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Die sogenannte Kaltverschweißung tritt immer wieder auf, wenn bei der Entfernung von Fremdmaterial (Osteosynthesematerial) großer Druck auf Metallteile ausgeübt wird, z. B. beim Herausdrehen von Schrauben. Kommt es bei einer Kaltverschweißung zu Zwischenfällen, können die daraus resultierenden Folgen für den Patienten sowie den Arzt verheerend sein. Das folgende Fallbeispiel verdeutlicht die Risiken der Kaltverschweißung und unterstützt die Ableitung geeigneter Präventionsmaßnahmen.

Fallbeispiel

Die Klägerin hat sich bei einem Sturz eine Radiusfraktur des rechten Handgelenks zugezogen. Es folgt eine offene Reposition des Bruchs mit anschließender osteosynthetischer Versorgung mittels winkelstabiler Radiusplatte. Die Entfernung dieses Fremdmaterials ist fünf Monate später vorgesehen.

Am vereinbarten Termin können fünf der insgesamt sechs eingesetzten Titanschrauben operativ entfernt werden. Die sechste Schraube lässt sich mit herkömmlichem Werkzeug nicht lösen. Sie ist durch Kaltverschweißung so fest mit der Radiusplatte verbunden, das eine Entfernung mit dem vor Ort verfügbaren Instrumentarium nicht möglich ist. Daher bricht der beklagte Operateur den Eingriff ab und belässt sowohl die Titanplatte als auch die sechste Schraube in situ.

Bei einem zweiten Operationstermin in einer anderen Klinik wird das zurückgebliebene Fremdmaterial entfernt. Unmittelbar nach der Zweit-OP klagt die Patientin über Nervenschmerzen und Taubheitsgefühle in Daumen, Zeigefinger, Mittelfinger und Ringfinger der rechten Hand.

Später vor Gericht wirft sie dem beklagten Erstoperateur vor, beim Versuch, die festsitzende Schraube zu entfernen, gegen den fachärztlichen Standard verstoßen und eine Nervenschädigung verursacht zu haben. Des Weiteren moniert die Klägerin die fehlerhafte Aufklärung. Sie sei vor der Operation nicht über die mit dem Eingriff verbundenen typischen oder spezifischen Risiken informiert worden. Weder der Ablauf noch die möglichen Risiken der Operation seien ihr hinreichend erklärt worden.

Dem Behandlungsfehlervorwurf der Klägerin folgt das Gericht nicht. Und auf die Frage, ob den beklagten Arzt ein Übernahmeverschulden für die zweite Operation trifft oder ob ein Organisationsfehler vorliegt, geht es nicht ein.

Der Verletzung der Aufklärungspflicht aber schenken die Richter viel Beachtung und stellen klar, dass die Risikoaufklärung dem Patienten einen Überblick über jede mit dem Eingriff verbundene Gefahr verschaffen muss. Gemeint seien alle möglichen, dauerhaft oder vorübergehend für den Patienten nachteiligen Folgen der Behandlung, die sich auch bei größter Sorgfalt nicht mit Gewissheit ausschließen lassen.

Schwierigkeiten beim Herausdrehen einer Schraube oder selbst das Steckenbleiben eines Metallstücks im Knochen seien, so die Auffassung des Sachverständigen, zwar keine Komplikation, eine nachteilige Folge aber allemal.

Nach Auffassung des Gerichts darf die ärztliche Aufklärung auch vor sehr seltenen Risiken nicht haltmachen, sofern deren Realisierung die Lebensführung des Patienten schwer belasten würde.

Dem Einwand des Beklagten, er habe von einer hypothetischen Einwilligung der Patientin ausgehen können, folgt das Gericht nicht. Viel wahrscheinlicher und nachvollziehbarer sei es, dass die Klägerin sich zur Durchführung der Operation eine andere Einrichtung gesucht hätte, wenn sie gewusst hätte, dass das entsprechende OP-Werkzeug beim Beklagten nicht verfügbar ist.

Im Ergebnis wird der Beklagte für die Verletzung der Aufklärungspflicht in die Haftung genommen. Die Klägerin hat Anspruch auf Schadenersatz und Schmerzensgeld.

Interessant ist bei diesem Fall aber noch ein anderer Aspekt, nämlich der Organisationsfehler bzw. das Übernahmeverschulden für die zweite Operation, das die Klägerin dem Beklagten vorwirft, das vor Gericht aber, wie erwähnt, außen vor bleibt.

Alternative Fallbetrachtung

Mit Blick auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs, wonach Krankenhäuser mit unzulänglicher technischer Ausstattung wegen Organisationsmängeln in die Haftung genommen werden können (BGH, VersR 2014, 374), schauen wir uns diesen Punkt einmal genauer an.

Ausgangspunkt für weitergehende Überlegungen muss die Frage sein, ob das Fehlen von Spezialwerkzeugen als Verstoß gegen den medizinischen Standard angesehen werden kann. Doch um diese Frage zu beantworten, ist zunächst zu klären, was sich hinter dem unbestimmten Begriff „medizinischer Standard“ verbirgt.

Nach der Definition des Bundesgerichtshofs repräsentiert der medizinische Standard den zum Behandlungszeitpunkt aktuellen Stand naturwissenschaftlicher Erkenntnis und medizinischer Erfahrung, der sich bis dato in der Praxis zur Erreichung des ärztlichen Behandlungsziels bewährt hat und erprobt ist (BGH Urteil vom 24.02.2015 – VI ZR 106/13).

Der Standard umschreibt also ein ärztliches Agieren, das in einer konkreten Behandlungssituation zum konkreten Zeitpunkt von einem gewissenhaften und aufmerksamen Arzt aus fachkundiger Sicht verlangt und erwartet werden kann. Das heißt natürlich auch, dass der medizinische Standard nicht als statisches Konstrukt zu verstehen ist, sondern als ein dynamischer Prozess, der nicht stehen bleibt, wenn eine Anpassung erforderlich ist.

Für den konkreten Beispielfall bedeutet das: Wenn das Problem – hier: die Kaltverschweißung – als bekannt vorausgesetzt werden kann und mit technisch vertretbarem Aufwand lösbar ist, darf der Arzt sich nicht auf eine seltene Komplikation berufen als Rechtfertigung dafür, dass er das zur Problembewältigung erforderliche Spezialwerkzeug nicht bereithält.

Dies gilt nach unserer Einschätzung erst Recht, wenn die Werkzeuge günstig oder gar gratis zu haben sind, wie im vorliegenden Fall. Laut Sachverständigengutachten liefern einige Titanplattenhersteller die erforderlichen Instrumentarien nämlich kostenlos mit.

Folgt man der hier vertretenen Auffassung, hat der beklagte Arzt – entgegen der Einschätzung des LG Heidelberg – nicht nur seine Aufklärungspflicht verletzt, sondern sich mit dem Nichtvorhalten des bei Kaltverschweißung notwendigen Werkzeugs auch einen Behandlungsfehler in Form eines Übernahmeverschuldens oder Organisationsfehlers zuschulden kommen lassen (§ 630h Abs. 4 BGB).

Wie sind Zwischenfälle durch Kaltverschweißung von vornherein zu vermeiden?

Um Zwischenfälle durch Kaltverschweißung und die daraus resultierenden Folgen für den Patienten – und den Arzt – zu vermeiden, empfiehlt es sich, der Verwirklichung von Risiken präventiv gegenzusteuern.

Aus Sicht des klinischen Risikomanagements müssen bei geplanter Osteosynthese mit nachfolgender Materialentfernung für das Behandlungsteam drei To-dos an erster Stelle stellen:

  1. die präoperative Patientenaufklärung
  2. das Vorhalten des notwendigen Instrumentariums zur Materialentfernung
  3. die Wahl des geeigneten Implantatmaterials

Präoperative Patientenaufklärung

Die Ärztekammer Berlin rät beispielsweise: Laut Behandlungsvertrag sind Ärztinnen und Ärzte „grundsätzlich dazu verpflichtet, die Patientin oder den Patienten rechtzeitig und vollständig über die bei der erhobenen Diagnose möglichen und/oder erforderlichen Therapien und ärztliche Maßnahmen zu informieren.“ Die Entscheidung, ob bzw. welche Maßnahmen ergriffen werden sollen, liegt bei der Patientin oder beim Patienten [1].

Die ärztliche Aufklärung hat – je nach Dringlichkeit des Eingriffs – so frühzeitig wie möglich zu erfolgen, damit der oder die Aufgeklärte ausreichend Zeit für eine selbstbestimmte Entscheidung hat.

Wichtig ist es, den Patienten nachvollziehbar und umfassend über alle eingriffstypischen Risiken – auch seltene – sowie die bei deren Verwirklichung notwendigen Maßnahmen zu informieren [2].

Instrumentarium zur Materialentfernung

Der Operateur hat vor einer Operation sicherzustellen, dass das geeignete Instrumentarium in ausreichender Menge und Beschaffenheit zu Verfügung steht [3].

Der Patient muss darauf vertrauen dürfen, dass der Operateur den rechtlich geforderten Facharztstandard gewährleistet und somit ein zeitgemäßes und dem Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechendes Verfahren anwendet.

Sind eingriffsspezifische Komplikationen bekannt, hat der Arzt diese ausreichend zu berücksichtigen und dafür Sorge zu tragen, dass er sie angemessen beherrschen kann – im konkreten Fall durch das Vorhalten des üblichen Instrumentariums (z. B. Werkzeuge mit Linksgewinde oder Metallfräser).

Geeignete Implantate

Schon bei der Osteosynthese ist darauf zu achten, dass ein geeignetes Implantat verwendet wird, um, wenn möglich, (zu erwartende) Spätfolgen zu vermeiden. Im oben beschriebenen Fall kam Titan zur Anwendung. Korrosionsfrei und sehr gut bioverträglich, hat Titan hervorragende operationstechnische Eigenschaften und ist bei längerer Verweildauer des Implantats – hier: fünf Monate – praktisch alternativlos.

Dennoch hat die Wahl dieses Materials im o. g. Fall die bei der späteren Materialentfernung auftretende Komplikation geradezu „erzeugt“, denn Titanteile neigen stark dazu, sich unter größerem Druck – z. B. beim Anziehen einer Schraube – im Kaltschweißverfahren zu verbinden.

Bei Stahl kommt es deutlich seltener zu einer Kaltverschweißung. Dafür ist Stahl sehr viel korrosionsanfälliger als Titan, was beim Patienten wiederum zu Entzündungen und schmerzhaften Verkapselungen im Implantatbereich führen kann.

Bei kurzer Verweildauer eines Implantats spielt Korrosion aber in der Regel keine Rolle. Ist also nach einer Osteosynthese mit einer schnellen Ausheilung zu rechnen und daher eine sehr zeitnahe Wiederentfernung des implantierten Materials vorgesehen, können Edelstahlimplantate mit Blick auf die Kaltverschweißungsproblematik die bessere Wahl sein [4].

Die Entscheidung liegt beim behandelnden Arzt: Die Vor- und Nachteile der Materialien sind in jedem Einzelfall sehr sorgfältig gegeneinander abzuwägen.

Literatur

[1] aerztekammer-berlin.de, Ärzte/Recht/Berufsrechtliches

[2] § 630e BGB: Aufklärungspflichten; Parzeller, Wenk, Zedler, Rothschild, „Aufklärung und Einwilligung des Patienten: Nach Maßgaben aktueller höchstrichterlicher und oberlandesgerichtlicher Rechtsprechung“, in: Deutsches Ärzteblatt 2009, cme Kompakt 1

[3] „Leitlinien Unfallchirurgie“ der DGU 2014: überarbeitete Leitlinie S1: „Implantatentfernung“, überarbeitete Leitlinie S2e: „Distale Radiusfraktur“

[4] Ahrens, Hansis, „Implantate in der Unfallchirurgie: Osteosynthese mit Titan“, in: Deutsches Ärzteblatt 1998, 95[24]: A-1516/B-1288/C-1208; Kron, 2012, „Unfallchirurgie: Stahl schlägt Titan“ über news.doccheck.com.

Friese K-C, Meilwes M: Safety Clip: Kaltverschweißung – Ein häufiges Problem in der Chirurgie und geeignete Lösungsansätze. Passion Chirurgie. 2017 Oktober, 7(10): Artikel 04_03.

Autoren des Artikels

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Kai-Christian Friese

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