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CHIRURGIE+
Heute PJ – Morgen Chirurgie?!

Der Nachwuchsmangel in der Chirurgie ist präsent wie nie zuvor. In vielen Kliniken – besonders in ländlichen Gebieten – fehlt es an qualifizierten Ärztinnen und Ärzten, die eine chirurgische Ausbildung anstreben. Trotz zunehmender Anzahl Absolvent:innen des Medizinstudiums entscheiden sich viele gegen eine chirurgische Ausbildung, insbesondere während der letzten Studienjahre. Während sich bei Beginn des Medizinstudiums ca. 30 % vorstellen könnten, Chirurg:in zu werden, ist dies nur bei ca. 18 % der PJ-Studierenden der Fall. Als Gründe für das geringe Interesse werden im Berufsmonitoring der KBV (2018), in dem über 12.000 Medizinstudierende befragt wurden, die Arbeitsbedingungen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und stärkere Hierarchien beschrieben [1]. Darüber hinaus werden insbesondere Erfahrungen Medizinstudierender im Praktischen Jahr eine wichtige Rolle zugeschrieben. Auch der Präsident des Berufsverbands der Deutschen Chirurgie (BDC) Prof Dr. med Dr. h.c. Hans-Joachim Meyer betont: „Wir müssen bei den aktuellen Forderungen der Studierenden, das Praktische Jahr zu verbessern, ganz klar Stellung beziehen und unseren Teil beitragen, 2025 werden wahrscheinlich 10.000 Chirurginnen und Chirurgen fehlen. Wir können es uns einfach nicht leisten, Studierende im PJ zu verprellen.“ [2]

PJ Ausschlaggebend für Berufswahl

Tatsächlich zeigen sich oftmals im Praktischen Jahr – insbesondere in chirurgischen Fächern – große Schwächen. PJ-Studierende werden teils ohne Struktur und Zusammenhang eingesetzt und erledigen hierbei Einzeltätigkeiten verschiedener Patient:innen oder Stationen, deren Lernertrag im Vergleich zu einer eigenverantwortlichen ganzheitlichen Betreuung eines Patienten von Aufnahme bis Entlassung allenfalls gering erscheint. Beispielhaft hierfür dienen große Evaluationen des Uniklinikums Münster [3] sowie der Charité in Berlin [4], in denen PJ-Studierende insbesondere die eigenverantwortliche Patientenbetreuung, das Vorstellen dieser eigenen Patientenfälle in Visiten/Konferenzen, sowie das Besprechen der durchgeführten Tätigkeiten schlecht bis (unter)-durchschnittlich bewerteten. Während in Münster zumindest die Lehrveranstaltungen ein gutes Feedback erhielten, gaben in Berlin die Studierenden zumeist einen Ausfall dieser sowie auch ansonsten kaum aktiver Lehre im Stationsalltag an.

Ein Umdenken und Verbesserungen im PJ können dazu beitragen, dem Nachwuchsmangel in der Chirurgie etwas entgegenzusetzen. Die Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd) kommentiert die Nachwuchssituation in der Chirurgie im Berufsmonitoring wie folgt: „Der sich fortsetzende Negativtrend der Chirurgie verdeutlicht die Notwendigkeit eines Umdenkens im chirurgisch-operativen stationären Sektor. Vor allem die Arbeits- und Lehrbedingungen scheinen ausschlaggebend zu sein und gehören geändert, um den Attraktivitätsverlust abzupuffern. Dieser unterstreicht die Bedeutung guter Lehre im letzten Studienabschnitt.”

Das starke Interesse der Studierendenschaft für gute Lern- und Arbeitsbedingungen im Praktischen Jahr wurde durch die Petition für ein faires PJ Anfang 2019 mit über 100.000 Unterschriften, begleitet von zahlreichen Demonstrationen in ganz Deutschland, verdeutlicht. Viel Unzufriedenheit resultiert aus dem Gefühl heraus, aufgrund unzureichender Lehrbedingungen das chirurgische Tertial als nicht lehrreich genug empfunden zu haben.

Chirurgische Fertigkeiten für das spätere Berufsleben relevant

Chirurgische Basisfertigkeiten sind integraler Bestandteil der ärztlichen Ausbildung und deshalb auch als Pflichtteil des Praktischen Jahres verankert. Zundel et al. zeigten in ihrer Studie, dass auch in anderen Fachdisziplinen praktizierende Ärztinnen und Ärzte im PJ erlangte chirurgische Fähigkeiten als bereichernd empfinden [5]. Auch unter diesem Aspekt erscheint eine fundierte chirurgische Ausbildung mit umfassender Vermittlung von Wissen und praktischen Fertigkeiten erstrebenswert.

Neben den oftmals aufgeführten Basisforderungen von Studierenden nach Aufwandsentschädigung oder eigenem Zugang zum Klinikinformationssystem, die unter anderem durch neue Gesetze beeinflusst werden, können aber auch lokale Veränderungen einen großen Effekt bewirken. Ein gutes Beispiel für solche Veränderungen in der Lehrqualität ist das Beobachten und Feedbacken von Tätigkeiten, auch unter dem Begriff „Anvertraubare professionelle Tätigkeiten”, kurz APT bekannt. Hierbei werden in kleinen Schritten immer mehr ärztliche Tätigkeiten, zunächst unter Beobachtung, im Verlauf eigenständig an Studierende übergeben. Beispielsweise kann die stationäre Aufnahme von Patient:innen erst von Studierenden umfassend beobachtet werden, dann unter Supervision ausgeführt und schließlich eigenständig – mit Nachkontrolle – ausgeführt werden. Je nach Einschätzung der Lehrenden kann der Grad der Supervision damit individuell auf die jeweiligen Studierenden und deren Lernkurve angepasst werden [6]. Regelmäßiges Feedback direkt im Anschluss an die Tätigkeit ermöglichen eine gemeinsame Vertrauensbasis und schrittweise Verbesserung. Ärztinnen und Ärzte können dadurch Aufgaben delegieren, die sicher ausgeführt werden können und die Motivation zum eigenständigen Arbeiten bei Studierenden ohne Angst vor Unsicherheit steigern. Eine Win-Win-Situation für Ärztinnen und Ärzte, Studierende und Patient:innen.

Gemeinsamer Leitfaden von BDC und bvmd

Um interessierten Kliniken bei der Verbesserung der chirurgischen Ausbildung im Praktischen Jahr eine einfache Unterstützung anbieten zu können, hat die bvmd gemeinsam mit dem BDC einen am klinischen Alltag orientierten Leitfaden „Chirurgischen Nachwuchs gewinnen und halten. Leitfaden für das Praktische Jahr“, ein daran angelehntes Stationsplakat sowie einige Musterdokumente („Ablaufplan im PJ“ und „PJ Evaluation“) entwickelt.

Der neue Leitfaden richtet sich an alle klinikseitig an der Ausbildung und Betreuung von PJ-Studierenden beteiligten Mitarbeiter:innen. Neben der chirurgischen Profession selbst sind ebenso die an der organisatorischen Durchführung beteiligten Bereiche der Verwaltung ein wichtiger Faktor.

Der Leitfaden bietet ein aus Praktiker:innensicht heraus angelegtes Kompendium von A bis Z/von der Phase vor PJ-Beginn bis hin zur strukturierten Nachbereitung und Auswertung.

Von der Strukturierung der Rotationen über sinnvolle Strategien für die Präsentation des eigenen Hauses auf PJ-Messen und im Internet bis hin zur gelungenen Durchführung von Einführungstagen und einer bestmöglichen Betreuung durch Mentor:innen bietet der Leitfaden schon für die Phase vor der Rotation umfassende Information.

Auch während des PJ-Tertials gibt es eine Vielzahl an möglichen Ansatzpunkten zur Verbesserung der chirurgischen Ausbildung. So werden neben Tipps und Vorschlägen zu „Klassikern” wie dem PJ-Unterricht auch neuere Ausbildungsformate in der Chirurgie wie die „Interprofessionellen Ausbildungsstationen” (IPSTA) in Theorie und Praxis vorgestellt.

Ein besonders nachhaltig-positiver Effekt in Relation zum Aufwand lässt sich häufig beim, auf den ersten Blick, trivialen Thema Feedback erreichen. Anhand der Unterscheidung zwischen „situativem” – Wie gebe ich in einer konkreten Situation bestmöglich Feedback – und „strukturiertem” Feedback – Wann und wo ist Feedback und Reflexion innerhalb einer Rotation besonders sinnvoll und effektiv – führt der Leitfaden kompakt und praxisnah durch die wichtigsten Aspekte eines effektiven Feedbacks in der chirurgischen PJ-Ausbildung. Dass ein Fokus auf dieses Thema neben der Zufriedenheit der PJ-Studierenden auch die Zufriedenheit im eigenen Hause mit den PJ-Studierenden steigen lässt, stellt dabei einen nicht zu unterschätzenden Zusatznutzen dar.

Um neben der Qualität der PJ-Ausbildung im eigenen Haus auch besonders die erreichten Verbesserungen messbar und damit für alle klar und nachvollziehbar sichtbar zu machen, beinhaltet der Leitfaden neben einem kompakten Überblick über die Thematik der internen und externen Evaluation eine Musterevaluation als Best-Practice-Beispiel vor. So können schnell und praxisnah kleine wie auch größere Verbesserungen in der eigenen Evaluationspraxis im klinischen Alltag am eigenen Haus umgesetzt werden.

Aktive Veränderungen durch Kliniken notwendig

Nachwuchsgewinnung ist in der Chirurgie heute wichtiger denn je! Kein Weg der Nachwuchsgewinnung ist so direkt, unmittelbar und effizient wie die Begeisterung von PJ-Studierenden im eigenen Fach und Haus – für das eigene Fach und Haus! Mit dem neuen Leitfaden „Chirurgischen Nachwuchs gewinnen und halten” von BDC und bvmd bietet sich für jedes ausbildende Haus eine neue und einfach umzusetzende Chance, die chirurgische Ausbildung zukünftiger Ärztinnen und Ärzte überall noch ein kleines Stückchen besser zu machen. Seien Sie dabei – bei einer besseren Ausbildung: Heute PJ – Morgen Chirurgie!

Die Literaturliste erhalten Sie auf Anfrage via [email protected].

Weitere Informationen zur gemeinsamen Initiative der bvmd und des BDC „Chirurgischen Nachwuchs gewinnen und halten“ inkl. den Leitfaden für das Praktische Jahr, das daran angelehnte Stationsplakat und einige Musterdokumente („Ablaufplan im PJ“ und „PJ Evaluation“) zum Downloaden finden Sie unter: https://www.bdc.de/pj-leitfaden

Ihre Ansprechpartnerin beim BDC zum Thema „Nachwuchs und Karriere“:

Dr. phil. Natalia Kandinskaja
Nachwuchs & Karriere
Tel: 030/28004-123
E-Mail: [email protected]

Joachim Pankert

Nikolas Psathakis

Jeremy Schmidt

Julika Steineck

Alphabetische Reihenfolge, alle Autor:innen haben gleichermaßen an diesem Manuskript mitgearbeitet. Alle Autor:innen sind bzw. waren Mitglied der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e.V. (bvmed)

Chirurgie+

Pankert J, Psathakis N, Schmidt J, Steineck J: Heute PJ – Morgen Chirurgie?! Passion Chirurgie. 2022 September; 12(09): Artikel 04_02.

Diesen Artikel finden Sie auf BDC|Online (www.bdc.de) unter der Rubrik Wissen | Aus-, Weiter- & Fortbildung | Medizinstudium.

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