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Abstract

Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels wird sich der Gesundheitsmarkt in Deutschland in den folgenden Jahren zu dem Wirtschaftszweig mit dem größten Mangel an hoch qualifizierten Arbeitskräften entwickeln. Das niedrigere Arbeitskräfteangebot in der Gesundheitsbranche und die deutlich steigende Nachfrage führen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes (2010) zu einem Personaldefizit von etwa 20 % im Jahr. Professionelle Personalentwicklung wird deshalb zu einem entscheidenden Erfolgskriterium der Klinik werden. Das Unternehmen muss sich als attraktiver Arbeitgeber profilieren, der interessante Arbeitsplätze mit Entwicklungspotenzial und entsprechender „work-life -balance“ bietet. Die Wirklichkeit in der deutschen Chirurgie ist jedoch von hoher Fremdarbeitsbelastung mit einer im Vergleich zu anderen Fächern dünnen Personaldecke geprägt. Ein Umdenken der Klinikführung ist erforderlich, um dieses Potential zu mobilisieren: Die finanzielle und materielle Unterstützung von Weiter- und Fortbildung dient nicht nur der Entwicklung des eigenen Personals, sondern stärkt die Leistungsfähigkeit und die Qualität des Unternehmens Krankenhaus. Um den Nachwuchs nachhaltig zu sichern, sollte die grundlegende Strategie der Krankenhäuser sein, am Markt knappes Personal selbst auszubilden und langfristig an das Unternehmen zu binden.

Die Transformation vom traditionellen Krankenhaus hin zum modernen, unter Wirtschaftlichkeitsaspekten zu führenden integrierten Gesundheitszentrum erforderte im letzten Jahrzehnt eine erhebliche Umstrukturierung der Patientenversorgung. Verweildauerverkürzung, Fallzahlkonzentrationen, sowie verstärkte Markt- und Wettbewerbsmechanismen gehen mit einem kontinuierlichen Kapazitätsabbau und einer zunehmenden Arbeitsverdichtung einher. Dies hat zu einem Fachkräftemangel in der Medizin geführt, welcher sich durch den demografischen Wandel weiter verschärft [1]. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes (2010) wird das niedrige Angebot qualifizierter Arbeitskräfte, gepaart mit einer steigenden Nachfrage zu einem Defizit an Personal von etwa 20 % im Jahr führen [2]. Diese Unterdeckung wird alle medizinischen Bereiche betreffen, sich in den chirurgischen Fächern am stärksten zeigen. Nur 5 % der Examenskandidaten streben eine Facharztausbildung in der Chirurgie an, während 10 – 12 % erforderlich wären, um die Versorgung aufrecht zu erhalten [3, 4]. Dennoch starten chirurgische Berufsanfänger in Deutschland in einen aus ihrer Sicht unattraktiven Arbeitsalltag, der von hoher Fremdarbeitsbelastung, einer ausgeprägten Hierarchie und einer im Vergleich zu anderen Fächern dünnen Personaldecke geprägt ist. Hinzu kommt die mangelhafte Umsetzung einer differenzierten Weiterbildung in den Kliniken [5, 6]. Um Medizinstudierende für die chirurgische Fachrichtung zu begeistern, ist eine neue Führungskultur erforderlich, die sowohl vermehrt weiblichen Mitarbeitern eine Perspektive bietet, als auch eine effiziente, flexible und leicht anpassbare Arbeits- und Weiterbildungsgestaltung ermöglicht [7].

Generationenwechsel in der Medizin

Mit fortschreitender Ökonomisierung der Medizin ist auch eine differenzierte Auseinandersetzung mit den künftigen Arbeitnehmern erforderlich. Leistungsfähiges, hoch qualifiziertes Personal ist ein zunehmender Wettbewerbsfaktor. Während der Anteil an Frauen bei den Erstsemestern 63 % beträgt, wird dieser Feminisierungstrend allerdings im Verlauf der Weiterbildung gestoppt. Die Frauenquote sinkt, da viele Frauen wegen der mangelnden Vereinbarkeit von Beruf und Familienleben eine ärztliche Tätigkeit nicht mehr ausüben. Berücksichtigt man weiter, dass der Anteil der unter 35-jährigen, berufstätigen Ärzte in den letzten 15 Jahren um 36 % gefallen ist, sich somit ein Generationenwechsel vollzieht [8], kann auf das Wissen des weiblichen Personals nicht weiter verzichtet werden. Darüber hinaus genießt in der nachfolgenden Ärztegeneration, der so genannten Generation Y (geboren 1981 bis heute), die Familie höchste Priorität. Die künftigen chirurgischen Kollegen zeichnen sich durch ein hohes Selbstbewusstsein mit geringer Kritikfähigkeit, ein hohes Anforderungsprofil an den Arbeitsplatz und ein Ablehnen der Hierarchien aus [9]. Bisherige Organisationsformen, wie in vielen chirurgischen Abteilungen üblich, stehen im Gegensatz zu den Erwartungen der jungen Ärzte und Ärztinnen. Den neuen Mitarbeiter ins kalte Wasser zu werfen und ein „learning on the job“ funktioniert bei dieser Generation nicht [9]. Studien haben gezeigt, dass die Generation Y Supervision, Führung und Richtung benötigt [10]. Wenn die operative Weiterbildung weiterhin wie bisher vorwiegend durch „Training on the Job“ vermittelt werden sollte, müsste die Kontinuität der Weiterbildung vor allem in den Kernarbeitszeiten sichergestellt werden. Durch die zunehmende Straffung und Ökonomisierung von Versorgungsprozessen ist das kaum noch möglich. Deshalb muss für die ärztliche Weiterbildung auf zeitgemäße Lernmöglichkeiten zurückgegriffen werden:

Die Simulation von OPs in Trainingszentren ermöglicht ein flexibles Training bzw. Aufrechterhalten von manuellen und sozialen Skills [11]. Das geplante Training an OP- Simulatoren stellt die zeitgerechte Weiterbildung selbst bei Teilzeitbeschäftigung sicher. Eine verbesserte didaktische Qualifikation der Weiterbilder und eine Konzentration der Weiterbildungsangebote sind v. a. für Chirurginnen und für „Wiedereinsteiger“ wichtige Hilfen.

Auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht sollte die chirurgisch-technische „Lernkurve“ soweit als möglich vor den OP verlagert werden [12], da in der klinischen Wertschöpfungskette der OP durch den Einsatz von hoch qualifiziertem Personal und starken Sachkostenbindung eine exponierte Stellung einnimmt [13]. Als Flaschenhals bei der Erlösgenerierung kann der OP nicht mehr als Ausbildungsstätte für die ersten Gehversuche des Chirurgen genutzt werden. Der Mehraufwand der Weiterbildung kann in Trainingszentren detailliert aufgeschlüsselt werden. Das Problem, dass chirurgische Weiterbildung in die ärztliche Hauptaufgabe der Patientenversorgung integriert ist, wird aufgelöst. In den Jahresbilanzen der Krankenhausträger können die Kosten für ärztliche Weiterbildung explizit ausgewiesen und in Bezug zur gesteigerten Produktivität gesetzt werden. Erstmals in Deutschland könnte der Gesamtaufwand der Ausbildung quantifizieren. Die bisher nur an anderen Ausbildungssysteme im Ausland orientierten Kalkulationen können und müssen durch eigene, valide Daten ersetzt werden [14]. Nach bisherigen Berechnungen der chirurgischen Fachgesellschaften werden für eine klar strukturierte Weiterbildung rund zwölf Stunden pro Woche zusätzlich benötigt [14]. Die Verlängerung der Weiterbildungszeit in der Chirurgie durch die Einführung eines Schichtsystems, wie zur Zeit der Umsetzung des EUGH-Urteils häufig propagiert, wurde inzwischen als Mythos entlarvt [1517]. Aktuellen Umfragen zufolge leisten chirurgische Berufsanfänger trotz der Umsetzung des Arbeitszeitgesetzes im Durchschnitt immer noch 4,6 unbezahlte Überstunden in der Woche. Dem verfügbaren Zeitrahmen entsprechend bedarf es geänderter Arbeitsabläufe auch jenseits des OPs und nicht zuletzt eines Umdenkens bei den Verantwortlichen in den Klinikleitungen. So bestehen in zahlreichen chirurgischen Kliniken feste „Termine“, an denen alle ärztlichen Mitarbeiter teilnehmen. In vielen Kliniken binden nach wie vor ausgedehnte Chefarzt- und Intensivstationsvisiten ebenso wie die morgendliche Früh- oder nachmittägliche Indikationsbesprechung qualifiziertes Personal. Gerechtfertigt durch die Argumente der Informationsweitergabe oder Ausbildung verbringt bei vorsichtiger Hochrechnung jeder chirurgische Weiterbildungsassistent ca. 5 Stunden/Woche in diesen Pflichtveranstaltungen. Der Mehrwert dieser Veranstaltungen insbesondere für den Wissenszuwachs beim auszubildenden Arzt ist jedoch in Frage zu stellen. Bei einem angenommenen Bruttostundenlohn von 30 EUR könnten über 6 Jahre bis zum Facharzt insgesamt 36.000 EUR pro Weiterbildungsassistenten eingespart beziehungsweise 1380 Stunden in eine strukturierte Ausbildung investiert werden. Weitere Potentiale sind bei der Arztbriefschreibung und der IT-gestützten Behandlungskoordination zu vermuten. Der Schlüssel zur langfristigen Bindung der neuen Ärzte liegt also nicht nur in einem Kulturwandel hin zu flacheren Hierarchien oder in der Umstrukturierung zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die Exzellenz der Ausbildung ist ein mindestens genauso wichtiger Faktor. Die Finanzierung dieses entscheidenden Erfolgsfaktors wird durch eine klare Mehrwertorientierung der Prozessgestaltung möglich.

Literatur:

[1] Brandenburg U, Domschke JP. Die Zukunft sieht alt aus – Herausforderungen des demografischen Wandels für das Personalmanagement. Wiesbaden; 2007

[2] Afentakis A, Maier T. Projektionen des Personalbedarfs und -angebots in Pflegeberufen bis 2025. In: Statistisches Bundesamt WuS, Hrsg. Wiesbaden; 2010:990-1002

[3] Bauer H. Versorgungsengpässe in der Chirurgie. Chirurg 2007; 78: 259-260

[4] Krüger M. Nachwuchsmangel in der Chirurgie. Unfallchirurg 2009; 112: 923-928

[5] Görler H, Hagl C, Hoffmeler A. Fazit der Nachwuchsumfrage 2007: Weiterbildung verbessern – Zukunftsperspektiven schaffen! Z Herz- Thorax- Gefäßchir 2008; 22: 170-176

[6] Ansorg J, Hassan I, Fendrich V et al. [Quality of surgical continuing education in Germany]. Dtsch Med Wochenschr 2005; 130: 508-513

[7] Ansorg J, Schröder W, Krones CJ. Qualität in der chirurgischen Weiterbildung in Deutschland. Entwicklungsanalyse von 2004 bis 2008. Chirurg BDC 2008; 9: 292-297

[8] Kopetsch T. Dem deutschen Gesundheitswesen gehen die Ärzte aus! Studie zur Altersstruktur und Arztzahlentwicklung. 5 Aufl Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung, Berlin 2010

[9] Coupland D. Generation X. Geschichten für eine immer schneller werdende Kultur. Goldmann, München 2004

[10] Keepnews DM, Brewer CS, Kovner CT et al. Generational differences among newly licensed registered nurses. Nurs Outlook 2010; 58: 155-1

[11] Gerdes B, Hassan I, Maschuw K et al. Einrichtung eines chirurgischen Trainingslabors an einer Ausbildungsklinik. Chirurg 2006; 77: 1033-1039

[12] Ansorg J, Schlein U. [Not all aspects of surgery are to be “treated” in the OP]. Chirurg 2007; Suppl: 339-340

[13] Ansorg J, Diemer M, Schleppers A et al. OP-Management. MWV Medizinische Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft OHG 2006

[14] Schröder W, Welcker K. Finanzierung der chirurgischen Weiterbildung. Chirurg 2010; 81: 31-37

[15] Schenarts PJ, Anderson Schenarts KD, Rotondo MF. Myths and realities of the 80-hour work week. Curr Surg 2006; 63: 269-274

[16] Hutter MM, Kellogg KC, Ferguson CM et al. The impact of the 80-hour resident workweek on surgical residents and attending surgeons. Ann Surg 2006; 243: 864-871

[17] Barden CB, Specht MC, McCarter MD et al. Effects of limited work hours on surgical training. J Am Coll Surg 2002; 195: 531-538

Hagl C. Chirurgische Weiterbildung zwischen Effizienz und Ökonomie. Passion Chirurgie. 2011 Oktober; 1(10): Artikel 02_03.

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Dr. Cornelia Hagl

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