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Das Bemühen um eine sichere Gestaltung der Behandlungsprozesse ist wohl so alt wie die Medizin selbst. Die Vermeidung unerwünschter Nebenwirkungen steht jedenfalls schon sehr lang im Mittelpunkt der Therapieplanung. Die Entwicklung einer international ausgerichteten Patientensicherheitsbewegung allerdings hat eine relativ kurze Geschichte. Sie begann in der Neuzeit, genauer mit den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Förderung der Patientensicherheit im Jahr 2004 – ausgelöst durch den ION-Report in den USA von 1999.

In den Folgejahren griffen in allen europäischen Ländern die gesundheitspolitischen Gremien die Themen „Patientensicherheit“ und „klinisches Risikomanagement“ auf und entwickelten Gestaltungsempfehlungen. Im deutschsprachigen Raum gründete zunächst die Schweiz 2003 die Stiftung Patientensicherheit [1], es folgte 2005 das Aktionsbündnis Patientensicherheit in Deutschland [2] und 2008 konstituierte sich die Plattform Patientensicherheit in Österreich [3].

Die WHO verfolgte mit ihrer „World Alliance for Patient Safety“ [4] das Ziel, durch die Bündelung vielfältiger Aktivitäten die Sicherheit in Gesundheitseinrichtungen zu verbessern und Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, Patienten vor unbeabsichtigten Komplikationen zu bewahren. Die WHO definierte dazu „13 Action Areas“, Handlungsfelder, die für die Organisationsentwicklung in Gesundheitseinrichtungen relevant sind [5].

Allen Initiativen – besonders denen der vergangenen zehn Jahre – ist gemein, dass verschiedene Interessengruppen des Gesundheitssystems konsentiert an sie herangehen, dass Rahmenbedingungen für eine sichere Patientenversorgung geschaffen werden, dass ein systematisches und strukturiertes Lernen aus Fehlern stattfindet, und letztendlich dass der Boden für den Aufbau einer Sicherheitskultur bereitet wird.

In Deutschland ist es nicht zuletzt der Gründung des Aktionsbündnisses Patientensicherheit e. V. (APS) im Jahr 2005 zu verdanken, dass sich viele internationale Empfehlungen zur Patientensicherheit – adaptiert an das jeweilige Unternehmen der Gesundheitswirtschaft – in der Praxis wiederfinden. Das APS setzt sich für eine sichere Gesundheitsversorgung ein und widmet sich der Forschung, Entwicklung und Verbreitung geeigneter Methoden. Noch bis einschließlich 2017 unterstützt das APS das Institut für Patientensicherheit (IFPS), das 2009 an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn gegründet wurde, durch eine Stiftungsprofessur.

Die bisher veröffentlichten Handlungsempfehlungen des APS haben multiprofessionell und interdisziplinär zusammengesetzte Expertengruppen in mehrmonatigen Recherche-, Analyse-, Entwicklungs- und Konsentierungsprozessen entwickelt.

Für die praxisorientierte Gestaltung der Prozesse in Diagnostik, Therapie und Pflege sind folgende APS-Empfehlungen relevant:

Arzneimitteltherapiesicherheit im Krankenhaus

Patientensicherheit durch Prävention medizinproduktassozierter Risiken

Vermeidung von Stürzen älterer Patienten im Krankenhaus – Fakten und Erläuterungen

Checkliste für Klinikmitarbeiter – „Prävention von Stürzen“

Einsatz von Hochrisikoarzneimitteln – oral appliziertes Methotrexat

Einführung von Critical Incident Reporting Systems (CIRS) im Krankenhaus

Sichere Patientenidentifikation

Eingriffsverwechslung in der Chirurgie

jeder Tupfer zählt – Vermeidung unbeabsichtigt belassener Fremdkörper im OP-Gebiet

Die drei letztgenannten Handlungsempfehlungen, die besonders für das klinische Risikomanagement innerhalb der chirurgischen Fächer relevant sind, werden heute bereits in vielen Operationssälen und Kliniken praktisch umgesetzt.

Eine weitere Handlungsempfehlung des APS beschäftigt sich mit den Vorgaben für die Aus-, Fort- und Weiterbildung. Unter der Überschrift „Wege zur Patientensicherheit – Lernzielkatalog für Kompetenzen in der Patientensicherheit“ entwickelte das APS in der Arbeitsgruppe „Bildung und Training“ einen curricularen Leitfaden für Bildungseinrichtungen.

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Die Handlungsempfehlungen, insbesondere für die Chirurgie, konzentrieren sich auf die Vermeidung seltener Ereignisse. In der Vergangenheit sind solche seltenen Ereignisse – etwa Patienten- bzw. Eingriffsverwechslungen oder auch das unbeabsichtigte Belassen von intraoperativ benötigten Fremdkörpern im Körper des Patienten – vorgekommen. Und dies, obwohl sie als voll beherrschbare Risiken zu klassifizieren sind und somit zu den so genannten Never Events gehören.

Bisher lässt sich aus der Perspektive der Versicherungswirtschaft kein Nachweis erbringen, dass sich die Umsetzung der Handlungsempfehlungen zu Never Events auf die ohnehin sehr geringe Schadenfallfrequenz auswirkt [6].

Mit der Auslobung des Deutschen Preises für Patientensicherheit ist es dem APS gelungen, Einzelprojekte zur Förderung der Patientensicherheit zu initiieren und therapeutische Teams in den Gesundheitseinrichtungen zu motivieren, ihre erfolgreiche Projektarbeit zu evaluieren und zu dokumentieren.

Preisträger 2015 sind

die Charité – Universitätsmedizin Berlin mit dem Projekt „Risikomanagement, Dekubitus und Sturz“,

die Medizinische Fakultät Carl-Gustav Carus der TU Dresden mit dem Projekt „Verbesserung der Versorgungsqualität Frühgeborener durch intrinsisch motiviertes, videogestütztes Fehlermanagement“,

die Asklepios Kliniken GmbH Hamburg mit dem Projekt „CIRS-Netz – einrichtungsübergreifendes Lernen aus Fehlern“ und

der MDK Bayern mit dem Projekt „simparteam – Notfalltraining für geburtshilfliche Teams“.

Ähnliche Preise wurden ebenfalls von der Plattform Patientensicherheit Österreich vergeben.

Über die Gestaltung der Organisationsentwicklung auf Ebene der Gesundheitseinrichtungen hinaus widmet sich das Aktionsbündnis Patientensicherheit auch dem Patienten selbst. Die Patienteninformation „Prävention von Krankenhausinfektionen und Infektionen durch multiresistente Erreger!“ gibt Patienten und Angehörigen neue Erkenntnisse, Tipps, Informationen und Hintergrundwissen an die Hand, damit sie selbst einen Beitrag zur Vermeidung von Krankenhausinfektionen leisten können.

Diese und andere Publikationen stehen Patienten und Gesundheitsdienstleistern auf der Homepage des APS kostenlos zum Download zur Verfügung (aktionsbuendnis-patientensicherheit.de).

Die Empfehlungen des APS, die Veranstaltungsvielfalt und die breite Öffentlichkeitsarbeit sind in den vergangenen zehn Jahren nicht wirkungslos geblieben. Gleichwohl gibt es Kritiker und Skeptiker, die behaupten, das Bündel der vom APS empfohlenen Maßnahmen habe die Sicherheitskultur in den Einrichtungen bisher nicht verändern können. Dies zu widerlegen, fehlen sicherlich noch empirische Nachweise. Hier ist das Institut für Patientensicherheit gefordert.

Unterm Strich kann nach zehn Jahren APS insofern eine positive Bilanz gezogen werden, als die Themen „Patientensicherheit“ und „Operationalisierung im klinischen Risikomanagement“ in den Einrichtungen der Gesundheitswirtschaft angekommen sind. Zudem ist man bei dem auch von der WHO geforderten „Patienten-Empowerment“ einen großen Schritt weitergekommen. Daneben ist es gelungen, im akademischen Bildungsbereich der Medizin und Pflege die Themen der Prävention sehr viel stärker als vorher zu integrieren. Auch die Bildungsträger haben die Empfehlungen des APS aufgegriffen. Ein Effekt ist beispielsweise der Masterstudiengang zum Thema „klinisches Risikomanagement“, der vor fünf Jahren an der Donau-Universität im österreichischen Krems etabliert wurde [7].

Das klinische Risikomanagement vervollständigt und operationalisiert heute in sehr großem Umfang das Qualitätsmanagement und komplettiert die Zertifizierungsverfahren. In jedem Katalog zur QM-Zertifizierung eines Operationssaals bzw. einer chirurgischen Abteilung wird heute die Anwendung der WHO-OP-Checkliste hinterfragt. Das APS bzw. die Patientensicherheitsbewegung hat vielen Zertifizierungskatalogen neue Fragen bzw. Kriterien beschert. Zwischenzeitlich wurden auch die Kataloge medizinischer Fachgesellschaften, die zur Zentren-Zertifizierung herangezogen werden, entsprechend ergänzt und verfeinert.

Zudem hat die Versicherungswirtschaft reagiert. Bis vor wenigen Jahren klassifizierte die Assekuranz die Risikolast eines Krankenhauses nach Schadenfrequenz und Regulierungsaufwand. Diese Praxis ist in der Zwischenzeit einer qualitativen Beurteilung gewichen, inwieweit Maßnahmen des klinischen Risikomanagement umgesetzt werden und wie hoch der Durchdringungsgrad im jeweiligen Haus ist.

Auch die Haftpflichtversicherer fragen inzwischen, ob sachgerechte und wirkungsvolle Identifizierungsverfahren implementiert sind, ob Patienten im Rahmen der (Not-)Aufnahme triagiert werden oder ob postoperativ im Aufwachraum eine strukturierte Überwachung stattfindet (um einige Beispiele zu nennen). Es ist deutlich erkennbar, dass sich auch die Versicherungswirtschaft intensiv mit den Handlungsempfehlungen des Aktionsbündnisses Patientensicherheit auseinandergesetzt hat.

In zehn Jahren wurde viel erreicht, zwar nicht ausschließlich, aber doch zu großen Teilen durch die Initiative des APS. In erster Linie wurde ein Bewusstsein geschaffen, Transparenz wurde hergestellt und praxisorientierte Handlungsebenen wurden entwickelt. Aber ganz sicher sind wir mit der Entwicklung nicht am Ende. Auf den bisherigen Erfolgen sollten wir uns nicht
ausruhen.

In einem Zeitalter der extremen Arbeitsverdichtung, der unzureichenden qualitativen Personalausstattung und der wahrnehmbaren Veränderung bei Patientenstrukturen ist es notwendig, die Handlungsempfehlungen noch viel stärker als bisher in die Arbeitsroutine zu überführen. Hierbei können sicher auch die Ansätze des Zuverlässigkeitsmanagements hilfreich sein.

Wir wissen mittlerweile, wie wir den Versorgungsprozess sicherer machen können. Im nächsten Schritt müssen wir dafür sorgen, dass sich alle Mitarbeitenden im therapeutischen Team an die Regeln halten. Zuverlässigkeitsmanagement lässt keine Toleranz bei Maßnahmen zur Förderung der Patientensicherheit zu.

Literatur

[1] http://www.patientensicherheit.ch/

[2] http://www.aktionsbuendnis-patientensicherheit.de/

[3] http://www.plattformpatientensicherheit.at/

[4] http://www.who.int/patientsafety/worldalliance/en/

[5] http://www.who.int/patientsafety/about/programmes/en/

[6] Eigene Quellen – Auswertung GRB mbH/Ecclesia Versicherungsdienst GmbH – wird auf Anfrage vom Autor zur Verfügung gestellt

[7] http://www.donau-uni.ac.at/de/studium/risikoqualitaetgesundheit/10586/index.php

Gausmann P. Safety Clip: Zehn Jahre Aktionsbündnis Patientensicherheit – Es bewegt sich etwas. 2015 Juli; 5(07): Artikel 03_02.

Autor des Artikels

Profilbild von Peter Gausmann

Dr. Peter Gausmann

GeschäftsführerGRB Gesellschaft für Risiko-Beratung mbHEcclesiastraße 1-432758Detmold kontaktieren

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