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Die Askaradiasis spielt in Deutschland aufgrund des hier gegebenen Hygienestandards medizinisch praktisch keine Rolle mehr. Ganz anders ist die Situation jedoch in den Vereinigten Arabischen Emiraten, mit Millionen von Gastarbeitern aus unterentwickelten Weltregionen, insbesondere vom indischen Subkontinent. Aber auch in Deutschland kann die Askaridiasis, vor allem bei Zuwanderern, ein Problem darstellen.

Anamnese und klinischer Befund

Am 31. März 2013 wurde ein 35-jähriger Patient aus Bangladesch wegen seit einem Tag bestehender akuter rechtsseitiger Unterbauchschmerzen mit Erbrechen stationär aufgenommen. Es bestanden keine abdominellen Vorerkrankungen.

Es fand sich das klassische Bild einer akuten Appendizitis mit Druckschmerzhaftig-keit und Abwehrsspannung am McBurney und einer Leukozytose von 14,900, Alvaradoscore 10.

Therapie und Verlauf

Bei der Appendektomie über einen Unterbauchwechselschnitt entleerte sich nach Eröffnen des Peritoneums eine große Menge nicht riechender Eiter, es fand sich eine akute phlegmonöse, retrozökale Appendizitis mit umschriebener Peritonitis. Aufgrund der lokalen Peritonitis bestand eine entzündliche Mitbeteiligung des terminalen Ileums, das mit der vorderen Bauchwand fibrinös verklebt war. Die Verklebungen wurden gelöst, nach Appendektomie erfolgte die ausgiebige Spülung des Operationsgebietes mit Betaisadona/Kochsalzlösung.

Postoperativ entwickelte der Patient einen Ileus, der jedoch unter konservativer Behandlung abklang. Am 8. April musste ein ausgedehnter Bauchdeckenabszess eröffnet werden. Durch ein CT war zuvor ein intraabdomineller Abszess ausgeschlossen worden. Am 11. April erfolgte die Entlassung mit sekundär heilender Wunde. Beim Verbandswechsel am 14.April fand sich ein zu unserer völligen Überraschung vitaler Askaride unter dem Verband (Abb. 1), im Zentrum der granulierenden Wunde zeigte sich die Wurmaustrittsstelle (Abb. 2). Die Sekundärheilung der Wunde zog sich noch bis August 2013 hin.

Nach einer zweitägigen Wurmkur mit Albendazol 400 mg wurden keine Askariden im Stuhl ausgeschieden, auch nicht nach einer Wiederholung der Behandlung nach einer Woche. In mehreren Stuhlproben konnten auch keine Wurmeier nachgewiesen werden.

Epikrise

Zum Zeitpunkt der Appendektomie hatte der Askaride die mit der vorderen Bauchwand verklebte terminale Ileumschlinge noch nicht durchbrochen, da wir dies nach Ablösen der Schlinge bemerkt hätten. Ob die lokale rechtsseitige Unter- bauchperitonitis mit reichlich eitrigem Exsudat und fibrinöser Verklebung des terminalen Ileums mit der Bauchwand durch die phlegmonöse Appendizitis bedingt war, wovon wir intraoperativ ausgegangen sind, oder ob sie durch eine simultane Askariden-bedingte Enteritis hervorgerufen war, muss letztlich dahingestellt bleiben. Postoperativ ist die abgelöste Schlinge dann vermutlich mit der Peritonealnaht verklebt, der Wurm hat Darmwand und Peritoneum durchbohrt und den ausgedehnten Bauchdeckenabszess hervorgerufen, bis er sich nach einer Woche schließlich an die Hautoberfläche vorgearbeitet hatte.

Abb.1: Askaride unter dem Wundverband

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Nachdem zwei Wurmkuren keine weiteren Askariden zutage förderten und nachdem in Stuhlproben keine Wurmeier gefunden wurden, muss man davon ausgehen, dass es sich in völlig ungewöhnlicher Weise um ein einzelnes Wurmexemplar gehandelt hat.

Diskussion

Die Askaridiasis ist die häufigste Helmintheninfektion. Sie stellt in vielen Teilen der Welt nach wie vor ein gravierendes Gesundheitsproblem dar. Nach einer Studie aus dem Jahr 1997 sind weltweit ca. 1,3 Milliarden Menschen befallen, wovon 59 Millionen Gesundheitsschäden durch die Askaridiasis erleiden , mit ca. 10.000 Todesfällen pro Jahr. Bei Kindern führt der chronische Askaridenbefall zu Wachstumsstörungen. Die häufigste Akutkomplikation ist der Askaridenileus [1, 17, 18, 19, 20]. Weitere Komplikationen sind Gallenwegs- und Pankreaserkrankungen, ausgelöst durch Einwandern der Askariden in das bilio-pankreatische Gangsystem [3, 5, 7, 8, 10, 12, 16] und die Appendizitis durch Eindringen des Parasiten in die Appendix [1]. Eine sehr seltene Komplikation ist die Dünndarmperforation mit Ansammlung von Askariden in der freien Bauchhöhle, wie wir sie vor fast 50 Jahren mehrfach in Nigeria gesehen haben. Auch mit welcher Vehemenz die Würmer beim Ileus Magensonden blockieren, haben wir erlebt [2]. Aus neuerer Zeit liegen Einzelfallberichte über Askaridenperforationen von Magen, Duodenum und Dünndarm vor [21, 22, 23, 24, 25, 26, 27].

Abb.2: WurmaustrittsstelleOEBPS/images/09_02_A_10_2015_Kieninger_image_02.jpg

Dass es ein Askaride jedoch, wie in unserem Fall, aus dem Dünndarm bis an die Hautoberfläche geschafft hat, allerdings ermöglicht durch die vorausgegangene Laparotomie, ist in der verfügbaren Literatur nirgendwo beschrieben!

Zusammenfassung

Eine Darmperforation durch Askariden ist ein sehr seltenes Ereignis. Bei dem von uns behandelten Patienten kam es nach Appendektomie zur Perforation des Dünndarmes mit Wanderung des Askariden durch die Bauchwand und schließlichem Austritt im Bereich der nach Bauchdeckenabszess sekundär heilenden Laparotomie- wunde. Ein vergleichbarer Fall ist in der Literatur bislang nicht beschrieben.

Literatur

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Kieninger G. / Hassan A. Ungewöhnliche chirurgische Komplikation einer Askaridiasis. Passion Chirurgie. 2015 Oktober, 5(10): Artikel 09_02.

Autor des Artikels

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Prof. Dr. Günther Kieninger

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