01.07.2020 Viszeralchirurgie
Der besondere Fall
Anamnese
An einem Samstag wurde eine 85-jährige Patientin nach Stolpersturz mit dem RTW in unsere Chirurgische Ambulanz eingeliefert. Die Patientin gab an, weggerutscht und anschließend flach auf den Bauch gefallen zu sein. Internistisch war die Patientin gesund und nahm keine Medikamente. Es fanden sich keine abdominellen Voroperationen in der Anamnese. Bis zu diesem Zeitpunkt war der nur mäßig adipösen Patientin das Vorliegen einer linksseitigen Leistenhernie nicht bekannt.
Klinischer Befund
Die Patientin gab starke Bauchschmerzen an. Klinisch zeigte sich eine minimale Prellmarke im Bereich des Unterbauches, das Abdomen war weich, es fand sich ein deutlicher Druckschmerz im linken Unterbauch mehr als im rechten ohne Peritonismus. Die linksseitige Leistenhernie wurde vom aufnehmenden Facharzt nicht beschrieben. Die übrige klinische Untersuchung war unauffällig.
Weiterer Verlauf
Sonographisch war die Blase gefüllt, keine freie Flüssigkeit, die Nieren waren beidseits nicht gestaut. Laborchemisch fanden sich 6300 Leukozyten /nl, das CRP lag bei 0,5 mg/l.
Aufgrund der Beschwerden und der durch den Sturz bedingten Immobilisation wurde die Patientin stationär aufgenommen, es wurde ein Blasenkatheter angelegt und die Beschwerden symptomatisch therapiert. 2 Tage später waren die Beschwerden der Patientin deutlich gebessert, eine Kontrolle der Laborwerte zeigte jedoch eine Erhöhung der Leukozyten auf 12.000 /nl sowie des CRP’s auf 400 mg/l. Im daraufhin durchgeführten Abdomen CT fanden sich freie Luft und freie Flüssigkeit im Abdomen. Außerdem fand sich nebenbefundlich eine Leistenhernie links mit einer fixierten Dünndarmschlinge (Abb. 1).
Chirurgische Therapie
In der notfallmäßigen Laparoskopie der Patientin fand sich eine Unterbauchperitonitis und die in der Leistenhernie links fixierte Ileumschlinge rupturiert (Abb. 2). Die Dünndarmschlinge wurde aus der Bruchpforte befreit, das antimesenterial gelegene, ca. 0,5 cm messende, Leck laparoskopisch übernäht, der Bauch und die kontaminierte Bruchlücke lavagiert (Abb. 3) und der Eingriff nach Einlage einer Easyflow-Drainage, ausgeleitet über die Einstichstelle des 12mm-Trokares im rechten Unterbauch, beendet.
Unter antibiotischer Therapie mit Cefuroxim und Metronidazol war der weitere Verlauf unkompliziert, die Drainage konnte am 3. postoperativen Tag entfernt werden, der Kostaufbau wurde von der Patientin gut vertragen. Am 8. postoperativen Tag konnte die Patientin aus der stationären Therapie entlassen werden.
Relaparoskopie
Die Versorgung der Leistenhernie im Intervall wurde der Patientin empfohlen. Sie wurde jedoch erst anderthalb Jahre später wieder mit einer symptomatischen Trokarhernie im rechten Unterbauch (Ausleitungsstelle der Drainage) in unserer chirurgische Ambulanz vorstellig. Die Trokarhernie wurde mittels IPOM versorgt. Im Rahmen dieser erneuten Laparoskopie konnte die Bruchpforte der linksseitigen Leistenhernie inspiziert werden (Abb. 4). Diese zeigte sich in der Zwischenzeit obliteriert. Es fanden sich einige intraabdominelle Verwachsungen, die Übernähung im Ileum war nicht mehr aufzufinden.
Diskussion
Als Ursache für die zweizeitige Ruptur der in der Bruchlücke im linken Unterbauch fixierten Dünndarmschlinge ist das Sturzereignis anzusehen. Die plötzliche Druckerhöhung im Abdomen zusammen mit den auftretenden Scherkräften der Bauchdecke haben vermutlich einen Einriss der Darmwand bedingt, der nach anfänglicher Inapparenz zu einer zunehmenden Durchwanderung und schließlich einer fulminanten Peritonitis geführt hat.
In der Literatur sind nur wenige Arbeiten über hernienassoziierte Darmrupturen zu finden (1, 2, 4, 5), am häufigsten ist jedoch der Dünndarm betroffen. In den meisten Fällen handelt es sich um Leistenbrüche, rechts häufiger als links, seltener um Nabel- oder Narbenbrüche. Bei den beschriebenen Patienten handelt es sich meist um Männer jenseits der 50, häufig ist das Trauma verbunden mit sportlicher Aktivität, wie Nordic Walking oder Skilanglauf (4). Zusätzlich wird eine ausgiebige Mahlzeit unmittelbar vor dem Sturz als Risikofaktor genannt (4).
In Experimenten an Leichen konnten die beteiligten Mechanismen und benötigten Druckverhältnisse zur Ruptur von prolabierten Leistenbrüchen ermittelt werden (3). So kommt es zunächst zu einem Verschluss der Bruchpforte und damit auch der zu- und abführenden Darmschlinge und sekundär zu einer massiven Druckerhöhung in den prolabierten Darmanteilen. Ist die Elastizität der Darmwand des inkarzerierten Darmabschnittes ausgereizt, kommt es ab ca. 200 mmHg zu einem Einriss der Darmwand. Zusätzlich können Scherkräfte zwischen Bauchwand und fixierter Darmwand zu Schäden führen (7).
Auslöser für die Verletzung des Darmes ist meist ein Sturz flach auf dem Bauch, seltener ein Tritt oder Schlag in den Abdominalbereich. Durch die große Fläche kommt es dabei zu einer plötzlichen, massiven intraabdominellen Druckerhöhung. Führendes klinisches Symptom sind die abdominellen Schmerzen, häufig auch im Bereich der betroffenen Hernie. Die anfängliche klinische Untersuchung kann noch völlig unauffällig sein, ebenso die Sonographie, die initial meist noch keine freie intraabdominelle Flüssigkeit nachweist. Eine laborchemische Reaktion zeigt sich dann erst nach Ausbildung einer Peritonitis. Dieses unterstreicht den Wert der Computertomographie des Abdomens, da hier auch schon kleine Mengen freier Luft detektiert werden können. Dieser sollte man bei begründetem Verdacht den Vorzug vor konventioneller radiologische Diagnostik geben. Bei einem zweizeitigen Verlauf, wie in diesem Fall, kann das initiale Computertomogramm jedoch unauffällig sein. Besonders wichtig ist deshalb der klinische Verlauf, der unter stationären Bedingungen beurteilt werden sollte.
Therapie der Wahl bei dem Verdacht auf eine Darmruptur ist die operative Revision, entweder laparoskopisch oder mittels Laparotomie, mit Nahtversorgung des betroffenen Darmabschnittes oder Segmentresektion. In unserem Fall zeigte sich eine ca. 0,5 cm messende Rupturstelle im Bereich des Ileums antimesenterial, welche laparoskopisch übernäht wurde. Aus dem Kanal der linksseitigen Leistenhernie ließ sich Dünndarminhalt exprimieren. 6-8 Wochen nach operativer Therapie der Darmverletzung sollte die definitive Versorgung der Hernie angestrebt werden (6), um erneute Komplikationen zu vermeiden. In dem hier dargestellten Fall zeigte sich in der aus anderen Gründen durchgeführten Laparoskopie nach anderthalb Jahren die Obliteration des Bruchkanales, vermutlich aufgrund der massiven Entzündungssituation durch die Ruptur.
Fazit für die Praxis
- An einen mesenterialen Einriss oder eine Darmruptur bei stumpfem Bauchtrauma sollte bei der klinischen Untersuchung immer gedacht werden. Insbesondere bei möglichen Verwachsungen nach intraabdominellen Voroperationen oder fixierten Darmabschnitten bei Hernien ist das Verletzungsrisiko erhöht.
- Das führende Symptom ist der intraabdominelle Schmerz, die wiederholte Sonographie ist als Standarddiagnostikum anzusehen. Bei dem begründeten Verdacht auf eine Peritonitis sollte frühzeitig eine Computertomographie des Abdomens durchgeführt werden.
- Auch wenn es in unserem Fall zu einer spontanen Obliteration der Bruchpforte im weiteren Verlauf gekommen ist, sollte die definitive Versorgung einer eventuell vorliegenden Hernie im Verlauf der kommenden Monate als elektiver Eingriff angestrebt werden.
Literatur
(1) O’Leary JP, Macgregor AM (1975) Rupture of the intestine in patients with hernia. South Med J 68: 463–467
(2) Seman S, Farber M, Patton J et al. (2001) Perforation of small intestine inside an internal omphalocele after blunt trauma: case report and review of the literature. J Trauma 50: 343–347
(3) Reynolds RD (1995) Intestinal perforation from trauma to an inguinal hernia. Arch Fam Med 4: 972–974
(4) Fenner A (1976) Cross country skiing and spontaneous intestinal perforation in patients with hernias. Helv Chir Acta 43: 565–568
(5) Neuhaus, V., Turina, M., Colombo, G. et al. Dünndarmruptur nach stumpfem Abdominaltrauma bei vorbestehender Inguinalhernie. Chirurg 80, 231 (2009). https://doi.org/10.1007/s00104-008-1640-5
(6) Gianom D, Fenner A (1995) Perforation of the small intestine in patients with hernia. Chirurg 66: 637–639
(7) Uppot RN, Gheyi VK, Gupta R et al. (2000) Intestinal perforation from blunt trauma to an inguinal hernia. AJR Am J Roentgenol 174: 1538
Hübner F: Der besondere Fall. Passion Chirurgie. 2020 10(7/8): Artikel 03_01.
Autor des Artikels
Dr. med. Felix Hübner
Leitender Arzt ChirurgieAsklepios Nordseeklinik GmbHNorderstraße 8125980Sylt kontaktierenWeitere Artikel zum Thema
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