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Ein Chefarzt über seine Gefühlswelt nach der Arbeitsvertragskündigung

Die Privatisierung des Gesundheitswesens hat zu dramatischen Veränderungen im Berufsalltag geführt. Immer weniger Beschäftigte müssen im gleichen Zeitrahmen immer mehr leisten. Die Qualität muss dennoch zu hundert Prozent gesichert sein. Erfüllen Chefärzte die Vorgaben der Geschäftsführung nicht, stehen sie ganz schnell auf der Abschussliste. Die Chancen für geschasste Chirurgen auf dem Arbeitsmarkt tendieren gen Null. Ein Betroffener nimmt uns mit in seine Gefühlswelt Stunden nach der Kündigung.

Der Tag war der schwärzeste in meinem bisherigen beruflichen Leben. Morgens die Entlassung von Markus Babbel als Trainer des Bundesligafußballklubs Hertha BSC. Nachmittags die Kündigung meines Arbeitsvertrages als Chefarzt einer Chirurgischen Klinik. Ich bin entlassen. Was? Ich kann es nicht glauben. Was ist passiert? War alles falsch? Habe ich versagt? Bin ich überhaupt noch tragfähig? Eben war ich noch die beachtete Persönlichkeit, Chefarzt der Klinik. Nun bin ich… Ja, was bin ich denn nun? In meinem Kopf ist nur Leere. Wie paralysiert packe ich meine persönlichen Sachen in Kisten. Die Fahrt nach Hause ohne Erinnerung. Die Familie. Die Sachen bleiben im Auto.

Der Tag danach

Ich habe vergessen, den Wecker auszustellen. Er klingelt um fünf. Ich muss aber nicht aufstehen. Ich werde auch nicht erst wieder nach 20 Uhr daheim sein. Ich werde heute keine beruflichen Tagesprobleme angehen, die unbedingt gelöst werden müssen. Ich werde keine unzähligen Telefonate und persönlichen Gespräche führen. Was ich jetzt brauche, ist Ruhe. Aber die Stille schnürt mir die Kehle zu, droht mich zu ersticken. Zunächst ist die Wut. Diese weicht wenig später Selbstzweifeln. Wie geht es weiter? Habe ich überhaupt noch eine Zukunft? Werde ich noch gebraucht? Vor nicht einmal 24 Stunden ging eine Selbstsicherheit und Strahlkraft von mir aus, wie sie von einer leitenden Persönlichkeit erwartet wird. Nun sind diese Eigenschaften ausgelöscht.

Früher galten wir Chefärzte noch als unantastbar. Da waren wir wirklich noch geschätzte Persönlichkeiten. Doch privaten Klinikbetreibern geht es nur um Profit. Mir fällt wieder Markus Babbel ein. Bei uns ist es nicht anders als in der Bundesliga. Für mich war mein Beruf immer Berufung. Das wichtigste in einem Leben. Ich wollte immer Menschen helfen. Deshalb habe ich Medizin studiert. Doch Menschlichkeit ist in den letzten Jahren mehr und mehr auf der Strecke geblieben. Es hat mehr als 20 Jahre gedauert, bis ich mich zum Chefarzt hochgearbeitet hatte. Und wer bin ich jetzt? Ein Arbeitsloser, der beim Amt eine Nummer ziehen muss? Ein Opfer einer Machtdemonstration der Klinikbetreiber? Beides, sage ich leise zu mir und kann nur zynisch lächeln.

Quo vadis? Ich weiß es nicht. Meine Familie ist für mich da. Zum Glück. In guten und schlechten Zeiten. Früher hat sie mich kaum zu Gesicht bekommen. Nun bin ich im häuslichen Umfeld ganztägig präsent. Aber nicht mehr der Alte. Freunde, oder die, von denen ich dachte, sie seien es, wenden sich ab. Was ist das nur für eine Gesellschaft geworden? Ohne über die Folgen nachzudenken werden Persönlichkeiten zerstört. Ich kann nicht sagen, ob und wie ich das verkrafte. Ich bin in einem Tunnel, an dessen Ende ich kein Licht sehe. Eben habe ich noch Vollgas gegeben, nun wurde ich ausgebremst. Von 200 Stundenkilometern auf Null in wenigen Stunden. Werde ich psychologische Unterstützung brauchen? Finde ich einen Weg zurück ins Leben? Die Gedanken hören nicht auf zu kreisen.

„Empfinden einer Ehefrau…“

Der Tag der Freistellung meines Mannes wird mir immer in Erinnerung bleiben, da er den bislang gravierendsten Eingriff in unser Leben bedeutete.

Es war Spätsommer 2009, wir hatten nach acht Jahren meines Mannes in leitender Position uns gerade ein Häuschen gekauft und die pflegebedürftigen Eltern meines Mannes über eine Distanz von 800 km zu uns geholt, um sie versorgen zu können.

Ich war mit Hilfe meiner Mutter am Beseitigen der Renovierungs- bzw. Umbauspuren des Hauses. Es war trotz vieler Arbeit alles ganz entspannt… bis sich kurz nach Mittag die Haustür öffnete und mein Mann im Flur stand, kreidebleich.

Seine einzigen Worte: „Ich bin freigestellt!“

Ich erinnere mich noch wie heute. Ich hatte das Gefühl, gar nicht zu verstehen, was er meint. Trotzdem zog es mir gleichzeitig die Füße unter dem Boden weg. Es herrschte ein einziges Gefühlschaos in mir, das sich so einfach gar nicht beschreiben lässt.

Es war einfach nur der totale Schock! Mein Mann, ein Kerl wie ein Bär, von dem ich bisher glaubte, so schnell „haut den nichts um“, stand hilflos und verzweifelt vor mir. Ich wusste gar nicht, wie ich reagieren sollte!

Die folgenden Tage waren die Hölle! Ich hatte einen Mann zuhause, der zwischen Toben und Fluchen und schimpfen auf Gott und die Welt und total emotionslosen Phasen wechselte. Ich versuchte damals, möglichst wie ein Mäuschen mich im Haus zu verhalten, da jedes unbedachte und wenn auch noch so gut gemeintes Wort zu einer Explosion führen konnte.

Es kamen natürlich die Fragen nach dem Grund, was war schiefgelaufen? Wir versuchten zu verstehen, doch das sollte lange nicht geschehen.

Grund der Freistellung: Eine Zusammenlegung von Fachgebieten, so dass die Stelle meines Mannes wegfiel. So einfach geht das.

Hilflosigkeit, ein Gefühl von Wertlosigkeit, der Verlust jeder Struktur. Diese Gefühle herrschten bei meinem Mann vor. Und ich spürte nur eine Art Ohnmacht, meinem Mann nicht helfen zu können. Er, der sich bisher durch seine Arbeit sehr zielgerichtet identifiziert hatte, zog sich immer mehr zurück. Von Freunden, Bekannten, zeitweise auch von mir.

Natürlich kamen auch wirtschaftliche Ängste auf, wir hatten uns ja erst ein Haus gekauft. Wie geht es weiter? Ich selbst hatte nur einen Mini-Job, der nicht ausreichen konnte.

Ich war noch nie so hilflos in meinem Leben. In unserer 20-jährigen Beziehung hatten wir auch schon einiges durchlebt und auch Rückschläge einstecken müssen. Doch die nächste Zeit sollte uns fordern.

Bis heute zieht es sich durch unser Leben: seine Selbstzweifel; das Gefühl, versagt zu haben, dass nichts bleibt. Oft sind diese Selbstvorwürfe, versagt zu haben, erneut stark vorhanden.

Oft belastet es auch unsere Beziehung: wie soll ich selbst reagieren? Wie kann ich helfen?

Unruhige oder schlaflose Nächte, da die alte Situation immer wieder hochkommt.

Ich habe damals die Heftigkeit der für uns doch dramatischen Auswirkungen nicht überblicken können. Aus heutiger Sicht würde ich darauf bestehen, dass sich mein Partner professionelle Hilfe holt, denn alleine kann man dies nicht be- bzw. verarbeiten.

Ich selbst habe mir nach drei Jahren dann auch endlich Rat beim Therapeuten geholt, da ich die Ohnmacht, mit der Situation umzugehen, nicht mehr alleine bewältigen konnte.

Anonymus. Die Gefühlswelt nach der Arbeitsvertragskündigung. Passion Chirurgie. 2014 Oktober, 4(10): Artikel 02_07.

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