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CME-Artikel: Akut entzündliche Krankheitsbilder in der Abdominalchirurgie – leitliniengerechte Therapie

Akute Appendizitis

Die akute Appendizitis ist eines der häufigsten akut entzündlichen Krankheitsbilder des Abdomens. Das lebenslange Appendektomierisiko beträgt ca. 8 %. In Deutschland werden jährlich mehr als 100.000 Appendektomien durchgeführt, der Eingriff zählt damit zu den häufigsten abdominalchirurgischen Notfalloperationen. In ca. 20 % der Fälle besteht eine komplizierte Form der Appendizitis mit Perforation. Zur Therapie der Appendizitis existiert gegenwärtig keine Leitlinie aus Deutschland. International gibt es die „Guidelines for Laparoscopic Appendectomy“ von der Society of American Gastrointestinal and Endoscopic Surgeons (SAGES). Aktuellere Leitlinien wurden von der European Association of Endoscopic Surgery im Rahmen einer Konsensuskonferenz (EAES) sowie von der World Society of Emergency Surgery (WSES) publiziert [1, 2, 3].

Antibiotische Therapie vs. Appendektomie

Als Alternative zur operativen Therapie wurde in mehreren randomisiert-kontrollierten Studien und daraus resultierenden Metaanalysen eine konservative Therapie der unkomplizierten Appendizitis untersucht. Es gab keine Hinweise auf eine erhöhte Morbidität oder Letalität, sodass ein konservativer Therapieversuch als sicheres Therapieverfahren eingestuft werden kann. In der Frühphase zeigte die antibiotische Therapie im Vergleich zur Operation geringere Komplikationsraten mit schnellerer Rekonvaleszenz [4]. Demgegenüber stehen hohe Rezidivraten mit 27,3 % im Ein-Jahres-Follow-up und bis zu 40 % im Fünf-Jahres-Follow-up der antibiotisch behandelten Patienten [5]. Bezüglich des langfristigen Verlaufs oder des Perforationsrisikos bei Rezidiv nach konservativer Therapie ist die aktuelle Datenlage unzureichend. Insgesamt ist die operative Therapie der konservativen hinsichtlich des komplikationsfreien Behandlungserfolgs signifikant überlegen [6]. Laut WSES kann ein konservativer Therapieversuch im Falle einer unkomplizierten Appendizitis bei selektierten Patienten, die eine Operation ablehnen und das hohe Rezidivrisiko akzeptieren, erfolgreich sein [3]. Bei einer komplizierten abszedierenden Appendizitis bzw. Vorliegen eines perityphlitischen Abszesses ist eine primär konservative Therapie mit Antibiose und perkutaner Drainage indiziert. Eine Intervall-Appendektomie wird nicht routinemäßig empfohlen. Bei Patienten mit rezidivierenden Symptomen sollte jedoch eine Appendektomie im Intervall erfolgen [3].

Operationszeitpunkt

Bezüglich der Verlaufsform der Appendizitis hat in den letzten Jahren ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Die unkomplizierte und die komplizierte Appendizitis werden zunehmend als verschiedene Krankheitsentitäten betrachtet. Ob der Zeitpunkt der Operation mit einem erhöhten Komplikationsrisiko korreliert, ist häufiger Gegenstand medikolegaler Auseindandersetzungen. Eine aktuelle Metaanalyse hat gezeigt, dass eine um bis zu 24 Stunden verzögerte Operation bei der unkomplizierten Appendizitis nicht mit einer erhöhten Perforations- oder Komplikationsrate einhergeht [7]. Die WSES konstatiert, dass eine Verzögerung des Operationszeitpunktes um 12 bis 24 Stunden bei einer unkomplizierten Appendizitis sicher ist. Eine unnötige Verzögerung sollte jedoch aufgrund der schnelleren Rekonvaleszenz und des Patientenkomforts vermieden werden [3]. Dahingegen empfiehlt die EAES eine möglichst frühzeitige Operation, merkt aber an, dass einige Studien gezeigt haben, dass eine Operation innerhalb von 12 Stunden nach Vorstellung in der Notaufnahme nicht mit einem schlechteren klinischen Outcome assoziiert war [2].

Appendektomie: offen, laparoskopisch, Single-Port oder NOTES?

In der Empfehlung zur laparoskopischen Appendektomie als Therapieverfahren der ersten Wahl stimmen die Leitlinien weitestgehend überein. Auch bei komplizierten Verlaufsformen der Appendizitis wird das laparoskopische Vorgehen übereinstimmend als sicher durchführbar eingestuft. In der Schwangerschaft wird die sichere Durchführbarkeit der laparoskopischen Appendektomie unabhängig vom Trimenon ebenfalls bestätigt. Allerdings wird diese in der WSES-Leitlinie aufgrund der noch unklaren Gefährdungslage für den Fetus nicht als Mittel der Wahl angesehen. Die Single-Port-Appendektomie (SPA) kann nach derzeitiger Datenlage als sichere und machbare Alternative zur laparoskopischen Appendektomie angesehen werden. Es besteht jedoch gegenwärtig keine Evidenz, dass das Verfahren der laparoskopischen Appendektomie überlegen ist [2]. Auch die Sicherheit und Machbarkeit der NOTES-Appendektomie konnte nachgewiesen werden [8]. Dennoch bleibt das Verfahren auf ein hoch selektioniertes überwiegend weibliches Patientengut beschränkt. Beide Verfahren konnten sich im klinischen Alltag bislang nicht durchsetzen. Insgesamt ist die laparoskopische Appendektomie in 3-Trokar-Technik als Standardverfahren anzusehen.

Technische Aspekte der laparoskopischen Appendektomie

Hinsichtlich der Technik des Appendixstumpfverschlusses (Endostapler, Clips, Röder-Schlinge, Naht) konnte auch in aktuellen Metaanalysen kein eindeutiger Vorteil einer Methode nachgewiesen werden [3]. Letztlich spielen bei der Verfahrenswahl Überlegungen zu den intraoperativen Sachkosten eine entscheidende Rolle. Das Invertieren des Appendixstumpfes stellt weder bei der offenen noch bei der laparoskopischen Appendektomie einen signifikanten Vorteil hinsichtlich einer Appendixstumpfinsuffizienz dar. Beim Saug-Spül-Manöver wird das Sekret abgesaugt, woraufhin eine meist lokal begrenzte Spülung erfolgt. Diesbezüglich kommt die WSES zu dem Schluss, dass das Saug-Spül-Manöver gegenüber einer alleinigen Absaugung bei komplizierten Appendizitiden keinen evidenten Vorteil aufweist. Dies wird auch in einer aktuellen Metaanalyse bestätigt, in welcher sich kein Einfluss des Manövers auf das Auftreten von Schlingenabszessen zeigte [9]. Die routinemäßige Drainageeinlage reduziert nicht die Inzidenz von intraabdominellen Abszessen, verlängert aber die Krankenhausverweildauer [2, 3].

Perioperative Antibiose

Die präoperative Gabe eines Breitspektrumantibiotikums bei der akuten Appenditizits ist unumstritten und reduziert das Auftreten von Wundinfektionen und Abszessen. Bei einer unkomplizierten Appendizitis ist die postoperative Weiterführung der Antibiose nicht sinnvoll. Im Falle einer komplizierten Appendizitis sollte die Antibiotikagabe unter Berücksichtigung der klinischen und laborchemischen Situation fortgeführt werden, wobei eine drei- bis fünftägige Gabe ausreichend ist [3].

Akute Divertikulitis

Die Prävalenz der Divertikulose steigt mit zunehmendem Lebensalter an. 10 bis 25 % der Divertikelträger entwickeln eine Divertikulitis. Bei ca. 5 % der Divertikelträger kommt es zu einer komplizierten Form der Divertikulitis. In den letzten Jahren hat sich die Therapie der akuten Divertikulitis zunehmend gewandelt. Unkomplizierte Formen werden mitunter ohne antibiotische Therapie ambulant behandelt. Bei den komplizierten Verlaufsformen werden im Akutstadium meist primär konservative und interventionelle Therapieverfahren angewendet.

Stadienadaptierte Operationsindikation

Die 2014 publizierte deutsche S2k-Leistlinie empfiehlt eine stadienadaptierte Indikationsstellung [10]. Bei der akuten unkomplizierten Divertikulitis wird eine primär konservative Therapie empfohlen. Der Nutzen einer antibiotischen Therapie ist hierbei nicht eindeutig belegt. Aufgrund des insgesamt sehr geringen Rezidivrisikos besteht keine Indikation zur elektiven Resektion im Intervall. Eine Ausnahme bildet die Subpopulation der immunsupprimierten Patienten. Bei diesen Patienten sollte die Indikation zur Intervalloperation großzügiger gestellt werden, da das vergleichsweise geringe Risiko der elektiven Operation gegen das erhöhte Perforationsrisiko und die erhöhte Letalität abgewogen werden muss. Bei der akuten komplizierten Divertikulitis differenziert die CDD-Klassifikation zwischen einem Mikroabszess (≤ 1cm, Stadium 2a), einem Makroabszess (≥ 1 cm, Stadium 2b) und der freien Perforation (Stadium 2c). Im Falle einer freien Perforation besteht die Indikation zur notfallmäßigen Operation. Bei kleineren Abszessen wird primär eine konservative Therapie mit Antibiose empfohlen. Sind die Abszesse größer als vier Zentimeter sollte der intraabdominelle Verhalt durch die Anlage einer interventionellen Drainage entlastet werden. Falls die Patienten unter diesen konservativen Therapiemaßnahmen progrediente Beschwerden entwickeln, ist eine chirurgische Infektsanierung indiziert. Bei Patienten mit Makroabszedierung empfiehlt die S2k-Leitlinie nach erfolgreicher konservativer Therapie die elektive Operation im entzündungsfreien Intervall.

Früher stellte man die Indikation zur Operation noch nach dem „dritten Schub“ einer chronisch rezidivierenden unkomplizierten Divertikulitis. Heutzutage spielt die Anzahl der Schübe keine Rolle mehr, da mehrere Studien zeigen konnten, dass die Frequenz der Schübe nicht mit einem erhöhten Komplikationsrisiko korreliert und dass insbesondere Perforationen häufiger im Rahmen des Erstereignisses auftreten. Die Indikation zur Operation sollte daher individuell unter strenger Nutzen-Risikoabwägung bei konservativ nicht erfolgreich therapierbaren oder persistierenden Beschwerden gestellt werden [10].

Chirurgische Therapie

Ziel der chirurgischen Fokussanierung ist eine Resektion des entzündlichen Darmabschnitts. Bei der Sigmadivertikulitis soll hierfür das gesamte Colon sigmoideum reseziert und eine Anastomose im oberen Rektum angelegt werden, da die Rezidivrate hierdurch signifikant gesenkt wird. Um eine spannungsfreie, dichte und gut durchblutete Anastomose zu gewährleisten soll die linke Kolonflexur mobilisiert werden, falls dies erforderlich ist. Es müssen nicht alle divertikeltragenden Darmabschnitte des Restkolons entfernt werden. Die Wiederherstellung der Kontinuität mit primärer Anlage einer Anastomose ggf. unter Vorschaltung eines protektiven Ileostomas sollte einer Diskontinuitätsresektion nach Hartmann möglichst vorgezogen werden, da die Hartmann-Wiederanschlussrate niedrig ist und beide Verfahren hinsichtlich der postoperativen Morbidität und Letalität vergleichbar sind. Aufgrund der bekannten Vorteile des minimal-invasiven Verfahrens ist die laparoskopische Operation dem offenen Resektionsverfahren vorzuziehen. In einer Übersichtsarbeit wurde gezeigt, dass die laparoskopische Resektion auch bei Perforation mit fortgeschrittener Peritonitis bei einem selektionierten Patientengut und entsprechender Expertise des Operateurs sicher durchführbar ist [11]. Eine Hartmann-Prozedur kann bei septischen und instabilen Patienten mit erschwerter Mobilisation der linken Kolonflexur erfolgen. Um dem Risiko von Anastomoseninsuffizienzen und sexueller Dysfunktionen durch Nervenverletzungen vorzubeugen sollte die Arteria mesenterica inferior erhalten werden [10].

Therapiekonzepte bei Perforation und Peritonitis

Die laparoskopische Peritoneallavage und Drainage ohne Resektion in der Notfallsituation bei der perforierten Divertikulitis mit putrider Peritonitis wurde in mehreren Studien untersucht [12, 13, 14]. Die S2k-Leitlinie gibt hierzu, aufgrund der unzureichenden Datenlage, keine eindeutige Empfehlung ab. Es wird jedoch konstatiert, dass die bisherigen Daten vielversprechend sind und, dass das Therapieverfahren bei entsprechender Aufklärung individuell angewendet werden kann. Ein Konzept mit vergleichsweiser niedriger Stoma-Rate ist die Damage-Control-Strategie mit primärer Resektion sowie Blindverschluss der Darmenden und dann sekundärer Anastomosierung nach intraabdomineller Vakuumtherapie nach ein bis zwei Tagen [15]. Hierzu gibt es in der derzeit überarbeiteten S2k-Leitlinie keine Empfehlung.

Die akute Cholezystitis – Leitliniengerechte Therapie

Die akute Cholezystitis ist die häufigste Komplikation der Cholezystolithiasis. In Deutschland werden pro Jahr mehr als 64.000 Patienten deshalb stationär behandelt [16]. Ursache der Entzündung ist häufig ein eingeklemmter Stein im Infundibulum der Gallenblase (90 bis 95 Prozent), verbunden mit einer Abflussstörung.

Der Nachweis einer akuten Cholezystitis sowie möglicher Komplikationen sollte primär klinisch (Murphy-Zeichen, lokale Abwehrspannung) ergänzt durch Sonografie [17, 18, 19, 20] (Schichtung und Wandverdickung der Gallenblase) und Nachweis systemischer Entzündungszeichen (Fieber, Leukozytose und CRP-Erhöhung) erfolgen.

Bei akuter Cholezystitis mit Zeichen der Sepsis, Cholangitis, Abszess oder Perforation muss unverzüglich eine geeignete Antibiotikatherapie begonnen werden. Zur präoperativen Antibiotikatherapie bei unkomplizierter Cholezystitis (keine Organdysfunktion, milde lokale Entzündungszeichen, Beschwerdedauer < 72 h, Leukozyten ≤ 18 /nl) liegt keine Evidenz vor [21]. In den Tokyo-Guidelines wird in dieser Situation bei Vorliegen von ASA ≤ 2 keine Antibiose empfohlen [22, 23].

Die akute Cholezystitis sollte innerhalb von 24 Stunden nach Aufnahme unabhängig vom Zeitpunkt des Beschwerdebeginns operiert werden. Diese Empfehlung geht vor allem aus den Ergebnissen der deutschen ACDC-Studie (Acute Cholecystitis: Early Versus Delayed Cholecystectomy) [24] sowie aus einer Schweizer Studie von Roulin et al. [25] hervor. Roulin et al. konnte dies für einen Symptombeginn > 72 h zeigen. Die Vergleichsgruppe wurde dabei mindestens sechs Wochen nach der initialen Antibiotikatherapie operiert.

Bei gleichzeitigem Vorliegen einer akuten Cholezystitis und einer Choledocholithiasis empfiehlt die Leitlinie ein therapeutisches Splitting mit einer prä- oder intraoperativen ERCP (endoskopische retrograde Cholangiopankreatikographie). Eine ERCP sollte bei sonografisch gestautem DHC > 7 mm und erhöhten Cholestaseparametern erfolgen. Ein sicherer Steinnachweis im Ductus hepatocholedochus (DHC) ist alleine ausreichend zur Indikation einer ERCP. Auch eine Cholangitis rechtfertigt eine primäre ERCP. Andernfalls sollte dem Endosono oder der Magnetresonanz-Cholangiopankreatikographie (MRCP) Vorzug gegeben werden [26, 27, 28, 29].

Nach erfolgreich durchgeführter ERCP bei Cholangitis und/oder milder biliärer Pankreatitis (kein Organversagen nach > 48 h, keine lokalen Komplikationen wie peripankreatische Nekrosen) wird eine zeitnahe Cholezystektomie innerhalb von 72 Stunden empfohlen, wenn Cholangitis und Pankreatitis regredient sind (PONCHO-Studie) [30]. Die Ausnahme wird hier die nach Steinabgang steinfreie Gallenblase bleiben, welche nicht mehr entfernt werden muss.

Bei Patienten mit akuter (auch akalkulöser) Cholezystitis und hohem Operationsrisiko (z. B. ASA ≥ 3) kann eine perkutane Drainage der Gallenblase (Cholezystostomie) erfolgen [31, 32].

Die Literaturliste erhalten Sie auf Anfrage via [email protected]

Straßmüller A, Kügler T: CME-Artikel: Akut entzündliche Krankheitsbilder in der Abdominalchirurgie – leitliniengerechte Therapie. Passion Chirurgie. 2019 Dezember, 9(12): Artikel 03_01.

Autoren des Artikels

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Dr. med. Andreas Straßmüller

Allgemein-, Viszeral- und TransplantationschirurgieUniversitätsklinikum AugsburgStenglinstr. 286156Augsburg kontaktieren
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