Alle Artikel von Hans-Joachim Meyer

Editorial: Wird in Deutschland zu viel operiert?

Die Diskussion über die Zahl der operativen Eingriffe mit der stetigen Frage nach einem „zu viel“ in unserem Land in den letzten Jahren stellt letztlich eine vor sich hin glimmende never-ending story dar, die durch scheinbar neue Studien und Statistiken bzw. unterschiedliche Sicht der beteiligten Akteure immer wieder entfacht wird.

Die Argumente für ein „Pro oder Contra“ sind weitgehend bekannt und vielfach ausgetauscht worden. Auf der einen Seite wird die Ursache zunehmender Operationszahlen auf den so gern und häufig zitierten demographischen Wandel der immer älter werdender Bevölkerung wie auch auf die stetig verbesserten medizinischen Maßnahmen in Diagnostik und Therapie zurückgeführt. Sicherlich darf dabei auch nicht der individuelle Patientenwunsch bei Aufklärung über prinzipiell mögliche und alternative Behandlungsverfahren vergessen werden. Auf der anderen Seite werden der Anstieg der Operationszahlen bzw. seine Variationen im nationalen und internationalen Vergleich durch falsche, besonders ökonomisch unterlegte Anreizsysteme begründet – u. a. die inadäquate Vergütung konservativer Therapiemaßnahmen, Mengenausweitungen bei sehr kostenrelevanten DRG-Positionen sowie die weiterhin bestehenden Bonusvereinbarungen in den Verträgen leitender Ärzte bzw. die Honorierung jährlich gesteigerter Leistung. Dabei ist jedoch auch allen aktiv Beteiligten bewusst, dass eine Steigerung der Erlöse der klinischen Leistungen durchaus auch sachfremd – aufgrund mangelnder finanzieller Unterstützung durch die jeweiligen Bundesländer – zur Deckung von Investitionskosten eingesetzt werden. Zukünftig ist auch keine Veränderung durch das Krankenhausstrukturgesetz zu erkennen.

Auch wenn die dargestellten Problemfelder durchaus kein Novum darstellen, sind sie doch immer wieder Grundlage für sensationsheischende Schlagzeilen, auch in als seriös eingestuften Medien, wie z. B. „Land der fragwürdigen Operationen“. Besonders auch als Folge der ersten Veröffentlichung der OECD-Zahlen (Organisation for Economic Co-operation and Development), die Deutschland als Operationsweltmeister darstellt, wurde diese Art der Berichterstattung geschürt. Gerade eine Studie des wissenschaftlichen Instituts der Privaten Krankenversicherungen vermochte diese Einstufung nach Einsatz einer indirekten Altersjustierung zu korrigieren. Nach Japan weist die deutsche Bevölkerung nämlich mit einem Median-Wert von 44,3 Jahren den höchsten Wert im Vergleich zu anderen europäischen Ländern und den USA auf. Diese Korrektur führte dazu, dass Deutschland weiterhin im Vergleich der Gesundheitsausgaben einen Platz im oberen Drittel einnimmt. Gleichzeitig wurden die Spitzenpositionen bei verschiedenen operativen Eingriffen an andere Nationen weitergereicht, so beim Hüftgelenksersatz bzw. der Knieprothese jetzt mit Platz 5 bzw. 8 sowie bei der koronaren Bypass-Operation mit Platz 10. Zweifelsfrei sind nach dieser altersadjustierten Korrektur noch eine Vielzahl anderer Einflussfaktoren zu berücksichtigen, trotzdem können vor allem interessenbestimmte Hypothesen relativiert werden. Schließlich sollten wir uns stets an die Hippokratische These von „Primum nihil nocere“ erinnern, wenn der Patient über mögliche auch alternative Therapiemaßnahmen aufgeklärt wird. Ferner besteht seit langem die Möglichkeit zur Einholung einer Zweitmeinung, sodass diese im Versorgungsstärkungsgesetz aufgenommene Maßnahme, jetzt lediglich dirigistisch durch den Gemeinsamen Bundesausschuss gesteuert werden soll. Ob sich dadurch eine Veränderung oder Reduktion der operativen Eingriffszahlen erreichen lässt, muss abgewartet werden.

In dieser Ausgabe der Passion Chirurgie zum Thema „Wird in Deutschland zu viel operiert?“ finden Sie eine Auswahl von Beiträgen aus der Politik, aus Sicht der Krankenkassen- und Patientenvertreter und natürlich aus dem Blickwinkel von Chirurgen selbst.

Ich bedanke mich bei allen Autoren für ihr Engagement und wünsche Ihnen viel Freude bei der Lektüre.

Meyer H.-J. Wird in Deutschland zu viel operiert? Passion Chirurgie. 2015 September; 5(09): Artikel 01.

Grußworte des neuen BDC-Präsidenten

Sehr geehrte Mitglieder, liebe Kolleginnen und Kollegen,

am 29. April 2015 wurde ich bei der Mitgliederversammlung in der Funktion als neuer Präsident des BDC bestätigt. Ich freue mich sehr über die Aufgaben und Herausforderungen, die während meiner Amtszeit anstehen werden und möchte mich gleichzeitig herzlich für Ihr Vertrauen bedanken!

55 Jahre nach Gründung des Vereins ist der Berufsverband der Deutschen Chirurgen mit seinen rund 17.000 Mitgliedern der mitgliederstärkste Chirurgenverband der Europäischen Union. Während meiner Amtszeit ist es mir nun ein großes Anliegen, dieses Potential weiter zu nutzen, um das Ziel „Einheit der Chirurgie“ zukunftsweisend zu gestalten. In der Doppelfunktion als Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH) und gleichzeitig als Präsident des BDC möchte ich die Zusammenarbeit beider Chirurgenvertretungen intensivieren und voranbringen.

Eine Fusion beider Institutionen herbeizuführen ist dabei nicht möglich, denn beide Vertretungen haben unterschiedliche Funktionen, deren Abgrenzung sich in der Vergangenheit als sinnvoll erwiesen hat. Der BDC und die DGCH sollen schrittweise Projekte entwickeln, um die Interessen ihrer Mitglieder nachdrücklicher vertreten zu können. Etwaige Interessenkonflikte müssen dabei einvernehmlich gelöst werden, denn nur bei gemeinsam definierten Zielen können die Mitglieder beider Institutionen profitieren und die Sinnhaftigkeit dieser engen Zusammenarbeit erleben. Wir können und müssen uns gegenüber anderen Meinungsbildnern bei gesundheitspolitischen Entwicklungen und Entscheidungen argumentativ überzeugend und vernehmbar auftreten, um das gebündelte Wissen der Fachgesellschaften und der Berufsverbände im Sinne unserer Mitglieder effektiver einsetzen zu können. Dieses große Ziel können wir nur gemeinsam erreichen.

Mit herzlichen Grüßen,

Ihr Prof. Meyer

Meyer H.-J. Grußworte des neuen BDC-Präsidenten. 2015 Mai, 5(05): Artikel 01_01.

Chirurgisch-Technische Assistenz: Sichtweise der DGCH

Die Diskussion um die Delegation nicht-ärztlicher Leistungen stellt sicherlich kein Novum dar. Bereits im Jahre 2007 positionierte sich die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie wie auch der Berufsverband der Deutschen Chirurgen (BDC) zu diesem Thema und auch in den nachfolgenden Jahren sind immer wieder Fragen zu diesem Themenkomplex wie „Megatrend oder Megairrweg?“ bzw. „Problem oder Perspektive?“ gestellt worden. Gleichzeitig wurde aber auch ganz klar die Forderung ausgesprochen: Die Ärzteschaft selbst muss klar definieren, wer, wen, wie, wann und wo behandeln kann und darf. Basierend auf dem Gesetz zur berufsmäßigen Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung aus dem Jahr 1939 muss dabei klar zwischen der Delegation und Substitution unterschieden werden. Bei der Delegation werden bestimmte Tätigkeitsbereiche oder Einzelaufgaben an ärztliche bzw. nicht-ärztliche Mitarbeiter zur selbständigen Erledigung übertragen, dieses abhängig vom beruflichen Bildungsstand, den jeweiligen Fähigkeiten und Erfahrungen. Besonders hervorzuheben ist dabei, dass der Arzt stets die ärztliche und juristische Verantwortung für die sach- und fachgerechte Durchführung der delegierten ärztlichen Leistung behält. Bei der Substitution, d. h. dem Ersetzen des Arztes durch nicht-ärztliche Mitarbeiter bei Durchführung von Leistungen, bei denen es sich um eine selbständige Ausübung von Heilkunde handelt, geht die ärztliche und juristische Verantwortung vom Arzt auf den nicht-ärztlichen Mitarbeiter über.

Zur Diskussion steht hier ausschließlich die Delegation von ärztlichen Leistungen. Die Ursachen für eine interdisziplinäre und -professionelle Aufgabenteilung sind zahlreich. So hat sich die ärztliche Profession durch vielfältige Fortschritte und Innovationen in der Medizin, speziell auch in der Chirurgie, in den letzten Jahren deutlich gewandelt. Dabei sind vor allem auch Strukturveränderungen bei der ärztlichen Versorgung zu beachten, z. B. sind bis zum Jahr 2020 32 bis 55 Prozent der jetzt klinisch aktiven Chirurgen in den Ruhestand getreten. Zudem besteht ein generell zu verzeichnender Mangel im Bereich des ärztlichen Nachwuchses sowie beim Pflegepersonal. In den letzten Jahren geben dabei auch der ökonomische Druck sowie arztfremde Tätigkeiten und die teilweise ausufernde Bürokratie verstärkt die chirurgischen Tätigkeiten vor. Bei Differenzierung und Spezialisierung in den verschiedenen Sektoren der Medizin und Pflege, gefördert auch durch gesundheitspolitische Tendenzen und unterschiedliche Interessengruppen, vor allem im Bereich der Pflege, resultieren in der Entwicklung immer neue ärztliche und nicht-ärztliche Berufsbilder.

Die Chancen der Delegation ärztlicher Aufgaben sind in einem ökonomischen Effekt zu sehen, resultierend in einer möglich höheren Arbeitszufriedenheit bei weiterer Professionalisierung des ärztlichen Berufes. Gleichzeitig resultiert die Delegation ärztlicher Aufgaben auch als Antwort auf den entsprechenden Nachwuchs- bzw. Ärztemangel. Die Nachteile bzw. Risiken ergeben sich in der Befürchtung um mangelnde Qualitätsgarantien, d. h. um einen resultierenden Qualitätsverlust. Ferner könnte sich auch eine Deprofessionalisierung des Arztberufes durch sogenannte „Halbärzte“ ergeben, diese bei zudem noch nicht klar definierten Berufsbildern. Zweifelsfrei ist auch eine Reihe rechtlicher Fragen nicht geklärt, so u. a. auch die immer wieder geforderte Gewährung des sogenannten Facharztstandards, die Verpflichtung zur persönlichen Leistungserbringung bzw. ausreichender Versicherungsschutz.

Auch wenn in den USA und in anderen westlichen Ländern positive Erfahrungen zum Einsatz eines „Physician Assistant“ vorliegen, so bzgl. der Reduktion der wöchentlichen Arbeitszeit oder einer Verbesserung der Arbeitsmoral, zeigte eine Umfrage des BDC unter Assistenzpersonal bei mehr als 1.200 Befragten aus dem Jahre 2010, dass die Kompensation des Ärztemangels nur in 29 Prozent durch die Ausführung ärztlicher Leistungen durch Assistenzpersonal zu realisieren sei. Sehr viel häufiger wurde von 92 bzw. 91 Prozent der Befragten angegeben, dass eine Entlastung von nicht ärztlichen Tätigkeiten bzw. Reduktion von bürokratischen und Dokumentationszwängen sehr viel effektiver seien. Dieses drückt sich dann auch in der Beantwortung der Frage aus, in welchen Bereichen die Delegation an einen Chirurgisch-Technischen Assistenten erfolgen sollte: Von 60 Prozent der Befragten wurde die Meinung geäußert, dass dieses vor allem im Bereich der Dokumentation sinnvoll sei, nur von 18 Prozent bei Arbeiten am Patienten, wie Erheben der Anamnese, Grunduntersuchung, Blutentnahme oder Verbandswechsel. Lediglich in 12 Prozent der Befragten wurde eine Delegation bei Arbeiten im OP für sinnvoll erachtet.

Bei etwaigen Tätigkeiten des Chirurgisch-Technischen Assistenten im Operationssaal wurde am häufigsten mit 50 bis über 60 Prozent angegeben, dass durch den Assistenten das Lagern und Abdecken des Patienten erfolgen sollte, zudem die Operationskoordination und Betreuung der operativen Maßnahmen während der Operation. Eine Operationsassistenz wurde aber auch in 56 Prozent für realistisch gehalten, während die selbständige operative Tätigkeit klar abgelehnt wurde. Bzgl. der Tätigkeiten des chirurgisch-technischen Assistenzpersonals in anderen klinischen Bereichen wurden von 90 Prozent der Befragten Blutentnahmen und die Anlage von venösen Zugängen für realistisch gehalten. In 88 Prozent wurde die Dokumentation und Codierung im OP und auf den Stationen im perioperativen Verlauf für sinnvoll angesehen. In jeweils 65 Prozent sollten Verbandswechsel und Wundkontrollen bzw. Aufnahme- und Entlassungsmanagement durch das Assistenzpersonal vorgenommen werden. Das Erheben von Untersuchungsbefunden, auch der Einsatz von operativen Untersuchungen, wurde nur in 5 bzw. 11 Prozent der Fälle für adäquat angesehen.

Die postulierten Vorteile bei der Delegation ärztlicher Aufgaben in der Chirurgie für Ärzte in Weiterbildung werden vor allem in einer Vermeidung zeitraubender Bindung an den OP-Tisch ohne Bezug zur Weiterbildung gesehen. Somit könnte sich der angehende Facharzt gezielt auf die Operationen konzentrieren, die er für seine Weiterbildung noch benötigt. Zudem können Freiräume für ärztliche Tätigkeiten außerhalb der Operationsabteilung geschaffen werden, die sich aber sicherlich nicht in der Erledigung nicht-ärztlicher Tätigkeiten oder bürokratischer Aufgaben niederschlagen sollten. Damit wäre dann letztendlich auch eine Vermeidung von Überstunden in der regulären Arbeitszeit möglich, wobei auch eine Intensivierung der Arzt-Patienten-Beziehung durch längere Verfügbarkeit im nichtoperativen Bereich gegeben wäre.

Im klinischen Alltag, wiederum belegt durch die Umfrage des BDC, zeigt sich bzgl. der Frage einer möglicherweise negativen Beeinflussung der chirurgischen Weiterbildung, dass nur auf Chef- oder Oberarztebene ein negativer Einfluss mit 50 bzw. 35 Prozent verneint wird. Sehr viel skeptischer ist allerdings die Einstellung von Assistenten mit Facharztstatus bzw. Assistenten in Weiterbildung. Von diesen ärztlichen Mitarbeitern wird von knapp 50 bzw. 60 Prozent angegeben, dass durch den Einsatz der Chirurgisch-Technischen Assistenten im Operationsbetrieb die Weiterbildung eindeutig negativ beeinflusst wird. Diese Einschätzung wird auch indirekt durch eine Umfrage des Deutschen Krankenhausinstituts bei 160 Chirurgisch-Technischen Assistenten bestätigt. Bei Selbsteinschätzung zur Akzeptanz bei anderen Berufsgruppen wird diese bei Chef- und Oberärzten mit „gut“ bzw. „sehr gut“ angegeben. Schlechter ist allerdings die Akzeptanz bei Assistenzärzten in Weiterbildung sowie auch bei dem sonstigen OP-Personal eingestuft.

Nach den Ergebnissen dieser Umfrage wird deutlich, dass ein Plädoyer für die Delegation im positiven Sinne möglich ist, allerdings müssen Fehlentwicklungen vermieden werden, indem alle geforderten chirurgischen Fachgesellschaften ihre Kompetenz nutzen und eigene Konzepte entwickeln, so im Bereich der Herz- oder Gefäßchirurgie sowie auch der Unfallchirurgie und Orthopädie. Wir müssen uns aber darüber im klaren sein, dass wir als klinisch tätige Mediziner im Gesundheitssystem in der Minderheit sind. Uns stehen die Interessen von Berufsverbänden der medizinischen Fachberufe eindrücklich gegenüber. Erwähnenswert ist dabei auch, dass in den USA im Jahre 2011 die nicht-ärztlichen Gesundheitsfachberufe unter solchen mit den 50 besten Berufskarrieren eingestuft worden sind. Es ist allerdings festzuhalten, dass die Gesamtverantwortung für den Patienten stets beim Arzt bleiben muss, eine neue Ära von sogenannten „Wundärzten“ ist sicherlich nicht anzustreben.

Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dies auch aus Sicht der DGCH, dass die teure ärztliche Arbeit und der sich abzeichnende Ärztemangel vermehrt zur Delegation ärztlicher Tätigkeiten an nicht-ärztliche Berufsgruppen, so dem Chirurgisch-Technischen Assistenten, führen wird. Die Risiken sind in einer Deprofessionalisierung des ärztlichen Berufes mit möglichen Qualitätsverlusten zu sehen, wobei auch viele Rechtsfragen zu klären sind. Auch bei teilweise positiven Erfahrungen in den verschiedenen Fachgebieten mit dem Einsatz eines Chirurgisch-Technischen Assistenten befürchten die Assistenzärzte, wie eine aktuelle Umfrage bestätigt, eine Konkurrenz in der operativen Tätigkeit. Zu berücksichtigen ist dabei zudem, dass die postulierten Vorteile für die Ärzte in Weiterbildung letztendlich dann auch in einem konsekutiven Abbau der ärztlichen Stellen enden können. Neben den Tätigkeiten im Operationssaal sollten von den Chirurgisch-Technischen Assistenten auch nichtoperative Aufgaben in anderen klinischen Bereichen wahrgenommen werden. Im Gegensatz zu der Meinung anderer Interessengruppen, vor allem bei den medizinischen Fachberufen, halte ich persönlich eine Akademisierung der Ausbildung für nicht angezeigt und sinnvoll.

Meyer H.-J. Chirurgisch-Technische Assistenz: Sichtweise der DGCH. Passion Chirurgie. 2013 August, 3(08): Artikel 02_08.