Alle Artikel von Jörg-Andreas Rüggeberg

Hybrid-DRG, Hintergründe und aktueller Stand

Bekanntlich sollte am 31.03.2023 von den drei Vertragspartnern Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG), Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV-SV) und Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) ein gemeinsam konsentierter Katalog inklusive Preisfindung von Eingriffen für die sogenannte sektorengleiche ambulante Versorgung an das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) übermittelt werden. Diese im Sprachjargon als „Ambulantisierung“ bezeichnete Einigung ist erwartungsgemäß gescheitert. Naturgemäß war die DKG extrem zurückhaltend, verlieren die Kliniken damit doch erhebliche Erlösanteile. Seitens der KBV wurde ein sehr umfangreicher Katalog vorgeschlagen, weil man sich damit vor allem eine Verlagerung in den vertragsärztlichen Bereich erhofft. Die Krankenkassen haben zunächst wegen der zu erwartenden Einsparungen das KBV-Konzept unterstützt, sind aber eine Woche vor der Abgabefrist auf die Linie der DKG umgeschwenkt. Das mag daran liegen, dass auch bei den Kassen eine strenge Trennung zwischen stationär und ambulant erfolgt. Dort wird befürchtet, dass eine Ausweitung ambulanter Tätigkeiten und der damit verbundenen Finanzierung eben nicht zu korrespondierenden Einsparungen im stationären Bereich führt.

Jetzt muss nach Gesetzeslage das BMG eine Ersatzvornahme ausarbeiten, sprich, fachlich dazu nur in Grenzen befähigte Ministerialbeamte sollen sowohl Prozeduren wie auch Preise für ambulante Leistungen nach § 115f SGB V benennen. Erschwerend kommt hinzu, dass es sich bei den gesetzlich vorgesehenen Fallpauschalen für die angedachten Eingriffe um eine völlig neue Systematik handelt, die weder den von Kliniken genutzten DRGs noch erst recht dem EBM im niedergelassenen Bereich entspricht. Es ist völlig unklar, welchen Zeitraum diese Fallpauschale umfasst noch welche in diesem Zeitraum erbrachten Leistungen. Aktuell diskutiert wird unter anderem eine Pauschale über vier Wochen, die dann zu (welchen?) Zahlungen an Dritte (Hausarzt, Radiologe, Pathologe etc.) führen müsste. Die Aufteilung zwischen Operateuren und Anästhesisten bietet sowieso genügend Streitpotential. Unabhängig davon bergen solche Zahlungen immer die Gefahr korruptiven Verhaltens, Stichwort Zuweiserprämie.

Auch die Preisfindung ist komplex. Im Gesetz steht durchaus sinnvoll, dass ein gewichteter Mittelwert zwischen stationärem DRG und bisheriger ambulanter Vergütung angesetzt werden soll. Das heißt: Eingriffe, die bisher überwiegend ambulant erbracht werden, ziehen den Preis nach unten in Richtung aktueller EBM-Vergütung und umgekehrt. Das Problem liegt allerdings darin, dass bei der EBM-Abrechnung immer nur ein einziger OPS-Code angegeben wird, im stationären Bereich aber in der Regel mehrere und der eigentliche Kerneingriff nicht zu identifizieren ist. Wenn nun alle OPS-Codes gegeneinander gelegt werden, führt das zu absurden Ergebnissen, die völlig implausibel und niemandem vermittelbar sind. So ergibt die Kalkulationsmatrix beispielsweise für die Arthrodese eines kleinen Zehengelenks einen höheren Preis als für drei Gelenke!

Wegen dieser erheblichen Schwierigkeiten setzt sich der BDC dafür ein, die an sich sinnvolle neue Systematik in der Anfangsphase nicht zu überfrachten und auf einige gut kalkulierbare Eingriffsarten zu begrenzen. Entsprechend werden wir auch Vorschläge an das BMG übermitteln.

Rüggeberg JA: Hybrid-DRG, Hintergründe und aktueller Stand. Passion Chirurgie. 2023 Mai; 13(05): Artikel 05_02.

Editorial: Klimaschutz, ein chirurgisches Thema?

Zur Ausgabe 03-QI/2023: “Klima- & Umweltschutz in der Chirurgie 

Sie werden sich fragen, wieso der BDC sich um das Thema Klimaschutz und Nachhaltigkeit kümmert. Haben wir nichts anderes zu tun? Natürlich haben wir reichlich Themen, die den meisten von Ihnen unmittelbarer auf den Nägeln brennen. Zu nennen wären hier die von vielen als unerträglich empfundenen Arbeitsbedingungen an zunehmend ökonomisch orientierten Kliniken, die Einschnitte, die Niedergelassene gerade aktuell hinnehmen müssen, und die für alle gleichermaßen belastende überbordende Bürokratie. Da ist die konsequente Weigerung des Gesundheitsministers, eine dringend überfällige neue GOÄ umzusetzen, schon beinahe ein Nebenthema.

Und jetzt Klimaschutz und Nachhaltigkeit? In der Tat haben wir im BDC beschlossen, das Thema sowohl in unserer Satzung als auch durch die Einrichtung eines entsprechenden Referats zu besetzen. Das geschieht keineswegs als Hinterherlaufen hinter einem gesellschaftspolitischen Mainstream, sondern aus der Überzeugung heraus, dass es eine Kernaufgabe eines Berufsverbandes sein muss, die Zukunft unseres wunderbaren Berufs zu sichern. Wenn unsere Gesellschaft an Müllbergen erstickt, der Klimawandel mit Sturm, Tornados, Überflutungen und dürrebedingten Ernteausfällen auch hierzulande dem Letzten bewusst machen müsste, dass Energie nicht erst seit dem Ukrainekrieg ein knappes Gut darstellt, dann sollten wir uns fragen, an welchen Stellen wir unseren Beitrag leisten können. Wir sollten uns nicht auf unsere Kernprofession der Chirurgie beschränken, sondern unsere gesellschaftliche Stellung als Ärzte, die dem Wohl der uns anvertrauten Menschen verpflichtet sind, berücksichtigen. Es reicht manchmal schon, über die Masse an Einmalverpackungen nachzudenken, die, wie alle wissen, pro Operation mehr als einen Eimer füllt. Sie werden in dieser Ausgabe einige aufschlussreiche Artikel zu diesem Gesamtthema finden. Lassen Sie sich zu einer gewissen Achtsamkeit anregen. Damit hätten wir ein erstes Ziel schon einmal erreicht. Bekanntlich beginnt jeder lange Marsch mit einem ersten Schritt.

Ein zweites Hauptthema dieser Passion ist die Würdigung unseres Präsidenten anlässlich seines runden Geburtstages. Ich will hier nichts vorausnehmen, nur so viel: Wir sind nicht die Schafe, die hinter einem Leithammel daher trotten und diesen demütig würdigen. Dennoch sind wir dankbar, einen solchen Wortführer zu haben. Er hat es mehr als verdient, als besondere Persönlichkeit herausgehoben zu werden.

Ihr
Jörg-Andreas Rüggeberg

Rüggeberg J-A: Klimaschutz, ein chirurgisches Thema? Passion Chirurgie. 2023 März; 13(03/I): Artikel 01_01.

Homo Politicus

Politiker befinden sich konstant auf den letzten Plätzen der Beliebtheitsskala. Sie werden assoziiert mit Begriffen wie Unehrlichkeit, Unaufrichtigkeit, Opportunismus, Prinzipienlosigkeit, Machtgier.

Wenn auch nur einer dieser Begriffe zutreffend sein sollte, ist unser Chefrepräsentant Prof. H.-J. Meyer ein denkbar schlechter Politiker. Dummerweise steht er aber einem berufspolitischen Verband vor, sodass man denken möchte, er wäre damit auch ein schlechter Präsident.

Tatsächlich sind ihm mehr oder minder strategische Ränkespiele eher fremd und Täuschung aller Art ein Gräuel. Ich habe selten einen Menschen getroffen, der wie er geradeheraus seine Meinung sagt, auch wenn das sein Gegenüber bis zur Schmerzgrenze reizen kann. Andererseits verträgt er seinerseits Gegenargumente, auch wenn sie hart formuliert werden. Am Ende steht zumindest in unseren Diskussionen im Vorstand des BDC immer ein Kompromiss, und zwar sachlich begründet und nicht, wie anderenorts häufig, als Zusammenführung des kleinsten gemeinsamen Nenners, in der Regel bei Null liegend. Und da Politik nun einmal aus der Suche nach Kompromissen besteht, ist er in dieser Hinsicht schon mal ein guter Präsident.

Das zweite nicht minder wesentliche Merkmal seiner Persönlichkeit ist die uneingeschränkte Ehrlichkeit und Verlässlichkeit. Auch darin unterscheidet er sich von der landläufigen Einschätzung eines Politikers. Eine einmal gefundene gemeinsame Position wird uneingeschränkt nach außen vertreten, auch wenn diese vielleicht nicht seiner ursprünglichen Überzeugung entspricht. Ich entsinne mich an unser erstes Treffen am Rande eines Kongresses in Hamburg, nachdem wir ihm die Präsidentschaft des BDC angetragen hatten. Er wollte in eigenem Interesse wissen, was auf ihn zukommt, und ich hatte zugegebenermaßen Bedenken, ob die daraus resultierende Doppelfunktion als amtierender Generalsekretär der DGCH und seine Rolle im BDC unserem Berufsverband schaden könnte. Nach einer Stunde war klar, dass er die beiden Ämter trennen könnte und damit auch eine Idealbesetzung darstellen würde. Vor allem haben wir beide von Anfang an unsere gegenseitigen Bedenken klar formuliert und danach rasch die überwiegenden Gemeinsamkeiten gefunden. Zu keinem Zeitpunkt hat er später in seiner Amtszeit den BDC „stiefmütterlich“ behandelt. Lediglich eine Petitesse am Rande verriet seine ursprüngliche Heimat. Immer wenn er in unseren Sitzungen das Wort „wir“ benutzte, war allen klar, dass er damit meistens die DGCH meinte.

Zum Dritten muss sein unermüdlicher Fleiß betont werden. Trotz Hund und Frau und seit einiger Zeit einem Enkelkind pflegt unser Präsident nachgerade alle auf dem Markt befindlichen Dokumente nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern im Detail zu studieren, und das sind wahrlich viele Seiten. Es ist schon bemerkenswert, wie er in seinen öffentlichen Auftritten mit fundiertem Detailwissen aufwarten kann. Auch in dieser Hinsicht ist er ein Aushängeschild des BDC und damit erneut ein guter Präsident. Im Übrigen kann man ihn jederzeit telefonisch erreichen, um Aktuelles zu besprechen. Es gibt kein Vorzimmer, das den Chef diskret verleugnet.

Auch wenn gelegentlich die Wortwahl nicht immer der sogenannten Political Correctness entspricht, ist er vielleicht gerade deswegen absolut authentisch.

Ich weiß nicht, wie er als chirurgischer Chef war, kann mir aber vorstellen, dass er seine Mitarbeitenden durchaus hart, aber immer fair behandelt hat und sie, wie es sich für einen guten Vorgesetzten gehört, gefördert und nach außen stets geschützt hat.

Und sind das nicht gerade die Eigenschaften, die eine große Persönlichkeit ausmachen?

Prof. Meyer ist trotz aller fehlenden negativen Eigenschaften ein herausragender Präsident und ein Homo politicus der anderen Art. Wir schätzen ihn alle sehr und werden ihn anlässlich seines runden Geburtstages entsprechend ehren.

Für den Vorstand des BDC

Grußwort zur 150 Jahre-Feier der DGCH

Sehr verehrter Herr Bundespräsident,
hohes Präsidium der DGCH,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
sehr geehrte Damen und Herren,

es ist mir eine große Ehre und besondere Freude, der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie die Glückwünsche und Grüße unseres Berufsverbandes zum 150-jährigen Jubiläum zu überbringen. Die Chirurgie hat in dieser Zeit ungeahnte und außergewöhnliche Fortschritte zum Wohle der uns anvertrauten Patientinnen und Patienten erlebt. Operationen, die zu Gründerzeiten unvorstellbar waren und sogar als unverantwortlich abgelehnt wurden, sind heute weit verbreitete Praxis.

Während anfangs noch die „einfache“ Appendektomie nur einzelnen Chirurgen vorbehalten war, sind heute auch dank eines enormen technischen Fortschritts große und lebensrettende Krebsoperationen, Eingriffe am Herzen, stereotaktische Hirnoperationen und nicht zuletzt Organtransplantationen selbstverständlich. Stets waren Können und Mut der Chirurginnen und Chirurgen der Motor, Grenzen zu verschieben, auch bei Einführung multimodaler Therapieverfahren in Kooperation mit benachbarten Fachdisziplinen.

Voraussetzung war und ist die ständige wissenschaftliche Forschung, gebündelt in der Fachgesellschaft. Gleichzeitig konnte dieser Fortschritt nur durch immer weitergehende Spezialisierung und Subspezialisierung erreicht werden.

Dies wiederum führte in der Konsequenz zur Gründung weiterer chirurgischer Gesellschaften in den jeweiligen Subdisziplinen, die dort das Wissen, die Forschung und im Ergebnis die Verbesserung der operativen Behandlungsmöglichkeiten vorantrieben. Immer blieb aber die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie die „Mutter ihrer Kinder“, die sich regelmäßig auch heute noch unter ihrem gemeinsamen Dach versammeln.

Eines dieser Kinder ist damit folgerichtig auch der Berufsverband der Deutschen Chirurgie, mittlerweile schon seit mehr als 60 Jahren. Die vielfältigen Erfordernisse in der berufspolitischen Vertretung von Chirurginnen und Chirurgen verlangten nach einer eigenständigen Organisation, um den Einfluss der Chirurgie in Deutschland auch außerhalb der Wissenschaft und Forschung zu stärken.

Dazu gehört auch, dem immer größer werdenden Einfluss der weiblichen Chirurgen Rechnung zu tragen. Nicht nur der ständig ansteigende Anteil von Chirurginnen in unserem Berufsverband, sondern auch der Wandel in den Ansprüchen der jungen Generation an eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf verlangen nach neuen Modellen in Fort- und Weiterbildung, Arbeitszeitmodellen und attraktiven Angeboten für beruflich erfüllende Lebensstellungen. Sie, Herr Bundespräsident, haben darauf hingewiesen, dass ein wesentlicher Teil für eine Heilung in der empathischen Zuwendung liegt. Dem stimme ich uneingeschränkt zu, wir brauchen dafür aber ein Umfeld, das uns die notwendige Zeit für diese wichtige Aufgabe gewährleistet.

Ein großes Problem im Gesundheitswesen ist der zunehmende Einfluss externer Investoren in der Kliniklandschaft sowie in medizinischen Versorgungszentren und damit auch generell der wirtschaftliche Druck, der auf die Ärztinnen und Ärzte durchgereicht wird, bis hin zu Forderungen, die medizinische Entscheidung auch ökonomischen Überlegungen unterzuordnen. Das stört ganz wesentlich die sicherlich vorhandene Motivation der Kolleginnen und Kollegen, belastet, frustriert und schadet vor allem unsere Patientinnen und Patienten. Gemeinsam müssen wir uns dieser Fehlentwicklung annehmen und ihr entgegenwirken.

„Heute sind, auch dank eines enormen technischen Fortschritts große und lebensrettende Krebsoperationen, Eingriffe am Herzen, stereotaktische Hirnoperationen und nicht zuletzt Organtransplantationen selbstverständlich. Stets waren dabei Können und Mut von Chirurginnen und Chirurgen der Motor, Grenzen zu verschieben.“

Wie in jedem familiären Umfeld gab und gibt es gelegentliche Meinungsverschiedenheiten, aber am Ende steht immer die Suche nach einer gemeinsamen Position. Der Berufsverband der Deutschen Chirurgie versteht sich in bester Familientradition als ein weiteres Kind der ­Deutschen Gesellschaft für Chirurgie erwachsen und eigenständig, aber stets der Muttergesellschaft tief verbunden.

Nur gemeinsam werden wir weiterhin die anstehenden Probleme lösen und damit vor allem die Chirurgie zum Wohle der Menschen weiterentwickeln.

In diesem Sinne: Ad multos annos, DGCH!

Rüggeberg JA: Grußwort 150 Jahre DGCH. Passion Chirurgie. 2022 Juli/August; 12(07/08): Artikel 01_02.

Editorial im April 2022: Sektorenübergreifende Versorgung – Neuer Wein in alten Schläuchen?

Gesundheitspolitische Themen sind angesichts der COVID-Pandemie weitgehend aus dem Fokus geraten; zugegebenermaßen hat das Gesundheitsministerium aktuell dringendere Aufgaben zu erledigen. Das heißt aber natürlich nicht, dass strukturelle Reformen im Gesundheitssystem nicht erst heute, sondern schon seit Jahren zwingend erforderlich wären. Zu nennen sind die Reform der Vergütungssysteme (DRG, GOÄ, EBM), die Krankenhausplanung, das MDK-Reform-Gesetz, die Neuordnung der Notfallversorgung, das Voranbringen der sogenannten „Ambulantisierung“ und sozusagen als alles verbindende Klammer die Diskussion um eine sinnvolle Strukturierung der sektorenübergreifenden Versorgung. Immerhin hat der Begriff Eingang in den Koalitionsvertag gefunden. Das lässt hoffen, auch wenn nichts auch nur ansatzweise über die konkrete Ausgestaltung formuliert wird. Ich persönlich würde auch eher von einer sektorenüberwindenden Versorgung sprechen, denn „übergreifend“ impliziert schon vom Wort her die Gefahren einer Übergriffigkeit, von welcher Seite auch immer.

Genau das geschieht. Während, wie in dieser Passion Chirurgie nachzulesen, vor Ort durchaus auf die Patienten bezogene gemeinsame Versorgungsformen praktiziert werden, bleibt die systemimmanente Konfrontationshaltung der beiden entscheidenden Player, Krankenhausgesellschaft und Kassenärztliche Bundesvereinigung, also stationärer und ambulanter Sektor, unübersehbar. Die rein interessengesteuerten Positionen scheinen unvereinbar zu sein. Es geht wie immer um Geld, sehr viel Geld, und nicht minder um Macht und Einfluss. Da gönnt der eine dem anderen nicht das Schwarze unter den Nägeln.

Insofern sind alle bisher bekannten Vorschläge oder besser Wortblasen und standardisierten Phrasen stets deckungsgleich mit Bekanntem. Neuer Wein schmeckt anders. Die Schläuche sind auch noch dieselben, mittlerweile schon ein wenig mürbe und löchrig.

Es ist bitter zu erkennen, dass diejenigen, um die es wirklich gehen sollte, nämlich unsere Patienten, nur am Rande Erwähnung finden. In meinen Augen muss eine sektorenüberwindende Versorgung aber genau darauf ausgerichtet sein, unsere Patienten in ihrer Krankheitskarriere möglichst aus einer gemeinsamen therapeutischen Hand beim Übergang zwischen ambulant und stationär und umgekehrt zu begleiten. Das setzt eine enge, vertrauensvolle Kooperation auf der persönlichen Arztebene voraus. Institutionelle Regelungen können da nur begleitend an zweiter Stelle stehen. Angesichts der erstarrten Fronten im Gesundheitssystem, deren Hauptursache – wie nicht anders zu erwarten – in den streng separierten Finanzierungssystemen der Sektoren zu finden ist, müssen wir unsererseits, also aus dem Kreis der Behandler, Wege aufzeichnen, wie so etwas funktionieren kann. Die folgenden Beispiele im Schwerpunktthema zeigen, dass dies möglich ist. Allerdings sind die Widerstände gegen derartige innovativen Konzepte groß und es bedarf viel Kraft und Überzeugungsarbeit, aus diesen ersten Pilotprojekten etwas wirklich Systemveränderndes zu machen.

Also leider nichts mit „Neuem Wein in alten Schläuchen“, sondern bis auf wenige mutige Winzer eher „Alter (saurer) Wein in bekannten Schläuchen“.

Danke, dass Sie die Passion Chirurgie lesen.

Hier geht es zum Inhaltsverzeichnis der Aprilausgabe “Sektorenübergreifende Versorgung”: PASSION CHIRURGIE 04/2022.

Rüggeberg JA: Editorial. Sektorenübergreifende Versorgung – Neuer Wein in alten Schläuchen? Passion Chirurgie. 2022 April; 12(04): Artikel_01.

Studie belegt differenzierten und situationsgerechten Umgang mit Operationen in deutschen Kliniken während der SARS-CoV-2-Pandemie

Während der SARS-CoV-2-Pandemie haben deutsche Kliniken – insbesondere nach der ersten Welle – differenziert und situationsgerecht auf die jeweiligen Inzidenzen reagiert und in Abhängigkeit von der Dringlichkeit Eingriffe nachvollziehbar reduziert. Das geht aus einer Studie hervor, welche die Auswirkungen der SARS-CoV-2 Pandemie auf das operative Leistungsgeschehen in der Allgemein- und Viszeralchirurgie sowie in der Unfallchirurgie/Orthopädie beschreibt. Die Analyse der OP-Leistungszahlen erfolgt aus dem Benchmarking-Programm des Berufsverbandes Deutscher Anästhesisten (BDA), des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgen (BDC) und des Verbandes für OP-Management (VOPM).

Die zu Beginn der SARS-CoV-2-Pandemie getroffenen Maßnahmen und Regelungen zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus und zur Behandlung von mit COVID-19 infizierten Patienten hatten erhebliche Auswirkungen auf chirurgische Hauptabteilungen in den deutschen Krankenhäusern. Die behördlich angeordnete Absage elektiver Operationen hat zu einem starken Fallzahlrückgang während der sogenannten ersten Welle, zwischen der 10. und 20. Kalenderwoche im Jahr 2020, geführt [1–4]. Neben der Verschiebung elektiver Operationen wurde während der sogenannten ersten Welle außerdem von einer Abnahme der chirurgischen Notfälle unter anderem in der Allgemeinchirurgie und zahlreiche Absagen durch die Patienten berichtet [5, 6].

Nachdem in den Sommermonaten 2020 wieder nahezu das Durchschnittsniveau der Vorjahre erreicht wurde, gingen die Fallzahlen in den chirurgischen Hauptabteilungen im Herbst 2020 erneut zurück. Wie von Seiten der Gesetzgebung mit dem Dritten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite am 18.11.2020 verordnet, reagierten die Krankenhäuser auf die erneute Zunahme der Inzidenzen im Herbst 2020 differenziert nach dem Inzidenzgeschehen und dem Versorgungsauftrag der Häuser [7]. Dabei wirkte vor allem die Umwidmung der Stationen und die Versetzung des Fachpersonals auf Einheiten zur Versorgung von Coronapatienten limitierend auf den üblichen Regelbetrieb.

Ziel der hier vorliegenden Untersuchung ist die Analyse der Fallzahlentwicklung in der Allgemein- und Viszeralchirurgie und Unfallchirurgie/Orthopädie während der sogenannten zweiten und dritten Welle der SARS-CoV-2-Pandemie bis zum 31.05.2021.

Methode

Für die vorliegende Analyse wurden die OP-Prozessdaten aus Krankenhäusern analysiert, die am Benchmarking-Programm der Fachgesellschaften Berufsverband Deutscher Anästhesisten (BDA), Berufsverband der Deutschen Chirurgen (BDC) und Verband für OP-Management (VOPM) teilnehmen. Das Benchmarking-Programm bietet Krankenhäusern seit 2009 strukturierte und standardisierte Analysetools zur Beurteilung der Prozessabläufe und Leistungsentwicklung in ihren OP-Bereichen [8].

Zur Bewertung der Fallzahlentwicklung in den Monaten der Jahre 2020 und 2021 wurde ein Vergleich zu den gemittelten Fallzahlen der Jahre 2017 bis 2019 durchgeführt. Dazu wurde zunächst die Fallzahl je Arbeitstag auf Monats- und Jahresebene berechnet. Wochenenden und Feiertage wurden ausgeschlossen, um zwischenjährliche Effekte durch eine unterschiedliche Anzahl an Arbeitstagen pro Monat zu eliminieren. Für die Jahre 2017 bis 2019 wurde ein Mittelwert der Fallzahl je Arbeitstag auf Monatsebene berechnet, der als Vergleichswert für die Monate der Jahre 2020 und 2021 diente.

In die Analyse der Fallzahlentwicklung wurden allgemein-/viszeralchirurgische und orthopädisch/unfallchirurgische Hauptabteilungen eingeschlossen, die für alle Monate im Auswertungszeitraum Daten zur Verfügung gestellt haben. Zur weitergehenden Analyse wurden die Krankenhäuser nach Inzidenzbereich eingeteilt. Dazu wurden die vom Robert-Koch-Institut seit dem 18.11.2020 veröffentlichten tagesgenauen Inzidenzen verwendet [9]. Für den Zeitraum 18.11.2020 bis 31.05.2021 wurde ein Inzidenzmittelwert je Kreis (Landkreise und kreisfreie Städte) ermittelt und jedem Haus entsprechend seines Kreises zugewiesen. Ausgehend von den Kreis-Inzidenzmittelwerten wurden die Krankenhäuser in drei Gruppen eingeteilt: niedrig (kleiner 100 Fälle pro 100.000 Einwohner im 7 Tagesdurchschnitt), mittel (zwischen 100 und 150) und hoch (größer 150).

Für die Analyse einzelner Prozeduren wurden nur Abteilungen berücksichtigt, die zu mindestens 90% der operativen Eingriffe einen Operations- und Prozedurschlüssel dokumentiert haben.

Ergebnisse

Im Auswertungszeitraum vom 01.01.2017 bis zum 31.05.2021 haben insgesamt 138 Krankenhäuser Daten übermittelt. Aus dieser Stichprobe wurden 115 allgemein- und viszeralchirurgische Abteilungen (AC/VC) mit 947.413 Operationen und 105 unfallchirurgische und orthopädische Abteilungen (UC/OR) mit 903.360 Operationen in die Fallzahlanalyse eingeschlossen.

Tab. 1: Verteilung der ACH bzw. UCH nach Versorgungsstufe

Anzahl AC/VC

Anzahl UC/OR

Grund-& Regelversorger

41

32

Schwerpunktversorger

38

38

Maximalversorger ohne Universitätskrankenhäuser

17

17

Universitätskrankenhäuser

16

15

MVZ/AOZ

2

2

Fachkrankenhaus

1

1

Gesamt

115

105

OP-Frequenzen in Relation zum Inzidenzwert

Von den 115 AC/VC-Abteilungen lagen 38 in Stadt- oder Landkreisen mit niedriger Inzidenz, 70 mit mittlerer Inzidenz und 7 mit hoher Inzidenz. Für die UC/OR Abteilungen war die Aufteilung niedrig/mittel/ hoch: 36/64/5.

Abbildung 1 und 2 zeigen jeweils die Fallzahlentwicklung seit 2020 in der AC/VC bzw. UC/OR bis zum 31.05.2021 getrennt nach Inzidenzbereich.

Abb. 1: Pandemieverlauf (rechte Achse, blaue Balken) und prozentuale Fallzahlentwicklung in den 115 AC/VC Hauptabteilungen nach Inzidenzbereichen (linke Achse)

Abb. 2: Pandemieverlauf (rechte Achse, blaue Balken) und prozentuale Fallzahlentwicklung in den 105 UC/OR-Hauptabteilungen nach Inzidenzbereichen (linke Achse)

Während der ersten Pandemiewelle gehen die Fallzahlen in den eingeschlossenen AC/VC-Abteilungen insgesamt um 39 % und im Januar 2021 während der zweiten Welle um bis zu 27 % zurück. In den AC/VC-Hauptabteilungen, die in einem Hochinzidenzgebiet liegen, ging die Fallzahl während der zweiten Pandemiewelle sogar um bis zu 44 % zurück, während in Hauptabteilungen aus Niedriginzidenzgebieten der maximale Fallzahlenrückgang nur bei 20 % lag.

In den UC/OR-Hauptabteilungen sank die Fallzahl während der ersten Pandemiewelle insgesamt um bis zu 35 % und während der zweiten Welle um bis zu 23 %. In den unfallchirurgischen/orthopädischen Hauptabteilungen, die in einem Hochinzidenzgebiet lagen, ging die Fallzahl während der zweiten Pandemiewelle um bis zu 40 % zurück während in Hauptabteilungen aus Niedriginzidenzgebieten der maximale Fallzahlenrückgang bei 18 % lag.

OP-Frequenz in Relation zur Indikation

Für 88 AC/VC-Abteilungen konnten die OPS analysiert werden. In Abbildung 3 ist die Fallzahlentwicklungen für drei häufige Eingriffe dargestellt, in Abbildung 4 drei häufige Prozeduren für 79 UC/OR-Abteilungen.

Abb. 3: Prozentuale Fallzahlentwicklung in der AC/VC nach Prozedur (Referenzwert 2017-2019)

Abb. 4: Prozentuale Fallzahlentwicklung in der UC/OR nach Prozedur (Referenzwert 2017-2019)

Abbildung 5 zeigt zusätzlich die Fallzahlentwicklungen von zwei häufigen Eingriffen jeweils aus 70 gynäkologischen (GYN) und 54 urologischen (URO) Abteilungen.

Abb. 5: Prozentuale Fallzahlentwicklung in der GYN und URO nach Prozedur (Referenzwert 2017-2019)

Es ist deutlich erkennbar, dass Eingriffe mit hoher Dringlichkeit kaum Reduktionen erfahren haben, wogegen klassische Elektiveingriffe hohe Rückgänge zu verzeichnen hatten.

Diskussion

Auf Basis der behördlichen Maßnahmen kam es in der ersten Welle, trotz im Nachhinein eher geringen Inzidenz, zu einem drastischen und pauschalen Fallzahlrückgang in den Krankenhäusern. In der sogenannten zweiten und dritten Pandemiewelle zeigte sich ein differenzierteres Bild. In den hier untersuchten Hauptabteilungen zeigte sich eine weitgehend an den Inzidenzzahlen orientierte Versorgung der Patienten. Die Hauptabteilungen aus Kreisen, in denen ein erhöhtes Infektionsgeschehen zu verzeichnen war, haben ihre Fallzahlen entsprechend stärker reduziert als Hauptabteilungen aus Niedriginzidenzgebieten. Trotz der veränderten Ausgangssituation während der zweiten Welle (zum Beispiel ausgeweitete Testmöglichkeiten, bessere Verfügbarkeit von persönlicher Schutzausrüstung in den Krankenhäusern) gingen die Fallzahlen in Hochinzidenzkreisen aber ebenso stark zurück wie während der ersten Pandemiewelle.

Die Auswertungen der Fallzahlentwicklungen auf Prozedurebene zeigen, dass dringliche Eingriffe bzw. Notfalleingriffe, wie die Appendektomie in der Allgemein- und Viszeralchirurgie und die Frakturen in der Unfallchirurgie/Orthopädie ohne erhebliche Fallzahlrückgänge von den Hauptabteilungen durchgeführt worden sind. Trotz hoher Covid-19-Fallzahlen während der zweiten und dritten Pandemiewelle wurde die Versorgung sichergestellt. Der vergleichsweise geringe Fallzahlrückgang für die Appendektomie spiegelt die Ergebnisse anderer Studien wider, nach denen während der ersten Pandemiewelle auch ein gewisser Prozentsatz an Notfalleingriffen zurückgegangen ist [5, 10]. Hier sind die Auswirkungen der Angst der Patienten vor einer Behandlung im Krankenaus während der SARS-CoV-2-Pandemie zu diskutieren. Trotz vorhandener Versorgungsangebote fanden Fallzahlrückgänge auch für dringliche Eingriffe statt, da die Operationen unter anderem durch die Patienten abgesagt wurden [5].

Eingriffe, die erfahrungsgemäß ohne ausgeprägte negative medizinische Konsequenzen für den Patienten für einige Zeit verschoben werden können, wie die operative Versorgung von Hernien oder die Metallentfernung, verzeichnen auch während der zweiten und dritten Pandemiewelle deutliche Fallzahlrückgänge. Für die Cholezystektomie und die Endoprothetik sind jeweils in den Sommermonaten 2020 Aufholeffekte sichtbar. Die Fallzahlrückgänge während der dritten Pandemiewelle waren sowohl insgesamt als auch auf Prozedurebene nicht so stark wie in der ersten Welle. Hier sind weitere insbesondere auch qualitative Untersuchungen bezüglich der Indikationsstellung notwendig, um die einzelnen Effekte auf die Fallzahlentwicklung im Verlauf der Pandemie zu untersuchen.

Zusammenfassend zeigt die Analyse die differenzierte Reaktion der Kliniker sowohl in Bezug auf die Dringlichkeit der Operation als auch in Bezug auf das Infektionsgeschehen in der Umgebung, die insbesondere in besonders betroffenen Gebieten eine deutlich restriktivere Nutzung der operativen Kapazitäten notwendig erscheinen ließ. Akuteingriffe wurden trotz Pandemie durchgeführt und Elektiveingriffe wurden der Dringlichkeit nach reduziert. Die Hauptabteilungen passten sich somit dem Infektionsgeschehen an und stellten gleichzeitig die Versorgung der Patienten sicher.

Literatur

[1]   Busse R, Nimptsch U. COVID-19-Pandemie: Historisch niedrige Bettenauslastung. Dtsch Arztebl 2021; 118(10): A-504 / B-426

[2]   Bialas E, Schleppers A, Auhuber T: COVID-19: Auswirkungen des Lockdowns auf die operative Patientenversorgung in Deutschland im April 2020. Anästh Intensivmed 2021;62:054–062. DOI: 10.19224/ai2021.054

[3]   Kuhlen R, Schmithausen D, Winklmair C, Schick J, Scriba P: The effects of the COVID-19 pandemic and lockdown on routine hospital care for other illnesses. Dtsch Arztebl Int 2020; 117: 488–9. DOI: 10.3238/arztebl.2020.0489.

[4]   Günster C, Drogan D, Hentschker C, Klauber J, Malzahn J, Schillinger G, Mostert C. WIdO-Report: Entwicklung der Krankenhausfallzahlen während des Coronavirus-Lockdowns. Nach ICD-Diagnosekapiteln und ausgewählten Behandlungsanlässen. Berlin 2020.

[5]   Stöß C, Haffer H, Steffani M, et al. Auswirkungen der SARS-CoV-2-Pandemie auf die Chirurgie – Eine nationale Querschnittsstudie [Effects of the SARS-CoV-2 pandemic on surgery – a national cross-sectional study]. Chirurg. 2020;91(9):762-768. doi:10.1007/s00104-020-01256-x

[6]   Hattenbach, L., Heinz, P., Feltgen, N. et al. Auswirkungen der SARS-CoV-2-Pandemie auf die ophthalmologische Versorgung in Deutschland. Ophthalmologe 117, 892–904 (2020). https://doi.org/10.1007/s00347-020-01220-4

[7]   Karaca O, Rüggeberg JA, Schuster M. Zweite Pandemiewelle: Rückgang der Operationen variiert. Dtsch Arztebl 2021; 118 (16): A 824–5

[8]   Bialas E, Schuster M, Taube C, Diemer M, Bauer M. Fünf Jahre OP-Prozessdaten Benchmarking (2009-2013) Der aktuelle Stand des Programms von VOPM, DGAI/BDA und BDC. Anästh Intensivmed 2014; 55:594-613

[9]   Robert-Koch-Institut. 7-Tage-Inzidenzen nach Bundesländern und Kreisen (fixierte Werte). Abgerufen 16.08.2021 von https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Daten/Fallzahlen_Kum_Tab.html

[10]  Augurzky B, Busse R, Haering A, Nimptsch U, Pilny A, Werbeck A. Analysen zum Leistungsgeschehen der Krankenhäuser und zur Ausgleichspauschale in der Corona-Krise – Ergebnisse für den Zeitraum Januar bis Dezember 2020

Rüggeberg J.-A.: Studie belegt differenzierten und situationsgerechten Umgang mit Operationen in deutschen Kliniken während SARS-CoV-2-Pandemie. 2021 November; 11(11): Artikel 04_07.

Schutzschirm mit großen Löchern

Der BDC begrüßt die geplante Fortführung des Rettungsschirms für vertragsärztliche Praxen. Problematisch ist die Begrenzung auf die morbiditätsbezogene Gesamtvergütung (MGV) als Bemessungsgrundlage unter Herausnahme der bisherigen extrabudgetären Vergütungsanteile (EGV). Die ambulanten Arztpraxen bilden in Deutschland ein wesentliches Rückgrat für die Versorgung und können so die pandemiebedingte drohende Überlastung des Gesundheitssystems bis hin zum Zusammenbruch der stationären Versorgungsebene verhindern. Insofern ist es folgerichtig, die ambulante Medizin vor einem wirtschaftlichen Kollaps durch Finanzhilfen zu bewahren. Allerdings gehört dazu nicht nur der Bereich der Grundversorgung in der morbiditätsbezogenen Gesamtvergütung (MGV), sondern gerade im fachärztlichen Bereich auch der Verlustausgleich aus der extrabudgetären Finanzierung.

Dies betrifft in der Chirurgie vor allem das Ambulante Operieren, das nicht zuletzt aufgrund behördlicher Auflagen in der Pandemie massiv reduziert werden musste. Im Übrigen hat der Gesetzgeber noch vor der Pandemie verfügt, dass neue Patienten sowie Akutpatienten extrabudgetär vergütet werden. In einer chirurgischen Praxis sind dies annähernd die Hälfte aller Patienten, vor allem Notfälle. Sollte der Rettungsschirm nur noch die MGV abdecken, bedeutet dies für Chirurgen einen Einkommensverlust von mehr als 50 Prozent bei unverändert bestehenden Kosten. Das würde den Fortbestand der Praxen und deren Schutzfunktion für die Krankenhausambulanzen gefährden. Die extrabudgetären Leistungen müssen daher unbedingt mit einbezogen werden.

„Der Rettungsschirm hat große Löcher und schützt nicht ausreichend die ambulanten Leistungserbringer, die genauso systemrelevant arbeiten wie ihre stationären Kollegen“, so der Vizepräsident des BDC, Dr. Jörg-A. Rüggeberg.

Berufsverband der Deutschen Chirurgen e.V. (BDC)

Der Berufsverband der Deutschen Chirurgen e.V. (BDC) ist mit über 17.600 Mitgliedern die größte europäische Chirurgenvereinigung. Er vertritt die berufspolitischen Interessen deutscher Chirurginnen und Chirurgen in Klinik und Praxis.

 

 

UpDate – Abrechnung dermatochirurgischer Eingriffe

Auch wenn aus dem Selbstverständnis der Chirurginnen und Chirurgen die Dermatochirurgie eher als „Kleinkram“ oder „Wimmerlchirurgie“ läuft, bildet dieses Spektrum doch einen nicht unerheblichen Umsatzanteil einer chirurgischen Praxis. Immerhin steht die Abrechnung der Ziffern aus dem Kapitel Oberflächenchirurgie an erster Position der Leistungen bezogen auf die Vergütungshöhe. In letzter Zeit häufen sich Probleme mit den Kostenträgern, weswegen eine nochmalige Darstellung der korrekten Abrechnung wichtig erscheint.

Die Abrechnung dermatochirurgischer Leistungen aus dem Kapitel 31.2.2 ist neben den allgemeinen Voraussetzungen zur Erbringung ambulanter operativer Leistungen (Genehmigung der KV zum Ambulanten Operieren) gebunden an spezifische Leistungsinhalte, die sich unmittelbar aus den nachfolgend aufgeführten und Bestandteil des EBM darstellenden Präambeln zu den jeweiligen Kapiteln ergeben. Prinzipiell können nur abgerechnet werden Exzisionen mit Eröffnung der Haut und/oder Schleimhaut und Angabe des jeweiligen OPS-Codes. Im Falle der Dermatochirurgie sind nur die OPS-Codes für eine radikale und ausgedehnte Exzision abrechnungsfähig. Das bedeutet, dass die in der Präambel genannten Größendefinitionen Geltung haben (größer 4cm2 resp. größer 1cm3). Ausgenommen von dieser Größenvorgabe sind Eingriffe an Kopf und Händen. Alles andere fällt unter die Leistungsziffern 02300 ff. und sind trotz des im Prinzip gleichen Aufwands schlecht und zudem innerhalb des Budgets finanziert. Die Größe des Excidats bestimmt die Frage, ob ein Eingriff unter 31101 oder nur unter 02300-02302 berechnet werden darf. Der Hinweis auf die eigentlich höhere Kunst, einen kleinen Tumor kosmetisch subtil zu präparieren, hilft nicht, es gilt ausschließlich die metrische Dimension. Es ist bekannt, dass sich kaum jemand daran hält, ebenso sehen wir aber die Tendenz der KVen, rigoros zu streichen, wenn die Bedingungen nicht nachweislich erfüllt sind.

Um für spätere Plausibilitätsprüfungen gewappnet zu sein, empfiehlt es sich, die Größenangaben im OP-Bericht oder durch Auflegen eines Maßbands bei Foto-Dokumentation zu dokumentieren. Der Verweis auf Größenangaben des Pathologen ist ungeeignet, da die Präparate nach der Entnahme und dann auch durch Fixierung und Färbung erheblichen Schrumpfungsprozessen ausgesetzt sind. Maßgeblich ist allein die Dokumentation des Operateurs. Letztlich ist es eine Frage des individuellen Fingerspitzengefühls, ob Sie ein kleines Pendelfibrom tatsächlich unter der GOP 31101 abrechnen wollen und stattdessen ein kleines Basaliom nicht besser mit ausreichendem Sicherheitsabstand, den Sie notieren, entfernen.

Für die Abrechnung von Leistungen aus dem Kapitel 31.2.2 (Definierte Eingriffe an der Körperoberfläche, also für die Dermatochirurgie) ist eine histologische Untersuchung des entnommenen Materials oder eine Bilddokumentation des prä- und postoperativen Befundes Voraussetzung. Auch hier gibt es immer wieder Streichungen durch die KV, weil diese Bedingung nicht beachtet wird, auch wenn z. B. ein eindeutiges Atherom entnommen wurde.

Die Abrechnung mehrerer Exzisionen in gleicher Sitzung wird über die Definition von Simultaneingriffen (Präambel Anhang 2, Satz 2,3,13 und 14) geregelt. Grundsätzlich setzt ein Simultaneingriff eine vollendete Schnitt-Naht-Zeit von 15 Minuten für den konkreten Zusatzeingriff voraus. Die Summation mehrerer kürzerer Zeiten ist nicht zulässig. Die jeweiligen Zeiten sind über das OP- oder das Narkose-Protokoll zu dokumentieren. Im Prinzip ist das möglich, wenn z. B. Strukturen an verschiedenen Orten entfernt werden. Allerdings muss der Zweiteingriff grundsätzlich mindestens 15 Minuten verbrauchen, was eher selten vorkommt. In diesen Fällen kann durchaus an mehreren Tagen operiert werden, aber mit einem Abstand von mindestens drei Tagen!

Der Ansatz der Gebührenordnungsziffern (31102) für eine histographisch kontrollierte Exzision ist abweichend von der reinen OPS-Systematik im EBM eindeutig gebunden an den Nachweis eines malignen Befundes. (Präambel Anhang 2 Satz 10). Das wird von den KVen pragmatisch und ohne weitere Kontrollen (abgesehen von der möglichen Vorlage des Histobefundes) umgesetzt. Es erfordert naturgemäß die entsprechende Diagnose im ICD. Im Klartext: Die Ziffer wird gestrichen, wenn keine passende Diagnose vorliegt, aber (leider) auch nicht automatisch hochgesetzt.

Wenn eine Leistung mit histograpischer Aufarbeitung angesetzt wird (z. B. die GO-Nr. 31102) sind alle ggf. notwendigen operativen Nachexzision damit abgegolten und können nicht gesondert abgerechnet werden. (s. dazu die Präambel zum Anhang 2 unter 10. Dies stellt auch eine Ausnahme zur Regelung unter 8. im genannten Anhang dar). Konsequenter Weise muss der Ansatz der GO.-Nr. 31102 in die Go.-Nr. 31101 korrigiert werden, wenn die histographische Aufarbeitung keinen malignen (oder semimalignen, z. B. Basaliom) Befund ergeben hat. Es ist auch zu beachten, dass die Anlage eine Fadenmarkierung allein nicht zur Abrechnung der histographischen Leistung berechtigt.

Originaltexte des EBM

Präambel 4.3.7 EBM

  1. Die Verwendung der Begriffe klein/groß, kleinflächig/großflächig, lokal/radikal und ausgedehnt bei operativen Eingriffen entspricht den Definitionen nach dem vom Deutschen Institut für medizinische Dokumentation und Information herausgegebenen Schlüssel für Operationen und sonstige Prozeduren gemäß § 295 Abs. 1 Satz 4 SGB V: Länge: kleiner/größer 3 cm, Fläche: kleiner/größer 4 cm², lokal: bis 4 cm² oder bis zu 1 cm³, radikal und ausgedehnt: größer 4 cm² oder größer 1 cm³. Nicht anzuwenden ist der Begriff „klein“ bei Eingriffen am Kopf und an den Händen.
  2. Operative Eingriffe setzen die Eröffnung von Haut und/oder Schleimhaut bzw. eine primäre Wundversorgung voraus, soweit in den Leistungsbeschreibungen nicht anders angegeben. Punktionen mit Nadeln, Kanülen und Biopsienadeln fallen nicht unter die Definition eines operativen Eingriffs.
  3. Lokalanästhesien und Leitungsanästhesien sind, soweit erforderlich, Bestandteil der berechnungsfähigen Gebührenordnungspositionen.

Präambel Kapitel 31.2.2

Dermatochirurgische Eingriffe

  1. Die Berechnung dermatochirurgischer Eingriffe setzt die obligate histologische Untersuchung entnommenen Materials und/oder eine Bilddokumentation des prä- und postoperativen Befundes voraus.
  2. Für die Berechnung der Gebührenordnungspositionen 31096, 31097 und 31098 gelten die Anforderungen der Richtlinie über Maßnahmen zur Qualitätssicherung nach § 136 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 SGB V bei Verfahren der Liposuktion bei Lipödem im Stadium III.

Präambel Anhang 2 (Auszug)

  1. Die nachfolgende tabellarische Aufstellung umfasst die nach OPS codierten operativen Eingriffe der Abschnitte 31.2 und 36.2, die zugeordnete OP-Leistung, die OP-Kategorie, die in diesem Zusammenhang berechnungsfähigen Überwachungskomplexe, die postoperativen Behandlungskomplexe bei Durchführung auf Überweisung und bei Durchführung durch den Operateur sowie die zugeordneten Narkoseleistungen. Die Zuordnungen der OPS-Codes zu den OP-Kategorien gelten für ambulante und belegärztliche Operationen gleichermaßen. Die den OPS-Codes zugeordneten OP-Leistungen, Überwachungskomplexe sowie die Narkosen sind in der Tabelle jeweils gesondert für die Kapitel 31 und 36 ausgewiesen. Nach belegärztlichen Eingriffen sind keine Gebührenordnungspositionen des Abschnitts 31.4 berechnungsfähig, daher ist dort keine Zuordnung erfolgt.
  2. Erfolgen mehrere operative Prozeduren unter einer Diagnose und/oder über einen gemeinsamen operativen Zugangsweg, so kann nur der am höchsten bewertete Eingriff berechnet werden.
  3. Abweichend von 2. kann bei Simultaneingriffen (zusätzliche, vom Haupteingriff unterschiedliche Diagnose und gesonderter operativer Zugangsweg) die durch das OP- und/oder das Narkoseprotokoll nachgewiesene Überschreitung der Schnitt-Naht-Zeit des Haupteingriffes durch die zusätzliche Berechnung der entsprechenden Zuschlagspositionen berechnet werden. Die berechnungsfähige Höchstzeit bei Simultaneingriffen entspricht der Summe der Zeiten der Einzeleingriffe. Als Berechnungsgrundlagen für Simultaneingriffe gelten folgende Zeiten:
    – Kategorie 1: 15 Minuten,
    – Kategorie 2: 30 Minuten,
    – Kategorie 3: 45 Minuten,
    – Kategorie 4: 60 Minuten,
    – Kategorie 5: 90 Minuten,
    – Kategorie 6: 120 Minuten.
  4. Bei den Gebührenordnungspositionen 31097, 31107, 31117, 31127, 31137, 31147, 31157, 31167, 31177, 31187, 31197, 31207, 31217, 31227, 31237, 31247, 31257, 31267, 31277, 31287, 31297, 31307, 31317, 31327, 31337, 31347, 36097, 36107, 36117, 36127, 36137, 36147, 36157, 36167, 36177, 36197, 36207, 36217, 36227, 36237, 36247, 36257, 36267, 36277, 36287, 36297, 36307, 36317, 36327, 36337 und 36347 kann die über die Schnitt-Naht-Zeit von 120 Minuten hinausgehende Schnitt-Naht-Zeit durch die entsprechenden Zuschläge berechnet werden. Die Schnitt-Naht-Zeit ist durch das OP- oder Narkoseprotokoll nachzuweisen.
  5. Abweichend von Nr. 8 der Präambel zum Abschnitt 31.2 und Nr. 4 der Präambel zum Abschnitt 36.2 sind Revisionen und Zweiteingriffe wegen Wundinfektionen und postoperativen Komplikationen unter Angabe des Erst-OP-Datums, der aufgetretenen Komplikation und der ICD-10-Codierung (T79.3, T81.0 bis T81.7, T84.5 bis T84.7, T85.1 bis T85.8) berechnungsfähig. Ist bei malignen Erkrankungen eine Zweitoperation (Erweiterung des Eingriffs, Nachresektion) erforderlich, so ist diese mit dem ICD-Code Z48.8 gemeinsam mit dem ICD-Code des Malignoms zu kennzeichnen und kann ebenfalls abweichend zu den Präambeln 31.2.1 Nr. 8 und 36.2.1 Nr. 4 berechnet werden. Die Regelung der Präambel 2.1 Nr. 10 zum Anhang 2 zum EBM bleibt davon unberührt.
  6. Die alleinige Abrechnung eines temporären Wundverschlusses ist nur zur Konditionierung des Wundgrundes zulässig, wenn mindestens 3 operative Eingriffe erforderlich waren.
  7. Bei der Codierung der operativen Versorgung von Frakturen bezieht sich die Lokalisationsangabe auf die Fraktur, bei der Entfernung des Osteosynthesematerials auf den Zugangsweg.
  8. Für den jeweiligen Eingriff qualifizierende Begriffe (z. B. lokale vs. radikale Exzision) gelten die Definitionen nach dem vom Deutschen Institut für medizinische Dokumentation und Information herausgegebenen Schlüssel für Operationen und sonstige Prozeduren gemäß § 295 Abs. 1 Satz 4 SGB V.
  9. Die Berechnung einer histographischen Leistung kann nur bei malignen Befunden erfolgen, der histologische Befund ist vorzuhalten. Der temporäre Wundverschluss und die ggf. erforderliche Nachresektion(en) sind nicht gesondert abrechenbar.
  10. Die Kombination mehrerer Verfahren setzt voraus, dass alle einzelnen Verfahren in diesem Anhang genannt sind.
  11. Erfolgen unterschiedliche operative Eingriffe gleichzeitig durch zwei Operateure einer Berufsausübungsgemeinschaft bzw. eines medizinischen Versorgungszentrums, so ist der Haupteingriff entsprechend der höchst bewerteten Kategorie abzurechnen. Der parallel dazu stattfindende Simultaneingriff durch den zweiten Operateur kann entsprechend dem OP- bzw. Narkose-Protokoll mit den entsprechenden Zuschlägen für Simultaneingriffe berechnet werden. Die Narkose kann in diesem Fall nur entsprechend des Haupteingriffs berechnet werden.
  12. Bei der Berechnung von Zuschlagspositionen für die Erbringung von Simultaneingriffen gemäß Nr. 3 ist – sofern die Teileingriffe unterschiedlichen Unterabschnitten der Kapitel 31 oder 36 des EBM zugehören – die am höchsten bewertete Zuschlagsposition 31xx8 oder 36xx8 der für den Simultaneingriff relevanten Unterabschnitte in Anrechnung zu bringen.
  13. Maßgeblich für die Berechnung der Zuschlagspositionen für Simultaneingriffe nach Nr. 3 ist nicht die Überschreitung der kalkulatorischen Schnitt-Naht-Zeit der Kategorie des Haupteingriffes, sondern die Überschreitung der tatsächlichen Schnitt-Naht-Zeit des jeweiligen Haupteingriffes.
  14. Beidseitige Eingriffe an paarigen Organen oder Körperteilen fallen unter die Regelungen nach Nr. 3, sofern die Seitenlokalisation nicht am OPS-Code benannt wird und gesondert bewertet ist. Die entsprechenden OPS-Codes sind in der tabellarischen Aufstellung unter der Rubrik „Seite“ mit einem Doppelpfeil gekennzeichnet.

Tipps

  • Dokumentation der Größen, wobei ein guter Chirurg eher mit ausreichendem Abstand und vor allem in die Tiefe exzidiert. Die Größenangaben des Pathologen sind wegen der Schrumpfung der Präparate ungeeignet.
  • Immer Histologie gewinnen, Fotos gehen auch, sind aber umständlich.
  • Mehrere Excision auf mehrere Tage verteilen mit Abstand von drei Tagen. (Mo-Do, Di-Fr)
  • Maligne Befunde in der Diagnosecodierung erfassen, dann Abrechnung nach 31102.
  • Nachexcisionen nach 31102 sind nicht abrechnungsfähig. Ggf. erste Excision nach 31101 abrechnen und mit Zeitversatz Nachresektion mit 31102.
  • Die Leistungstexte der GOP 02300 bis 02302 beachten. Was dort aufgelistet wird, muss auch so abgerechnet werden. Deshalb niemals eine Warze unter dieser Diagnose erfassen, sondern immer als gutartige Hautveränderung (ICD d23ff).

Im weitesten Sinn gehört zur Dermatochirurgie auch die Spaltung von Abszessen. Grundsätzlich sind diese unter 02301 abzurechnen, was häufig dem damit verbundenen operativen Aufwand nicht gerecht wird. Da weder eine primäre Naht noch üblicherweise eine histologische Untersuchung erfolgen, sind die Bedingungen für die Excisionschirurgie nicht erfüllt. In begründeten Ausnahmen (bei entsprechender Größe und hohem Aufwand) kann man auf die OPS-Ziffern 5-896ff. ausweichen. Diese beschreiben die Entnahme nekrotischen Gewebes (Wunddebridement, großflächig, mit Entnahme von erkranktem Gewebe), abzurechnen je nach Lokalisation unter 31101 oder 31102. Achtung: Auch hier gilt die Größendefinition und die Verpflichtung zu Photo oder Histologie! Für ein einfaches Furunkel sicher nicht geeignet, wohl aber für ausgedehnte Nekrosenabtragungen und tiefe Abszesse.

Immer gilt: sorgfältig dokumentieren und im Rahmen bleiben! Es heißt zwar: Nur der tote Fisch schwimmt mit dem Strom, aber wer aus der Menge heraussticht, wird auch erwischt.

Rüggeberg JA, Kalbe P: UpDate – Abrechnung dermatochirurgischer Eingriffe. Passion Chirurgie. 2020 Dezember, 10(12): Artikel 04_07.

Editorial: Katharsis nach der (beinahe)-Katastrophe?

„Wann sind wir da? Dauert es noch lange?“ Eltern, die mit Kindern unterwegs sind, kennen die Nörgelei und reagieren meist genervt und unwirsch, statt positiv einzuwirken wie: „Schaut mal draußen, was es alles zu sehen gibt!“, oder: „Freut euch auf den schönen Strand am Ziel der Reise!“. Wie überhaupt viele Menschen eher das Haar in der Suppe als die Suppe um das Haar herum sehen.

Ähnlich verhält es sich mit der Corona-Krise, die zwar offenbar abgeschwächt und im Griff zu sein scheint, aber noch nicht zu Ende ist, weil es bis dato weder einen Impfstoff noch eine evaluiert wirksame Therapie gibt. Dennoch kann man sich so langsam mit einer Bilanz des bisher Geschehenen und der möglichen Konsequenzen befassen.

Wie immer gibt es Licht und Schatten. Ganz ohne Frage sind viele Bürger weniger wegen der Erkrankung selbst, sondern vielmehr wegen der staatlich verfügten Sperrmaßnahmen zur Eindämmung der Pandemie in ihrer wirtschaftlichen Existenz trotz Schutzschirmen massiv geschädigt worden. Auch die psychischen Schäden durch soziale Isolation, fehlende Kinderbetreuung, Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit sowie plötzlich auswegloser innerfamiliärer Nähe sind nicht außer Acht zu lassen. Die Zahl der COVID-Opfer ist dagegen eher gering und hat nur sehr kurzfristig zu einer geringen Übersterblichkeit geführt.

Es wird die Frage zu beantworten sein, ob Corona oder die Abwehr gegen Corona die größeren Opfer gefordert hat. Man darf das sicher diskutieren, aber die Debatte bleibt spekulativ, denn wir wissen nicht, wie viele Opfer es ohne die Maßnahmen gegeben hätte. Allenfalls kann man es bei der Betrachtung der Situation in anderen Ländern erahnen. Ganz im Kern geht es um die Abwägung von elementaren Gütern in ihrer Wertigkeit zueinander: Gesundheit oder Freiheit?

Zu den positiven Erfahrungen aus der Krise gehört die für uns Deutsche bisher eher untypische spontane Solidarität. Dass ein Volk, das Regeln befolgt wie kein zweites, sich sehr vorbildlich an die Abstandswahrungen, Maskenpflicht und Verzicht auf öffentliche Veranstaltungen gehalten hat, ist dennoch in dieser Ausprägung bemerkenswert. Nicht zuletzt hat das Gesundheitssystem – viel gescholten als zu teuer und ineffizient – die Krise exzellent gemeistert und ganz wesentlich zu der im internationalen Vergleich sehr niedrigen Opferzahl beigetragen und dafür gesorgt, dass es bisher jedenfalls nicht zu einer Katastrophe wie z.B. in den USA gekommen ist.

Sicher wird es im Nachhinein heftige, vermutlich auch gerichtliche, Auseinandersetzungen geben, ob die im Prinzip grundgesetzwidrigen Einschränkungen überzogen und ausreichend gerechtfertigt waren. Viel interessanter ist aber die Frage, ob und wenn ja was wir aus der Krise gelernt haben, die sich für die Gesundheit der Bürger offenbar nicht zu einer Katastrophe ausgeweitet hat, aber das Sozialgefüge an den Rand des Abgrunds gebracht hat.

Bedienen wir uns an dieser Stelle einmal der Begrifflichkeiten der antiken Tragödie. Danach ist die Katastrophe die entscheidende Wendung [zum Schlimmen] als Schlusshandlung im [antiken] Drama. Haben wir überhaupt eine Wendung zum Schlimmen gesehen? Individuell für Einzelne ganz sicher, für die Mehrheit aber nicht und schon gar nicht im Gesundheitswesen. Dagegen definiert die Literaturwissenschaft die Katharsis in der aristotelischen Poetik als die Reinigung als Effekt der Tragödie. Mithin kann eine Katastrophe oder zumindest eine Tragödie durchaus auch positive Aspekte besitzen, wenn man bereit ist, aus dem Geschehenen zu lernen.

Das setzt zunächst eine Analyse voraus, die zweifellos je nach Sichtweise und Interessenslage unterschiedlich ausfallen dürfte. Für uns Ärzte bleibt festzustellen (und das wird auch von niemandem bestritten), dass die Kliniken mit hohem Einsatz die Versorgung schwer Erkrankter bewältigt haben, während der ambulante Bereich in seiner Funktionalität als Schutzwall die Krankenhäuser entlasten konnte, damit diese ihre Kernaufgabe wahrnehmen konnten. Es ist aber zu kurz gesprungen, nur die in Deutschland ziemlich einzigartige Arbeitsteilung zwischen ambulant und stationär als wirkungsvolles Instrument zu thematisieren. Auch in den jeweiligen Sektoren gab und gibt es Corona-induzierte Veränderungen, die offenkundig zu dieser optimalen Versorgung und den geringen Opferzahlen beigetragen haben.

An erster Stelle ist dabei zu nennen die Abkehr von wirtschaftlich indizierten Prozeduren, der zumindest zeitweise Verzicht auf das Primat der Ökonomie zugunsten einer hochwertigen, am Patienten orientierten Medizin. Auch der reduzierte Aufwand der Ärzte für rein administrative Tätigkeiten hat sicher zu den Spitzenergebnissen beigetragen. Nebenbei ist die Pflege dankbar, dass als Folge von Besuchsverboten wieder mehr Hinwendung zum Patienten möglich war. Letzteres wird man bei Wahrung der Patientenrechte nicht unbedingt vollumfänglich beibehalten können, aber gerade die beiden ersten Punkte müssen im Sinne der Katharsis, also einer positiven Erkenntnis, mit aller Macht in die öffentliche Diskussion um eine Neustrukturierung des Gesundheitssystems eingebracht werden. Ähnliches gilt für die ambulante Versorgungsebene. Auch hier bringt der früh ausgerufene „Rettungsschirm“ Planungssicherheit, um auch bei geringerem Patientenaufkommen trotzdem wirtschaftliche Sicherheit zu haben. Wäre das nicht der Zeitpunkt, darüber nachzudenken, wie dauerhaft mehr Zeit für die Behandlung wirklich Kranker unter Verzicht auf das berühmte Hamsterrad gewonnen werden kann?

Wenn tatsächlich die Krise zu einer Katharsis des Gesundheitssystems führen kann oder soll, dann muss der Fokus in Zukunft wieder eindeutig auf die ärztlich indizierte Behandlung, frei von ökonomischen Vorgaben resp. Zwängen, gelegt werden.

Ich fürchte nur, dass viele Beteiligte im System nicht genug Katastrophe (Wendung zum Schlimmen) erlitten haben, um die Vorteile einer Katharsis zu sehen. Es gibt leider wie in jeder Krise eine Menge von Gewinnern, wie die privaten Krankenkassen und manche Berufsgenossenschaften, die sich aus verschiedenen Gründen nur unzureichend am Rettungsschirm beteiligen, dafür aber deutlich geringere Ausgaben bei stabilen Einnahmen hatten. Aber auch Krankenhausverwaltungen haben erkannt, dass die Ausgleichszahlungen für leerstehende Betten teilweise bessere Erlöse bringen als unrentable DRGs. Niedergelassene konnten ihre Ausgaben reduzieren bei garantiert gleichbleibenden Honorarzahlungen. Grund zur Klage gibt es bis auf Einzelfälle eher nicht.

Auch wenn ich niemandem eine existenzbedrohende Situation wünsche, bleibt ein Restzweifel, ob es uns gelingen wird, trotzdem nicht einfach so weiter zu machen, als sei nichts gewesen. Wir müssen die Pandemie und deren Folgen als Chance begreifen, neue Strukturen zu fordern. Das haben wir schon immer gemacht. Jetzt aber ist ein Zeitpunkt gekommen, an dem wir mit Verweis auf unsere Erfolge in der Krise vielleicht etwas mehr Gehör finden. Insofern hat für mich die Pandemie mehr Licht als Schatten an den Tag gebracht.

Rüggeberg J: Editorial Katharsis nach der (beinahe) Katastrophe? Passion Chirurgie. 2020, 10(7/8): Artikel 01.

Strafzahlungen des MDK-Reformgesetzes greifen nicht bei belegärztlicher chirurgischer Tätigkeit

Rundschreiben zur Information unserer belegarzttätigen BDC-Mitglieder

Seit 1. Januar 2020 ist das MDK-Reformgesetz in Kraft getreten: Das Gesetz regelt unter anderem eine Strafzahlung in Höhe von mindestens 300 Euro für Krankenhausträger, denen eine fehlerhafte Abrechnung durch den MDK nachgewiesen wird. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft und ihre Landesverbände gehen derzeit mit einer aufmerksamkeitsstarken Kampagne an die Öffentlichkeit, die zum Teil zu Verunsicherung unter unseren Mitgliedern sorgt, die auch belegärztlich an Krankenhäusern tätig sind.

Wir möchten Ihnen deswegen gerne Orientierung geben: Die Krankenhausträger dürfen die Strafzahlungen nicht an die belegärztlich tätigen Chirurgen weitergeben. Die belegärztliche Honorierung erfolgt nach dem EBM, die vom MDK beanstandeten Auffälligkeiten bei den Krankenhausabrechnungen dagegen erfolgen in der Finanzierungssystematik der DRG. Insofern sollten auch keine vertraglichen Verpflichtungen eingegangen werden, derartige Strafzahlungen zu tragen bzw. zu erstatten.

Um lästige Abrechnungs(nach-)fragen mit dem Krankenhausträger zu vermeiden, empfehlen wir Ihnen, sich auch weiterhin an die derzeit gültigen G-AEP-Regelungen zur stationären Einweisung von Patienten zu halten und diese auch zu dokumentieren. In Fällen in denen der Patient eine stationäre Einweisung wünscht, wird dieser gebeten, die Kostenübernahmeerstattung im Vorfeld mit seiner Krankenkasse abzuklären.

Wir hoffen, mit diesen Handlungsempfehlungen zur Versachlichung der Debatte beigetragen zu haben.

Rüggeberg JA, Farghal D: Strafzahlungen des MDK-Reformgesetz greifen nicht bei belegärztlicher chirurgischer Tätigkeit. Passion Chirurgie. 2020 April, 10(04): Artikel 05.