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Seit mehr als einem Jahrzehnt wird in Deutschland über Probleme der chirurgischen Weiterbildung diskutiert. Dabei lag bislang der Fokus auf dem ökonomischen, sozialen und legalen Rahmen, der sich negativ auf die Weiterbildung auswirkt. Beispiele sind Effizienz- und Wachstumsanforderungen an chirurgische Abteilungen, das Arbeitszeitgesetz, die Zusammenarbeit in interkulturellen Teams oder die Generationszugehörigkeit von Assistenzenzärzten. Jede dieser Zuschreibungen mag ihre Bedeutung haben. Aber die Fokussierung auf Rahmenbedingungen verstellt den Blick auf ein Veränderungspotential, das in Reichweite der Abteilungen liegt. Denn ein Teil der Ausbildungsmisere ist hausgemacht. So ist die Bedeutung der Weiterbildungsorganisation und die Qualifikation chirurgischer Ausbilder zu wenig gesehen worden. Im Folgenden soll daher die Rolle der Oberärzte für die Weiterbildung beleuchtet werden.

Delegation der Weiterbildungsverantwortung

Entscheidend für die Weiterbildung ist, welche Rolle sie im Führungsverständnis von Chefärzten spielt. Wird sie als Möglichkeit gesehen, methodische Konstanz und operative Qualität in einer Abteilung zu gewährleisten, werden Chefärzte ihre Ausbilderrolle aktiv ausüben. Aufwertung erfährt die Ausbildung auch, wenn ein Zusammenhang zwischen Personalakquise und Weiterbildung gesehen wird. Nicht zuletzt sehen viele Chefärzte in ihrer Weiterbildungsbefugnis eine kollegiale Verpflichtung dem Nachwuchs gegenüber.

In den meisten chirurgischen Abteilungen verfügt der Chefarzt zwar über die Weiterbildungsbefugnis, überträgt aber die Organisation und das chirurgische Training den Oberärzten. Heute ist die Delegation dieses entscheidenden Aspekts der Weiterbildungsverantwortung mit der Arbeitsverdichtung der Chefärzte begründbar. Sie hat aber historisch gesehen andere Ursachen.

Wir dürfen nicht vergessen, dass die Chirurgie hierzulande stark durch autokratische Machtstrukturen und hierarchische Führungsparadigmen geprägt wurde. Diese begünstigen eine einseitige Orientierung der Arbeitsprozesse an den Bedürfnissen von Führungskräften. Zudem entsteht in chirurgischen Abteilungen aufgrund der essentiellen handwerklichen Qualifikation automatisch eine auf Expertise gründende Machtstellung. Die zeitintensiven und enervierenden Aspekte der praktischen Ausbildung stehen dazu in einem ungünstigen Verhältnis. Daher war die Vernachlässigung der Interessen des chirurgischen Nachwuchses ebenso logisch wie die Übertragung der Weiterbildungsverantwortung an nachgeordnete Ärzte. Delegation und auch Desorganisation der Weiterbildung stammen aus einer Zeit, in der die ökonomischen Rahmenbedingungen für Kliniken nicht den heutigen Verhältnissen entsprachen.

Die Rolle der Oberärzte

Das Training im Operationssaal ist der zentrale Weiterbildungsinhalt der Chirurgie. Wird aber die Verteilung und die Begleitung der Trainingseinheiten nicht vom Weiterbildungsbefugten, sondern von Oberärzten übernommen, sind Weiterbildungsbefugnis und Organisation der Weiterbildung an einer strategischen Schnittstelle getrennt – eine Art Querschnittslähmung.

Nun wäre die Übertragung von Teilen der Weiterbildungsverantwortung kein Problem, solange dieser Übergang gewissen Regeln folgen würde. Aber ist dies der Fall?

Wo existiert zum Beispiel die Funktion eines explizit ernannten ausbildungsverantwortlichen Oberarztes?

Wo wird Oberärzten ein Zeitkontingent für die Wahrnehmung der übertragenen Weiterbildungsaufgaben zuerkannt?

Und welche Möglichkeiten haben engagierte Oberärzte, um Kompetenzen als Trainer zu erwerben? Der oberärztlichen Rolle mangelt es an Anerkennung und Unterstützung für die übertragene Weiterbildungsverantwortung. Und da die Übertragung in der Regel informell erfolgt, weißt die oberärztliche Ausbilderfunktion keine Struktur auf und unterliegt keiner Kontrolle. Nicht immer ist es dann die Schuld der Chefärzte, wenn das gegebene Weiterbildungsversprechen nicht eingelöst wird.

Für die Oberärzte hat die Übertragung der Ausbildungsverantwortung aber nicht nur Nachteile. Die meisten Chirurgen sind fasziniert von ihrem Beruf. Alle erfahren, dass sie während der ganzen Spanne ihrer beruflichen Entwicklung lernen. Schon deshalb sind viele Oberärzte engagierte Ausbilder. Aber die handwerkliche Routine eines Facharztes, der heute Oberarzt wird, entspricht nicht der eines Oberarztanwärters von vor 15 Jahren. Ein ausdifferenziertes minimal-invasives Operationsspektrum neben der offenen Chirurgie war damals noch nicht Standard. Dafür standen aber durchschnittlich mehr Stunden für das chirurgische Training im Operationsaal zur Verfügung. Jüngere Oberärzte sind heute oft darauf angewiesen, die übertragenen Ausbildungseingriffe nicht zu assistieren, sondern selbst durchzuführen. Bei den erfahreneren Kollegen können überbordende Zusatzaufgaben ihre Geduld und ihr Engagement an Grenzen führen.

Schwächen der Weiterbildungsordnung

Die Weiterbildungsordnung erkennt die gängige Praxis der Delegation implizit an, indem sie die weiterbildungsbefugten Ärzte nur zu einem jährlichen Gespräch verpflichtet. Denn mehr als eine Überwachungs- oder Kontrollfunktion kann man einem Gespräch pro Jahr nicht zubilligen. Weiterbildungsgespräche in der Chirurgie verlieren an Bedeutung, wenn sie sich nicht kurzfristig auf die Steuerung des praktischen Trainings auswirken können. Angesichts der gestiegenen Effizienzanforderungen an die OP-Koordination, ist diese Taktung nicht mehr zeitgemäß. Regelmäßige Gespräche in viel kürzeren Intervallen wären erforderlich, um die Eingriffe entsprechend dem Ausbildungsstand der Assistenzärzte zu verteilen. Je mehr Assistenten eine Abteilung hat, umso komplexer wird die Koordination. Bei einer jährlichen Überprüfung der Leistungskataloge ist das nicht einmal vorstellbar, wenn der Chefarzt die OP-Planung selbst übernimmt.

Was wir verändern sollten

Die in der Chirurgie seit vielen Jahren geübte Praxis der informellen Delegation von Weiterbildungsaufgaben sollte nicht fortgesetzt werden. Weder dürfte sie dem Führungsverständnis der heutigen Chefarztgeneration entsprechen, noch wird sie den hohen Anforderungen an die Ausbildungsorganisation gerecht. Daher sollte die Funktion der Oberärzte in der Weiterbildung anerkannt, neu definiert und unterstürzt werden.

Die Weiterbildungsordnungen der Lan­­des­ärztekammern sollten es weiterbildungsbefugten Ärzten ermöglichen, Teile der Organisation und Durchführung der Weiterbildung im Sinne einer Beauftragung explizit an ihre Oberärzte zu übertragen. Diese weiterbildungsbeauftragten Oberärzte müssten den Kammern gegenüber benannt werden können.

Der weiterbildungsbeauftragte Ober­­arzt übernimmt im Idealfall die OP-Koordination oder hat zumindest entscheidenden Einfluss auf die Verteilung der Operateure bei den Ausbildungseingriffen, sofern der Chefarzt nicht selbst als OP-Koordinator fungiert.

In der Weiterbildungsordnung könnten neben dem weiterbildungsbefugten Arzt auch weiterbildungsbeauftragte Oberärzte zur Dokumentation ihrer Gespräche zur Ausbildungskoordination verpflichtet werden.

Weiterbildungsbefugte Ärzte sollten sich verpflichten, einmal jährlich mit den Ober- und Assistenzärzten eine Weiterbildungskonferenz über die Ausbildungssituation ihrer Abteilung abzuhalten.

Für ihre organisatorischen Ausbildungsaufgaben und die Begleitung der operativen Trainingseinheiten sollte weiterbildungsbeauftragten Oberärzten ein angemessenes Zeitkontingent zur Verfügung stehen.

Weiterbildende Abteilungen sollten sich verpflichten, ihre ausgewiesenen Ausbilder für diese Aufgabe zu qualifizieren. Der Erwerb lerntheoretischer, didaktischer und organisatorischer Kenntnisse sollte nachgewiesen werden. Inzwischen existieren entsprechende Programme für ärztliche Ausbilder. Exemplarisch erwähnt sei hier das „Mastertrainer-Konzept“, das gemeinsam vom Berufsverband Deutscher Chirurgen (BDC) und dem Berufsverband Deutscher Internisten (BDI) angeboten wird.

Kyriss T., Friedel G. Im toten Winkel – die Rolle der Oberärzte für die chirurgische Weiterbildung. Passion Chirurgie. 2015 August, 5(08): Artikel 02_05.

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Dr. Thomas Kyriss

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