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Die Zukunft erfordert neue Modelle für attraktive Lebenspositionen für die kommende Generation von Chirurginnen und Chirurgen. In diesem Beitrag wird beispielhaft dargestellt, wie im kleinstädtischen Bereich ein Modell für ein sektorenübergreifendes Gelenkzentrum entwickelt wurde, welches zukunftsfähige berufliche Chancen für alle Beteiligten bietet. Die Strukturen der Praxis am Wall in Rinteln – Gelenkzentrum Schaumburg – wurden in der Passion Chirurgie 9/2012 ausführlich dargestellt [3].

Krankenhauskarriere oder Niederlassung?

Schon seit vielen Jahren wird die Tätigkeit als Chirurg in einer Praxis oder einem ambulanten Operationszentrum nicht mehr als „Notnagel“ bei einem Karriereknick im Krankenhaus betrachtet [2]. Die Bereitschaft zur Tätigkeit als Freiberufler hat jedoch in letzter Zeit stetig abgenommen. Dabei spielen gesamtgesellschaftliche Trends („Generation Y“[1]) eine Rolle, jedoch auch zahlreiche inhaltliche und formale Hindernisse, die durch eine geeignete Organisation und vor allem durch eine stationär-ambulante Kooperation weitgehend beseitigt werden können.

Arbeitszufriedenheit

Operatives Spektrum

In früheren Jahren war der Wechsel aus dem Krankenhaus in die Praxis meist mit einer erheblichen Einschränkung des operativen Spektrums verbunden. Dies stellte gerade für Chirurgen eine individuell unterschiedlich stark ausgeprägte Barriere dar. Die rasante Entwicklung der ambulanten Operationen konnte dies teilweise kompensieren. Außerdem gab es schon früher die Möglichkeit, als Belegarzt weiterhin stationäre Patienten zu betreuen und auch größere Operationen durchzuführen. Es sind vorwiegend wirtschaftliche Gründe, die dieses an sich ideale Modell in den letzten Jahren in Schwierigkeiten gebracht haben. Die Alternative, bestimmte Operationen durch Kooperationsärzte (Honorarärzte) durchführen zu lassen, hat viele Krankenhäuser veranlasst, die Belegabteilung in Hauptabteilungen umzuwandeln, um dem 20 prozentigen Abschlag auf die DRG zu entgehen. Die daraus in regional unterschiedlichem Ausmaß entstehenden Probleme sind ausgiebig in der Öffentlichkeit und den Berufsverbänden und Fachgesellschaften diskutiert worden.

Unsere Lösung besteht in einer Tätigkeit aller Praxispartner sowohl als niedergelassene Chirurgen als auch als (Teilzeit-)Angestellte des kooperierenden Krankenhauses. Dies ermöglicht weiterhin die operative Tätigkeit auf hohem Niveau, allerdings auch beschränkt auf das Spektrum der operativen Spezialisierung (Schulterchirurgie bzw. Hüftgelenkschirurgie). Aus Gründen der Kapazität und aus strategischen Überlegungen ist einer der Partner darüber hinaus als Belegarzt an einem weiteren (Beleg-)Krankenhaus im Bereich der Kniegelenkschirurgie tätig. Alle fünf Partner stellen gemeinsam die durchgängige Betreuung unserer stationären Patienten auch im postoperativen Verlauf sowie zu den Unzeiten sicher. Die aus dem Krankenhausbereich 2012 neu in unsere Praxis eingetretenen Chirurgen begrüßen vor allem die Möglichkeit, die Patienten jetzt bei entsprechendem Wunsch kontinuierlich von der Diagnose und Indiktionsstellung über die Operation und Nachbehandlung in der Klinik bis zur postoperativen Nachsorge kontinuierlich und kohärent betreuen zu können.

Flache Hierarchie

In Umfragen unter Krankenhausärzten werden häufig überkommene hierarchische Strukturen kritisiert. Dagegen ist eine kollegiale Zusammenarbeit auf Augenhöhe in einer Gemeinschaftspraxis selbstverständlich. Es darf natürlich nicht übersehen werden, dass dies ein hohes Maß an Kollegialität, Toleranz und Souveränität voraussetzt. Es ist daher nach unserer Erfahrung hilfreich, wenn sich potenzielle Praxispartner schon längere Zeit kennen und möglichst auch aus einer gemeinsamen Therapie-Schule stammen. Da dies nicht immer möglich sein wird, empfiehlt es sich, die gemeinsamen Ziele der Zusammenarbeit vor Aufnahme der Kooperation als Kernpunkte in einem „letter of intent“ zu konsentieren. So kann man zumindest grobe Missverständnisse in der strategischen Ausrichtung der Gemeinschaft vermeiden. Voraussetzung ist natürlich eine Gemeinschaftspraxis, denn die Tätigkeit als „Einzelkämpfer“ in einer Einzelpraxis kann eben diesen kollegialen Diskurs nicht bieten und wird vom chirurgischen Nachwuchs auch aus diesem Grund zunehmend als unattraktiv betrachtet.

Familienfreundlichkeit

Junge Chirurginnen und Chirurgen sind häufig auch junge Mütter und Väter, die nicht mehr akzeptieren, ihren Nachwuchs nur mehr oder weniger zufällig und im Urlaub zu erleben. Freie Nachmittage und Flexibilität bei der Urlaubs- und Freizeitplanung gehören zu den wichtigsten strukturellen Angeboten attraktiver Arbeitsplätze. Eine große Gemeinschaftspraxis kann ihre Dienstpläne in gewissem Umfang flexibel gestalten und somit auf die Wünsche der Partner eingehen.

In unserer Praxis kann so z. B. auf die berufspolitischen Termine des Autors Rücksicht genommen werden, während andere Partner freie Nachmittage für Familie und Sport oder einen möglichst späten Beginn des Arbeitstages im Fokus haben. Natürlich müssen an allen Tagen die Kernzeiten an den Standorten eingehalten werden, so dass die Flexibilität während der Urlaubszeit und bei Erkrankungsfällen ihre Grenzen findet. Trotzdem war dieser Aspekt beim Eintritt der zwei neuen Partner im Jahr 2012 ein wesentlicher Aspekt.

Für die Zukunft bietet unser Modell auch die Möglichkeit, Halbtagsstellen anzubieten, je nach Vorliebe auch in einer Angestelltenposition. Eine Kinderkrippe befindet sich in fußläufiger Entfernung unserer Praxis, sodass wir hoffen, in der Zukunft auch jungen Chirurginnen einen attraktiven Arbeitsplatz anbieten zu können.

Wirtschaftliches Risiko

Unabhängig davon, dass sich die Lebensentwürfe der nachfolgenden Chirurgengeneration grundlegend gewandelt haben [1] ist es nachvollziehbar, dass der Schritt in die Selbständigkeit heute schwerer fällt als vor einigen Jahrzehnten. Die mit einer Niederlassung verbundene relative Sicherheit eines wirtschaftlichen Erfolges gehört definitiv der Vergangenheit an. Es herrscht insbesondere in Ballungsgebieten ein harter Wettbewerb der Praxen untereinander und zunehmend auch mit den ambulanten Einrichtungen der Krankenhäuser. Diese Tatsache ist natürlich auch den Banken bekannt, so dass die Finanzierung einer neuen Praxis mit Investitionskosten im hohem sechsstelligen Euro-Bereich heute keineswegs ein „Selbstläufer“ ist.

Die heute übliche Alternative ist der Einstieg als Partner in eine existierende und funktionierende Gemeinschaft. Ein Einblick in die betriebswirtschaftliche Analyse des Betriebes ist legitim und dürfte die finanziellen Sorgen deutlich verringern. Erfahrene Chirurginnen und Chirurgen aus (leitenden) Oberarztpositionen sind gesucht und haben heutzutage eine hervorragende Verhandlungsposition beim Einstieg in den niedergelassenen Bereich.

Unser Gelenkzentrum basiert auf einer unfallchirurgischen D-Arzt-Praxis, die seit den 50er Jahren als Einzelpraxis in der Kleinstadt Rinteln (26.800 Einwohner) im Landkreis Schaumburg (Südwest-Niedersachsen) geführt wurde und dort bestens im Bewusstsein der Bevölkerung etabliert ist. 1994 erfolgte die Erweiterung zur Gemeinschaftspraxis mit zwei Partnern. Ein entscheidender Schritt zur sektorenübergreifenden Erweiterung war der Eintritt eines weiteren Partners, der nicht nur eine dezidierte operative Expertise (Kniegelenkschirurgie) mit einbrachte, sondern auch ambulant und belegärztlich an einem weiteren Standort im benachbarten Minden/Westfalen tätig werden konnte. Grundlage der finanziellen Vereinbarungen war die Zusicherung, dass der individuelle Gewinnanteil des neuen Partners mindestens dem bisherigen Oberarztgehalt entsprechen sollte.

Die Umsetzung einer solchen Vereinbarung ist natürlich stets davon anhängig, dass sich der angestrebte wirtschaftliche Erfolg auch tatsächlich einstellt. Andererseits erwarten die „Alt-Partner“ natürlich, dass ein neu eintretender Partner mindestens seinen angestrebten Gewinnanteil durch die Erweiterung des Leistungsspektrums und einen entsprechenden Umsatzzuwachs erwirtschaftet. Für den neuen Partner bietet eine solche Regelung aber einen recht guten Schutz vor einem unkalkulierbaren Risiko bei Neugründung einer Praxis und den hohen Investitionskosten. Dabei muss aber bedacht werden, dass die für Leistungsträger in den Kliniken bezahlten Oberarztgehälter durch Zulagen, Gutachten Poolanteile etc. deutlich über den für die Kalkulation des EBM zugrunde gelegten ca. 105.000,00 Euro/Jahr liegen. Auf die Dauer muss hier natürlich eine Steigerung angestrebt werden, um dem Engagement als Freiberufler einen entsprechenden Unternehmerlohn entgegenzusetzen und die Investition in den Kauf eines Praxisanteils und einer Vertragsarztzulassung zu amortisieren.

Regress-Gefahr

Die Gefahr von Arzneimittel-Regressen ist für Chirurgen gering. Jedoch spielt insbesondere im Bereich der orthopädischen Chirurgie die Gefahr eines Heilmittel-Regresses („unwirtschaftliche“ Verordnung von Krankengymnastik) eine wichtige Rolle. Sehr häufig können angedrohte Regresse durch Nachweis der Wirtschaftlichkeit abgewendet werden. Dies bedeutet jedoch einen immensen bürokratischen Aufwand für die Praxisinhaber und die emotionale Belastung durch Regressforderung im sechsstelligen Euro-Bereich ist abschreckend. Auf berufspolitischer Ebene wird angestrebt, das Regress-Risiko grundsätzlich abzuwenden, da es sich insbesondere für den hausärztlichen Bereich als wesentlicher Hinderungsgrund für Niederlassungen darstellt.

Für den Neueinsteiger in eine Facharztpraxis bietet die Zusammenarbeit und Erfahrung der bisherigen Praxispartner einen gewissen Schutz. Die Altpartner kennen in der Regel die regionalen Erfordernisse (Kennzeichnung von Praxis-Besonderheiten) und können den neuen Partner im gemeinsamen Interesse davor schützen, in die „Verordnungsfalle“ zu geraten.

Bürokratie

Die ungewohnte Bürokratie mit Abrechnung, Plausibilität und betriebswirtschaftlicher Organisation stellt eine nicht unerhebliche Belastung für neu Niedergelassene dar. Dies kann durch den Eintritt in eine bestehende Gemeinschaftspraxis weitgehend entschärft werden. Die Altpartner werden dem Neuling anfangs selbstverständlich mit ihrer Erfahrung sämtliche derartige Unannehmlichkeiten vom Hals halten und für einen sanften Einstieg und Übergang dieser Aufgaben sorgen.

Ungelöste Probleme

Obgleich wir mit den ersten Erfahrungen unseres neuen Modells sehr zufrieden und alle betriebswirtschaftlichen Prognosen bisher eingetroffen sind, muss doch bedacht werden, dass wir erst ein halbes Jahr damit unterwegs sind. Wir sind von unserem Konzept überzeugt, können jedoch auch nicht alle Probleme lösen, die auch im Klinikbereich virulent sind.

Weiterbildung

Bei der Vorstellung unseres Modells auf dem Chirurgenkongress 2012 in Berlin gab es berechtigte Kritik aus den Reihen der Weiterbildungsassistenten. Nicht ganz zu Unrecht wurde befürchtet, dass unser Modell die Anzahl der Weiterbildungseingriffe weiter schmälern würde. Dieses Problem wäre allerdings aus unserer Sicht lösbar. Wir streben ein Engagement in der Weiterbildung zum Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie im Verbund mit den kooperierenden Krankenhäusern an. Die größte Hürde ist zurzeit der ökonomisch diktierte Zwang zu extrem kurzen Operations- und Wechselzeiten. Gäbe es, wie auch von zahlreichen Kliniken gefordert, eine zusätzliche finanzielle Förderung für die Weiterbildung, so würden auch wir uns gerne in die Weiterbildung des chirurgischen Nachwuchses einbringen.

Refinanzierung von Investitionen

Die Kosten- und Strukturanalyse des BDC [4] hat bewiesen, dass nicht nur in den Kliniken, sondern auch in den Praxen ein erheblicher Investitionsstau besteht. Notwendige Modernisierungen und Ersatzbeschaffungen werden verschoben, weil die Investitionen aus den Honorarerträgen nicht finanziert werden können. Diese Hypothek auf die Zukunft muss bei der geplanten Neubewertung der Gebührenordnungen durch Anhebung der Kostenkalkulation unbedingt berücksichtigt werden.

Rechtliche Konstruktion

Obgleich der politische Wille und die aktuelle Gesetzgebung eindeutig den Weg zu einer zunehmenden stationär-ambulanten Kooperation ebnen, hat sich die bisherige Rechtsprechung diesbezüglich als äußerst restriktiv erwiesen. Es bleibt daher trotz intensiver Rechtsberatung und Absicherung stets eine gewisse juristische Unwägbarkeit für Modelle wie unseres zurück. Wir haben daher bei allen unseren vertraglichen Vereinbarungen streng darauf geachtet, dass stets marktübliche Konditionen vereinbart wurden und sämtlichen Entgelten entsprechende Leistungen gegenüberstehen.

Fazit

Zusammenfassend haben wir mit unserem Gelenkzentrum das umgesetzt, was wir uns schon seit Jahren gewünscht hatten. „Machen, was denkbar ist“ bedeutet für uns, dass nunmehr alle fünf Partner unserer Praxis sowohl als Niedergelassener als auch als angestellter Krankenhauschirurg tätig sind und dass wir eine eigene Sektion für Schulter- und Gelenkchirurgie im Evangelische Krankenhaus Bethel in Bückeburg betreiben. Noch vor zehn Jahren hätte man eine solche Konstruktion als vollkommen undenkbar bezeichnet. Der Facharztmangel im ländlichen Bereich schreitet voran und wir sind gespannt, welche weiteren stationär-ambulanten Kooperationsmöglichkeiten sich in der Zukunft noch ergeben werden, um überhaupt noch eine ausreichende fachärztliche Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten.

Literatur

[1] Hucklenbroich, Christina: Der alte Arzt hat ausgedient. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 25.4.2012

[2] Kalbe, P.: Welchen Chirurgentyp braucht die chirurgische Praxis der Zukunft? Chirurg BDC 9/2007 und BDC Online 11.9.2007

[3] Kalbe P. Enge transsektorale Kooperation im kleinstädtischen Bereich am Beispiel der Praxis am Wall in Rinteln- Gelenkzentrum Schaumburg. Passion Chirurgie. 2012 September; 2(09): Artikel 02_02.

[4] Rüggeberg, J-A.: Chirurgie am Limit. Erste Ergebnisse der Kosten-Struktur-Analyse Ambulante Chirurgie. BDC Online 01.12.2010

Kalbe P. Machen was denkbar ist: Verzahnung stationär-ambulant am Beispiel der Praxis am Wall in Rinteln – Gelenkzentrum Schaumburg. Passion Chirurgie. 2012 Oktober; 2(10): Artikel 02_02.

Autor des Artikels

Profilbild von Kalbe

Dr. med. Peter Kalbe

Vizepräsident des BDCGelenkzentrum SchaumburgStükenstraße 331737Rinteln kontaktieren

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