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NEUE KOOPERATIONSFORM ZUR HERNIENCHIRURGISCHEN WEITERBILDUNG ZWISCHEN EINER CHIRURGISCHEN UNIVERSITÄTSKLINIK UND EINER FACHSPEZIALISIERTEN PRAXIS

Die Weiterbildung ist eines der zentralen Themen in der Fachwelt der Chirurg:innen. Der Einführung sowie der Angleichung von Mindestmengen folgt unweigerlich eine stets wachsende Spezialisierung innerhalb der Chirurgie. Gleichzeitig führt die „Ambulantisierung“ zu einer Verschiebung ganzer Teilbereiche der Chirurgie in den ambulanten Sektor, wie beispielsweise die Proktologie und Hernienchirurgie. Dieser Effekt stellt aktuell und auch zukünftig eine Herausforderung für die Strukturierung der chirurgischen Weiterbildung dar. Diese Herausforderung wird umso größer, da im ambulanten Bereich außerhalb der Krankenhäuser eine Weiterbildung in den genannten chirurgischen Teilbereichen aufgrund der fehlenden Finanzierung bisher praktisch nicht stattfindet. Nun gehören allerdings gerade diese Fachbereiche zu den häufigsten chirurgischen Erkrankungen, sind wesentlicher Bestandteil des chirurgischen Alltags und sollten obligater Bestandteil der Weiterbildung für alle jungen Chirurg:innen sein.

Welche Idee stand am Anfang?

Die Idee zu einer möglichen Kooperation zwischen Universitätsklinikum und chirurgischer Schwerpunktpraxis entstand nach einem Gespräch im Rahmen des Kongresses „Viszeralmedizin“, bei dem sich beide Autor:innen im Rahmen eines Vorsitzes einer wissenschaftlichen Sitzung zur chirurgischen Weiterbildung begegneten und untereinander sowie mit den Teilnehmenden der Sitzung austauschten. In der Diskussion wurde schnell klar, dass aufgrund der zunehmenden Spezialisierung und Ambulantisierung eine exzellente chirurgische Weiterbildung neue kreative Lösungsansätze benötigt. Die Autor:innen waren motiviert, die Weiterbildung für die nachwachsende Generation zu verbessern. Im Sinne einer Weiterentwicklung dieses Mottos ging es darum, die Zusammenarbeit mit ärztlichen Experten des stationären mit dem ambulanten Sektor zu intensivieren.

Aus der Idee wurde schließlich die Vision einer Kooperation der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie des Campus Benjamin Franklin der Charité Universitätsmedizin Berlin mit einer fachspezialisierten Praxis, den 3+CHIRURGEN zum Zwecke der hernienchirurgischen Weiterbildung. Im Sommer 2021 entstand aus dieser Vision ein Kooperationsvertrag, als dessen Kern die Rotation der chirurgischen Weiterbildungsassistent:innen der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie der Charité Universitätsmedizin Berlin entstand.

Wie sieht diese Kooperation praktisch aus?

An zwei Tagen der Woche findet ein komprimiertes Training der Hernienchirurgie in der Praxis der 3+CHIRURGEN und in der Havelklinik statt. Für diese Rotation werden die Weiterbildungsassistent:innen von der Klinik freigestellt. Die hernienchirurgische Rotation umfasst für alle Weiterbildungsassistent:innen einen Zeitabschnitt von ca. zwei bis drei Monaten.

Am Vormittag des ersten Tages findet gewöhnlich eine Hernien-Sprechstunde statt. Dabei werden Hernien-Neupatient:innen und Patient:innen mit Leistenschmerzen untersucht und behandelt sowie operierte Patient:innen nachuntersucht.

Am Nachmittag des ersten Tages sowie am zweiten Tag finden in der Regel acht bis 12 verschiedene ambulante und stationäre Hernien-Operationen in der beteiligten Havelklinik statt. Durch die wiederholten Eingriffe mit hohem Grad an Standardisierung sowie dem 1:1-Training gelingt es schnell, zunächst Teilschritte, danach die gesamte Operation an die/den Weiterbildungsassistenten/-in zu vermitteln.

In fünf Stufen wird der/die Weiterbildungsassistent/-in an die Operation herangeführt:

  1. Demonstration der Operation durch den Mentor
  2. Operation durch den Mentor mit allen Erklärungen durch den Mentor
  3. Operation durch den Mentor und Erklärungen der/des Weiterbildungsassistenten/-in
  4. Operation durch die/des Weiterbildungsassistenten/-in mit Erklärungen des Mentors
  5. Operation durch die/des Weiterbildungsassistenten/-in mit Erklärungen der/des Weiterbildungsassistenten/-in

Durch das direkte 1:1-Mentoring ist es möglich, auf die/den Weiterbildungsassistenten/-in mit allen Vorkenntnissen und praktischen Fähigkeiten ganz individuell einzugehen. Ergänzt wird das praktische Training durch die theoretische Weiterbildung mittels wissenschaftlicher Fachartikel und durch Lehrvideos.

Darüber hinaus wird diese Weiterbildung von einer Evaluation begleitet, um die Ergebnisse auch zukünftig vergleichen zu können (Tabelle 1).

Tab. 1: Evaluation vor dem Training (Selbsteinschätzung); Notensystem: 1 = ungenügend, keine Kenntnisse, 2 = ausreichend, geringe Kenntnisse, 3 = genügend, 4 = gut, 5 = sehr gut

Bisherige Operationen

Anzahl

Welche

Techniken?

Nach

Häufigkeit

Anzahl Leistenhernien

Anzahl Ventralhernien

Theoretische Kenntnisse

1

2

3

4

5

1

Grundsätzliche Kenntnisse der Anatomie

2

Kenntnis der EHS-Klassifikation

3

Kenntnis zur Differentialdiagnostik Leistenschmerz

4

Kenntnis der Internationalen Leitlinien

Kenntnis offener Operationstechniken Leistenhernien

5

Lichtenstein-Technik

6

Shouldice Technik

7

Offene präperitoneale Techniken

8

Andere Nahttechniken

Kenntnis offener Operationstechniken Ventralhernien

9

Nahtverfahren

10

Präperitoneale Netzverfahren

11

Sublayverfahren

12

IPOM-Verfahren

Praktische Fähigkeiten

13

Klinische Untersuchung Hernie

14

Untersuchung mit dynamischem Ultraschall

15

Klinische Untersuchung Leistenschmerz – Hüfte

Operationsfähigkeiten

16

Erkennen der anatomischen Strukturen

17

Identifikation der Nerven

18

Bruchsackpräparation

19

Umgang mit Lipomen

Durchführung der einzelnen Operationstechniken

20

Lichtenstein-Technik

21

Shouldice Technik

22

Offene präperitoneale Techniken

23

Andere Nahttechniken

24

Offene Naht Ventralhernien

25

Präperitoneale Netztechnik Ventralhernien

26

Umgang mit Komplikationen

Nach dem Training erfolgt eine nochmalige gleichartige Befragung mit Selbsteinschätzung zu den theoretischen Kenntnissen, den praktischen und Operationsfähigkeiten. Darüber hinaus erfolgt auch eine Gesamteinschätzung der Rotation durch den/die Weiterbildungsassistenten/-in (Tabelle 2).

Tab. 2: Gesamteinschätzung Rotation; Notensystem: 1 = ungenügend, 2 = ausreichend, 3 = genügend, 4 = gut, 5 = sehr gut

1

2

3

4

5

1

Waren Sie mit der Organisation in der Praxis zufrieden?

2

Waren Sie mit der Organisation in der Havelklinik zufrieden?

3

Bestand ausreichend Möglichkeit zur Diskussion und zum wissenschaftlichen Austausch?

4

Wurden Operationstechniken systematisch vermittelt?

5

Wurde genug Raum für praktische Übungen gegeben?

6

Waren Sie mit dem Mentoring zufrieden?

7

Wurden Ihre persönlichen Erwartungen an die Rotation erfüllt?

8

Sollte dieses Modellprojekt auch für andere Fachbereiche der Chirurgie übernommen werden?

9

Würden Sie diese Rotation anderen Kollegen oder auch anderen Universitäten empfehlen?

10

Kann die viszeralchirurgische Weiterbildung durch diese Rotationen grundsätzlich verbessert werden?

Die ersten Befragungen der bisher seit September 2021 beteiligten Weiterbildungsassistent:innen erscheinen überaus vielversprechend.

Womöglich ist diese neuartige und vielleicht ungewöhnliche Kooperation zwischen einer Universitätsklinik und einer chirurgischen Praxis ein Denkanstoß für die Zukunft. Aus Sicht der Autor:innen entsteht hier klar eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten.

Tab. 3: Gesamteinschätzung, offene Fragen

Was hat Ihnen am besten gefallen?

Was könnte besser sein?

Weitere Vorschläge für die Zukunft?

  • Der/Die Weiterbildungsassistent/-in profitiert von der komprimierten fachbezogenen Weiterbildung und bekommt zudem den Blick über den Tellerrand der eigenen Klinik und einen Motivationsschub.
  • Die Weiterbildungsklinik erfüllt durch diese Kooperation viel besser alle chirurgischen Weiterbildungsinhalte.
  • Der/Die niedergelassene Kollege/in kann seine/ihre langjährige fachspezifische Erfahrung aus der Praxis an die nächste Generation weitergeben.

Lorenz R; Beyer K: „Wir denken chirurgische Weiterbildung neu“ – Neue Kooperationsform zur hernienchirurgischen Weiterbildung. Passion Chirurgie. 2022 Mai; 12(05): Artikel 03_01.

Autoren des Artikels

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Dr. med. Ralph Lorenz

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