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Ergebnisse der BDC-Umfrage „Bürokratielast in Kliniken“

Der BDC untermauert seine Forderung nach Bürokratieabbau an den Kliniken durch eine Mitgliederbefragung

Aus den Ergebnissen leitet der Verband konkrete Forderungen und Lösungsvorschläge ab

Bürokratieabbau im chirurgischen Alltag zielt darauf ab, Chirurginnen und Chirurgen wieder mehr Zeit für die Patientenversorgung zu geben und Gesundheitsversorgung insgesamt effizienter zu organisieren.

Die aktuelle Bundesregierung hat sich klar zu diesem Thema bekannt und kündigt in ihrem Koalitionsvertrag „Verantwortung für Deutschland“ ein Bürokratieentlastungsgesetz an. Bereits 2023, in der vergangenen Legislaturperiode, hatte das Bundesministerium für Gesundheit ein „Eckpunktepapier zum Bürokratieabbau im Gesundheitswesen“ veröffentlicht. Dies wurde 2024 durch die Stellungnahme „Abbau überbordender Bürokratie“ der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung ergänzt. Zu einer Gesetzgebung innerhalb der Legislaturperiode 2021-2025 ist es allerdings nicht gekommen, obwohl auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft und die Kassenärztliche Bundesvereinigung sowie zahlreiche weitere Verbände im Gesundheitswesen mögliche Vorschläge zur Eindämmung der Bürokratielast eingereicht hatten. Umso wichtiger ist es, das Thema in der laufenden Legislaturperiode prioritär anzugehen.

Aufgrund des zunehmenden Fachkräftemangels einerseits und des wachsenden Versorgungsbedarfs einer älter werdenden Gesellschaft andererseits ist es mehr denn je notwendig, Chirurginnen und Chirurgen so weit wie möglich von administrativen Tätigkeiten zu entlasten. Damit soll zudem einer übermäßigen Abwanderung von (angehenden) Chirurginnen und Chirurgen in andere Fachgebiete oder fachfremde Tätigkeiten entgegengewirkt werden.

Um die aktuelle Situation in den Krankenhäusern transparent zu machen, hat der BDC von Ende November 2024 bis Mitte Februar 2025 alle stationär tätigen Mitglieder zur „Bürokratielast in Krankenhäusern“ befragt. Mit dieser Umfrage will der BDC den Handlungsbedarf ermitteln, auf die chirurgische Perspektive aufmerksam machen und das Thema Bürokratieabbau in der neuen Legislaturperiode öffentlichkeitswirksam voranbringen.

Methodik

Die Datenerhebung erfolgte als Umfrage anhand eines digitalen Fragebogens mit 29 Fragen. Alle 8.884 stationär tätigen Mitglieder des BDC erhielten die Einladung zur Teilnahme drei Mal per E-Mail. Mehrfachteilnahmen waren technisch nicht möglich.

Gute Teilnahmequote

Insgesamt 1.659 Chirurginnen und Chirurgen öffneten die Umfrage. Bezogen auf die angeschriebenen BDC-Mitglieder handelt es sich also um eine Rücklaufquote von 19 %. Der BDC dankt an dieser Stelle allen Mitgliedern, die mit ihrer Teilnahme den Verband unterstützen, seine politische Arbeit fundiert durchführen zu können.

Charakteristika der teilnehmenden Chirurginnen und Chirurgen

68 % der Befragten waren männlich, 32 % weiblich. 75 % der Vollzeittätigen waren männlich, 25 % weiblich. 18 % der Befragten waren unter 40 Jahre alt, 25 % waren 40 bis 49-, 39 % 50 bis 60- und 19 % über 60 Jahre alt.

95 % der Teilnehmenden gaben an, aktiv in der Chirurgie tätig zu sein. Entsprechend der Altersverteilung waren 52 % Oberärzte und stellten damit die größte Dienstgruppe im Befragungskollektiv dar, gefolgt von der Gruppe der Chefärzte mit 22 %, der weiteren Fachärzte mit 13 % und der Ärzte in Weiterbildung mit 11 %.

41 % (n=652) der Befragten waren in der Viszeralchirurgie und 29 % (n=459) in der Orthopädie und Unfallchirurgie tätig. Es folgten die Fachgruppen der Allgemeinchirurgie und der Gefäßchirurgie mit 11 % (n=168) und 10 % (n=152) der Befragten.

41 % waren an Krankenhäusern der Grund- und Regelversorgung tätig, 33 % an Krankenhäusern der Schwerpunktversorgung und nur 17 % waren an Krankenhäusern der Maximalversorgung bzw. 7 % an Universitätskliniken tätig.

81 % gaben an, in Vollzeit und 19 % in Teilzeit tätig zu sein.

Bürokratischer Aufwand in der Chirurgie

Die befragten vollzeittätigen Chirurginnen und Chirurgen gaben eine insgesamt sehr hohe Arbeitsbelastung an. 13 % der Befragten antworteten, durchschnittlich insgesamt 40 bis 48 Stunden pro Woche tätig zu sein. Fast die Hälfte (48 %) gab eine Arbeitszeit von 49 bis 59 Stunden pro Woche an und ein Drittel (34 %) von durchschnittlich 60 bis 79 Stunden. 5 % der Teilnehmenden kreuzte an, in der Regel über 80 Stunden pro Woche tätig zu sein.

Bei der Frage nach dem täglichen Zeitaufwand für Verwaltungstätigkeiten und Organisation (z. B. Datenerfassung, Dokumentation, OP-Voranmeldung, Arzt-Briefe, Besprechungen), die über rein ärztliche Tätigkeiten hinausgehen, kreuzten 20 % 1 bis 2 Stunden an, die Mehrheit mit 67 % 3 bis 4 Stunden und 13 % 5 Stunden und mehr.

Dabei waren 36 % der Meinung, dass davon eine Stunde täglich an Verwaltungstätigkeiten und Organisation an nicht medizinisches Personal delegiert werden sollte, die Mehrheit mit 41 % sprach sich für 2 Stunden aus und 20 % für 3 bis 4 Stunden. Lediglich 2 % der Befragten würden mehr als 5 Stunden an Verwaltungstätigkeiten und Organisation delegieren.

Mit 58 % gaben die meisten aller Befragten an, dass im klinischen Alltag häufig Mehrfachangaben identischer Daten erforderlich seien. Demgegenüber fanden nur 12 %, dass dies selten der Fall sei. Beklagt wurde in den Freitextangaben die mangelnde digitale Verknüpfung der unterschiedlichen Eingabemasken.

Lediglich 40 % der Befragten gaben an, bürokratische Arbeit delegieren zu können.

Exkurs: Vergleich der Gruppe der Fachärzte und Ärzte in Weiterbildung mit der Gruppe der weiteren Befragten (i. W. Chefärzte und Oberärzte)

Die Gruppe der Fachärzte und Ärzte in Weiterbildung umfasste insgesamt 378 Teilnehmer. Davon waren 28 % in Teilzeit tätig, gegenüber 19 % in der Gruppe der Oberärzte und Chefärzte. Die Gruppe der Ärzte in Weiterbildung und weiteren Fachärzte gab eine geringfügig niedrigere Arbeitszeit an als die Gruppe der Ober- und Chefärzte. Dies ist auf die vermehrte Teilzeittätigkeit zurückzuführen. Dabei gab die Gruppe der Fachärzte und Ärzte in Weiterbildung, trotz eines höheren Anteils an Teilzeittätigkeit, einen höheren täglichen Zeitaufwand für administrative Tätigkeiten an: 68 % gaben täglich 3 bis 4 Stunden für Administration an (vs. 66 %) und 21 % geben an, täglich über 5 Stunden mit Administration beschäftigt zu sein (vs. 12 % bei den Chef- und Oberärzten). Dazu passend können nur 23 % der Fachärzte und Ärzte in Weiterbildung administrative Tätigkeiten delegieren, gegenüber 40 % der Ober- und Chefärzte.

Die Zufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen war bei den Fachärzten und Ärzten in Weiterbildung niedriger ausgeprägt als bei Ober- und Chefärzten: 34 % beurteilten ihre Arbeitsbedingungen als gut und sehr gut gegenüber 39 % bei Ober- und Chefärzten.

Als Beispiele für redundante zu dokumentierende Daten wurden am häufigsten genannt:

  • Patientenstammdaten
  • Anamnese, Diagnosen, Prozeduren
  • Angaben zu Medikamenten

Dieselben Daten sind für unterschiedliche Erfordernisse mehrfach zu dokumentieren:

  • Stammblatt, Anamnesebögen, Patientenakte, Arztbrief
  • Chirurgische und anästhesiologische Aufklärung
  • Prä-, intra- und postoperative Dokumentation
  • Anmeldung zur Diagnostik, zum Tumorboard, Anträge zur Rehabilitation
  • Qualitätssicherungsbögen, Krebsregistermeldungen, Studienzwecke, Register

Zusammenfassung und Diskussion

Die Ergebnisse der Umfrage passen in den Kontext weiterer Umfragen zur Bürokratielast in Krankenhäusern (MB Monitor 2022, Deutsches Krankenhausinstitut (DKI) 2024).

Kernaussage der Umfrage ist, dass stationär tätige Chirurginnen und Chirurgen, sowohl in Voll- als auch in Teilzeit, nicht nur ein hohes Arbeitspensum bewältigen, sondern auch mit einem besonders hohen Anteil an administrativen Tätigkeiten konfrontiert sind. 67 % der Vollzeitbeschäftigten gaben in der vorliegenden Umfrage an, 3 bis 4 Stunden für administrative Tätigkeiten täglich gegenüber 57 % der Vollzeitbeschäftigten gemäß MB-Monitor. Der durchschnittliche Anteil für Dokumentationsaufgaben an der Regelarbeitszeit gemäß der Umfrage des DKI entsprach 36 % in Allgemeinkrankenhäusern und lag damit ebenfalls darunter.

Der hohe Anteil administrativer Tätigkeiten resultiert in besonderem Maß aus Mehrfachdokumentationen identischer Daten. 58 % der Befragten gaben an, dass diese häufig oder sehr häufig vorkommen versus 32 % beim MB-Monitor.

Besonders negativ konnotiert waren die Prüfungen des Medizinischen Dienstes, die ebenfalls einen erheblichen Anteil zur administrativen Tätigkeit beitragen (größte Gruppe mit 21 % der Vollzeitbeschäftigten = 5 Stunden pro Monat). Weitere regelmäßige administrative Aufwände ergaben sich aus der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zur datengestützten einrichtungsübergreifenden Qualitätssicherung und dem internen Qualitätsmanagement.

Krankenhäuser in der Pflicht

Priorisiert werden muss aber auch der Bürokratieabbau in den Krankenhäusern vor Ort. Krankenhausträger müssen unbedingt Sorge dafür tragen, dass die Dokumentationserfordernisse in den eigenen Einrichtungen analysiert und die Dokumente bzw. Eingabemasken soweit wie möglich harmonisiert und vernetzt werden. Umständliche Anmeldeprozesse z. B. zur Bildgebung, Funktionsdiagnostik, Operation, Nachsorge und Rehabilitation sollten im Rahmen eines Prozessmanagements analysiert und verschlankt werden.

Um die Bürokratielast zu senken, empfiehlt der BDC dem Gesetzgeber die Umsetzung folgender Sofortmaßnahmen:

  • Vorgaben für die Standardisierung der Dokumentation und die Interoperabilität der Datenverwaltungssysteme über einheitliche Schnittstellen als Voraussetzung für den umfassenden und validen Datenaustausch innerhalb der Kliniken und zwischen unterschiedlichen Einrichtungen
  • Vorgaben zur Reduktion von Dokumentationserfordernissen im Sinne der Datensparsamkeit:

Verpflichtung der Partner der gemeinsamen Selbstverwaltung zur Überprüfung aller Qualitätssicherungs- und Qualitätsmanagementmaßnahmen auf ihren Nutzen und Möglichkeiten, Dokumentationsaufwand einzusparen (u. a. Umsetzung des G-BA-Beschlusses über Eckpunkte zur Weiterentwicklung der datengestützten gesetzlichen Qualitätssicherung), Überprüfung der Qualitätsberichte der Krankenhäuser)

Verpflichtung der Partner der gemeinsamen Selbstverwaltung zur Überprüfung aller in der Versorgung häufig verwendeten Formulare im Hinblick auf Vereinfachung und digitale Verwendung

Verpflichtung des Medizinischen Dienstes zur Vereinheitlichung von OPS-Strukturprüfungen und Qualitätsprüfungen zu einem gemeinsamen Prüfregime, Einführung eines übersichtlichen Standarddokumentensatzes für die Abrechnungsprüfung, Überarbeitung der Richtlinie „Regelmäßige Begutachtungen zur Einhaltung von Strukturmerkmalen von OPS-Kodes“ (StrOPS-Richtlinie), u. a. durch Überprüfung der vorgeschriebenen Strukturmerkmale, die Verlängerung der Gültigkeit von Bescheinigungen sowie die Einführung einer zentralen Datenbank.

Abschaffung der Doppeldokumentation beim Endoprothesenregister

Abschaffung überflüssiger Dokumentation bei der Einleitung einer Anschluss-Rehabilitation

Delegation an nicht medizinisches Personal

Angesichts des hohen Arbeitspensums und der hohen Bürokratielast fordert der BDC Krankenhausträger zudem dringend dazu auf, verstärkt Möglichkeiten für die Delegation bürokratischer Tätigkeiten an nichtärztliches Personal zu schaffen. Es erscheint unverständlich, dass nur 40 % der Befragten angaben, bürokratische Tätigkeiten delegieren zu können, obwohl ein hoher Anteil an Verwaltungstätigkeiten als delegierbar an nicht medizinisches Personal eingeschätzt wurde (2 Stunden (41 %), 3-4 Stunden (20 %) täglich bei Vollzeitbeschäftigten). Dies steht in Einklang mit weiteren Erhebungen, die ein hohes Potential prinzipiell delegierbarer Tätigkeiten in der Chirurgie identifizieren konnten und gleichzeitig ein hohes Einsparpotential durch entsprechende Delegation aufzeigen.

Digitalisierung vorantreiben und digitale Instrumente und Programme einsetzen

Schließlich müssen die Chancen der Digitalisierung endlich genutzt werden. Neben den gesetzlichen Rahmenbedingungen sind hier wiederum die Krankenhausträger in der Pflicht, intelligente IT-Strukturen vor Ort umzusetzen. Die Tatsache, dass 88 % der Befragten den tatsächlichen Nutzen der Informationstechnik zur Reduktion des Dokumentationsaufwands als eher gering oder gering einschätzten, macht deutlich, dass entscheidende Potenziale leider immer noch ungenutzt bleiben. Dieses frappierende Ergebnis sollte Entscheidungsträgern auf allen Ebenen unbedingt ein Ansporn zu mehr Investitionen in eine angemessene IT-Infrastruktur sein. Dabei sollten die Beteiligten zukünftig unbedingt einbezogen werden (65 % der Befragten gaben an, dass ärztliche Anforderungen bei der Anschaffung neuer Software nicht berücksichtigt würden).

Fazit

Chirurginnen und Chirurgen bewältigen ein hohes Arbeitspensum mit einem immensen Anteil administrativer Aufgaben. Die Möglichkeiten der Delegation administrativer Aufgaben an nicht ärztliches Personal sind bei Weitem nicht ausgeschöpft

Überflüssige Dokumentation entsteht durch überbordende bürokratische Vorgaben der Normgeber, die teilweise nicht ausreichend aufeinander abgestimmt sind, aber auch durch Doppeldokumentation im Rahmen ineffizienter Aufbau- und Ablauforganisation in den Krankenhäusern. Die Verantwortlichen vor Ort wie auch die Normgeber sind in der Pflicht, überflüssige Dokumentation abzubauen und die Voraussetzungen für den reibungslosen Datenaustausch zu schaffen.

Erforderlich sind gesetzliche Vorgaben, Infrastrukturförderung sowie Investitionen der lokalen Krankenhausträger. Ein Expertengremium von Akteuren aus der Selbstverwaltung sowie Berufsverbänden und Fachgesellschaften soll das Bundesgesundheitsministerium bei der Entbürokratisierung beraten. Die vorliegenden Konzepte u. a. von der Deutschen Krankenhausgesellschaft und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung sind zu berücksichtigen. Schließlich brauchen wir einen Kulturwandel: Bürokratie und Überregulierung müssen abgebaut und das Vertrauen in die Leistungsträger vor Ort gestärkt werden.

Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels bei einer älter werdenden Bevölkerung müssen angehende Chirurginnen und Chirurgen für ihr Fachgebiet begeistert, anstatt überproportional mit bürokratischen Pflichten belastet zu werden.

 

HIER geht’s zur ausführlichen Erstveröffentlichung in DIE CHIRURGIE, veröffentlicht online am 08. August 2025.

 

Burgdorf F, Kunze C, Braun B, Richardt D, Meyer HJ, Auhuber T: Ergebnisse der BDC-Umfrage „Bürokratielast in Kliniken“. Passion Chirurgie. 2025 September; 15(09/III): Artikel 05_03.

Operation Gesetzgebung – Wird die Krankenhausreform nun praxistauglicher?

Im Mai trat Nina Warken das Amt der Bundesministerin für Gesundheit an. Seither hat das Ministerium beachtliche sieben Gesetzgebungsverfahren auf den Weg gebracht. Der Erwartungsdruck der Akteure ist hoch. Zum einen geht es um die Partizipation in der Entscheidungsfindung, die in der letzten Legislaturperiode bekanntermaßen in den Hintergrund getreten ist. Zum anderen fielen einige laufende Gesetzgebungsverfahren dem Bruch der Koalition zum Opfer, so wurden Entscheidungen getroffen, die nun teilweise korrigiert werden sollen. Entsprechend wurde am 6. August 2025 der angekündigte Referentenentwurf für ein Krankenhausreformanpassungsgesetz (KHAG) veröffentlicht. Das erklärte Ziel bestand darin, die Krankenhausreform praxis- und alltagstauglicher zu machen.

Aus Sicht des BDC bietet der Referentenentwurf Chancen, bleibt aber hinter den Erwartungen zurück.

Durchgesetzt haben sich insbesondere die Länder. Denn sie hatten bis zuletzt die mangelnde Flexibilität bei der Zuweisung von Leistungsgruppen zur Sicherstellung der Grund- und Notfallversorgung kritisiert. Ihre Stimme wurde nun gehört. Gemäß Referentenentwurf sollen zukünftig mehr Ausnahmen von den Qualitätskriterien zu Sicherstellungszwecken möglich sein. Außerdem können Krankenhäuser die geforderten Leistungen auch in Kooperation mit anderen Häusern erbringen.

Flexibilisiert und gedehnt wurde auch der von Kliniken und Ländern kritisierte Zeitplan. So soll die Einführung der Vorhaltepauschalen um ein Jahr verschoben werden. Das Jahr 2027 soll für alle Krankenhäuser erlösneutral ausgestaltet werden und die volle Finanzwirksamkeit der Vorhaltepauschalen 2030 eintreten. Schließlich sollen Länder nun endlich, zeitnah nach Zuweisung von Leistungsgruppen, krankenhausindividuelle Auswirkungsanalysen erhalten; ein vom Bund lang versprochenes Planungsinstrument.

Einige weitere Änderungen wurden primär aufgrund der Stellungnahmen ärztlicher Verbände und des neu gegründeten Leistungsgruppenausschusses vorgenommen. Dazu gehört die Rücknahme der Leistungsgruppen Infektiologie, Notfallmedizin, spezielle Kinder- und Jugendchirurgie sowie Kinder- und Jugendmedizin und die Lockerung der Qualitätskriterien für die Onkochirurgie. Zudem kann bei der Leistungsgruppe „Allgemeine Chirurgie“ nun ein Allgemeinchirurg bzw. eine Allgemeinchirurgin durch zwei Chirurg:innen der Fachrichtungen Orthopädie und Unfallchirurgie und Viszeralchirurgie ersetzt werden.

Der BDC begrüßt, dass Ländern und Krankenhäusern nun offenbar mehr Vertrauen entgegengebracht wird, die Ziele der Reform – mehr Konzentration und Spezialisierung und damit Qualitätssteigerung an den Häusern – mit mehr Flexibilität umzusetzen.

Keine Änderung beinhaltet der vorliegende Referentenentwurf in Bezug auf die Anrechenbarkeit von Fachärztinnen und Fachärzten pro Leistungsgruppe. Dies aber ist und bleibt eine Forderung des BDC. Denn die Chirurgie ist – aufgrund der hohen Anzahl definierter Leistungsgruppen – in besonderem Maße betroffen von der hohen Anzahl vorzuhaltender Fachärztinnen und Fachärzte: Zur Erbringung einer Leistungsgruppe werden jeweils drei Fachärzte der jeweiligen Fachrichtung benötigt; bei spezielleren Leistungsgruppen, wie Pankreas- oder Ösophaguschirurgie, schon fünf Fachärzte mit entsprechender Zusatzweiterbildung und in der Transplantationschirurgie sogar sechs bis neun Fachärzte. Auch die Forderung einer Berücksichtigung von Ärztinnen und Ärzten in Weiterbildung in der Leistungsgruppensystematik – sprich deren Finanzierung und notwendige Modelle der Rotation – wurde nicht aufgegriffen.

Beibehalten werden soll auch die fallzahlabhängige Vorhaltevergütung als zentrales Reformelement. Dies beurteilt der BDC auch bei zeitlicher Verschiebung, auch bei zeitlicher Verzögerung, als äußerst kritisch und bleibt bei seiner Forderung einer grundlegenden Überarbeitung der Betriebskostenfinanzierung für Krankenhäuser und übergangsweisen Einführung weiterer Strukturkostenkomponenten, etwa Zuschläge für Notfallstufen, Zentren und insbesondere auch für die Weiterbildung.

“Die Krankenhausreform ist von besonderer Relevanz für den chirurgischen Alltag. Wir nehmen alle Gelegenheiten wahr, um mit dem Bundesgesundheitsministerium offene Punkte und Maßnahmen, die aus chirurgischer Sicht in die falsche Richtung gehen, zu diskutieren und gegebenenfalls zu korrigieren. Eine erste Stellungnahme von Seiten BDC zum Krankenhaus­reforman­passungs­gesetz ist bereits an das Bundes­gesund­heits­ministerium gegangen.“
Friederike Burgdorf

Resümieren lässt sich, dass die Reform der Reform einige wesentliche Forderungen der Länder und Krankenhäuser zum Zeitplan und zu Ausnahmen umsetzt. Tiefgreifende systematische Veränderungen sind bislang jedoch ausgeblieben. So findet die Weiterbildung und deren Finanzierung wie oben erwähnt keine weitergehende Berücksichtigung und auch die vielfach kritisierten Regelungen zu Hybrid-DRG wurden nicht revidiert. Dies zeigt, dass die ärztliche und insbesondere die chirurgische Community unbedingt am Ball bleiben muss, um sich das viel versprochene Gehör der neuen Ministerin zu verschaffen. In der jetzigen Form kann der vorliegende Referentenentwurf lediglich einen ersten Schritt zu dem weiter notwendigen echten Anpassungsprozess darstellen. Der BDC wird sich mit verschiedenen Maßnahmen auf unterschiedlichen Ebenen für die Interessen der Chirurginnen und Chirurgen stark machen.

Weitere laufende Gesetzesvorhaben finden Sie HIER:
www.bundesgesundheitsministerium.de/service/gesetze-und-verordnungen.html

Relevanz für die Chirurgie haben insbesondere:

Burgdorf F: Operation Gesetzgebung – Wird die Krankenhausreform nun praxistauglicher? Passion Chirurgie. 2025 September; 15(09/QIII): Artikel 05_04.

Berufspolitik Aktuell: Wer ist Nina Warken?

Der BDC hat hohe Erwartungen an die neue
Gesundheitsministerin

Eine echte Überraschung: Als neue Bundesgesundheitsministerin übernimmt Nina Warken (MdB CDU) das Amt von ihrem Vorgänger Prof. Dr. Karl Lauterbach (MdB SPD). Mit Gesundheitspolitik hatte die 45-jährige Juristin aus Baden-Württemberg bislang kaum Berührungspunkte; ihr Schwerpunkt lag auf Inneres und Recht. Seit 2013 gehört die erfahrene Politikerin dem Bundestag an und ist seit 2021 Parlamentarische Geschäftsführerin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Sie ist Mitglied im Bundesvorstand der Frauen Union Deutschlands und seit 2023 Generalsekretärin der CDU Baden-Württemberg. Als Rechtsanwältin hat Nina Warken in mittelständischen Kanzleien gearbeitet. Sie ist verheiratet und hat drei Söhne. Tatkräftige Unterstützung darf Nina Warken von Tino Sorge und Dr. Georg Kippels erwarten, den nachgerückten parlamentarischen Staatssekretären und langjährigen CDU-Gesundheitspolitikern, beide ebenfalls Juristen.

Mit Nina Warken und ihren beiden parlamentarischen Staatssekretären verbindet der BDC die Aussicht, dass künftig ärztliche Berufsverbände und Fachgesellschaften als maßgebliche Player mit praktischer Systemerfahrung wie auch die Partner der Selbstverwaltung wieder stärker in die Entscheidungsfindung miteinbezogen werden. Denn die erfahrene Politikerin auf Bundes- und Landesebene steht, zusammen mit Sorge und Kippels, vor großen Herausforderungen im Gesundheitswesen. Die Gesundheitsversorgung in Deutschland ist ein wesentliches Element staatlicher Daseinsvorsorge und genießt ein hohes Vertrauen in der Bevölkerung. Die Versorgung trotz angespannter Kassenlage auf dem gewohnten hohen Niveau aufrecht zu erhalten, ist ein zentrales, nicht nur gesundheits-, sondern auch gesellschaftspolitisches Anliegen.

Erfreulicherweise decken sich zentrale Punkte des Koalitionsvertrags mit den Kernforderungen des BDC. So soll ein Bürokratieentlastungsgesetz auf den Weg gebracht werden und die Krankenhausreform soll bis zum Sommer weiterentwickelt werden. Der BDC wird die Gelegenheit nutzen, Änderungen bei der Anrechenbarkeit von Chirurginnen und Chirurgen pro Leistungsgruppe einzubringen und erneut die Finanzierung der fachärztlichen Weiterbildung und auch die notwendigen Verbesserungen der Hybrid-DRG einzufordern. Auch das Thema Patientensteuerung – sei es im Rahmen der angekündigten kurzfristigen Reform der Notfallversorgung oder im Kontext der geplanten Einführung eines Primärarztsystems – wird noch einiger Sacharbeit bedürfen. Der BDC hat sich zu beiden Themen bereits umfassend positioniert.

Mit der stetigen Begleitung der Ausgestaltung dieser und weiterer Schwerpunktthemen aus dem Koalitionsvertrag, auch unter den gebotenen Effizienzerwägungen, wird eine wichtige Aufgabe auf den BDC zukommen. Wir beziehen Position – wir bleiben für Sie dran! Beziehen auch Sie Position gegenüber Ihren politischen Ansprechpartnern vor Ort und melden uns gern Ihre Standpunkte!

Infobox

Burgdorf F: Wer ist Nina Warken? – Der BDC hat hohe Erwartungen an die neue Gesundheitsministerin. Passion Chirurgie. 2025 Juni; 15(06/QII): Artikel 05_03.

Editorial 04/2025: Krankenhausreform – Orientierung in der „Revolution“

Zur Aprilausgabe 2025 | PASSION CHIRURGIE

Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Mitglieder,

die neue Regierung wird ein schweres Erbe antreten. Wir befinden uns inmitten eines umfassenden Transformationsprozesses im Gesundheitswesen, der alle Versorgungsebenen umfasst und in dessen Ziel es steht, das Angebot an Gesundheitsleistungen besser mit dem Versorgungsbedarf in Einklang zu bringen. Insbesondere sollen Patientinnen und Patienten zukünftig gezielter der jeweils angemessenen Versorgungsebene zuführt werden. Erste Weichen wurden bereits in der letzten Legislaturperiode gestellt, vieles am Ende der Ampelkoalition jedoch mit heißer Nadel gestrickt und noch in die Gesetzes-Entwürfe aufgenommen. Nun müssen die Reformelemente, insbesondere aus dem Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz, weiterentwickelt und mit den ausstehenden Gesetzgebungsverfahren zur Notfallversorgung und zur Entbürokratisierung abgestimmt werden, damit die gewonnenen Synergien auch zu mehr Qualität und Effizienz im System führen können.

Die Umstellungsprozesse im Zuge der Reformen werden für alle herausfordernd werden. Dementsprechend groß ist die Unsicherheit. Dies zeigte eindrücklich die Umfrage „Riskanter Krankenhausplan – eine Umfrage unter ChefärztInnen in NRW: dramatische Auswirkungen in der Viszeralchirurgie“ (Braumann et al. 2025). 48 % der befragten Chefärztinnen und Chefärzte gaben darin an, sich um ihre eigene Zukunft zu sorgen, 72 % sahen die Attraktivität des Fachgebiets in Gefahr und 80 % gaben an, dass die Weiterbildungsordnung so nicht mehr garantiert sei. Spätestens, wenn es heißt „Raus aus dem Bett“ oder wenn sich die Anfahrtswege zum behandelnden Krankenhaus verlängern, schafft dies auch Unsicherheit bei den Patientinnen und Patienten.

Mit dieser Ausgabe der Passion Chirurgie möchten wir Ihnen als maßgebliche Akteure in diesem System daher Orientierung bieten in der „Krankenhausrevolution“. Ob und inwieweit Fehlentwicklungen korrigiert werden können, ist aktuell noch unklar. Der BDC wird sich aber engagiert in die politischen Prozesse einbringen. Zu oft wurde die praktische Expertise von Fachgesellschaften und Berufsverbänden in der jüngsten Vergangenheit übergangen. Das möchten wir ändern.

Diese berufspolitischen Themen finden Sie in der aktuellen Ausgabe der Passion Chirurgie:

Wie wirken sich die neuen Hybrid-DRG auf die Versorgungsstrukturen in Krankenhäusern aus und welche Fehlanreize bedürfen dringende Korrekturen?

Welche Anforderungen sind an eine kluge Reform der Notfallversorgung zu stellen und wie kann eine zentrale Ersteinschätzung gelingen?

Welchen Einfluss haben die aktuellen Entwicklungen auf die chirurgische Weiterbildung der Zukunft und wie kann eine sachgerechte Organisation und Finanzierung umgesetzt werden?

Wir wünschen Ihnen eine interessante Lektüre. Teilen Sie uns gerne Ihre Meinung mit und gehen mit uns in den Diskurs – denn nur so können wir Sie in der neuen Legislaturperiode optimal vertreten.

Herzlichst Ihre
Friederike Burgdorf

Burgdorf F: Editorial: Krankenhausreform – Orientierung nach der „Revolution“. Passion Chirurgie. 2025 April; 15(04): Artikel 01.

Berufspolitik Aktuell: Strukturelle Reformen als gesellschaftspolitisches Anliegen

Im elfseitigen Sondierungspapier widmen CDU/CSU und SPD der Gesundheitsversorgung lediglich drei Zeilen: „Die Gesundheitsversorgung muss für alle gesichert bleiben. Wir wollen eine große Pflegereform auf den Weg bringen. Wir stehen für eine bedarfsgerechte Krankenhausversorgung in der Stadt und auf dem Land.“ Wie Union und SPD diese Ziele erreichen wollen, erläutern sie nicht.

Mit Gesundheitsthemen lässt sich im Berliner Politikbetrieb bekanntermaßen kaum punkten. Dennoch genießt die Gesundheitsversorgung in Deutschland als ein wesentliches Element staatlicher Daseinsvorsorge ein hohes Vertrauen in der Bevölkerung. Die Versorgung auf dem in Deutschland gewohnten hohen Niveau aufrecht zu erhalten, ist ein zentrales, nicht nur gesundheits-, sondern auch gesellschaftspolitisches Anliegen. Dies dürfte, spätestens nach dem Ausgang der Wahlen mit hohen Wahlergebnissen für die Parteien am rechten und linken Rand des Spektrums, noch einmal klargeworden sein.

Aktuell steht das Gesundheitssystem vor besonderen Herausforderungen. Einem stetig wachsenden Versorgungsbedarf einer älter werdenden Bevölkerung steht ein wachsender Fachkräftemangel in Deutschland gegenüber. Zudem investiert Deutschland verstärkt in seine Wehrhaftigkeit, und dies wirft eine neue Frage auf, nämlich diejenige nach der Gesundheitsversorgung im Verteidigungsfall. Ziel muss es daher sein, das Gesundheitssystem in seiner Bedeutung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, die Daseinsvorsorge und nicht zuletzt auch als Wirtschaftsfaktor zu erkennen und nachhaltig zu fördern. Auch eine neue Bundesgesundheitsministerin oder ein Bundesgesundheitsminister muss sich also mit umfassenden Strukturreformen befassen und die begonnenen Reformen aus der letzten Legislaturperiode nahtlos fortführen.

Der BDC hat seine Kernanliegen daher schon vor der Wahl in dem Papier „Position beziehen – chirurgische Versorgung sicherstellen!“ formuliert und fordert die Politik auf, die folgenden Reformschwerpunkte prioritär anzugehen:

1. Eine sachgerechte Weiterbildung ist die Basis für eine qualitativ hochwertige chirurgische Versorgung. Der BDC bringt das Thema öffentlichkeitswirksam mit der Mobilisierungskampagne „Kein Weiter ohne Bildung“ weiter voran und verlangt eine transparente und auskömmliche Finanzierung der fachärztlichen Weiterbildung im stationären und ambulanten Versorgungsbereich durch leistungsbezogene Zuschläge. Schließlich arbeitet er an einem Servicepaket für die Förderung der Verbundweiterbildung.

2. Bürokratieabbau ist längst überfällig und muss durch ein entsprechendes Gesetz realisiert werden. Der BDC hat dazu Sie, die Mitglieder, befragt und damit offensichtlich den Nerv getroffen. Über 1.300 BDC-Mitglieder beteiligten sich an der Umfrage und machten transparent, dass Chirurginnen und Chirurgen ein besonders hohes Arbeitspensum bewältigen. So gaben 82 % der Vollzeitbeschäftigten an, pro Woche durchschnittlich 49 bis 79 Stunden tätig zu sein. Der Anteil bürokratischer Aufgaben erwies sich als hoch mit rund drei bis vier Stunden täglich bei 67 % der Vollzeitbeschäftigten. Während 94 % der Vollzeitbeschäftigten angaben, dass rund eine bis drei Stunden an bürokratischer Arbeit täglich delegiert werden sollten, sind nur 40 % der Befragten (42 % der Vollzeitbeschäftigten) auch dazu befugt, bürokratische Aufgaben zu delegieren. Die Potentiale der IT scheinen dabei nicht genutzt zu werden, denn mit 88 % beurteilte die große Mehrheit der Befragten den Nutzen der Informationstechnik zur Reduktion des Dokumentationsaufwands als eher gering oder gering.

3. Die Steuerung von Patienten muss verbessert werden. Dafür muss die dringend überfällige Notfallreform in der 21. Legislaturperiode prioritär umgesetzt werden. In einer Stellungnahme haben BDC und DGCH bereits im August 2024 konkrete Lösungsvorschläge zur Umsetzung gemacht.

4. Die Krankenhausreform muss zügig weiterentwickelt werden. Die mit dem Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) eingeführte Vorhaltefinanzierung auf Basis von fallzahlbasierten Kalkulationen führt zu Fehlanreizen. Stattdessen fordert der BDC eine grundlegende Überarbeitung der Betriebskostenfinanzierung durch die Partner der Selbstverwaltung.

5. Der BDC fordert für die sektorenübergreifenden Hybrid-DRGs eine angemessene Kalkulation auf Grundlage geeigneter empirischer Kostendaten des ambulanten und stationären Bereichs, eine Staffelung der Vergütung nach der Eingriffsdauer und die Rücknahme der automatischen Honorardegression auf EBM-Niveau bis 2030.

Diese Themen – siehe auch unser aktuelles Positionspapier – wird der BDC bei all seinen Kontakten auch in der neuen Legislaturperiode gegenüber Gesundheitspolitikerinnen und Gesundheitspolitikern prioritär adressieren. Was uns zugutekommt: Anders als vor vier Jahren herrscht im BMG ein hohes Maß an personeller Kontinuität.

Burgdorf F: Strukturelle Reformen als gesellschaftspolitisches Anliegen. Passion Chirurgie. 2025 April; 15(04): Artikel 05_03.

2024 – ein prägendes Jahr, das Überraschungen und Aufgaben für das kommende bereithält

Wenn ein Beben die Gesundheitspolitik erfasst, begibt sich der BDC mit seinen Funktionsträgerinnen und -trägern mitten ins Geschehen, mit dem Ziel, mit anzupacken und die besonders für die Chirurgie relevanten Themen in die richtigen Bahnen zu lenken. Die Erkenntnis in diesem Jahr: Dranbleiben und laut werden. Ein Jahresrückblick von BDC-Geschäftsführerin Dr. Friederike Burgdorf.

Das Jahr 2024 begann bereits mit einem Knall: Die Einführung der Hybrid-DRG überfiel die Ärzteschaft, beschäftigte Kliniken und Praxen, was die technische Umsetzung betraf, und erhitzte die Gemüter bezüglich der Sinnhaftigkeit und Profitabilität. Vor allem für die niedergelassenen Chirurginnen und Chirurgen schlagen die Sachkosten zu Buche, die bei den H-DRG nicht ausreichend berücksichtigt werden. Auch die Aufteilung der Kosten mit anderen beteiligten wie den Anästhesisten hat für Unruhe und teilweise Unmut unter den Fachgruppen geführt und auch die fehlende Möglichkeit, Schweregrade anhand von H-DRGs zu differenzieren, wurde kritisiert. Dadurch, dass BDC-Vorstand und engagierte Mandatsträger sich frühzeitig mit der Thematik auseinandergesetzt hatten, konnte der BDC rasch seine Mitglieder ins Bild setzen und in Richtung Politik, Verbände und Medien Stellung beziehen.

Währenddessen waren schon deutlich die Vorbeben der Krankenhausreform und der Ausarbeitung des Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetztes (KHVVG) zu spüren. Bund und Länder stritten sich vor dem Gesetzeserlass um Auswirkungsanalyse, Geld und die konkrete Umsetzung, während bereits Stück für Stück unrentable Krankenhäuser vom Netz gingen und gehen. Andere Häuser, beispielsweise in Nordrhein-Westfalen, dem Bundesland, das quasi als Blaupause für die Strukturreform gilt, arbeiten bereits nach den Vorgaben. Die Einteilung der Krankenhäuser in Versorgungsstufen und die Zuteilung von Leistungsgruppen wird bereits vorgenommen. Die Neustrukturierung wird also hier wohl am schnellsten zu bemerken sein, und wir beobachten die Entwicklung in NRW mit Spannung.

Die Krankenhausreform unter der Leitung von Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach ist ein dickes Brett, das es an verschiedenen Stellen zu bearbeiten gilt. Der BDC hat insbesondere sehr kritisch die Berücksichtigung der fachärztlichen Weiterbildung beobachtet. Wir haben dabei festgestellt, dass dieses Thema im Referentenentwurf von Anfang an weitestgehend ignoriert wurde und immer noch stiefmütterlich behandelt wird. Mitgliedern des Bundestags und dem Gesundheitsausschuss liegen inzwischen zwei Stellungnahmen von Seiten des BDC vor, in denen der Verband die gesicherte Finanzierung der fachärztlichen Weiterbildung fordert und Vorschläge zur Umsetzung macht. Die Weiterbildungskommission Chirurgie, bestehend aus Mandatsträger:innen von BDC, DGCH und den chirurgischen Fachgesellschaften, hat ebenfalls ein Positionspapier herausgebracht und Stellung bezogen sowie Forderungen formuliert. Bei Vorträgen und Veranstaltungen weisen unsere Verbandsvorstände und -mitglieder unermüdlich auf die Wichtigkeit hin, den chirurgischen Nachwuchs zu fördern und zu halten und dass hierfür ganz entscheidend eine gut strukturierte, für alle auskömmlich finanzierte und qualitativ hochwertige Weiterbildung gehört. Mit Pressemitteilungen erhöhen wir den Druck auf der medialen Ebene. Unser Engagement scheint inzwischen Früchte zu tragen. Die Finanzierung der Weiterbildung ist tatsächlich als zu lösende Aufgabe im Bundesministerium angekommen und hat noch kurz vor der Verabschiedung im Bundestag Eingang in das KHVVG gefunden, zumindest für den stationären Bereich.

Parallel zu dieser Entwicklung findet die Reform der Notfallversorgung statt. Durch Vorhaltepauschalen und Zuschläge gemäß KHVVG soll sie in Zukunft immerhin finanziell besser ausgestattet werden. Zum eigentlichen Gesetzesentwurf hat der BDC gemeinsam mit der DGCH, weiteren Fachgesellschaften und dem BVOU im Juli Stellung genommen und klare Bedingungen formuliert, unter denen die Reform erst erfolgreich umgesetzt werden kann. Das Ziel einer besseren Patientensteuerung in die jeweils angemessene Versorgungsebene unterstützt der BDC. Wir rechnen damit, dass das Gesetz erst in der nächsten Legislaturperiode in Kraft treten wird.

Einen Lichtblick können wir für alle Poolärztinnen und -ärzte vermelden: Das Problem ihrer Sozialversicherungspflicht im ärztlichen Notdienst scheint seit August 2024 vom Tisch. Die Deutsche Rentenversicherung Bund und der GKV-Spitzenverband haben sich diesbezüglich geeinigt. Die Bedingungen, die Ärzte erfüllen müssen, um im Bereitschaftsdienst als Selbstständige zu gelten, stehen fest. Knackpunkt hier war der Kostenersatz durch die Ärzte für die Bereitstellung von Raum und Personal seitens der KV. Im Vorfeld der Entscheidung hatte der BDC nach dem ersten Urteil des Sozialgerichts reagiert und klare Regeln gefordert.

Zu weiteren heftigen Eruptionen von Seiten zahlreicher ärztlicher Berufsverbände führte im Herbst die Veröffentlichung der mit der PKV konsentierten GOÄ-Reform von Seiten der Bundesärztekammer. BDC-Vorstand und Geschäftsführung wandten sich mit einer schriftlichen Stellungnahme und der Bitte um weiteren Dialog zur Klärung der Kritikpunkte an BÄK-Präsident Dr. Klaus Reinhardt. Auch im BDC führten Mitglieder und Mandatsträger untereinander hitzige Gespräche. In einer Sitzung des Referats der niedergelassenen Chirurginnen und Chirurgen übten die Teilnehmenden scharfe Kritik an den deutlichen Abwertungen vor allem komplexer operativer Leistungen im Vergleich zur früheren ärzteeigenen Version. Anhand einer vorgegebenen Matrix errechneten sie einzelne Fallkonstellationen und identifizierten dadurch dringend notwendige Anpassungen. Dieser Prozess soll alle häufig durchgeführten chirurgischen Leistungen im niedergelassenen Bereich umfassen und Ende November abgeschlossen sein. Zusammen mit den Rückmeldungen aus den stationär tätigen operativen Bereichen hat der BDC damit eine substanzielle und durch Beispielrechnungen unterstützte Grundlage für die zugesagten weiteren Gespräche mit der Bundesärztekammer. Alle Beteiligten hoffen sehr, dass sie auf dieser Basis zu einem guten Ergebnis kommen werden.

Wo bleibt eigentlich der von Bundesgesundheitsminister Lauterbach für diesen Herbst angekündigte Bürokratieabbau? Wir sind ihm jedenfalls zuvorgekommen und haben dieses Jahr noch eine Umfrage an unsere Mitglieder zum Thema geschickt. Damit wollen wir die Diskussion rund um die Bürokratie in der Medizin anregen und um die chirurgische Perspektive ergänzen. Bitte helfen Sie uns, die Forderungen der Chirurgie auf den Punkt zu bringen und beantworten auch Sie unsere Fragen durch Teilnahme an der Umfrage.

Abseits des politischen Rüttelns sind wir mit unseren eigenen Projekten vorangekommen: So konnte das Nachwuchsreferat des BDC nach langer, intensiver Arbeit im Herbst dieses Jahres eine neue Weiterbildungsbroschüre „Faszination Chirurgie“ präsentieren, die ab sofort an relevanten Orten und an Interessierte verteilt wird. „Faszination Chirurgie“ beinhaltet gut strukturiert alle Inhalte, die Medizinstudierende kennen müssen, um gut auf das Fach Chirurgie und die chirurgische Weiterbildung eingestimmt zu sein. Die Autorinnen und Autoren lassen in der Broschüre ihre Begeisterung an dem Fach spüren. Damit ist sie auch ein Motivator für diesen herausfordernden und bereichernden Beruf.

Ein Fels in der Brandung beim BDC ist die jährliche Ausrichtung der Veranstaltung „Staatsexamen und Karriere“, dem Abschlusstraining zur Vorbereitung auf das Staatsexamen für Chirurgie und Innere Medizin. Die gut besuchten Veranstaltungen erhalten regelmäßig positives Feedback: „Die Fortbildung hat mir vor allem die Angst genommen und gezeigt, dass man viel aus den letzten Jahren schöpfen kann und sich nicht allzu viele Sorgen machen muss. Sie hat toll Lernstrategien für die Prüfung veranschaulicht.“ Anhand dieser Rückmeldung können wir sagen: Ziel erreicht!

Die BDC-Akademie hat ihr Jahresprogramm 2025 fertig gestellt und bietet wieder ein breites und fundiertes Fortbildungsprogramm für alle Karrierestufen, sowie für Chirurginnen und Chirurgen in Klinik und Praxis. Schauen Sie rein, es ist wie immer konkurrenzfähig, für Mitglieder kostengünstig und erweitert den chirurgischen Wissenshorizont enorm.

Zum Schluss eine Information in eigener Sache: Seit diesem Jahr motivieren wir BDC-Mitglieder, mit einer Marketing-Aktion in ihrem Kollegium für eine Mitgliedschaft im BDC zu werben. Als größter Chirurgieverband in Europa genießen wir Sichtbarkeit und können unseren Einfluss geltend machen. Nichtsdestotrotz müssen wir unsere Stärke durch Sie, unsere Mitglieder, bewahren und ausbauen, um schlagkräftig zu bleiben. Das heißt, dass BDC-Mitgliedern, die – meist aus Altersgründen – gehen, neue nachfolgen müssen, die sich bestenfalls engagieren und frische Perspektiven in den Verband einbringen. Daher bitten wir Sie, sich an der Aktion „Mitglieder werben Mitglieder“ zu beteiligen. Ihr Engagement für den Verband wird belohnt: Für jedes erfolgreich geworbene Mitglied erhalten Sie ein nützliches Geschenk.

Alle diese Themen werden uns im kommenden Jahr begleiten. Unsere Aufgabe ist es, zu beobachten, zu priorisieren und vor allem: dranzubleiben. Für die Verbandsarbeit gilt heute außerdem noch etwas Anderes: In einem Tornado müssen wir laut werden, um gehört zu werden. Dafür brauchen wir neue Methoden, um unsere Unterstützer und die Politik zu erreichen. Daher haben wir dieses Jahr eine Kreativkampagne entwickelt und an den Start gebracht, mit der wir auf die Situation der fachärztlichen Weiterbildung aufmerksam machen. Wir haben bisher hierfür viel Zuspruch erhalten und freuen uns über noch mehr Unterstützung. Unterschreiben daher auch Sie die die Kampagne begleitende Petition an das Bundesgesundheitsministerium, denn die Kampagne ist auch in Ihrem Sinne und für den Fortbestand einer finanziell gesicherten und qualitativ hochwertigen chirurgischen Weiterbildung wichtig! Herzlichen Dank.

Schließen möchten wir mit unserem Leitsatz für das Wahljahr 2025: Den Willen zu Veränderungen begrüßen, für die eigenen Werte und Interessen mit Nachdruck einstehen.

Ihre
Friederike Burgdorf

Burgdorf F: 2024 – ein prägendes Jahr, das Überraschungen und Aufgaben für das kommende bereithält. Passion Chirurgie. 2024 Dezember; 14(12/IV): Artikel 07_03.

Berufspolitik Aktuell: KHVVG – bis zuletzt hochumstritten

Bis zuletzt gab es am Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) viel Kritik. Einige Tage vor der 2./3. Lesung im Bundestag einigte sich die Regierungsfraktion schließlich auf ganze 51 Änderungsanträge. Der BDC hat die wichtigsten Anträge für Sie geprüft und sieht Licht und Schatten bei den Änderungen, die noch Eingang in das KHVVG fanden.

Umfassende Änderungen wurden noch kurz vor dem Parlamentsbeschluss am Konzept der Hybrid-DRG vorgenommen: Klargestellt wurde, dass der EBM als Abrechnungsoption für spezifische Konstellationen ausgeschlossen ist. Weiterhin gibt das Gesetz nun vor, dass bis 2030 ganze 2 Millionen ehemals stationärer Fälle ambulant erbracht werden sollen. Dies entspricht einer Ambulantisierungsquote von 12 Prozent. Dieses Ziel hat der Gesetzgeber inzwischen ergänzt, nachdem die Selbstverwaltung den Katalog der Hybrid-DRG zunächst aufgrund unbefriedigender Rahmenbedingungen (Berücksichtigung von Sachkosten, Schweregraden, etc.) nur zögerlich weiterentwickelt hatte. Es bleibt aber fraglich, wie dieses hochgesteckte Ziel erreicht werden soll. Zwar liegt das Ambulantisierungspotenzial in Deutschland laut aktueller Literatur bei 10 bis 20 Prozent. Jedoch sollen lediglich die Ein-Tages-Fälle in die Hybrid-DRG einbezogen werden. Hinzukommt, dass über eine stetige Preisdegression bis 2030 das Vergütungsniveau des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs erreicht sein soll. Auch dies wird keinen Anreiz setzen, Leistungen vermehrt über Hybrid-DRG zu erbringen. Vielmehr bleibt abzuwarten, ob überhaupt noch ausreichend Leistungserbringer unter diesen Konditionen am Markt verbleiben, oder hier die zukünftige Unterversorgung vorprogrammiert ist, insbesondere, da Strukturen für das ambulante Operieren noch geschaffen müssen. Dabei hat der Gesetzgeber nicht überraschend umfassende Möglichkeiten für Ersatzvornahmen durch das Bundesgesundheitsministerium eingeführt, sollte die Selbstverwaltung die Vorgaben nicht innerhalb der engen Zeitvorgaben umsetzen.

Kritisch beurteilen wir auch die Öffnung der sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen (formal gelten sie als Krankenhäuser) für die Facharztversorgung im vertragsärztlichen Bereich. Auch diese Änderung wurde kurzfristig in das Gesetz eingebracht. Eine entsprechende Ermächtigung ist möglich, sofern in einem Planungsbereich keine Zulassungsbeschränkungen für das entsprechende Fachgebiet bestehen – eine Unterversorgung, wie ursprünglich vorgesehen, ist also keine Voraussetzung. Damit hat die Regelung das Potenzial, die Versorgung nachhaltig zugunsten einer Versorgung an Krankenhäusern zu verändern, zumal diese – anders als die Vertragsärzte – von einer zusätzlichen Investitionskostenfinanzierung profitieren. Und der Minister scheint seinem Ziel, der Abschaffung einer doppelten Facharztschiene, wieder ein stückweit nähergekommen zu sein.

Aber es gibt auch Licht: Der BDC hatte sich in einem Schreiben an das Gesundheitsministerium dafür eingesetzt, dass auch die Belegärzte die Versorgung innerhalb der neu definierten Leistungsgruppen übernehmen können. Dies wurde nun entsprechend klargestellt.

Geprüft werden soll zudem die Einführung eines ärztlichen Personalbemessungsinstruments an Krankenhäusern; dies in enger Zusammenarbeit mit der Bundesärztekammer. Damit soll sichergestellt werden, dass ausreichend ärztliches Personal an Krankenhäusern beschäftigt wird. Der BDC wird auch diesen Prozess weiterhin kritisch begleiten. Denn trotz der positiven Zielstellung bleibt abzuwarten, ob nicht neue Konfliktfelder eröffnet werden mit zusätzlicher Bürokratie und fraglichem Nutzen.

Schließlich sollen die Selbstverwaltungspartner prüfen, ob für eine sachgerechte Finanzierung der Mehrkosten für die Weiterbildung an Krankenhäusern Zu- oder Abschläge zu den DRG-Fallpauschalen erforderlich sind. Dies freut uns als BDC ganz besonders, zumal wir diesen Prozess intensiv durch unsere Arbeit auf der politischen Ebene, unsere Weiterbildungskampagne und Pressearbeit begleitet haben. Dranbleiben lohnt sich also! Unterstützen auch Sie die Kampagne des BDC und unterschreiben Sie jetzt die Petition zur Förderung der fachärztlichen Weiterbildung in Klinik und Praxis:

Wir engagieren uns für die fachärztliche Weiterbildung

Anschreiben Gesundheitsausschuss von Anfang Oktober

Offener Brief an Lauterbach (BDC, BDA, DGCH, DGAI)

Landingpage bdc.de/kampagne

Pressemitteilung

Berichte in BDC-Medien

Burgdorf F: KHVVG – bis zuletzt hochumstritten. Passion Chirurgie. 2024 November; 14(11): Artikel 05_02.

Mehr zur aktuelle Berufspolitik finden Sie auf BDC|Online unter der Rubrik Politik.

Kein Weiter ohne Bildung – Interview mit dem Kampagnenteam

Mit dieser Kampagne hat der Berufsverband nach der Sommerpause für Aufmerksamkeit gesorgt: In den sozialen Netzwerken, in der ärztlichen Verbändelandschaft sowie in den Fachmedien ist der kreativ umgesetzte Aufruf des Verbands, die Sicherung der fachärztlichen Weiterbildung zu unterstützen, bereits breit aufgegriffen worden und hat viel positive Resonanz erhalten. Ein Interview mit den „Machern“ der Kampagne.

Kämpft mit uns für die Zukunft des ärztlichen Nachwuchses, unterschreibt die Petition an das BMG/die Politik zur Sicherung der ärztlichen Weiterbildung!

Ein Interview mit dem Kampagnenteam

Der BDC setzt sich schon lange für die chirurgische Weiterbildung ein: Warum jetzt eine Kampagne, warum zu diesem Zeitpunkt?

Carsten Krones Wie die Frage schon vorwegnimmt: Angefangen bei seinem Vorstand kämpft der BDC schon seit Jahren darum, die Weiterbildung bei Politik und Selbstverwaltung auf Bundes- und Landesebene endlich wieder stärker in den Fokus zu rücken. Die Rahmenbedingungen sind seit Jahren für den Nachwuchs an der Grenze des Zumutbaren. Dass wir in Deutschland Ärztinnen und Ärzten eine reibungslose und qualitativ hochwertige Weiterbildung ermöglichen, ist doch die Grundvoraussetzung für eine professionelle gesundheitliche Versorgung, wie jeder von uns sie sich auch selbst wünscht. Die Realität sieht anders aus. Ausgerechnet die fachärztliche Weiterbildung wird in allen Reformprojekten sträflich vernachlässigt, ja geradezu ignoriert. Wir führen E-Rezepte und elektronische Krankschreibungen ein – what a success. Aber wer diese kompetent ausfüllt ist nachrangig? Die jetzt anstehenden Krankenhausreformen in Bund und Land, ziehen ganz erhebliche Strukturveränderungen nach sich, die zwangsläufig drastische Auswirkungen auf die Facharztweiterbildung haben werden – nicht nur, aber besonders in der Chirurgie. Die Reformbemühungen konkurrieren zum Teil erheblich, aber in einem decken sie sich eins zu eins: Das Thema Weiterbildung findet nicht statt. Eingaben und Anfragen verschiedenster Fach- und Berufsverbände bleiben unbeantwortet, oder werden blasiert zur Seite geschoben. Man will uns einfach nicht hören. Wir haben uns daher entschieden, nicht nur in Gremien und auf der Fachebene aktiv zu bleiben, sondern jetzt die Öffentlichkeit zu mobilisieren. Es ist kurz vor zwölf, daher die Kampagne: Wir wollen in der Breite auf die Situation aufmerksam machen und so die Politik bewegen, endlich aktiv zu werden. Kompetenz und Sachverstand gibt es in den ärztlichen Verbänden en masse – wir stehen jederzeit zur Beratung bereit.

Sie haben noch nicht unterschrieben? Unterstützen Sie uns, denn die Sicherung der Weiterbildung von Chirurg:innen ist wichtig! Kein Weiter ohne Bildung! Unterschreiben Sie die BDC-Petition JETZT! Und leiten Sie unsere Kampagne weiter. Jede Stimme zählt! Vielen Dank.

 

Wer arbeitet an der Kampagne?

Claudia Kunze Zum Kampagnenteam gehören neben den Referentinnen aus der Kommunikation verschiedene Leiter der BDC-Themenreferate. Die einzelnen Personen kommen aus Klinik und Praxis und engagieren sich für ihre Themen bereits lange im Verband. Dazu noch sind sie in weiteren Gremien und Verbänden aktiv und bringen so weitere Expertise mit ins Projekt. Die Idee einer Kampagne haben wir bereits im vergangenen November beim Treffen der Themenreferate entwickelt. Seither haben wir an Kreativkonzept und Umsetzung gearbeitet. Den Kampagnenclip, das Herzstück, haben wir von einem kleinen, feinen Kreativteam umsetzen lassen, das ein gutes Gespür für Trends bei Kurzvideos hat. Neunzig Prozent der Arbeit haben wir intern geleistet. Die Kampagne ist also einzigartig und in Teilen „von chirurgischer Hand“ gemacht.

Was steckt hinter der Kampagne? Was ist ihr Ziel?

Olivia Päßler Das ist die zentrale Frage: Was wollen wir damit erreichen? In erster Linie möchten wir die Allgemeinheit aufrütteln: Seht her, das ist ein Thema, das letztendlich euch angeht! Aber das reicht uns nicht. Wir möchten alle, die wir mit der Kampagne erreichen, dazu bringen, uns zu unterstützen. Dies können sie mittels Unterschrift unserer Petition an das BMG, die wir aufgesetzt haben und einreichen wollen. Alle, Ärztinnen und Ärzte aller Karrierestufen, die Studentenschaft, Patientinnen und Patienten, sollen unterschreiben. Ob wir die erforderliche Anzahl an Unterschriften erhalten werden, ist für uns erst einmal zweitrangig. Wichtig war uns der „Call to Action“ – tut was! Damit im Bundesgesundheitsministerium endlich mal jemand aktiv wird.

Was war die wichtigste Aufgabe bei der Umsetzung der Kampagne?

Benedikt Braun Die wichtigste Aufgabe bei der Umsetzung einer Kampagne ist natürlich, sie so zu gestalten, dass man daran hängen bleibt und die Zielgruppe für den Kampagnenzweck mobilisiert. Für uns ist da die erste Ansprache ein kurzer Videoclip. Der muss Aufmerksamkeit erregen und einen gewissen Nerv treffen, damit man weiter ins Thema einsteigen will. Er muss nicht jedem gefallen, geht auch gar nicht, aber er muss Aufmerksamkeit erregen. Für sowas hilft bei uns eine professionelle Kreativ-Agentur. Der Clip ist letztlich aber nur Mittel zum Zweck, genau wie der Slogan. Dahinter muss Substanz stecken, hier in Form einer entsprechenden Website mit Hintergrundinformationen und eine change.org Petition. Da soll letztlich eine kritische Masse versammelt werden, mit der man dann beim BMG ein Pfand hat. Um an diesen Punkt zu kommen ist eine der wichtigsten Aufgaben, alle Kontakte aus der Chirurgie und anderen Fachbereichen, dem medizinischen Nachwuchs, aber auch dem persönlichen Umfeld für die Idee zu begeistern und zu mobilisieren. Jede und jeder kann sowohl die Petition unterschreiben, als auch in den persönlichen sozialen Netzwerken für die Kampagne werben und zum Teilen animieren. Die Masse macht´s!

Wie wollen Sie sich mit dem Kampagnenclip von anderen Maßnahmen absetzen?

Andreas Kirschniak Der BDC gilt im Auftritt landläufig als eher nüchtern, fachspezifisch und „funktionsgesteuert“. Humor und Emotion spielten bislang, wenn überhaupt, dann eine Nebenrolle in der Verbandskommunikation. Mit unserer Kampagne wollten wir einen neuen Ansatz wählen. Wie gesundheitliche Versorgung in der Zukunft aussehen wird, wenn die Politik die Weiterbildung nach wie vor vernachlässigt, wollen wir mit voller Drastik in einer ganz neuen Ästhetik zeigen. Durch die Verwendung von Comicfiguren konnten wir die Situation abstrahieren und ins Absurde ziehen. Das führt zu Lachern, aber auch zum Aha-Effekt: Ganz abwegig ist die Geschichte leider nicht! Positionspapiere und Stellungnahmen wurden bis dato in der Politik mit Nichtbeachtung gestraft, dass der BDC sich aber insbesondere für die nächste Generation von Ärztinnen und Ärzten und Chirurginnen und Chirurgen engagiert, soll mit dieser Darstellungsweise klar hervorgehoben werden. Wir wollen die und jungen Kolleginnen und Kollegen zum Mitmachen auffordern.

Wie sieht der Ablauf der Kampagne aus?

Daniel Vallböhmer Neben den klassischen Medien machen wir uns die sozialen Netzwerke zunutze. Hier liegt unser Schwerpunkt. Wir bespielen die Kanäle Instagram, Youtube, LinkedIn und Facebook. Sogar Tiktok gehört neu zu unseren BDC-Kanälen! Über diese Plattformen soll der Clip bestenfalls viral gehen. Wir finden, er hat das Potenzial dazu! Auf jeden Fall ist die Kampagne eine Aktion, die man vom BDC so sicherlich nicht erwartet hätte.

Wie wird es in den nächsten Wochen weitergehen?

Ralf Schmitz Weiterbildung bleibt beim BDC eines der zentralen Themen. Die Kampagne werden wir ausbauen – wir haben noch ein paar kreative Raketen auf Lager, die gezündet werden wollen. Mittel- und langfristig wollen wir mit unserer Aktion erreichen, mehr Aufmerksamkeit als Berufsverband der Deutschen Chirurgie zu bekommen – sowohl in der Ärzteschaft als auch auf der politischen Ebene. Damit erhoffen wir uns, auch fachlich noch stärker in politische Entscheidungen mit eingebunden zu werden. Denn bei uns sitzen die Expertinnen und Experten mit geballtem Wissen, was die chirurgische Weiterbildung angeht. Wir sind bereit für die Zusammenarbeit mit allen, die das Thema voranbringen wollen!

Kein Weiter ohne Bildung – ein Kommentar von Friederike Burgdorf

Seit dem 5. September laufen die Kampagnenaktivitäten im BDC auf Hochtouren. Eine Woche nachdem wir online gegangen sind, zahlreiche E-Mails an unsere Unterstützerinnen und Unterstützer geschickt und zur Unterschrift unserer Petition aufgerufen haben, konnten wir bereits eine Tendenz erkennen: An der hohen Zahl der Aufrufe unserer Kampagne in den sozialen Medien, an der Menge der Menschen, die die Petition unterschrieben haben und an den vielen positiven Kommentaren auf den Plattformen und im persönlichen Austausch erkennen wir, dass wir einen Nerv getroffen haben.

Die fachärztliche Weiterbildung ist seit Jahren ein zentrales Verbandsthema im BDC. Auch weitere maßgebliche Beteiligte haben das Thema aktuell aufgrund der gesundheitspolitischen Reformen aufgegriffen und sich mit Positionspapieren, Gesetzesentwürfen, Anschreiben und in Hintergrundgesprächen an die Politik und Fachöffentlichkeit gewandt. Dazu gehören die Bundesärztekammer, Landesärztekammern, Kassenärztliche Bundesvereinigung, Marburger Bund, Deutsche Gesellschaft für Chirurgie, Berufsverband Deutscher Internistinnen und Internisten sowie den Berufsverband Deutscher Anästhesisten, um nur einige zu nennen. Die Ziele und Forderungen des BDC bezüglich der chirurgischen Weiterbildung sind in seinem Leitbild verankert. An Lösungen arbeiten der Vorstand, die Gemeinsame Weiterbildungskommission Chirurgie von BDC und DGCH sowie die BDC-Themenreferate. Warum nun die Kampagne? Der erste Ansatz dazu entstand vergangenen November beim Treffen der Themenreferate. Die Teilnehmenden stellten damals fest, dass der Verband sich auf verschiedenen politischen Ebenen zwar intensiv für eine gesicherte und qualitativ hochwertige chirurgische Weiterbildung einsetzt, dass aber die Reaktion darauf bei den Entscheidern in der Gesundheitspolitik milde gesagt verhalten ist. Sie beschlossen daher, einen neuen Weg einzuschlagen, um Gehör zu finden. Die Idee der Kampagne war geboren. Das Kampagnenteam formierte sich und die BDC-Kommunikation arbeitete seither an einem Konzept, das sich im Laufe der Monate stetig weiterentwickelte und konkreter wurde.

Vorstand und Geschäftsführung legten besonderen Wert auf die Formulierung der Petition und berufspolitische Implikationen. Eine wichtige Aufgabe neben der Entwicklung der Kampagnenidee war zudem das Kommunikationskonzept: Über die sozialen Medien und den Entschluss, eine Petition ins Leben zu rufen, hatten wir die Chance, die Rezipienten zu mobilisieren und zum Handeln aufzurufen. Da Weiterbildung alle angeht, hofften wir, möglichst viele mit ins Boot zu holen und als Unterstützer:innen zu gewinnen. Aus unserer Sicht ist das bisher geglückt.

Zum Kickstart der Kampagne beigetragen hat sicherlich auch der Zeitpunkt Anfang September, direkt zum Ende der parlamentarischen Sommerpause: Seither wird der Referentenentwurf für die Krankenhausreform in verschiedenen Lesungen behandelt und konkretisiert. In dem umfassenden Dokument kommt die fachärztliche Weiterbildung nicht vor, was nicht nur für uns vollkommen unverständlich ist. Denn das wichtigste und schwierigste Thema, deren Finanzierung, ist Aufgabe des Bundesgesundheitsministeriums. Wir sind sicher, dass „Kein Weiter ohne Bildung“ und die Wellen, die unsere Kampagne schlägt, dazu führen werden, dass die fachärztliche Weiterbildung auf den politischen Ebenen endlich „ankommt“. Wir sind auf die Ergebnisse sehr gespannt.

Krones C, Vallböhmer D, Schmitz R, Kirschniak A, Braun B, Kunze C, Päßler O: Der BDC macht mobil für die fachärztliche Weiterbildung. Passion Chirurgie. 2024 September; 14(09/III): Artikel 05_02.

Berufspolitik Aktuell: Fehlschlag oder Change Management?

Wenn der Abschlag erst in den Rabatten gelandet ist, ist es schwer wieder herauszukommen. Was beim Golf so betörend offensichtlich ist, ist in der Gesundheitspolitik nicht immer eindeutig. Wobei die Erstveröffentlichung des Bundesklinikatlas auf Basis des Krankenhaustransparenzgesetzes (KHVVG, März 2024 in Kraft getreten) sicherlich als ein Fehlschlag gewertet werden kann.

Bei den weiteren Teilaspekten der Krankenhaureform ist es schon schwieriger. Denn grundsätzlich sind wir uns darüber einig, dass wir eine solche benötigen. Kaum jemand stellt die Kernziele des KHVVG infrage: a) Reduktion der Fallmengenausweitung durch eine Finanzierungsreform, b) Qualitätssteigerung durch Zentralisierung, c) Sicherstellung der Versorgung in der Fläche durch sektorenübergreifende Versorgungseinrichtungen und d) Bürokratieabbau. Wobei sich da gleich die Frage aufdrängt: „Bürokratieabbau – ja, durch was eigentlich?“ Dazu findet sich in den Ausführungen zum Gesetzesentwurf: „die elektronische Datenübermittlung an die Medizinischen Dienste über geschützte digitale Informationsportale“. Na, da sind wir gespannt, ob das genauso gut klappt wie bei der „eAU“ und dem digitalen Rezept, um nur zwei rühmliche Beispiele zu nennen. Ansonsten wird nämlich allein durch das KHVVG vieles komplizierter durch ein zweistufiges Vergütungssystem („DRG klassik“ plus Vorhaltepauschale) und die Ermittlung und Überprüfung von Strukturkriterien und Mindestvorhaltezahlen für die Leistungsgruppen.

Die Schwierigkeiten mit dieser Reform bleiben also trotz Anerkennung der Ziele eklatant und der Minister bezieht die Fachwelt kaum ein. Unstrittig ist, dass die geplanten Strukturveränderungen erhebliche Investitionen erfordern. Nicht nur für die Umwandlung von Krankenhausstandorten in sektorenübergreifende Einrichtungen mit einer entsprechenden Leistungsverlagerung, sondern auch für die Erweiterung von Kapazitäten an Standorten der Maximalversorgung und Schwerpunktmedizin mit Zuordnung höherer Fallzahlen für einzelne Leistungsgruppen. Verunsicherung entsteht insbesondere dadurch, dass eine konkrete Auswirkungsanalyse fehlt. Aus der Regierungskommission hört man lapidar, dass mit einer Reduktion der Bettenkapazität um rund 30 % gerechnet wird. Befürchtungen kommen dabei auch aus strukturschwächeren Bundesländern, für die ein Abbau von Versorgungskonzepten nach Plänen, die überwiegend aus NRW mit einer besonders hohen Versorgungsdichte stammen, besonders prekär sein könnte.

Auch viele der Strukturvorgaben bleiben umstritten. So stellt sich z. B. die Frage, warum für die spezielle Kinderchirurgie eine Mindestpersonalvorgabe von fünf Fachärzten gelten soll, während etwa in der Neurochirurgie drei Fachärzte ausreichen. Belegärzte bleiben bei der Definition der chirurgischen Leistungsgruppen gleich völlig außen vor, was sie zukünftig auf Tätigkeiten in den sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen reduzieren würde. Auch keine Berücksichtigung findet die Ausstattung mit Ärzt:innen in Weiterbildung. Diese sollte aber mindestens in den Vorgaben zur Vorhaltefinanzierung eine Rolle spielen, um die Weiterbildung endlich auch finanziell abzubilden.

Noch vor der Sommerpause hatte der Bundesgesundheitsminister die erste Lesung des KHVVG im Bundestag und damit die Eröffnung des parlamentarischen Verfahrens erreicht. Da es zahlreiche Änderungsanträge geben wird, rechnen wir mit einem heißen Herbst. Die Bundesregierung wäre gut beraten, die Stimmen von Fachgesellschaften und Berufsverbänden einzubeziehen. Einen weiteren Schlag in die Rabatten kann sie sich nicht leisten.

Burgdorf F: Fehlschlag oder Change Management? Passion Chirurgie. 2024 September; 14(09/III): Artikel 05_03.

BDC und DGCH nehmen gemeinsam Stellung: Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Notfallversorgung

Bundesgesundheitsminister Lauterbach spricht von einer Revolution, wenn es um die Krankenhausreform geht. Zweifelsohne haben die jüngsten Reformvorschläge das Potenzial, die deutsche Versorgungslandschaft radikal zu verändern. So äußerte auf dem diesjährigen Hauptstadtkongress Herr Prof. Dr. Christian Karagiannidis (Präsident der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin [DGIIN]) als Mitglied der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung, man rechne mit einer Bettenreduktion von rund dreißig Prozent im Zuge der Krankenhausreform. Gleichzeitig proklamiert das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) auf seiner Website das Ziel einer besseren Behandlungsqualität bei weniger Bürokratie sowie dem Erhalt eines lückenlosen Netzes von Krankenhäusern in ganz Deutschland.

Wichtiger Motor für die komplexen Neuerungen ist – mit Blick auf den stationären Bereich – die vergleichsweise hohe Krankenhausdichte in Deutschland in Verbindung mit besonderen Leistungshäufigkeiten in bestimmten (lukrativen) Teilbereichen. Die Leistungsinduktion resultiert im Wesentlichen aus dem DRG-System und entspricht damit dem damaligen politischen Willen bei Einführung der DRGs. Dabei wurde in Deutschland im internationalen Vergleich ein extremer Weg gewählt, indem das DRG-System nahezu zur alleinigen Einkommensquelle im Bereich der Betriebsmittel erhoben wurde. Damit unterliegt aktuell fast die gesamte Leistungserbringung an deutschen Krankenhäusern den Anreizen einer Fallzahlsteigerung. Weitere Treiber einer notwendigen Reform unserer medizinischen Versorgung sind der jetzt schon bestehende Personalmangel, der sich durch die Babyboomer noch verstärken wird, sowie ein immenser Investitionsstau, fehlender Inflationsausgleich und steigende Betriebs- und Personalkosten. Dem soll mit einer neuen Systematik mit Vorhaltepauschalen und vermehrter Verlagerung von Leistungen in den ambulanten Bereich begegnet werden.

Auch im Bereich der Notfälle besteht eine reformbedürftige Struktur, wie die hohe Inanspruchnahme von Rettungsdiensten und Notfallmedizin für banale Fälle beweist. Auch hier leistet sich Deutschland ein System des nahezu unbegrenzten Zugangs. Im niedergelassenen Bereich schließlich besteht freie Arztwahl, ebenfalls ohne durchgängige Steuerungsinstrumente. Bestehende Strukturen werden ungesteuert geflutet.

Während auf Ebene der Bundesländer und Kommunen in der Vergangenheit schlichtweg die rechtliche Handhabe wie auch der politische Wille fehlten, einschneidende strukturelle Veränderungen vorzunehmen, hat der Bundesgesundheitsminister nunmehr ein ganzes Bündel von Gesetzesvorhaben auf den Weg gebracht, die neben einer Verbesserung der Versorgungsqualität vor allem einen effizienteren Einsatz des immer knapper werdenden Fachpersonals zum Ziel hat. Dazu gehört auch der aktuelle Referentenentwurf des BMG vom Juni 2024 für eine Reform der Notfallversorgung. Dessen Ziel ist die sachgerechte Steuerung von Patienten in die jeweils angemessene Versorgungsebene bei einer allgemeinen Reduktion ärztlicher Leistungen.

Dazu haben BDC und DGCH gemeinsam Stellung genommen:

Grundsätzlich wird das Ziel, eine Entlastung der Notaufnahmen der Krankenhäuser und des Rettungsdienstes zu erreichen, ausdrücklich unterstützt. Denn unbestritten sind effektive Rahmenbedingungen für die Notfallversorgung in Deutschland eine wichtige Voraussetzung dafür, Menschen eine optimale Behandlung in der für die Dringlichkeit des subjektiv stets unaufschiebbaren Gesundheitsproblems geeigneten Struktur zu bieten. Entsprechend stehen im Zentrum des vorliegenden Referentenentwurfs eine Vernetzung der Versorgungsbereiche sowie die Steuerung der hilfesuchenden Patientinnen und Patienten in die richtige Versorgungsebene, wenn möglich schon vor der Vorstellung in einem der sogenannten „Integrierten Notfallzentren“ (INZ). Dabei muss berücksichtigt werden, dass die personellen Ressourcen, auch im vertragsärztlichen Bereich, begrenzt sind und schon jetzt nicht ausreichen, um alle Wünsche einer ständig verfügbaren ärztlichen Versorgung über Notfälle hinaus zu gewährleisten.

Folgende Anpassungen der Gesetzesplanung haben BDC und DGCH schriftlich gegenüber dem BMG gefordert:

1. Notruf/Akutfallvermittlung: Kooperation Akutleitstelle und Rettungsleitstelle

Die bisherigen Aufgaben der Terminservicestellen der Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) im Bereich der Akutfallvermittlung nehmen gemäß dem vorliegenden Referentenentwurf zukünftig sogenannte „Akutleitstellen“ der KVen wahr.

Die angestrebte bundesweit einheitliche Vernetzung mit den Rettungsleitstellen, die perspektivisch idealerweise zu einer integrierten Leitstelle („Gesundheitsleitsystem“) für alle Belange der Notfallversorgung führt, wird begrüßt. Denn durch eine bedarfsgerechte Steuerung können sowohl die Notaufnahmen der Krankenhäuser als auch die Rettungsdienste entlastet werden. Gemäß vorliegendem Gesetzentwurf ist auf Antrag eines Trägers einer Rettungsleitstelle die zuständige KV zur Kooperation verpflichtet. Eine Umsetzung kann aber nur gelingen, wenn umgekehrt auch die Rettungsleitstellen gesetzlich zur Kooperation in einem solchen Gesundheitsleitsystem verpflichtet werden, das nur dann bundesweit flächendeckend installiert werden könnte. Daher muss vonseiten der Bundesländer eine solche gesetzliche Kooperationsverpflichtung für die Rettungsleitstellen auf den Weg gebracht werden. Dies sollte normativ unbedingt in der jeweiligen Landesgesetzgebung verankert werden.

2. Inhalt und Umfang der vertragsärztlichen Sicherstellung zur Entlastung des Notdienstes: Telemedizinische und aufsuchende Versorgung 24/7

Zur Sicherstellung einer medizinisch notwendigen Akutversorgung von Patientinnen und Patienten werden die Kassenärztlichen Vereinigungen verpflichtet, sich an den Integrierten Notfallzentren zu beteiligen sowie durchgängig (24/7) eine telemedizinische und eine aufsuchende Versorgung bereitzustellen.

BDC und DGCH lehnen eine Erweiterung des Sicherstellungsauftrags in Bezug auf die aufsuchende Versorgung 24/7 ab. Eine durchgängige aufsuchende Versorgung für Patientinnen und Patienten mit eingeschränkter Mobilität ist derzeit und mittelfristig – auch unter Zuhilfenahme telemedizinischer Maßnahmen und teilweiser Delegation auf nichtärztliches Personal – vor dem Hintergrund von Ärzte- und Fachkräftemangel nicht umsetzbar, auch wenn es Argumente gibt, die dafürsprechen. Zudem fordern die Verbände, die Beteiligung der Notdienstpraxen an den Integrierten Notfallzentren auf die bisherigen Zeitvorgaben des Notdienstes zu beschränken, es sei denn, das INZ trifft eine abweichende Vereinbarung, In vielen Bereichen haben sich bereits gut funktionierende sektorenverbindende Notfallstrukturen etabliert, die ihre zeitliche Aufgabenverteilung dem regional unterschiedlichen Patientenaufkommen angepasst haben. Diese sollten unbedingt erhalten bleiben. Mit einem zusätzlichen aufsuchenden Notfalldienst zusätzlich zur jetzt schon vorhandenen Möglichkeit des dringlichen Hausbesuchs zu den üblichen Sprechstundenzeiten würde eine Doppelstruktur mit erheblichem Missbrauchspotenzial aufgebaut.

Kritisiert wurde zudem, dass auch in diesem Gesetzesentwurf wiederum Personalkalkulationen und Lösungsansätze zur Vermeidung der Sozialversicherungspflicht bei Einsatz von Poolärztinnen und -ärzten fehlen.

3. Integrierte Notfallzentren – zentrale Ersteinschätzungsstelle

Integrierte Notfallzentren (INZ) werden gemäß dem Gesetzesentwurf als sektorenübergreifende Notfallversorgungsstrukturen eingerichtet. Sie bestehen aus der Notaufnahme eines Krankenhauses, einer Notdienstpraxis der Kassenärztlichen Vereinigung im oder am Krankenhausstandort und einer gemeinsamen zentralen Ersteinschätzungsstelle (ZES). Zugelassene Krankenhäuser und Vertragsärzte arbeiten darin verbindlich zusammen mit dem Ziel einer bedarfsgerechten ambulanten Erstversorgung. Die fachliche Leitung und Verantwortung für die ZES obliegt dem Krankenhaus, sofern in einer Kooperationsvereinbarung nichts Abweichendes geregelt ist. Damit ist der Kritik der Krankenhäuser gegenüber dem ursprünglichen Eckpunktepapier der Notfallreform nachgekommen worden.

DGCH und BDC begrüßen dabei die Beauftragung des GB-A zur Entwicklung eines rechtssicheren Ersteinschätzungsinstruments für die INZ. Nur wenn dadurch eine rechtssichere Fallübergabe von der ZES an die Kooperationspraxen ohne Arztkontakt im INZ möglich wird, kann die knappe Ressource Arzt in den Notaufnahmen eingespart werden und eine echte Entlastung resultieren. Dazu gehört auch die verpflichtende digitale Fallübergabe in einem interoperablen Datenformat, nicht nur innerhalb des INZ, sondern mittelfristig auch an die Kooperationspraxen über die Telematik-Infrastruktur.

4. Kooperationspraxen

Notdienstpraxen in den Integrierten Notfallzentren haben gemäß dem vorliegenden Entwurf während der sprechstundenfreien Zeiten zeitlich begrenzt eine vertragsärztliche Notfallversorgung zu gewährleisten.

Die Kassenärztlichen Vereinigungen werden verpflichtet, darüber hinaus für die Versorgung von Akutfällen während der Sprechstundenzeiten (außerhalb der Öffnungszeiten der Notdienstpraxis), sogenannte „Kooperationspraxen“ einschließlich digitaler Fallübergabe einzubinden. Dies würde ermöglichen, Notfälle in die beteiligten Praxen einzusteuern, die gemäß der Ersteinschätzung keine Behandlung in den Krankenhausstrukturen benötigen. Dies wird aus der Sicht der Chirurgie befürwortet, zumal aus Häufigkeitsuntersuchungen bekannt ist, dass bis zu 50 Prozent der in den Krankenhausnotaufnahmen behandelten Fälle Unfallverletzte sind, von denen eine große Anzahl auch fachlich kompetent in chirurgischen Unfallpraxen versorgt werden könnten. Eine enge Kooperation zwischen dem Intersektoralen Notfallzentrum und einer chirurgischen Kooperationspraxis kann somit für leichtere Unfallverletzungen einen Arztkontakt im INZ ersparen und dadurch eine echte Entlastung der Krankenhausnotaufnahmen bewirken, ohne die Patientensicherheit zu gefährden. Zumindest die bundesweit 2.744 niedergelassenen Durchgangsärztinnen und -ärzte (Stand 2022) in ca. 2.000 Durchgangsarztpraxen stehen den Arbeitsunfallverletzten (nach SGB VII) ohnehin während der festgelegten unfallärztlichen Bereitschaftszeit zur Verfügung und könnten in diese Versorgung einbezogen werden.

Da diese Art der Akutversorgung mit zusätzlichem Aufwand und veränderten Prozessen in den Praxen verbunden ist, sehen BDC und DGCH es für notwendig an, einen verbindlichen Auftrag an die Selbstverwaltung zu richten, diese Strukturen in Form einer Vorhaltepauschale und einer zusätzlichen fallbezogenen Vergütung zu fördern.

5. Weitere Kritikpunkte

Zur Anpassung an die Neuregelung der Erreichbarkeit ist ein Übergangszeitraum von sechs Monaten geplant. Diese Übergangsfrist soll es den Kassenärztlichen Vereinigungen ermöglichen, das für die vorgeschriebenen Erreichbarkeitszeiten gegebenenfalls erforderliche zusätzliche Personal zu rekrutieren. Dieser Zeitraum erscheint bei der jetzigen Situation auf dem Arbeitsmarkt und der zusätzlich notwendigen Ausbildung als extrem ambitioniert. Wir halten einen Übergangszeitraum von 12 Monaten für eine realistische Größe und damit für erforderlich.

Die Notfallversorgung ohne die präklinische Versorgung durch den Rettungsdienst bundesweit zu organisieren, halten wir aus medizinischer und logistischer Sicht für eine vertane Chance. Auch ließen sich hier durch Effektivitätssteigerungen gewaltige Ressourcen (das Gesamtvolumen der präklinischen Rettung beträgt in Deutschland mehr als 8,3 Milliarden €) umwidmen oder einsparen. Erweiterte Kompetenzen der Notfallsanitäter wären hier nur ein Aspekt.

Die Notfallmedizin differenziert im Erwachsenenalter selbstverständlich zwischen Chirurgie und Innerer Medizin. Im gleichen Maße ist Notfallmedizin im Kindes- und Jugendalter auch nicht ausschließlich Innere Medizin – also Pädiatrie –, da es sich auch im Kindes- und Jugendalter größtenteils um chirurgische Notfälle handelt. Die betroffenen Kinder und Jugendlichen haben einen Anspruch auf eine adäquate Behandlung. Dazu gibt es Fachärztinnen und -ärzte für Kinder- und Jugendchirurgie. Sofern im Referentenentwurf im Zusammenhang mit Kindern und/oder Jugendlichen eine Fachrichtung genannt wird, ist ausschließlich von der Pädiatrie respektive der Kinder- und Jugendmedizin die Rede. Die DGKCH weist mit Nachdruck darauf hin, dass Notfallzentren für Kinder und Jugendliche zur Gewährleistung einer adäquaten Versorgung nicht nur eine Fachärztin- bzw. einen -arzt für Kinder- und Jugendmedizin benötigen, sondern auch eine Fachärztin bzw. einen -arzt für Kinder- und Jugendchirurgie. Die DGKCH empfiehlt daher, den Referentenentwurf in diesem Sinne zu ergänzen und an den entsprechenden Stellen von konservativer und operativer Kinder- und Jugendmedizin zu sprechen. Die DGKCH begrüßt ausdrücklich den vorgesehenen Aufbau von Integrierten Notfallzentren für Kinder und Jugendliche, weist aber darauf hin, dass die Einschränkung, wonach diese Zentren an geeigneten Standorten etabliert werden können, sich in der praktischen Umsetzung als äußerst problematisch erweisen könnte. Überdies begrüßt die DGKCH die Implementierung zeitgemäßer telemedizinischer Strukturen in der Notfallversorgung ausdrücklich.

Kritisiert wird auch, dass der Aufklärung der Patientinnen und Patienten durch entsprechende Informationskampagnen und eine Gesundheitserziehung im Gesetzentwurf nichts Konkretes gewidmet ist. Die Effizienz der Notfallversorgung hängt jedoch ganz wesentlich auch vom Umgang der Betroffenen mit dem System ab.

Fazit

Grundsätzlich ist das Ziel einer verbesserten Patientensteuerung in die richtige Versorgungsebene zu begrüßen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung und den damit einhergehenden Arzt- und Patientenzahlen sowie der sinkenden Arzt-Zeit, die bei gleicher Anzahl tätiger Kolleg:innen perspektivisch noch zur Verfügung stehen wird. Allerdings nur insoweit, als dass echte Qualitätsverbesserungen resultieren und die Gesetze nicht als reine Einsparinstrumente genutzt werden und daraus eine Wartelistenmedizin und eine Unterversorgung der Bevölkerung resultieren.

In Bezug auf das Gesetz zur Reform der Notfallversorgung fehlen z. B. Regelungen zur auskömmlichen Finanzierung der Behandlung in den Kooperationspraxen sowie in den neu einzurichtenden INZ. Insbesondere hinsichtlich der Krankenhausreform fehlen sachgerechte Auswirkungsanalysen und die vorgegebenen Zeitpläne sind unrealistisch. Dies führt dann immer wieder – trotz bester Absichten – zu zweifelhaften Ergebnissen, wie wir es jüngst bei der Einführung der Hybrid-DRG oder der Veröffentlichung des Bundes-Klinik-Atlasses (BKA) erfahren mussten.

Burgdorf F, Meyer HJ, Kalbe P, Schmitz-Rixen T: Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Notfallversorgung. Passion Chirurgie. 2024 Juli/August; 14(07/08): Artikel 05_04.