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Der Vortrag über das englische Consultant System beschreibt im Wesentlichen, wie ein solches System funktioniert ohne es zu bewerten, aber mit besonderer Berücksichtigung der Situation der Consultants. Die Situation der Patienten wird weder beschrieben noch bewertet. Consultant Systeme gibt es in den BeNeLux Staaten sowie auch in Skandinavien. Um das englische System zu Verstehen, muss man zunächst versuchen, alles was man über das deutsche Gesundheitssystem weiß, zu vergessen.

Es geht auch anders!

Der National Health Service (NHS) ist 1948 gegründet worden und ist ein nationales Gesundheitssystem, welches aus London gelenkt und finanziert wird. In vielen Bereichen orientiert sich der Service an sogenannten Targets, Zielvorgaben die nur zum Teil sinnvoll sind und auch nur zum Teil ohne wesentliche Investitionen realisiert werden können. Die lokale Planung wird von der Strategic Health Authority geleitet. Die Arbeit wird durch den Primary Care Trust kommissioniert. Dieses System ist im Wandel und wird vermutlich in den nächsten Jahren von einem anderen Systen abgelöst.

Es ist wichtig zu wissen, dass es in England eine Aufteilung in die Primary Care und Secondary Care gibt. Alles außerhalb des Krankenhauses wird von General Practioners – Primary Care – organisiert, während es Fachärzte nur im Krankenhaus – Secondary Care – gibt und der General Practitioner dem Krankenhaus zuweist, aber nicht zwingendermaßen zu einem Spezialisten.

Mein Arbeitgeber befindet sich in Mittelengland in West Yorkshire. Wir betreiben drei Krankenhäuser, von denen eines die Akutversorgung sicherstellt. Ein weiteres wird in der Hauptsache als ambulantes oder kurzstationäres OP-Zentrum genutzt, während das dritte für elektive orthopädische Eingriffe, aber auch für akute allgemeinchirugische Eingriffe im stationären Rahmen genutzt wird. Innerhalb des Trusts stehen nahezu alle Fachbereiche zur Verfügung. Das Einzugsgebiet wird auf 650.000 Einwohner geschätzt. Der Trust beschäftigt über 2.500 Personen.

Unsere Abteilung besteht aus 17 Consultants, von denen 12 die Traumaversorgung sicherstellen. Die restlichen fünf Kollegen betreiben in der Hauptsache elektive Gelenkersatzchirurgie. Zu unserem Team gehören fünf Assistenten, die sich in der Weiterbildung zum Orthopäden befinden, fünf weitere Kollegen arbeiten als Altassistenten, drei Kollegen sind als Assistenzärzte beschäftigt, ohne sich in der Weiterbildung zu befinden. Acht weitere, jüngere Kollegen befinden sich in der allgemeinen Ausbildungsphase und sind noch nicht in der Weiterbildung zum Spezialisten.

Die Abteilung wird nominell von drei Kollegen geleitet. Ein klinischer Direktor, ein leitender Arzt für Traumatologie und ein weiterer für elektive Orthopädie. Diese Stellen werden nur für eine bestimmte Zeit besetzt und eine besondere Qualifikation ist nicht erforderlich. Die Kollegen agieren als Mittler zwischen Management und Klinikern. Sie erhalten eine Vergütung für ihre Tätigkeit, haben aber keinerlei Weisungsbefugnis. Der Consultant ist in seiner Arbeit weitestgehend autark.

Die Traumaversorgung wird, wie schon erwähnt, von 12 Consultants sichergestellt. Vier haben sich auf die Versorgung der oberen Extremität spezialisiert, zwei stellen die Versorgung der Weichteilverletzung des Kniegelenkes sicher, weitere zwei stellen die Versorgung von komplexen Sprunggelenks- und Fußverletzungen sicher. Einer von ihnen hat sich zusätzlich auf die Versorgung akuter kinderorthopädischer Probleme spezialisiert. Die vier verbleibenden Kollegen stellen die Versorgung von Patienten mit Schenkelhalsfrakturen und die Versorgung von periprothetischen Frakturen sicher. Alle versorgen Patienten mit unkomplizierten traumatologischen Verletzungen der oberen und unteren Extremität.

Wir arbeiten als Dreierteams von denen ein Kollege als „On Call“ Consultant tätig ist, der zweite ist der „Second On Call“ Consultant während der dritte als „Cover“ zur Verfügung steht. Dieses Team deckt jeweils einen Wochentag ab und wechselt sich wöchentlich ab. Zusätzlich deckt jeder Kollege alle drei Monate einen Samstag und in der Woche darauf einen Freitag und einen Sonntag ab.

Die Erarbeitung der Arbeitspläne für die einzelnen Consultants ist inzwischen so aufwändig geworden, dass ein Computerprogramm für diese Aufgabe genutzt wird. Das Programm ermöglicht es allen an diesem Prozess Beteiligten auch von zu Haus den Prozess der Arbeitsplangestaltung voran zu treiben. Ein Arbeitsplan wird alle 12 Monate „reviewed“ und gegebenenfalls angepasst.

Alle unsere Kollegen haben einen Arbeitsvertrag von etwa 12 Professional Activities (PA) wobei eine PA vier Stunden entspricht. Dies wird auf eine Wochenarbeitszeit von etwa 55 Stunden umgerechnet. Dies scheint auf den ersten Blick ausgesprochen unattraktiv zu sein. Da aber der Bereitschaftsdienst in diese Berechnung eingeht, hat am Ende jeder Kollege ein bis anderthalb Tage pro Arbeitswoche zur freien Gestaltung.

Die Versorgung der Trauma-Patienten ist folgendermaßen organisiert. Die Dreierteams stehen immer für eineinhalb Tage zur Verfügung. Der „On Call“-Tag beginnt mit einer Sprechstunde morgens. Am Nachmittag desselben Tages, am nächsten Tag morgens werden aufgenommene Patienten operativ versorgt. Der Traumapatient wird unter dem „On Call“ Consultant aufgenommen und versorgt soweit wie möglich. Auch wenn eine konservative Behandlung ausreichen sollte, verbleibt der Patient in der Obhut des aufnehmenden Consultants. Sollte der Patient aber erst später operativ versorgt werden, übenimmt der operierende Consultant die Weiterversorgung. Diese Arbeitsweise ist nur mit der Nutzung eines weiteren Computerprogrammes möglich, welches jederzeit Zugriff auf die Krankenakte der Patienten erlaubt.

Die elektive Arbeit besteht für die meisten von uns in einer Sprechstunde und einem, in der Regel, ganztägigen OP-Tag. Die Sprechstunde wird über ein Wartelisten-Büro gefüllt und es gibt nur ausnahmsweise gezielte Überweisungen an einen bestimmten Kollegen. Dies alles ist voll computerbasiert, sodass niedergelassene Kollegen Zugriff auf dieses Programm haben und auf diese Weise direkt in bestimmte Sprechstunden-„Slots“ überweisen können, ohne allerdings zu wissen, welcher Kollege in dieser Sprechstunde sein wird. Der OP-Tag ist von langer Hand geplant und eher entspannende Routine. Es gibt so gut wie keinen Konkurrenzkampf unter den Kollegen, da die Menge an Patienten unerschöpflich ist.

Nahezu alle unserer Kollegen nutzen die freie Zeit im NHS und arbeiten in Privatkrankenhäusern von denen es fünf in der näheren Umgebung gibt. Sie müssen dafür Belegrechte in den Krankenhäusern haben, von privaten Versicherern anerkannt sein und auf dem „Specialist Register“ des General Medical Council registriert sein.

Die Entlohnung für Consultants beginnt bei etwa 70.000 Pfund Sterling und geht bis über 120.000 Pfund pro Jahr. Diese Summe kann man mit Privatarbeit und Gutachtertätigkeit verdoppeln und auch verdreifachen.

Die Ausbildung zum Spezialisten ist ausgesprochen langwierig und auch wieder zentral organisiert. Die Auszubildenden arbeiten in mindesten fünf bis sechs verschiedenen Krankenhäusern für jeweils ein Jahr. In dieser Zeit arbeiten sie jeweils sechs Monate mit einem Ausbilder. Es ist nicht ungewöhnlich, das sie während ihrer Ausbildung mehrfach umziehen müssen.

Dem erfahrenen deutschen Kliniker werden viele Gründe einfallen, warum sich ein solches System nicht umsetzen lässt. Die Vorteile – hier noch einmal kurz zusammengefasst – überwiegen aber bei Weitem die Nachteile. Pro Woche ein bis anderthalb Tage frei, um das schon attraktive Gehalt aufzubessern oder um Zeit für Familie oder Hobbys zu haben. Ein Rufdienst alle drei Wochen in der Woche. Der Wochentag ist stets derselbe und ermöglich eine familienfreundliche Lebensplanung. Zehn von zwölf Wochenenden sind frei, je nach Jobplanung auch verlängert, die restlichen zwei sind teilweise durch Rufdienste beeinträchtigt. Einundreißig Urlaubstage plus 10 Feiertage, die in England immer in der Arbeitswoche sind und zehn Fortbildungstage pro Jahr machen das Ganze noch etwas attraktiver.

Während die Zeitplanung ein Argument ist, mag es für andere entscheidender sein, dass der Consultant autark ist und in seiner Implantat- und Behandlungswahl so gut wie nicht eingeschränkt wird.

Koch L. Über den Teich geschaut: Bericht eines deutschen Unfallchirurgen über das Consultant System in England. Passion Chirurgie. 2012 Oktober; 2(10): Artikel 02_03.

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MD Lutz Michael Koch

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