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Frage:

Ein niedergelassener Chirurg fragt an, ob vertretungsweise Übernahmen für andere Ärzte im Rahmen des ärztlichen Notdienstes sowie Blutentnahmen für die Polizei umsatzsteuerpflichtig sind.

Antwort:

Nach der Rechtsprechung des EuGH und des BFH sind nur solche ärztlichen Tätigkeiten umsatzsteuerfrei, die zum Zweck der Vorbeugung, der Diagnose, der Behandlung und – soweit möglich – Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen bei Menschen vorgenommen werden (= Heilbehandlung). Daraus folgt, dass heilberufliche Leistungen nur dann umsatzsteuerfrei sind, wenn mit ihnen ein therapeutischer Zweck verfolgt wird.

Das Finanzgericht Münster hat nunmehr mit Urteil vom 09.05.2023 – 15 K 1953/20 U (s. unter https://openjur.de/u/2471661.html) entschieden, dass Vertreterleistungen im ambulanten Notfalldienst sowie für die Polizei durchgeführte Blutentnahmen umsatzsteuerpflichtige Leistungen sind.

Der klagende Hausarzt hatte am hausärztlichen ambulanten Notfalldienst im Sitz- und Fahrdienst als Vertreter für andere Ärzte unter Übernahme der Verantwortung für die ordnungsgemäße Durchführung des Notdienstes teilgenommen. Gegenüber den vertretenen Ärzten rechnete der Kläger einen Stundenlohn ab. Die im Rahmen des Notfalldienstes erbrachten ärztlichen Leistungen rechnete der Kläger darüber hinaus entweder im Wege der Privatliquidation oder über die KV ab (vgl. FG Münster, a. a. O., Rn. 28, 33). Des Weiteren führte er für die Polizeibehörde von dieser angeordnete Blutentnahmen nebst ärztlichem Bericht durch und stellte dies jeweils der zuständigen Landeskasse in Rechnung.

Das FG Münster vertritt die Auffassung, dass die vom klagenden Arzt vereinnahmten Gelder für die Vertretung im ärztlichen Notdienst nicht im Zusammenhang mit einer nach § 4 Nr. 14 Buchst. a) UStG steuerfreien Heilbehandlung stehen und auch die Blutentnahmen nicht hiernach steuerbefreit seien.

Hinsichtlich der Vertreterleistungen erbringe der Arzt mit der Übernahme des ärztlichen Notdienstes gegenüber den vertretenen Ärzten eine sonstige Leistung gegen Entgelt, die auf die Freistellung des vertretenen Arztes von sämtlichen Verpflichtungen im Zusammenhang mit einem zugeteilten Notfalldienst gerichtet sei. Dies sei jedoch keine steuerfreie Heilbehandlung. Der Begriff der Heilbehandlung richte sich nach der oben dargestellten EuGH- und BFH-Rechtsprechung. Das Erfordernis einer therapeutischen Zielsetzung einer Leistung sei danach allerdings nicht unbedingt in einem besonders engen Sinn zu verstehen. Vielmehr sei der Begriff unter Berücksichtigung des Zwecks der Steuerbefreiung auszulegen, der darin bestehe, die Kosten ärztlicher Heilbehandlungen zu senken. Erfasst sein können auch Beratungsleistungen, die darin bestehen, die in Betracht kommenden Diagnosen und Therapien zu erläutern sowie Änderungen der durchgeführten Behandlungen vorzuschlagen oder die es der betroffenen Person ermöglichen, ihre medizinische Situation zu verstehen und gegebenenfalls entsprechend tätig zu werden. Zu den Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin gehören zudem Leistungen, die zum Zweck der Vorbeugung erbracht werden, wie vorbeugende Untersuchungen. Insofern würden auch Maßnahmen erfasst, die darauf abzielen, die Beobachtung und die Untersuchung der Patienten zu ermöglichen, noch bevor es erforderlich wird, eine etwaige Krankheit zu diagnostizieren, zu behandeln oder zu heilen, oder gesundheitliche Gefahrensituationen frühzeitig zu erkennen, um sofort entsprechende Maßnahmen einleiten und damit einen größtmöglichen Erfolg einer (späteren) Behandlung sicherstellen zu können. Demgegenüber komme eine Steuerbefreiung für ärztliche Leistungen, die zu einem anderen Zweck als dem des Schutzes einschließlich der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der menschlichen Gesundheit erbracht würden, nicht in Betracht (vgl. FG Münster, a. a. O., Rn. 83). Nach diesen Maßstäben diene somit die vertretungsweise Übernahme eines zugeteilten Notdienstes keinem therapeutischen Zweck. Denn mit der Erbringung dieser Leistung sei im Vergleich zu der ursprünglichen Zuteilung des vertretenen Arztes zum ärztlichen Notdienst kein weitergehender Schutz der menschlichen Gesundheit verbunden. Die Vertretung diene vielmehr dem Zweck, den ursprünglich zum Notfalldienst herangezogenen Arzt von sämtlichen Verpflichtungen in Bezug auf den zugeteilten Notfalldienst zu befreien. Dies fördere den Schutz, die Aufrechterhaltung oder die Wiederherstellung der menschlichen Gesundheit nicht (vgl. FG Münster, a. a. O., Rn.  85).

Auf die Frage, ob die Durchführung ärztlicher Notdienste einem therapeutischen Zweck diene, komme es aus Sicht des FG im entschiedenen Fall nicht an. Denn die Besonderheit der zu beurteilenden Leistung liege hier darin, dass nicht nur ein ärztlicher Notdienst übernommen und damit im Sinne des Klägers von ihm durchgeführt wurde, sondern dass die Übernahme vertretungsweise und damit unter der von den am Leistungsaustausch beteiligten Personen bezweckten Freistellung des an sich eingeteilten Arztes erfolgte. Der Kläger selbst war nach der Vereinbarung mit der KV auch gar nicht berechtigt, selbst unmittelbar bei der Zuteilung zum ärztlichen Notdienst berücksichtigt zu werden. Dies sei ein Unterschied zu einem bereits anders entschiedenen Streitfall vor dem Niedersächsischen FG, in dem der dortige Arzt gegenüber der zentralen Notfallpraxis der Ärzteschaft die Zurverfügungstellung seiner Arbeitskraft während der Bereitschaftsdienstzeit schuldete (vgl. FG Münster, a. a. O., Rn. 87). Im Übrigen diene nach Meinung des FG Münster die Durchführung des ärztlichen Notdienstes im ambulanten Notdienst keinem therapeutischen Zweck. Denn allein das Vorhalten medizinischer (Personal-)Ressourcen im Sitz- oder Fahrdienst diene noch keinem therapeutischen Zweck. Es handele sich vielmehr nur um die Schaffung der Voraussetzungen für die nachfolgende zeitnahe Erbringung von Heilbehandlungsleistungen, ohne selbst eine Heilbehandlungsleistung zu sein. Dass es sich auch hierbei um eine typische ärztliche Tätigkeit handele, weil die spätere Erbringung einer Heilbehandlungsleistung diese Qualifikation erfordere, sei insoweit ohne Belang (vgl. FG Münster, a. a. O., Rn. 88).

Zudem bilde weder die Übernahme des zugeteilten ärztlichen Notdienstes unter Freistellung des vertretenen Arztes von sämtlichen Verpflichtungen im Zusammenhang mit diesem Dienst mit den etwaig im ärztlichen Notdienst erfolgten Heilbehandlungen eine einheitliche Leistung, noch vermag der Umstand, dass die Durchführung des ärztlichen Notdienstes unerlässlich für eine zeitnahe ambulante Patientenversorgung sei, eine Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 14 Buchst. a) UStG zu begründen (vgl. FG Münster, a. a. O., Rn. 91).

Bezüglich der polizeilich angeordneten Blutentnahmen lehnte das FG Münster eine Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 14 Buchst. a) UStG unter Verweis auf die ständige EuGH- und BFH Rechtsprechung ab.

Zwar seien als Heilbehandlungen noch medizinische Analysen anzusehen, die von praktischen Ärzten im Rahmen ihrer Heilbehandlungen angeordnet werden und zur Aufrechterhaltung der menschlichen Gesundheit beitragen, indem sie wie jede vorbeugend erbrachte ärztliche Leistung darauf abzielen, die Beobachtung und die Untersuchung der Patienten zu ermöglichen, noch bevor es erforderlich wird, eine etwaige Krankheit zu diagnostizieren, zu behandeln oder zu heilen. Werde eine ärztliche Leistung dagegen in einem Zusammenhang erbracht, der die Feststellung zulässt, dass ihr Hauptziel nicht der Schutz der menschlichen Gesundheit ist, komme eine Steuerbefreiung als ärztliche Heilbehandlung nicht in Betracht. Dies gelte insbesondere, wenn Hauptzweck der Leistung nicht der Schutz einschließlich der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit ist, sondern die Erstattung eines Gutachtens, das Voraussetzung einer Entscheidung ist, die Rechtswirkungen erzeugt (vgl. FG Münster, a. a. O., Rn. 101). Die Blutentnahmen seien auf polizeiliche Anforderung durchgeführt worden und erfolgten, um den Blutalkoholwert zu bestimmen oder die Einnahme von Drogen festzustellen. In diesem Zusammenhang sei ein ärztlicher Bericht zu erstellen gewesen, in dem diverse Feststellungen vom Arzt zu treffen waren, beispielsweise Auffälligkeiten im Zusammenhang mit einer weitergehenden Untersuchung wie das Gang- und Sprachbild. Diese Feststellungen dienten nach Ansicht des FG jedoch nicht vorrangig dem Schutz des Gesundheitszustandes des Betroffenen, sondern der Beweiserhebung im Zusammenhang mit einem strafrechtlich oder öffentlich-rechtlich geführten Verfahren. Dementsprechend wurde nicht die Untersuchung des Betroffenen, sondern die Blutentnahme selbst nach dem hierzu zu verwendenden Abrechnungsformular liquidiert (vgl. FG Münster, a. a. O., Rn. 102).

Hinzuweisen ist aus Sicht des Verfassers noch darauf, dass der Arzt, der sich auf eine Steuerbefreiung beruft, auch die Feststellungslast trägt, d. h. er muss darlegen können, dass eine Heilbehandlung im oben genannten Sinn vorliegt. Aus diesem Grund muss zwingend bei derartigen Leistungen die medizinische Indikation nachprüfbar und einzelfallbezogen dokumentiert werden.

In diesem Zusammenhang muss abschließend auch darauf hingewiesen werden, dass zum einen dieses Urteil noch nicht rechtskräftig ist, sondern Revision zum BFH eingelegt wurde, die dort unter dem Aktenzeichen XI R 24/23 anhängig ist. Es bleibt somit mit Spannung abzuwarten, ob der BFH dieses Urteil bestätigt, sodass die derzeitige Auskunft des Verfassers nicht als abschließend gesichert betrachtet werden kann. Zum anderen wird in steuerrechtlichen Angelegenheiten aufgrund der Komplexität des Rechtsgebiets stets eine steuerrechtliche Beratung durch einen Steuerberater oder Fachanwalt für Steuerrecht empfohlen.

Heberer J: F+A: Umsatzsteuerpflicht für ärztliche Vertretungsleistungen und polizeiliche Blutentnahme. 2024 Januar/Februar; 14(01/02): Artikel 04_12.

Autor des Artikels

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Dr. jur. Jörg Heberer

Justitiar des BDC, Rechtsanwalt und Fachanwalt für MedizinrechtRechtsanwaltskanzlei Dr. Heberer & Kollegen kontaktieren

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