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Der scheinbar aus dem Nichts entstehende Rückenschmerz, unterhalb des Rippenbogens und oberhalb der Gesäßfalten, mit oder ohne Ausstrahlung, umfasst in der Regel gleichzeitig unterschiedlich ausgeprägte, somatische, psychische und soziale Komponenten.

Über 80 Prozent der Menschen leiden mindestens einmal in ihrem Leben an Schmerzen im Kreuz, Frauen häufiger – jede vierte Frau und jeder sechste Mann. 90 Prozent aller akuten Rückenschmerzen sind nach sechs Wochen verschwunden, trotzdem ist die Belastung für den Einzelnen direkt oder indirekt im Ereigniszeitraum enorm. Für unsere Sozialsysteme ist dieser Umstand personell und finanziell sehr anspruchsvoll.

Wir unterscheiden akute (weniger als sechs Wochen), subakute (sechs bis 12 Wochen) und chronische (länger als 12 Wochen) sowie rezidivierende Kreuzschmerzen – diese treten nach einer Beschwerdefreiheit von sechs Monaten wieder auf.

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Die Komplexität dieser Erkrankung verlangt, obwohl oft nur ein temporäres Ereignis, eine ganzheitliche Betrachtung, besonders unter dem Aspekt des Erkennens von „Red Flags“, bewusst der Tatsache, dass diese extrem selten sind. Eine primäre singuläre Ausrichtung auf ein Organsystem ist demzufolge nicht zielführend und führt sehr häufig in eine total andere, falsche Richtung.

An die „Red Flags“, Bandscheibenvorfälle, Spinalkanalstenosen, entzündliche Kreuzschmerzen, Osteoporose, Frakturen, Infektionen, Tumore, Spondylolisthesen, unklare Fieberschübe etc. muss gedacht werden und sie können sich hinter einer banal vorgetragenen Anamnese verbergen.

Auch begleitende Nacken-Kopfschmerzen einschließlich der Migräne, Erschöpfung, Schlafstörungen, Depressionen, Angst- sowie Belastungsstörungen werden vom Patienten gelegentlich benannt und haben individuell, in der Art und Weise des Anamnesegesprächs, unter Umständen oberste Priorität. Bei einer schweren Depression oder schweren Angststörung muss sich die Behandlungsstrategie diesem scheinbar fernen Symptomenkomplex anpassen.

Eine körperliche Untersuchung (möglichst neuro-orthopädisch) und entsprechend der Zuordnung des Beschwerdebilds gegebenenfalls eine adäquate Bildgebung – im Einzelfall auch kombiniert mit einer elektroneurophysiologischen Untersuchung – ist Standard.

Psychosoziale Faktoren, Depressionen, Somatisationstendenzen, Stress, kognitive Auffälligkeiten, Angststörungen, posttraumatische Verarbeitungsstörungen etc. die „Yellow Flags“, zeigen oft, wie auch arbeitsbedingte psychische und körperliche Belastungen, „Blue Flags“, den vollzogenen oder den Weg in eine Chronifizierung.

Nicht zuletzt aus diesen Gründen ist eine Zusammenarbeit zwischen Hausarzt, Orthopäden, Neurochirurgen und Neurologen bei komplizierten Vorgängen wünschenswert. Als Ziel der ärztlichen Tätigkeit, und hier dürfen die assistierenden Fachgebiete wie Psychologie, Physiotherapie, Ergotherapie etc. nicht vernachlässigt werden, steht die Identifikation des Schmerzgenerators an erster Stelle.

Risikoreiche Interventionen stehen immer an letzter Stelle der Kette von Behandlungsmöglichkeiten, die sich von Jahr zu Jahr mehren und in neuen bunten Gewändern, oft aber auch mit einer neuen Idee zum Vorteil des Patienten uns in die Hand gegeben werden.

Entscheidend ist die Zuordnung des Krankheitsbilds und dem folgend die Auswahl einer adäquaten Behandlungsstrategie, die zu 70 Prozent mindestens das Problem des Patienten lösen sollte und eine Risikobelastung, die weitestgehend gegen null geht.

Untersuchung

Grundsätzlich gilt: Finden sich beim Erstkontakt keine Hinweise auf eine ernstzunehmende Pathologie, ist eine erweiterte Diagnostik nicht nötig und von einer Heilung auszugehen.

Die unteren Abschnitte der Hals und Lendenwirbelsäule sind besonders betroffen. Körperliche auch psychosoziale Belastungen, natürlich in Abhängigkeit vom Alter, angeborene Handicaps, berufliche oder auch sportliche Expositionen, werden als Ursache am häufigsten benannt.

Ausstrahlende Beschwerden in den Kopf, aber auch besonders in die Nacken-Schulter-Arm-Region, beziehungsweise lumbal in Richtung des sakralen Übergangs, unter Einbeziehung des Iliosakralgelenks (ISG), der Hüfte, des Unterbauchs, komplizieren in einem hohen Maße dieses Krankheitsbild.

Da diese Beschwerden vom Patienten in einer unregelmäßig starken Ausprägung der Symptome, in unterschiedlichen Situationen und Lebensumständen wahrgenommen werden, ist die Frage „Wie würden Sie Ihre Beschwerden charakterisieren, was führt Sie zu uns?“ richtig, aber für den Patienten ausgesprochen schwierig stringent zu beantworten. Aus diesem Grund ist ein Anamnesefragebogen, der auf der Wartefläche beantwortet werden sollte, vorteilhaft.

Ob der Patient diesen Fragebogen ausfüllt oder nicht, ist zweitrangig, führt aber in jedem Fall dazu, dass er sich, während der Vorbereitung auf den Arztkontakt, mit seinen Problemen zeitnah noch einmal vertraut macht und diese intern zu den verschiedensten Ebenen seines Lebens (Grunderkrankungen, extreme Arbeitsbelastung, Unfälle, psychische Belastungsfaktoren…) zuordnet. Dass sich anschließende Arzt-Patienten-Gespräch, gestaltet sich deutlich einfacher.

In der Kommunikation ist zu beachten, dass bei der Darstellung der „Volkskrankheit“ Rückenschmerz, bestimmte populärwissenschaftliche Begriffe seitens des Patienten einfließen, die verwirren können und nicht korrekt sind. Erwähnt sei hier nur der Hexenschuss, die Lumbalgie, der Ischias oder der Lendenschmerz etc. Auch regionale sprachliche Unterschiede müssen hier unbedingt beachtet werden.

Schädigungen am peripheren beziehungsweise auch am zentralen Nervensystem führen zu einer entsprechenden neurologischen Symptomatik, die oft eine topografische Zuordnung gestatten.

Eine andere Dimension kommt einem chronifizierten Rückenschmerz zu, der durch sämtliche Facetten einer psychischen Begleitsymptomatik auffällt.

Die klinische Untersuchung erfolgt am Patienten, der bis auf die Unterwäsche entkleidet ist. Das Muskelrelief, die Muskelspannung und ihre Funktion sowie die Haltung beim Gehen, Stehen und Sitzen müssen Beachtung finden. Die Tatsache, dass der Mensch ab dem 30. Lebensjahr jeweils über zehn Jahre zehn Kilo Muskelmasse ohne sportliche Aktivität verliert, führt zu einem altersspezifischen Aussehen und Dynamik/Passivität. Ein ausbalanciertes Gehen und Stehen ist dann oft nicht mehr möglich. Die prävertebrale Muskulatur im Trio der Wirbelsäulen-ausbalancierenden Muskelgruppen (Bauchdecke, prävertebrale Muskulatur und die gerade Rückenmuskulatur) dominiert funktionell, sodass der Mensch nach vorn gebeugt seinem Schwerpunkt hinterherläuft.

Die Statik der Wirbelsäule in Ruhe und in der aktiven und bewusst geführten Bewegung gibt uns Informationen zur Balance bzw. Dysbalance unseres aufrechten, zweibeinigen Ganges. Zwingend ist unmittelbar beim Erstkontakt die Beurteilung der muskulär-nervalen Funktion. Sofern es hier Ausfälle gibt, ist eine umgehende Abklärung ohne Zeitverlust unausweichlich.

Therapieoptionen

Beim unkomplizierten Rückenschmerz steht die Einflussnahme des Arztes über die Erklärung der Beschwerdeursachen, der Therapieoptionen und über die Prognose für den Patienten im Vordergrund. Von einem positiven Ergebnis ist auszugehen.

Ist dies nicht der Fall, sollte interdisziplinär, bildgestützt der Symptomenkomplex beurteilt werden. Hier gilt es eine Besonderheit zu beachten: nämlich dass die Kollegen der bildgebenden Seite, oft ohne die klinische Symptomatik weiterzugeben, die gesamten Befunde, die sich digital auf dem Bildschirm darstellen, interpretieren, d. h. auch die normale Anatomie wird beschrieben. Dies kann dazu führen, dass Normvarianten, z. B. altersbedingte Veränderungen etc. in der Hand des Patienten und von ihm gelesen, einen Krankheitswert zugeschrieben bekommen, der an sich nicht besteht.

Abb. 1: Orientierende Darstellung einer Facetteninjektion und PRT

Es ist für den Behandler zwingend nötig, dass er die bildgebende Seite (MRT, CT, Röntgen) unter dem Aspekt der Klinik/Anatomie, so es möglich ist, auch schon unter Beachtung einer allumfassenden therapeutischen Möglichkeit, beurteilt. Die Beschreibung des Bildes muss deckungsgleich zu der des Radiologen sein, jedoch mit einer entsprechenden klinischen/therapeutischen kritischen Wertung.

Was passiert mit der Wirbelsäule im Verlauf des Lebens im Sinne einer vom Menschen verspürten Befindlichkeitsstörung, beziehungsweise Erkrankung? Von dem Verlust an Muskelmasse, zehn Prozent über zehn Jahre ab dem 30. Lebensjahr, haben wir schon erfahren. Weiterhin ist es so, dass die Reduktion an Elastizität des Faserrings der Bandscheibe mit weitestgehend selbstheilenden radiären und zirkulären Rissen sowie Wasserverlust des Gallertkerns zu einer „Sinterung“ des gesamten Segments nach Junghanns führt. Der Mensch wird kleiner – vier Millimeter pro Segment sind möglich. Sind die anatomischen Räume für diesen physiologischen Prozess ausreichend, ist die Folge eine funktionell zu korrigierende Bewegungseinschränkung.

Anders verhält es sich bei Einengungen der Neuroforamen und des Spinalkanals, auch durch knöcherne Anbauten der Wirbelkörper/-gelenke oder Discosen sowie durch Einschränkungen der Wirbelgelenkfunktion. Lumbalgie, Ischialgien oder Lumboischialgien mit oder ohne neurologische Symptome sind die Folge.

Die somatische Seite

Die beschriebenen Veränderungen müssen sich anamnestisch, klinisch und auf der bildgebenden Seite zuordnen lassen. Ist dann der Schmerzgenerator – oder auch mehrere – mit relativer Sicherheit dargestellt und ist die Therapiepalette umfänglich bekannt und wird beherrscht, kann die Indikation zur einer mindestens 70-prozentigen erfolgversprechenden Behandlung indiziert werden.

Abb. 2: Beispiel einer Facetteninjektion am Modell

Die begleitenden ambulanten oder stationären, funktionellen Behandlungen, wie auch die Psyche stabilisierende Therapieformen, sollen hier als bedeutsam benannt, aber nicht weiter beschrieben werden.

Perkutane Therapieverfahren wären (nur die Wichtigsten) die Injektionen von schmerz- und entzündungshemmenden Substanzen an den Schmerzausgangspunkt, an das Wirbelgelenk, in die Bandscheibe, an die Wirbelsäule-stabilisierenden Bänder, das Iliosakralgelenk, in den Spinalkanal und an den Spinalnerven.

Perkutane ergänzende denervierende Verfahren wären die Radiofrequenztechnik bzw. kryothermische Verfahren.

Die offenen operativen Eingriffe wären (nur die Wichtigsten) Nukleotomie, Dekom­pressionsverfahren, Spondylodese, Bandschei­benprothetik.

Perkutane Verfahren, besser als interventionelle Therapien bezeichnet, sind zu favorisieren, da die Ergebnisse ausgesprochen positiv, bei einer überschaubaren Risikobelastung und auch relativ geringen Kosten, sind. Als routinemäßiges Verfahren ist es seit 30 bis 40 Jahren in der Anwendung.

Die Komplexität der anatomischen Schädigungsmöglichkeit stellt sehr hohe Ansprüche während der klinischen Untersuchung an den Therapeuten. Oft ist der Schmerzgenerator nur verschwommen zu erkennen – gibt es vielleicht mehrere Schmerzgeneratoren? Haben wir hier eine Somatisierungsstörung?

Die interventionelle Schmerztherapie bietet hier neben der therapeutischen Seite auch eine diagnostische. Es werden Medikamente an den vermeintlichen Generator (Ort der Schmerzentstehung) injiziert oder später dieser – so nötig – mittels einer hohen elektrischen Frequenz oder Kälte dauerhaft ausgeschaltet. Geht es dem Patienten nach der Injektion gut, wird dieses Therapiekonzept weitergeführt, oder wir müssen in Richtung OP denken.

Bei der zu favorisierenden interventionellen Therapie ist die Kanülenplatzierung an den Ort der Schmerzentstehung unter Sicht zwingend.

Zum Einsatz kommen meist Röntgenstrahlen in der Verwendung eines Durchleuchtungsgeräts oder auch eine Computertomografie (CT).

Abb. 3: Wirbelgelenkinnervation (a. N. spinalis, b. Ramus anterior, c. Ramus posterior, d. Ramus lateralis, e. Ramus medialis)

Ziel ist es, mit einer geringen Menge eines Anästhetikums, oft in Kombination mit einem Kortisonpräparat, die alterierte anatomische Struktur seitens der Schmerzgenerierung auszuschalten und antientzündlich positiv zu beeinflussen.

Die Strukturen, die den Rücken-/Beinschmerz dominierend auslösen, sind die Wirbelgelenke. Dort sind neuroforaminale, spinale Engen unterschiedlichster Causa zu betrachten. Die Behandlung erfolgt in der Regel ambulant. Das Ziel einer mindestens 70-prozentigen Besserung der Symptomatik wird bei über 95 Prozent der Patienten erreicht. Eine Operation wird damit verhindert.

Unter Beachtung der Erfolgsaussicht und der Häufigkeit stehen die transforaminale (periradilkuläre) Injektion, die direkte Fazetteninjektion sowie die Injektion an die Äste des Ramus dorsalis (medialer, lateraler Ast) im Zentrum der interventionellen Therapie bei Lumboischialgien.

Die transforaminale, periradikuläre Technik ist bei radikulären Beschwerden zu favorisieren. Der pathophysiologische Hintergrund ist die Einflussnahme der Medikamente auf die durch Kompression ödematisierte Radix, besonders im anterioren Bereich.

Die zu erwartende Abschwellung der Wurzel über die Zeit und unter Umständen gefolgt von einer „biologischen“ Dehydration eines Bandscheibenvorfalls, so dieser durch den Nukleus pulposus definiert wird, lässt ein positives Ergebnis erwarten. Ein gallertig strukturierter Bandscheibensequester kann bei einer MRT-Kontrolle dann durchaus verschwunden sein.

Die Folge von Discosen oder Instabilitäten der Wirbelsäule führt zur enormen Belastung der Wirbelgelenke und ihrer Gelenkflächen, die als „Schiebegelenke“ entzündungsähnlich reagieren. Die Injektion in das einzelne Gelenk oder an mehrere ist erfolgversprechend.

Ein wichtiger Aspekt ist hier der Umstand, dass die lumbalgieformen Beschwerden in ihrer Dramatik oft der Bildgebung nicht folgen. Beginnend mit sechs Injektionen in die unteren drei Segmentgelenke beidseits der Lendenwirbelsäule, im Sinne der diagnostischen Zuordnung der Rückenschmerzen, ist oft als Einstieg in dieses Prozedere nötig. Bei Erfolg ist eine Höhen- und Seitenlokalisation möglich.

Abb. 4: Injektionsziele bei der Schmerztherapie; Zielpunkte: a. Wirbelgelenk, b. Scotty Doc/Ramus Dorsalis, c. Nervus spinalis

Eine Injektion an die dorsalen Äste führt zur Anästhesie der betroffenen Wirbelgelenke und ist vom Handling ähnlich der Facetteninjektion. Sie bietet jedoch durch die Selektion des entsprechenden Nervenpaars die Möglichkeit, durch eine Läsion derselben, durch eine mikrochirurgisch geführte OP, durch eine Radiofrequenzläsion oder mittels einer Kryodenervation einen schmerzlindernden Effekt über eine längere Zeit zu erreichen. Oft ist eine Kombination der Verfahren empfehlenswert.

 

Dr. med. Roland Minda

BAG für Chirurgie/Unfallchirurgie/Orthopädie

Durchgangsarztpraxis
Lübecker Straße 32

39124 Magdeburg

[email protected]

www.Orthospine-MD.de

Chirurgie

Minda R: CME-Artikel: Rückenschmerzen – interventionelle Schmerztherapie. Passion Chirurgie. 2023 Mai; 13(05): Artikel 03_01.

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