27.03.2019 Herzchirurgie
Herzchirurgen fordern Widerspruchslösung
„Für das menschliche Herz gibt es noch keinen Ersatz“
München – In Deutschland leben 1,8 Millionen Menschen mit einer Herzschwäche, einer Herzinsuffizienz. Davon warten gegenwärtig 700 schwer herzinsuffiziente Patienten auf ein Spenderherz. Viele überbrücken die Zeit mit einem Herzunterstützungssystem. Obwohl die Transplantationszahlen im vergangenen Jahr wieder leicht gestiegen sind, betrachten die deutschen Herzchirurgen den Organmangel mit Sorge und sprechen sich auf einer Pressekonferenz zum 136. Chirurgenkongress für die Widerspruchslösung in Deutschland aus. Auch der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH), Professor Dr. med. Matthias Anthuber, fordert dies.
Bei einer Herzinsuffizienz ist die Pumpfunktion des Herzens vermindert. Der Herzmuskel ist dann durch verschiedene, oft altersbedingt erworbene Erkrankungen – etwa Herzinfarkt, Herzklappenerkrankungen oder Herzmuskelschwäche – nicht mehr in der Lage, das Blut durch den Körper zu pumpen und die Organe mit genügend Sauer- und Nährstoffen zu versorgen. „Schreitet die Herzinsuffizienz voran und ist sie medikamentös nicht mehr ausreichend behandelbar, ist die Herztransplantation weiterhin Goldstandard für die meisten Patienten mit Herzschwäche im Endstadium“, sagt Professor Dr. med. Jan Gummert, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG).
Steht ein passendes Spenderorgan nicht rechtzeitig zur Verfügung, kommen für ausgewählte Patienten mit schwerster Herzinsuffizienz mechanische Herzunterstützungssysteme zum Einsatz. Sie sollen entweder die Wartezeit bis zum geeigneten Spenderorgan überbrücken oder als Langzeittherapie dienen, wenn eine Transplantation, zum Beispiel aufgrund einer Tumorerkrankung, nicht mehr als Therapieoption infrage kommt.
„Diese Herzunterstützungssysteme sind bei akut oder chronisch herzinsuffizienten Patienten die einzige Möglichkeit, das Überleben kurz-, mittel- und vor allem auch längerfristig zu ermöglichen“, erläutert Gummert, Direktor der Klinik für Thorax- und Kardiovaskularchirurgie, Herz- und Diabeteszentrum Nordrhein-Westfalen, Universitätsklinik der Ruhr-Universität Bochum. Am häufigsten werden derzeit elektrisch betriebene, kontinuierlich pumpende Systeme eingesetzt.
Insbesondere haben sogenannte linksventrikuläre Unterstützungssysteme (LVAD), die die Pumpfunktion der linken Herzkammer unterstützen, in den zurückliegenden Jahren an Bedeutung gewonnen. „Dies liegt vor allem auch an dem Mangel an Spenderorganen“, betont Gummert. Im Jahr 2018 wurden nach der DGTHG-Leistungsstatistik in Deutschland 903 LVAD implantiert. Mit diesem System leben nach zwei Jahren, je nach Risikoprofil und Alter, etwa 60 bis 80 Prozent der Patienten.
Zwar hat sich die Lebensqualität der Patienten durch die relativ kleinen, nahezu geräuschlosen und leichten Medizingeräte seit 2004 deutlich verbessert; dennoch ist weiterhin ein Stromkabel notwendig, welches durch die Bauchdecke geleitet wird und das LVAD mit Strom versorgt. Außerdem kann es zu schwerwiegenden Komplikationen kommen, etwa durch Infektionen oder Schlaganfälle. „Weitere Verbesserungen der Pumpen sind dringend notwendig, um die Komplikationsraten zu senken und die Lebensqualität zu verbessern“, meint Gummert. „So wäre eine transkutane Stromübertragung eine Risikominimierung für Infektionen.“
Hinzu kommt: Patienten, die mit einer mechanischen Herzunterstützung oder einem Kunstherz versorgt sind, werden nicht mehr als „hochdringlich“ („high urgent“) auf der Patientenliste für eine Herztransplantation geführt, sondern mit dem Status „transplantierbar“. „Dies führt zu einer Chance, ein geeignetes Spenderherz transplantiert zu bekommen, bei nur einem Prozent per annum“, berichtet der Herzchirurg. „De facto handelt es sich in Deutschland für die meisten Patienten mit LVAD also um eine Dauertherapie.“ Erst wenn lebensbedrohliche Komplikationen auftreten, erhalten diese Patienten den Status „hochdringlich“ und warten im Mittel vier Monate auf ein Spenderorgan.
„Für das komplexe menschliche Herz gibt es nach heutigem technischem Entwicklungsstand noch keinen adäquaten Ersatz“, resümiert Gummert. Das zeigen auch die Zahlen: Zehn Jahre nach einer Herztransplantation leben – statistisch gesehen – immerhin noch circa 60 Prozent der Patienten, wie die Daten der Internationalen Gesellschaft für Herz- und Lungentransplantation ISHLT ausweisen. „Nach erfolgreicher Transplantation erreichen herztransplantierte Patienten unter lebenslanger Einnahme abwehrunterdrückender Medikamente zumeist eine gute bis sehr gute Lebensqualität“, berichtet Gummert.
Aus diesem Grund fordert der DGTHG-Präsident die Widerspruchslösung bei der Organspende – dabei gilt jeder Bürger automatisch als Organspender, der nicht zu Lebzeiten ausdrücklich widersprochen hat oder dessen Angehörige eine Organentnahme ablehnen. „Wir deutschen Herzchirurgen sprechen uns explizit für die Widerspruchslösung aus, wie sie bereits in Österreich, Spanien, Holland und bald auch in Großbritannien praktiziert wird“, sagt Gummert. Diese Forderung vertritt auch Professor Dr. med. Matthias Anthuber, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie: „Es ist zumutbar, sich einmal im Leben mit der Frage nach dem eigenen Ableben auseinanderzusetzen und sich zu positionieren.“
Quelle: Deutsche Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie, Luisenstraße 58/59, 10117 Berlin, www.dgthg.de, 27.09.2017
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