Alle Artikel von Jörg-Andreas Rüggeberg

Berufspolitik Aktuell: Alte Ideen, neu verpackt

Wir wollen eine gute, bedarfsgerechte und bezahlbare medizinische und pflegerische Versorgung für die Menschen im ganzen Land sichern.“ Mit diesem ebenso wohltönenden wie nichtssagendem Satz beginnt im Koalitionsvertrag der Abschnitt zu den gesundheitspolitischen Absichten der neuen Bundesregierung. Das stand so ähnlich in nahezu allen Vorläuferversionen der letzten Jahre und wir wissen, was am Ende dabei herausgekommen ist. Interessant ist allenfalls, dass es nicht mehr „wir werden“, sondern nur noch „wir wollen“ heißt. Wünschen kann man Vieles, Absichtserklärungen sind noch keine konkreten Gesetzespläne. Da passt es ins Bild, dass die zentrale Herausforderung der Stabilisierung der Gesundheitskosten erstmal nach altem Muster in eine Kommission abgeschoben wird, die erst in zwei Jahren Vorschläge präsentieren soll. Wie immer haben die politisch Verantwortlichen nicht den Mut, der Bevölkerung auch nur ansatzweise eine Reduktion von Leistungen zuzumuten, da versucht man lieber, bei den Leistungserbringern zu sparen, so wie all die Jahre zuvor mit den diversen „Verbesserungsgesetzen“.

Originell ist dabei ein Ansatz, der seinerzeit von der SPD-Ministerin Ulla Schmidt gegen den Widerstand der Union nicht umgesetzt werden konnte, jetzt aber von einem CDU-Minister realisiert werden soll: das Primärarztsystem. Einen direkten Zugang zu Fachärzten soll es nicht mehr geben, stattdessen legen Haus- und Kinderärzte oder die von den Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) betriebene Rufnummer 116 117 den medizinisch notwendigen Bedarf für einen Facharzttermin fest und legen den dafür notwendigen Zeitkorridor (Termingarantie) fest. Wenn das nicht klappt, sollen die Fachärzte an den Krankenhäusern dann die ambulante Versorgung übernehmen. Offenbar ist den Koalitionären entgangen, dass es dort zumindest derzeit überhaupt gar keine ausreichenden Kapazitäten für die Millionen zusätzlicher Behandlungsfälle gibt. Letztlich ist das Ganze dann eben doch eine verkappte Rationierung, denn in dem Nadelöhr Primärarzt werden viele Patientinnen und Patienten hängen bleiben, man möge nur ins Nachbarland Niederlande blicken. Allerdings soll im Hausarztbereich das Personalangebot aufgestockt werden, indem pro Arzt nunmehr zwei Weiterbildungsassistenzen ermöglicht werden, von einer fachärztlichen Weiterbildung in unseren Praxen ist selbstverständlich keine Rede.

Außerdem werden Fachärzte auch honorartechnisch beglückt durch eine Entbudgetierung in unterversorgten Gebieten (die es aber praktisch nicht gibt!). In (drohend) unterversorgten Gebieten soll es Zuschläge zum, in überversorgten Gebieten (größer 120 Prozent) Abschläge vom Honorar geben. Mit anderen Worten: die meisten Kolleginnen und Kollegen, können mit Abschlägen rechnen. Nicht verschwiegen soll, dass es auch ein paar positive Aspekte gibt: So soll (eine lange vorgetragene Forderung der Ärzteschaft) die Sozialversicherungsfreiheit von Ärztinnen und Ärzten im Bereitschaftsdienst der Krankenversicherung geregelt werden. Ebenso soll die sektorenübergreifende Versorgung mit Weiterentwicklung der Hybrid-DRGs gefördert werden. Daran arbeiten derzeit die Partner der Selbstverwaltung. Auch der BDC hat seine Vorstellungen eingebracht, wobei wir darauf drängen, medizinisch kritische Prozeduren wie Cholezytektomie oder Strumachirurgie nicht in verpflichtend ambulante Eingriffe umzuwidmen. Ansonsten bleibt es bei der noch von Minister Lauterbach auf den Weg gebrachten Krankenhausreform, auf die wir ja schon mehrfach eingegangen sind.

Auch wenn die Formulierungen im Koalitionsvertrag noch keine Gesetzestexte darstellen, bleibt festzustellen, dass im Grunde keine wirklich systemverändernden Pläne zu erkennen sind, sondern eher so weitergemacht wird wie bisher. Keine Einschränkungen für die Bevölkerung, Daumenschrauben für die Leistungserbringer, speziell für Kliniken über das schon beschlossene KHVVG mit der Zuteilung von Leistungsgruppen sowie für niedergelassen Fachärzte mit Einführung eines Primärarztsystems und potentiellen Honorarkürzungen.

Um dem Ganzen noch eine versuchsweise versöhnliche Note abzugewinnen: Zumindest müssen wir uns nicht mehr mit den erratischen Ideen eines Prof. Lauterbach herumschlagen. Dessen Gastspiel ist nach drei Jahren beendet. Hoffen wir, dass der neue Minister nicht seinem Namen gerecht wird und uns neue Sorgen beschert.

PS: Sie finden die Passagen des Koalitionsvertrages zur Gesundheitspolitik HIER (ab S. 75).

Rüggeberg JA: Alte Ideen, neu verpackt. Passion Chirurgie. 2025 Mai; 15(05): Artikel 05_03.

Berufspolitik Aktuell: Immer wieder einmischen

Die Wahlen zum Deutschen Bundestag sind vorbei und hinterlassen das Bild einer tief gespaltenen Gesellschaft mit teilweise unvereinbaren Positionen. Es wäre dringend geboten, jetzt wieder in einen sachorientierten gemeinsamen Diskurs einzutreten und nach einigenden Kompromissen zu suchen. Man wird sehr genau hinsehen müssen, ob und wie eine neue Regierung in der Lage sein wird, die unbestreitbaren Gegensätze in zukunftsorientierte Lösungsansätze zu bringen. Gerade für uns Ärztinnen und Ärzte steht das Wohl der uns anvertrauten kranken Menschen im Vordergrund unseres Handelns. Dem sind wir ungeachtet der Herkunft, des Glaubens, des Sozialstatus oder irgendwelcher Ideologien für jeden gleichermaßen verpflichtet.

Ein Wesensmerkmal ärztlicher Tätigkeit ist dabei die Fokussierung auf jeweilige Einzelschicksale. Politiker dagegen müssen abstrahierend denken und für die Gesamtgesellschaft priorisierend entscheiden, das macht Diskussionen zwischen diesen Gruppen oft schwierig.

Das mag ein Grund dafür sein, dass die Gesundheitspolitik im Wahlkampf praktisch keine Rolle gespielt hat, obwohl es mit dem bekannten Thema Bürgerversicherung durchaus richtungsweisende fundamentale Gegensätze gab. Gleiches gilt für Positionen zu einer wohnortnahen Versorgung auf qualitativ bestmöglichem Niveau. So sehr Minister Lauterbach zu Ampelzeiten auf allen Kanälen präsent war, so wenig haben strukturelle Fragen im Gesundheitssystem im Wahlkampf eine Rolle gespielt. Jetzt werden wir darauf achten müssen, was dazu in einem Koalitionspapier formuliert werden wird.

Auf dieses Papier haben wir von außen nur wenig Einfluss, später dann auf die Umsetzung der Vorhaben zusammen mit den anderen Playern möglicherweise etwas mehr. Dann sind aber die Weichen schon gestellt und die Eckpfeiler fest eingerammt. Umso wichtiger ist es daher, unsere Vorstellungen rechtzeitig in die Verhandlungen der Koalitionäre einzubringen.

Der BDC hat hierzu ein Positionspapier verfasst und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht (wie natürlich auch alle anderen Gruppierungen). Es beinhaltet fünf Punkte, die den besonderen Herausforderungen für das Gesundheitswesen gerecht werden (mehr dazu, siehe BDC-Pressemitteilung):

„Einem stetig wachsenden Versorgungsbedarf einer älter werdenden Bevölkerung stehen ein wachsender Fachkräftemangel und eine veränderte Haushaltslage in Deutschland gegenüber. Ziel muss es daher sein, das Gesundheitssystem in seiner Bedeutung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, die Daseinsvorsorge und nicht zuletzt auch als Wirtschaftsfaktor zu erkennen und zu fördern. Gleichzeitig bedarf es umfassender Reformen. Für die neue Legislaturperiode bezieht der BDC daher Position und fordert die Politik auf, die folgenden Reformschwerpunkte prioritär anzugehen:

  1. Fachärztliche Weiterbildung auf ambulanter und stationärer Ebene fördern,
  2. Bürokratieabbau umsetzen,
  3. Steuerung von Patienten optimieren,
  4. Krankenhausreform weiterentwickeln und
  5. Sektorenübergreifende Hybrid-DRG weiterentwickeln.“

Wir werden sehen, was eine neue Regierung davon angehen will und werden alles daransetzen, dass wir weiter unsere Patienten so versorgen können, wie es in deren Interesse geboten ist.

Rüggeberg JA: Immer wieder einmischen. Passion Chirurgie. 2025 März; 15(03/QI): Artikel 05_02.

BDC trifft H-DRG-Vereinbarung mit Pathologie

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

der BDC hat unter Einbeziehung der Anästhesie eine Vereinbarung mit der Pathologie getroffen, mit deren Hilfe mögliche Auseinandersetzungen um Honoraranteile aus H-DRGs vermieden werden sollen. Bekanntlich sind pathologische Leistungen Bestandteil der Hybrid-DRG mit der Folge, dass diejenige Einrichtung, die ein solches H-DRG abrechnet, die Pathologie aus diesem Honorar bezahlen muss, weil eine kassenärztliche Überweisung grundsätzlich nicht erlaubt ist. Angesichts der möglicherweise entstehenden immensen Kosten durch Spezialuntersuchungen haben wir vereinbart, dass zunächst nur eine einfache Histologie zu einem über alle DRG gleichen Festpreis erstattet wird und zwar als Vorwegabzug. Erst danach erfolgt eine ggf. erforderliche Aufteilung zwischen Chirurgie und Anästhesie.

Sollte aus medizinischer Indikation eine weitere (teure) Spezialuntersuchung erforderlich sein, so muss die Pathologie dies unmittelbar mitteilen. Da sich dann meist auch die Diagnose ändert, muss im Groupersystem geprüft werden, ob dann nicht mehr auf ein H-DRG zugegriffen werden muss, sondern eine EBM-Abrechnung erfolgt. Diese lästige Umwidmung schützt alle Beteiligten vor unangenehmen Überraschungen. Es zeigt sich einmal mehr, dass die Rechtsverordnung zu H-DRG fehlerhaft und unausgegoren ist. Das werden wir weiter versuchen zu ändern, bis dahin bedarf es im Einzelfall leider etwas kreativer Phantasie.

Mit freundlichen Grüßen

Prof. Dr. med. Dr. h.c. Hans-Joachim Meyer
Dr. med. Peter Kalbe
Dr. med. Jörg-Andreas Rüggeberg
Dr. med. Friederike Burgdorf

Download: Vereinbarung zwischen BDP, BDC und BDA

Berufspolitik Aktuell: Wunsch und Wirklichkeit

Aktuell beschäftigt die Bundestagswahl die Gemüter. Die Wahlprogramme der Parteien sollen die Bürger bewegen, ihr Kreuz an der vermeintlich richtigen Stelle zu setzen, und die Diskussionen darüber sind mehr oder weniger hitzig. Natürlich sind die gesundheitspolitischen Themen für uns von besonderem Interesse, aber eigentlich auch für die Bevölkerung, denn deren Versorgung steht auf dem Spiel. Dennoch ist und war auch in der Vergangenheit die Gesundheitspolitik nie ausschlaggebend für eine Wahlentscheidung. Und überhaupt: Lohnt sich eigentlich ein Blick in die blumige Programmatik der Parteien?

Denn je vollmundiger die Themen angepriesen werden, umso geräuschloser verschwinden sie wieder in den Archiven, wenn die Wahlen vorüber sind. Tatsache ist, dass keine Partei ihre Programmatik wird unverändert umsetzen können, weil in Deutschland mittlerweile niemand mehr alleine eine Regierung wird bilden können. Spätestens in den Koalitionsverhandlungen wird sich die Spreu vom Weizen trennen. Dann kommt es entweder zu windelweichen Kompromissen und in der Folge zu nur marginalen Veränderungen oder ein potentieller Koalitionspartner bekommt einen etwas deutlicheren Zugang mit mehr Gestaltungsmöglichkeiten, der allerdings immer wieder im Koalitionsausschuss (der heimlichen Regierung) um Akzeptanz kämpfen muss.

Das Gesundheitsressort gilt im Übrigen als eher unbeliebt, denn alle wissen, dass es angesichts der allgemeinen Finanz- und Wirtschaftslage ohne Einschränkungen in der Versorgung und im Leistungsangebot nicht gehen kann. Alle Politiker wissen, dass die Bürger Einschnitte in ihrer Gesundheitsversorgung nicht hinnehmen und die dafür Verantwortlichen bei der nächsten Wahl abstrafen werden. Die Kunst wird dann darin bestehen, den schwarzen Peter möglichst anderen zuzuschieben oder wie immer bei denen zu sparen, die die kleinste und damit wahltechnisch unbedeutendere Gruppe darstellen. Das sind, Sie haben es erraten, wir Ärzte resp. die Krankenhäuser.

Außerdem steht in den Wahlprogrammen allerlei Verheißungsvolles. Weihnachten ist aber vorbei und die Realität in Form der Finanzierung dieser Wünsche sieht anders aus. Das ist seit Jahren typisch für Wahlprogramme: Sie versprechen das Blaue vom Himmel, aber lassen jede Aussage zur Umsetzbarkeit offen. Viele ärztliche Verbände haben versucht, Empfehlungen für bestimmte Parteien abzugeben. Das ist nach unserer Auffassung zwar legitim, aber wenig zielführend. Sinnvoll, wenn auch mühsam und nicht unbedingt erfolgversprechend, ist ein Kontakt zu denjenigen, die am Ende den Koalitionsvertrag ausarbeiten müssen, um dort das ein oder andere Komma zu verschieben. Selbst dann ist es noch nicht sicher, ob die Zielvorstellungen möglicher Koalitionspartner auch tatsächlich im Laufe einer Legislaturperiode umgesetzt werden können, selbst wenn diese das reguläre Ende der Wahlperiode erreicht.

Einerseits bietet unsere pluralistische Demokratie die Garantie, dass politische Entscheidungen immer eine parlamentarische Mehrheit benötigen, die bei zum Teil diametral entgegengesetzten Positionen nur über Kompromisse erreicht werden können, andererseits besteht die Gefahr der gegenseitigen Blockade und des damit verbundenen Stillstands.

Insofern werden Wünsche nur selten wahr und müssen den Gegebenheiten der Wirklichkeit weichen.

Rüggeberg JA: Wunsch und Wirklichkeit. Passion Chirurgie. 2025 Januar/Februar; 15(01/02): Artikel 05_03.

Berufspolitik Aktuell: Kommt da noch was?

Leider unterliegt diese Kolumne einer für das Thema unzuträglichen Abgabefrist und wird daher oft schon vor dem Erscheinungsdatum von den Realitäten überholt. Das gilt insbesondere für die aktuelle Gesetzgebung zur Krankenhausreform und zur Reform der Notfallversorgung. Im Übrigen steht alles unter der Prämisse, dass die Ampelkoalition weiterhin Bestand hat. Sollte der Kanzler im Parlament eine Vertrauensfrage stellen und diese verlieren, ist sofort Schluss mit weiteren Gesetzen, die bis zu diesem Termin noch nicht im Bundesanzeiger veröffentlicht worden sind. Das gilt dann auch für das KHVVG (Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz), wenn es nicht aus anderen Gründen scheitert. Zwar ist das Gesetz mit den Stimmen der Koalition (abgesehen von zwei Abweichlern) im Bundestag beschlossen worden, wird aber vermutlich, obwohl nicht zustimmungspflichtig, vom Bundesrat wegen eines möglichen Einspruchs an den Vermittlungsausschuss verwiesen. Egal, wie das Votum dort ausfällt, kann der Bundestag den Einspruch ablehnen und das Gesetz trotzdem durchsetzen.

Dann unterschreibt der Bundespräsident und es kann zum 01.01.2025 in Kraft treten. Allerdings sind die wesentlichen Passagen, nämlich die Umstrukturierung der Kliniken, die Zuweisung der sogenannten Leistungsgruppen und die Verteilung der Gelder (50 Milliarden über 10 Jahre verteilt), per Gesetz den Ländern als Aufgabe verordnet worden, die ihrerseits in den Landesparlamenten entsprechend ihre bisherigen Gesetze ändern bzw. anpassen müssen. Ob sie das tun, ist keinesfalls sicher. Im Übrigen hat Minister Lauterbach zwar 50 Milliarden Euro ausgelobt, selber zahlt der Bund aber nichts, sondern verteilt die Schuld zur Hälfte auf die Länder und die gesetzliche Krankenversicherung. Die finden das begreiflicherweise nicht amüsant.

Wie auch immer; was bedeutet die Reform, falls sie denn die oben genannten Hürden nimmt? Den Krankenhäusern werden von den Landesbehörden Leistungsgruppen zugewiesen, die definierte personelle und technische Ausstattungen voraussetzen und damit für kleinere Häuser nicht mehr erbringbar sein werden. Das ist die eigentliche Zielrichtung der Reform: eine Marktbereinigung der Krankenhauslandschaft zugunsten der Großen unter Opferung der Kleinen. Außerdem sollen in Zukunft die Erlöse nicht mehr zu 100 % aus den DRG fließen, sondern auf Basis der beiden Vorjahre 60 % als sogenannte Vorhaltepauschale leistungsunabhängig gezahlt werden und nur noch 40 % aus den DRG. Angeblich soll damit das Hamsterrad unterbrochen werden, aber das ist Unsinn, denn nach wie vor sind die konkreten Leistungen vergütungswirksam und vor allem für die Folgejahre als Aufsatzgröße relevant. Die Kliniken sollen zusätzlich für die ambulante Versorgung geöffnet werden, Bundeswehrkrankenhäuser generell, die anderen Kliniken mit KV-Zulassung. Entsprechend sind die Vertreter der Kassenärzte auf der Zinne. Stellt sich die Frage, mit welchem nicht vorhandenem Personal das alles erledigt werden soll, bleibt wie so vieles aus Bürokratenfedern unbeantwortet.

Das Gesetz hat den Bundesrat ohne Vermittlungsausschuss passiert und tritt damit in Kraft.

Rüggeberg JA: Kommt da noch was? Passion Chirurgie. 2024 Dezember; 14(12/IV): Artikel 05_02.

Berufspolitik Aktuell: Daumen hoch oder runter?

Im alten Rom hat bekanntlich der Kaiser über das Heben oder Senken seines Daumens über Wohl und Wehe der Gladiatoren entschieden. Nun leben wir erfreulicherweise in einer Demokratie mit ihren durchaus komplexen Entscheidungsprozessen, aber eine Angelegenheit wird dennoch im Rahmen einer Ministerentscheidung geregelt und das ist die Herausgabe einer Rechtsverordnung zur Einführung einer neuen GOÄ (oder eben auch nicht).

Nach acht Jahren intensiver Diskussionen haben sich Ärzteschaft und private Versicherungen einschließlich der Beihilfestellen auf eine neue Gebührenordnung verständigt und zwar sowohl der Legendierungen als auch der Preise sowie der übergeordneten Paragraphen zu Anwendung und Übergangsbestimmungen. Das war stets die Voraussetzung für das Ministerium, sich mit der jetzt erforderlichen Rechtsverordnung zu befassen. Denn anders als in der gesetzlichen Krankenversicherung ist die Systematik und Bepreisung unserer ärztlichen Leistungen keine Verhandlung zwischen den Partnern der Selbstverwaltung, sondern eine staatliche Aufgabe, eben durch Rechtsverordnung des Ministers zu erlassen. Die Bedingung eines gemeinsam konsentierten Leistungsverzeichnisses ist jetzt erfüllt und es gibt keine inhaltliche Ausrede mehr, die Rechtsverordnung zu verweigern.

Wenn der Minister Lauterbach jetzt nicht handelt, hätte dies rein ideologische Gründe und das wird er erklären müssen. Außerdem würde er wortbrüchig (für einen Politiker allerdings kein Problem), denn er hat mehrfach zugesagt, sich bei Vorliegen der geforderten Einigung zwischen PKV und BÄK mit der GOÄ zu befassen. Wir können ihn nicht zwingen, aber wir müssen den öffentlichen Druck erhöhen. Rein theoretisch könnte das Ministerium auch Änderungen an dem vorgelegten Entwurf vornehmen, z. B. die Preise absenken. Aber auch das verlangt dann nach einer plausiblen Erklärung.

Warum brauchen wir überhaupt eine neue private Gebührenordnung?

Das Leistungsverzeichnis der aktuellen GOÄ ist nach mehr als drei Jahrzehnten hoffnungslos veraltet und bildet die inzwischen etablierten neuen Behandlungsmöglichkeiten in keiner Weise ab. Eine Abrechnung solcher innovativen Maßnahmen gelingt nur über abenteuerliche und teilweise abstruse Analogbewertungen und ist damit alles andere als rechtssicher. Dass auch die Vergütung seit Dekaden stagniert, würde kein anderer Berufsstand tolerieren. Der jetzt gefundene Kompromiss setzt teilweise auf völlig neue Ansätze: Gesprächs- und Betreuungsleistungen werden deutlich gefördert. Der ärgerliche Ausschluss von Beratungen neben Sonderleistungen entfällt. Gespräche können in Zukunft in jeder Sitzung abgerechnet werden. Insbesondere die konservativen Leistungen in der Praxis werden deutlich besser vergütet werden. Im Wahlleistungsbereich wird es eine gewisse Umverteilung geben. Die mancherorts geübte Praxis ausgedehnter Kettenabrechnung wird nicht mehr möglich sein, dafür wird die eigentliche Kernleistung besser honoriert. Das dürfte sicher zu einer verbesserten Gerechtigkeit führen. Es sprengt den Rahmen, hier auf Details einzugehen. Trotz grundsätzlicher Kritik hat der BDC sein Einverständnis für eine neue GOÄ signalisiert, allerdings mit der klaren Forderung nach notwendigen Nachbesserungen bei einzelnen Bewertungen. Jetzt ist der Minister gefragt: Daumen hoch oder runter?

Rüggeberg JA: Daumen hoch oder runter? Passion Chirurgie. 2024 Oktober; 14(10): Artikel 05_04.

Berufspolitik Aktuell: Lauterbach und die Mär von der „doppelten Facharztschiene“

Endlich lässt der Wolf das Schafsfell fallen! Seit 30 Jahren prangert der jetzige Gesundheitsminister das in seinen Augen Grundübel des deutschen Gesundheitssystems an: die in seiner Ideologie überflüssige sogenannte „doppelte Facharztschiene“. Schon damals, noch als Bundestagsneuling, hat er diese These mit Billigung seiner Gesundheitsministerin Ulla Schmidt auf allen denkbaren Podien der Republik vertreten, was ihm den Spitznamen Karlchen Überall eingebracht hat. Ich selbst hatte mehrfach das zweifelhafte Vergnügen, mehr oder weniger höflich seine Argumente zu kontern. Immerhin wurde es um diesen vergifteten Begriff zwischenzeitlich ruhiger. Am Ende ist auch der Versuch gescheitert, mit einer geplanten Einführung eines hausärztlichen Primärarztmodells die Fachärzte zu reinen Auftragnehmern zu degradieren. Aber aufgeschoben ist eben nicht aufgehoben.

Jetzt spricht Prof. Lauterbach wieder ganz offen über die von ihm so sehnlich gewünschte Eliminierung der freiberuflichen Fachärzte in eigenen Praxen. Laut Regierungsentwurf sollen die Krankenhäuser breit für die ambulante fachärztliche Versorgung geöffnet werden. Dabei übersieht der Minister, der zwar Arzt ist, aber abgesehen von ein paar publikumswirksamen Corona-Impfungen nicht in der realen Versorgung tätig war, dass es hierzulande überhaupt keine doppelte Facharztschiene gibt. Die Aufgaben der Klinikärzte sind absolut nicht vergleichbar mit denen in der ambulanten Praxis. Jede und jeder leistet in seinem Gebiet Großartiges, aber eben auch Verschiedenes. Während im Krankenhaus sehr viel intensiver und vor allem invasiver am einzelnen Patienten gearbeitet wird, decken die Niedergelassenen nahezu 90% aller Behandlungsfälle ab und betreuen ihre Patienten vor allem langfristig, teilweise lebenslang. Schon die schiere Menge an Patienten würde jede Klinik ins Chaos stürzen, jedenfalls mit der zur Verfügung stehenden Personaldecke. Nochmal: es soll keinen Wettbewerb um die Frage geben, wer die bessere Medizin abliefert. Die fachärztliche Versorgung in Deutschland ist miteinander und komplementär zu verstehen. Jeder Zug würde auf der Stelle entgleisen, würde man von dem Schienenpaar eine entfernen.

Noch ein weiterer Punkt verdient Aufmerksamkeit: Die Pläne des Gesundheitsministers sehen vor, die ambulante fachärztliche Medizin an die unter den Bedingungen der Krankenhausreform dem Untergang geweihten kleineren Krankenhäuser anzusiedeln, um diesen trotz allem ein Überleben zu sichern. Dagegen wird sich niemand aussprechen wollen, wenn denn weiterhin eine wohnortnahe Versorgung gewährleistet werden soll. Aber wie soll das gehen. Eine Praxis hat einen Flächenbedarf von durchschnittlich 180 qm, schon drei oder vier Disziplinen bräuchten ein neues Ärztehaus. Das lässt sich alles irgendwie realisieren, wenn die entsprechenden Finanzen zur Hand sind. Die könnten dann aus einem „Enteignungsfond“ kommen, denn die ambulanten Facharztpraxen, die ja offenbar zur Disposition gestellt werden, haben einen durchschnittlichen Verkehrswert von 300–500 TSD Euro. Sind die Praxen aufgrund des angedachten Strukturwandels plötzlich unverkäuflich, verschwindet ein deutlicher Milliardenbetrag im Nirwana und die Altersversorgung sehr vieler Fachärzte löst sich in Luft auf. Übrigens verliert auch der Staat die Steuereinnahmen aus Praxisverkäufen.

Es dürfte unstrittig sein, dass wir wesentlich mehr Ansätze einer sektorübergreifenden Versorgung brauchen. Das kann aber nicht erreicht werden, indem ein Sektor eliminiert wird. Am Ende braucht es vor allem die Ärztinnen und Ärzte, die die neuen Aufgaben im Interesse ihrer Patienten stemmen. Da wäre es schon hilfreich, deren Sachverstand einmal nachzufragen. Das geschieht aber ganz bewusst nicht

Rüggeberg JA: Lauterbach und die Mär von der „doppelten Facharztschiene“. Passion Chirurgie. 2024 Juni; 14(06): Artikel 05_03.

Berufspolitik Aktuell: Schweinsgalopp vor der Sommerpause

Kurz vor der parlamentarischen Sommerpause versucht Minister Lauterbach mit aller Gewalt seine Gesetzesentwürfe zur Neuordnung der Versorgung durchzupeitschen. Immerhin hat es das Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) bis ins Kabinett geschafft und könnte dann tatsächlich in erster Lesung im Bundestag beraten werden. Allerdings ist von der ursprünglichen Fassung kaum noch etwas übrig geblieben. Insbesondere die von der Ärzteschaft massiv kritisierten Gesundheitskioske sind einer Rasur zum Opfer gefallen, ebenso wie Gesundheitsregionen und Primärversorgungszentren. Auch die von uns durchaus begrüßte Medizinstudiumsplatz-Förderung ist nach Vorbehalten der dafür als Zahlmeister vorgesehenen Kassen weggefallen.

Übrig geblieben sind noch die Neuordnung des Gemeinsamen Bundesausschusses, das Krankenkassentransparenzportal und eine Reform der hausärztlichen Vergütung. Vorgesehen ist hier eine Entbudgetierung, eine jährliche Versorgungspauschale für Chroniker sowie eine Vorhaltepauschale. Allerdings stößt diese scheinbare Entbudgetierung auf erhebliche Vorbehalte der KBV und auch der Hausärzte selbst. Im Referentenentwurf ist die Rede von sogenannten Vorhaltepauschalen, die aber, wen wunderts, an so erfüllende Kriterien gebunden sind. Wer das nicht schafft, dürfte erhebliche Umsatzeinbußen erleiden. Fachärzte und damit Chirurginnen und Chirurgen werden nach wie vor nicht von den Fesseln der Budgets befreit.

Von größerer Bedeutung für die Zukunft, insbesondere der Kliniken, dürfte das KHVVG (Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz) sein. Hier liegt jetzt ein offizieller Entwurf vor, der ebenfalls noch vor der Sommerpause in den Bundestag eingebracht werden soll. In mehreren Verlautbarungen preist der Minister sein Werk als mit allen Beteiligten konsentiert und damit als entscheidende Weichenstellung für die Zukunft der Versorgung an. Dumm nur, dass prompt aus den Ländern Widerspruch aufkommt und der Minister schlicht der Lüge bezichtigt wird. Auch wenn der Minister sein Gesetz so gedrechselt hat, dass es primär nicht durch den Bundesrat zustimmungspflichtig sein soll, werden die Länder Wege finden, jede Menge Steine in den Weg zu rollen. Auch die Kassen wollen von einer gemeinsam gefundenen Lösung nichts wissen. Gleiches gilt für die am meisten betroffene Krankenhausgesellschaft.

Immerhin, Prof. Lauterbach hat es zur ersten Meldung in die Tagesschau geschafft; über die Kritik wird nichts berichtet. Politik ist immer auch eine Frage wie die Medien bedient werden und vor allem, ob die Medien in ihrer absolut nicht alle Seiten zu Wort kommenden Berichterstattung ein Vorhaben promoten oder abstürzen lassen. Es bleibt spannend!

Rüggeberg JA: Schweinsgalopp vor der Sommerpause. Passion Chirurgie. 2024 Mai; 14(05): Artikel 05_02.

Ambulantes Operieren: Cui bono?

Zur Ausgabe 04/2024: Ambulantes Operieren im Zeitalter der Krankenhausreform

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

diese Ausgabe der Passion widmet sich (mal wieder) den Problemen des ambulanten Operierens. Nach Jahrzehnten strenger Abschottung zwischen der stationären und ambulanten Versorgungsebene ist tatsächlich mit Beginn des Jahres die sogenannte sektorengleiche Vergütung über den § 115f SGB V eingeführt worden. Allerdings war schon der Start geprägt von verbissenen Grabenkämpfen innerhalb der Selbstverwaltung. Angesichts der erheblichen Absenkung der Honorare gegenüber bisherigen stationären DRGs war abzusehen, dass die Kliniken durchaus nachvollziehbar nur ein sehr kleines Spektrum ambulantisierbarer Eingriffe vorgeschlagen haben, die Kassenärztliche Bundesvereinigung dagegen einen extrem umfangreichen Katalog abgeliefert hat. Da eine Einigung nicht möglich war, hat das Bundesministerium per Rechtsverordnung entschieden. Wie immer bei einem Kompromiss sind alle Beteiligten mit dem Ergebnis unzufrieden. Erschwerend kommt hinzu, dass es keine Regelungen zur konkreten Abrechnung der neuen H-DRG gab. Für die Kliniken haben sich Kassen und Krankenhausgesellschaft rasch geeinigt. Im Wesentlichen werden die neuen H-DRG in der bekannten an Krankenhäusern etablierten Struktur abgerechnet. Kein Wunder, denn die Kassen profitieren von der Absenkung der Vergütung und haben demnach ein Interesse an einer zügigen Umsetzung.

Ganz anders im niedergelassenen Bereich. Zwar gibt es seit Kurzem auch dort eine Vereinbarung zwischen KBV und GKV, die ist aber zu einer Monopolregelung für die Kassenärztlichen Vereinigungen verkommen. Die Kassen verweigern eine Abrechnung über Drittanbieter und wollen diese erst zum 01.01.2025 ermöglichen. (Am 31.12.2024 läuft die Rechtsverordnung übrigens aus!!) Natürlich hat die KBV ein Interesse daran, exklusiv tätig zu werden. Immerhin fließen Verwaltungskosten und vor allem bleibt der Zugriff auf die Patienten im KV-System.

Bleibt die Frage, wem nützt das alles? Profiteure einer Ambulantisierung sind primär die Kostenträger, denn die Reduktion stationärer DRG wird immer eine Einsparung nach sich ziehen, selbst wenn über die H-DRG die zu generierenden Erlöse meist (aber keinesfalls immer) etwas höher sind als in einer Abrechnung nach EBM. Die Kliniken können kein großes Interesse haben, sowohl aus finanzieller Sicht wie auch aus deren Selbstverständnis heraus, jedenfalls solange es nicht gelingt, das stationär wegfallende Spektrum am eigenen Haus in einer ambulanten Struktur zu etablieren. Auf die Probleme für die fachärztliche Weiterbildung haben wir schon mehrfach hingewiesen.

Auch im vertragsärztlichen Bereich ist das Interesse begrenzt, solange die Honorierung nicht kostendeckend ist. Insbesondere die aus der H-DRG selbst zu tragenden Kosten für Implantate und andere Sachmittel führen oft genug zu deutlichen Defiziten. Wieder einmal wird die gute Versorgung unserer Patienten unter ökonomischen Gesichtspunkten gefährdet.

Sie finden in dieser Ausgabe einige vertiefende Artikel. Im Übrigen wird uns das Thema mit Sicherheit auch während des Deutschen Chirurgiekongresses beschäftigen, zu dem ich Sie an dieser Stelle herzlich einladen darf.

Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre,
Ihr Jörg-Andreas Rüggeberg

Rüggeberg JA: Editorial: Cui bono? Passion Chirurgie. 2024 April; 14(04): Artikel 01.

Ambulantes Operieren – Wer will das eigentlich?

Kritische Gedanken zu einem Dauerthema

Das ambulante Operieren hinkt in Deutschland nach wie vor deutlich hinter vergleichbaren mitteleuropäischen Ländern hinterher. Die Patienten und die Krankheitsbilder unterscheiden sich im Grunde nicht, auch die ärztliche Qualifikation der operierenden Fächer ist nicht anders. Woran liegt es also, dass wir ambulantes Operieren nicht in größerem Umfang anbieten?

Es wäre zu einfach, dieses Manko nur auf die schlechte finanzielle Honorierung ambulanter Eingriffe zu schieben. Der Ruf nach mehr Geld kommt bei jeder Diskussion nahezu reflexartig aus den Vertretungen der sogenannten Leistungserbringer. Sowohl die Deutsche Krankenhausgesellschaft wie auch die diversen Organisationen im ambulanten Sektor sprechen hier dieselbe Sprache, meinen am Ende aber durchaus Verschiedenes.

Schon bei der Einführung eines eigenen Abrechnungskapitels im EBM war klar, dass die Vergütung bei realistischer Kalkulation nicht kostendeckend sein würde. Anfangs wurde dieses Problem noch verschärft durch floatende Punktwerte im Rahmen eines allgemeinen Budgets für Vertragsärzte. Die Herausnahme der ambulanten Operationen aus diesem Budget hat allerdings angesichts steigender inflationsbedingter Kosten und unveränderter Bewertung nur eine kurze Erholungspause bewirkt. Immerhin hat die Kassenseite eingesehen, dass ein Austrocknen letztlich nicht zielführend sein kann, und hat zusätzliche Mittel bereitgestellt. Ohne hier auf die Details einzugehen, bleibt festzustellen, dass Kleineingriffe ohne wesentlichen personellen und apparativen Aufwand bei optimierten Prozessen einigermaßen wirtschaftlich darstellbar sind, umfangreiche Eingriffe aber die Grenze der Unwirtschaftlichkeit erreichen bzw. überschreiten. Das gilt erst recht für ambulante Operationen im klinischen Setting. Dort ist der Aufwand aufgrund der komplexeren Strukturen oftmals deutlich größer und die Ertragssituation damit entsprechend schlechter. Da wundert es nicht, dass die Kliniken auf stationäre DRG ausweichen, die eine um ein Vielfaches höhere Vergütung auslösen. Auch die Gefahr unerfreulicher Prüfungen durch den Medizinischen Dienst schreckt nicht ab. Wenn es also keine Anreize gibt, Operationen aus der stationären Versorgung in die ambulante Leistungserbringung zu transferieren, muss man sich nicht wundern, dass in Deutschland die Quote von ambulanten Operationen vergleichbar niedrig ist.

Nun ist Geld zwar ein wichtiges, aber nicht das einzige Argument gegen die sogenannte Ambulantisierung. Man darf bei der Diskussion nicht die möglichen Auswirkungen auf die Weiterbildung außer Acht lassen. Eine große Zahl der prinzipiell ambulant durchführbaren Eingriffe sind eher kleinere bis mittlere Prozeduren, die typischerweise zu Beginn der Weiterbildung von Assistenzärztinnen und -ärzten geleistet werden. Wenn diese Operationen im ambulanten Sektor verschwinden, fehlen wichtige Inhalte der Weiterbildung nicht nur in der Chirurgie. Denn nach aktueller Gesetzeslage ist im ambulanten Bereich der Facharztstatus gefordert und nicht wie in der Klinik der Facharztstandard. Ohne eine Klärung dieses Problems wird es keine breite Ambulantisierung geben können. Wir im BDC fordern beständig eine Verbundweiterbildung ein, damit die jungen Chirurginnen und Chirurgen auch außerhalb der Heimatklinik ihre operativen Fähigkeiten erlernen können.

Ein zusätzliches, wenn auch lösbares Problem stellt das Management eines ambulanten OP-Betriebs dar. Im ambulanten Setting sind die Patienten nicht beliebig verfügbar, sondern müssen gezielt zum Termin einbestellt werden, ohne andererseits zu lange Wartezeiten zu verursachen. Der Eingriff selbst unterscheidet sich nicht von einer stationären Vorgehensweise, aber eine längere Überwachung gibt es nicht, weil die Patienten nach dem Eingriff mehr oder weniger zügig die Einheit verlassen und damit einer weiteren Kontrolle entzogen sind. In diesem Zusammenhang sind relevante medico-legale Konsequenzen zu befürchten, denn auch nach häuslicher Entlassung bleibt die operierende Einheit für den Verlauf verantwortlich. Aus diesem Grund wehrt sich der Berufsverband auch vehement gegen die Aufnahme von Appendektomien oder Cholezystektomien in den neuen Katalog der Hybrid-DRG der dann obligat ambulant zu erbringenden Eingriffe. Es ist unstrittig, dass diese Operationen im Einzelfall ambulant durchführbar sind, aber eine obligate Regelversorgung darf es nicht geben.

Um auf die Eingangsfrage zurückzukommen, wer ambulantes Operieren eigentlich will, kann man konstatieren, dass die Kliniken kein großes Interesse haben können, sowohl aus finanzieller Sicht wie auch aus ihrem Selbstverständnis heraus, jedenfalls solange es nicht gelingt, das stationär wegfallende Spektrum am eigenen Haus in einer ambulanten Struktur zu etablieren. Auch im vertragsärztlichen Bereich ist das Interesse begrenzt, solange die Honorierung nicht kostendeckend ist.

Profiteure einer Ambulantisierung sind primär die Kostenträger, denn die Reduktion stationärer DRG wird immer eine Einsparung nach sich ziehen, selbst wenn über die H-DRG die zu generierenden Erlöse meist (aber keinesfalls immer) etwas höher sind als in einer Abrechnung nach EBM.

Interessant ist die Frage nach den Wünschen der Patienten. Umfragen zeigen eine allgemeine Präferenz für ein ambulantes Vorgehen. Im konkreten Einzelfall entscheiden sich die Menschen dann aber doch häufig für einen komfortablen Krankenhausaufenthalt. Angesichts zunehmender Tendenzen in Richtung eines staatlich regulierten Gesundheitssystems dürfte der Bevölkerung die Wahloption genommen werden, auch wenn kein Gesundheitspolitiker dies laut aussprechen wird. Denn jegliche Einschränkung von Gesundheitsdienstleitungen führt unweigerlich zur Abstrafung an der Wahlurne.

Wenn denn keiner so richtig möchte, wie erklärt sich dann der verbissene Kampf um die Ressource „Ambulante Operation“?

Die Kernursache liegt in unserem streng sektoral aufgeteilten System. Kliniken und Niedergelassene leben jeweils in einem gegeneinander abgeschotteten Käfig. Übrigens setzt sich diese sektorale Aufteilung auch in den Krankenkassen fort. Auch dort gibt es keine Durchlässigkeit in der Verwaltung der Geldmittel zwischen den Sektoren. Im Klartext bedeutet dies: Jede Verlagerung von A nach B führt auf der einen Seite zu zusätzlichen Einnahmen, auf der anderen Seite zu Verlusten. Dieses Denken betrifft paradoxerweise sogar defizitäre Leistungen! Es geht auch um Macht und Einfluss, insbesondere um den Zugriff auf die Patienten. Kassenärztliche Bundesvereinigung und Deutsche Krankenhausgesellschaft kämpfen um jeden Millimeter an der Sektorengrenze.

Auch wenn man sonst nicht viel Gutes über das Gesundheitsministerium sagen mag, so hat doch die Ampelkoalition in ihrem Koalitionsvertrag eine sektorgleiche Vergütung beschlossen, die dann auch tatsächlich umgesetzt wurde. Der § 115f SGB V definiert Eingriffe, die im Rahmen neu festgelegter Hybrid-DRG zu festen Preisen vergütet werden, und zwar unabhängig vom Ort der Leistungserbringung. In der Anfangsphase handelt es sich noch um eine überschaubare Zahl meist kleinerer bis mittlerer Prozeduren, eine Erweiterung ist in Arbeit. H-DRG sind deutlich billiger als stationäre A-DRG, aber besser vergütet als Operationen nach § 115b über den EBM. Mittlerweile sind auch die Abrechnungsbedingungen vertraglich von der Selbstverwaltung geregelt. Krankenhäuser rechnen wie üblich ab, Vertragsärzte derzeit über die KV, weil eine Direktabrechnung mit den Kassen erst zum 01.01.2025 (dann läuft übrigens der § 115f aus!!) möglich ist. Es ist müßig, an dieser Stelle auf alle Details, handwerklichen Fehler und Widersprüche der Rechtsverordnung einzugehen. Die Umstellung der bisher durchaus differenzierten Kalkulation im EBM auf nunmehr einheitliche H-DRG führt dazu, dass Kleinsteingriffe sehr hoch, mittlere Eingriffe gering verbessert und größere Eingriffe unter EBM-Niveau vergütet werden. Da die Kassen erkennen lassen, dass sie eine Abrechnung nach EBM-alt nicht akzeptieren werden und Kliniken nicht mehr stationär abrechnen dürfen, wird es vermutlich in der Folge zu Minderangeboten bis hin zur Leistungsverweigerung kommen. Als Erschwernis kommt noch hinzu, dass Sachkosten wie z. B. Osteosynthesematerial, Herniennetze und Implantate in den H-DRG versenkt sind. Wirtschaftlich gesehen müsste dann der Shouldice genutzt werden.

Es steht außer Frage, dass ambulante Eingriffe unter Kostengesichtspunkten gefördert werden müssen, aber mit Augenmaß. Bedauerlicherweise fehlt es beim Verordnungsgeber eindeutig an fundiertem Sachverstand und eine Beratung beispielsweise durch Berufsverbände oder Fachgesellschaften wird kategorisch abgelehnt.

Verteilungskampf oder Kooperation?

Angesichts der neuen Herausforderung sollten wir alle einmal aus den Schützengräben heraustreten und uns der Frage stellen, welche Organisationsformen am besten geeignet wären, diese Aufgabe zu bewältigen. Wenn eigentlich alle bis auf geschickte Rosinenpicker nur verlieren, muss man Lösungen finden, gemeinsam vorzugehen. Da ist natürlich auf der einen Seite der gemeinsame Verband, der gegenüber Politik und Selbstverwaltung die Interessen aller vertritt. Aber im Grunde ist jeder Einzelne selber verantwortlich, zum Wohle der Patienten eine qualitativ hochwertige Versorgung darzustellen. Schon heute kann der einzeln in der Praxis tätige Chirurg nur gelegentliche Kleineingriffe wirtschaftlich darstellen. Unter ökonomischen Gesichtspunkten rentiert sich nur ein Betrieb mit hoher ganztägiger Auslastung zur Reduzierung des prozentualen Anteils der Allgemeinkosten. Das wiederum ist mit einem laufenden Praxisbetrieb nicht zu vereinbaren. Wie unsere Statistiken zeigen, beschreitet die Kollegenschaft in großem Umfang den Weg der Kooperation, entweder mit mehreren in einer Praxis oder unter Nutzung externer OP-Zentren. Das werden auch die Ökonomen an den Krankenhäusern erkennen und dafür sorgen, dass neu errichtete ambulante OP-Einheiten ganztägig ausgelastet werden. Wenn das aus der eigenen Klientel nicht gelingt, wird auch hier zwangsläufig eine Kooperation mit Dritten erforderlich werden. Das mag anfangs ungewohnt sein und mit Sicherheit zu Reibungsverlusten führen. Am Ende ist das dann aber der Schritt in die richtige Richtung, nämlich zu einer wahren sektorenüberwindenden Versorgung unserer letztlich gemeinsamen Patienten.

Rüggeberg JA: Ambulantes Operieren – Wer will das eigentlich? Passion Chirurgie. 2024 April; 14(04): Artikel 03_01.