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Herzchirurgie – eine Erfolgsgeschichte

In gerade einmal 120 Jahren entwickelte sich die Herzchirurgie von ersten Therapieversuchen zu einer weltweiten Spezialdisziplin der Chirurgie. Dieses stellt eine unvergleichliche Erfolgsgeschichte dar. Nichts ist mehr zu spüren von den initialen Startschwierigkeiten, ausgelöst durch Skeptiker wie Billroth und Paget. Durchgesetzt haben sich die Außenseiter ihrer Zeit, wie Rehn und Forßmann, die nachträglich Weltruhm erlangten.

Der Beginn der Herzchirurgie wird auf den 09. September 1896 datiert. An diesem Tag entschied sich Ludwig Rehn, Chirurg am Städtischen Klinikum Frankfurt/Main, eine Stichverletzung am Herzen zu nähen und der Patient überlebte den Eingriff. Vorangegangen waren die Warnungen der einflussreichen Chirurgen Theodor Billroth 1882: „Eine Operation, die nach meiner Auffassung erreicht, was einige Chirurgen Prostitution der chirurgischen Kunst, andere eine chirurgische Frivolität nennen […] Ein Chirurg, der versuchte, eine Wunde des Herzens zu nähen, verlöre die Achtung seiner Kollegen […]“ und Sir Stephen Pagets 1894: „Das Herz von allen Eingeweiden stellt die Grenze dar, die die Natur selbst aller Chirurgie gesetzt hat. Keine neue Methode und keine neue Technik wird die technischen Hindernisse überwinden, die sich bei einer Wunde des Herzens stellen.“

Zu den Bedenken innerhalb der Chirurgie kamen aber auch die religiöse Scheu vor Eingriffen an diesem Organ und die Vorstellung, dass jeder Stich am Herzen zur sofortigen Lähmung desselben führe.

Ausgelöst durch den Pioniergeist Rehns erfolgten weitere kleinere Eingriffe, die in komplexeren Operationen am schlagenden Herzen wie z. B. der Behandlung der Aortenisthmusstenose 1944 durch C. Crafoord gipfelten.

Ein Meilenstein stellt die Entwicklung der Oberflächenhypothermie 1950 durch G. Bigelow und die Entwicklung der extrakorporalen Zirkulation 1953 durch J. H. Gibbon dar. Die Kombination dieser Verfahren machte es möglich am stillstehenden Herzen kontrolliert zu operieren. Unter Verwendung dieser Techniken erfolgten 1960 der erste Aortenklappenersatz durch D. Harken und der erste Mitralklappenersatz durch A. Starr.

Die Koronarchirurgie trat erst 1967 mit der direkten Revaskularisation ihren Siegeszug an. Zugeschrieben wurde diese Entwicklung R. Favaloro. Im Dezember 1967 gelang C. Barnard schließlich die erste Herztransplantation, nach intensiven Vorarbeiten der Arbeitsgruppe um N. Shumway aus Stanford, wobei der Patient aufgrund einer Abstossungsreaktion nur 18 Tage überlebte.

Diese frühen Jahre der Herzchirurgie waren geprägt durch die Entwicklung von Standardtherapien für unterschiedliche kardiale Erkrankungen. In den folgenden Dekaden wurden diese perfektioniert, sodass diese heute sehr risikoarm und effizient durchgeführt werden können.

Heute müssen die Therapieoptionen noch mehr auf den individuellen Patienten zugeschnitten werden. Notwendig wird dies durch eine Zunahme des Altersdurchschnittes der Patienten sowie dessen Komorbiditäten. Der Planung der Operation kommt hierbei eine herausragende Rolle zu. Hierzu gehört die Erfassung des Einzelrisikos und der Bemessung des individuellen Risikos der verschiedenen Therapieoptionen. Inwieweit eine bestimmte Therapie angewendet werden kann, wird mit modernster Bildgebung, wie hochauflösendem CT und dreidimensionaler Echokardiographie, evaluiert. Die Befunde werden im sogenannten Heart Team diskutiert. Dieses steht im Zentrum der personellen Anforderungen. Es besteht aus Herzchirurgen, interventionellen Kardiologen, Echokardiographie-Spezialisten und Anästhesisten. Dieses interdisziplinäre Team beurteilt präoperativ den Patienten und die Befunde und legt im Team ein individuelles Behandlungskonzept fest. Diese immer engere Verzahnung der Fachdisziplinen bestimmt maßgeblich die Qualität der Patientenversorgung.

Beschleunigt wurden die interdisziplinäre Kooperation und die Entwicklung des Heart Teams durch die Transkatheter Aortenklappenimplantation (TAVI).

Im Bereich der Aortenklappenchirurgie galt über Jahrzehnte der chirurgische Aortenklappenersatz durch eine biologische oder mechanische Prothese als einzige kausale Therapieoption der hochgradigen Aortenklappenstenose. Initial erfolgte die Operation über eine komplette Sternotomie unter Verwendung der Herz-Lungen-Maschine. Durch Optimierung der chirurgischen Techniken und des Designs der Herzklappenprothesen werden heutzutage die meisten Operationen in minimalinvasiver Technik über eine partielle Sternotomie oder eine Minithorakotomie durchgeführt. Das führt zu einem exzellenten kosmetischen Ergebnis und zu einer schnelleren Rekonvaleszenz. Optimiert wird die minimalinvasive Technik durch die Fortschritte im Bereich des Prothesendesigns und Materials. Die Aortenklappenimplantation erfolgte heute oftmals durch sogenannte „nahtlose“ Herzklappen, die durch einen speziellen Verankerungsmechanismus im Aortenannulus fixiert werden. Somit entfällt ein zeitintensives Einnähen der Herzklappe. Die Verwendung dieser Prothesentypen trägt durch eine Verkürzung der Implantationszeiten ebenfalls zu einer Optimierung des Patientenoutcomes bei, die Langzeiterfahrungen sind aber noch limitiert.

Aufgrund dieser stetigen Weiterentwicklungen gilt der chirurgische Aortenklappen-ersatz auch heute noch als Goldstandard, der mit exzellenter Qualität und niedriger Mortalität in den herzchirurgischen Zentren durchgeführt wird.

Mit der ersten erfolgreichen Implantation einer Transkatheter Aortenklappe (TAVI) durch Alain Cribier im Jahre 2002 erfolgte eine rasante Weiterentwicklung dieser Technik. Für Patienten mit einem hohen und einem mittleren chirurgischen Risiko oder fortgeschrittenem Alter hat sie sich heute als Standardtherapie etabliert. Ob sich die Indikation für die TAVI weiter ausweiten lässt, ist heute noch nicht sicher zu beantworten, da die TAVI im Vergleich zum konventionellen Aortenklappenersatz zu einer höheren Rate an Herzschrittmacherimplantationen führt und das Auftreten von paravalvulären Leckagen begünstigt. Da beide Parameter die Langzeitmortalität und die Haltbarkeit der Prothese beeinflussen können, ist eine unkritische Ausweitung der TAVI-Indikationen bedenklich. Hier ist, wie bei allen neuen Technologien und Implantaten, eine sorgfältige Evaluation und Datenakquise unter dem Aspekt der Patientensicherheit unerlässlich (Abb. 1, Abb. 3).

Abb. 1: Verschiedene biologische Aortenklappenprothesen, von links nach rechts: konventionelle biologische Aortenklappen, nahtlose Aortenklappe, Transkatheterklappe

Abb. 2: Operation im Hybrid-OP

Abb. 3: Aortenwurzelersatz durch ein biologisches Conduit (Schwein) mit Reimplantation der rechten Koronararterie

Auch die Therapieplanung weiterer valvulärer Herzerkrankungen wie z. B. die der Mitralvitien erfolgt bereits im Heart Team. Bei Vorliegen einer hochgradigen Mitralklappeninsuffizienz stellt die chirurgische Therapie in minimalinvasiver Technik unter videoskopischer Unterstützung derzeit den Goldstandard dar. Hierbei stehen sämtliche Rekonstruktionstechniken wie z. B. die Annuloplastie oder der Sehnenfadenersatz zur Verfügung. Gerade die Kombination der verschiedenen Rekonstruktionstechniken führt zu einem exzellenten chirurgischen Behandlungsergebnis über einen langen Zeitraum.

Für inoperable oder Hochrisiko-Patienten mit speziellen Mitralklappenpathologien stehen kathetergestützte Therapieoptionen wie z. B. die MitraClip®- oder die Cardioband®-Implantation zur Verfügung. Weiterhin befinden sich aktuell mehrere Transkatheter-Mitralklappenprothesen in der klinischen Erprobung. Der Schlüssel zum Erfolg liegt auch hier im interdisziplinären Heart Team, um dem Patienten aus sämtlichen Therapieoptionen, die für ihn optimale Versorgung mit exzellenter Qualität anbieten zu können (Abb. 4).

Abb. 4: Implantierte mechanische Herzklappenprothese (Mitralposition) bei Endokarditis

Die neuen Transkathetertechniken erfolgen idealerweise in einem Hybrid-OP, in dem Operationssaal und modernste Bildgebung eine Einheit bilden, optimale hygienische Bedingungen vorliegen und der sofortige Wechsel zur offenen chirurgischen Therapie beim Auftreten von Komplikationen möglich ist (Abb. 2).

Neben der Behandlung der valvulären Herzerkrankung stellt die Behandlung der komplexen koronaren Mehrgefäßerkrankung mittels koronarer Bypassanlage seit mehr als 50 Jahren eine der Standardtherapie der Herzchirurgie dar. Auch die großen neuen Multicenterstudien belegen eine deutliche Überlegenheit gegenüber den interventionellen Verfahren wie PTCA und Stentimplantationen. Ausgelöst durch die vermehrte Implantation von „Drug eluting“-Stents erfuhr die isolierte Bypasschirurgie bundesweit einen deutlichen Rückgang. Im Zuge dieses Wettbewerbes kam es zu einer enormen Weiterentwicklung der Bypasschirurgie. Wurden initial lediglich Venensegmente aus der V. saphena magna als Bypassmaterial verwendet so sind es heute in der Mehrzahl der Fälle beide Brustwandarterien (Aa. mammariae internae) und die A. radialis. Dies führt zu einer optimalen langlebigen Versorgung der betroffenen Koronargefäße, erfordert jedoch eine größere technische Präzision. Weiterentwicklungen der Herz-Lungen-Maschine führten durch eine deutliche Reduktion der Fremdkörperoberfläche zu einem verbesserten Patientenoutcome aufgrund der damit verbundenen Abnahme des zellulären Mikrotraumas und der Reduktion von Bluttransfusionen.

Patienten mit starken Verkalkungen der Aorta (sogenannte Porzellanaorta) sowie mit chronischer Niereninsuffizienz profitieren von der Bypassanlage am schlagenden Herzen ohne Verwendung der Herz-Lungen-Maschine (sogenannte OPCAB = “Off pump coronary artery bypass“-Verfahren). Komplexe Läsionen des RIVA können auch durch die Anlage eines singulären Bypasses aus der linken A. mammaria auf den RIVA über eine linksseitige anteriore Minithorakotomie am schlagenden Herzen erfolgen. Auch hier ist die genaue Evaluation und Indikationsstellung im Heart Team von entscheidender Bedeutung, wird hier aber noch unzureichend umgesetzt. Somit wird deutlich, dass es für jeden Patienten mit einer koronaren Herzerkrankung ein individuell an seine Bedürfnisse angepasstes Therapiekonzept vorhanden ist (Abb. 5).

Abb. 5: Distale Bypassanastomose (A. mammaria)

Besondere Bedeutung erfuhr in der letzten Dekade aufgrund der steigenden Lebenserwartung die herzchirurgische Therapie der terminalen Herzinsuffizienz. Nach Ausschöpfung aller Therapieoptionen stellt die Herztransplantation den Goldstandard dieser Erkrankung dar. Diese kann jedoch nach dem Organspendeskandal, welcher zu einem enormen Rückgang der Spenderorgane führte, lediglich weniger als 300 Patienten im Jahr angeboten werden. Für den überwiegenden Teil der Patienten stellt die Implantation eines mechanischen Herzunterstützungssystems die einzige Therapieoption dar. Initial verfügbare Systeme waren aufgrund der Größe und des pneumatisch Antriebes nur extrakorporal anwendbar. Die heute verfügbaren Systeme sind technisch so ausgereift, dass sie bis auf die „Driveline“ (Steuerungskabel und Energieübertragung) komplett intrathorakal implantiert werden können. Somit ist eine Fortführung eines Lebens in der häuslichen Umgebung mit leichten Einschränkungen der Lebensqualität in den meisten Fällen gut realisierbar. Komplikationen im weiteren Verlauf wie Infektionen, Embolien und Blutungen aufgrund der aggressiven Blutverdünnung stellen noch Limitationen dar, werden jedoch mit der zunehmenden technischen Perfektion geringer. Jährlich werden 900 bis 1.000 Implantationen dieser Systeme in Deutschland durchgeführt, oft als Dauerlösung bei schwerer Herzinsuffizienz.

Die Qualität wird auch hier nur durch ein hochspezialisiertes Team erreicht. Neue Berufsgruppen wie speziell ausgebildete VAD Koordinatoren bilden hierbei das unabdingbare Bindeglied zwischen Hausärzten, Patienten, und Klinik. Nur durch diese kontinuierliche Spezialisierung, die sich auf alle Bereiche der Herzchirurgie übertragen lässt, ist eine stetige Innovation möglich. Kliniken sehen sich diesem Innovationsdruck täglich ausgesetzt, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, sind aber auf der anderen Seite mit einem DRG System konfrontiert, in dem Innovationen nur unzureichend oder verspätet abgebildet werden.

Breitenbach I, Harringer W: Herzchirurgie – eine Erfolgsgeschichte. Passion Chirurgie. 2017 Dezember, 7(12): Artikel 03_01.

Editorial: Herzensangelegenheit Herzchirurgie

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

in diesem Themenheft wollen wir Ihnen einen Einblick in die Historie und die aktuellen Entwicklungen in der Herzchirurgie geben. Die zunehmende Technisierung in der Chirurgie der 50iger Jahre, die in der Verwendung der Herz-Lungenmaschine für operative Eingriffe am Herzen gipfelte, führte zu einer Übernahme der technischen Neuerungen durch „junge Wilde“ in Deutschland mit zunehmender Separierung der Disziplin vom Mutterschiff Chirurgie. 1971 erfolgte die Gründung des ersten Lehrstuhls für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie an der Universität Göttingen, sowie die Gründung einer eigenen wissenschaftlichen Fachgesellschaft. Die folgenden Jahre waren durch eine kontinuierliche Zunahme von herzchirurgischen Eingriffen gekennzeichnet, um den Bedarf der operativen Therapie von Herz-/Kreislauferkrankungen abzudecken.

Aktuell sieht sich die Herzchirurgie einer Fülle neuer Herausforderungen gegenübergestellt:

Der Wandel der Therapie von offener Chirurgie zu katheterbasierten, endovaskulären Eingriffen, vor allem im Bereich der Herzklappeninterventionen, zwingt zu intensivierter interdisziplinärer Kommunikation, neuen Weiterbildungserfordernissen und neuen Organisationsformen innerhalb der Kliniken mit Integration der neuen Techniken in das chirurgische Spektrum. Ein Schritt, der in der Gefäßchirurgie längst erfolgreich vollzogen wurde und zu hoher Indikationsqualität und daraus resultierend zu optimierter Patientensicherheit führt.

Zunehmende weitere Spezialisierungen innerhalb der Herzchirurgie, Restriktionen durch das Arbeitszeitgesetz, ökonomische Zwänge und die bekannte Nachwuchsproblematik werden notwendigerweise zu einer weiteren Zentralisierung des regionalen Therapieangebotes führen müssen.

Auch in der Herzmedizin werden Teamstrukturen, analog den Tumorboards in der Onkologie, für Therapieentscheidungen erforderlich. Der Patient erwartet zu Recht eine individualisierte Therapieempfehlung, die eine strukturierte Diskussion aller Therapieoptionen erfordert. Diese Entwicklung hat auch Eingang in die aktuellen Leitlinien, die teambasierte Entscheidungen bei der koronaren Herzerkrankung und bei Herzklappenerkrankungen klar empfehlen.

Kritische Evaluation neuer Medizinprodukte und Therapiestrategien mit zeitnaher Integration in aktuelle Behandlungskonzepte werden weitere Herausforderungen der kommenden Jahre sein. Hier ist eine sektorenübergreifende Langzeitbetrachtung von Therapieverfahren geboten und stellt eine klare Herausforderung für die Versorgungsforschung dar.

Diese Punkte sind nur beispielhaft für die zukünftigen Entwicklungen in der Herzchirurgie genannt. Zahlreiche weitere Herausforderungen, denen sich die Chirurgie stellen muss, werden zu einer Veränderung der tradierten Therapieformen führen.

Es bleibt spannend!

Ihr
W. Harringer

Harringer W: Editorial: Herzensangelegenheit Herzchirurgie. Passion Chirurgie. 2017 Dezember; 7(12): Artikel 01.