Hernien zählen zu den am häufigsten auftretenden chirurgischen Erkrankungen in Deutschland [1]. Hernia inguinalis-Verschlüsse lagen im Jahr 2012 an erster Stelle der 20 häufigsten Operationen, die an vollstationär behandelten männlichen Patienten vorgenommen wurden [2]. Der Bruchinhalt wird operativ – möglich sind unterschiedliche Techniken – in den Bauchraum zurückverlagert, die Operationspforte verschlossen und das Gewebe stabilisiert. Es gibt verschiedene Methoden, um die Bruchpforte zu verschließen: reine Nahtverfahren, bei denen der Bruch mit Nähten versorgt und verstärkt wird, aber auch Verfahren, bei denen ein Kunststoffnetz verwendet wird.
Anhand von drei Kasuistiken, die aus der Schadenbearbeitung des Ecclesia Versicherungsdienstes stammen, verdeutlichen wir nachfolgend mögliche Haftungsrisiken bei Hernienoperationen mit Netzeinbringung und zeigen Präventionsmaßnahmen auf.
Fall 1
Bei einer 44-jährigen adipösen Patientin wurde ein Nabelhernien-Rezidiv operativ versorgt. Bei der Voroperation war der Nabel exzidiert worden. Nun fand sich im Bereich der Faszie eine sehr kleine Bruchlücke mit einem ca. 1 cm großen Herniengebilde, das aus präperitonealem Fett bestand. Ein Polypropylennetz wurde als zusätzliche Sicherung über die schon formierte Naht genäht.
Aufgrund anhaltender Wundschmerzen und einer Verhärtung im Narbenbereich hatte die Patientin ca. vier Wochen nach der ersten Operation ihre Hausärztin aufgesucht, die sie dann zu einer neuen chirurgischen Untersuchung überwies. Bei dieser wurde schließlich festgestellt, dass das implantierte Netz verrutscht war und sich ein Bruchrezidiv gebildet hatte. Dieser wurde daraufhin umgehend erneut operiert.
Man erkannte, dass das Verrutschen des Netzes verzögert diagnostiziert worden, eine sonografische Untersuchung zu spät erfolgt war. Eine gutachterliche Bewertung des Falles gab es nicht.
Nachdem die Stellungnahmen der Behandelnden geprüft worden waren, wurde der Patientin ein Schmerzensgeld in Höhe von 1.500 Euro zugesprochen.
Fall 1 – Rückschau und Prävention
Laut Aussagen [4] der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Visceralchirurgie (DGAV) und der Deutschen Herniengesellschaft (DHG) haben die Ergebnisse der Hernienchirurgie bisher kein befriedigendes Niveau erreicht. Um dieses zu verbessern, haben sich die genannten Fachgesellschaften auf ein Zertifizierungsverfahren geeinigt, das den Nachweis qualitätssichernder Maßnahmen in der Hernienchirurgie verlangt.
Zu den geforderten Maßnahmen gehören beispielsweise Follow-up-Termine für 60 % der behandelten Patientinnen und Patienten innerhalb eines Jahres. Zudem sind postoperativ Nachweise für das Unterschreiten von Komplikationsraten innerhalb der ersten 30 Tage zu führen. Bei Leistenhernien muss die Gesamtkomplikationsrate unter 5 % liegen. Um dieses Qualitätskriterium zu erfüllen, ist die postoperative Nachsorge nötig. Eine Wiedervorstellung des Patienten oder der Patientin in der behandelnden Einrichtung ist also erforderlich.
Die Patientin im hier beschriebenen Fall wurde zu zwei Nachsorgeterminen vorstellig. In der Stellungnahme der Behandelnden ist aufgeführt, dass bei beiden Terminen eine eingehende klinische Untersuchung und Beratung der Patientin erfolgte. Aufgrund der Adipositas habe man eine sonografische Untersuchung für nicht aufschlussreich befunden. Welche diagnostischen Maßnahmen zur Erklärung der Wundschmerzen und der Verhärtung im Narbenbereich zum Zeitpunkt der Nachfolgeuntersuchungen sinnvoll gewesen wären, bleibe der gutachterlichen Bewertung vorbehalten.
Folgende Präventionsmaßnahmen lassen sich aus dem Fall ableiten, mit deren Hilfe es in ähnlich gelagerten Fällen möglich ist, auf das postoperative Ergebnis Einfluss zu nehmen und Komplikationen rechtzeitig zu erkennen:
Sicherung der Ergebnisqualität durch Nachsorge:
Die Kontrolle des postoperativen Ergebnisses ist auch nach der Behandlung sichergestellt (z.B. durch Nachsorgetermine). Für die Nachsorgetermine gibt es Standards zu Art und Umfang der diagnostischen Maßnahmen bei anhaltenden Beschwerden.
Dokumentation der Nachsorgeuntersuchungen:
Die Dokumentation der Ergebnisse der Nachsorgeuntersuchungen ist gewährleistet. Die Dokumentation gibt Aufschluss darüber, inwieweit die Beschwerden differentialdiagnostisch abgeklärt wurden.
Um Komplikationen bei der Netzeinbringung präventiv zu begegnen, empfiehlt sich Folgendes:
Materialwahl: Die Auswahl des Netzes ist besonders sorgfältig zu treffen. Zu wählen ist ein Netz, das doppelt so groß ist wie die Bruchpforte. Ebenso ist auf die Beschichtung des Netzes zu achten, die das Einwachsen fördert und Fistelbildung und Adhärenzen verhindert [3]. Alle Einzelheiten sind im OP-Bericht zu dokumentieren.
Fall 2
Mit der Diagnose Bauchdeckenhernie wurde eine 66-jährige Patientin stationär aufgenommen. Der Aufnahmebogen beinhaltete eine Skizze des relevanten Bauchdeckenbereichs zur Lokalisation des druckschmerzhaften Bauchdeckenbruchs. Gemäß der Zeichnung lag der Bereich nahe der Mitte einer Verbindungslinie zwischen Bauchnabel und linkem Darmbeinstachel – an einer Stelle, an der typischerweise eine linksseitige Spieghelsche Hernie lokalisiert ist. Nachdem der Oberarzt, der die Operationsindikation überprüfte, den Befund gesichtet hatte, wurde die Diagnose Bachdeckenhernie gestrichen und durch die Diagnose Leistenhernienrezidiv links ersetzt. Daraufhin erfolgte technisch sachgerecht eine Leistenbruchoperation nach Lichtenstein.
Zwei Wochen nach der Operation zeigten sich bei der Patientin zunehmende Beschwerden im Bereich einer 4 x 4 cm großen Vorwölbung im linken Unterbauch. Aufgrund der Ausdehnung und der Lokalisation der druckschmerzhaften Vorwölbung wurde in einem anderen Krankenhaus, das die Patientin aufsuchte, die Verdachtsdiagnose einer Spieghelschen Hernie gestellt. Sachgerecht unterzog man die Patientin zur weiteren Abklärung einer Computertomografie, die den Nachweis einer Bauchdeckenhernie ergab. Im Rahmen der laparaskopischen Folge-OP wurde der Bruch mit Netzimplantation in IPOM-Technik verschlossen.
Für die augenscheinlich unnötige erste Operation erhielt die Patientin ein Schmerzensgeld in Höhe von 10.000 Euro.
Fall 2 – Rückschau und Prävention
Obwohl zwei Ärzte den Befund unterschiedlich werteten, sind in der erstbehandelnden Einrichtung keine klärenden Maßnahmen erfolgt, wie zum Beispiel eine Ultraschalluntersuchung und ein CT. Das eingeleitete Verfahren vor der Gutachterkommission hatte zum Ergebnis, dass die erste Operation angesichts des Krankheitsbildes nicht zielführend gewesen sei, da sich intraoperativ lediglich eine Ausdünnung der Hinterwand des Leistenkanals gezeigt habe, aber keine Bruchbildung. Mit anderen Worten: Nach gutachterlicher Feststellung war die erste Operation überflüssig. Eine Überprüfung der Differentialdiagnosen Bauchdeckenbruch oder Leistenhernienrezidiv hätte erfolgen müssen.
Folgende Maßnahmen können Ärztinnen und Ärzte dabei unterstützen, Befundherhebungsfehler zu vermeiden:
Diagnostik: Die Diagnosestellung erfolgt durch einen Facharzt/eine Fachärztin oder wird von diesem/dieser überprüft. Die fachärztliche Behandlungsqualität ist sichergestellt. Die Sicherstellung der Diagnose ist durch hinreichend erhobene Befunde (auch Bildgebung) abgesichert.
Aktive Vermeidung von Diagnosefehlern: Kontrollmechanismen zur Identifizierung und Vermeidung von Diagnosefehlern sind etabliert (z. B. fachärztliche Zweitbeurteilung bei unklaren/schwierigen Befunden, routinemäßige Besprechungsplattformen im Behandlungsteam).
Präoperative Befundbesprechung: Präoperativ erfolgt eine für das gesamte OP-Team sichtbare Präsentation der zur OP erforderlichen Befunde.
Aufklärungsgespräch: Wenn Verdachtsdiagnosen vorliegen oder Befundlagen innerhalb des Behandlungsteams unterschiedlich bewertet werden, sollte im Patientenaufklärungsgespräch die intraoperative Exploration und die sich ggf. daraus ergebende Behandlung unter Abwägung der Risiken besprochen werden.
Fall 3
Eine 49-jährige adipöse Patientin (Diabetes, Nikotinabusus) stellte sich zur Therapie mehrfacher Bauchwandhernien vor, nachdem sie im Jahr zuvor eine Messerstichverletzung erlitten hatte. Als Maßnahme vorgesehen war die laparaskopische Implantation eines alloplastischen Netzes in den Bauchraum. Präoperativ wurde bei der Patientin ein Blutzuckerspiegel festgestellt, der um das 2,5-fache über dem oberen Normwert lag. Die behandelnden Ärzte werteten den Wert als Folge vorangegangener Nahrungszufuhr. Eine weitere Abklärung unterblieb.
Postoperativ entwickelte die Patientin am ersten Tag Fieber bis 38,8°C, das mit einem diagnostizierten Harnwegsinfekt in Zusammenhang gebracht wurde. Die Symptome wurden antibiotisch und fiebersenkend behandelt. Am Folgetag war die Patientin fieberfrei, am fünften Tag nach der Operation jedoch bekam sie nachmittags erneut Fieber. Wieder erhielt sie ein fiebersenkendes Mittel. Laborchemische Kontrollen der Entzündungsparameter im Blut erfolgten während des stationären Aufenthaltes jedoch nicht.
Nach der Entlassung musste die Patientin unter der Verdachtsdiagnose postoperativer Weichteilinfekt wieder eingewiesen werden. Bei der Untersuchung fanden sich klinische und laborchemische Zeichen einer Infektion des Bauchraums. Eine konservative Therapie mit Antibiotika wurde eingeleitet. Weitergehende bildgebende Untersuchungen fanden nicht statt.
Da sich die Beschwerden verschlimmerten, wurde zügig das eingebrachte Netz – nach den erforderlichen bildgebenden und klinischen Untersuchungen – im Rahmen einer Bauchspiegelung lege artis entfernt und eine Bauchspülung vorgenommen. Dabei zeigten sich Abszessformationen zwischen Netz und Bauchwand, eine generalisierte Peritonitis fand sich jedoch nicht. Im weiteren Verlauf kam es zur Ausbildung eines Douglasabszesses mit verzögerter Durchführung einer Drainage.
Bislang erfolgten Entschädigungszahlungen an den Sozialversicherungsträger in Höhe von 7.500 Euro. Schmerzensgeldansprüche der Patientin werden noch abgewartet.
Fall 3 – Rückschau und Prävention
Die eingeschaltete Gutachterkommission erkannte, ebenso wie der MDK, Behandlungsfehler. Man habe präoperativ einen Diabetes mellitus nicht erkannt. Die Operation hätte so lange verschoben werden müssen, bis der Diabetes mellitus adäquat eingestellt gewesen wäre. Damit hätte sich das Komplikationsrisiko wesentlich senken lassen. Postoperativ sei auf das hohe Fieber nicht mit der erforderlichen Sorgfalt reagiert worden. Gerade bei dieser als Hochrisikopatientin einzustufenden Patientin hätte nach Sicht der Gutachterkommission auf das eindeutige Warnsymptom – hohes Fieber – adäquat reagiert werden müssen. Dieses Versäumnis werten die Gutachter als groben Behandlungsfehler. Weiterhin wird die mangelhafte Befunddokumentation der behandelnden Ärzte gutachterlich moniert.
Die prophylaktische Verabreichung von Antibiotika bei laparaskopischen Operationen wird kontrovers gesehen. Laut einer Studienübersicht von Bittner et al. [5] liegen keine hinreichenden oder aussagekräftigen Daten zu Infektionsraten bei laparaskopischen Hernienoperationen vor. Die aufgelisteten Studien, bei denen offene und laparaskopische Eingriffe bezüglich der Infektionsrate verglichen wurden, enthalten keine Angaben darüber, ob Antibiotika prophylaktisch eingesetzt wurden. Lediglich in einer der Studien, bei der laparaskopische OPs ohne Antibiotika-Gabe mit offenen OPs mit Antibiotika-Gabe verglichen wurden, zeigen sich signifikante Unterschiede bei den Infektionsraten.
Folgende Präventionsmaßnahmen können aus dem Fall abgeleitet werden:
Präoperative Abschätzung des Infektionsrisikos: Trotz der o. g. Datenlage wird bei geplanten laparaskopischen Eingriffen im Sinne des Risikomanagements empfohlen, präoperativ die Risikofaktoren für eine Infektion zu ermitteln sowie abzuwägen, ob eine prophylaktische Antibiotika-Gabe angezeigt ist. In die Risikoabschätzung einbezogen werden sollten Faktoren wie Diabetes, Alter (>75), Adipositas, Rezidive, Malignität, Einnahme von Kortikosteroiden und Immunsuppressiva.
Präoperative Sichtung von Laborbefunden: Im Rahmen der präoperativen Vorbereitung eines Patienten oder einer Patientin sind auffällige Laborwerte zu hinterfragen und ggf. zu überprüfen (z. B. erhöhte Blutzuckerwerte bei nicht bekanntem Diabetes). Eventuell bereits vorliegende Vorbefunde aus anderen Aufenthalten sind, sofern zugänglich, ebenso heranzuziehen und in die Vorbereitung einzubeziehen.
Laborchemische Kontrollen der Entzündungsparameter: Routinemäßige postoperative Kontrollen der Entzündungsparameter helfen, eine eventuell vorliegende Infektion schneller zu erkennen. Ein solches Vorgehen sollte in postoperativen Behandlungsstandards festgelegt sein.
Behandlung einer Wundinfektion/eines Netzinfektes: Bleibt die konservative antibiotische Therapie erfolglos, wird eine Netzexplantation durchgeführt.
Dokumentation postoperativer Maßnahmen: Das Auftreten von postoperativen Auffälligkeiten und Symptomen ist in der Patientenkurve zu beschreiben. Die Reaktion darauf muss aus der Verlaufsdokumentation hervorgehen. Eingeleitete Maßnahmen müssen ebenso dokumentiert werden wie die Entscheidung abzuwarten, um die Plausibilität der Handlungen oder Unterlassungen für Dritte nachvollziehbar zu machen. Dadurch ist sichergestellt, dass im Falle einer gutachterlichen Sichtung der Akte die Einhaltung eines Sorgfaltsmaßstabs deutlich wird.
Zusammenfassung
Die drei Fälle zeigen exemplarisch, dass sich Fehler in der Hernienchirurgie vorwiegend in der prä- und postoperativen Phase ansiedeln. In keinem der drei Fälle wird die eigentliche operative Versorgung der Hernie gutachterlich moniert. Dasselbe gilt für die in der Ecclesia-Datenbank gelisteten medizinischen Anspruchsstellungen bei Hernien-Operationen [6]. Dort sind keinerlei Fälle dokumentiert, bei denen sich intraoperative Risiken – z. B. unzureichende Blutstillung, Verletzung benachbarter Organe wie Darm, Blase oder Geschlechtsorgane – realisiert und zu einer Entschädigung der Patientenseite geführt haben.
Erwähnt sei in diesem Zusammenhang, dass die DGAV und die DHG mehr Simulationstrainings zum Erlernen der operativen Fähigkeiten für die minimalinvasive Chirurgie fordern. Studien zeigen mittlerweile, dass diese zusätzlich zur rein klinischen Ausbildung über Simulationstrainings erworbenen Fertigkeiten die Komplikationsrate senken [7].
Die drei hier genannten Fälle zeigen einmal mehr, dass das Einhalten eines kriteriengeleiteten Sorgfaltsmaßstabs in der prä- und postoperativen Phase großen Einfluss auf das operative Ergebnis hat.
Literatur
[1] www.herniamed.de
[2] Statistisches Bundesamt
[3] http://www.webop.de/surgeries/64/management#paragraph_9
[4] Köckerling, F., Berger, D., Jost, J. (2013). Gemeinsame Zertifizierung von Hernienzentren durch die DGAV und DHG, CHAZ, Heft 1, 14. Jg
[5] Bittener, R. et al. (2011). Guidelines for laparoscopic (TAPP) and endoscopic (TEP) treatment of inguinal Hernia [International Endohernia Society (IEHS)]. Surg Endosc, 25:2773–2843
[6] Schadendatenbank der Ecclesia Versicherungsdienst GmbH
[7] Zendejas B. et al (2013). State of the evidence on simulation-based training for laparoscopic surgery. Ann Surg 257: 586–593