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Allenthalben wird der fehlende ärztliche Nachwuchs beklagt. Dies betrifft neben den Krankenhäusern zunehmend auch die chirurgischen Facharztpraxen. Gemäß aktuellem Berufsmonitor 2018 [1] können sich immerhin 53,5 % der Studierenden eine Tätigkeit in einer eigenen Praxis vorstellen (2014: 60,3 %). Dabei geht der Trend eindeutig in Richtung Gemeinschaftspraxis (50,6 % vs. 39,9 % 2014) und zur Anstellung. Leider schwindet die Attraktivität des Fachs „Chirurgie“ mit der Dauer des Studiums: Während der Vorklinik können noch fast ein Drittel der Studierenden eine Tätigkeit in der Chirurgie vorstellen. Bis zum Praktischen Jahr (PJ) sinkt dieser Wert auf 18,1 % und es ist belegt, dass nach dem PJ nurmehr etwa 5 % Begeisterung für die Chirurgie aufbringen.

Bei der Frage nach Niederlassungshindernissen führen die Studierenden vor allem die Sorge vor einem hohen Maß an Bürokratie (62,3 %), vor einem hohen finanziellen Risiko (57,5 %), vor Regressen (46,7 %) und die Sorge vor geringem fachlichem Austausch (46,4 %) an.

Was bringt eine Famulatur in der Chirurgie?

Studierende beklagen vor allem mangelnde Einblicke in die Arbeitswirklichkeit chirurgischer Praxen. Die Ausbildung bezieht sich (bis auf die Allgemeinmedizin) fast ausschließlich auf klinisch relevante Krankheitsbilder und Krankenhausbehandlungen. Bei einem Workshop mit der Bundesvertretung der Medizinstudierenden (bvmd) beim Gemeinsamen Bundeskongress Chirurgie 2019 in Nürnberg wiesen deren Vertreter darauf hin, dass Facharztpraxen in den Curricula des klinischen Medizinstudiums praktisch keine Berücksichtigung finden. Dies obwohl die „Chirurgie des Häufigen“ ambulant und damit meist in den Praxen der niedergelassenen Chirurgen diagnostiziert und behandelt wird. Bezeichnender Weise sind in der aktuell gültigen Approbationsordnung (App. Ord.) nur je eine einmonatige Famulatur in einer allgemeinmedizinischen Praxis und eine zweimonatige Famulatur in einem Krankenhaus oder einer Reha-Einrichtung verpflichtend vorgeschrieben (Tab. 1). Den Hausärzten ist es bekanntermaßen gelungen, den drohenden Nachwuchsmangel politisch so zu platzieren, dass gesetzliche Gegenmaßnahmen ergriffen werden.

Tab. 1: § 7 der aktuell gültigen Approbationsordnung für Ärzte

§ 7 Famulatur

(1) Die Famulatur hat den Zweck, die Studierenden mit der ärztlichen Patientenversorgung in Einrichtungen der ambulanten und stationären Krankenversorgung vertraut zu machen.

(2) Die Famulatur wird abgeleistet

1.für die Dauer eines Monats in einer Einrichtung der ambulanten Krankenversorgung, die ärztlich geleitet wird, oder einer geeigneten ärztlichen Praxis,

2.für die Dauer von zwei Monaten in einem Krankenhaus oder in einer stationären Rehabilitationseinrichtung und

3.für die Dauer eines Monats in einer Einrichtung der hausärztlichen Versorgung.

Satz 1 Nummer 3 ist auf Studierende, die bis zum 10. Juni 2015 erstmals den Antrag auf Zulassung zum Zweiten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung gestellt haben, in der am 30. September 2013 geltenden Fassung anzuwenden. Wurde das Studium wegen Krankheit, Schwangerschaft, der Betreuung minderjähriger Kinder oder pflegebedürftiger Angehöriger unterbrochen, verlängert sich die in Satz 2 genannte Frist um ein Jahr.

(3) Eine im Ausland in einer Einrichtung der ambulanten ärztlichen Krankenversorgung oder in einem Krankenhaus abgeleistete Famulatur kann angerechnet werden.

(4) Die viermonatige Famulatur (§ 1 Absatz 2 Satz 1 Nummer 4) ist während der unterrichtsfreien Zeiten zwischen dem Bestehen des Ersten Abschnitts der Ärztlichen Prüfung und dem Zweiten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung abzuleisten. Sie ist bei der Meldung zum Zweiten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung in den Fällen des Absatzes 2 durch Bescheinigungen nach dem Muster der Anlage 6 zu dieser Verordnung nachzuweisen.

Es bleibt den Studierenden aber immerhin die Chance, in der wahlfreien Zeit (gemäß §1 (2) 1 der App. Ord.) eine einmonatige Famulatur in einer chirurgischen Praxis (Tab. 2) abzuleisten. Diese Möglichkeit sollten wir in den medizinischen Fakultäten propagieren und entsprechende Plätze für Famulaturen in unseren Praxen anbieten. Das eröffnet uns die Chance, einen großen Teil der oben erwähnten Vorurteile der Studierenden (bis auf die Bürokratie) zu entkräften.

Tab. 2.: Bescheinigung über Famulatur gemäß Anlage 6 der Approbationsordnung

Der/Die Studierende der Medizin ……………………………………….. ……………………………….

geboren am ………………………… in ……………………………… ist nach Bestehen des Ersten Abschnitts der Ärztlichen Prüfung vom …….. bis zum …………………………….. in der unten bezeichneten Einrichtung unter meiner Aufsicht und Leitung als Famulus tätig gewesen. Während dieser Zeit ist der/die Studierende vorzugsweise mit Tätigkeiten auf dem Gebiet ……………………………………………………………………. beschäftigt worden.

Die Ausbildung ist

()   unterbrochen worden vom ……………….     bis zum ……………………………..

()   nicht unterbrochen worden

…………………………………,  den …………………

……………………………………………………………

(Bezeichnung der Einrichtung, bei öffentlicher Stelle/Siegel)

………………………………………………….

(Unterschrift des/des ausbildenden Arztes/Ärzte)

Persönliches Engagement für den chirurgischen Nachwuchs

Wenn wir die jungen Medizinerinnen und Mediziner für die Chirurgie begeistern wollen werden wir nicht darum herumkommen, uns vermehrt in die Nachwuchsgewinnung aktiv einzubringen, und dies auf verschiedenen Stufen der Ausbildung:

Informationen über den Beruf des Chirurgen in Gymnasien

Unser Vizepräsident Dr. Rüggeberg hat schon erste Erfahrungen mit einer “Hands-on“- Veranstaltung in der Oberstufe eines Gymnasiums gesammelt. Die Schüler waren hellauf begeistert vom Naht- und Knotenkurs und einem einfachen Laparoskopie-Simulator. Es gibt zwar keinerlei Evidenz, dass dies einen positiven Einfluss auf die spätere Entscheidung für die Chirurgie hat, dürfte aber zumindest einen wichtigen ersten Schritt darstellen.

Wenn Sie auch am Gymnasium in der Nachbarschaft oder der Schule Ihrer Kinder für die Chirurgie werben wollen, können Sie über die Geschäftsstelle des BDC Unterstützung erhalten.

Chirurgie in der Niederlassung als Inhalt der Hauptvorlesung Chirurgie

In der nächsten Stufe der Ausbildung in den klinischen Semestern müssen wir den Kontakt mit den benachbarten medizinischen Fakultäten und den chirurgischen Hochschullehrern suchen und auch ein Engagement in der Hauptvorlesung „Chirurgie“ mit Themen aus der ambulanten Chirurgie anbieten. Eine solche Kooperation ist z. B. in der inneren Medizin aus der Medizinischen Hochschule Hannover bekannt. Dies sollte auch für die Chirurgie und regelmäßig an allen medizinischen Fakultäten angestrebt werden.

Famulatur in chirurgischen Praxen

In der nächsten Stufe müssen wir dann die oben erwähnten Praxis-Famulaturen anbieten und den Studierenden einen Einblick in die Arbeitstätigkeit der niedergelassenen Chirurgen bieten. Hier besteht erheblicher Nachholbedarf. Der Besorgnis der Studierenden über überbordende Bürokratie können wir mit dem Hinweis begegnen, dass sich die potenziellen Interessenten ohnehin zunächst als Angestellte und in der großen Mehrzahl in Gemeinschaftspraxen sehen. In diesen Konstrukten dürfte es ohnehin üblich sein, dass die administrative Last – zumindest vorübergehend – beim Seniorpartner verbleibt.

Nur Mut: Kein Durchschnittsjob: ChirurgIn – Kampagne des BDC

Eine sehr wichtige Rolle in der Nachwuchsgewinnung spielen die regelmäßig ausgebuchten „Chirurgie zum Mitmachen“-Workshops des BDC (www.chirurg-werden.de), die nunmehr schon seit mehr als zehnten Jahren um chirurgischen Nachwuchs werben. In die gleiche Richtung wirkt der gemeinsam mit den internistischen Kollegen sehr erfolgreich aufgelegte Nachwuchs-Kongress „Staatexamen und Karriere“ (www.staatsexamen-und-karriere.de).

Optimierung der Ausbildung im Praktischen Jahr/Akademische Lehrpraxis Chirurgie

Die meisten Interessenten für unser Fach verlieren wir jedoch während des Praktischen Jahres. Dabei kritisieren die Studierenden vor allem den Einsatz als „billige Hilfskräfte im OP.“ Sie wünschen sich vor allem die Betreuung eigener Patienten unter Aufsicht und Anleitung. Hier bietet sich eine Chance auch für größere und sektorenübergreifend tätige chirurgische Praxen, sich als akademische Lehrpraxen für Chirurgie zu etablieren. Nach der Approbationsordnung (Tab. 3) können bis zu acht Wochen des jeweiligen Ausbildungsabschnittes (der drei Tertiale im PJ) im ambulanten Bereich erfolgen. Somit wären acht Wochen Chirurgie und acht Wochen im Wahlfach, zusammen also 16 Wochen in einer Praxis möglich. Dem BDC sind bisher keine akademischen Lehrpraxen im Fach Chirurgie bekannt. Ein Modellversuch dazu mit der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster ist in Planung.

Tab. 3: Beteiligung akademischer Lehrpraxen am praktischen Jahr (§ 3 Abs. 2a der Approbationsordnung zum Praktischen Jahr)

Die Universitäten können geeignete ärztliche Praxen (Lehrpraxen) und andere geeignete Einrichtungen der ambulanten ärztlichen Krankenversorgung im Einvernehmen mit der zuständigen Gesundheitsbehörde in die Ausbildung einbeziehen; sie treffen hierzu Vereinbarungen mit den Lehrpraxen und Einrichtungen. Die jeweilige Lehrpraxis oder Einrichtung muss gewährleisten, das Logbuch der Universität einzuhalten. Die Ausbildung nach Absatz 1 in einer Lehrpraxis oder in einer anderen geeigneten Einrichtung der ambulanten ärztlichen Krankenversorgung dauert in der Regel höchstens acht Wochen je Ausbildungsabschnitt. Im Wahlfach Allgemeinmedizin wird die Ausbildung nach Absatz 1 während des gesamten Ausbildungsabschnitts in einer allgemeinmedizinischen Lehrpraxis absolviert.

Was haben wir davon?

Warum sollten wir diesen Aufwand betreiben, wodurch uns zunächst nur zusätzliche Arbeit und Kosten und u. U. auch Probleme mit der KV-Abrechnung entstehen? Auf diese berechtigte Frage kann ich nur recht abstrakt antworten, dass Sie sich dadurch die Chance eröffnen, einen Nachfolger oder besser gesagt Nachfolgerin für ihre chirurgische Praxis zu gewinnen. Eine Umfrage des BNC [2] hat gezeigt, dass das Interesse der niedergelassenen Chirurgen am Angebot einer Famulatur bisher leider nur gering ist: Von 1.125 angeschriebenen niedergelassenen Chirurgen waren nur 34 bereit, Hospitationen bzw. Famulaturen zu ermöglichen, also nur etwa 3 %. Das ist enttäuschend.

Hier ist unbedingt ein Wandel der persönlichen Einstellung der Niedergelassenen notwendig. Wir können es nicht unseren Krankenhauskollegen allein überlassen, für chirurgischen Nachwuchs zu sorgen, sondern müssen uns ebenfalls engagieren. Dazu gehört es auch, die durchaus berechtigten Klagen über marginale Vergütungen einzelner Leistungen und die Last der Bürokratie hintan zu stellen und auch einmal öffentlich darzustellen, dass wir mit Freude und Engagement in einem faszinierenden Beruf arbeiten.

Vonseiten des Berufsverbandes wird regelmäßig der drohende Nachwuchsmangel in der Chirurgie im politischen Diskurs platziert. Immerhin hat dies dazu geführt, dass mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) die Anzahl der bundesweit finanziell geförderten fachärztlichen Weiterbildungsplätze von 1.000 auf 2.000 angehoben wurde. Unser nächstes Ziel muss es nun sein, dass die chirurgische Weiterbildung davon auch profitieren kann.

Literatur

[1] Jacob, R., Kopp, J., Fellinger, P.: https://www.kbv.de/media/sp/Ergebnisse_Berufsmonitoring_2018_KBV_30.1._2019.pdf. Zuletzt zugegriffen 17.8.2019

[2] Schüürmann, C.: BNC-Spot vom 6.8.2019

Kalbe P: Famulatur in der Niederlassung – Studierende in der chirurgischen Praxis. Passion Chirurgie. 2019 Oktober, 9(10): Artikel 03_02.

Autor des Artikels

Profilbild von Kalbe

Dr. med. Peter Kalbe

Vizepräsident des BDCGelenkzentrum SchaumburgStükenstraße 331737Rinteln kontaktieren