Diese „Experten/Mentoren“ können – und sollen – bei allen anstehenden Entscheidungen über freiheitsentziehende Maßnahmen als Beratende hinzugezogen werden.

Ärztliche Verantwortung beim Einsatz freiheitseinschränkender Maßnahmen

verantwortlich für die Art und Dauer der angeordneten freiheitseinschränkenden Maßnahmen

Urteilsbildung durch persönliche Untersuchung

  • Abwägen von Alternativmaßnahmen
  • medizinische Indikationsstellung und Dokumentation der Indikation
  • Aufklärungspflicht über beabsichtigte freiheitseinschränkende Maßnahmen gegenüber Patientinnen/Patienten sowie Angehörigen/Betreuenden
  • Festlegung des Kontrollintervalls zur Festlegung, ob eine Fixierungsfortsetzung notwendig ist (max. 24 h), Einholen der richterlichen Genehmigung
  • schriftliche Anordnung der Überwachungsmaßnahmen
  • Berücksichtigung der individuellen Gefahrenlage (bei Risikopatienten/-patientinnen ist eine lückenlose optische und akustische Überwachung indiziert)
  • Fixierungsplanung (gemeinsam mit dem Pflegepersonal)

Erkenntnisse aus Studien und alternative Maßnahmen

Eine Studie der Universitäten Witten/Herdecke und Hamburg, bei der 18 Pflegeheime in Nordrhein-Westfalen und Hamburg über ein halbes Jahr lang beobachtet wurden, hat ergeben, dass die Fixierung von Patientinnen/Patienten oft vermeidbar ist.

Im Rahmen der Studie wurden die Pflegenden der einen Vergleichsgruppe spezifisch im Hinblick auf eine Vermeidung/Reduzierung von Fixierungen geschult. Die zweite Vergleichsgruppe erhielt kein entsprechendes Briefing. Das Ergebnis: In der geschulten Gruppe ging die Zahl der Freiheitsbeschränkungen von 31,5 Prozent auf 22,6 Prozent zurück, ohne dass die Zahl der Sturzereignisse zunahm und ohne dass zusätzlich Medikamente verabreicht wurden. Als entscheidend für die Reduzierung von Fixierungen erwies sich dabei die innerliche Haltung der Pflegenden.

Sicherlich sind die Bedingungen in Pflegeheimen nicht eins zu eins auf den Krankenhausalltag zu übertragen. Dennoch hat die Studie gezeigt, dass es sich lohnt, über alternative Maßnahmen zu Fixierungen intensiver nachzudenken als bisher und die Umsetzung weiter voranzubringen.

Zu den alternativen Maßnahmen gehören u. a. der Einsatz von Niederflurbetten und Hüftschutzhosen (zur Reduzierung von Verletzungen bei Stürzen) sowie Sensormatten vor dem Bett (zur Information der Pflegenden bei unkontrolliertem Aufstehen).

Risiken und Sicherheitshinweise beim Einsatz von Bandagen-/Gurtsystemen

Ein Risiko bei Fixierungen ist, dass bei nicht fach- und sachgerechtem Einsatz von Bandagen-/Gurtsystemen Verletzungen bis hin zur Strangulation auftreten können. Ein Gutachter der TU Berlin, Prof. Dr.-Ing. U. Boenick (25.04.2001), stellte bei der Überprüfung des Bandagensystems SEGUFIX 2201 M beispielsweise fest, dass Patienten/Patientinnen sich verletzen können, wenn die Bandagen zu locker angebracht sind. Aus diesem Grund sind in dem Gutachten u.a. folgende Empfehlungen hinterlegt, die hier beispielhaft aufgeführt sind:

  • Einsatz des Bandagen-/Gurtsystems immer nach Herstellerangaben unter Verwendung seitlicher durchgehender Bettgitter (ohne Seitenbefestigungen, die verhindern, dass der Patient/die Patientin sich über den Bettrand hinaus quer zur Körperachse dreht, sind Strangulationen möglich, mitunter mit Todesfolge)
  • ggf. Einsatz zusätzlicher Fixierungselemente (je nach Mobilität der Patientin/des Patienten)
  • Weiterentwicklung des Bandagen-/Gurtsystems, damit auch bei nicht kooperativen Patientinnen/Patienten ein festes Anlegen des Bauchgurtes möglich ist

Grundsätze/Präventionsmaßnahmen bei einer notwendigen Fixierung

  • Freiheitsbeschränkende/-entziehende Maßnahmen werden nach Prüfung alternativer Maßnahmen als letzte zur Verfügung stehende Möglichkeit vorgenommen.
  • Zu wählen ist die Maßnahme mit dem geringstmöglichen Grad der Freiheitsbeschränkung/-entziehung, die den Zweck erfüllt.
  • Bei der Wahl ist das Ausmaß eines potenziellen Schadens (z. B. Immobilisierung) gegenüber dem Nutzen abzuwägen.
  • Eine schriftlich fixierte ärztliche Anordnung (Einsatz eines Standardformulars) ist vor der Fixierung zwingend notwendig (Inhalte der Anordnung: Name des anordnenden Arztes/der anordnenden Ärztin, Daten der zu fixierenden Person, Rechtfertigungs-/Anordnungsgrund bzw. Anlass, Art, Umfang und Dauer der Fixierung – max. bis 24 Stunden ohne erneute schriftliche Anordnung). Ausnahmen sind die Rechtfertigungsgründe „Notwehr“ oder „Notstand“.
  • Die Notwendigkeit der freiheitsbeschränkenden/-entziehenden Maßnahme ist in definierten Zeitabständen zu überprüfen und zu dokumentieren.
  • Zur Verminderung des Verletzungsrisikos ist die fachgerechte und korrekte Durchführung der Fixierungsmaßnahme entsprechend der Herstellerinformation zu gewährleisten. Hierfür sind regelmäßige Schulungen der Mitarbeitenden erforderlich.
  • Eine adäquate Überwachung (z. B. optische oder akustische Beobachtung) der fixierten Person ist zu gewährleisten und nachvollziehbar zu dokumentieren (Standardformular Fixierungsprotokoll).

Risikomanagement

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass bei der Auswahl und dem Einsatz freiheitsbeschränkender/-entziehender Maßnahmen nach sorgfältiger Prüfung (inklusive Alternativen) die sach- und fachgerechte Durchführung der Fixierung sowie die Überwachung der fixierten Person von großer Bedeutung für die Patientensicherheit anzusehen sind.

Die Literaturliste erhalten Sie auf Anfrage per E-Mail via [email protected].

Hinke, K. Safety Clip: Einsatz freiheitsbeschränkender und freiheitsentziehender Maßnahmen. Passion Chirurgie. 2013 Januar; 3(01): Artikel 03_03.