Information für zuweisende Einrichtungen
Schwerwiegende Verletzungen bis hin zu Amputationen der Hände weisen besonders beim privaten Handwerken/Heimwerken eine hohe Inzidenz auf. Dass Finger oder Teile der Hand abgetrennt werden, kann auf unterschiedliche Art und Weise passieren. Bei Hobby-Handwerkern geht die Gefahr meist von Sägen (z. B. Kreissägen), elektrischen Messern oder Sensen aus.
Jedes Jahr ereignen sich in Deutschland rund 200.000 Unfälle allein bei der Gartenarbeit. Meist sind motorisierte Gartengeräte wie Rasenmäher, Motorsägen oder Heckenscheren für die oft schweren Verletzungen verantwortlich. [1]
Ein Großteil der Rettungsdienste ist bereits mit so genannten Amputat- oder Replantations-Sets zur Sicherstellung und Lagerung von Amputaten ausgerüstet. Aber bei vielen medizinischen Einrichtungen wie Arztpraxen oder kleineren Notaufnahmen, welche die Betroffenen meist zuerst aufsuchen, ist dies oft nicht der Fall. Meist steht weder das notwendige Equipment zur Verfügung, noch verfügen die Mitarbeiter vor Ort über das notwendige Wissen zum richtigen Umgang mit einem Amputat.
Das folgende Beispiel aus der Ecclesia Schadendatenbank beschreibt ein Szenario, bei dem die Replantation eines amputierten Fingers aufgrund falscher Verpackung und Kühlung am Ende nicht mehr möglich war.
Der Schadenfall
Der verletzte Patient stellt sich in der Notaufnahme einer Klinik (Klinik A) vor. Beim Arbeiten mit einer Handkreissäge wurde der Daumen seiner rechten Hand in Höhe des Daumengrundglieds abgetrennt. Das Daumenamputat, respektive das Grund- und Endglied des rechten Daumens, hat die Begleitperson des Patienten in einer Tasse dabei.
Ein Mitarbeiter der Klinik A übernimmt die Verpackung des Amputats, um es für den Transport zu einer anderen Klinik mit handchirurgischer Abteilung – Klinik B – vorzubereiten, wo die Replantation erfolgen soll.
Unmittelbar vor dem Transport werden weder die Verpackung noch das Amputat selbst auf „Unversehrtheit“ kontrolliert. Zur Verlegung wird lediglich noch ein weiteres Coolpack hinzugefügt.
Aus dem abschließenden OP-Bericht des Operateurs in Klinik B geht hervor, auf welche Weise in Klinik A die Vorbereitungen zur Verlegung des Amputats erfolgt sind:
„Das Daumenamputat, bestehend aus dem Grund- und Endglied des rechten Daumens, war mit sterilen Kompressen umwickelt, in einer Plastiktüte verpackt und dann aufgerollt. Zur Kühlung kamen zwei Kühlkompressen (ICE Pack 600g, 17 cm × 23 cm) aus dem Gefrierfach (***) eines normalen Kühlschranks zum Einsatz. Die Kühlkompresse wurde um die Plastiktüte, in dem sich das Amputat befand, ‚hälftig‘ umgeschlagen. Das ganze wurde in einen grauen Müllbeutel gelegt.“
Bei Ankunft in Klinik B ist das Amputat aufgrund des kältebedingten Gewebeuntergangs nicht mehr replantationsfähig. In dem OP-Bericht heißt es dazu, dass bei Ankunft „das Amputat, verpackt in zwei tief gefrorene ‚Coolbags‘, bereits erfroren“ gewesen sei, „und zwar in einem hart gefrorenem Zustand.“
Gewebe beginnt zu erfrieren, wenn es unter 0° Celsius abkühlt. Im konkreten Fall sollte ein Sachverständiger klären, ob die Verpackung des Amputats für den Transport geeignet war.
Im Rahmen der Begutachtung des Schadenfalls wurden die realen Schadenbedingungen in einem aufwändigen Messverfahren rekonstruiert. Das Ergebnis der Messung: Bereits nach 22 Minuten Kühlung sank die Temperatur des (fiktiven) Amputats von ursprünglich 20° Celsius auf den Gefrierpunkt, nach 27 Minuten – im realen Fall die Dauer des Transports – lag der Wert bereits bei minus 1,3° Celsius.
Angesichts dieser Messergebnisse kommt der Gutachter zu dem Schluss, dass das Erfrieren der Haut, das bei Werten unter 0°Celsius beginnt, im konkreten Fall nach 19 bis 22 Minuten eingetreten sein muss. Demnach war das Amputat bei Ankunft in Klinik B irreversibel geschädigt.
Damit steht fest: Die im vorliegenden Fall gewählte Verpackung war nicht geeignet, das Amputat nach rund einer halben Stunde noch für eine erfolgreiche Replantation zu verwenden.
Bei ordnungsgemäßer Verpackung kann ein Amputat auch noch nach vielen Stunden erfolgreich reimplantiert werden. Das setzt aber voraus, dass die Kühlung den Gefrierpunkt nicht unterschreitet. Im vorliegenden Fall hätte, wie die nachträgliche Messung ergab, die Temperatur bereits nach drei Stunden bei minus 9° Celsius gelegen.
Empfohlene Vorgehensweise für die Kühlung und den Transport
Folgendes Vorgehen für den Transport und der Asservation von Amputaten wird empfohlen:
- umgehende Kühlung des Amputats auf etwa plus 4° Celsius (dadurch kann das Amputat bis zu 20 Stunden erhalten bleiben)
- Lagerung in einem mit physiologischer Kochsalzlösung angefeuchteten (nicht durchtränkten) Verband
- Aufbewahrung in einem luftdicht abgeschlossenen Plastikbeutel
- Lagerung dieses Plastikbeutels in einem Kühlmittel (z. B. ein mit Wasser und Eiswürfeln gefüllter Eimer; Eis-Wasser-Verhältnis jeweils 50 %, um Frostschäden zu vermeiden)
- bei kurzen Entfernungen: Umwicklung des ungekühlten Amputats mit einem sauberen Tuch genügt
- wichtig: Schnelle Einweisung in ein Replantationszentrum
Zusammenfassung „Engelhardt Lexikon Orthopädie und Unfallchirurgie“, Autor Bernhard Greitemann
Im Rahmen von Risiko- und Patientensicherheitsanalysen hat die GRB Gesellschaft für Risiko-Beratung mbH Mitarbeitende in unterschiedlich großen Notaufnahmen befragt, ob für Patienten mit Amputationsverletzungen ein geregeltes Vorgehen etabliert sei und, wenn ja, welches. Das Ergebnis war ernüchternd: In den wenigsten Fällen lag eine entsprechende Verfahrensanweisung für die Lagerung und Kühlung von Amputaten vor. Amputat- oder Replantationsbeutel fanden die GRB-Mitarbeitenden meist nur in größeren Einrichtungen.
Checkliste zur richtigen Lagerung des Amputats
Um das beschriebene Risiko eines Gewebeuntergangs bei Lagerung von Amputaten zu reduzieren, sind gezielt Maßnahmen zur Überprüfung der richtigen Lagerung des Amputats zu ergreifen. In der nachfolgenden Checkliste (Tab. 1) ist die Behandlung von Amputationsverletzungen bis zur Replantation zusammengefasst.