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CHIRURGIE+
Leserbrief

Betrifft: Artikel aus Passion Chirurgie 09/QIII/2022: „Mindestmengen bei der chirurgischen Behandlung von Lungenkrebs“ von Dr. med. Gunda Leschber und PD Dr. habil. Pia Menges. Sie finden den Artikel auf BDC|Online (www.bdc.de) im Bereich POLITIK, oder klicken HIER.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

mit Verweis auf die Publikation von Nimptsch et al. 2017 mit Sinken der Krankenhaus-Sterblichkeit unter den bundesweiten Durchschnitt von 2,9 Prozent ab 108 durchgeführten Operationen, die sich zudem nur in vier von sechs untersuchten, nicht thoraxchirurgischen Entitäten zeigte, werden trotzdem in der konkreten Entscheidung des Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) vom 16.12.21 nur 75 anatomische Lungenkrebs-Operationen pro Standort beschlossen, was von den Autorinnen Leschber und Menges unkommentiert bleibt, jedoch in Anbetracht der Mindestmengen bei anderen Organen eine gewisse Willkür des G-BA erkennen lässt.

Es wiederhole sich die Zahl 75, so weiter, die die Deutschen Krebsgesellschaft bei der Zertifizierung zum Lungenkrebszentrum als Anzahl von Eingriffen definiert habe, die eine Expertise auf dem Gebiet der Thoraxchirurgie und der beteiligten Fachabteilungen ausweise.

Völlig unberücksichtigt bleiben bei der rein quantitativen Forderung der Leistungszahlen in der Festlegung des G-BA allerdings die hohen qualitativen Anforderungen bei der Zertifizierung zu einem Lungenkrebszentrum. Ebenso unberücksichtigt bleibt auch die Anzahl und berufliche Erfahrung der operierenden Ärzte.

Ein Beispiel: In einem Lungenkrebszentrum mit einem Chefarzt, drei Oberärzten und vier Assistenzärzten werden 75 anatomische Resektionen durchgeführt, das macht für jeden neun Operationen im Jahr. Werden diese hingegen in einer kleinen spezialisierten Einheit mit zwei Fachärzten und einem Assistenzarzt durchgeführt, kommen im Schnitt auf jeden 25 Operationen. Ebenso kann die Erfahrung eines gestandenen Thoraxchirurgen nach vielen Berufsjahren nicht mit der eines jungen Facharztes, der zum ersten Mal den Zenit von 75 durchgeführten Operationen erreicht hat, verglichen werden. Eine differenziertere Betrachtung wäre daher angebracht.

Prinzipiell wird sich niemand dagegen verwahren, dass eine höhere Anzahl von durchgeführten Operationen nach Verlassen der Learning Curve eine höhere Qualität liefert, jedoch sollte ein entsprechendes Augenmaß angewendet werden. Ich zitiere die Aussagen der Deutschen Krankenhausgesellschaft zu diesem Thema im Interview mit dem Deutschen Ärzteblatt (DÄ), Deutsches Ärzteblatt, Jg. 119, Heft 12, 25. März 2022: „Während Mindestmengen im niedrigeren Bereich durch Ausschluss von Gelegenheitsversorgung die Qualität ohne wesentliche Nachteile steigern können, führen hohe Mindestmengen bei nur geringfügig weiter steigender Qualität zu einer deutlichen Zunahme der Nebenwirkungen beziehungsweise negativen Auswirkungen“, erklärt die DKG gegenüber dem DÄ … Mit den beschlossenen Mindestmengen für Brust- und Lungenkarzinome werde möglicherweise jedoch gerade das Gegenteil erreicht … Die DKG habe […] eine Mindestmenge von 20 für die Operation eines Lungenkarzinoms vorgeschlagen … „Dies konterkariert unsere Bemühungen um eine Verbesserung der Versorgungsqualität.

Die Mindestmengen bei spezialisierten viszeralchirurgischen Eingriffen hat nicht die Schließung der chirurgischen Klinik zur Folge, da diese durch zahlreiche andere Operationen kompensiert werden kann. In der Thoraxchirurgie stellen die anatomischen Resektionen jedoch das wesentliche Element dieses Fachbereichs dar, sodass ein Wegfall derselben die Schließung der gesamten thoraxchirurgischen Abteilung befürchten lassen muss.

Durch Wegfall der anatomischen Resektionen von Lungenkrebserkrankungen werden langfristig an diesen Standorten auch sämtliche weiteren thoraxchirurgischen Interventionen verschwinden, spätestens dann, wenn die verbliebenen Thoraxchirurgen in ein Zentrum wechseln oder in Rente gehen. Damit wird sich die gesamte flächendeckende thoraxchirurgische Versorgung in Deutschland verschlechtern oder die Patienten werden auch bei geringfügigeren Lungenerkrankungen die Zentren überfüllen und diese von ihrem eigentlichen spezialisierten Auftrag abhalten.

Die Aussage der Autorinnen, dass bei der Anzahl von 75 noch genügend Leistungserbringer der Kliniken übrig blieben, die eine flächendeckende Versorgung der Bevölkerung sicherstellen würden, trifft zumindest für das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern schon jetzt nicht zu, das es bis zum heutigen Tag nicht geschafft hat, auch nur ein einziges zertifiziertes Lungenkrebszentrum – mangels Zahlen in dem dünn besiedelten Flächenland – zu etablieren.

Mit freundlichem Gruß

Dr. med. Wolfram Klemm

Antwort der Autorinnen

Sehr geehrter Herr Dr. Klemm,

Die nach dem Beschluss des G-BA entstandene Diskussion um die konkrete Zahl der Mindestmenge von 75 anatomischen Resektionen pro Jahr ist absolut richtig, nachvollziehbar und gerechtfertigt. Im Entstehungsprozess war allen Beteiligten präsent, dass diese Zahl zwangsläufig dazu führen würde, dass deutschlandweit einige kleinere Standorte keine thoraxchirurgischen Operationen mehr anbieten können. Dies wurde jedoch dem Ziel der größtmöglichen Qualität der Therapie für die Patienten nachrangig gestellt.

Letztlich geht die quantitative Forderung des G-BA sicher mit einer qualitativen Verbesserung einher, weil schließlich gerade in der Chirurgie ein wesentlicher Erfolgsfaktor die Erfahrung aufgrund vieler vorgenommener Eingriffe ist. Dabei wurde auch im Entstehungsprozess sehr umfangreich berücksichtigt, dass eine thoraxchirurgische Therapie immer eine Teamleistung ist. Der Erfolg einer thoraxchirurgischen Operation begründet sich ja nicht nur auf dem Können der Chirurgin/des Chirurgen, sondern hängt im Ganzen von der Erfahrung der Anästhesie ab, von der Qualität der intensivmedizinischen Betreuung, von der Expertise der involvierten Pneumologie, vom Kenntnisstand der Radiologie etc. Und gerade weil die thoraxchirurgische Therapie eine Teamleistung ist, ist die differenzierte Betrachtung eines gestandenen Thoraxchirurgen vs. jungem Facharzt, wie im Leserbrief vorgeschlagen, nicht hilfreich, da in diesem Fall eben alle Disziplinen dieser Beobachtung unterzogen werden müssten. Die Studie von Nimptsch hatte ja sogar noch den höheren Grenzwert von 108 Operationen bei Lungenkrebs ergeben, ab dem die Sterblichkeit der Operation unter den Bundesdurchschnitt sinkt. Auch dabei wurde nur das Ergebnis des Krankenhauses, nicht aber des einzelnen Operateurs gewertet.

Für ein Flächenland wie Mecklenburg-Vorpommern hat der Wegfall von Standorten für die einzelnen Patienten sicherlich die Konsequenz, dass sich hier Fahrzeiten zum nächsten thoraxchirurgischen Zentrum verlängern werden. Dies ist in den ländlichen Gebieten jedoch auch heute schon der Fall. Im Entstehungsprozess beim G-BA wurde davon ausgegangen, dass der einzelne Patient eine längere Fahrzeit gerne in Kauf nimmt, wenn ihm dafür eine höhere Qualität zugesichert werden kann. Die Etablierung von Lungenkrebszentren in diesem Bundesland ist nun nach Einführung der Mindestmenge in Zusammenhang mit der Übergangsfrist nur mehr eine Frage der Zeit.

Dr. Gunda Leschber & PD Dr. Pia Menges

Dr. med. Wolfram Klemm

Chefarzt Chirurgische Klinik II

Thorax- und Gefäßchirurgie

MediClin Müritz-Klinikum

Weinbergstraße 19

17192 Waren (Müritz)

[email protected]

Chirurgie+

Klemm W: Leserbrief. Passion Chirurgie.
2023 Januar/Februar; 13(01/02):
Artikel 04_08.

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BDC|Online (www.bdc.de) unter der Rubrik Wissen | Politik.

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