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Der Beruf der Krankenschwester und des Krankenpflegers hatte immer ein äußerst hohes Ansehen bei Patienten und der Bevölkerung. Die Arbeit wurde immer gerne mit Hingabe und Empathie durchgeführt. Die Patienten oder pflegebedürftigen Menschen, die diese Hilfe benötigen, sehen diese Bedeutung nach wie vor uneingeschränkt und sind sehr dankbar für jeden Handgriff, Zuspruch oder Teilhabe. Dennoch kommt es zunehmend zur Unzufriedenheit und Abwanderung des Pflegepersonals. Was ist geschehen mit dem schönen und erfüllenden Beruf? Warum wenden immer mehr Pflegekräfte ihrer Tätigkeit den Rücken zu? Hier soll versucht werden, die Ursachen und die aktuelle Situation zu verstehen, um daraus Verbesserungsmöglichkeiten abzuleiten, die zu einer Rückkehr des Pflegepersonals in den Beruf führen könnten. Denn wir alle benötigen Pflegekräfte, ohne die auch die ärztliche Versorgung nahezu unmöglich wird.

Der Mangel an Pflegekräften und der Pflegenotstand sind bereits seit Langem bekannt. Seit der Coronapandemie hat sich die Situation noch deutlich verschärft. Ein Ende ist nicht in Sicht. Parallel zur Reduktion der Behandlungen kam es zu einer signifikanten Abwanderung von Pflegepersonal, was von den Kliniken teilweise begrüßt wurde, da Unterbelegungen der Kliniken offenbar als weniger schädlich als „unnötige“ Personalkosten erachtet wurden. Zumal wurde während der Coronazeit jedes freie Bett vergütet. Offenbar wurde nicht ausreichend über die Zeit nach der Pandemie reflektiert. Insbesondere gab es keine offensichtlichen Konzepte zur Reaktivierung des abgewanderten Pflegepersonals. Nun ist die Situation nicht mehr nur unerfreulich und belastend für arbeitende Pflegende und Ärzte, sondern es führt zu Behandlungsengpässen, die das Wohl der Patienten bedrohen. Nach dem Ende der Pandemie stiegen die Patientenzahlen zwar erneut an, doch müssen bis heute Betten, ganze Stationen und OP-Säle wegen Pflegemangels gesperrt bleiben. Das Problem ist offenbar aktueller als je zuvor. So berichten z.B. die Tagesschau und namhafte Zeitungen über den Notstand in der Pflege.

Die Fragen, die es zu beantworten gilt, sind folgende:

  • Wie hat sich der Pflegenotstand entwickelt und was ist der Grund der kontinuierlichen Abwanderung?
  • Wo sind die vielen abgewanderten Pflegekräfte jetzt?
  • Wie ist die Situation des Pflegenotstandes aktuell in Deutschland?
  • Wie sind die Zukunftsaussichten für die Pflegesituation in Deutschland?
  • Was können die Gesellschaft und wir Ärzte aktiv tun, um den Beruf der Pflege wieder so attraktiv zu machen, wie er einmal war? Wie motivieren wir Pflegekräfte, in den Beruf zurückzukehren?

Ursachen des Pflegenotstandes und Grund der weiteren Abwanderung

Die wichtigsten Ursachen des Pflegenotstandes sind der demographische Wandel, schlechte Arbeitsbedingungen, zu geringe Gehälter, der Einfluss von Zeitarbeitsfirmen, der Trend zur stationären Pflege und die Tatsache, dass mehr und mehr Angehörige ihre Pflegetätigkeit einstellen. Bereits 2011 wurde im Deutschen Ärzteblatt über die Unzufriedenheit der Pflegekräfte berichtet [1]. Die wesentlichen Faktoren dafür zeigt Tabelle 1.

Tab. 1: Faktoren, die über Abwanderung oder Verbleib des Pflegepersonals entscheiden [1].

Verdienstmöglichkeiten

Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben

Persönlicher Kontakt zu Patienten/Zeit für den Menschen,

Schichtbesetzung/Personaldecke

Wertschätzung von Leistung/Anerkennung durch Vorgesetzte

Stellenwert und Wertschätzung des Pflegepersonals im Krankenhaus – respektive Positionierung der Berufsgruppe Pflege in Entscheidungsgremien des Hauses.

Die Unzufriedenheit der Pflegekräfte wurde auch messbar. Sie ist im Zeitraum von 1990 bis 2012 um 7,5 % angestiegen, bei den Teilzeitpflegekräften lag der Zuwachs der Unzufriedenheit sogar bei 12,9 % [2]. Ein Zusammenhang zwischen Arbeitsaufwand und Auftreten eines Burnouts konnte festgestellt werden, was sich allerdings durch gute Arbeitsbedingungen, ein gutes Team und Anerkennung durch die Vorgesetzten verringern ließ [3]. Die Abwanderung von der Intensivstation hat ähnliche Gründe [4]. Die Perspektiven für die nächsten 10 Jahre werden insgesamt bis auf das Gefühl der Sicherheit des Arbeitsplatzes negativ oder eher negativ gesehen. Es kommt zudem zu einer zunehmenden Arbeitsverdichtung bei einer Zunahme der Pflegebedürftigen, die alleine von 2017 bis 2019 um 21 % gestiegen ist [5]. Zusätzliches Personal wurde nicht eingestellt, um diese Mehrbelastung zu kompensieren. Drei Viertel der Pflegerinnen und Pfleger rechnen nicht damit, bis zur Rente im Job zu bleiben [6]. Auch das in den letzten 10 Jahren um ein Drittel gestiegene Bruttoeinkommen, welches sogar über dem Durchschnitt in der Gesamtwirtschaft liegt, kann das Problem nicht aufhalten [7].

Wo sind die vielen abgewanderten Pflegekräfte jetzt?

Es gab eine messbare Abwanderung der Pflegekräfte, insbesondere aus den Krankenhäusern. Nach der Umfrage im Krankenhausbarometer des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI) ist die Anzahl der fehlenden Pflegekräfte direkt proportional zur Klinikgröße und dies hat in den letzten 10 Jahren bis zur Verdopplung massiv zugenommen [8]. In den Pflegeheimen und der ambulanten Pflege kam es von 2019 bis 2021 zwar zu einem Zuwachs des Personals, jedoch arbeitet nur knapp ein Drittel in Vollzeit [7]. In diesen Bereichen ist der Anteil der Fachkräfte mit um die 50 % deutlich geringer als in den Krankenhäusern, in denen der Anteil bei 79 % liegt [9]. Insbesondere scheinen Fachkräfte den Beruf zu verlassen. Viele reduzieren die wöchentliche Arbeitszeit bei einer gleichzeitigen Zunahme des Bedarfs. Nach Informationen des Berufsverbandes der Präventologen bleiben in Deutschland Pflegekräfte nur 7,5 Jahre im Beruf. Bei einer Lebensarbeitszeit von mindestens 40 Jahren gibt es drei bis vier Mal so viele pflegekompetente Menschen in der Bevölkerung, als gegenwärtig tätig sind [10]. Zeitarbeit und die dadurch gewonnene Flexibilität bei besserer Vergütung scheint ein interessanter Trend zu sein, der verfolgt wird.

Weiterbildungen werden häufig in Anspruch genommen. Diese sind teilweise innerhalb der Pflege möglich – etwa zu einer Fachkraft für Anästhesie, Dialyse oder Endoskopie. Wer sich noch mehr weiterbilden möchte, kann im Sinne der Akademisierung der Pflege einen der differenzierten Studiengänge wie Pflegewissenschaften, Gesundheitswissenschaften und –management, psychiatrische Pflege und Palliativpflege, Pflegemanagement und Pflegepädagogik besuchen und absolvieren [11]. Die Akademisierung der Pflege scheint für viele Pflegekräfte eine interessante Alternative zu sein, jedoch führt dies auch zu Nachteilen bei den Führungsaufgaben. Es kommt es zur Distanzierung von den Pflegekräften, die dadurch häufig keine nachvollziehbare Führung, sondern eine Bevormundung verspüren. Maßnahmen werden von den Betroffenen nicht verstanden und die Konsequenz der Maßnahmen können durch die Distanz der Vorgesetzten nicht ausreichend eingeschätzt werden. Die Unzufriedenheit ist vorgezeichnet. Neben der Akademisierung werden weitere Möglichkeiten der Weiterbildung genutzt (s. Tab. 2) [12].

Tab. 2: Mögliche Alternativen zur regulären Pflege [12].

Führungspositionen in der Altenpflege

Fachkraft für Dialyse

Palliativbegleitung

Hilfe von der Agentur für Arbeit

Verwandte Berufsfelder

Verwaltung

Medizinische Fachangestellte (MFA)

Betriebliches Gesundheitsmanagement

Umschulungen

Physiotherapie

Notfallsanitäter

Ernährungsberatung/Diätassistenz

Selbstständigkeit

Wie ist die Situation des Pflegenotstandes aktuell in Deutschland?

Die Anzahl der Pflegekräfte ist im internationalen Vergleich deutlich zu gering. So betreut in Deutschland eine Pflegekraft 13 Patienten, hingegen werden in anderen europäischen Ländern deutlich weniger Patienten von einer Pflegekraft betreut. In den Niederlanden kommen auf eine Pflegekraft nur noch 6,9 Patienten, in USA sogar nur 5,3 [13].

Deutschland wird als Schlusslicht bezeichnet. Viele zusätzliche Pflegekräfte müssen in Deutschland eingestellt werden, um den Personalschlüssel anderer Länder zu erreichen. Um z. B. das Niveau von Norwegen zu erreichen, müssten in Deutschland 272.270 Pflegekräfte eingestellt werden [14].

Wie sind die Zukunftsaussichten für die Pflegesituation in Deutschland?

Der demografische Wandel führt zu einer starken Zunahme der über 65-Jährigen. Während es 2022 noch 22 % waren, wird der Anteil für das Jahr 2060 auf 31 % geschätzt. Von 2017 bis 2019 kam es zu einer Zunahme der Pflegebedürftigen von 21 % [15]. Bei einer Arbeitszeit bis zum 67. Lebensjahr geht der letzte Babyboomer im Jahr 2031 in Rente, sodass der Nachwuchs absehbar fehlen wird. Ohne eine drastische Veränderung wird es im Verlauf der nächsten zehn Jahre zu einem dramatischen Zustand kommen, der zu einer absoluten Minderversorgung auch schwer- und schwerstkranker sowie pflegebedürftiger Menschen führen wird.

Was können die Gesellschaft und wir Ärzte aktiv tun, um den Beruf der Pflege wieder so attraktiv zu machen, wie er einmal war? Wie motivieren wir Pflegekräfte, in den Beruf zurückzukehren?

Es bedarf mehrerer grundlegender Aufwertungen, um die Arbeitsbedingungen für die Pflegenden zu verbessern. Die wichtigsten Bedingungen für die Rückkehr der Pflegenden sind eine bedarfsgerechte Personalbemessung, wertschätzender und respektvoller Umgang, verbindliche Dienstpläne, vereinfachte Dokumentationsformen und angemessene Bezahlung, die insbesondere Fort- und Weiterbildungen anerkennt [16].

Nach einer bundesweiten Befragung bei 12.700 „Ausgestiegenen“ sowie teilzeitbeschäftigten Pflegekräften besteht ein hohes Potenzial für aufstockungswillige Teilzeitpflegekräfte sowie erstmals auch für Beschäftigte in der Pflege, die ihrem Beruf in den vergangenen Jahren den Rücken gekehrt haben und sich eine Rückkehr vorstellen können. Es besteht demnach ein Potenzial von 300.000 Pflegekräften in Vollzeit bei sehr vorsichtiger Kalkulation, in einem optimistischen Szenario sogar von bis zu 660.000 Vollzeitkräften. Dieses Potential sollte unbedingt genutzt werden.

Auch Ärzte können einen sehr großen Anteil dazu beitragen, die Attraktivität des Pflegeberufs zu erhöhen, denn die Pflegekräfte arbeiten in den meisten Einrichtungen ohnehin mit den Ärzten in einem Team zusammen. Im Operationssaal oder der Endoskopie wird gemeinsam auf engstem Raum über Stunden gearbeitet, sodass sich schließlich alle gut kennen und respektieren. Obwohl Ärzte Anordnungen treffen, die die Pflegenden ausführen, sind sie offiziell disziplinarisch der Pflege gegenüber nicht weisungsbefugt. Das sollte sie nicht vom Verantwortungsgefühl der Teambildung abhalten. In einem guten Team wird dann die Kritik in der Regel bilateral akzeptiert. Oftmals werden Ärzte als Teamleader mehr geschätzt als die eigenen Vorgesetzten, die nicht täglich vor Ort sind. Die allgemeinen Grundsätze der Personalführung stärken so die Motivation aller Beteiligten. Dazu gehören flache Hierarchien, gestärktes Teamgefühl, Mitarbeitergespräche, ein motivierendes Umfeld etc.

Von der politischen Seite sollte ein Umdenken erfolgen. Zum Beispiel führen die Strukturen in den skandinavischen Ländern dazu, dass die meisten Pflegekräfte bis zum Rentenalter im Beruf bleiben. Die Finanzierung in Schweden erfolgt über die Steuer und nicht über die Pflegeversicherung, wodurch mehr Geld für die Pflege vorhanden ist. Der Pflegeschlüssel in Schweden ist deutlich vorteilhafter als in Deutschland. Pflegekräfte müssen in Schweden studieren, die akademische Ausbildung zum Bachelor dauert mindestens drei Jahre, zusätzlich können ein Master und sogar eine Promotion absolviert werden. So wird eine hohe fachliche Qualität in der Pflege sichergestellt [17]. Hier scheint die Akademisierung einen positiven Effekt zu erreichen, denn sie betrifft alle und nicht nur einige Beschäftigte.

Konzepte, die Babyboomer Generation aktiv in die Pflege einzubeziehen, scheinen zumindest teilweise erfolgsversprechend. Der Berufsverband der Präventologen veröffentlichte Konzepte aus Norwegen, wo kommunale Einrichtungen über 40 Prozent der Heimeinweisungen durch Bewegung und neue Gemeinschaft verhindern. Hier bilden Nachbarschaftshilfe und menschliche Beziehungen eine wesentliche Stütze.

Die Opto Data Zukunftsstiftung schlägt Pflegekonzepte der Zukunft vor. Konzepte wie Pflegeappartement, Pflegeroboter, Pflege-WG, ECO-System (Expert Care Organization) und ein zweiter Beschäftigungsmarkt zielen darauf ab, die Älteren zur Selbsthilfe zu bewegen, aber auch Hilfe durch Erleichterungen zu erhalten [15].

Ausblick

Wir müssen sofort mit den Maßnahmen beginnen, die hier aufgeführt wurden. Ärzte, Pflegende und die Politik sind hier gleichermaßen gefordert, alles in ihrem jeweiligen Bereich zu tun, um die genannten motivierenden Faktoren auszuschöpfen, sodass die Pflegenden in den attraktiven Beruf zurückkehren. Als Ärzte können wir unmittelbar eingreifen und das Teamgefühl und damit die Motivation der Pflegenden stärken. Obwohl Ärzte nicht die disziplinarischen Vorgesetzten der Pflegekräfte sind, sollten sie eine Führungsrolle übernehmen. Auch eine engere Zusammenarbeit mit den Pflegedienstleitungen mit Mitspracherecht in Bezug auf die Personalplanung erscheint mir mehr als notwendig. Natürlich müssen die Politik und die Verwaltungen der Einrichtungen die genannten Bedingungen ebenfalls umsetzen. Bei deutlich positiven Veränderungen wird es uns gelingen, trotz zunehmenden Bedarfs den Pflegeberuf wieder zur verdienten Attraktivität zurückzuführen und den Mangel an Personal einzudämmen.

Literatur

[1]   Buxel H. Was Pflegekräfte unzufrieden macht. Dtsch Arztebl 2011; 108(17): A 946–8
[2]   Alameddine M, Bauer JM, Richter M et al. Trends in job satisfaction among German nurses from 1990 to 2012. J Health Serv Res Policy 2016, Apr;21(2):101-8.
[3]   Diehl E, Rieger S, Letzel S, et al. The relationship between workload and burnout among nurses: The buffering role of personal, social and organizational recources. PLoS One. 2021 Jan 22;16(1):
[4]   Khan N, Jackson D, Stayt L, Walthall H.Factors influencing nurses’ intentions to leave adult critical care settings. Nurs Crit Care. 2019 Jan;24(1):24-32
[5]   Opta data Zukunfts-Stiftung gGmbH 05.07.2022
[6]   Zeit online. Arbeitsbelastung in der Krankenpflege ist laut Umfrage gestiegen 2023
[7]   DeStatis, Statistisches Bundesamt. Pressemitteilung Nr. N026 vom 11. Mai 2022
[8]   DKI (= Deutsches Krankenhausinstitut), Krankenhausbarometer, Umfrage 2021
[9]   Bundesagentur für Arbeit 2021
[10] Berufsverband der Präventologen e.V. 2022
[11] Schöneck B. Welche alternativen Berufs-Perspektiven Pflegekräfte haben. Rechtsdepesche.de 3. Januar 2022
[12] Meier J. Raus aus der Pflege: Berufliche Alternativen. Medikarriere.de. 2021
[13] Hans Böckler Stiftung 2017
[14] Hans Böckler Stiftung 2019
[15] Druyen T et al. PflegeStudie. Opto Data Zukunftsstiftung 2022
[16] Auf einen Blick. Arbeitsbedingungen in der Pflege. Hans Böckler Stiftung 2022
[17] Hörner L. Gesundheitssystem in Schweden & Norwegen. Medirocket.de. 2022

Prof. Dr. med. Guido Schumacher

Chirurgische Klinik Brixen/Sterzing

Dantestraße 51

39042 Brixen (BZ)/Italien

[email protected]

Chirurgie

Schumacher G: Pflegenotstand überwinden – aber wie? Strategien zur Personalbindung. Passion Chirurgie. 2024 Januar/Februar; 14(01/02): Artikel 03_05.

Weitere Artikel zum Thema Pflegenotstand finden Sie auf BDC|Online (www.bdc.de) unter der Rubrik Politik | Sektorenübergreifend.



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